memento mori; memento mori;

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Z Gerontol Geriat 2012 · 45:333–338 DOI 10.1007/s00391-012-0331-5 Online publiziert: 28. April 2012 © Springer-Verlag 2012 C. Lucke 1  · M. Lucke 1  · M. Gogol 2  · U. Rademacher 3 1 Isernhagen 2 Klinik für Geriatrie, Krankenhaus Lindenbrunn, Coppenbrügge 3 Hannover Memento mori Was lehren die alten Abbildungen   über das Sterben in früheren Zeiten? Originalarbeit Wenn wir uns fragen, was die Menschen im späten und ausgehenden Mittelal- ter vom Sinn des Lebens und zum Ster- ben gedacht haben, sind wir auf das Stu- dium weniger, zumeist handgeschriebe- ner Bücher und gemalter, später auch ers- ter gedruckter Bilder angewiesen. Erst seit der Erfindung der Buchdruckkunst in der Mitte des 15. Jahrhunderts vermitteln ers- te Bücher einen Einblick in das Denken und Fühlen der Menschen in damaliger Zeit. Trotz der bald einsetzenden schnel- len Verbreitung früher Druckwerke muss berücksichtigt werden, dass die meis- ten Menschen im ausgehenden 15. Jahr- hundert des Lesens und Schreibens nicht mächtig waren und ihre religiöse Unter- richtung in der Predigt und durch das Be- trachten von Bildern in Kirchen oder an geschützten Außenmauern von Klöstern und Kirchen erfolgte. Zwei Gruppen von Ärzten sind heu- te im stationären Bereich besonders mit der Betreuung Sterbender konfrontiert, die Onkologen und die Geriater [8, 15]; und es ist nur gut, dass die Palliativmedi- zin sich zunehmend auch um die Betreu- ung nichtonkologischer Patienten bemüht und zunehmend auch in den Händen von Geriatern liegt [4, 7]. Es mag deshalb für den Geriater reizvoll sein, der Frage nach- zugehen, wie die Menschen im ausgehen- den Mittelalter über das Sterben dachten, zu einer Zeit, als sie in aller Regel in inten- siver Bindung an das Christentum lebten. Die ersten Totentänze entstanden um 1350, also ein Jahrhundert vor der Erfin- dung der Buchdruckkunst. Sie alle mahn- ten ein gottgefälliges Leben an, denn der Mensch hatte ständig eines frühen, unzei- tigen Todes gewärtig zu sein. Steht man heute – tief bewegt – vor den Fragmen- ten des großartigen Totentanzes in Tal- linn (ehem. Reval), auf dem Menschen aller Gesellschaftsschichten – in Lebens- größe dargestellt – mit dem Tode tanzen und dabei ihr Leben verlieren, so kann man sich vorstellen, welchen Eindruck diese Bilder damals auf den Betrachter gemacht haben. Die beigegebenen Texte wurden wohl von den Lesekundigen ver- lesen: So spricht der Prediger mahnend von der Kanzel (. Abb. 1): Och redelike creatuer, sy arm ofte ryke, Seer hyr spegel, junck unde olden, Unde denket hyr aen ok elderlike, Dat sik hyr nemant kann ontholden, Wanner de doet kumpt, als gy hyr seen (Ach weh, vernunftbegabte Kreatur, seiest du arm oder reich, schaut hier den Spie- gel, jung und alt, und denkt auch alle da- ran, dass sich hier niemand ausnehmen kann, wenn der Tod kommt, wie ihr hier seht …) In dem Talliner (Revaler) Totentanz sieht man den Tod mit dem Papst tanzen, mit dem Kaiser, der Kaiserin, dem Kardi- nal (. Abb. 1) und er spricht zu allen: Zu diesem Tanz rufe ich alle miteinander: Papst, Kaiser und alle Kreaturen, arm, reich, groß und klein. Tretet hervor, denn jetzt hilft kein Trauern! Aber bedenkt zu jeder Zeit, dass ihr gute Werke mit euch bringt und eure Sünden büßt; denn ihr müsst nach meiner Pfeife tanzen! Man erkennt unschwer den mahnenden Charakter eines solches Totentanzes, der, in der Kirche aufgestellt, für jeden Men- schen zugänglich war und zu einem Le- ben mit guten Werken und zur Buße der Sünden riet. Abb. 1 9Totentanz in Tallin (Reval) von Bernt Notke. Pfarrer, Tod und Papst. Entstanden um 1500 333 Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 4 · 2012|

