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PARKER greift den Blumenfreund

Edmund Diedrichs

»Ich werde noch ein wenig meditieren, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson. »Mein Bestseller wird ohnehin verfilmt, da kann ich das Drehbuch gleich mitverfassen.«

»Ein ebenso einleuchtendes wie beeindruckendes Verfahre«, entgegnete der Butler. »Meine Wendigkeit wundert sich aller­dings, daß Myladys Konkurrenz noch nicht auf diese Idee ge­kommen ist.«

»Dazu bedarf es eines unkonventionell denkenden Geistes, Mis­ter Parker«, wurde er umgehend belehrt. »Und wer außer mir hat den schon?«

Lady Agatha hielt falsche Bescheidenheit für einen gravierenden charakterlichen Mangel, unter dem sie natürlich nicht litt. Sie hat­te gerade den ersten Treppenabsatz erreicht, als die Türglocke sich meldete.

»Wer könnte das sein?« überlegte sich. » Für ein Besuch ist es viel zu früh. Ich wundere mich, was manche Leute für Manieren haben.«

»Eine gewisse Verwilderung der Sitten und Gebräuche, Myla­dy«, pflichtete Josuah Parker ihr bei, der inzwischen den verglas­ten Vorflur betreten hatte.

In der Wand befand sich die bekannte Schalttafel, über die man Draußenstehende beobachten konnte. Parker aktivierte den Moni­tor, der ein gestochen scharfes Bild lieferte. Vor dem überdachten Eingang stand ein junger Mann. Ein riesiger Blumenstrauß ver­deckte ihn fast.

Die Hauptpersonen: Tim überbringt Blumen und erlebt eine Überraschung. Jay, Rob und Tony wollen ein Haus ausräumen und landen im

Keller. Hank Vasco wird in der Toilette deponiert. Peter Sands betreibt einen Billardsalon und muß Federn lassen. Samuel Tanner handelt mit allem, was gestohlen ist, und fin­

det seine Bleibe in einem Fischernetz. Thomas Dale verschickt Blumengrüße und wird »gepflückt«.

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McWarden staunt über Myladys Kaufwünsche, die einem Chief-Superintendent seltsam vorkommen.

Butler Parker läßt sich nicht von falschen Fährten täuschen.

Der Blumenbote starrte ungeduldig auf die Tür und hatte sicher keine Ahnung, daß er von einer installierten Kamera erfaßt wur­de, die sein Bild auf den Monitor in der Nische des Vorflurs über­trug. Er trat unruhig von einem Fuß auf den anderen und muster­te die Umgebung.

»Sie wünschen?« meldete sich Josuah Parkers Stimme aus ei­nem kleinen Gitter neben der Tür. Der Butler verzichtete bewußt auf den Zusatz »Sir«, um nicht zu verraten, daß er sehr wohl wußte, daß es ein männlicher Besucher war, der Einlaß begehrte. Er legte Wert darauf, den Mann mit den Blumen zu beobachten.

»Ich komme vom >Blumenfreund<, Sir«, antwortete der Bote vor der Tür, während er sich etwas vorbeugte, um in das Gitter sprechen zu können. »Ich möchte einen Strauß für Lady Agatha Simpson abgeben, ich bin doch hier richtig, oder?«

»Durchaus, Sir«, bestätigte Parker durch die Sprechanlage. »Könnten Sie möglicherweise den Auftraggeber für den Blumen­gruß nennen?«

»Leider nein, Sir.« Der Blumenbote preßte die Lippen zusam­men und starrte verärgert auf die nach wie vor verschlossene Tür.

»Ist möglicherweise eine Karte beigefügt, die Aufschluß über den Spender gibt?« setzte Parker seine Befragung fort.

»Nein, verdammt«, zeigte der Einlaßbegehrende auch verbal seinen Ärger, riß sich aber sofort wieder zusammen und ent­schuldigte sich. »Pardon, Sir, war nicht so gemeint. Aber wissen Sie, ich habe noch eine Menge Aufträge, und wenn ich überall aufgehalten werde… nehmen Sie die Blumen nun an oder nicht? Sonst gehe ich und nehme sie wieder mit.«

»Man wird Ihnen umgehend öffnen«, versprach Parker und drehte sich zu seiner Herrin um, die langsam näher kam.

»Was ist, Mister Parker, wer ist da?« erkundigte sie sich und sah den Butler neugierig an.

»Ein Bote des sogenannten >Blumenfreundes<, Mylady«, in­formierte Parker sie. »Ein Serviceunternehmen, das blumige Grü­ße zustellt. Man möchte einen Strauß für Mylady abgeben.«

»Wirklich?« wunderte sie sich. »Und von wem, wenn ich fragen

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darf.« »Das ist der Punkt, der bedauerlicherweise nicht geklärt werden

konnte«, gab Parker gemessen zurück. »Der Bote behauptet, den Auftraggeber nicht zu kennen.«

»Ist das mit Kosten für mich verbunden, Mister Parker?« rea­gierte sie mißtrauisch.

»Keineswegs und mitnichten, Mylady.« »Worauf warten Sie dann noch, Mister Parker?« Lady Agatha

drängte sich an ihm vorbei und warf einen Blick auf den Monitor. »Lassen Sie den netten jungen Mann doch nicht so lange vor der Tür stehen, machen Sie ihm auf! Die Blumen sehen recht an­nehmbar aus, ich denke, das Geschenk werde ich nehmen.«

»Wie Mylady wünschen.« Josuah Parker wunderte sich nicht im geringsten über seine Herrin. Sie besaß ein ausgeprägtes Gefühl für wirtschaftliches Handeln und hegte deshalb allen Geschenken gegenüber große Sympathie.

Parker betätigte den Summer und entriegelte das komplizierte Schloß, dem man allerdings nicht ansah, daß es von höchster technischer Raffmesse war. Josuah Parker hatte es selbst entwi­ckelt und dann von einem Schlossermeister in Handarbeit herstel­len lassen.

Lady Agatha blickte dem Blumenboten wohlwollend entgegen, als dieser durch die Tür in den verglasten Vorflur trat. Sie mus­terte den wirklich aparten Strauß und wunderte sich nicht, daß ihr ein unbekannter Spender die herrlichen Blumen schickte. Sie meinte, daß ihr dies einfach zustand.

Josuah Parker teilte dieses Wohlwollen nicht. Bei aller Wert­schätzung für seine Herrin konnte er sich kaum vorstellen, daß ihr jemand Blumen ins Haus schickte, und erst recht niemand, der sich nicht zu erkennen gab.

Auch der Mitarbeiter des sogenannten Blumenfreund-Services gefiel ihm nicht. Das hing vor allem mit der Schußwaffe zusam­men, die der junge Mann unter der Achsel seines großzügig ge­schnittenen Kittels trug. Parkers geübtem Blick blieb dies keines­falls verborgen.

Seine innere Alarmanlage hatte sich gemeldet und bestätigte damit den Eindruck.

»Sehr hübsch«, flötete die Hausherrin, während der junge Mann in die Halle trat. »Und Sie sagen, er ist von einem Unbekannten?«

»Ah, jawohl, Mylady«, gab der Blumenbote zurück und ging

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weiter auf die Detektivin zu. Parker behielt ihn aufmerksam im Auge. »Sie wissen also nichts über den Absender?« erkundigte sich

Lady Agatha weiter und schenkte dem Blumenmann einen Blick, den sie für schmachtend hielt. Der Bote zuckte erschrocken zu­sammen und schielte über die Schulter, als suchte er nach einem Fluchtweg. Offensichtlich interpretierte er Myladys Blick ein wenig falsch und bezog ihn auf sich selbst.

Dann straffte er sich und zuckte bedauernd die Achseln. »Leider nein, Mylady. Ich selbst habe ihn auch nicht bedient, er hat den Strauß in einer unserer Agenturen telefonisch bestellt, wie ich hörte. Ich hätte Ihnen gern mehr gesagt, aber…«

Der »Blumenfreund« sprach nicht weiter, streckte die Arme aus und hielt den Strauß der Hausherrin entgegen, die von dieser heftigen Bewegung überrascht wurde. Plötzlich erfüllte feines Zi­schen den Raum, ein heller, unsichtbarer Nebel wehte Mylady entgegen und legte sich auf ihr Gesicht. Einen Augenblick später verdrehte sie die Augen und sank zu Boden.

Josuah Parker fing seine Herrin auf, transportierte sie erstaun­lich mühelos zu einer bequemen Couch und bettete sie darauf. Während er sich über sie beugte blickte er unauffällig über die Schulter zurück. Er sah den jungen Mann näher kommen, regist­rierte dessen triumphierendes Grinsen und bemerkte, wie er den Strauß gleich einer Waffe in seine Richtung hielt.

»Man hofft, daß es sich nur um eine vorübergehende Unpäßlich­keit handelt«, entschuldigte Parker Lady Agatha. »Meine Wenig­keit muß allerdings gestehen, daß derartiges Mylady noch nie widerfahren ist.«

»Vielleicht nur die Aufregung über die unerwarteten Blumen«, vermutete der Blumenfreund.

»Möglicherweise handelt es sich bei den Pflanzen auch um sol­che, auf die Mylady allergisch reagiert«, konnte sich Parker vor­stellen.

Er hatte während des kurzen Dialogs in seinen Covercoat gegrif­fen und einen Kugelschreiber hervorgeholt. Dann hatte er die beiden Hälften gegeneinander verdreht und den Schreiber auf diese Weise geöffnet. Im Schaft steckten zwei dünne Patronen, die er herausnahm und sich in die Nasenlöcher schob. Anschlie­ßend schraubte er den Kugelschreiber wieder zusammen und steckte ihn ein.

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»Legen Sie den Strauß freundlicherweise dort drüben auf den Tisch, Sir, man wird sich um ihn kümmern, sobald man einen Arzt für Mylady gerufen hat. Sie finden möglicherweise allein hinaus?«

»Aber ja doch, Alterchen«, gab der Blumenmann respektlos zu­rück und stieß Parker den Strauß förmlich ins Gesicht. Während ihm dünner, kaum wahrnehmbarer Nebel ins Gesicht sprühte, hielt Parker trotz der als Atemfilter dienenden Spezialpatronen die Luft an. Plötzlich stöhnte er laut, knickte in den Knien ein und sank auf den Teppich, wo er bewegungslos liegen blieb.

Der Blumenfreund stieß ihm einen Fuß in die Seite und kicherte hämisch. Dann entfernte er sich in Richtung Eingang, wie Parker zweifelsfrei hörte.

Der Butler drehte sich etwas, so daß er den jungen Mann sehen konnte. Dieser blieb im verglasten Vorflur stehen, zog eine kleine rechteckige Box aus der Tasche und daran einen dünnen, glän­zenden Metallstab heraus.

»Okay, Jungs, es ist soweit, ihr könnt jetzt kommen«, erklärte er, während er sich die Box an den Mund hielt.

Das Funkgerät knisterte, als die Antwort kam. Josuah Parkers verstand nur ein kurzes »Okay«, dann steckte der Mann vom Blumenservice das Gerät wieder ein und starrte auf die Eingangs­tür, die er einen Spaltbreit geöffnet hatte.

*

Vor dem altehrwürdigen Fachwerkhaus in Shepherd’s Market hielt ein braunlackierter Lieferwagen. Er stand kaum, als auch schon die hinteren Türen aufflogen und drei durchtrainiert wir­kende junge Männer heraussprangen. Sie eilten zum Eingang, der inzwischen sperrangelweit offenstand, und stürmten in die Halle, wo sie von dem angeblichen Boten des »Blumenfreundes« erwar­tet wurden.

»Na, das sieht ja recht erfolgversprechend aus«, äußerte der Mann, der zuletzt hereingekommen war und die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Hattest du irgendwelche Probleme, Tim?«

»Nicht die Spur«, winkte der vermeintliche Blumenbote ab. »Der Butler hat mir zwar Löcher in den Bauch gefragt, bevor er mich reingelassen hat, aber dann lief es wie geschmiert.«

»Die beiden schlafen richtig fest?« wollte der zuletzt gekomme­

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ne Mann wissen. Vermutlich war er der Anführer des kleinen Trupps und sah zu Lady Agatha und Parker hinüber, die nicht weit entfernt lagen.

»Na klar«, kam prompt die Antwort. »Du kennst mich doch, Mann. Was ich mache, mache ich richtig. So was habe ich schon x-mal durchgezogen. Was soll dabei schon schiefgehen?«

Der Anführer antwortete nicht darauf, sondern schlenderte zu der Ledercouch hinüber, auf der Lady Agatha ruhte, und sah auf sie hinab. Die ältere Dame hatte sich auf die Seite gedreht, ließ einen Arm baumeln und schnarchte dezent.

Der hochgewachsene, etwa dreißigjährige Mann mit dem Schnauzbart wandte sich Parker zu, der unweit von ihr auf dem Teppich lag und sich nicht rührte.

»Okay«, äußerte sich der Anführer zufrieden, nachdem er den Butler einige Sekunden beobachtet hatte. »Die scheinen tatsäch­lich zu pennen. Vorsichtshalber werden wir sie aber fesseln. Rob, Tony, erledigt das, während wir uns umsehen.«

Josuah Parker zuckte mit keiner Wimper, als er spürte, wie sich jemand an seinen Hand- und Fußgelenken zu schaffen machte und sie mit Schnüren zusammenband. Dann hörte er, wie man sich an seiner Herrin zu schaffen machte und auch sie fesselte.

Augenblicke später entfernten sich die Schritte der Ganoven, denen diese Aufgabe oblag. Der Butler war mit Mylady allein in der Halle.

*

Josuah Parker hatte die Entwicklung kommen sehen. Er hätte problemlos den falschen Blumenboten ausschalten können, bevor der Mann die Sprühpistole einsetzen konnte. Ihm kam es jedoch darauf an, die Gangster bei der Arbeit zu beobachten und an­schließend herauszufinden, wer sie waren und wer sie steuerte.

Die Art, wie alles ablief, ließ auf eine gewisse Professionalität und vor allem auf viel Routine schließen. Ein ähnlicher Überfall war mit Sicherheit schon in anderen Häusern durchgeführt wor­den. Genau dies machte den Butler neugierig.

Hinter sich hörte Parker Mylady leise stöhnen. Anscheinend war die Dosis des Betäubungsgases nur gering gewesen.

Agatha Simpson räusperte sich mehrmals und setzte zum Spre­

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chen an, was Josuah Parker unter allen Umständen vermeiden wollte, um die Gangster nicht zu warnen. Die ältere Dame verfüg­te über eine sehr eindrucksvolle, baritonal gefärbte Stimme, die grundsätzlich weit trug.

»Wenn man Mylady bitten dürfte, noch einige Augenblicke die Ruhe zu bewahren?« ließ sich der Butler leise vernehmen. »Man wird Mylady umgehend befreien und alles erklären.«

Lady Agatha räusperte sich erneut, gab dann einen zustimmen­den Laut von sich und schwieg zu Parkers Erleichterung.

Das Instrument, mit dem der Butler sich seiner Fesseln zu ent­ledigen trachtete, ruhte in einem seiner Absätze.

Parker krümmte sich, tastete mit den Fingerspitzen nach sei­nem Schuh und klappte den Absatz auf. Seine suchenden Finger fanden eine feine Schnur, die mit winzigen Splittern von Indust­riediamanten besetzt war.

Parker zog die Schnur heraus und begann, damit die Fesseln um seine Fußgelenke zu bearbeiten. Die hatten diesem Angriff nichts entgegenzusetzen. Einen Augenblick später gaben sie nach und platzten auf.

Der Butler schlang die Schnur um eine Fußspitze und rieb seine Handfesseln an den Diamantsplittern. Auch die Handfesseln sträubten sich nicht lange.

»Wenn man Mylady um ihre Handgelenke bitten dürfte?« wand­te er sich an seine Herrin, die ihm ungeduldig entgegensah. We­nige Augenblicke später war auch Agatha Simpson befreit und erhob sich. Sie massierte ihre Handgelenke und blickte sich un­ternehmungslustig um. Parker deutete in Richtung der Küche und bat die ältere Dame mit einlandender Handbewegung, dorthin vorauszugehen.

»Was geht hier vor, Mister Parker. Ich erwarte eine Erklärung«, grollte sie, nachdem Parker die Küchentür geschlossen hatte.

»Mylady wurden bedauerlicherweise das Opfer eines Überfalls«, klärte Parker sie auf.

»Das habe ich schon bemerkt, Mister Parker«, reagierte sie bis­sig und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Warum haben Sie nicht verhindert, daß man mich betäubte?«

»Sicher wollten Mylady die Herren erst mal gewähren lassen, um herauszufinden, was sie beabsichtigen und wer ihr Auftragge­ber ist. Selbstverständlich sind Mylady jederzeit in der Lage, un­gebetene Besucher in die Schranken zu weisen.«

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»Mister Parker, Sie lernen es!« lobte sie ihn ungeniert und nick­te energisch. »Man muß eine Sache immer mit Verstand und Ü­berlegung angehen, ist doch etwas ganz anderes.«

»Mylady pflegen sich nie dem Augenblick hinzugeben, sondern gehen stets planvoll und wohlüberlegt vor«, erwiderte Parker höf­lich.

Der Butler drehte sich um und schaltete die hauseigene Über­wachungsanlage ein. Auch in der Küche, die sein ausschließliches Reich war, gab es einen Schaltkasten mit Monitor, der es Parker erlaubte, von hier aus alle Bereiche des Hauses und der unmittel­baren Umgebung zu überwachen.

Auf dem Monitor erschien der Vorplatz des altehrwürdigen Fachwerkhauses mit dem parkenden Lieferwagen. Danach er­schienen zwei junge Männer, schwer bepackt und eilig. Sie wuch­teten ihre Lasten auf die Ladefläche des Lieferwagens.

Lady Agatha, die hinter den Butler getreten war, um gleichfalls auf den Monitor zu sehen, zuckte plötzlich zusammen.

»Habe ich richtig gesehen, Mister Parker?« erkundigte sie sich mit leidvollem Unterton in der Stimme.

»Könnten sich Mylady möglicherweise näher äußern?« fragte Parker zurück, der allerdings ahnte, worauf seine Herrin hinaus­wollte.

»War das nicht eben mein Videorecorder, den die Strolche ein­geladen haben?« äußerte sie erwartungsgemäß und sah Parker betroffen an.

»Dies könnte durchaus zutreffen, Mylady«, lautete die Antwort des Butlers.

»Das darf doch nicht wahr sein, Mister Parker!« Mylady war empört. »Schrecken die Banditen denn vor nichts zurück? Wie kann man nur einer alten Frau das Arbeitsgerät stehlen!«

»Möglicherweise ahnen die Herren Einbrecher nicht, daß besag­ter Recorder Mylady keinesfalls zur Unterhaltung dient, sondern um die Technik des Drehbuchschreibens zu studieren«, gab Par­ker gemessen zurück. »Wüßten die Herren es, würden sie auf die Mitnahme dieses Gerätes verzichten.«

»Papperlapapp, Mister Parker, das sind ganz skrupellose Leute, die vor nichts zurückschrecken.«

»Dürfte man Mylady einen Kreislaufbeschleuniger anbieten, um den angegriffenen Gesundheitszustand ein wenig zu stabilisie­ren?« bot der Butler würdevoll an.

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Die Hausherrin griff rasch nach dem Glas und nahm einen herz­haften Schluck. Als sie es erneut ansetzen wollte, erschien ein Ausschnitt der Halle auf dem Monitor, und ein Detail erregte die Aufmerksamkeit der passionierten Detektivin.

»Ich bin doch hier in der Küche, nicht wahr?« erkundigte sie sich vorsichtig und sah Parker prüfend an.

»In der Tat, Mylady«, bestätigte der Butler gemessen. »Aha!« Lady Agatha nickte zufrieden und trank ihr Glas leer.

Dabei ließ sie keinen Blick vom Monitor. Wieder kam der Aus­schnitt ins Bild, der sie stutzig gemachte hatte.

Sie räusperte sich und formulierte eine etwas seltsame Frage. »Und wieso liege ich dann auf der Couch in der Halle, Mister Par­ker?« begehrte sie zu wissen.

»Wie Mylady sicher erkannt haben, ist auch meine bescheidene Wenigkeit außer in der Küche zusätzlich in der Halle präsent«, lautete die etwas rätselhafte Antwort Parkers.

»Das sehe ich, Mister Parker. Welchen Trick habe ich dabei an­gewandt?« wurde sie ungeduldig.

»Es handelt sich um zwei aufblasbare Puppen, die meine be­scheidene Wenigkeit für derartige Fälle bereithält«, erläuterte Parker gemessen. »Natürlich hat man damit eine Anregung reali­siert, die im Grund von Mylady stammt.«

»Ja, ich erinnere mich«, überlegte die ältere Dame und nickte nachdrücklich. »Das haben Sie recht hübsch gesagt«, lobte sie und beugte sich etwas vor, um den Monitor besser betrachten zu können. »Ich habe Ihnen allerdings auch detaillierte Anweisungen gegeben.«

»In der Tat, Mylady«, bestätigte Parker mit unbewegter Miene, obwohl er sich an eine derartige Information keineswegs erinnern konnte. Allerdings wußte er aus langer Erfahrung, daß alle guten Einfälle letztlich auf Mylady zurückzuführen waren, da ließ die ältere Dame nie einen Zweifel aufkommen. »Mein Fernseher, Mis­ter Parker!« Lady Agatha straffte sich und wies anklagend auf den Bildschirm. »Ich verlange, daß Sie sofort etwas unternehmen, bevor sich die Strolche auch noch an meinen Videokassetten ver­greifen.«

»Einen derartigen Frevel würde meine Wenigkeit nie’ und nim­mer zulassen, Mylady«, lautete die beruhigende Antwort des But­lers.

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*

»Kann man Ihnen behilflich sein, Sir?« erkundigte sich Josuah Parker höflich.

Der angebliche Blumenbote namens Tim hatte gerade einen Personalcomputer der Spitzenklasse in den Lieferwagen getragen, der bis vor wenigen Minuten noch in Myladys Studio gestanden hatte. Parker hatte ihn selbst vor geraumer Zeit angeschafft, um seiner Herrin ein erstklassiges Hilfsmittel zu bieten, so daß sie sich auf den kreativen Teil ihrer Arbeit konzentrieren konnte.

Tim, der gerade wieder ins Haus gekommen war, starrte den Butler aus weit aufgerissenen Augen an.

Parker erkannte sein Dilemma und erlöste ihn davon. Er hatte seinen Universal-Regenschirm mitgebracht und setzte ihn ein we­nig zweckentfremdet ein.

Er ließ den Bambusgriff auf die Stirn des verdatterten Ex-Blumenboten fallen und erzeugte damit einen gewissen Schmerz. Der Getroffene stöhnte und tastete nach der rasch wachsenden Beule an seiner Stirn. Dann sank er in die Knie und wurde von Parker aufgefangen, der ihn mühelos abtransportierte und in ei­ner Abstellkammer unterbrachte.

Auch Lady Agatha hatte aufgerüstet. Ihr Handbeutel, der das Hufeisen eines stämmigen Brauereipferdes enthielt, harrte auf ein Opfer.

Die Herren Rob und Tony hatten das Pech, ihren Weg zu kreu­zen. Sie hatten einen kostbaren Teppich aufgerollt und trugen ihn auf ihren Schultern.

Es war Rob, der die ältere Dame zuerst bemerkte. Entgeistert starrte er der walkürenhaften Gestalt entgegen und schluckte trocken. Er bemerkte den Pompadour, den die kräftig wirkende Frau schwang, und entschied sich für die Flucht. Er wollte den Teppich fallen lassen und sich absetzen, als ihn sein Schicksal ereilte.

Der Pompadour schlug gegen sein Brustbein und vermittelte ihm das Gefühl, von einem auskeilenden Pferd getroffen worden zu sein. Er warf den vorderen Teil der Teppichrolle von sich, griff an die schmerzende Brust und lag einen Augenblick später zu Füßen der erzürnten Rachegöttin.

