pannusartige hornhauttrübungen und multiple mesodermale fehlbildungen bei einem 6-jährigen jungen

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Ophthalmologe 2007 · 104:601–602 DOI 10.1007/s00347-006-1438-0 Online publiziert: 10. November 2006 © Springer Medizin Verlag 2006 C. Schüller · M. Schneider · C. H. Meyer Philipps-Universität Marburg Pannusartige Hornhaut- trübungen und multiple mesodermale Fehlbildungen bei einem 6-jährigen Jungen Bild und Fall Vorgeschichte Ein 6-jähriger dunkelhäutiger Junge mit bilateralen Hornhauttrübungen und hochgradiger Visusminderung wurde unter der Fragestellung einer möglichen chirurgischen Sehrehabilitation in un- serer Kinderabteilung vorgestellt. Zuvor hatte die Familie eine humangenetische Beratungsstelle aufgesucht, um mögliche Vererbungsrisiken für weitere Schwan- gerschaften untersuchen zu lassen. Die Familienanamnese ergab keine Hinweise auf Fehlbildungen, neurologische Krank- heiten, Chromosomenanomalien sowie vermehrte Aborte oder Totgeburten. Al- le Geschwister des betroffenen Patienten waren gesund. Klinische Befunde Biomikroskopisch zeigte sich beidseits ei- ne pannusartige, milchige Hornhauttrü- bung mit peripherer und teilweise auch zentraler Vaskularisation. Die Hornhaut- sensiblität war auf Berührung aufgehoben. Die Vorderkammer erschien tief und zeigte schemenhaft eine ausgeprägte Irisdysge- nesie (. Abb. 1). Eine fundierte Beurtei- lung von tiefer liegenden Strukturen war nicht möglich. In der B-Scan-Ultraschall- untersuchung kam beidseits ein Staphylo- ma posticum zur Darstellung (. Abb. 2). Der Glaskörperraum war echoarm und die Netzhaut allseits anliegend. Die Visusprüfung ergab eine Sehkraft von 0,01 an beiden Augen, was dem Pa- tient ein orientierendes Sehen gab. Das Farbensehen war mit den Ishihara-Ta- feln intakt. Im Binokularstatus konnte ein Pendelnystagmus, überlagert von einem linksschlägigen Rucknystagmus mittlerer Amplitude und Frequenz, ermittelt wer- den. Bei linksseitiger Führung zeigte sich eine Esotropie von +15°. Der Patient war von altersentspre- chender geistiger Entwicklung, litt jedoch unter Analatresie und multiplen knöcher- nen Fehlbildungen an den Händen. Aus der Eigenanamnese ging hervor, dass ein Hodenhochstand zu einem früheren Zeit- punkt operativ versorgt worden war. Abb. 1 8 Rechtes und linkes Auge zeigen eine komplette, pannusartige Hornhauttrübung mit peripherer und teilweise auch zentraler Vaskularisation. Als weitere Struktur ist in der Vorderkam- mer eine Irisdysgenesie schemenhaft zu erkennen Abb. 2 9 Rechtes Auge: Im horizon- talen B-Scan-Ultra- schallbild stellt sich ein Staphyloma posticum dar. Der Glaskörper- raum erscheint echo- arm und die Netzhaut ist allseits anliegend Ihre Diagnose? D 601 Der Ophthalmologe 7 · 2007 |

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Ophthalmologe 2007 · 104:601–602DOI 10.1007/s00347-006-1438-0Online publiziert: 10. November 2006© Springer Medizin Verlag 2006

C. Schüller · M. Schneider · C. H. MeyerPhilipps-Universität Marburg

Pannusartige Hornhaut-trübungen und multiple mesodermale Fehlbildungen bei einem 6-jährigen Jungen

Bild und Fall

Vorgeschichte

Ein 6-jähriger dunkelhäutiger Junge mit bilateralen Hornhauttrübungen und hochgradiger Visusminderung wurde unter der Fragestellung einer möglichen chirurgischen Sehrehabilitation in un-serer Kinderabteilung vorgestellt. Zuvor hatte die Familie eine humangenetische Beratungsstelle aufgesucht, um mögliche Vererbungsrisiken für weitere Schwan-gerschaften untersuchen zu lassen. Die Familienanamnese ergab keine Hinweise auf Fehlbildungen, neurologische Krank-heiten, Chromosomenanomalien sowie vermehrte Aborte oder Totgeburten. Al-le Geschwister des betroffenen Patienten waren gesund.