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Page 1: Memento mori; Memento mori;

Z Gerontol Geriat 2012 · 45:333–338DOI 10.1007/s00391-012-0331-5Online publiziert: 28. April 2012© Springer-Verlag 2012

C. Lucke1 · M. Lucke1 · M. Gogol2 · U. Rademacher3

1 Isernhagen2 Klinik für Geriatrie, Krankenhaus Lindenbrunn, Coppenbrügge3 Hannover

Memento moriWas lehren die alten Abbildungen  über das Sterben in früheren Zeiten?

Originalarbeit

Wenn wir uns fragen, was die Menschen im späten und ausgehenden Mittelal-ter vom Sinn des Lebens und zum Ster-ben gedacht haben, sind wir auf das Stu-dium weniger, zumeist handgeschriebe-ner Bücher und gemalter, später auch ers-ter gedruckter Bilder angewiesen. Erst seit der Erfindung der Buchdruckkunst in der Mitte des 15. Jahrhunderts vermitteln ers-te Bücher einen Einblick in das Denken und Fühlen der Menschen in damaliger Zeit. Trotz der bald einsetzenden schnel-len Verbreitung früher Druckwerke muss berücksichtigt werden, dass die meis-ten Menschen im ausgehenden 15. Jahr-hundert des Lesens und Schreibens nicht mächtig waren und ihre religiöse Unter-richtung in der Predigt und durch das Be-trachten von Bildern in Kirchen oder an geschützten Außenmauern von Klöstern und Kirchen erfolgte.

Zwei Gruppen von Ärzten sind heu-te im stationären Bereich besonders mit der Betreuung Sterbender konfrontiert, die Onkologen und die Geriater [8, 15]; und es ist nur gut, dass die Palliativmedi-zin sich zunehmend auch um die Betreu-ung nichtonkologischer Patienten bemüht und zunehmend auch in den Händen von Geriatern liegt [4, 7]. Es mag deshalb für den Geriater reizvoll sein, der Frage nach-zugehen, wie die Menschen im ausgehen-den Mittelalter über das Sterben dachten, zu einer Zeit, als sie in aller Regel in inten-siver Bindung an das Christentum lebten.

Die ersten Totentänze entstanden um 1350, also ein Jahrhundert vor der Erfin-dung der Buchdruckkunst. Sie alle mahn-ten ein gottgefälliges Leben an, denn der

Mensch hatte ständig eines frühen, unzei-tigen Todes gewärtig zu sein. Steht man heute – tief bewegt – vor den Fragmen-ten des großartigen Totentanzes in Tal-linn (ehem. Reval), auf dem Menschen aller Gesellschaftsschichten – in Lebens-größe dargestellt – mit dem Tode tanzen und dabei ihr Leben verlieren, so kann man sich vorstellen, welchen Eindruck diese Bilder damals auf den Betrachter gemacht haben. Die beigegebenen Texte wurden wohl von den Lesekundigen ver-lesen: So spricht der Prediger mahnend von der Kanzel (. Abb. 1):

Och redelike creatuer, sy arm ofte ryke,Seer hyr spegel, junck unde olden,Unde denket hyr aen ok elderlike,Dat sik hyr nemant kann ontholden,Wanner de doet kumpt, als gy hyr seen …

(Ach weh, vernunftbegabte Kreatur, seiest du arm oder reich, schaut hier den Spie-gel, jung und alt, und denkt auch alle da-ran, dass sich hier niemand ausnehmen

kann, wenn der Tod kommt, wie ihr hier seht …)

In dem Talliner (Revaler) Totentanz sieht man den Tod mit dem Papst tanzen, mit dem Kaiser, der Kaiserin, dem Kardi-nal (. Abb. 1) und er spricht zu allen:

Zu diesem Tanz rufe ich alle miteinander:Papst, Kaiser und alle Kreaturen,arm, reich, groß und klein.Tretet hervor, denn jetzt hilft kein Trauern!Aber bedenkt zu jeder Zeit,dass ihr gute Werke mit euch bringtund eure Sünden büßt;denn ihr müsst nach meiner Pfeife tanzen!