Der hinten gehende Tony wurde jäh aus dem Gleichschritt ge­

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bracht, als die Teppichrolle vor ihm auf den Boden krachte. Er geriet ins Stolpern und wollte noch die Balance halten, verlor sie aber, breitete die Arme aus und warf sich auf den Teppich, den er eben noch auf den Schultern getragen hatte. Der Mann fühlte allerdings einen harten Griff am Ohr und beeilte sich, auf die Füße zu kommen.

»Bitte«, flehte er, »bitte, Lady, hören Sie auf! Sie reißen mir ja das Ohr ab.«

Agatha Simpson ließ das malträtierte Ohr los, und Tony schluchzte erleichtert auf. Er tastete nach dem inzwischen feuer­rot angelaufenen Körperteil und stellte zu seiner grenzenlosen Freude fest, daß er noch da war.

»Sie wollten mich also berauben, junger Mann«, stellte die älte­re Dame fest und musterte den verängstigten Einbrecher grim­mig. »Das nehme ich ausgesprochen übel.« Tony antwortete nicht. Er ließ sich in einen Sessel sinken und den Kopf apathisch hängen.

»Mylady waren bei der Jagd erfolgreich?« erkundigte sich Josu­ah Parker, der von der Abstellkammer zurückkam, in der er sein Wild verstaut hatte.

»Es war eigentlich viel zu leicht, Mister Parker«, beklagte sie sich. »Es macht keinen Spaß, sich mit Amateuren abzugeben.«

»Möglicherweise geraten Mylady im Verlauf des neuen Falles an höherwertige Gegner«, hatte Parker Trost und Beistand für seine Herrin parat.

»Ein neuer Fall, Mister Parker?« überlegte sie stirnrunzelnd. »In der Tat, Mylady«, gab Parker würdevoll zurück. »Die Art

und Weise, wie die Herren vorgingen, legen Mylady den Schluß nahe, daß es sich hierbei um eine wohlorganisierte und sehr pro­fessionell vorgehende Bande handelt, die einen solchen Einbruch nicht zum erstenmal durchführen dürfte.«

»Dieser ist gescheitert, Mister Parker«, stellte die ältere Dame mokant lächelnd fest. »Übrigens, fehlt nicht einer von den Bandi­ten?«

»Der Anführer, Mylady. Er dürfte sich nach wie vor in den obe­ren Räumen aufhalten, um den Wert der Beute abzuschätzen.«

Mylady kam nicht zur Antwort, denn der hochgewachsene Mann mit dem gewaltigen Schnauzbart tauchte auf dem oberen Trep­penabsatz auf.

»He, wo bleibt ihr denn?« rief er ungeduldig. »Schlaft nicht ein,

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wir wollen hier keine Wurzeln schlagen.« Parker nickte seiner Herrin zu und begab sich zur Treppe. Er

hielt die Melone in der Hand und blickte zum Anführer der Einbre­cher hoch.

»Man fürchtet, schlechte Nachrichten für Sie zu haben, Sir«, teilte er dem Verblüfften mit. »Ihre Mitarbeiter sind ein wenig indisponiert, wenn man es mal so ausdrücken darf.«

»Verdammt!« Die Hand des Schnauzbärtigen zuckte unter sei­nen Kittel. Parker hatte die Reaktion vorausgesehen. Er winkelte den Arm an und schickte seine Kopfbedeckung auf die Reise. Die zum Diskus umfunktionierte Melone wirbelte durch die Luft, stieg hoch und sauste dem konsternierten Eindringling entgegen.

Die mit Stahlblech ausgekleidete Hutkrempe gongte gegen die Schläfe des Einbrechers und riß ihn von den Füßen. Er fiel auf die Treppe, kullerte einige Stufen tiefer und blieb dort reglos liegen.

Josuah Parker stieg gemessen und würdevoll die Stufen hinauf und barg seine Kopfbedeckung. Dann zog er eine kleine Bürste aus einer der zahlreichen Innentaschen seines Covercoats und säuberte die Melone.

»Die ganze Geschichte hat mich sehr mitgenommen«, sagte La­dy Agatha, als Parker in die Halle zurückkehrte.

»Man wird sofort eine Erfrischung reichen«, versprach der But­ler. »Sobald die ungebetenen Gäste untergebracht sind, wird meine Wenigkeit sich um Mylady kümmern.«

*

»Ich muß dir unbedingt etwas erzählen, Agatha!« rief Lady Sa­rah Wintermere und stürmte an Parker vorbei in den kleinen Sa­lon.

Lady Agatha saß zu diesem Zeitpunkt gerade beim zweiten Frühstück und war nicht gerade begeistert über die Störung. Sie sah sich genötigt, ihr frugales Mahl in unziemlicher Hast zu been­den und Parker abtragen zu lassen, bevor ihre weitläufige Ver­wandte auftauchte.

»Das hättest du auch telefonisch erledigen können, Sarah«, bemerkte die Detektivin spitz.

»Nein, nein, das muß ich dir unbedingt von Angesicht zu Ange­sicht erzählen«, wehrte Sarah Wintermere, eine hagere, knochige

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Frau, ab und ließ sich der Hausherrin gegenüber in einen Sessel sinken.

»Hättest du etwas früher angerufen, hättest du bei mir frühstü­cken können«, teilte Lady Agatha ohne jedes Bedauern mit und lächelte.

»Macht nichts, Agatha, ich habe bereits bei Harrod’s gefrühs­tückt«, gab Lady Wintermere zurück.

»Aber einen Tee könntest du mir anbieten.« »Mister Parker hat noch nicht eingekauft.« »Man fand erfreulicherweise noch einen Rest, Mylady«, ließ sich

der Butler vernehmen und versorgte die Besucherin mit einer Tasse. »Wenn man Mylady noch mal nachschenken darf?«

»Nein, auf keinen Fall, ich muß sparen, Parker«, antwortete La­dy Agatha, die sich darüber mokierte, daß Lady Wintermere doch zu ihrem Tee kam und ihn mit sichtlichem Genuß schlürfte.

»Ich habe viel zu tun«, stellte sie schließlich fest und sah ihre Besucherin herausfordernd an.

»Gehst du wieder auf Gangsterjagd, meine Liebe?« Lady Win­termere schüttelte sich. »Ehrlich gesagt, ich verstehe nicht, wie du dich mit so etwas befassen kannst. Das paßt nicht zu deinem Stand.«

»Das stört mich nicht«, freute sich Lady Agatha. »Würde ich es nicht tun, würde diese Stadt in der Kriminalität umkommen.«

»Na, du übertreibst mal wieder«, meinte Lady Wintermere. Dann räusperte sie sich und beugte sich vor. »Weißt du, was mir am letzten Wochenende passiert ist?« erkundigte sie sich und zwinkerte der Gastgeberin zu.

»Keine Ahnung, du wolltest es mir bereits vor einer halben Stunde erzählen«, bemerkte Lady Agatha süffisant.

»Stell dir vor, man hat mich überfallen, in meinem eigenen Haus!«

Sarah Wintermere nickte bestätigend und sah Lady Agatha tri­umphierend an, als wäre das ein Ereignis, auf das sie stolz sein konnte.

»Was du nicht sagst, meine Liebe.« Die Hausherrin schien nur mäßig interessiert. »Gerade eben komme ich von der Versicherung. Du glaubst ja

nicht, was das für eine Lauferei ist, bis die Leute zufrieden sind. Den ganzen Tag über hat es in meinem Haus von Polizei nur so gewimmelt. Sie haben überall nach Spuren gesucht, eine Inven­

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tarliste der gestohlenen Stücke gemacht und nach Finger- und Fußabdrücken und was weiß ich noch alles gesucht«, fügte Lady Wintermere hinzu.

»Davon bekommst du kein Stück wieder«, wußte Lady Agatha. »Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, daß die Polizei in der Lage ist, den Einbruch aufzuklären?«

»Warum denn nicht?« wunderte sich die Besucherin. »Der In­spektor, der die Untersuchung leitete, machte einen sehr kompe­tenten Eindruck.«

»Das täuscht«, stellte Lady Agatha ernüchternd fest. »Glaub mir, meine Liebe, ich habe täglich mit diesen Leuten zu tun und weiß, wovon ich spreche.«

»Na, du wirst ja nicht die ganze Polizei kennen«, ärgerte sich Sarah Wintermere über den Pessimismus ihrer Verwandten. »Au­ßerdem befassen die Leute sich mit ähnlichen Einbrüchen; an­scheinend sind sie in letzter Zeit häufiger vorgekommen. Es läuft immer nach dem gleichen Schema ab, sagte mir der nette In­spektor. Die Ganoven kundschaften erst aus, wo sich ein Einbruch lohnt, und schicken einen Mann, der als Blumenbote getarnt ist und angeblich einen Strauß abgeben soll…«

»Ach, tatsächlich?« unterbrach Lady Agatha interessiert den Be­richt und runzelte die Stirn. »Ein Blumenbote, sagst du?«

»Ja, warum? Hast du schon davon gehört?« wunderte sich Sa­rah Wintermere.

»Ich meine, erst kürzlich davon in der Zeitung gelesen zu ha­ben«, schwindelte die Hausherrin ungeniert und nickte ihrer Be­sucherin zu. »Fahr doch bitte fort, meine Liebe, ich wollte dich nicht unterbrechen. Möchtest du übrigens einen Sherry?«

Die Besucherin war konsterniert. »Du bietest mir etwas an?« »Ich bitte dich, meine Liebe, die Gesetze der Gastfreundschaft

sind mir heilig«, behauptete Lady Agatha und sah mißtrauisch zu, wie Parker einen Sherry in ein Kristallglas schenkte.

»Es genügt, Mister Parker«, stellte sie fest. »Lady Wintermere verträgt keinen Alkohol. Wir wollen sie schließlich nicht betrunken machen.«

Der Butler verzichtete auf eine Antwort und verneigte sich an­deutungsweise vor seiner Herrin.

»Erzähl weiter, meine Liebe. Das klingt ja recht vielverspre­chend«, flötete Lady Agatha und beugte sich gespannt vor.

»Nun, da erschien also dieser Mann vom Blumendienst, klingel­

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te und sagte meiner Haushälterin, er hätte einen Strauß für mich abzugeben, woraufhin sie ihn einließ.«

»Das war natürlich ein Fehler«, stellte Agatha Simpson fest. »Wer sollte dir schon Blumen schicken, Sarah? Hat dir das nicht zu denken gegeben?«

»Unterbrich mich doch nicht dauernd«, reagierte Lady Winter­mere verärgert. »Und überhaupt, warum sollte es niemanden geben, der mir einen Blumenstrauß schickt?«

»Dazu möchte ich nichts weiter sagen«, zeigte sich die Haus­herrin erstaunlich feinfühlig. »Wie ging es dann weiter, meine Liebe?«

»Der angebliche Blumenbote hatte eine Sprühflasche in seinem Bukett, aus dem er Betäubungsgas verspritzte. Erst traf es meine Haushälterin, dann mich und zum Schluß die Köchin. Der Fahrer war nicht da, der war unterwegs, um eine Besorgung zu ma­chen.«

»Mein Gott, was für eine Verschwendung an Personal«, seufzte Lady Agatha kopfschüttelnd.

Sarah Wintermere ließ sich nicht ablenken. »Anschließend wur­de mein Haus systematisch ausgeräumt. Nichts, was von Wert war, haben die Strolche dagelassen. Zum Glück liegt mein Schmuck in einem Tresor der Bank von England, wenigstens den haben sie nicht bekommen.«

»Was sollten sie auch mit falschen Steinen anfangen?« überleg­te die Detektivin halblaut und erntete dafür einen bösen Blick ihrer entfernten Verwandten.

»Sie sprachen im Plural, Mylady. Haben Sie außer dem Blumen­boten noch einen anderen Gangster kennengelernt?« fragte Josu­ah Parker.

Lady Wintermere sah irritiert auf. Sie wunderte sich sichtlich darüber, daß der Butler das Wort an sie richtete.

»Mister Parker ist mein Vertrauter. Er stellt die Frage an meiner Stelle«, machte die Hausherrin ihr umgehend klar. »Antworte ihm also.«

»Ich habe sonst niemand gesehen«, erwiderte die Besucherin verstimmt. »Nur die Polizei hat festgestellt, daß noch mindestens drei weitere Leute dabeisein müssen. Vor dem Haus hat man Spuren eines Lieferwagens festgestellt.«

»Wie kann man nur so leichtgläubig sein!« Agatha Simpson schüttelte den Kopf und sah Lady Wintermere vorwurfsvoll an.

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»Mir wäre das nicht passiert, meine Liebe, darauf kannst du dich verlassen.«

Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Dabei warf sie einen Blick auf den Butler, der je­doch mit unbewegtem Gesicht hochaufgerichtet dastand und sich nichts anmerken ließ.

»Du hast ja auch ständig mit Kriminellen zu tun. Kein Wunder, daß du mißtrauischer bist als ich, meine Liebe«, gab die Besuche­rin seufzend zurück. »Auf jeden Fall war das ein Riesenschock für mich.«

»Du hast Glück im Unglück«, tröstete die passionierte Detekti­vin. »Zufällig befasse ich mich seit heute morgen mit diesem Fall. Ich werde ihn in wenigen Tagen aufgeklärt haben.«

»Was du nicht sagst!« staunte Lady Wintermere. »Wie ist das möglich?«

»Ein Zufall, weiter nichts, meine Liebe«, winkte die Hausherrin großzügig ab. »Ist es nicht so, Mister Parker?«

»In der Tat, Mylady«, stimmte der Butler seiner Herrin zu und deutete eine Verbeugung an.

*

Josuah Parker hatte den Lieferwagen absichtlich vor dem Haus stehen lassen. Er ging davon aus, daß irgendwann die Komplicen der Einbrecher unruhig werden und nachsehen würden. Deshalb hatte der Butler das Fahrzeug präpariert und eine sogenannte Wanze installiert, die es ihm erlaubte, den Lieferwagen in einem Umkreis von fünf Kilometern zu orten. Eine weitere im Führer­haus diente dazu, Gespräche zu übertragen.

Lady Agatha hatte sich zurückgezogen, um zu meditieren. Da­nach wollte sie lunchen und anschließend die Einbrecher verneh­men, die als nicht ganz freiwillige Gäste in den speziellen Appar­tements des altehrwürdigen Fachwerkhauses saßen.

Parker begab sich in seine im Souterrain gelegenen Privaträume und schaltete die Überwachungsanlage ein. Er registrierte, daß auf dem Monitor der Lieferwagen samt einem Ausschnitt des Vor­platzes erschien, und nickte zufrieden. Dann wandte er sich dem Telefon zu und wählte die Nummer eines gewissen Horace Pi­ckett, der bei der Aufklärung manchen Kriminalfalles behilflich

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war. Bei Pickett handelte es sich um einen etwa sechzigjährigen, sich

stets straff gebenden und an einen pensionierten Offizier erin­nernden Herrn, der in früheren Jahren sogenannter Eigentum­sumverteiler war. Von Butler Parker war er vor den Nachstellun­gen eines Gangsterbosses bewahrt worden. Seitdem wandelte er auf dem Pfad der Tugend und rechnete es sich zur Ehre an, Myla­dy und Parker behilflich zu sein. Seine Kenntnis der Unterwelt sowie ausgezeichnete Kontakte stellte er zur Verfügung.

»Ich freue mich, von Ihnen zu hören, Mister Parker«, sagte der Ex-Eigentumsumverteiler, nachdem Parker seinen Namen ge­nannt hatte.

»Die Freude ist ganz meinerseits, Mister Pickett«, erwiderte der Butler und berichtete erstaunlich knapp von dem gescheiterten Einbruch.

»Ich soll also diesem Lieferwagen folgen, Mister Parker«, faßte Horace Pickett zusammen. »Ich werde mich sofort auf den Weg machen und mich später von unterwegs melden.«

Josuah Parker bedankte sich und legte auf, dann griff er nach einem technischen Fachbuch und vertiefte sich darin.

Eine Stunde später schlug das Telefon an, daß der Butler in sei­ne Räume umgestellt hatte.

Parker nahm ab und meldete sich höflich. Am anderen Ende der Leitung war eine glatte, kultiviert klingende Männerstimme zu hören.

»Ich rufe vom >Blumenfreund< an. Wir liefern Blumengrüße in­nerhalb von ganz London«, teilte die Stimme mit. »Wir vermissen einen unserer Boten, Sir. Vielleicht können Sie uns behilflich sein?«

»Sofern man dazu in der Lage ist, mit dem größten Vergnü­gen«, gab Parker gemessen zurück, während er das Tonbandge­rät einschaltete, um das Gespräch mitzuschneiden.

»Unser Mann hatte den Auftrag, bei Lady Simpson einen Strauß abzuliefern, der telefonisch in Auftrag gegeben wurde«, fuhr der Unbekannte fort. »Er verließ unser Auslieferungslager gegen neun Uhr heute morgen und wird seitdem vermißt.«

»Eine außerordentlich bedauerliche Tatsache, Sir«, ließ sich Jo­suah Parker vernehmen. »Könnte meine Wenigkeit erfahren, wer der Auftraggeber für diesen Strauß war?«

»Bedaure, nein; den darf ich nicht nennen. Wir erhielten einige

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Tage vorher einen Scheck, den wir einlösten. Diesem Scheck war eine Notiz beigefügt, daß der Auftrag tele­

fonisch erfolgen würde. Das ist dann auch geschehen.« Der Anru­fer räusperte sich und fuhr etwas ungeduldig fort: »Aber verzei­hen Sie, wenn ich das sage, das ist doch unwichtig. Wichtiger ist, daß unser Bote vermißt wird. Finden Sie nicht auch? Vielleicht ist ihm etwas zugestoßen, und er braucht Hilfe.«

»Das wäre durchaus möglich, Sir«, gab Parker ihm recht. »Wie meinen Sie das?« In die Stimme des Anrufers hatte sich

ein gewisses Mißtrauen gemischt. »Ihr sogenannter Bote könnte tatsächlich Hilfe brauchen«, fuhr

Parker gemessen fort. »Und zwar von einem Anwalt, um – mit Verlaub – ein wenig deutlicher zu werden.«

Einige Augenblicke herrschte am anderen Ende der Leitung be­tretenes Schweigen, nur das heftige Atmen des Anrufers war zu hören. Dann kam seine Stimme wieder, die jetzt belegt und ein wenig unsicher klang.

»Ich habe Sie nicht ganz verstanden, Mann«, knurrte der Unbe­kannte. »Was erzählen Sie da von einem Anwalt?«

»Dieser Berufsstand bietet jene Art von Hilfe an, die Ihr Bote möglicherweise benötigt, Sir«, präzisierte Parker. »Bei Strafsa­chen ist ein guter Anwalt unbedingt erforderlich.«

»Strafsachen?« echote der Anrufer. »Bei Einbruchsdiebstahl beispielsweise«, erläuterte Parker höf­

lich. »Sie haben ihn der Polizei übergeben?« wollte der Unbekannte

wissen, der sich offensichtlich entschlossen hatte, das Versteck­spiel aufzugeben und im sogenannten Klartext zu reden.

»Keinesfalls und mitnichten, Sir. Dies entspricht nicht Myladys Stil, um es einmal so zu formulieren.«

»Aha! Und was ist Myladys Stil?« »Mylady hegt ein gewisses Faible für das Aufklären von Krimi­

nalfällen, Sir. Sie ist auf diesem Gebiet außerordentlich erfolg­reich, wenn man Sie darauf hinweisen darf.«

»Ich zittere, Mann. Hören Sie meine Zähne klappern?« spottete der Anrufer. »Aber reden wir nicht lange drumherum. Was haben Sie mit meinem Mann gemacht?«

»Er hat die Ehre, Myladys Gast zu sein«, gab Parker zurück. »Nachdem Mylady ein ausführliches Gespräch mit ihm geführt hat, wird er in die sogenannte Freiheit entlassen werden.«

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»Was ist mit den anderen?« »Für die übrigen Herren dürfte sinngemäß das gleiche gelten,

Sir.« »Ihre Chefin verschwendet nur ihre Zeit, Mann, lassen Sie sich

das gesagt sein. Aus meinen Leuten bekommt sie kein Wort her­aus. Sie können sie also ebensogut gleich freilassen.«

»Eine solche Entscheidung liegt ausschließlich in Myladys Er­messen, Sir.«

»Dann geben Sie sie mir mal, ich werde ihr das schon klarma­chen«, verlangte der Anrufer.

»Mylady hat sich zur Meditation zurückgezogen und kann nicht gestört werden, Sir. Möchten Sie zu einem späteren Zeitpunkt zurückrufen?«

»Sie wissen offensichtlich nicht, mit wem Sie’s zu tun haben, Mann«, warnte der Mann vom Blumenfreund. »In gewissen Din­gen verstehe ich absolut keinen Spaß. Ich erwarte, daß Sie meine Leute innerhalb der nächsten zwei Stunden freilassen, sonst…«

»Was belieben der Herr sonst zu tun?« »Sonst wird es Ihnen verdammt leid tun, sich mit mir angelegt

zu haben, kapiert?« »Sie übernehmen sich ein wenig, Sir!« ließ sich Parker verneh­

men, dem es darauf ankam, den Anrufer zu provozieren. »Wenn man sich die kriminelle Qualität Ihrer Mitarbeiter vor Augen hält, dürfte Ihre Drohung beträchtlich an Wert verlieren.«

»Sie müssen da ganz einfach Glück gehabt haben; normaler­weise geht bei den Jungs grundsätzlich nichts schief«, ärgerte sich der Blumenfreund. »Aber wie dem auch sei, innerhalb von zwei Stunden, denken Sie daran!« Damit wurde auf der anderen Seite aufgelegt.

*

»Sie sind außerordentlich pünktlich, Sir«, stellte der Butler nach einem Blick auf die große Wanduhr fest. »Es sind in der Tat exakt zwei Stunden seit Ihrem ersten Anruf vergangen.«

»Ich hoffe, Sie wissen noch, was ich Ihnen gesagt habe«, dröhnte der Anrufer, bei dem es sich um den sogenannten Blu­menfreund handelte. »Ich habe Ihnen ein Ultimatum gestellt. Wie sieht’s damit aus?«

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»Nicht unbedingt erfreulich, Sir, um der Wahrheit die Ehre zu geben. Meine bescheidene Wenigkeit hatte noch keine Gelegen­heit, Mylady über Ihr Anliegen zu informieren.«

»Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen, wie?« fauchte es am Ende der Leitung. »Was treibt Ihre Lady denn im Augen­blick?«

»Mylady nimmt gerade den Lunch ein, Sir«, gab Parker würde­voll zurück.

»Na fein, Mann, dann stören Sie sie mal und sagen Sie ihr, daß ich sie sprechen will«, forderte der Anrufer ungehalten.

»Ein Sakrileg, das zu begehen meine bescheidene Wenigkeit sich niemals erlauben würde«, lehnte der Butler dieses Ansinnen entschieden ab.

»Ich glaub’, ich hör’ nicht recht.« Der »Blumenfreund« verlor die Selbstbeherrschung und wurde laut. Dabei stieg auch die an sich recht kultivierte Stimme in höhere Tonlagen. Josuah Parker registrierte diese Nervenschwäche mit Interesse.

»Vielleicht könnten Sie sich in einer Stunde noch mal melden, Sir?« schlug er höflich vor. »Bis dahin dürfte Mylady ihr Mahl be­endet haben und ansprechbereit sein, vorausgesetzt, daß auch Mylady den Wunsch hegt, sich mit Ihnen auszutauschen.«

»Was denn, die alte Schachtel futtert ‘ne ganze Stunde lang?« schäumte der »Blumenfreund« in ohnmächtiger Wut.

»In der Tat, Sir. Man sollte sich stets eine angemessene Zeit zur Nahrungsaufnahme gönnen. Das garantiert nicht nur den größe­ren Genuß an den jeweiligen Speisen, sondern ist auch der Ver­dauung zuträglicher als die bedauerliche Hast, mit der heutzutage üblicherweise gegessen wird.«

»Sparen Sie sich Ihre albernen Belehrungen, Mann! Ich sagte, in zwei Stunden sind die Jungs raus, oder es passiert was! Sie haben sich die Folgen selbst zuzuschreiben!« Damit knallte der »Blumenfreund« den Hörer auf die Gabel und ließ einen ebenso nachdenklichen wie zufriedenen Butler zurück.

