nekrolog auf leonid wassiljewitsch blumenau

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Nekrolog auf Leonid Wassiljewitsch Blumenau. Von E. Wenderowii!, Leningrad. (Eingegangen am 6. Januar 1932.) Leonid Wassiljewitsch Blumenau wurde am 21. September 1862 im Pskowschen Gouvernement geboren. Seine Kindheit verbrachte er auf dem Gute seiner Eltern. Als das Kind das Schulalter erreicht hatte, zog die Familie, auf Dr~ngen der Mutter, die bestrebt war, dem einzigen Sohne eine m6glichst gute Bildung zu geben, naeh Petersburg, wo der Knabe das I. klassische Gymnasium besuchte. Im Jahre 1880 absolvierte er das Gymnasium als Primus, und trat, seiner heiBen natur- philosophischen Forschbegier folgend, in die naturwissenschaftliche Ab- teilung der physikalisch-mathematischen Fakult~t der Universit~t ein, wo er 2 Jahre lang studierte. Von da ging er in die milit~r-medizinische Akademie fiber, wo er seinen richtigen Lebensplatz fand. Nach Absol- vierung der Akademie wurde er zur weiteren Fortbildung an der- selben fiir weitere 3 Jahre belassen, wiihrend der er in der neuropsychia- trischen Klinik von J. P. Mershejewsky t~tig war. Im Jahre 1889, nach Verteidigung der Dissertation ,,Zur Lehre vom Druck aufs Gehirn" wurde er fiir 2 Jahre zum Weiterstudium nach dem Auslande geschickt. Die Hauptzeit seines ausl~ndischen Aufenthaltes wurde dem Studium der Morphologie und Embryologie des Nervensystems gewidmet, wobei Blumenau am I. anatomischen Institute in Berlin bei Waldeyer und in Leipzig bei Flechsig studierte. Eine Zeit lang arbeitete er auch bei Golgi in Pavia. Die letzten 7 Monate wurden dem klinischen Studium bei Charcot in der ,,Salp~tri~re" und in der psychiatrischen Klinik yon Magnan in Paris gewidmet. Nach seiner Rfickkehr aus dem Auslande im Jahre 1892 wurde ihm die Privatdozentur erteilt. Seine Forschungs- und Unterrichtsarbeit in den folgenden 5 Jahren an der militi~r-medi- zinischen Akademie galt der Morphologie des Nervensystems und der Klinik der Nervenkrankheiten. AuBerdem richtete er, als Konsultant einer ~rztlich-p~dagogischen Anstalt, seine Aufmerksamkeit auch auf die Fragen der i~rztlichen P~dagogik und auf das Degenerationsproblem, sowie auf die Balneotherapie der ~ervenkrankheiten, letzteres besonders in der Sommerzeit als Konsultant in einem Kurorte. Im Jahre 1897 muBte Blumenau die Leitung der Nervenabteilung des Milit~rhospitals in Warschau fibernehmen. Hier besch~ftigte er sich vor allem mit dem

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Nekrolog auf Leonid Wassiljewitsch Blumenau. Von

E. Wenderowii!, Leningrad.

(Eingegangen am 6. Januar 1932.)

Leonid Wassiljewitsch Blumenau wurde am 21. September 1862 im Pskowschen Gouvernement geboren. Seine Kindheit verbrachte er auf dem Gute seiner Eltern. Als das Kind das Schulalter erreicht hatte, zog die Familie, auf Dr~ngen der Mutter, die bestrebt war, dem einzigen Sohne eine m6glichst gute Bildung zu geben, naeh Petersburg, wo der Knabe das I. klassische Gymnasium besuchte. Im Jahre 1880 absolvierte er das Gymnasium als Primus, und trat, seiner heiBen natur- philosophischen Forschbegier folgend, in die naturwissenschaftliche Ab- teilung der physikalisch-mathematischen Fakult~t der Universit~t ein, wo er 2 Jahre lang studierte. Von da ging er in die milit~r-medizinische Akademie fiber, wo er seinen richtigen Lebensplatz fand. Nach Absol- vierung der Akademie wurde er zur weiteren Fortbildung an der- selben fiir weitere 3 Jahre belassen, wiihrend der er in der neuropsychia- trischen Klinik von J. P. Mershejewsky t~tig war. Im Jahre 1889, nach Verteidigung der Dissertation ,,Zur Lehre vom Druck aufs Gehirn" wurde er fiir 2 Jahre zum Weiterstudium nach dem Auslande geschickt. Die Hauptzeit seines ausl~ndischen Aufenthaltes wurde dem Studium der Morphologie und Embryologie des Nervensystems gewidmet, wobei Blumenau am I. anatomischen Institute in Berlin bei Waldeyer und in Leipzig bei Flechsig studierte. Eine Zeit lang arbeitete er auch bei Golgi in Pavia. Die letzten 7 Monate wurden dem klinischen Studium bei Charcot in der ,,Salp~tri~re" und in der psychiatrischen Klinik yon Magnan in Paris gewidmet. Nach seiner Rfickkehr aus dem Auslande im Jahre 1892 wurde ihm die Privatdozentur erteilt. Seine Forschungs- und Unterrichtsarbeit in den folgenden 5 Jahren an der militi~r-medi- zinischen Akademie galt der Morphologie des Nervensystems und der Klinik der Nervenkrankheiten. AuBerdem richtete er, als Konsultant einer ~rztlich-p~dagogischen Anstalt, seine Aufmerksamkeit auch auf die Fragen der i~rztlichen P~dagogik und auf das Degenerationsproblem, sowie auf die Balneotherapie der ~ervenkrankheiten, letzteres besonders in der Sommerzeit als Konsultant in einem Kurorte. Im Jahre 1897 muBte Blumenau die Leitung der Nervenabteilung des Milit~rhospitals in Warschau fibernehmen. Hier besch~ftigte er sich vor allem mit dem