Man erkennt unschwer den mahnenden Charakter eines solches Totentanzes, der, in der Kirche aufgestellt, für jeden Men-schen zugänglich war und zu einem Le-ben mit guten Werken und zur Buße der Sünden riet.

Abb. 1 9 Totentanz in Tallin (Reval) von Bernt Notke. Pfarrer, Tod und Papst. Entstanden um 1500

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Der Lübecker Totentanz, vermutlich im Jahre 1463 entstanden und nach einer Pestepidemie vom Rat der Stadt und eini-gen Patriziern gestiftet, ist im März 1942 einem Bombenangriff zum Opfer gefal-len, jedoch in guten Reproduktionen zu sehen [14]. Auch hier tanzen alle mit dem

Tode und nach seiner Pfeife – Papst und Kaiser, König, Bischof, Abt, Bürgermeister und Arzt, der Wucherer und viele ande-re, ja sogar die Jungfrau, nur der Säugling liegt in seinem Bettchen (. Abb. 2, 3). Am Rande sei erwähnt, dass sowohl der Toten-tanz in Lübeck als auch der in Tallin ver-mutlich von Bernt Notke gemalt wurde.

Etwa 50 Jahre später malte Nikolaus Manuel in Bern seinen berühmten Toten-tanz an der Friedhofsmauer des Prediger-klosters. Er gestaltet ihn in einzelnen Bil-dern, zumeist mit 2 Personen und dem Tod. Diese sind in eindrucksvollen Ko-pien erhalten, die Originale fielen früh-zeitig dem verkehrsbedingten Abriss der Mauern zum Opfer. Der Totentanz be-stand aus 48 Bildern, die Figuren mögen etwas weniger als lebensgroß gewesen sein. Im Schlussbild schleicht der Tod an den jungen Maler heran, das Stundenglas auf dem Rücken (. Abb. 4), und spricht:

Manuel aller Wällt Figur/hast gemalet an diese Mur/Nun muost stärbenn, da hilft kein Fund/bist ouch nicht sicher Minut noch Stund/.

Und der Maler antwortet:

Hilff einiger Heyland drumb ich dich bitt/Dann hie ist keines blybens nit/So mir der tod min Red wirt stellenn/So bhuet üch Gott, mine lieben Gsellen/.

Es ist zu sehen, wie sich der Tod dem Ma-ler Nikolaus Manuel auf allen Vieren nä-hert und ihn anspricht. Der junge Maler scheint bei bester Gesundheit zu sein, ein baldiges Sterben ist ihm keineswegs anzu-sehen; trotzdem beugt er sich dem Schick-sal – „hie ist keines blybens nit“ –, jedes Feilschen mit dem Tod wäre sinnlos, und er wendet sich stattdessen an seinen Hei-land. Auf weiteren Bildern macht der Tod auch vor dem Bischof nicht halt, ebenso vor dem Abt; er bittet die junge und die al-te Frau zum Tanze und hält dabei mal die Laute, ein andermal die Trommel in sei-nen Knochenhänden (. Abb. 5, 6).

Ein frühes Sterben war damals keines-wegs unüblich; Hungersnöte, Kriege, Seu-chen, Tuberkulose und andere Ereignisse führten zu einer mittleren Lebenserwar-tung von etwa 33 Jahren [16].

Mit der Einführung der Buchdruck-kunst ab der Mitte des 15. Jahrhun-derts kam es auch zur Verbreitung ge-druckter Totentänze. Sie gelangten auch in die Privathäuser; beispielhaft sei hier die Graphik von Daniel Hopfer erwähnt (. Abb. 7). Auf den ersten gedruckten Lebenstreppen entdecken wir ebenso den Tod mit seinen Pfeilen; wohlgemerkt, er steht nicht bei den Alten, sondern neben den vor Gesundheit strotzenden Men-schen in vermeintlicher Lebensmitte [12].