Josuah Parker kehrte gemessen und würdevoll in den kleinen Salon zurück und nahm seinen Platz neben dem Sessel seiner Herrin ein, die sich in der Zwischenzeit tapfer durch die Lunchvor­räte gekämpft hatte. Sie sah zu ihm auf. »Wer war das?« erkun­digte sich Agatha Simpson.

»Ein gewisser >Blumenfreund<, Mylady«, informierte Parker die ältere Dame.

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»Kommt mir irgendwie bekannt vor«, meinte sie und entdeckte, daß Parker das zarte Fleisch mit reichlich Rotwein angerichtet hatte. Sie nickte zufrieden.

»Der Bote, der den Strauß überbrachte, gab an, Mitarbeiter des sogenannten Blumenfreundes zu sein«, erinnerte Parker sie.

»Sieh mal einer an! Was will der Kerl eigentlich von mir?« Lady Agatha schöpfte Preiselbeeren auf ihren Teller und schnalzte über die köstliche Beilage mit der Zunge.

»Der Blumenfreund forderte die Freilassung seiner Mitarbeiter«, berichtete Parker weiter. »Er stellte hierzu ein Ultimatum von genau zwei Stunden, wie er betonte.«

»Dann habe ich ja noch etwas Zeit«, nickte die Hausherrin, während sie konzentriert aß.

»Mylady geben sich einem Irrtum anheim. Diese Frist dürfte im Prinzip bereits abgelaufen sein. Mister Blumenfreund stellte die­ses Ultimatum bereits vor den erwähnten zwei Stunden beim ers­ten Anruf.«

»Warum weiß ich davon nichts, Mister Parker?« wunderte sich die Detektivin und sah Parker strafend an.

»Man wollte Mylady keinesfalls bei der Meditation stören«, be­hauptete Parker ungeniert. »Große Werke können nur in einer Atmosphäre der Ruhe und künstlerischen Versenkung gedeihen, wie Mylady selbst mal zu erläutern geruhten.«

»Richtig, Mister Parker, nur so kann man Bedeutendes schaf­fen«, bestätigte sie umgehend, während sie wieder mal staunte, welch tiefschürfende Gedankengänge sie Parker gegenüber zu äußern pflegte, ohne sich hinterher daran erinnern zu können. »Sie können mir jetzt also ruhig sagen, was dieser Lümmel von mir wollte.«

»Im Prinzip nur die Freilassung seiner Mitarbeiter innerhalb der erwähnten zwei Stunden, Mylady. Für den Fall, daß diese Frist ungenutzt verstreicht, droht er mit nicht näher bezeichneten Sanktionen.«

»Das erschüttert mich nicht, Mister Parker.« Lady Agatha wink­te gelangweilt mit ihrer Gabel. »Ich wünschte, Banditen würden sich mal etwas Neues einfallen lassen. Lächerliche Drohungen wirken allmählich fad.«

Sie sah suchend über den Tisch und runzelte nachdenklich die Stirn. »Täusche ich mich, oder habe ich tatsächlich kein Des­sert?«

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»Man wird es umgehend servieren«, versprach Parker und machte sich auf den Weg in die Küche. In diesem Augenblick meldete sich das Telefon erneut.

Parker erfuhr dabei, das Horace Pickett den Lieferwagen ver­folgte, mit dem die Einbrecher gekommen waren. Er wollte die Anlaufadresse der Gangster ermitteln.

»Hat Mister Pickett jetzt die Anschrift durchgegeben?« »In der Tat, Mylady.« »Wie erfreulich.« Agatha Simpson erhob sich. »Ich ziehe mich

für eine Weile zurück, um über die Entwicklung der Dinge nach­zudenken, Mister Parker. Ich werde mir in einer Stunde die Ad­resse ansehen, die Mister Pickett Ihnen genannt hat.«

»Wie Mylady wünschen«, gab Parker zurück und verneigte sich höflich.

»Noch etwas, Mister Parker.« Die Hausherrin war stehengeblie­ben und hob zur Unterstreichung ihrer Worte den Zeigefinger. »Erinnern Sie mich daran, daß ich Mister Pickett gelegentlich zum Tee einlade! Sie wissen, ich schätze ihn durchaus.«

*

»Ein Billardsalon, Mister Parker?« Lady Agatha sah an der Fas­sade des grauen Gebäudes hoch, in dem sich laut grellrote Neon­schrift »Das Goldene Queue« befand.

»Papperlapapp – so ein alberner Name«, fügte sie hinzu, wäh­rend sie zum Eingang mit den ausgetretenen Stufen strebte.

Parker sah inzwischen einem älteren, verwahrlost wirkenden Mann entgegen, der die Straße herabtorkelte. Er lallte undeutlich vor sich hin und blieb von Zeit zu Zeit stehen, um einen kräftigen Zug aus einer Flasche zu nehmen.

»Ha… haste mal ‘n paar Pennies, Bruder?« erkundigte er sich mit schwerer Zunge, während er vor Parker stehenblieb und um sein Gleichgewicht kämpfte.

»Sie sollten dem Teufel Alkohol abschwören, Sir«, erwiderte der Butler, während er seine Börse zog und einige Münzen heraus­nahm.

»Wa… warum denn, wenn’s schmeckt?« wollte der Benebelte wissen und kicherte.

Agatha Simpson hatte sich umgewandt und musterte den Mann

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mißtrauisch. Dann rümpfte sie die Nase. »Was riecht denn hier so abscheulich, Mister Parker?« beklagte

sie sich. »Ist das etwa dieser Mann dort?« »Dem kann nicht widersprochen werden, Mylady«, gab Parker

würdevoll zurück und wandte sich an den Stadtstreicher. »Viel­leicht ist es Ihnen auch möglich, eine gewisse Grundreinigung Ihres Körpers durchzuführen, Sir«, schlug er vor.

»Etwa… du meinst, mit Wasser?« entsetzte sich der Angetrun­kene und sah den Butler empört an. Dann beugte er sich vor und flüsterte: »Die Burschen sind im Hinterzimmer, aber seien Sie vorsichtig, Mister Parker! Der Inhaber des Salons wird sogar von Unterweltlern wegen seiner Brutalität gefürchtet«, teilte er Parker mit und schwankte etwas zurück. Einen Augenblick ruderte er mit den Armen durch die Luft, dann hatte er sich wieder gefangen und grinste. »Am letzten Tisch spielt seine Leibwache«, nuschelte er, tippte an seine Kopfbedeckung, winkte seinem Wohltäter zu und schlurfte weiter.

»Wie kann man am frühen Nachmittag nur so betrunken sein«, entrüstete sich Mylady und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf, wäh­rend sie der schwankenden Gestalt nachsah.

»Mister Pickett war wieder sehr überzeugend«, fand Josuah Parker.

»Das war… aber das ist doch nicht möglich!« Agatha Simpson, die gerade die Stufen zum Eingang hinaufgehen wollte, blieb ab­rupt stehen und sah verblüfft dem vermeintlichen Stadtstreicher nach.

»Ich habe ihn natürlich sofort erkannt«, behauptete sie einen Augenblick später und lächelte herablassend. »Er hat mich keinen Moment lang täuschen können, Mister Parker. Trotzdem hat er seine Rolle nicht schlecht gespielt.«

*

Die Möchtegern-Rocker sahen sich ungläubig und ein wenig be­treten an. Dann wandten sie sich ab und ignorierten die älteren Herrschaften.

Lady Agatha zögerte, den Weg fortzusetzen. »Vielleicht sollte ich einige Ohrfeigen verteilen, Mister Parker«, überlegte sie, wäh­rend sie die jungen Leute der Reihe nach musterte.

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»Mylady wählen sicher eine bessere Zeit«, schlug Josuah Parker gemessen vor. »Mit Verlaub ist Mylady jetzt daran interessiert, sich mit den Entführern des Lieferwagens zu unterhalten, die sich oben im Salon aufhalten.«

»Was für ein Lieferwagen, Mister Parker?« wunderte sich die re­solute Dame.

»Die Herren Einbrecher fuhren bei Mylady vor, und der Wagen wurde geraume Zeit später von den Komplicen zurückgeholt«, frischte Parker das Gedächtnis seiner Herrin auf.

»Das weiß ich alles, Mister Parker. Warum langweilen Sie mich mit ollen Kamellen«, beschied ihn die Detektivin burschikos.

Man hatte den ersten Stock erreicht, der in vollem Umfang von dem Billard-Salon eingenommen wurde. Parker öffnete seiner Herrin höflich die Tür und schob den schweren Samtvorhang zu­rück, der von der Decke hing. Dann trat er beiseite und ließ Myla­dy eintreten.

Zunächst war überhaupt nichts zu sehen. Dichter, schier un­durchdringlicher Qualm aus ungezählten Zigaretten waberte durch den Raum. Er mischte sich mit Alkohol- und Parfümgeruch und den Düften menschlicher Körper.

Lady Agatha griff in ihren Handbeutel und brachte einen Fächer zum Vorschein, den sie zufällig mit sich führte. Sie klappte ihn hastig auf und wedelte angelegentlich durch die Luft.

»Das ist ja nicht zum Aushalten, Mister Parker«, beschwerte sie sich, während sie tapfer weiterging. »Wie halten die Leute das nur aus?«

»Man dürfte sich entsprechend ablenken«, glaubte Parker das Geheimnis der Salongäste zu kennen und versuchte, die neblige Atmosphäre mit den Augen zu durchdringen. Allmählich gewöhnte er sich an die Rauchschwaden und erkannte gewisse Einzelheiten. Direkt über dem Eingang drehte sich lustlos ein riesiger Propeller, dem aber nichts weiter gelang, als die verbrauchte Luft ein wenig umzuverteilen.

Rechts erstreckte sich ein langer Tresen, der dicht umlagert war, offensichtlich machte Billardspielen durstig. Gegenüber stan­den einige Tische, die alle besetzt waren.

Lady Agatha starrte fasziniert in das bunte Treiben. Sie nickte bedächtig und war bereit, sich zu akklimatisieren. Sie musterte die diversen Automaten und überlegte, welchen davon sie zuerst besetzen sollte.

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»Mylady denken eventuell daran, sich aus Gründen der Tarnung an einem der Geräte zu betätigen?« erkundigte sich Parker höf­lich.

»Wenn ich schon mal hier bin, Mister Parker, könnte ich ja auch spielen. Ich denke, das würde mir Spaß machen«, gab sie zurück und belächelte das reichhaltige Unterhaltungsangebot wohlwol­lend.

»Natürlich nur zu Studienzwecken und um nicht aufzufallen«, ergänzte sie und nickte Parker knapp zu.

Dem Butler war es nicht so unrecht, wenn Mylady sich dem Spielteufel ergab. Er hatte bereits junge Männer bemerkt, die in der weiten Halle sie nicht aus den Augen ließen. Es konnte sich nur um die Wache des Salonbetreibers handeln, von der Horace Pickett gesprochen hatte. Parker wollte zunächst das Terrain son­dieren, bevor er weitere Schritte unternahm. Dazu war es not­wendig, daß man Mylady und ihm so wenig Beachtung wie mög­lich schenkte. Der Entschluß seiner Herrin, ein wenig zu spielen, konnte dieses Vorhaben nur fördern.

Die Wächter wandten ihre ganze Aufmerksamkeit dem Butler zu. Einer legte seinen Queue aus der Hand und kam langsam mit einem leeren Bierglas zur Theke geschlendert. »Wenn meine We­nigkeit einen Orangensaft haben dürfte?« wandte sich Parker an den Barkeeper, der ihn fragend ansah.

Der Mann mit dem leeren Bierglas stellte sich neben ihn an die Theke und gab ein Zeichen, es nachzufüllen.

»Ganz schöner Betrieb hier, was?« bemerkte er zu Parker, wäh­rend er auf das nächste Bier wartete.

»In der Tat, Sir.« Der Butler nickte freundlich. »Eigentlich ein erstaunlicher Umstand zu dieser Tageszeit.«

»Nun ja, warum nicht? Es gibt Schichtarbeiter und Arbeitslose, die eben auch tagsüber Zeit haben. Und Sie sind ja schließlich auch hier.«

Parker ließ einen Seufzer hören. Er beugte sich vertraulich zu seinem Nachbarn vor und sah ihn mitleidig an. »Meine Wenigkeit liebt solche Salons keineswegs und mitnichten, aber Myladys Zu­neigung gilt diesen Automaten. Jeden Tag muß man durch die Stadt fahren und sie in einen Salon begleiten, damit sie dem Spiel frönen kann. Der Herr glauben nicht, wie mich das nervt.«

»Warum suchen Sie sich keinen anderen Job?« erkundigte sich der junge Mann.

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»In meinem Alter, Sir?« Parker schüttelte den Kopf. »Meine Wenigkeit würde nichts mehr finden.«

»Trotzdem – wünsche viel Glück!« Der junge Mann nahm sein Glas entgegen, zahlte und ging zu seinen Kumpanen zurück, die ihn interessiert erwarteten.

Parker beobachtete, wie sein Gesprächspartner in seine Rich­tung deutete und dabei auf seine Kollegen einredete. Dann lach­ten die jungen Männer und wandten sich wieder ihrem unterbro­chenen Spiel zu. Sie hatten Lady Agatha und den Butler als harm­los eingestuft und glaubten, sich nicht weiter um sie kümmern zu müssen.

*

Josuah Parker waren trotz des diffusen Lichts und der Rauch­schwaden keinesfalls die Videokameras entgangen, die in unre­gelmäßigen Abständen an der Decke und in den Ecken installiert waren. Der Salonbetreiber legte sicher Wert darauf, das Gesche­hen in seinem Etablissement jederzeit optisch unter Kontrolle zu haben. Da der Butler nicht wußte, ob die beiden jungen Männer, die den Lieferwagen vor Myladys Haus abgeholt hatten, seine Herrin und ihn kannten, hielt er es für geboten, die Dinge ein we­nig zu forcieren.

Parker wußte, wie die beiden Lieferwagenabholer aussahen. Ho­race Pickett hatte sie per Teleobjektiv festgehalten, den Film von einem seiner zahlreichen sogenannten Neffen entwickeln lassen und in seiner Rolle als Stadtstreicher dem Butler unauffällig einige Abzüge zugesteckt.

»Möglicherweise sollte man sich in Richtung Büro orientieren, Mylady«, schlug er seiner Herrin vor, die sich nach neuen Betäti­gungsfeldern umsah und sich bereits auf einen Flipper festgelegt hatte, der sie verheißungsvoll anblitzte.

»Daß Sie immer alles überstürzen müssen, Mister Parker«, bremste sie. »Man sollte sich immer erst in Ruhe umsehen und dann reagieren. Nur so ist man vor unliebsamen Überraschungen gefeit.«

»Eine durchaus beherzigenswerte Maxime«, fand Parker, der sich nicht im geringsten darüber wunderte, daß seine Herrin da­mit ein Vorgehen propagierte, das keinesfalls ihrem sonstigen

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Verhalten entsprach. »Vielleicht könnten Mylady die Herren Wächter ablenken, wäh­

rend meine bescheidene Wenigkeit einen unauffälligen Zugang zu den Verwaltungsräumen sucht«, bemerkte Parker.

»Ablenken?« Lady Agatha sah den Butler nachdenklich an. »Das ist eine Disziplin, in der ich nicht zu schlagen bin, Mister Parker«, fuhr sie fort und lächelte animiert. »Was stelle ich mir in diesem Fall darunter vor?«

»Die Herren Wächter blockieren ganz offensichtlich den Zugang zum vermutlichen Nervenzentrum des Salons«, erläuterte Parker. »Sie betätigen sich am letzten Billardtisch als ein wenig gelang­weilt wirkende Spieler, die sich nach Abwechslung sehnen.«

»Für eine Abwechslung bin ich immer gut.« Die ältere Dame nickte energisch. »Ich denke, ich werde mit diesen Lümmeln eine Partie Billard spielen.«

»Das dürfte die Aufmerksamkeit der Herren mit Sicherheit voll und ganz in Anspruch nehmen«, glaubte Parker, der unschwer den Verlauf einer solchen Partie sich vorstellen konnte.

Mylady würde wieder mal neue Maßstäbe setzen und für einen gewissen Aufruhr sorgen. Das ahnte der Butler im voraus.

»Ob die Lümmel wohl auch um Geld spielen?« überlegte die De­tektivin. Obwohl immens reich, verschmähte sie grundsätzlich keine Einnahmequelle. Lady Simpson wußte den Wert des Geldes zu schätzen und ehrte durchaus den Penny.

»Davon sollte man ausgehen können«, gab Parker zurück. »Ich werde mit kleinen Beträgen anfangen, um sie in Sicherheit

zu wiegen«, entschloß sich Agatha Simpson. »Vielleicht lasse ich sie sogar das erste Spiel gewinnen, eventuell auch das zweite. Und wenn sie danach leichtsinnig werden und den Einsatz erhö­hen, schlage ich zu und zeige ihnen, wie richtig gespielt wird. Ich denke an einige Kunststöße, die diese Subjekte mit Sicherheit nicht kennen.«

»Mylady wird die Herren fraglos total überraschen«, glaubte Parker prophezeien zu können.

»Die kriegen Kulleraugen!« war sich Mylady sicher und setzte sich entschlossen in Bewegung. Sie steuerte den Tisch der Billard-Wächter an und lächelte in der Vorfreude der zu erwartenden Gewinne.

Der junge Mann, der an der Theke den Kontakt zu Parker ge­sucht hatte, um ihn abzutasten, bemerkte sie als erster. Er mach­

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te seine Kollegen durch leise Zurufe auf die ältere Dame aufmerk­sam und grinste anschließend.

»Na, Oma, wollen Sie mal Billard spielen?« erkundigte er sich keinesfalls unfreundlich. Er hielt die Lady für eine wohlhabende Frau, die nicht wußte, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollte und sich deshalb in Spielsalons herumtrieb, wie der Butler ihm anver­traut hatte.

»Das weiß ich bereits, junger Mann«, informierte die Detektivin ihn und nickte gleichfalls ausgesprochen freundlich.

»Ach nee, sagen Sie nur, Sie hätten schon gespielt«, spottete einer der Wächter, ein kompakter Mann mit deutlichem Bauchan­satz und beginnender Glatze. Er lehnte sich auf sein Queue und grinste von einem Ohr zum anderen.

Die Lady schien aufgeräumt. »Trauen Sie sich, gegen mich an­zutreten, oder sind Sie zu feige?«

»Sie wollen gegen uns spielen?« echote der Mann, während er eine Hand hinters Ohr legte, als hätte er sich verhört.

»Sie haben mich sehr gut verstanden, junger Mann«, erwiderte Lady Agatha. »Wollen Sie kneifen?«

»Hören Sie, Oma, haben Sie sich das auch gut überlegt?« Der Mann, der sich am Tresen mit Parker unterhalten hatte, sah die Detektivin kopfschüttelnd an.

»Na, wenn sie unbedingt will, Norman«, ließ sich der mit dem Bauchansatz vernehmen und lachte glucksend.

»Finde ich auch«, stimmte ein anderer zu, der sich mit der Hüf­te an den Billardtisch gelehnt hatte. Dieser Mann war mittelgroß und schlank, trug die Haare schulterlang und hatte sich als Cow­boy verkleidet. Er trug enge Jeans, ein besticktes Hemd mit Hals­tuch und enganliegende Stiefel mit hohen Absätzen.

Der vierte Mann beschränkte sich auf die Rolle des stummen Zuhörers. Er war ganz in Schwarz gekleidet, muskulös gebaut und duftete nach einem schweren Parfüm, das sogar den Knei­penmief durchdrang. Agatha Simpson rümpfte mißbilligend die Nase und sah den ein wenig feminin wirkenden Mann vorwurfsvoll an.

»Na gut!« Der Mann, der von dem Kompakten mit Norman an­geredet worden war und offensichtlich als Anführer des Quartetts fungierte, hatte sich entschieden. »Wenn Sie unbedingt wollen, Lady. Aber ich warne Sie. Wir spielen grundsätzlich nur um Geld. Wie sieht’s da bei Ihnen aus?«

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»Das wollte ich Ihnen auch gerade sagen.« Lady Agatha nickte zufrieden. »Ohne Einsatz macht es schließlich keinen Spaß. Ich denke an ein Pfund für das erste Spiel, junger Mann. Können Sie sich das leisten?«

»Sie machen wohl Witze, Oma?« Der Cowboydarsteller lachte spöttisch und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Um Almosen wird bei uns nicht gespielt. Zehn Pfund ist das mindeste, was drin sein muß. Wir sind hier nicht im Kindergarten.«

»Zehn Pfund?« Lady Agatha lächelte ihn wohlgefällig an. Sie ging selbstverständlich davon aus, daß sie das Geld gewinnen würde, und war von der Aussicht auf zehn leichtverdiente Pfund durchaus angetan.

»Und ‘ne Runde«, ergänzte Norman, der Anführer, und zeigte auf ihre Gläser.

»Das geht in Ordnung, bestellen Sie schon mal auf Verdacht, obwohl Sie im Grund genommen auch gleich bezahlen können«, war Mylady einverstanden und zeigte sich siegessicher. Dann fiel ihr ein, wie sie ihren Verdienst steigern könnte. »Zehn Pfund sind mir ehrlich gesagt auch ein wenig ärmlich«, teilte sie ihren ange­henden Mitspielern mit. »Wie wäre es mit zwanzig?«

Norman zuckte die Achseln und grinste seine Kollegen an. »O­kay, wenn Sie unbedingt wollen. Aber beschweren Sie sich hin­terher nicht. Sie haben es selbst so gewollt.«

»Daran sollten Sie denken«, empfahl Mylady und war zuver­sichtlich. »Wer fängt an?«

Norman, der Anführer des Wächter-Quartetts hatte den Wett­bewerb eröffnet und den ersten Durchgang gespielt. Parker, der sich diskret im Hintergrund hielt und auf die Chance wartete, un­auffällig durch eine schmale Metalltür zu schlüpfen, mußte aner­kennen, daß Norman ein Könner war.

Lady Agatha beeindruckte das überhaupt nicht. Sie stand neben dem Billardtisch, sah ihrem Kontrahenten lächelnd zu und kreide­te ihr Queue ein.

Norman beendete seinen Durchgang und lehnte sich zufrieden an die Wand. Er hatte insgesamt fünf Kugeln »versenkt« und war von diesem Ergebnis begeistert. Er wies auf den Tisch und nickte Lady Agatha zu. »Na dann, your turn, Lady!« forderte er sie auf und harrte gespannt der Dinge, die da kommen sollten.

Die resolute Dame schritt mit der Grandezza einer regierenden Monarchin zum Tisch und hob theatralisch ihr Queue. Sie sah sich

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im Kreis ihrer Mitspieler um und lächelte huldvoll. Dann beugte sie sich über den Tisch, legte ihre üppige Oberweite auf den Rand des Poolbillards und hob das Queue zum Stoß.

Josuah Parker wußte, daß jetzt der Moment kam, wo die Herren Salonwächter total abgelenkt sein würden. Mylady konzentrierte sich, holte tief Luft und… stieß einen durch Mark und Bein gehen­den Schrei aus.

Die Lautäußerung erinnerte entfernt an den Kampfruf eines ge­reizten Elefantenbullen, der zum Angriff überging, und ließ die Gegner der älteren Dame entsetzt zusammenfahren.

Der Kompakte wurde durch Myladys Röhren derart überrascht, daß er erschrocken sein Bierglas fallen ließ, das er gerade an die Lippen setzen wollte. Er wischte anschließend fluchend über seine Hose, die ein wenig feucht geworden war.

Der Mann hinter dem Tresen glaubte an einen Überfall und griff nach einem soliden Baseballschläger, den er unter der Theke für Notfälle aufbewahrte. Dann entdeckte er die Ursache des Schreis und legte grinsend das Schlaginstrument zurück. Kopfschüttelnd wandte er sich ab und widmete sich wieder seinen Pflichten.