Klinische Befunde

Biomikroskopisch zeigte sich beidseits ei-ne pannusartige, milchige Hornhauttrü-bung mit peripherer und teilweise auch zentraler Vaskularisation. Die Hornhaut-sensiblität war auf Berührung aufgehoben. Die Vorderkammer erschien tief und zeigte schemenhaft eine ausgeprägte Irisdysge-nesie (.Abb. 1). Eine fundierte Beurtei-lung von tiefer liegenden Strukturen war nicht möglich. In der B-Scan-Ultraschall-untersuchung kam beidseits ein Staphylo-ma posticum zur Darstellung (.Abb. 2). Der Glaskörperraum war echoarm und die Netzhaut allseits anliegend.

Die Visusprüfung ergab eine Sehkraft von 0,01 an beiden Augen, was dem Pa-tient ein orientierendes Sehen gab. Das Farbensehen war mit den Ishihara-Ta-

feln intakt. Im Binokularstatus konnte ein Pendelnystagmus, überlagert von einem linksschlägigen Rucknystagmus mittlerer Amplitude und Frequenz, ermittelt wer-den. Bei linksseitiger Führung zeigte sich eine Esotropie von +15°.

Der Patient war von altersentspre-chender geistiger Entwicklung, litt jedoch unter Analatresie und multiplen knöcher-nen Fehlbildungen an den Händen. Aus der Eigenanamnese ging hervor, dass ein Hodenhochstand zu einem früheren Zeit-punkt operativ versorgt worden war.

Abb. 1 8 Rechtes und linkes Auge zeigen eine komplette, pannusartige Hornhauttrübung mit peripherer und teilweise auch zentraler Vaskularisation. Als weitere Struktur ist in der Vorderkam-mer eine Irisdysgenesie schemenhaft zu erkennen

Abb. 2 9 Rechtes Auge: Im horizon-talen B-Scan-Ultra-schallbild stellt sich ein Staphyloma posticum dar. Der Glaskörper-raum erscheint echo-arm und die Netzhaut ist allseits anliegend

Ihre Diagnose? D

601Der Ophthalmologe 7 · 2007  | 

Diskussion

VACTERL-Assoziation (OMIN 276950) steht als Akronym für verschiedene mesenchymale Fehlbildungen; zu den Haupterkrankungen gehören:Fvertebrale Fehlbildungen mit 66%,FAnalatresien mit 60%,FHerzfehler (Cardiovascular anoma-

lies) mit 50%,FTracheoösophagealfisteln mit 60%,

Ösophagusatresien (Esophageal atre-sie), renale Fehlbildungen mit 50%,

FFehlbildungen der oberen Extremi-täten (Upper limb defects) mit 35% [1].

Die Diagnose kann beim Vorliegen von zwei Symptomen, ohne erkennbare zu-grunde liegende Störung, gestellt werden. Die Multiorganmissbildung ist mit einer In-zidenz von 524:3.000.000 eher selten [2, 3].

Okuläre Manifestationen wurden bis-her bei der VACTERL-Assoziation nur vereinzelt beschrieben. Hierzu zählen ei-ne komplett fehlende Hornhautsensibli-tät, neuroparalytische Keratitis mit rezi-divierenden Hornhauterosionen, gefolgt von häufig selbstinduzierten Hornhautlä-sionen [4]. Weiterhin wurden ein nichtpa-ralytischer Strabismus und Anisometro-pie sowie in einem Fall eine bilateral kon-genitale Fehlanlage der Tränenwege beob-achtet [5]. Eine vergleichbar starke, pan-nusartige Hornhauttrübung wurde bisher in der Literatur nicht beschrieben.