Mit der Mitte des 15. Jahrhunderts ent-wickelten Buchdruckkunst wurde es nun möglich, die Mahnung für ein gottgefäl-liges Leben auch in gedruckter Form zu verbreiten; es galt, sich auf das Lebensen-de und die Kunst des Sterbens vorzube-reiten. Ein Sterbebüchlein mit dem Titel Ars moriendi hat eine für damalige Ver-hältnisse weite Verbreitung gefunden (. Abb. 8). Der Autor und der Künstler, dem wir die Holzschnitte verdanken, sind nicht bekannt [1]. Heute befindet sich ein Exemplar u. a. in der Handschriftenabtei-lung der Staatsbibliothek Berlin; wir stan-den aber auch in Polen in einer ehema-

Abb. 2 9 Lübecker Totentanz (Ausschnitt). Papst, Kaiser und der Tod. Entstanden um 1465

Abb. 3 9 Lübecker To-tentanz (Ausschnitt). Jungfrau, Säugling und Tod. Entstanden um 1465

Abb. 4 8 Berner Totentanz von Nikolaus Ma-nuel. Der Tod holt den Maler. Selbstbildnis am Schluss des Totentanzes. (Mit freundl. Genehmi-gung des Historischen Museums Bern)

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Originalarbeit

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ligen Privatsammlung vor diesem Buch. Es besteht aus nur 11 Bildern sowie weni-gen Textseiten in mittelalterlichem Latein. Schon damals dürften nur wenige in der Lage gewesen sein, den Text zu studieren. Wer konnte denn lesen und sogar einen lateinischen Text? Die Aussage des Werks vermochten die Betrachter trotzdem an-hand der beeindruckenden Bilder zu er-kennen.

Das Bändchen enthält fünfmal je-weils zwei korrespondierende Bilder so-wie ein abschließendes Schlussbild. Stets ist ein Sterbender auf seinem Lager zu se-hen. Auf dem ersten Bild ist er jeweils von grässlichen Teufeln umringt, die um sei-ne Seele feilschen und ihm seine Sünden vorhalten. Auf der korrespondierenden Abbildung steht tröstend ein Engel dem Sterbenden bei, weist auf die Vergebung von Sünden bekannter Personen des Neu-en Testaments hin, auf Personen, die zu-meist als Heilige, als himmlische Mächte hinter dem Bette stehen.

Die Teufel versuchen den armen Sün-der hinsichtlich seines Glaubens, der Hoffnungslosigkeit, der Verzweiflung seiner Situation, seiner Unduldsamkeit, seines Strebens nach eitlem Ruhm und schließlich wegen seiner Habgier in der Vergangenheit. Imhof beschreibt es so: „Teuflische Mächte setzten noch einmal alles in Bewegung, um sich seiner Seele zu versichern“ [10].

Schauen wir auf die Bilder, wie die Versucher den Sterbenden mit der Hoff-nungslosigkeit seiner Situation ob sei-nes Sündenregisters konfrontieren (. Abb. 9). Da spricht ein Teufel: „Du hast falsch geschworen“ (periurus es), ein Zweiter sagt: „Schau auf deine Sünden“ (ecce peccata tua), ein Dritter: „du hast Unzucht getrieben“ (fornicatus es) und ein Weiterer: „du hast gemordet“ (occi-disti). Kann es da Vergebung vor Gott ge-ben? Eine hoffnungslose Situation. – Da erscheint der Engel (. Abb. 10) und sagt: „Du sollst nie verzweifeln“ (nequaquam desperes) und verweist auf St. Peter, der den Herrn dreimal verleugnete, ehe der Hahn – auf der Bettkante sitzend – kräh-te, auf die Sünderin Maria Magdalena so-wie auf den Dieb, der erst spät bereute. – Der Teufel verschwindet mit den Wor-ten:“ Hier gibt es für mich nichts zu holen“ (victoria mihi nulla).

Sodann versuchen die Teufel den Ster-benden, indem sie auf dessen wirtschaft-liche Erfolge, auf die Habgier in der Ver-gangenheit verweisen, auf Dinge, die ihm lieb und teuer waren. „Du solltest an dei-ne Freunde denken“ (provideas amicis),

sagt der eine und zeigt auf die am obe-ren Bildrand bereits wartenden Erben. Und ein anderer sagt: „Schau, was du er-arbeitet hast“ (intende thesauro) und ver-weist auf die erwirtschafteten irdischen Güter. „Genieße diese Dinge, anstatt dich

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Zusammenfassung · Abstract

Z Gerontol Geriat 2012 · 45:333–338 DOI 10.1007/s00391-012-0331-5© Springer-Verlag 2012

C. Lucke · M. Lucke · M. Gogol · U. Rademacher

Memento mori. Was lehren die alten Abbildungen über das Sterben in früheren Zeiten?