Josuah Parker schritt gemessen und würdevoll zu der fraglichen Tür und griff in eine seiner zahlreichen Innentaschen, um ein Spezialwerkzeug hervorzuholen. Er ging davon aus, daß die Tür abgeschlossen war und erst überredet werden mußte, sich zu öffnen.

Zu diesem Zweck verfügte er über ein selbstkonstruiertes In­strument, das einem Pfeifenreiniger entfernt ähnelte und sich in der Vergangenheit schon oft bewährt hatte.

Myladys Kontrahenten waren zwar von ihrem Schrei nach wie vor abgelenkt, aber Parker wartete noch einen Augenblick. Er wußte, daß Myladys Stoß sie förmlich paralysieren würde, und wollte diesen Moment abwarten, um durch die Tür zu schlüpfen.

Norman, der Anführer der Wächter, fand als erster die Fassung wieder. »Was denn, wie wollen Sie denn die Kugel von eben tref­fen?« erkundigte er sich ungläubig bei seiner Spielgegnerin.

»Lassen Sie sich überraschen, junger Mann! So was haben Sie noch nicht gesehen«, lautete Myladys prophetische Antwort. Die ältere Dame besaß eine weitreichende, baritonal gefärbte Stim­me, die mühelos jeden Lärm übertönte. Parker fiel es deshalb nicht schwer, sie zu verstehen. Er wußte, wie sehr die Herren Mitspieler überrascht sein würden, und setzte sein Instrument an.

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Es war soweit. Mylady schritt zur Tat und stieß zu. Sie peilte noch mal aus zusammengekniffenen Augen die schwarze Spielku­gel an, die sie zu treffen gedachte, sammelte sich, nickte ent­schlossen und… rannte ihr Queue kraftvoll in den grünen Filzbe­zug des Tisches. Dieser war der ungewöhnlichen Belastungsprobe nicht gewachsen. Knirschend gab er nach und entblößte den Tisch durch einen langen Riß.

Die Wächter und Mitspieler Myladys sahen sich entgeistert an. Sie starrten abwechselnd auf das Loch im Filz und auf die Lady, die stirnrunzelnd die Spitze ihres Queues untersuchte und über­zeugt schien, daß Sabotage im Spiel war.

»Also wirklich…«, setzte der Cowboy-Darsteller zum Sprechen an und brach dann kopfschüttelnd ab.

»Das gibt’s doch wohl nicht«, ließ sich der Kompakte verneh­men und beugte sich vor, um den Schaden näher zu begutachten.

»Das kostet Sie aber ‘ne Kleinigkeit, Lady«, stellte Norman fest und grinste schadenfroh.

»Papperlapapp, was sind denn das für Methoden?« zeigte sich Lady Agatha entrüstet und schwenkte ihren Queue heftig vor den Gesichtern ihrer Kontrahenten. Diese zogen sich vorsichtshalber einige Schritte zurück und brachten sich aus Myladys Reichweite.

»Wie meinen Sie das?« meldete sich zum erstenmal der parfü­mierte Wächter zu Wort und musterte Agatha Simpson nachdenk­lich.

»Das dürfte doch wohl klar sein, oder?« Mylady wußte genau, was gespielt wurde, und hatte nicht die Absicht, sich von den jungen Männern unterkriegen zu lassen. Sie kannte sich in gewis­sen Lebenslagen aus und war nicht gewillt, auf derart durchsich­tige Machenschaften hereinzufallen.

»Punkt eins«, zählte sie auf und hob schulmeisterlich einen Fin­ger, »haben Sie die Spitze meines Queues eingeölt, damit ich abrutsche.«

»Daß ich nicht lache…« Norman sah die ältere Dame entgeistert an. »Sie haben Ihr Queue doch selbst eingekreidet.«

»Das hat überhaupt nichts zu sagen«, wischte Mylady diesen Einwand souverän zur Seite. »Und zweitens haben Sie mich ange­rannt, als ich meinen Stoß ausführte«, klagte sie den Anführer des Quartetts an und wies mit dem Finger auf seine Brust.

»Jetzt reicht’s mir aber!« Norman lief puterrot an und beugte sich vor, um seine Meinung zu sagen.

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Josuah Parker wußte, daß niemand auf ihn achtete und Mylady die Wächter noch eine Weile intensiv beschäftigen würde. Insge­heim bedauerte er die jungen Männer, deren Nerven mit Sicher­heit einem harten Test unterzogen wurden. Aber das gab ihm die Chance, auf die er gewartet hatte.

Das an und für sich recht komplizierte Türschloß beeilte sich förmlich, Parkers Spezialinstrument einen Gefallen zu tun. Es knackte kaum hörbar, der Widerstand gab nach, und der Butler konnte die Tür aufdrücken. Er öffnete sie vorsichtig und schlüpfte hindurch.

Während er sie zuzog, hörte er, wie Mylady ihren Kontrahenten einige grundsätzliche Dinge zum Billardspiel erklärte. Er schloß die Tür und schaltete seine Kugelschreiber-Taschenlampe ein, die bis zu diesem Augenblick in seinem Covercoat gesteckt hatte.

*

Parker bog um eine Ecke und sah am Ende des schmalen Gan­ges eine gepolsterte Tür, hinter der die Verwaltungsräume des Billardsalons liegen mußten. Links von der gepolsterten Tür waren zwei weitere Türen aus Stahlblech sichtbar, die vermutlich zu Toi­letten oder Wirtschaftsräumen führten.

Der Butler war nur noch wenige Schritte entfernt, als die Tür geöffnet wurde. Im Licht, das aus dem dahinterliegenden Raum fiel, erkannte Parker einen hageren Mann mit randloser Brille und Knebelbart.

Der Hagere schloß die Tür hinter sich und schaltete Licht im Gang ein. Erst jetzt bemerkte er den Butler, der stehengeblieben war und sich nicht gerührt hatte.

Der Mann mit der randlosen Brille war überrascht. »Was suchen Sie denn hier?« fragte er mit seinem tiefen Baß und runzelte die Stirn.

Der Mann, der Parker gegenüberstand und ihn lauernd muster­te, war ein gewisser Hank Vasco, der auch in Unterweltkreisen einen beachtlichen Ruf genoß. Er war die rechte Hand des Salon­inhabers Peter Sands, der neben dem Spiel eine Reihe krimineller Aktivitäten betrieb und als brutal und verschlagen galt.

Hank Vasco hingegen wurde als intelligenter, geschäftstüchtiger Mann eingeschätzt, der die finanziellen Fäden im Imperium seines

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Chefs in Händen hielt, nichtsdestotrotz aber durchaus in der Lage und willens war, Gewalt anzuwenden, wenn es seiner Ansicht nach nötig war.

»Man hat fraglos das Vergnügen mit Mister Vasco«, ließ sich Jo­suah Parker gemessen vernehmen und lüftete höflich die schwar­ze Melone.

»Woher kennen Sie meinen Namen?« Hank Vasco blieb mißtrauisch und ließ die Rechte unter dem Jackett.

»Mister Sands war so frei, meine bescheidene Wenigkeit zu in­formieren«, sagte Parker. »Man hatte das Vergnügen, erst vor wenigen Stunden mit ihm zu telefonieren.«

»Sie haben mir immer noch nicht gesagt, wer Sie sind.« Vasco zog die Hand aus der Tasche und kam langsam näher. Er schien inzwischen zu der Ansicht gekommen zu sein, daß der Butler harmlos war. Parkers Aussehen und seine höfliche Ausdruckswei­se mußten ihm diesen Schluß suggeriert haben.

»Meine Wenigkeit hörte von einem Bekannten, daß Mister Sands einen Butler sucht«, erläuterte Parker. »Daraufhin erlaubte man sich, Mister Sands telefonisch zu kontaktieren, und wurde zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Mister Sands schlug als Termin den heutigen Spätnachmittag vor.«

»Ich hab’ mich wohl verhört? Sagen Sie das noch mal!« ver­langte Hank Vasco und grinste. Er schüttelte den Kopf und hielt es anscheinend nicht für möglich, was er eben gehört hatte.

Josuah Parker verstand seine Verblüffung durchaus. Vascos Brötchengeber galt nicht gerade als Mann von feiner Lebensart. Ein Butler mußte deshalb in seinem Haushalt so deplaciert wirken wie die vielzitierte Kuh auf dem Eis.

»Jetzt dreht Peter wohl ganz und gar durch«, fuhr Vasco fort und brach in leises Lachen aus. »Peter und ‘n Butler, das ist wohl zum Schreien!«

»Wenn man Ihre Aufmerksamkeit für einen Augenblick hierauf lenken dürfte?« bat Parker und lüpfte erneut seine schwarze Kopfbedeckung.

»Worauf?« wollte Vasco wissen und grinste nach wie vor. Die Vorstellung, daß sich sein Chef einen Butler zulegen wollte,

schien eine länger andauernde Heiterkeit bei ihm ausgelöst und die sonst latent vorhandene Vorsicht endgültig abgebaut zu ha­ben.

Parker verzichtete auf eine Antwort und ließ die Melone für sich

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sprechen. Die mit Stahlblech ausgefütterte Krempe senkte sich auf die Stirn des »Finanzexperten« und löste bei diesem einige Verwirrung aus.

Vasco blickte den Butler aus großen Augen erstaunt an, stöhnte laut und knickte in den Knien ein. Im letzten Augenblick, als ihm klar wurde, was geschehen war, wollte er die Situation noch ret­ten und die Waffe ziehen. Aber die einschläfernde Wirkung von Parkers Melone war stärker als seine Widerstandskraft.

Parker fing den schweren Mann erstaunlich mühelos auf und drückte die Klinke zu seiner Linken. Sie gab sofort nach und öff­nete einen gefliesten Waschraum, dessen Beleuchtung sich auto­matisch einschaltete.

Der Butler zog den Gangster hinein und deponierte ihn schließ­lich in der separaten Toilette. Er setzte ihn auf den WC-Deckel, barg die Pistole und versorgte die Hand- und Fußgelenke mit zä­hem Industrieklebeband, das er ausgesprochen großzügig an­wendete.

Parker verließ den Waschraum und näherte sich erneut der ge­polsterten Tür, die ins Refugium des Salonbesitzers führen muß­te. Als korrekter Mensch überprüfte er noch mal den einwandfrei­en Sitz von Krawatte und Melone, dann öffnete er die Tür mit einem Schlüssel, den ihm der schlafende Vasco freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte, und trat ein.

Hinter der Tür lag ein kleiner Vorraum, der offensichtlich als Aufenthalt für die Wächter diente. Ein junger Mann in Jeans und Turnschuhen lümmelte nachlässig auf einer Couch und starrte auf einen kleinen Farbfernseher. Der Film, der über die Mattscheibe flimmerte, war so spannend, daß der gebannte Zuschauer nichts hörte.

Josuah Parker verzichtete darauf, den Mann anzusprechen. Er hielt einen Flakon in der Hand und trat hinter den aufmerksamen Wächter.

Einen Augenblick später sackte der junge Mann zusammen und breitete sich malerisch auf der Couch aus. Das von Parker selbst präparierte Betäubungsgas hatte in Sekundenschnelle gewirkt.

»Wenn Sie gestatten, Sir?« entschuldigte sich der Butler bei dem Bewußtlosen und machte auch ihn mit seinem Klebeband bekannt. Dann deponierte er ihn in einem großzügig dimensio­nierten Wandschrank und schloß die Tür bis auf einen schmalen Spalt zur Sauerstoffversorgung.

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*

Josuah Parker verfolgte aufmerksam die Szene. Er erkannte die beiden jungen Männer, die den Lieferwagen abgeholt hatten, an­hand der Fotos, die ihm Pickett zugesteckt hatte. Der Koloß vor ihnen konnte nur Peter Sands sein. Der winkte gerade ungeduldig ab und beugte sich zu den beiden Männern vor.

»Ihr verdammten Idioten habt euch genau die Richtigen ausge­sucht!« brüllte er. »Wie oft habe ich schon gesagt, ihr sollt vorher die >Kunden< auskundschaften. Wißt ihr denn, wer die beiden komischen Alten sind?«

»Naja, ‘ne Lady und ihr Butler eben, was soll an denen schon Besonderes sein?« wollte der andere junge Mann mit weinerlicher Stimme wissen. »Von der Sorte haben wir doch schon ‘n gutes Dutzend erleichtert, Chef.«

»Wie kann man nur so blöd sein!« Peter Sands schüttelte den Kopf und wies mit dem Zeigefinger

auf die beiden Unglücklichen. »Ich will euch jetzt mal verklickern, wer die beiden wirklich sind, ihr Armleuchter! Die betätigen sich als Amateurdetektive und habe beste Beziehungen zur Polizei und zum Innenministerium. Die haben schon mehrere von eurer Sorte in den Bau gebracht.«

»Das glaubst du doch wohl selbst nicht«, ließ sich der erste jun­ge Mann dazu vernehmen und schüttelte ungläubig den Kopf. »Ich bitte dich, Mann, zwei alte Leute, die puste ich um, wann immer ich will.«

»Nimm dein Maul nicht so voll, wenn du mit mir sprichst«, fauchte Sands und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. »Die beiden sind so erfolgreich, daß das Syndikat ‘n verdammt hohen Kopfpreis auf sie ausgesetzt hat. Und wißt ihr auch, warum die so erfolgreich sind? Weil die ihren Kopf gebrauchen, im Gegensatz zu euch.«

Josuah Parker wollte sich gerade auch im Namen seiner Herrin für das Kompliment bedanken, als der Blick des Salonbesitzers zufällig auf die Reihe der flackernden Monitore fiel, die auf einem Sideboard aufgebaut waren und den Raum aus verschiedenen Perspektiven zeigten. Er wirbelte herum, eilte zu der Monitorreihe und starrte aus weit aufgerissenen Augen auf den dritten von

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rechts. Dieser zeigte den Billardtisch, an dem die Wache, die für die

Abschirmung seines Büros zum Salon hin zuständig war, spielte. Es war die ältere Dame, die mit ihrem Queue durch die Gegend gestikulierte und die Aufmerksamkeit des Salonbesitzers erregte.

»He, ihr beiden, kommt mal her!« befahl er und winkte den jungen Männern herrisch.

Er deutete auf den Monitor, wo Lady Agatha gerade damit be­schäftigt war, einem der Leibwächter heftig die Meinung zu sa­gen, indem sie ihn am Ohr zupfte.

»Wißt ihr, wer das ist?« wollte er mit gefährlichem Unterton in der Stimme wissen.

»Meine Güte, wie die mit Norman umgeht«, staunte der eine junge Mann. Er hatte noch nie gesehen, daß jemand so mit dem Boß von Sands’ Salonwache umsprang.

»Ist das etwa seine Mutter?« fügte er grinsend hinzu und ernte­te dafür einen schmerzhaften Klaps.

»Das ist euer Opfer, du Idiot! Und jetzt erklär mir doch bitte mal, was die Frau hier im Salon zu suchen hat«, fauchte der Bil­lardunternehmer.

»Das… das muß ‘n Zufall sein«, stammelte der zweite junge Mann und schrumpfte unter den mörderischen Blicken seines Chefs förmlich zusammen.

»Zufall? Ihr Blödmänner habt sie hierher geführt. Und dann kann ja auch der Butler nicht weit sein.« Peter Sands griff nach dem Telefon auf dem Schreibtisch und drückte eine Taste, dann bellte er einige Befehle in den Hörer und legte wieder auf.

Josuah Parker schob die Tür ganz auf und trat ein. Höflich lüfte­te er die Melone und wandte sich an den Hausherrn.

»Man kann Sie zu Ihrer scharfsinnigen Schlußfolgerung, was den Aufenthaltsort meiner bescheidenen Wenigkeit betrifft, nur beglückwünschen, Sir. Gestatten Sie, daß man näher tritt?« Par­ker wartete nicht auf die entsprechende Einladung, kam auf den Salonbetreiber zu und deutete eine korrekte und höfliche Verbeu­gung an.

Peter Sands starrte ihn perplex an und mahlte wütend mit den Zähnen. Er kniff die Augen zusammen und maß den Butler mit einem Blick, der sensiblere Gemüter das Fürchten lehrte.

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*

»Parker mein Name, Josuah Parker«, stellte sich der Butler vor und nickte dem Hausherrn knapp zu. »Das haben Sie sicher be­reits vermutet, Sir.«

»Wie… äh, kommen Sie hier rein, Parker?« erkundigte sich der Salonbetreiber und runzelte nachdenklich die Stirn. »An und für sich haben Unbefugte keinen Zutritt, und meine Leute achten darauf, daß sich niemand verirrt.«

»Die vier Herren am letzten Billardtisch waren möglicherweise ein wenig abgelenkt, als sich meine bescheidene Wenigkeit auf den Weg zu Ihrem Büro machte, Sir«, vermutete Parker.

»Durch Ihre Chefin, ich weiß«, reagierte Sands wütend und sah auf Monitor Nummer drei, wo jetzt allerdings nur noch der Billard­tisch zu sehen war. »Aber trotzdem, die Tür zur Verwaltung ist immer verschlossen, und dann die Tür vom Gang her auch«, stellte Sands fest. »Sie haben da nicht zufällig ein bißchen nach­geholfen, wie?«

»Man hatte im Prinzip keine Mühe, bis zu Ihnen vorzudringen, Sir«, antwortete Parker ein wenig ausweichend.

»Ich habe im Vorraum einen Mann sitzen, der zusätzlich aufpas­sen soll«, fiel Peter Sands ein. »Wie sind Sie an dem vorbeige­kommen?«

»Auch dieses Problem erwies sich als nicht unüberwindlich, Sir«, ließ ihn Parker wissen. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben, war der erwähnte Mann ein wenig unaufmerksam.«

»Das wird ihm verdammt leid tun, und diesen Tranfunzeln im Salon auch«, ärgerte sich Sands.

In diesem Augenblick wurde die Tür aufgestoßen. Lady Agatha erschien. Ihr Auftritt war beeindruckend. Sie scherte sich nicht im geringsten um die Waffen, die die jungen Männer, die sie herge­bracht hatten, auf ihren Rücken richteten. Mylady marschierte schnurstracks auf den Hausherrn zu und baute sich zornbebend vor ihm auf.

»Was soll das bedeuten, Sie Lümmel? Ich verlange eine Erklä­rung!« rief sie und trat dem hünenhaften Salonbetreiber herzhaft auf die Zehen. Der zuckte unangenehm berührt zusammen.

»Passen Sie doch auf!« japste er und wich erschrocken zurück, um sich aus Myladys Reichweite zu bringen.

»Seht ihr nun, wie dämlich ihr euch angestellt habt?« wandte er

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sich an die beiden jungen Männer in den Klappstühlen, die Agatha Simpson fasziniert anstarrten.

»Ehrlich, Boß, die Alte kann doch kein Problem sein«, ließ sich der eine von ihnen leichtsinnigerweise vernehmen. Das hätte er besser nicht gesagt.

Mylady wirbelte herum und kam über ihn wie ein wildgeworde­ner Büffel. Sie versetzte dem vorlauten Mann eine herzhafte Ohr­feige, trat ihm anschließend dezent gegen das Schienbein und zog ihn dann an der üppigen Frisur in die Höhe, um ihm tief in die Augen zu sehen. »Meinten Sie mit der Alten etwa mich, junger Mann?« grollte sie.

»Ja… nein… bitte, lassen Sie mich doch los«, flehte der Gemaß­regelte und stand kurz davor, in Tränen auszubrechen.

Lady Agatha ließ ihn los und drückte ihn energisch in den Klappstuhl zurück. Der war diesem Anprall nicht gewachsen und löste sich umgehend in seine Bestandteile auf. Der junge Mann lag in den Trümmern, blinzelte verwirrt um sich und wußte nicht, was er tun sollte.

Der Salonbetreiber genoß die Szene außerordentlich. Er hatte sich hinter seinen Schreibtisch fallen lassen und lachte aus vollem Hals. Er schüttelte immer wieder den mächtigen Schädel und schien sich prächtig zu amüsieren.

»Irgendwie gefallen Sie mir, Lady. Warum müssen Sie mir in die Quere kommen und meine Geschäfte stören?« ließ er sich ver­nehmen und musterte sie scharf.

»Sie gefallen mir ganz und gar nicht, um das deutlich zu sa­gen«, gab die ältere Dame zurück und nahm kein Blatt vor den Mund. »Wie kommen Sie dazu, mir jugendliche Dilettanten ins Haus zu schicken?«

»Da sagen Sie etwas Wahres«, stöhnte der Salonbetreiber. »Di­lettanten! Schauen Sie sich nur die beiden Anfänger an! Mit so was muß man nun arbeiten.« Er schüttelte erneut den Kopf und sah anklagend auf die jungen Männer, die den Lieferwagen vor Myladys Haus abgeholt hatten und dabei von Horace Pickett ver­folgt worden waren. »Die beiden haben Sie hierhergeführt, stimmt’s?« fuhr er fort und hieb dabei mit der Faust auf die Schreibtischplatte. Die beiden Kerle zuckten erschrocken zusam­men und sahen sich schuldbewußt an.

»Das war doch ein Kinderspiel«, winkte sie großzügig ab. »Das dachte ich mir. Aber das wird Folgen für die beiden haben.

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Was ist mit den anderen Leuten? Wo sind die jetzt?« »Glauben Sie wirklich, daß ich Ihnen das auf die Nase binde?

Falls ja, sind Sie naiver, als ich gedacht habe.« Lady Agatha lach­te und ließ sich in einen Sessel fallen, der von ihrem Gewicht be­eindruckt stöhnte.

»Also, was haben Sie mit den Jungs gemacht? Ich möchte eine Antwort haben.«

»Sie sind Myladys Gast«, antwortete Parker an Stelle seiner Herrin und deutete in deren Richtung eine Verbeugung an. »Ver­zeihen Mylady, daß sich meine bescheidene Wenigkeit unaufge­fordert zu Wort meldet, aber welchen Sinn dürfte es haben, sich angesichts der Übermacht noch länger zu sträuben?«

»Da sprechen Sie ein wahres Wort, Parker. Sie scheinen ‘n schlaues Kerlchen zu sein«, freute sich der Salonbetreiber und nickte dem Butler aufmunternd zu. »Was heißt das denn, Sie sind Myladys Gast?«

»Man sitzt sozusagen in Myladys Vorratskeller«, gab Parker ver­schämt zurück.

»Das ist doch wohl nicht zu fassen.« Peter Sands sah kopfschüt­telnd von Lady Agatha zu Parker und wieder zurück. »Wie, um alles in der Welt, haben sie das geschafft?«

»Ein wenig Glück dürfte durchaus im Spiel gewesen sein«, zeig­te sich Josuah Parker bescheiden.

»Papperlapapp, Mister Parker, es war ein Kinderspiel, solche An­fänger zu überrumpeln«, mischte sich Lady Agatha ein und lachte spöttisch. »Wirklich nicht zu glauben, wer sich heutzutage alles als Gangster versucht.«

»Ich lege natürlich Wert darauf, meine Leute zurückzubekom­men, das dürfte Ihnen wohl klar sein«, stellte Sands fest und er­hob sich. Er baute sich vor Mylady auf und sah drohend auf die ältere Dame hinab. »Und ich weiß auch schon, wie wir das ma­chen.«

»Glauben Sie nur nicht, daß Sie eine Lady Simpson einschüch­tern können! Das haben schon ganz andere versucht.«

»Ich weiß, daß Sie ‘ne große Nummer sind, Mylady«, erwiderte der Gangsterboß. »Aber ich weiß auch, daß es Leute gibt, die ei­nen hohen Preis auf Ihren Kopf gesetzt haben. Den werde ich mir selbstverständlich verdienen. Das wird mir neue, einflußreiche Freunde verschaffen, denke ich.«

»Stellen Sie sich das nicht zu leicht vor«, warnte die Detektivin.

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»Nur, weil ich jetzt in Ihrem Büro sitze, in dem es nicht mal et­was zu trinken gibt, haben Sie noch lange nicht gewonnen.«

»Oh, einen Drink serviere ich Ihnen gern.« Der Salonbetreiber deutete eine hämische Verbeugung an und wandte sich dem Barschrank neben seinem Schreibtisch zu. »Was bevorzugen My­lady?«

»Etwas Anständiges, junger Mann, auch wenn ich bezweifle, daß Sie das haben«, gab Agatha Simpson zurück.