Die VACTERL-Assoziation tritt ge-wöhnlich sporadisch auf, nur in seltenen Fällen wurden mehrere Familienmit-glieder mit jeweils unterschiedlichen Fehl-bildungen dokumentiert. Man geht davon aus, dass es sich bei der VACTERL-Asso-ziation um eine generelle Fehldifferenzie-rung des embryonalen Mesenchyms han-delt, welche bereits vor dem 35. Schwan-gerschaftstag eintritt. In diesen Zeitraum fällt auch der Beginn der okulären Ent-wicklung mit der Differenzierung von mesodermalen Zellen zu Hornhautendo-thelzellen ab dem 24. Entwicklungstag so-

wie der ektodermalen Anlage der Iris bis zum 35. Entwicklungstag. Pathogenetisch kann demzufolge die Hornhaut- und Iris-dysgenesie als mesodermaler Entwick-lungsdefekt in Verbindung mit der VAC-TERL-Assoziation gesehen werden. Bei unserem Patienten bestand bezüglich sei-ner ophthalmologischen Befunde leider keine Therapiemöglichkeit.

Korrespondierender AutorPD Dr. C. H. MeyerPhilipps-Universität MarburgRobert-Koch-Straße 4, 35037 [email protected]

Interessenkonflikt. Es besteht kein Interessenkon-flikt. Der korrespondierende Autor versichert, dass kei-ne Verbindungen mit einer Firma, deren Produkt in dem Artikel genannt ist, oder einer Firma, die ein Kon-kurrenzprodukt vertreibt, bestehen. Die Präsentation des Themas ist unabhängig und die Darstellung der In-halte produktneutral.

Literatur

1. Rittler M, Paz JE, Castilla EE (1996) VACTERL asso-ciation, epidemiologic definition and delineation. Am J Med Genet 63: 529–536

2. Weaver DD, Mapstone CL, Yu PL (1986) The VATER association. Analysis of 46 patients. Am J Dis Child 140: 225–229

3. Werner W, Beintker M, Schubert J et al. (1998) Das VATER-Syndrom aus urologischer Sicht. Urologe 37: 203–205

4. Cruysberg JR, Draaijer RW, Pinckers A et al. (1998) Congenital corneal anesthesia in children with the VACTERL association. Am J Ophthalmol 125: 96–98

5. Harrison AR, Dailey RA, Wobig JL (2002) Bilateral congenital lacrimal anlage ducts (lacrimal fistula) in a patient with the VACTERL association. Ophthal Plast Reconstr Surg 18: 149–150

D Diagnose: Okuläre Manifestation im Rahmen einer VACTERL-Assoziation

Retinopathia diabeticaNeue Bezugsquelle für IFdA-Unter- suchungsbogen

Die Initiativgruppe „Früherkennung dia-betischer Augenerkrankungen” hat schon vor Jahren einen Untersuchungsbogen für die Augenuntersuchung beim Diabetiker entwickelt, um einen Qualitätsstandard festzulegen und ein Kommunikationsmittel zwischen Augenärzten und den zuweisenden Internisten zu schaffen. Der Bogen wurde inzwischen in einer Auflage von mehreren hunderttausend Exemplaren gedruckt und wird in manchen Regionen auch im Rahmen von Disease-Management-Programmen verwendet.

Der „Augenfachärztliche Untersuchungs-bogen“ kann über Internet (www.die-ifda.de/downloads/Augenbogen.pdf) herunter-geladen und ausgedruckt werden.

Das fertig konfektionierte Formular ist seit kurzem nicht mehr bei Lilly erhältlich, sondern kann bei Novartis in Nürnberg – aus-schließlich per Fax: 0911 / 27312668 – unter Angabe der Artikelnummer 303021 bestellt werden und wird für die Bezieher kostenlos geliefert.

Quelle: http://www.die-ifda.de

Fachnachrichten

602 |  Der Ophthalmologe 7 · 2007