ZusammenfassungWenn wir uns ein Bild von der Einstellung der Menschen im 15. Jahrhundert zum The-ma Sterben machen wollen, sind wir weitge-hend auf überliefertes Bildmaterial angewie-sen, da die Menschen damals zumeist des Le-sens unkundig waren. Von den bedeuten-den Totentänzen mit ihren lebensgroßen Fi-guren sind in Tallinn (ehem. Reval) nur Teile erhalten; in Lübeck und in Bern sind sie voll-ständig zerstört, wir kennen sie nur von Ko-pien. Sie zeigen einheitlich, wie der Tod sich alle – den Papst, den Kaiser, den König, die Bürger und sogar das kleine Kind – zum Tan-ze holt, und für niemand gibt es ein „Zurück“. Der Tod griff unerwartet und im „besten Le-bensalter“ zu, Seuchen und Hungersnöte wa-ren häufig Gründe für frühes Ableben. Die großformatigen Totentänze waren – für je-dermann zugänglich – entweder in den Kir-chen oder an deren Außenmauern zu se-hen; sie mahnten ein gottesfürchtiges Leben

an und die Gewissheit, der Tod könne jeder-zeit und unerwartet eintreten. Die ganzseiti-gen Bilder des sehr frühen Buchs Ars morien-di (um 1470) wiesen den Betrachter an, sich rechtzeitig auf die Sterbestunde vorzuberei-ten; der Versucher stünde am Bett des Ster-benden und feilschte mit falschen Verspre-chungen um die Seele. Es galt, sich darauf vorzubereiten. Heute ist das Sterben recht unterschiedlich: das Ableben in hohem Al-ter, nach langem Krankenlager, womöglich der Apparatemedizin ausgesetzt und einsam, ohne Unterstützung der Familie. Der Verlust der Bindung an die Religion und innerhalb der Familie macht das Sterben heute für viele Menschen so schwer.

SchlüsselwörterTod · Geschichte · Totentanz · Palliativmedizin · Sterbebegleitung

Memento mori. What can be learned from early paintings and woodcuts about death and dying in former times?

AbstractWhat was the impression on death and dy-ing from people living in the 15th centu-ry? To answer this question written informa-tion is rare on this topic, as few people were able to read at that time, but paintings and early woodcuts may be helpful. Danses ma-cabres (Totentänze) could be seen in Tallinn (formerly Reval), Lübeck, Bern and other plac-es: parts of the original dance macabre still exist in Tallinn, but those in Bern and Lübeck are destroyed; copies however may give a de-cent impression of their former appearance. At all these dances macabre the death invites persons for a dance: the pope, the Kaiser, the king, the queen, various noblemen and citi-zens, even young women and small children; to dance with the death meant to die. The death does not dance with any old person. At the time of these dances macabre epidem-ics and famines were frequent causes of un-

timely early death. – A booklet Ars moriendi was published about 1470 and taught peo-ple how to behave at their hour of death; var-ious devils appear at the deathbed haggling for the soul of the dying person. Thereafter an angel convinces him to trust in god and to re-sist those false promises of the devil.

Nowadays dying is quite different. Usually persons die at very old age and are frequent-ly demented, they die in hospitals, even in in-tensive care units and possibly without atten-dance of family members. They may have suf-fered for a long time and have spent years in nursing homes. Today dying may be just a re-lease from very long suffering.

KeywordsDeath · History · Dance of death · Palliative medicine · Terminal care

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mit deiner Sterbestunde zu beschäftigen“ (. Abb. 11). – Und der Engel spricht: „Denke nicht an deine Freunde“ (ne in-tendas amicis), und dann: „Sei nicht gie-rig“ (non sis avarus). „Lenke deine Gedan-ken auf himmlische Werte, die du gewin-nen solltest …“. Der Teufel verschwindet mit den Worten: „Was soll ich hier tun?“ (quid faciam?; (. Abb. 12).