»Lassen Sie sich überraschen.« Sands schenkte in ein Glas ein und reichte es der Detektivin.

»Probieren Sie mal, ein ausgezeichneter Malt, garantiert über zwanzig Jahre alt.«

»Hoffentlich ist er in der Zeit nicht schlecht geworden.« Die De­tektivin betrachtete kritisch die bernsteinfarbene Flüssigkeit. »Welches Gift haben Sie dazugetan?«

»Aber ich bitte Sie, Mylady! Was denken Sie denn von mir?« Pe­ter Sands schüttelte vorwurfsvoll den Kopf und prostete ihr zu. »Auf Ihr Wohl, Mylady, solange es Ihnen noch gutgeht«, wünsch­te er vieldeutig und leerte sein Glas. Dann wandte er sich an Par­ker und erklärte seine weiteren Pläne.

»Die Sache ist ganz einfach, Mann«, verdeutlichte er ihm. »Ihre Chefin bleibt hier und leistet mir Gesellschaft. Ich spendiere gern noch ‘n Drink. Und Sie fahren mit Norman und zwei der anderen Jungs nach Hause und lassen meine Leute frei. Wenn Norman dann anruft und bestätigt, daß alles okay ist, kann Ihre Chefin gehen. Man ist ja schließlich kein Unmensch.«

»Sie fürchten keine rechtlichen Probleme, Sir?« erkundigte sich Josuah Parker gemessen.

»Aber warum denn?« Peter Sands winkte lächelnd ab. »Bewei­sen Sie doch mal, daß die Jungs versucht haben, bei Ihnen einzu­brechen. Und die kleine Episode hier? Wie viele Zeugen wollen Sie haben, daß Sie und Ihre Lady hier auftauchten und den Ärger vom Zaun brachen? Sie wissen ganz genau, daß da nichts läuft, Parker. Außerdem habe ich mich über euch beide erkundigt. Ihr arbeitet immer ohne die Bullen. Die schaltet ihr immer erst zum Schluß ein, um die Opfer zu übergeben.«

»Dürfte man zuvor noch einen Punkt klären?« bat Parker höf­lich. »Sie sprachen vorhin davon, Mylady einer gewissen Interes­sentengruppe zu übergeben, um sich eine Prämie zu verdienen und auf der kriminellen Karriereleiter weiter aufzusteigen.«

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»Bereitet Ihnen das etwa Kummer?« freute sich der Salon­betreiber. »Keine Angst, Mann, das habe ich nur so gesagt, war ‘n Späßchen. Sobald meine Leute frei sind, ist es Ihre Chefin auch. Mein Wort darauf!«

*

»Meine Güte, was ist denn das für ‘ne Klapperkiste?« amüsierte sich Norman, der Anführer der Salonwache. Im nächsten Augen­blick schrie er und hüpfte auf einem Bein um Parkers hochbeini­ges Monstrum herum.

Er hatte dem ehemaligen Londoner Taxi einen Tritt gegen die Karosserie versetzt und dabei feststellen müssen, daß die noch außerordentlich stabil war.

»Verdammt, ist das ‘n Panzer oder so was?« japste Norman, während er sich erschöpft an den eckigen Wagen lehnte und nach Luft schnappte.

»Dieser Eindruck dürfte im Grund gar nicht so abwegig sein, Sir«, gab Parker gemessen zurück und entriegelte seinen Privat­wagen. »Wenn man die Herren bitten dürfte?«

»Sie sind wohl in jeder Lebenslage steif und superhöflich, wie?« erkundigte sich der Cowboydarsteller mit den schulterlangen Haa­ren, während er auf den Rücksitz kletterte.

»Man sollte nie die Contenance verlieren, Sir«, stimmte Parker ihm höflich zu.

»Auch nicht, wenn es um Ihr Leben geht?« fragte der parfü­mierte Wächter, der als dritter Mann des Begleitkommandos fun­gierte.

»Es stirbt sich leichter mit dem Gefühl geistiger Überlegenheit, Sir«, bestätigte der Butler höflich und nahm hinter dem großen Steuerrad Platz.

»Wo haben Sie dieses Wrack nur aufgetrieben, Mann?« witzelte Norman, der auf dem Beifahrersitz saß. Er hatte sich inzwischen von seinem Schmerz erholt und schwamm wieder obenauf.

»Wahrscheinlich auf ‘ner Schrotthalde geklaut«, vermutete der Cowboy von hinten und lachte hämisch.

»Daß der sich mit sowas überhaupt auf die Straße traut«, wun­derte sich der Parfümierte.

»Ich hoffe, wir schaffen es heute noch bis zum Haus Ihrer Che­

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fin«, heuchelte Norman Besorgnis und sah den Butler grinsend von der Seite an.

»Man wird sich Mühe geben, Sir«, versprach Parker und startete das eckige Gefährt.

Norman verlor das Interesse an dem Butler und wandte sich an seine Kumpane auf dem Rücksitz des Wagens. »Irgendwann tret’ ich den Alten noch mal ins Kreuz. So laß ich auf die Dauer nicht mit mir umspringen«, knurrte er.

»Na ja, manchmal könnte man ihn schon anspringen«, erwider­te der Cowboy. »Aber auf der anderen Seite zahlt er auch gut, vergiß das nicht.«

»Gut? Daß ich nicht lache!« regte sich Norman auf. »Dafür müssen wir schließlich auch die Dreckarbeit erledigen. Der macht sich doch die Hände nicht mehr schmutzig.«

»Tja, dafür ist er eben der Boß«, stellte der parfümierte Mann fest.

Parker hörte aufmerksam zu, während er seinen Privatwagen in Richtung Shepherd’s Market lenkte. Er fand die Unterhaltung aus­gesprochen interessant. Der Umstand allerdings, daß die jungen Männer so offen miteinander sprachen, konnte nur eines bedeu­ten, nämlich, daß er dieses Abenteuer nicht überleben sollte.

Er hatte indes keinesfalls die Absicht, die Herren bis zum Haus seiner Herrin zu fahren, um dort die »Kollegen« freizulassen. Sein Wagen bot genug Möglichkeiten, die jungen Männer unterwegs auszuschalten.

Er fuhr einige Umwege und hörte dabei seinen Fahrgästen zu, die sich erfreulich mitteilsam zeigten.

»Boß? Nicht mal das ist er richtig«, regte sich Norman weiter auf. »Der ist im Grund auch nur ‘n kleines Licht und kriegt seine Befehle von ‘nem anderen.«

»Ach nee, und woher weißt du das?« erkundigte sich der Cow­boy interessiert.

»Ich hab’ zufällig mitgekriegt, wie er mit seinem Boß telefoniert hat«, berichtete Norman. »Er hat mich nicht kommen hören, und ich habe mich mucksmäuschenstill verhalten. Auf jeden Fall hat er nicht viel mehr gesagt als >ganz, wie Sie wünschen<, >das geht in Ordnung, verlassen Sie sich drauf<, oder selbstverständ­lich, natürlich, wie Sie wollen< und so weiter. Wie eben einer re­det, der mit seinem Boß palavert. Ich habe gestaunt, kann ich euch sagen. Hätt’ ich nie und nimmer vermutet.«

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»Und du weißt nicht, mit wem er telefoniert hat?« wollte der Parfümierte neugierig wissen. »Leider nein, obwohl ‘s mich natür­lich brennend interessiert hat.« Norman schüttelte verärgert den Kopf. »Aber ich finde es noch heraus, verlaßt euch drauf.«

»Vielleicht ist es Tanner«, überlegte der Cowboydarsteller. »Der? Unsinn, nie und nimmer, doch nicht diese Qualle.« Nor­

man winkte ab. »Nee, das muß ‘n anderer sein, aber wer nur?« »Warum sollte es eigentlich nicht die Qualle sein?« bemerkte

der parfümierte Wächter. »Das würde doch wunderbar passen. Irgendwoher muß der Alte doch auch die Adressen kriegen. Viel­leicht von Tanner selbst, vielleicht gibt der ihm jedesmal ‘ne Lis­te.«

»Ach was, traust du dem fetten Kerl so was zu? Ich jedenfalls nicht.«

»Man kann sich leicht in den Menschen täuschen. Nimm doch nur mal die alte Fregatte und unseren Freund hier«, gab der Cowboydarsteller zu bedenken. »Denen würde kein Mensch zu­trauen, daß sie unsere Jungs aufs Kreuz legen, aber sie haben‘s geschafft, das steht nun mal fest.«

»Ja, schon, die haben halt Glück gehabt. Aber zum Big Boß-Spielen gehört mehr, und so leicht läßt sich Sands von keinem einspannen.«

»Das stimmt natürlich«, überlegte der Cowboy. »Aber irgendei­ner muß es ja sein.«

»Das werde ich herausfinden.« Norman war sich absolut sicher. Dann wandte er sich an Parker. »He, Alterchen, Sie haben wohl nicht zufällig ‘n Schimmer, wer unseren Boß unterm Pantoffel hält, wie?«

»Bedauerlicherweise kann meine Wenigkeit nicht dienen, Sir«, mußte Parker einräumen. »Aber man ist gern bereit, über dieses Problem nachzudenken.«

»Na, dann beeilen Sie sich mal schön«, spottete der Cowboy vom Rücksitz her. »Viel Zeit haben Sie nämlich nicht mehr.«

»Sie haben Pläne hinsichtlich meiner bescheidenen Wenigkeit, die dem erwähnten Nachdenken entgegenstehen, Sir?« erkundig­te sich der Butler gemessen.

»Was haben Sie da gesagt?« Der Cowboy konnte mit Parkers Äußerung nichts anfangen. »Sie beabsichtigen, meine Person aus dem sogenannten Ver­

kehr zu ziehen?« wiederholte Parker seine Frage auf einfachere

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Art. »Sie sind ja ‘n Blitzmerker«, freute sich Norman und kicherte.

Einen Moment später hörte er damit auf und stieß einen Schrei aus. »Verdammt, mich hat was gepiekst! Was war das?« brüllte er und tastete nach seiner Kehrseite.

»Möglicherweise eine Feder, die sich selbständig gemacht hat, Sir«, vermutete Parker. »Wie Sie selbst schon gemerkt haben, befindet sich mein bescheidenes Gefährt nicht mehr in allerbes­tem Zustand.«

»Das ist ganz schön geschmeichelt, Mann«, stellte Norman fest und gähnte verhalten. »Die Karre is’n einziger Schrotthaufen, weiter nichts.« Er gähnte erneut und rutschte in seinem Sitz zu­sammen. »Verdammt, wieso bin ich auf einmal so müde?« mur­melte er und sah den Butler nachdenklich von der Seite an. »Ha­ben Sie da was dran gedreht, Mann?«

»Wie sollte man, Sir? Es ist nicht ganz einfach, ein altes und verbrauchtes Fahrzeug auf der Straße zu halten.«

»Dieser Stich eben«, nuschelte Norman. »Da stimmt doch was nicht.«

»He, was ist los, Norman?« meldete sich der Cowboydarsteller von hinten und griff unter seine Jacke. »Was nicht in Ordnung?«

Parker drückte auf einen Knopf am Armaturenbrett. Einen Au­genblick später schloß sich die Trennscheibe.

Die beiden jungen Männer im Fond wurden davon völlig über­rascht. Der Cowboy hatte gerade die Waffe gezogen und auf Par­kers Rücken gerichtet, als die Scheibe vor ihm hochschoß. Wü­tend klopfte er dagegen. »Lassen Sie die Scheibe wieder runter, Mann, oder ich schlag’ sie in tausend Stücke!«

»Ein solcher Versuch bleibt Ihnen selbstverständlich unbenom­men«, reagierte Parker erstaunlich ruhig, obwohl er im Rückspie­gel mitbekam, wie der junge Mann die Pistole hob und umdrehte. Einen Moment später prallte der Pistolenkolben gegen die Scheibe und… federte zurück.

Der überraschte Cowboy schrie erschrocken auf, als seine Hand zurückprallte und er sich das Gelenk verstauchte. Die Pistole pol­terte auf den Wagenboden und rutschte unter den Vordersitz.

»Man bittet um Vergebung, Sir«, ließ sich Parker über die ein­gebaute Sprechanlage vernehmen.

»Möglicherweise vergaß man Ihnen mitzuteilen, daß die Scheibe aus Panzerglas ist.«

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»Panzerglas?« echote der parfümierte Wächter und ließ schleu­nigst die Waffe sinken, deren Lauf er gegen die Scheibe gedrückt hatte.

»In der Tat, Sir«, bestätigte Parker ihm gemessen. »Sollten Sie dennoch den Versuch wagen und einen Schuß abfeuern, ist man in der Lage, durch sogenannte Querschläger entstandene Verlet­zungen mit bordeigenen Mitteln zu versorgen.«

»Verdammt!« Der Parfümierte lehnte sich im Sitz zurück und dachte angestrengt über die veränderte Lage nach.

Josuah Parker betätigte eine weitere Taste auf dem reichhaltig ausgestatteten Armaturenbrett und sorgte auf diese Weise dafür, daß ein harmloses Betäubungsgas über die Lüftung in den Fond geleitet wurde.

Die Wirkung stellte sich umgehend ein. Die beiden eben noch so munteren und unternehmungslustigen Männer sackten zusam­men, lächelten zufrieden und räkelten sich bequem in den Pols­tern. Wenige Augenblicke später verkündeten dezente Schnarch­töne, daß sie sich ganz der Entspannung hingaben.

Parker nickte zufrieden und hielt nach einem Parkplatz Aus­schau. Er hatte die Absicht, die Herren, umzubetten und im Kof­ferraum unterzubringen, der außerordentlich geräumig war und genug Platz bot. Anschließend wollte er zum Salon zurückkehren und sich um seine Herrin kümmern.

*

Als Josuah Parker vor dem Billardsalon eintraf, sah er sofort, daß Mylady in der Zwischenzeit aktiv geworden war.

Auf der Straße vor dem Gebäude, in dem der Salon unterge­bracht war, parkten mehrere Streifenwagen mit rotierenden Blau­lichtern. Uniformierte Polizisten hatten den Zugang zum Haus abgeriegelt und bildeten eine Kette, um neugierige Passanten fernzuhalten.

Parker ging auf einen Streifenwagen zu und beugte sich zu dem Fahrer hinab. »Pardon, Sir, dürfte man vielleicht erfahren, was sich hier zugetragen hat? Die Herrin meiner bescheidenen Wenig­keit befindet sich dort im Haus, und meine Wenigkeit macht sich natürlich gewisse Sorgen, wie Sie verstehen werden.«

»Tut mir leid, aber ich bin nicht befugt, irgendwelche Auskünfte

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zu geben«, bedauerte der Mann am Steuer. »Aber da hinten kommt gerade Inspektor Wells, vielleicht kann der Ihnen etwas sagen.«

»Man bedankt sich für den ungemein wertvollen Hinweis«, gab Parker zurück und nickte dem freundlichen Beamten zu. Dann begab er sich gemessen zu dem Einsatzleiter, der einige Meter entfernt auf mehrere Polizisten einredete und auf das Haus hinter sich deutete.

»Man bittet um Entschuldigung, Sir, wenn man sich erdreistet, Sie anzusprechen«, machte sich Josuah Parker bemerkbar und lüftete höflich seine Melone. »Darf man fragen, was sich in jenem Haus dort zugetragen hat?«

Der Inspektor drehte sich um und musterte den Butler griesg­rämig. Er hatte ein eingefallenes, asketisch wirkendes Gesicht mit tiefen Falten. So sah jemand aus, der unter Magengeschwüren litt.

»Wer sind Sie, und was geht Sie das an?« erkundigte er sich mit knarrender Stimme. »Sie sehen nicht gerade so aus, als wenn Sie mit der Bude da was zu tun haben könnten, oder?«

»Josuah Parker mein Name«, stellte sich der Butler vor und nickte dem Polizeioffizier distanziert zu. »Man hat die Ehre und das Vergnügen, in Diensten Lady Agatha Simpsons zu stehen.«

»Ich habe nicht nach Ihrem Arbeitgeber gefragt, ich wollte wis­sen, warum Sie sich für das Haus da interessieren«, gab der In­spektor verdrossen zurück und tippte Parker mit dem ausge­streckten Zeigefinger gegen die Brust.

»Mylady hält sich in jenem Billardsalon auf, der im ersten Stock des Hauses untergebracht ist«, erläuterte Parker. »Man macht sich gewisse Sorgen um Mylady, wie Sie vielleicht verstehen.«

»Ach nein, Ihre Chefin ist in diesem Salon?« wunderte sich der Polizeimann und sah Parker stirnrunzelnd von oben bis unten an. »Das kommt mir nicht gerade wie der geeignete Aufenthaltsort für eine Lady vor, finden Sie nicht auch? Der Laden hat nicht den besten Ruf.«

»Das ist Mylady durchaus bekannt, Sir«, stimmte Parker ihm zu und setzte zu einer kleinen Notlüge an. »Aber Mylady macht sich große Sorgen um einen ihrer Neffen, der sich bevorzugt an Orten wie diesem aufhält. Sie wollte nachsehen, ob er im Salon ist, und ihn herausholen.«

»Naja, wahrscheinlich weiß der junge Mann mit seiner Zeit

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nichts Besseres anzufangen, wie?« knurrte der Polizeioffizier und ging bereitwillig auf dieses Thema ein. »Aber es ist ja auch kein Wunder, wenn verzogene Nachkommen sich nicht um ihren Le­bensunterhalt zu kümmern brauchen.« David Wells war offen­sichtlich kein Freund der sogenannten besseren Kreise und mach­te keinen Hehl daraus.

»In der Tat, Sir«, gab Parker ihm aus taktischen Gründen recht und seufzte. »Der junge Mann ist ein ständiges Ärgernis für Myla­dy, im Vertrauen gesagt.«

»Na, dem Bürschchen würde ich auf die Sprünge helfen«, stellte der Inspektor fest und demonstrierte, wie er das meinte. Er ließ die Rechte durch die Luft zischen und deutete damit eine Ohrfeige an.

»Myladys Neffe zeigt sich leider sehr uneinsichtig«, fuhr Josuah Parker fort.

»Das kann ich mir gut vorstellen«, sah sich Inspektor Wells in seiner Weltanschauung bestätigt. »Wahrscheinlich kann er nichts anderes, als das Geld der Familie mit vollen Händen zum Fenster hinauszuwerfen, wie?«

»In der Tat, Sir.« Parker nickte betrübt. »Alle Versuche, ihn zur Mitarbeit in einer der familieneigenen Firmen zu bewegen, sind fehlgeschlagen. Auch beim Studium hat er nicht lange durch­gehalten.«

»Na ja.« Wells räusperte sich und nickte dem Butler mitfühlend zu. »Wie sieht denn Ihre Chefin aus? Vielleicht ist sie mir aufge­fallen. Wenn nicht, werde ich meine Leute fragen, okay?«

»Sie sind außerordentlich freundlich, Sir.« Parker lüftete dan­kend die Melone. »Mylady ist eine ältere Dame mit einer ausge­prägten Figur, Sir. Sie trägt einen recht avantgardistischen Hut und…«

»Das ist Ihre Chefin?« brüllte Wells und lief rot an im Gesicht. »Das ist ja wohl die Höhe, kann ich dazu nur sagen.«

»Wie kann und muß man Ihre Reaktion interpretieren, Sir?« er­kundigte sich Josuah Parker würdevoll, dem im Prinzip klar war, was kommen würde. Er wurde nicht enttäuscht.

»Wegen Ihrer Chefin sind wir doch genaugenommen hier, Mann. Also wirklich, da hört sich ja wohl alles auf.« Er holte er­schöpft Luft und sah den Butler vorwurfsvoll an.

»Darf man Ihren Worten entnehmen, daß sich Mylady in gewis­sen Schwierigkeiten befunden hat, Sir?« fragte Parker weiter.

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»O nein, nicht befunden hat. Sie befindet sich in Schwierigkei­ten, und zwar in gewaltigen.« Der Inspektor plusterte sich auf und stieg förmlich auf die Zehenspitzen, während er Parker seine Anklage entgegenschleuderte. »Sie hat da drin ‘ne Keilerei ange­zettelt und einigen Leuten ordentliche Beulen verpaßt.«

Wells hielt inne und dachte einen Augenblick nach. Dann lächel­te er zu Parkers Überraschung versonnen und fügte etwas leiser hinzu: »Das gönne ich Sands, diesem Strolch.« Er schüttelte den Kopf und schien erschrocken über so viel Gefühlausbruch. »Äh, das habe ich natürlich nie und nimmer gesagt, Mister.«

»Meine Wenigkeit hat nichts gehört«, versicherte Parker. »Zurück zu Ihrer Lady. Was ich eben aufgezählt habe, ging ja

noch an. Aber dann haben wir da noch Beamtenbeleidigung und Widerstand gegen die Staatsgewalt. Leider hat Ihre Chefin auch einige meiner Leute lädiert, und das kann ich nicht durchgehen lassen. Ich werde sie mit aufs Revier nehmen und einen entspre­chenden Bericht verfassen müssen.«

»Es lag mit Sicherheit nicht in Myladys Absicht, Ihren pflichtge­treuen Beamten zu nahezutreten«, äußerte Parker. »Es kann sich nur um einen bedauerlichen Mißgriff handeln, der im Eifer des Gefechts mitunter passieren dürfte.«

»Wennschon… das Ergebnis ist jedenfalls eindeutig.« Inspektor Wells hatte über Parkers Schulter hinweg Lady Agatha

erblickt, die soeben, von zwei Polizisten eskortiert, aus dem Haus trat und zu einem der Streifenwagen geführt wurde.

Parker drehte sich um und verabschiedete sich von Wells. »Wenn Sie meine bescheidene Wenigkeit entschuldigen würden, Sir? Man muß sich um Mylady kümmern. Auf welches Revier wird man sie mitnehmen?«

»Gleich hier um die Ecke, in der Harriet Street«, teilte der Poli­zeimann mit und grinste schadenfroh. »Und da wird sie auch eine Weile bleiben, glauben Sie mir. Bei dem, was sie angerichtet hat, müssen wir eine ganz schöne Liste aufstellen.«

»Verbindlichsten Dank, Sir!« Parker nickte und begab sich zu seiner Herrin, die sich gerade mit den eskortierenden Beamten auseinandersetzte.

»Geht man so mit einer gesetzestreuen Bürgerin und Steuer­zahlerin um?« Agatha Simpson funkelte wütend mit den Augen. »Ich werde mich beim Innenminister beschweren.«

»Tun Sie das, aber vergessen Sie nicht, ihm auch zu sagen, was

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Sie mit einigen unserer Kollegen gemacht haben«, gab einer der beiden verbittert zurück.

»Was müssen die mir auch in die Quere kommen, wenn ich ge­rade damit beschäftigt bin, eine Räuberhöhle auszumisten«, stell­te Mylady ihre Version des Geschehens dar. »Ihre Kollegen sind selbst schuld. Wie kann man nur so ungeschickt sein?«

»So kann man’s natürlich auch sehen«, versetzte der andere Beamte und schüttelte verwundert den Kopf.

Lady Agatha erblickte den Butler und rasselte demonstrativ mit ihren Handschellen. »Da sind Sie ja, Mister Parker. Warum sind Sie nicht da, wenn ich Sie brauche? Ich hoffe, Sie haben sich den Schlüssel hierfür geben lassen. Nehmen Sie mir die Handschellen ab, und dann werde ich ein ernstes Wort mit dem Chef dieses Einsatzkommandos reden. Ich kann für ihn nur hoffen, daß er eine gute Erklärung für solch empörende Behandlung zu bieten hat.«

»Bedauerlicherweise befindet sich meine bescheidene Wenigkeit leider nicht im Besitz der erforderlichen Schlüssel«, antwortete der Butler gemessen. »Man ist aber sicher, daß Mylady nach ei­nem klärenden Gespräch auf dem Revier umgehend wieder auf freien Fuß gesetzt wird.«

»Da wäre ich an Ihrer Stelle nicht so sicher, Sir«, widersprach einer der Polizisten. »Die Dame hat allerhand Flurschaden ange­richtet, das wird ‘n langes Protokoll.«

»Ich bin wieder mal total mißverstanden worden«, klagte die Detektivin und sah den Butler mitleidheischend an.