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Studium der nervSsen Degenerationssymptome. Im Jahre 1903 kehrte er, zum leitenden Professor der Nervenabteilung des klinischen Insti tuts ffir/~rztliche Fortbildung erw~hlt, nach Petersburg zurfick und bekleidete dieses Amt bis zu seinem letzten Lebenstage. Eine seiner ersten Sorgen war die Organisation eines histologischen Laboratoriums, aus welchem eine Reihe yon Arbeiten, sowohl yon ihm selbst als aueh yon seinen Mitarbeitern, hervorgegangen ist. 1907 begann er die Herausgabe seines Hauptwerkes - - des Leitfadens der Anatomie und Physiologie des Nervensystems fi~r ]clinische Zweclce unter dem Titel ,,Gehirn des Men- schen". Von 1904 bis 1912 lase r fiber Psychopathologie des Kindesalters in der pi~dologischen Akademie des Bildungsbundes. 1909 wurde von ihm die ,,Gesellschaft ffir Bildung und Erziehung anomaler Kinder" gegrfindet, die er als Vorsitzender leitete. Im Jahre 1924 nahm er leb- haften Anteil an der Organisation der Leningrader Neurologengesell- schaft, deren st/indiger und immer einstimmig wiedererw~hlter Vor- sitzender er bis zu seinem Tode blieb. Seit 1926 bis zu seinem letzten Lebenstage war er Konsultant des Instituts ffir chirurgische Neuro- pathologie. Im Jahre 1926 wurde er zum Ehrenmitglied der Psychiater- gesellschaft in Leningrad und im Jahre 1929 auch der nordkaukasischen Psychiater- und Neuropathologengesellschaft erw/~hlt.

Leonid Wassiljewitsch Blumenau hat 69 wissensehaftliche Arbeiten verSffentlieht. Darunter besteht ein Drittel (23) aus Arbeiten morpho- logischen Inhalts (die wiehtigsten davon sind folgende : ,,Zur Entwicklungs- geschichte und feineren Anatomie des Hirnbalkens", , ,~ber den i~ul~eren Kern des Keilstranges" 1, , ,~ber Nervenzellen des Rfickenmarks", ,,Zur mikroskopischen Anatomie der Medulla oblongata", ,,Uber den Ursprung der Herzvagusfasern"). Klinischen Inhalts ist etwa die H/~lfte seiner Arbeiten (39). 2 Arbeiten beziehen sich auf die Degeneration (,,Hyste- rische Stigmata und Degeneration", ,,Moralische Evolution und Degene- ration"). Ein hterarisch-psychologisches Thema behandelt eine Arbeit (,,Zur Frage fiber Hamlet"). Ein patho-physiologisches Thema behandelt sein ,,Versuch einer physiologischen Auffassung der Hysterie". Bio- graphischen Inhalts sind 2 Arbeiten (dem Andenken seines Lehrers J. P. Mershejewslcy und E. Segwen gewidmet). ])as umfangreichste und popul~rste Werk in unserem- V~terlande, welches Anatomie, Physiologie und Klinik zu einem harmonischen Ganzen vereinigt, ist sein Leitfaden der Neurologie ,,Gehirn des Menschen", dessen zwei Auflagen schon voll- st/~ndig vergriffen sind. Dieses Werk hat in der russischen Literatur etwa denselben Wert, wie die ,,Gehirnpathologie" yon Monakow in der ausls es ist meisterhaft gesehrieben und ist reich an feinen und tiefen analytischen Betrachtungen.

1 Dieser Kern sollte zweifellos, der Gerechtigkeit halber, den Namen yon Blumenau tragen, obgleich es in der auslandischen Literatur tiblich ist, ihn mit den Namen eines anderen Autors zu bezeichnen.

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Blumenau war aber nieht nur ein grol~er Forseher yon reichster Bildung, ein vortrefflicher P~dagoge, ein feiner Kenner und gesehiekter I-Ieilkiinstler der leidenden Seele und des kranken Nervensystems und hervorragender Sozialarzt, er war, was gegenw~rtig noch sehr wenige wissen, auch Dichter. 250 Originalgedichte und ein dramatisohes Poem ,,Jpatie", sowie eine ~)bersetzung von 50 lyrisehen Werken ausl~ndischer {sein Lieblingsdiehter war Lenau) und lateiniseher Poeten und yon 600 Epigrammen der S~nger des alten Hellas stammen yon ihm. ,,Der Harmonie des Vers's, das loekende Geheimnis" war ihm gut bekannt under fiillte seine musikalischen Verse mit tiefem Inhalt.

In der Naeht am 9./10. November hat eine Thrombose der Coronar- arterie des Herzens plStzlich und vorzeitig das physische Dasein Blumenaus beendet, vermochte aber nieht, den reichen Inhalt seines Lebens auszulSschen. Seine zahtreichen Originalarbeiten, besonders sein Buch: ,,Gehirn des Menschen" werden st~ndig fortdauern. Ebenso werden seine Gedichte, die den Titel: ,,Das Herz des ]~enschen" fiihren, der Vernichtung entgehen.

,,FUr Seelen- und Naturkrs gibt's in der Welt keinen spurlosen Verlust" lautete einer der Ausspriiche Blumenaus. Die Riehtigkeit dieses die UnzerstSrbarkeit der Seelenenergie betonenden Wortes ist gls dureh sein persSnliehes Leben best~tigt worden. Er wird im Ged~chtnis derjenigen, die mit ihm n~her verkeh~ten, fiir immer fortleben.