Das Abschlussbild ist eindeutig. Wäh-rend seine Seele bereits dem Körper ent-schwebt, spricht der Sterbende zu den Teufeln: „Für euch gibt es keine Hoff-nung“ (spes vobis nulla). Eindrucksvoll erscheint deren Reaktion. Der Erste ant-wortet: „Ich werd‘ verrückt“ (heu insanio), der Zweite: „Wir sind ruiniert“ (confusi su-

mus), ein Dritter: „Wir haben eine Seele verloren“ (animam amissimus).

Heute machen sich alte Menschen be-züglich ihres Sterbens offensichtlich an-dere Sorgen als im ausgehenden Mittel-alter. Sie befürchten, die Ärzte könnten sich nicht an das Patiententestament hal-ten oder sie müssten die letzten Tage ihres Lebens auf einer Intensivstation verbrin-gen, beatmet oder an der Dialyse. Heiner Geissler schreibt, die Intensivstation wür-de zur Hölle der Einsamkeit, zum Ab-sturz der Seele ins Nichts, zur Folterkam-mer [6]. Dabei wird nur der Patient inten-siv therapiert, der noch eine reelle Chan-ce hat, seine Krankheit zu überleben [2]. Die Menschen fürchten um ihre Autono-

mie, falls sie demenzkrank werden. Wür-de ein Angehöriger sie zu Haus versorgen oder müssten sie in ein Pflegeheim zie-hen? Würden Rente und Pflegeversiche-rung dafür ausreichen, müsste das Haus verkauft oder der Weg zum Sozialamt an-getreten werden? Wären sie in ihrer Ster-bestunde allein, würde es ein langes Ster-ben sein? Würde überhaupt jemand von ihrem Sterben Notiz nehmen? Solche und weitere Gedanken verursachen Angst vor dem Sterben, der Gedanke daran wird verdrängt. Illhardt spricht von dem „ver-drängten Tod“ [9].

Diese Fragen bewegen die alten Men-schen heute; die Frage zum Geschehen nach dem Tode beschäftigt hingegen

Abb. 5 8 Berner Totentanz. Der Tod und die junge und der ältere Frau. (Mit freundl. Genehmigung des Historischen Museums Bern)

Abb. 6 8 Berner Totentanz. Der Tod und geistliche Würdenträger. (Mit freundl. Genehmigung des Historischen Museums Bern)

Abb. 7 8Grafik von Daniel Hopfer. Zwei Frauen, von Tod und Teufel über-rascht

Abb. 8 8 Ars moriendi. Sterbebüchlein eines unbekannten Autors, Ende des 15. Jahrhunderts. (Mit freundl. Genehmigung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz)

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Originalarbeit

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nur wenige Menschen. Ihre Bindung an die Kirche ist locker und viele alte Men-schen gehören keiner Glaubensgemein-schaft an. Sie wünschen sich – hochbe-tagt – ein friedliches Ableben in häusli-cher Umgebung, nicht im Krankenhaus, ein möglichst kurzes Krankenlager und keine Schmerzen. Sie haben zumeist ein

langes Leben hinter sich, merken längst, wie die Kräfte nachlassen, spüren zuneh-mende Hilfsbedürftigkeit und möchten abgerufen werden, ehe körperliche De-fizite und Hilfsbedürftigkeit überhand nehmen. Auf das Sterben an sich, auf die Sterbestunde, bereiten sich nur wenige Menschen vor.

Ganz anders die Situation im ausge-henden Mittelalter: Der Tod trat zumeist unerwartet auf, ergriff die Menschen oft im besten Jugendalter [17], häufig im Rah-men von Seuchen. Auf den Totentanzbil-dern sieht man ihn nicht mit alten Men-schen tanzen, er greift sogar nach der Jungfrau und dem Säugling. Und was sagt die Jungfrau auf dem Lübecker Totentanz (. Abb. 3)?

Ich folge, weil ich mußund tantze, wie ich kann.Ihr Schwestern, wehlet euch,bey Zeiten einen Man.So reichet ihr die Faustdem Bräutigam im Leben,die ich dem Tode mußdoch halb gezwungen geben.