»Mylady haben den Herrn Neffen im Spielsalon entdecken kön­nen?« erkundigte sich Parker zum Erstaunen seiner Herrin, die aber relativ schnell verstand.

»Richtig, Mister Parker, genauso ist es!« rief sie triumphierend. »Mylady suchten den Salon auf, um nach ihrem Herrn Neffen zu

forschen, der Mylady große Sorgen bereitet«, frischte Parker das Gedächtnis seiner Herrin auf.

»Neffe? Was denn für ein Neffe?« Lady Agatha wußte nicht, wo­von der Butler sprach, was eigentlich auch kein Wunder war, da es den besagten Neffen überhaupt nicht gab.

»Man spricht von Sir Basil, der bedauerlicherweise seine Zeit in Spielsalons und übelbeleumundeten Etablissements verbringt und immer wieder von einem Familienangehörigen ausgelöst werden muß, weil er sich auf riskante Spiele einläßt und verliert«, erläu­

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terte der Butler. »Sir Basil?« staunte Mylady, die diesen Namen zum erstenmal

hörte. Dann fiel bei ihr der vielzitierte Groschen, und sie nickte heftig.

»Natürlich!« rief sie. »Basil, dieser Nichtsnutz, wegen dem bin ich ja hergekommen. Habe ich ihn nun gefunden oder nicht, Mis­ter Parker?«

»Mylady wurden von den Ereignissen förmlich überrollt und ka­men sicher nicht mehr dazu, sich der Suche nach Sir Basil zu widmen«, wußte Parker und verbeugte sich höflich.

*

»Sir Basil? Daß ich nicht lache, Mister Parker!« Chief-Superintendent McWarden war auf Parkers Anruf hin auf dem Revier erschienen und unterhielt sich mit ihm.

Lady Agatha befand sich einige Zimmer weiter und brachte die Beamten zur Verzweiflung, die das Pech hätten, das Protokoll erstellen zu müssen.

McWarden war ein robust gebauter Fünfundfünfziger, dessen vorstehende Basedowaugen an eine leicht gereizte Bulldogge er­innerten. Er war ein erstklassiger Kriminalist, der das Vertrauen des Innenministers genoß und im Yard eine Sonderabteilung ge­gen das organisierte Verbrechen leitete, das auch auf der Insel immer weiter um sich griff.

McWarden galt als Freund des Hauses Simpson und schätzte die unkonventionelle Art, wie Mylady und insbesondere der Butler ihre Fälle angingen.

Natürlich hatte der Chief-Superintendent auf dem Revier Harriet Street in dieser Angelegenheit keinerlei Befugnisse. Inspektor David Wells hätte das ihm gegenüber auch genüßlich zum Aus­druck gebracht. Dennoch hoffte Parker, daß er seiner Herrin hel­fen konnte. Der Mann vom Yard genoß in Polizeikreisen einen ausgezeichneten Ruf und verfügte über großen Einfluß.

»Sie zweifeln möglicherweise an Sir Basils Existenz?« erkundig­te sich Josuah Parker gemessen.

»Und ob, Mister Parker! Sie wollen mir doch nicht einreden, daß es den Kerl wirklich gibt?« McWarden winkte ab. »Und selbst wenn, Mylady würde nie und nimmer hinter einem so mißratenen

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Früchtchen herlaufen, um es aus irgendwelchen Spielsalons zu holen. Außerdem«, an dieser Stelle breitete sich ein amüsiertes Lächeln auf McWardens Gesicht aus, »außerdem haben mir die beiden Kollegen, die Mylady hierhergebracht haben, erzählt, wie überrascht Ihre Chefin war, als Sie nach diesem angeblichen Sir Basil fragten.«

»Mylady erlitten einen Schock«, erinnerte Parker den Mann vom Yard.

»Mylady und Schock? Mal ehrlich, Mister Parker, das glauben Sie doch selbst nicht. Bevor Mylady einen Schock erleidet, geht die Welt unter. Nein, sie war nur deshalb so überrascht, weil es dieses mißratene Familienmitglied schlicht und einfach überhaupt nicht gibt.«

»Was aber durchaus möglich wäre, Sir«, ließ Parker nicht lo­cker.

»Möglich ja, aber trotzdem, den Kerl gibt es nicht. Hören wir doch mit Spiegelfechtereien auf, Mister Parker! Eine Hand wäscht die andere. Was hatten Sie in Peter Sands’ Laden zu suchen?«

»Dürfte man vielleicht zuvor erfahren, was die Verhöre der an­deren Beteiligten erbrächt haben, Sir?« wollte Josuah Parker wis­sen.

»Na schön, meinetwegen.« McWarden räusperte sich. »Im Prin­zip haben die Leute gar nichts gesagt. Keiner will wissen, wie die Schlägerei angefangen hat. Sie war eben auf einmal im Gang, so einfach ist das. Und Ihre Chefin natürlich mittendrin. Aber, wie gesagt, was nun genau vorgefallen ist, das weiß angeblich keiner. Die einen sagen, Mylady hätte mit einem Burschen gespielt und dabei Streit bekommen. Mylady besteht darauf, beleidigt worden zu sein. Wieder andere meinen, irgend jemand hätte ein Glas umgestoßen, wonach die Prügelei entstanden wäre. Kurz und gut, wir wissen nicht, was nun genau der Auslöser war, und werden es wohl auch nicht erfahren.«

»Wie äußerte sich Mister Sands zu den Vorfällen?« erkundigte sich der Butler interessiert.

»Der war angeblich in seinem Büro. Er sah zufällig auf seine Überwachungsmonitoren und entdeckte, was los war. Daraufhin will er sein Büro verlassen haben, um die Schlägerei zu schlich­ten, was ihm leider nicht gelang.«

»Was hatte Mylady dazu zu sagen?« »Sie ist angeblich von einem der Burschen belästigt worden und

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hat sich zur Wehr gesetzt. Und dann ging es richtig los. Erkannt hat sie den Mann natürlich nicht.«

»Sehr bedauerlich, Sir«, fand Josuah Parker und nickte dem Chief-Superintendent freundlich zu.

»So, und nun will ich von Ihnen wissen, was los war«, forderte McWarden energisch.

»Die Schlägerei dürfte mit Verlaub ihren Beginn im Büro Mister Sands’ gehabt haben«, teilte Parker ohne Umschweife mit. »Dort befand sich nämlich Mylady in der Gewalt des Salonbetreibers.«

»Ach nee, und warum?« McWarden beugte sich vor und sah Parker gespannt an. »Hinter Sands sind wir auch schon lange her, aber Sie wissen ja, wie das ist, Mister Parker. Man erwischt im­mer nur die kleinen Fische. Leute wie Sands haben in der Regel ein Alibi zur Hand.«

»Mylady suchte Mister Sands in Verfolgung zweier junger Her­ren auf, die einen vor Myladys Haus parkenden Lieferwagen ab­holten.«

»Ich verstehe kein Wort, Mister Parker.« Der Chief-Superintendent schüttelte den Kopf. »Was ist das für eine Ge­schichte?«

»Besagter Lieferwagen sollte dazu benutzt werden, diverse Beu­testücke aus Myladys Haus abzutransportieren«, erläuterte Par­ker. »Mylady wurde bedauerlicherweise das Opfer eines dreisten Überfalls.«

»Die armen Gangster«, äußerte McWarden und grinste unwill­kürlich. »Wie können die nur so dumm sein, ausgerechnet bei Mylady einbrechen zu wollen?«

»Möglicherweise kannte man Mylady nicht, Sir«, gab Parker zu bedenken. »Das könnte erstaunlicherweise durchaus der Fall sein.«

»Würde mich aber sehr wundern«, entgegnete McWarden. »Man bediente sich dabei eines beachtenswerten Tricks, Sir«,

fuhr Parker fort. »Meine Wenigkeit kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß diese Methode schon einige Male angewandt wor­den ist. Sicher auch erfolgreich.«

»Ich höre«, sagte der Mann von Yard lapidar. »Man schickte einen angeblichen Blumenboten vor, der nach ei­

genem Bekunden den Auftrag hatte, den Strauß eines unbekann­ten Absenders zu überbringen. In besagten Blumen verbarg der Unbekannte eine Spritzpistole mit betäubendem Inhalt, den er zu

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versprühen gedachte.« »Moment mal, das ist ja hochinteressant.« McWarden sprang auf und begann eine unruhige Wanderung

durch das kleine Büro. »Ein Blumenbote mit einer Sprühpistole? Wissen Sie eigentlich, wie viele solcher Fälle in letzter Zeit hier in London und Umgebung passiert sind?«

»Ihrer Reaktion nach zu schließen, einige«, vermutete der But­ler.

»Einige? Das kann man wohl sagen. Insgesamt fünfzehn. Was sagen Sie nun?«

»Eine bemerkenswerte Zahl, wenn man es mal so ausdrücken darf, Sir. Wie kommt es, daß man den Medien nichts Derartiges entnehmen konnte?«

»Das haben wir zum Glück verhindern können. Schließlich woll­ten wir keine Nachahmer züchten. Aber es wird allmählich Zeit, daß wir die Strolche zu fassen kriegen. Hat Sands etwas damit zu tun?«

»Es wäre durchaus möglich, Sir, denn die beiden Herren, die den Lieferwagen abholten, suchten unverzüglich den Salon Mister Sands’ auf und wurden dort in dessen Büro angetroffen.«

»Das ist ja hochinteressant!« fand McWarden erneut. »Wer sind die beiden?«

Josuah Parker griff in seinen Covercoat und holte die Aufnah­men heraus, die ihm Horace Pickett zugesteckt hatte.

»Kenne ich nicht«, stellte McWarden nach einem flüchtigen Blick fest. »Aber das macht nichts, ich reiche die Bilder an die zustän­digen Leute weiter. Aber sagen Sie mal, Mister Parker, weshalb mußte der Lieferwagen denn von den beiden abgeholt werden? Was ist mit der ursprünglichen Besatzung?« Er sah den Butler herausfordernd an und wartete gespannt auf eine Antwort, die er im Grund ahnte. Er kannte Myladys »Gastfreundlichkeit« und hat­te schon manchen frustrierten Ganoven in Shepherd’s Market abgeholt.

»Die Herren baten für einige Zeit um Asyl in Myladys Haus«, umschrieb Parker geschickt die Gefangennahme der Einbrecher-Crew. »Man sollte davon ausgehen, daß die Herren in absehbarer Zeit frei sind und etwas später von den zuständigen Behörden vereinnahmt werden können.«

»Nun gut, reiten wir nicht weiter auf diesem Thema herum.« McWarden räusperte sich und ließ sich am Schreibtisch nieder.

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»Sie meinen also, Sands ist der Drahtzieher dieser Sache?« »Nicht unbedingt, Sir. Meine bescheidene Wenigkeit schnappte

das Gerücht auf, daß auch Mister Sands über einen Vorgesetzten verfügt, der ihn und seine Mitarbeiter steuert.«

»Den würde ich gern kennenlernen«, äußerte McWarden nach­denklich. »Sie bleiben doch am Ball, oder?«

»Mit Verlaub, Sir. Kennen Sie übrigens einen Gentleman na­mens Tanner, der unter Umständen auch den wenig schmeichel­haften Spitznamen >Qualle< trägt?«

»Sie meinen Tanner, den Hehler.« Der Chief-Superintendent nickte zustimmend. »Der ist tatsächlich nicht ganz unbekannt.«

McWarden kritzelte etwas auf einen Zettel und ließ ihn schein­bar versehentlich fallen. Dann erhob er sich. »Ich werde mich jetzt um Ihre Chefin kümmern«, kündigte er an und öffnete die Tür. »Ich hoffe, ich kann Inspektor Wells umstimmen und ihn dazu bewegen, gewisse Dinge zu vergessen.

Er ist übrigens im Vorstand des Fonds zur Unterstützung von Polizeiwaisen und -witwen, falls Ihnen das was sagt, Mister Par­ker.«

»Es war schon immer ein besonderes Anliegen Myladys, die Hin­terbliebenen von im Dienst ums Leben gekommenen Polizeiange­hörigen zu unterstützen.«

»Ich sehe, wir verstehen uns wieder glänzend.« McWarden ver­ließ den Raum und schloß die Tür hinter sich. Josuah Parker er­hob sich gleichfalls und bückte sich nach dem Zettel, den McWar­den »verloren« hatte. Zu seiner Überraschung war darauf die Adresse eines Hehlers verzeichnet, der in Fachkreisen »die Qual­le« genannt wurde.

*

David Wells hatte nach Anfertigung der Protokolle alle an der Schlägerei Beteiligten wieder auf freien Fuß setzen lassen. Lady Agatha saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und nahm übel. »So weit ist es also mit uns gekommen, Mister Par­ker«, reklamierte sie. »Da wird eine unschuldige Bürgerin wie. eine Verbrecherin behandelt und aufs Revier geschleppt, zusam­men mit Kriminellen, die diese Bürgerin überfielen! In was für einem Land leben wir eigentlich?«

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»Mylady erfreuen sich inzwischen wieder ihrer wohlverdienten Freiheit«, tröstete Parker sie über den polizeilichen Mißgriff hin­weg.

»Wennschon! Die Gangster wurden auch freigelassen«, wollte sich Mylady auf keinen Fall so einfach über das schmachvolle Er­lebnis hinwegsetzen.

»Eine taktische Maßnahme, die im Grund nichts zu besagen hat«, vermutete Josuah Parker. »Man darf davon ausgehen, daß die Herren in Kürze wieder von den Behörden kontaktiert werden, um dann eventuell für längere Zeit aus dem Verkehr gezogen zu werden.«

»Das will ich aber auch schwer hoffen«, entgegnete die Lady vom Rücksitz her. »Kann es übrigens sein, daß ich McWardens Stimme gehört habe?«

»Das wäre in der Tat möglich«, räumte Parker ein. »Mister McWarden war so freundlich, auf dem Revier zu erscheinen und sich für Mylady zu verwenden. Meine bescheidene Wenigkeit hat­te dabei Gelegenheit zu einem interessanten Gedankenaustausch mit Mister McWarden.«

»Was soll das heißen, er hat sich für mich verwendet?« wunder­te sich die ältere Dame. »Für mich braucht sich niemand zu ver­wenden, schließlich bin ich im Recht, Mister Parker.«

»Es ging Mister McWarden darum ein gewisses Mißverständnis seitens Inspektor Wells auszuräumen und auf Myladys Verdienste aufmerksam zu machen, was die Bekämpfung der Kriminalität betrifft.«

»Nun ja, das klingt schon besser«, räumte sie ein. »Obwohl ich diesen Inspektor auch so überzeugt hätte.«

»Das dürfte außer Frage stehen. Mylady«, wußte Parker. »Aber Mister McWarden hat sozusagen von Kollege zu Kollege auf ihn eingewirkt. Mister Wells konnte Mylady unter Bezug nur diese Einflußnahme unbesorgt und ohne weitere Formalitäten entlasten.

Das entsprechende Protokoll wurde der Vernichtung anheimge­geben.«

»Warum denn? Das finde ich aber nicht gut.« Lady Agatha schüttelte verärgert den Kopf. »Das Protokoll wäre ein Beweis dafür gewesen, daß man mich unrechtmäßig festgehalten hat, Mister Parker. Ich hätte es vor Gericht verwenden können.«

»An welches Gericht dachten Mylady in diesem Zusammenhang, wenn man fragen darf?« erkundigte sich Parker gemessen.

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»An das Gericht, das sich mit den Übergriffen staatlicher Stellen befaßt und die Höhe der Schmerzensgelder und des Schadener­satzes festlegt«, antwortete die Detektivin.

»Es dürfte nach der Vernichtung von Myladys Protokoll schwer­fallen, einen entsprechend aktenkundigen Beweis zu führen«, bedauerte Parker. »Andererseits kann besagtes Protokoll auch nicht mehr gegen Mylady verwendet werden.«

»Gegen mich?« Agatha Simpson japste hörbar nach Luft. »Wie können Sie so etwas sagen, Mister Parker? Auf welcher Seite ste­hen Sie eigentlich?« wollte sie mit anklagender Stimme wissen.

»Mylady können der uneingeschränkten Loyalität meiner be­scheidenen Wenigkeit sicher sein«, stellte der Butler würdevoll fest. »Es lagen indessen die Aussagen mehrerer Angehöriger der Polizei vor, die beschworen, Mylady habe in unzulässiger Weise auf ihre Gesundheit eingewirkt und sich an staatlichem Eigentum vergriffen, indem Mylady versehentlich die Uniform der Herren derangierten und einige Schlagstöcke zerbrachen.«

»Das verdanken die Tölpel nur ihrer eigenen Ungeschicklich­keit«, war sich Mylady sicher.

»Die Herren dürften in ihren Uniformen durchaus als Ordnungs­hüter zu erkennen gewesen sein«, befürchtete Parker.

»Papperlapapp, Mister Parker, doch nicht bei dem Licht, das in dieser Spielhöhle herrscht, und bei dem Qualm! Im Eifer des Ge­fechts kann so was schon mal vorkommen.«

»Darf man sich erkundigen, wie es Mylady gelang, sich aus der Gewalt von Mister Sands und seine Mitarbeiter zu befreien und sein Büro zu verlassen?«

»Das war eigentlich ganz einfach.« Lady Agatha vergaß umge­hend ihren Ärger mit der Polizei und lehnte sich bequem in ihrem Sitz zurück. »Der Oberlümmel kannte meinen Pompadour noch nicht«, erzählte sie genüßlich. »Mit dem ließ ich ihn erstmal Be­kanntschaft schließen. Anschließend habe ich seine Schläger auf Trab gebracht und ihnen einige Ohrfeigen verpaßt. Dann bin ich in den Salon zurückgegangen und habe am Billardtisch aufge­räumt. Leider erschien wenig später die Polizei und brach meine Aufräumungsarbeiten ab.«

»Sehr bedauerlich, Mylady«, fand Parker. »Ich werde in einigen Tagen, wenn ich den Fall erledigt habe,

noch mal zum Revier Harriet Street fahren und dem hochnäsigen Inspektor meine Meinung sagen«, versprach die ältere Dame.

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»Ich werde ihm klarmachen, daß er sich unmöglich benommen hat, und ihm Gelegenheit geben, sich bei mir zu entschuldigen.«

»Mister Wells hat seinen Irrtum eingesehen und ist inzwischen Myladys großer Verehrer«, wußte der Butler zu berichten.

»Wirklich? Wie schade!« erwiderte die ältere Dame. »Mister Wells ist übrigens sehr um die Hinterbliebenen von im

Dienst verschiedenen Kollegen bemüht«, fuhr Parker fort. »Hätte ich dem Griesgram gar nicht zugetraut«, gab Mylady

nicht sonderlich interessiert ihren Kommentar. »Er hat sich äußerst lobenswert über Myladys großherzige

Spende geäußert«, fügte Parker gemessen hinzu. »Mister Wells bat meine bescheidene Wenigkeit, Mylady seinen Dank auszurich­ten und seiner Wertschätzung zu versichern.«

»Bitte, bitte, gern geschehen«, sagte die Detektivin, die nicht richtig hingehört hatte. Einen Augenblick später jedoch kam ihr die Erleuchtung. »Was haben Sie da erzählt, Mister Parker?« Sie richtete sich auf und beugte sich vor, um nichts von der Antwort zu verpassen.

»Man erwähnte, daß sich Inspektor Wells sehr angetan zeigte von Myladys edler Spende für den Witwen- und Waisenfond«, wiederholte der Butler.

»Und wieviel habe ich gespendet?« erkundigte sich die mißtrau­ische Dame. »Ich kann mich gar nicht an Derartiges erinnern.«

»Meine Wenigkeit erledigte das für Mylady und befolgte damit eine Anregung, die Mylady schon vor langer Zeit gaben.«

»Wieviel, Mister Parker?« wiederholte Agatha Simpson ihre Fra­ge mit erstickter Stimme.

»Fünfhundert Pfund, Mylady«, informierte Josuah Parker sie. »Eine wirklich großzügige Geste, wenn man dies anmerken darf.«

»Fünf… fünfhundert Pfund«, stotterte die ältere Dame vom Rücksitz her und schlug entsetzt die Hände zusammen. »Wollen Sie mich ruinieren, Mister Parker?«

»Keinesfalls und mitnichten, Mylady«, versicherte der Butler ihr, der von der Reaktion seiner Herrin kaum überrascht wurde.

»Fahren Sie unverzüglich an den Straßenrand! Ich erleide gera­de einen Kreislaufzusammenbruch«, teilte Mylady mit und röchel­te.

Parker hatte im Prinzip damit gerechnet und die Fahrt vor­sichtshalber verlangsamt. Er lenkte das hochbeinige Monstrum an den Straßenrand und, stieg aus, um die Tür auf Myladys Seite zu

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öffnen. Einen Augenblick später reichte er seiner Herrin die ret­tende Medizin in einem silbernen Becher, der normalerweise als Verschluß einer kleinen lederumhüllten Taschenflasche diente.

Der Butler führte sie stets in einer der zahlreichen Innentaschen seines Covercoats mit sich. Die Medizin war bester französischer Cognac und hatte sich immer als außerordentlich zuverlässig wir­kender Kreislaufbeschleuniger erwiesen.

*

Kurz nach Mitternacht machte sich ein akustisches Signal be­merkbar. Josuah Parker sah auf und erblickte auf dem Monitor zwei Gestalten, die sich der hinteren Mauer näherten. Diese be­grenzte Myladys Grundstück zu einem benachbarten Park, in dem sich um diese Zeit niemand mehr aufhielt.

Die Eindringlinge saßen bereits rittlings auf der Mauer und spra­chen leise miteinander. Sie hatten sich die Gesichter geschwärzt, trugen dunkle Kleidung und Schuhe und erinnerten Parker von Figur und Gestik her an die beiden Lieferwagenabholer, die er im Büro des Salonbetreibers Peter Sands kennengelernt hatte.

Hatten ausgerechnet diese beiden den Auftrag erhalten, ihre »Kollegen« zu befreien?

Die nächtlichen Besucher wollten sich eben auf der anderen Sei­te zu Boden fallen lassen, als Parker einen bestimmten Schalter betätigte, der auf der Mauer winzige Stahlborsten unter Strom setzte.

Vom System her handelte es sich dabei um eine Vorrichtung, wie sie Landwirte benutzten, um ihre Tiere zum Verweilen inner­halb des eingezäunten Bereiches zu bewegen. Die Stromstärke war so gewählt, daß sie gesundheitlich unbedenklich war und le­diglich für einen gewissen Schock sorgte.

Die unangemeldeten Gäste heulten wie zwei liebestolle Wölfe bei Vollmond und sprangen fast senkrecht in die Luft.

Parker, der sie auf dem Monitor genau beobachtete, beschloß, einen weiteren, hilfreichen Impuls zu senden. Er schickte einen zweiten Stromstoß auf die Reise und sah eine Sekunde später, wie dieser die beiden Schwarzgekleideten auf der Mauerkrone erreichte. Die Männer ließen sich kippen und klatschten auf den Wirtschaftsweg, der an der Rückseite von Myladys Haus verlief.

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Dort blieben sie einen Augenblick wie betäubt liegen und schienen über ihr Schicksal nachzudenken.

Da sie sich offenbar nicht klarwerden konnten, wie es weiterge­hen sollte, ließ Parker ihnen erneut eine Entscheidungshilfe zu­kommen. Er schaltete ein Tonband ein, das speziell für derartige Zwecke bespielt worden war, und bescherte den nächtlichen Be­suchern ein Konzert besonderer Art.

Zunächst nahmen sie gar nicht wahr, daß auf einmal bestimmte Geräusche an ihre Ohren drangen. Dann richteten sie sich blitz­schnell auf, hoben die Köpfe und lauschten in die Dunkelheit.

Die Geräusche waren eindeutig zunächst ein Hecheln, das ab und zu von einem Knurren unterbrochen wurde, dann folgten lei­se Kommandos. Schließlich hörten die Erschrockenen ein leises Winseln, dem ein gedämpftes Bellen folgte.

Jetzt schien ihnen alles klar zu sein. Sie sprangen auf und stürmten zur Mauer, die ihnen als rettendes Bollwerk erschien. Sie stellten sich auf die Zehenspitzen, reckten sich und versuch­ten verzweifelte, mit den Fingerspitzen die Mauerkrone zu errei­chen, um sich hochzuziehen.

Ein langgezogenes Heulen ertönte, das ihnen wahre Schauer über die Rücken jagte. Dem unerfreulichen Geräusch nach zu urteilen, mußte der Hund, der sich ihnen näherte, große Ähnlich­keit mit einem Wolf haben.

Sie sahen sich an, liefen einige Schritte zurück und nahmen An­lauf. Sie sprinteten auf die Mauer zu und schienen sie förmlich überrennen zu wollen.

Die Kerle hechteten hoch, krallten ihre Finger in die rauhe Krone und zogen sich von Panik erfüllt nach oben. Gerade, als sie dort angekommen waren und zum Absprung auf die rettende Straßen­seite ansetzten, hörten sie ein Scharren und Kratzen an der Mau­er unten auf der Seite von Myladys Grundstück.

Sie drückten sich von der Mauerkrone ab und stürzten in die Tiefe.

Dort nahmen sie sich nicht mal die Zeit, festzustellen, ob sie den Sprung heil überstanden hatten. Sie quälten sich umgehend auf die Beine und taumelten in der Dunkelheit davon.

Die Außenmikrophone übertrugen das Geräusch eines aufheu­lenden Automotors, der offensichtlich überdreht wurde.

Josuah Parker nickte zufrieden und schaltete die Anlage ab. Er rechnete nicht damit, in dieser Nacht noch mal gestört zu wer­

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den.

*

Es war kurz nach dem Frühstück, als es klingelte. Parker begab sich gemessen in den Flur, schaltete die Überwa­

chungsanlage ein und sah einen Streifenwagen vor dem Haus. Ein junger Polizist stand vor der Eingangstür und hielt im Arm einen gewaltigen Blumenstrauß, der sein Gesicht fast gänzlich verdeck­te.

»Der Herr wünscht?« meldete sich Parker über die Außenlaut­sprecher bei dem frühen Besucher.

»Polizei, Sir. Inspektor Wells schickt uns«, teilte der Polizist mit. »Würden Sie bitte öffnen?«

Josuah Parker betätigte den Türsummer und sah dem jungen Mann mit dem Blumenstrauß entgegen.

»Wer ist es, Mister Parker?« wollte Lady Agatha aus der Tiefe der Halle Wissen.

»Ein Polizist, der Mylady Blumengrüße überbringt«, meldete Parker.

»Blumen? Das ist ja sehr interessant!« Genau diese Reaktion hatte der Butler erwartet und befürchtet. Agatha Simpson tauchte erstaunlich schnell an der Tür auf. Sie wirkte ausgesprochen un­ternehmungslustig. »Noch mal falle ich auf den Trick nicht herein, Mister Parker, das heißt, auch beim erstenmal hat es ja nicht ge­klappt«, stellte sie fest. »Eine Ungezogenheit, daß es die Strolche noch mal versuchen. Aber ich werde ihnen ein für allemal klarma­chen, daß man so mit einer Lady Simpson nicht umspringen kann.«

»Möglicherweise dürfte es sich um einen echten Polizisten han­deln, Mylady«, versuchte Parker seine Herrin zu bremsen. »Er sagt, daß Inspektor Wells ihn schickt.«

»Ausgerechnet Wells!« Mylady vergaß schnell ihren Ärger und blickte dem Überbringer des polizeilichen Blumengrußes mit strahlendem Lächeln entgegen. »Sie kommen von Inspektor Wells, junger Mann?« flötete sie.

»Jawohl, Mylady. Er hat uns aufgetragen, diesen Strauß bei Ih­nen abzugeben.«

»Das ist sehr nett von ihm.« Lady Agatha streckte die Hände

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nach dem Strauß aus, nahm ihn entgegen und… schlug ihn dem entsetzten Polizisten um die Ohren! Der warf sich herum und stürmte davon. Er stieg in den Streifenwagen und fuhr sofort ab. Parker sah noch, wie der diesmal echte Blumenbote den Hörer des Funktelefons ans Ohr preßte und offensichtlich eine Meldung durchgab.

Der erwartete Anruf kam eine Viertelstunde später. Mylady hat­te sich inzwischen in ihr Studio zurückgezogen, um sich der Medi­tation hinzugeben.

»Ein bedauerliches Mißverständnis, Sir«, versicherte Parker dem aufgebrachten Inspektor Wells. »Wie Sie vielleicht von Mister McWarden hörten, wurde Mylady erst kürzlich das Opfer eines Überfalls, der mit Hilfe eines angeblichen Blumenboten inszeniert wurde.«

Nachdem Wells ärgerlich aufgelegt hatte, dauerte es keine fünf Minuten, bis sich der nächste Anrufer meldete. Es war Chief-Superintendent McWarden, der sich ein wenig ungehalten zeigte und kein Verständnis für Myladys Mißgriff aufbringen wollte.

»Mylady bedauert den kleinen Zwischenfalls außerordentlich«, versicherte Parker. »Sie bittet, dies dem betroffenen jungen Mann auszurichten, Sir.« Auch McWarden genierte sich nicht, den Hörer härter als üblich aufzulegen.

Der dritte Anrufer war schließlich der sogenannte Blumen­freund, der ohne Umschweife zur Sache kam.

»Meine Männer sitzen noch immer bei Ihrer komischen Lady im Keller, Parker, und das gefällt mir gar nicht.«

»Inzwischen dürften Sie ja einen Versuch unternommen haben, diesen unleidlichen Zustand zu ändern, Sir«, erinnerte der Butler ihn, »wenngleich dieser auch – mit Verlaub – dilettantisch ausfiel. Die Mitarbeiter Mister Sands’ zeichnen sich nicht eben durch ü­berragende kriminelle Fähigkeiten aus, wenn Sie diesen Hinweis gestatten.«

»Das weiß ich selbst, Mann, und deshalb werden die Kaliber, die ich Ihnen demnächst ins Haus schicke, ganz anders ausfallen«, drohte der »Blumenfreund«. »Es sei denn, Sie werden endlich vernünftig und sehen ein, daß Sie auf Dauer keine Chance gegen mich haben. Lassen Sie die Leute frei, und alles ist in Butter! Sonst sehe ich schwarz für Sie, das können Sie mir glauben.«

»Sie werden verstehen, Sir, daß Ihre Drohungen von meiner bescheidenen Wenigkeit nicht allzu ernst genommen werden«,

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machte Parker ihm klar und legte auf. Solche Unhöflichkeit war ihm eigentlich in tiefster Seele zuwi­

der, aber es kam jetzt darauf an, den »Blumenfreund« zu reizen und aus der Reserve zu locken.

Wenige Augenblicke später schlug das Telefon erneut an. Parker verzichtete darauf, sich korrekt zu melden. »Haben Sie noch et­was zu dem anstehenden Fragenkomplex beizutragen, Sir?« er­kundigte er sich. »Für den Fall, daß Sie wieder nur eine auf kei­nen Fall ernst zu nehmende Drohung ausstoßen wollen, kann meine Wenigkeit Ihnen nur sagen, daß diese wohl kaum auf fruchtbaren Boden fallen dürfte.«

»Sie… Sie!« brüllte der sogenannte Blumenfreund und rang nach Worten.

»Meine bescheidene Wenigkeit geht davon aus, daß Sie nichts weiter zu sagen haben, Sir«, teilte der Butler kühl mit und legte auf.

Als das Telefon nach fünf Minuten wieder klingelte, verzichtete er darauf, überhaupt erst abzunehmen. Er wußte, daß es wieder der sogenannte Blumenfreund war, und gedachte, dessen Ner­venkostüm durch die Mißachtung des Telefons weiter zu strapa­zieren.

*

»Was habe ich heute vor?« erkundigte sich die Detektivin. »Ich hoffe, Sie haben mir einen interessanten Vorschlag zu machen.«

»Mylady gedenken möglicherweise die >Qualle< aufzusuchen«, vermutete Parker.

»Die >Qualle<?« Lady Agatha sah den Butler stirnrunzelnd an. »Sie meinen, ich soll ins Aquarium gehen? Dazu habe ich keine Lust, Mister Parker. Wie kommen Sie auf den seltsamen Einfall?«

»Man dachte keinesfalls an das hiesige Aquarium, Mylady«, er­läuterte Parker geduldig. »Bei der sogenannten Qualle handelt es sich um einen Gentleman namens Samuel Tanner, der in ein­schlägigen Kreisen als Hehler bekannt sein dürfte.«

»Komischer Spitzname«, wunderte sich die Detektivin. »Aber das ist schließlich sein Problem. Was will ich bei diesem Hehler? Dort müßte man eigentlich preiswert einige nette Kleinigkeiten einkaufen können, nicht wahr?«

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Parker ließ sich von diesem Gedankenblitz seiner Herrin keines­falls aus der Fassung bringen. »Mylady denken sicher daran, daß ein Einkauf bei einem Hehler illegal ist und erworbene Waren nicht in das rechtmäßige Eigentum des Käufers übergehen.«

»Nicht? Na schön!« Lady Agatha seufzte verhalten. »Was will ich bei diesem Menschen dann?«

»Bei Mister Tanner handelt es sich möglicherweise um jenen Hehler, der den Mitarbeitern des sogenannten Blumenfreundes die aus den Einbrüchen stammende heiße Ware abnimmt.«

»Wer soll denn dieser Tucker sein?« Lady Agatha schüttelte in mildem Vorwurf den Kopf. »Versuchen Sie nicht, mich zu verwir­ren, Mister Parker. Ich weiß genau, wen Sie meinen. Wissen Sie es auch?«

»Mister Tanner«, korrigierte Parker den Namen des Hehlers un­auffällig, »ist Abnehmer sogenannter heißer Ware und wird in Fachkreisen auch >die Qualle< genannt.«

»Richtig, genau von dem spreche ich.« Mylady nickte Parker anerkennend zu, »Sie meinen also, dieser Quallenmensch kauft den Blumenganoven ihre Beute ab? Dann wollte er sicher auch mein gestohlenes Eigentum abnehmen?«

»Davon sollte man ausgehen, Mylady«, stimmte Parker ihr zu. »Das ist natürlich eine Unverschämtheit«, fand sie und sah Par­

ker empört an. »Möglicherweise hat er sogar eine Art Bestellung aufgegeben und den Einbrechern gesagt, was er von mir haben will?«

»Dazu müßte er Myladys Haus und Eigentum kennen«, gab Jo­suah Parker zu bedenken.

»Natürlich war er noch nie in meinem Haus«, überlegte sie und runzelte die Stirn. »Aber es gibt doch jetzt diese Spionagesatelli­ten, die vom Himmel aus noch so kleine Dinge aufnehmen kön­nen.«

»In der Tat, Mylady. Solche Satelliten werden von den Vereinig­ten Staaten und der Sowjetunion zu militärischen Zwecken be­nutzt, um den Rüstungsstand der jeweils anderen Seite zu erkun­den.«

»Vielleicht benutzt dieser Lümmel auch einen Satelliten«, konn­te sich Mylady sehr gut vorstellen. »Die Gangster arbeiten ja heutzutage mit allen Raffinessen, vergessen Sie das nicht, Mister Parker. Auch wenn ihnen das nichts nützt, wenn sie mit mir zu tun haben.«

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»Woher sollte Mister Tanner einen solche Satelliten haben, My­lady?« erlaubte sich Parker eine naheliegende Frage.

»Muß ich das wissen, Mister Parker? Aber einem Hehler wird schließlich allerhand angeboten. Vielleicht hat ihm jemand so et­was verkauft. Was meinen Sie?«

»Satelliten dürften kaum allgemein zugänglich sein, Mylady«, gab der Butler höflich zu bedenken.

»Vielleicht ein Überläufer, der sich damit das Kapital für ein neues Leben hier bei uns beschafft hat?« ritt die Hausherrin un­verdrossen ihr Steckenpferd. »Ich habe da kürzlich erst einen hochinteressanten Spionagefilm gesehen, in dem ein Überläufer eine geheime Maschine aus seiner Heimat mitbrachte und sie un­serem Geheimdienst zum Kauf anbot.«

»Ein Satellit dürfte auch nicht ganz einfach zu transportieren sein«, wollte sich Parker zu Myladys Verärgerung auf keinen Fall überzeugen lassen.

»Ich werde ihn fragen, Mister Parker«, beendete sie das Thema. »Sehr wohl, Mylady«, stimmte der Butler höflich zu. »Dennoch

gehen Mylady sicher davon aus, daß Myladys Haus eher zufällig als Einbruchsziel auserkoren wurde.«

»Wie dem auch sei, Mister Parker, der Lümmel wird mir einiges erklären müssen«, stellte die ältere Dame grimmig fest. »Ihnen ist doch hoffentlich klar, wer dieser Quallenmensch in Wirklichkeit ist?«

»Wenn Mylady vielleicht mit einem kleinen Hinweis dienen könnten?« bat Parker.

»Das liegt auf der Hand, Mister Parker. Aber es wundert mich nicht, daß Sie es nicht sehen. Wie dem auch sei, dieser quallige Hehler ist der Blumengangster, das dürfte doch wohl klar sein.«

»Eine sehr interessante Folgerung«, fand Josuah Parker mit un­bewegtem Gesicht.

»Dieser Hehler hat sich die Leute des Salonbetreibers ausgelie­hen, um sie auf ihre Beutezüge zu schicken«, fuhr sie fort. »Wahrscheinlich hat er ihnen sogar Listen mitgegeben, damit sie wissen, was sie stehlen sollen.«

»Eine sehr schlüssige Gedankenkette«, lobte der Butler und nickte seiner Herrin höflich zu. Die erwärmte sich allmählich für ihre Theorie und sprang auf, um im kleinen Salon hin und her zu wandern. »Und wissen Sie, was das Raffinierte daran ist, Mister Parker?«

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»Mylady werden es meiner bescheidenen Wenigkeit verraten, wie man zu hoffen wagt«, gab Parker zurück.

»Eigentlich ist das sehr naheliegend, ein Hehler, der Einbrecher schickt, um sich Ware zu beschaffen, nicht wahr? Da käme sogar die Polizei drauf.«

»Mylady meinen, daß Mister Tanner gerade wegen dieser so of­fensichtlichen Zusammenhänge um so unverdächtiger ist?« er­kundigte sich Parker.

»Genauso ist es, Mister Parker«, triumphierte die passionierte Detektivin. »Allerdings«, sie lächelte mokant, »fällt eine Lady Simpson auf einen solchen Trick nicht herein. Das ist das Pech dieses Lümmels. Im Grund genommen ist der Fall bereits gelöst, bevor er richtig begonnen hat. Aber ich muß sagen, er war auch viel zu einfach für mich«, stellte sie abschließend ohne falsche Bescheidenheit fest.

»Mylady denken an die notwendigen Beweise, ohne die Mister Tanner von den zuständigen Behörden leider nicht zur Rechen­schaft gezogen werden kann?« erinnerte Parker sie höflich.

»Ich kann mich nicht um alles kümmern«, kam prompt die er­wartete Antwort. »Sie wissen, daß ich mich um die große Linie kümmere, Mister Parker, aber um Kleinigkeiten wie Beweise und so weiter sollten Sie sich bemühen. Was das betrifft, lasse ich Ihnen völlig freie Hand, ich bin sehr gespannt, wie Sie mit dieser Herausforderung fertig werden.«

»Man bedankt sich verbindlich für Myladys Vertrauen und hofft, es auf gar keinen Fall zu enttäuschen«, zeigte sich Parker ange­messen dankbar.

»Das hoffe ich auch, Mister Parker«, gab die ältere Dame zurück und nickte huldvoll.

*

»Wenn das so weitergeht, werde ich mir eine Geheimnummer zulegen müssen«, sagte Lady Agatha, als das Telefon klingelte.

Parker begab sich gemessen zum Apparat und hob ab. Er hörte einige Augenblicke konzentriert zu, dann legte er wieder auf und wandte sich an seine Herrin.

»Mister Pickett weist darauf hin, daß Myladys Haus unter Bewa­chung steht«, teilte er mit. »Er entdeckte einen Ford, der an der

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Einmündung zur Hauptstraße wartet, ferner zwei junge Motorrad­fahrer, die eine Panne vortäuschen. Das Motorrad soll sich auf der anderen Seite des Platzes befinden.«

»Der gute Mister Pickett.« Lady Agatha vergaß umgehend ihren Ärger über das Telefon und lächelte versonnen. »Wenn er sich wieder meldet, möchte ich gern mit ihm sprechen, Mister Parker. Ich möchte ihm sagen, daß ich seine Maske gestern hervorragend fand. Natürlich hat er mich keinen Augenblick täuschen können, aber immerhin.«

»Vielleicht möchten Mylady bei dieser Gelegenheit auch gleich einen Termin für die Einladung zum Tee abstimmen?« erkundigte, sich Josuah Parker höflich.

»Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, Mister Parker.« Lady Agatha schüttelte verärgert den Kopf. Sie hatte es nicht gern, an etwas erinnert zu werden, das mit Ausgaben verbunden war. Die Teepreise hatten inzwischen schwindelnde Höhen er­reicht.

»Man wird mich umbringen wollen«, wechselte sie das Thema. »Das wundert mich nicht im geringsten. Ich hatte eigentlich schon viel eher damit gerechnet.« Der Gedanke an einen Überfall, bei dem es unter Umständen um ihr Leben ging, schien die ältere Dame nicht zu schockieren. Im Gegenteil. Sie machte einen aus­gesprochen animierten Eindruck und schien das eher befriedigend zu finden.

Wenige Minuten später war das hochbeinige Monstrum unter­wegs.

Lady Agatha saß im Fond und spähte aus dem Seitenfenster, um nach den von Horace Pickett gemeldeten Bewachern Aus­schau zu halten.

»Da ist das Motorrad, Mister Parker«, sagte sie, als sie es ent­deckt hatte. Die schwere Maschine stand aufgebockt am Straßen­rand, ein junger Mann in schwarzem Overall kniete daneben und betrachtete interessiert den Motor.

Ein zweiter Mann zog an einer Zigarette. Als er das ehemalige Londoner Taxi ankommen sah, warf er die Zigarette weg und hockte sich neben seinen Partner, um auf ihn einzureden.

Parker nickte den beiden Motorradfahrern im Vorbeifahren freundlich zu. Im Rückspiegel beobachtete er, wie sie ihre Ma­schine antraten und auf die Straße schoben.

»Sie folgen uns, Mister Parker«, stellte die energische Dame

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fest, die sich umgedreht hatte und aus dem Rückfenster blickte. »Ich lasse Ihnen freie Hand, was die Lümmel betrifft«, fuhr die

Detektivin fort. »Sie könnten mich bei diesem Hehler stören. Viel­leicht sorgen Sie dafür, daß ich sie loswerde.«

»Man wird sich bemühen, Mylady«, versprach Parker, während er seinen Privatwagen auf die Hauptstraße lenkte, in die die schmale Zufahrt mündete.

Hinter Parker löste sich ein blauer Ford vom Straßenrand und hängte sich an. Er beschleunigte und kam schnell näher.

»Sehr schön«, freute sich Mylady im Fond. »Da ist ja auch der Ford, von dem Mister Pickett gesprochen hat. Ich glaube, der Bei­fahrer hat eine Maschinenpistole in der Hand, Mister Parker.«

»Eine sehr aufschlußreiche Information, Mylady«, gab der Butler zurück, den diese Mitteilung allerdings nicht zu erschüttern schien. Er warf erneut einen Blick in den Rückspiegel und stellte fest, daß hinter dem Ford das Motorrad auftauchte.

Der blaue Ford beschleunigte hoch mehr, schob sich an das hochbeinige Monstrum heran und setzte zum Überholen an.

Mylady sah auf die Insassen hinüber und winkte ihnen. Der Mann auf dem Beifahrersitz, der eine Wollmütze über den

Kopf gezogen hatte, aus der er Augen und Nase herausgeschnit­ten hatte, schien dadurch irritiert zu werden. Er hatte gerade die Waffe angehoben und sie auf den schwarzen Kasten gerichtet, als ihn Myladys Gruß erreichte. Er ließ die Maschinenpistole sinken und starrte entgeistert auf die nach wie vor winkende Lady.

Dann war der Ford vorbei und schob sich vor das ehemalige Ta­xi.

»Er hat gar nicht geschossen, Mister Parker«, schien Lady Agat­ha überrascht.

»Es handelte sich möglicherweise nur um ein Ablenkungsmanö­ver, Mylady«, vermutete Parker. Er sah im Rückspiegel das Mo­torrad heranrasen und ahnte instinktiv, daß von daher die eigent­liche Gefahr drohte.

Der Mann auf dem Sozius hielt einen riesigen Blumenstrauß in der Hand. Lady Agatha, die sich wieder umgedreht hatte, be­merkte dies und schüttelte verwundert den Kopf.

»Jetzt wollen mir die Lümmel schon auf offener Straße Blumen überreichen«, mokierte sie sich. »Was sage ich dazu, Mister Par­ker?«

»Daß Mylady diesen Gruß tunlichst nicht annehmen sollten«,

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gab Parker zurück und scherte plötzlich aus. Der Fahrer der schweren Maschine geriet in einige Schwierigkei­

ten. Er hatte gerade zum Überholen angesetzt, als sich der schwarze Kasten unerwartet auf seine Spur schob. So hatte der Mann alle Hände voll zu tun, seine Maschine unter Kontrolle zu halten. Sie schwankte hin und her, drohte auszubrechen und konnte von ihrem Lenker nur mit viel Mühe abgefangen werden. Der Ford vor Parker versuchte zu bremsen und schwenkte gleich­falls auf die Überholspur.

Der Butler trat auf die Bremse und verzögerte abrupt die Fahrt seines Vehikels. Dann riß er das Steuerrad nach links, wechselte von der Bremse auf das Gaspedal und beschleunigte wieder. Der Rennmotor unter der Haube nahm die Herausforderung freudig an, röhrte auf, ließ die Pferdestärken frei und katapultierte den plump wirkenden Wagen mit dem Schub einer startenden Rakete vorwärts. Das ehemalige Taxi schoß an dem blauen Ford vorbei und ließ ihn förmlich stehen.

Mylady wurde auf dem Rücksitz hin und her geworfen. Zunächst war sie bei Parkers jähem Bremsmanöver nach vorn geschleudert worden, wo sie Kontakt mit dem Vordersitz aufgenommen hatte. Bei dieser Gelegenheit war ihr der Hut über die Augen gerutscht und hatte ihr die Sicht genommen.

Als der Butler links an dem Ford vorbeizog, wurde Mylady in die andere Wagenecke befördert und anschließend durch die rake­tenartige Beschleunigung in den Sitz zurückgeworfen.

»Was soll das, Mister Parker? Wollen Sie mich umbringen?« be­schwerte sie sich, nachdem sie wieder einigen Halt gefunden hat­te und Gelegenheit nahm, an ihrer Kopfbedeckung zu zerren.

»Man bedauert, Mylady Ungelegenheiten bereitet zu haben«, entschuldigte sich Parker höflich. »Meine Wenigkeit ging davon aus, daß der Blumengruß des Motorradbeifahrers nicht nur Blu­men enthält.«

»Sondern?« Lady Agatha drehte sich um und sah zurück. Der blaue Ford war nur noch als kleiner Punkt erkennbar, das Motor­rad überholte ihn gerade.

»Man könnte sich vorstellen, daß der Strauß einen Sprengkör­per enthält, um Mylady ins sogenannte Jenseits zu befördern«, teilte Parker seine Vermutung mit.

»Da sehen Sie, wie gefährlich ich für die Unterwelt bin«, ent­gegnete die passionierte Detektivin.

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Parker lenkte seinen Wagen in eine schmale Seitenstraße, von der er wußte, daß sie auf einem verlassenen Bauplatz endete. Hier wollte er die Motorradfahrer entwaffnen und sich von seinem Verdacht überzeugen.

»Sie haben sich verfahren, Mister Parker«, zeigte Lady Agatha eine gewisse Schadenfreude, als die Straße plötzlich nicht mehr weiterging. Das ehemalige Taxi rollte auf einem mit Zementstaub und Unrat bedeckten Platz aus und kam vor einer halbverfallenen Baubude zum Stehen.

»Man wählte diesen Platz durchaus mit einiger Absicht«, korri­gierte der Butler sie höflich. »Hier dürfte man in der Lage sein, die Herren zu empfangen, ohne Unbeteiligte zu gefährden.«

*

Das Dröhnen der schweren Maschine war schon von weitem zu hören. Parker hatte Mylady zu einer Baumgruppe geführt, die gut fünfzig Meter entfernt stand und mit ihrer dichten Belaubung aus­gezeichneten Schutz bot.

Der Butler traf einige Vorbereitungen, um die Verfolger würdig zu empfangen. Er rechnete damit, daß er es nur mit den beiden Männern auf dem Motorrad zu tun hatte. Der Ford hatte mit Si­cherheit nur als Ablenkung gedient und war inzwischen wahr­scheinlich verschwunden.

Das Motorrad bog in die schmale Straße ein und kam in hals­brecherischem Tempo näher. Es war nur noch wenige Meter von dem Bauplatz entfernt, als es passierte.

Die Reifen des Krads wurden plötzlich entlüftet. Kleine, soge­nannte Krähenfüße aus über Kreuz verschweißten Stahldornen hatten sie liebevoll der dringend benötigten Luft beraubt.

Der Lenker der Maschine spürte, wie sein Fahrzeug in eine völlig andere Richtung wollte. Er spannte die Muskeln an und stemmte sich gegen den drohenden Wechsel.

Einen Augenblick schien es, als würde er die Oberhand behal­ten, doch dann erwies sich die Maschine als stärker. Sie brach aus, donnerte auf einen schmalen Graben zu und rumpelte auf platten Reifen hinein.

Die beiden jungen Männer sahen sich genötigt, ihr Fahrzeug im freien Flug zu verlassen. Sie klammerten sich nicht länger fest,

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ließen los und folgten den Gesetzen der Schwerkraft. Der Fahrer steuerte jenseits des Grabens eine Buschreihe an,

die aus wehrhaften Pflanzen gebildet wurde. Sie verfügten über solide Dornen und bohrten sich umgehend und kraftvoll in die Kombination des Eindringlings.

Der Mann stellte fest, daß auch solides Leder nicht alles abhält. Einige länger geratene Dornen durchbrachen die Kombination und krallten sich in die Haut des Ex-Motorradlenkers. Er schrie wütend auf, schlug wild mit den Armen und Beinen um sich und sackte dadurch nur noch tiefer in die Büsche. Dabei erweckte er das In­teresse weiterer Dornen, die sich ihren »Kollegen« anschlossen und den Körper des Eindringlings auf seine Widerstandsfähigkeit testeten.

Der Mann auf dem Sozius entschied sich dafür, sich in den Grund des Grabens zu bohren. Dieser bestand aus nachgiebigem Schlamm, der ihn schmatzend einschloß.

Lady Agatha hatte ihre Deckung verlassen und kam pompa­dourschwingend herbei. Sie stapfte zu der Buschreihe hinüber, in der sich der Fahrer verhakt hatte. Umgehend machte sie sich an seine Bergung. Sie packte den Mann am Kragen der Lederkombi­nation, stemmte die Füße in den Boden und zog beherzt. Der mitgenommene junge Mann spürte, wie eine unbändige Kraft an seinem Kragen in die eine Richtung zog, während die Dornen sich nur noch tiefer in seine Haut bohrten.

Er schrie und flehte seine Retterin an, Vorsicht walten zu lassen. Mylady überhörte aber diskret sein Flehen. Sie hielt es für die Äußerung eines ausgesprochen wehleidigen Menschen, der end­lich einsehen mußte, daß das Leben nicht nur angenehme Seiten bot, ganz abgesehen davon, daß er ihrer Meinung nach ihr nach dem Leben trachtete.

»Haben Sie sich nicht so«, grollte die ältere Dame und entriß dem widerstrebenden Busch ein weiteres Stück Motorradfahrer. »Gleich sind Sie frei, und dann habe ich einige Fragen an Sie, Sie Lümmel.«

Der »Lümmel« konnte nicht mehr darauf antworten, flüchtete sich in eine wohltuende Ohnmacht und bekam auf diese Weise nicht mit, wie er endgültig frei wurde und den Busch hinter sich ließ.

Josuah Parker kümmerte sich indessen um den Mann im Gra­ben. Er reichte ihm den Bambusgriff seines Universal­

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Regenschirmes und zog den spuckenden und fluchenden Mann aus dem übelriechenden Matsch.

»Ich habe nicht die Absicht, die beiden Subjekte mitzunehmen, Mister Parker«, machte Mylady deutlich. »Ich hoffe, Ihnen fällt etwas ein, wie ich sie sicher unterbringen kann.«

»Mylady werden zufrieden sein«, wußte Parker im voraus und begab sich zu dem verlassenen Bauplatz zurück. Er hatte schnell gefunden, was er suchte.

Zehn Minuten später waren die Motorradhelden sicher unterge­bracht. Sie saßen in einem alten Bottich, den Parker mit Zement und Wasser aufgefüllt hatte.

Bei dem Zement handelte es sich um ein schnellbindendes Qua­litätsprodukt, von dem der Butler noch einige aufgerissene Säcke in einer Ecke des ehemaligen Bauplatzes gefunden hatte. Dieser Zement hatte bereits abgebunden und engte die Bewegungsfrei­heit der Bottichinsassen erheblich ein.

In einem anderen Bottich, direkt vor der Brust des Soziusfah­rers, steckte der Blumengruß, den Parker unweit der umgestürz­ten Maschine gefunden hatte. Neben den Strauß hatte Parker die Dynamitstange auf den harten Beton gelegt. Diese Dynamitstan­ge hatte ursprünglich samt Zünder in dem Strauß gesteckt und war dazu bestimmt gewesen, das hochbeinige Monstrum in die Luft zu jagen, wie die Motorradler zähneknirschend zugaben.

Parker hatte den Zünder eingesteckt, damit nichts passieren konnte, und die Dynamitpackung bewußt lose auf den bereits abgebundenen Zement gelegt. Er wollte den Sprengstoff nicht miteinbetonieren, damit bei der anschließenden Befreiungsaktion für die Gangster nicht versehentlich eine Detonation ausgelöst wurde.

»Ihr könnt uns doch nicht einfach zurücklassen«, beschwerte sich der Soziusfahrer mit weinerlicher Stimme.

»Man wird unterwegs die Feuerwehr benachrichtigen, damit sie sich Ihrer annimmt«, versprach Josuah Parker ihm. »Bis dahin könnten Sie sich schon eine Erklärung für das Dynamit und Ihre Waffen einfallen lassen.« Auch diese Waffen der Ganoven, zwei Pistolen sowie zwei Messer, steckten im Beton und waren nicht zu übersehen.

Parker nickte den beiden zur Reglosigkeit verurteilten Herren grüßend zu und lüftete höflich die Melone.

»Wenn man Mylady zur Weiterfahrt einladen dürfte?«

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»Sie dürfen, Mister Parker.« Agatha Simpson nickte ihrem But­ler huldvoll zu und kletterte in den Fond von Parkers Privatwagen. »Wie gesagt, eine sehr hübsche Idee, Mister Parker«, lobte sie noch mal und lehnte sich versonnen lächelnd in eine Ecke. »Dabei kommt mir ein großartiger Einfall.«

»Dürfte meine bescheidene Wenigkeit davon hören?« bat Josu­ah Parker, während er das ehemalige Taxi wendete und zur Hauptstraße chauffierte.

»Wie wäre es, wenn man grundsätzlich alle Ganoven nach ihrer Verurteilung auf diese Weise festhielte, Mister Parker?« überlegte die ältere Dame. »Das würde enorm abschrecken, meinen Sie nicht auch? Und es könnte niemand mehr ausbrechen. Abgesehen davon könnte man auch eine Touristenattraktion daraus machen, dann wären die Lümmel wenigstens zu etwas zu gebrauchen. Was halten Sie davon?«

»Ein bemerkenswerter Vorschlag, Mylady«, fand Parker, ohne eine Miene zu verziehen.

»Ich werde mal mit dem Innenminister sprechen, wenn ich ihn wieder sehe«, fuhr sie fort. »Er wird mir dankbar sein für diesen Tip.«

Parker verzichtete auf eine Antwort. Er konnte sich gut das Ge­sicht des Mannes vorstellen, wenn er von Myladys Vorschlag er­fuhr. Er hoffte allerdings in des Ministers Interesse, daß dies nie geschah.

*

Samuel Tanner, der Hehler, betrieb zur Tarnung eine Reihe von Gebrauchtwarenläden. Er selbst hielt sich grundsätzlich in dem größten auf, der sich in der Crispin Street direkt gegenüber dem Früchte-Großmarkt befand.

Josuah Parker stellte das ehemalige Londoner Taxi in einem Parkhaus in der Nähe ab und führte seine Herrin den kurzen Weg zurück. Ein älterer Obsthändler, der rauchend vor der Früchte­großhalle gestanden hatte, entschied sich in diesem Augenblick, zu seinem Laden zurückzufahren, und ging auf seinen klapprigen Lieferwagen zu, den er in der Nähe abgestellt hatte. Dabei kam er an Lady Agatha und Josuah Parker vorbei und rempelte den But­ler versehentlich an.

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»Verzeihung, Sir«, sagte er, während er an seine Mütze tippte und Parker zunickte. »Ist ja nichts weiter passiert, wie?«

»In der Tat, Sir«, gab Parker zurück und nickte dem Mann mit der grünen Schürze zu.

»Sie werden schon erwartet, seien Sie vorsichtig«, flüsterte der Obsthändler, während er bereits weiterging. Dabei berührte er Parkers Schirm und ließ einen Zettel in die Falten rutschen.

»Mylady haben Mister Pickett natürlich erkannt«, vermutete der Butler. Er ließ unauffällig eine Hand in die Schirmfalten gleiten und angelte nach dem Zettel, der vereinbarungsgemäß einen Plan des Anwesens zeigte, auf dem sich der Gebrauchtwarenhandel Samuel Tanners befand.

»Natürlich, Mister Parker, was meinen Sie denn?« gab die Lady ein wenig unkonzentriert zurück und blickte interessiert auf den Früchtegroßmarkt, wo reges Treiben herrschte.

»Mister Pickett war der Obsthändler, dem Mylady und meine bescheidene Wenigkeit begegneten«, antwortete Parker höflich. »Mister Pickett war so freundlich, Mister Tanner zu beobachten«, unterrichtete er sie weiter. »Er teilte meiner bescheidenen We­nigkeit außerdem mit, daß man Mylady bereits erwartet.«

Der Butler deutete auf ein schmutziggraues, zweistöckiges Ge­bäude auf der anderen Straßenseite. »Das Domizil des Mister Tanner«, erklärte er. »Wenn man Mylady bitten dürfte, sich zur Rückseite zu begeben?«

*

»Wo haben Sie so lange gesteckt, Mister Parker?« erkundigte sich Lady Agatha ungeduldig.

»Man hat sich nur vergewissert, daß sich keine Kunden im La­den befinden, Mylady«, gab Parker gemessen zurück. Er hatte das Gebäude des Hehlers einmal umrundet und dabei einer ge­wissenhaften Prüfung unterzogen. Er hatte sich erlaubt, mit Hilfe seines Spezialbestecks die Vordertüren zu verriegeln, damit sich nicht nachträglich ein Unbeteiligter in den Raum verirren konnte.

Parker sah keineswegs wie ein hochherrschaftlicher Butler aus. Er hatte einer Reisetasche, die er mit sich führte, einige Utensi­lien entnommen und Maske gemacht. Er glich einem biederen Obsthändler, wie sie zu Dutzenden vor der Früchtehalle standen.

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»Na schön, aber wie geht es denn nun weiter? Ich will doch sehr hoffen, daß es noch aufregend wird, Mister Parker.«

»Dafür könnte unter Umständen gesorgt werden«, gab Parker zurück.

Wenige Minuten später stapfte eine resolute Marktfrau auf einen jungen Mann zu. Sie trug eine grüne Kittelschürze, ein farbenfro­hes Kopftuch und hatte rosa angehauchte Wangen.

Sie baute sich vor dem Wächter auf und fragte nach dem Ge­bäude hinter ihm.

»Schwirr ab, Oma, ich habe nichts damit zu tun.« »Wie reden Sie denn mit einer alten Frau?« In diesem Augenblick erschien ein zweiter Mann, der sich hinter

einem Kistenstapel verborgen hielt. Genau das war der Grund, warum Parker Mylady gebeten hatte, sich als Köder anzubieten. Er wollte herausfinden, ob es noch einen oder mehrere Wächter auf der Rückseite von Tanners Refugium gab.

»Hast du nicht gehört, was mein Kumpel gesagt hat?« Der Neu­ankömmling baute sich vor der Marktfrau auf und wollte nach ihren Händen greifen. Im nächsten Augenblick erlebte er eine Überraschung. Die resolute Frau trat ihm gegen das Schienbein und veranlaßte ihn zu einer Stepptanzeinlage. Sein Kollege sah ihm verblüfft zu und wußte nicht, was er sagen sollte.

Lady Agatha wirbelte herum und verpaßte ihm eine Ohrfeige. Der junge Mann setzte zu einem kurzen Flug rückwärts an und landete in einem Kistenstapel.

Das war das Signal für einen dritten Mann, der aus dem Schat­ten eines Vorbaus hervorstürzte und einen Baseballschläger schwang. Er kam nicht weit. Mitten im Lauf blieb er stehen, stieg auf die Zehenspitzen und ließ seinen Schläger fallen. Dann sackte er zusammen und legte sich schlafen.

Josuah Parker steckte seine Gabelschleuder ein und begab sich zu seiner Herrin, die ihm kopfschüttelnd entgegensah. »Den hät­ten Sie mir noch lassen können«, monierte sie. »Ich war gerade so schön in Schwung.«

»Was keinesfalls und mitnichten zu übersehen war, Mylady.« Parker sah sich suchend um und entdeckte einen großen Müllcon­tainer, der genau seinen Vorstellungen entsprach. Wenige Augen­blicke später lagen die drei Wächter mit Klebeband umwickelt darin und schliefen sich aus.

»Man wird im Haus einige Vorbereitungen treffen, dann dürfte

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der letzte Akt des Falles eingeläutet werden, Mylady«, informierte Parker, während er sich bereits mit dem Schloß der Hintertür be­schäftigte.

*

Lady Agatha stand am Fuß der großen Treppe, die in den ersten Stock führte. Sie hielt den Baseballschläger des einen Wächters in der Hand und sah wohlwollend auf das riesige Fischernetz, das sich von der Decke wölbte und den Abschluß der Treppe bildete.

Josuah Parker stand im Hof. Er hielt die Gabelschleuder in Hän­den und visierte ein Fenster im Obergeschoß an, hinter dem sich die Schatten mehrerer Männer bewegten. Von Horace Pickett wußte er, daß dies das Büro des Hehlers war.

Der Butler hatte eine gläserne Spezialkapsel eingelegt, deren Inhalt aus einer Chemikalie bestand, die sich bei der Verbindung mit dem Sauerstoff der Luft als Rauchentwickler betätigte und die Atemwege reizte.

Parker korrigierte die Schußbahn ein letztes Mal, dann schickte er das Spezialgeschoß auf die Reise. Einen Augenblick später durchschlug es das Fenster zum Büro des Hehlers und krachte gegen einen Aktenschrank. Die Glaskugel platzte auseinander und setzte ihren Inhalt frei.

Nur Sekundenbruchteile danach waberten Rauchwolken durch das Büro und raubten den anwesenden Männern die Sicht. Der Rauch zwang sie zum Husten und Würgen. Sie rissen die Bürotür auf und stürzten auf den Flur.

Parker legte eine zweite Kapsel ein und schickte sie der ersten nach. Diese detonierte beim Aufprall und erzeugte einen Licht­blitz, der die Männer vollends in Panik versetzte. Sie drehten sich um, drängelten und rannten zur Treppe. Sie hatten nur noch den einen Wunsch, das Haus zu verlassen.

Lady Agatha hörte einen Aufschrei, ein Kollern und Poltern. Sie lächelte versonnen, weil sie genau wußte, was geschehen war.

Josuah Parker hatte in der Früchtegroßhalle einen Sack Hasel­nüsse besorgt und diese oben im Flur und auf der Treppe verteilt. Um ernsthafte Verletzungen zu vermeiden, hatte er die Treppe auch oberflächlich mit einer Bahn Schaumstoff bedeckt, die er von Pickett vorsorglich hatte bereitlegen lassen. Dieser Schaum­

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stoff hatte bis vor wenigen Minuten auf der Ladefläche eines klei­nen Lieferwagens gelegen, der gegenüber dem Hof des Tanner­schen Anwesens parkte, und war von Parker ins Haus gebracht worden.

Lady Agatha hörte, wie oben an der Treppe ein Schwergewicht auf die Stufen krachte und herunterrollte. Sie hob ihren Baseball­schläger und beugte sich erwartungsvoll vor, um ihren Einsatz nicht zu verpassen.

Es war der Hehler selbst, der Mylady zu ihrem Debüt verhalf. Ein Mensch kam die Treppe herabgesaust, tippte noch mal auf dem untersten Absatz auf und flog ins Netz.

Lady Agatha schlug genußvoll zu. Sie wartete, bis die »Qualle« ruhig lag, dann visierte sie kurz und ließ den Baseballschläger dezent in Aktion treten.

Josuah Parker war inzwischen neben seine Herrin getreten und nickte höflich. »Mylady konnten schon aktiv werden?« bemerkte er nach einem Blick auf den feisten Hehler.

»Und ob!« Agatha Simpsons Antwort war nur schwer zu verste­hen, da sie eine Maske trug. Parker hingegen beschränkte sich darauf, eine seiner Spezialzigarren mit Atemfilter im Mund zu halten.

Lady Agatha wandte sich wieder der Treppe zu. Von oben war dumpfes Poltern zu hören, das schnell näher kam. Ein Tohuwabo­hu aus Armen und Beinen kam die Stufen herab und donnerte in das Fangnetz. Mylady wartete einen Augenblick, bis sie zwei Köp­fe erkennen konnte, dann gongte sie die letzte Runde für den Besitzer ein.

*

»Das ist ja wohl nicht zu fassen«, staunte Chief-Superintendent McWarden, den Josuah Parker telefonisch benachrichtigt hatte. Er sah die bewußtlosen Gangster und schüttelte immer wieder den Kopf.

»Das Belastungsmaterial dürfte ausreichen, Sir?« erkundigte sich Parker höflich, der allerdings genau wußte, daß dem so war.

Während der Hehler und der »Blumenfreund« auf ihre Gäste warteten, hatten sie sich offensichtlich mit Abrechnungsproble­men beschäftigt und keine Zeit mehr gehabt, die Unterlagen weg­

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zuräumen, nachdem Parker seine Spezialgeschosse verschickt hatte. Dazu kamen die zahlreichen Waffen, die die Männer bei sich getragen hatten und allein für eine längere Haftstrafe ausrei­chen würden. Vor allem aber hatte McWarden jetzt das Recht, den Safe des Hehlers öffnen zu lassen und seinen Inhalt zu sich­ten.

»Und wer ist denn nun dieser Blumenfreund? War das Tanner etwa selbst?« wollte McWarden wissen und sah den Butler neu­gierig an.

»Der >Blumenfreund< ist jener Gentleman dort«, erläuterte Parker und deutete auf einen schlanken Mann im dunkelblauen Nadelstreifenanzug, der gerade abtransportiert wurde. »Mister Thomas Dale, ein Cousin Mister Sands. Als meine Wenigkeit er­fuhr, daß Mister Sands einen im Blumenhandel tätigen Verwand­ten hatte, ergaben sich die Zusammenhänge im Prinzip von selbst, Sir.«

»Alles schön und gut, Mister Parker, aber wie hat ein Blumen­händler einen hartgesottenen Kriminellen wie Peter Sands dazu bringen können, seine Leute für ihn arbeiten zu lassen?«

»Ein Zufall, Sir, den sich Mister Dale zunutze machte, wie zu er­fahren war.«

»Woher?« »Man muß versehentlich ein elektronisches Spezialgerät verlo­

ren haben, als man Mister Sands in seinem Büro besuchte«, gab Parker verschämt zu. »Dieses Gerät übertrug ein sehr interessan­tes Telefonat, das die Herren Sands und Dale führten, in dem dieser Umstand zur Sprache kam.«

McWarden hüstelte leicht. »Gut, übersehen wir mal, wie Sie an die Information kamen. Wie lautete sie?«

»Mister Dale wurde zufällig Zeuge eines Verkehrsunfalls, Sir. Er besuchte vor einiger Zeit den gleichen Nachtclub wie Mister Sands. Beide Herren verließen besagten Club kurz hintereinander. Mister Sands war übrigens stark angetrunken und überfuhr einen nächtlichen Heimkehrer, der seinen Verletzungen erlag. Mister Dale wurde Zeuge und…«

»… erpreßte Sands damit. Alles klar.« Chief-Superintendent McWarden nickte verstehend. »Wo ist übrigens Mylady?«

»Mylady sieht sich in Mister Tanners Gebrauchtwarenhandlung um«, informierte Parker ihn. »Sie ist auf der Suche nach einer echten Gelegenheit.«

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»Meine Güte, das hat sie doch nun wirklich nicht nötig«, ver­setzte McWarden erstaunt. »Sie will doch nicht wirklich ein Se­cond-Hand-Kleid oder so was ähnliches kaufen?«

»Mylady dachte eigentlich eher an einen Satelliten«, informierte Parker ihn würdevoll.

»Satellit, Mister Parker? Ich verstehe kein Wort!« McWarden sah den Butler kopfschüttelnd an.

»Das ist eine längere Geschichte, Sir«, warnte der Butler. »Im Grund baut sie auf Myladys Vermutung, daß Mister Tanner auch mit Ware handelte, die sogenannte Spione ins Land gebracht ha­ben und mit deren Verkauf sie sich eine neue Existenz aufbauen wollen.«

»Hören Sie auf, mir ist schon ganz schwindlig.« McWarden winkte ab.

»Mylady möchte ein neues Kapitel in der Verbrechensbekämp­fung auf. schlagen«, fuhr Parker fort. »Sie gedenkt, hierzu einen eigenen Satelliten einzusetzen.«

»Ich muß gehen, Mister Parker, auf mich warten dringende Ver­pflichtungen«, bemerkte McWarden grinsend und entfernte sich in Richtung Tür.

ENDE

Nächste Woche erscheint BUTLER PARKER Band 412

Günter Dönges

PARKER legt die »Wäscher« trocken

Es geht ihnen um illegal erworbenes Geld, das im Ausland »ge­waschen« werden soll. Koffer, die mit Geld vollgepackt sind, wer­den über die Grenzen geschafft und weitergereicht. Diese »Waschanlage« arbeitet perfekt, bis Butler Parker und Lady Agat­ha eine gewisse Sicherstellung vornehmen. Die ältere Dame denkt im Traum nicht daran, sich von ihrer Fundsache zu tren­nen, und gerät prompt in die Schußlinie ausgebuffter Gangster, die als »Wäscher« tätig sind. Sie merken sehr schnell, mit welch skurrilen Gegnern sie es zu tun haben, aktivieren Profis aus der Mordszene und erleben ein blaues Wunder nach dem anderen. Josuah Parker muß wieder mal tief in seine Trickkiste greifen, um

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die Oberhand zu behalten. Günter Dönges schrieb einen PARKER-Krimi, in dem ein aktuel­

les Thema mit Witz und Spannung abgehandelt wird. Wer gern schmunzelt, wird hier bestens bedient.

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