Auch der Maler auf dem Berner Totentanz erscheint bei bester Gesundheit, als sich der Tod ihm nähert (. Abb. 4). In sei-nem Alter stirbt man heute sehr selten, am ehesten durch einen Unfall oder von eige-ner Hand. Seuchen spielen bei uns kei-ne Rolle mehr und glücklicherweise auch Hungersnöte und Kriege nicht.

Der damalige Betrachter wusste, dass seine Todesstunde jederzeit eintreten könnte – auf den Totentänzen ist kein wirklich alter Mensch zu sehen – und dass er dabei möglicherweise allein sein wür-de, ohne geistlichen Beistand. Er wusste, dass der Versucher in dieser Stunde kein Mittel scheuen würde, sich seiner See-le zu bemächtigen. Es galt also, auf die-se Stunde der Anfechtung vorbereitet zu sein, sie zu bestehen und sich die Aufnah-me in das Himmelreich zu sichern. Da-zu sollte das gezeigte Buch helfen. Sich dem Tode fügen zu müssen, sei ein un-ausweichlicher Zwang gewesen, dem alle Menschen, gleich welchen Standes, unter-lagen, schreibt Wilhelm-Schaffer; der To-tentanz bedeute ein deutliches Memen-to mori [17]. Der Totentanz sei als gemal-te Bußpredigt zu deuten. Da der Tod alle Menschen trifft, die gesamte Gesellschaft repräsentiert ist, spricht der Totentanz al-le an [3]. Ungewiss ist nicht der Tod, un-gewiss ist nur die Todesstunde.

Die in unserem Beitrag gezeigten Ab-bildungen entstanden sämtlich vor mehr als 500 Jahren, ihre Bedeutung für die da-malige Zeit haben wir zu schildern ver-

Abb. 9 8 Die Teufel verweisen auf die Hoff-nungslosigkeit in Anbetracht des Todes. (Mit freundl. Genehmigung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz)

Abb. 12 8 Der Engel spricht: „Lass ab von den weltlichen Gütern. Sei nicht gierig.“ (Mit freundl. der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kul-turbesitz)

Abb. 10 8 Rechtfertigung der Hoffnung durch den Engel. (Mit freundl. Genehmigung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kultur-besitz)

Abb. 11 8 Versuchung des Teufels, der auf wirt-schaftliche Erfolge im Leben verweist. Habgier. (Mit freundl. Genehmigung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz)

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sucht. Haben sie uns auch heute noch et-was zu sagen, in einer Zeit, in der es bei uns keine Hungersnot mehr gibt, die Seu-chen besiegt sind und nur die Ältesten unter uns sich an einen Krieg erinnern können?

Sicherlich brauchen wir uns nicht so auf die Sterbestunde vorzubereiten, wie es unsere Vorfahren vor 500 Jahren taten. Unsere Kirchen lehren nicht, der Versu-cher stünde an unserem Sterbelager und feilsche um unsere Seele. Die Lebens-erwartung unserer Bevölkerung steigt noch immer, und manchmal sprechen wir von einer Erlösung, wenn ein Mensch schließlich abgerufen wird. Andererseits stehen wir immer wieder fassungslos am Grabe junger Menschen, die durch Krebs, Aids, Unfall oder womöglich durch Sui-zid verstorben sind. Wir müssen reali-sieren, dass der Tod auch heute noch in jedem Alter zuschlagen kann, ein hohes Alter nicht einklagbar ist. Dies sollten wir berücksichtigen und dankbar sein, wenn wir bei guter Gesundheit alt werden dür-fen. Andererseits gilt es, dem Patienten, der von seinem unabwendbaren Schick-sal erfahren hat, während der Phasen des Nicht-wahrhaben-Wollens, des Zorns über sein Schicksal, der Depression und schließlich bei der Akzeptanz des Unab-wendbaren beizustehen [9, 11].

Wir sollten auch realisieren, worauf be-sonders Imhof [10] hingewiesen hat, dass man damals zumeist ein kurzes Kranken-lager hatte, denn Infektionen forderten ihren Tribut zügig. Heute quälen sich al-te Menschen häufig über Jahre mit chro-nischen Erkrankungen, bis sie schließlich den großen Schritt geschafft haben. Man denke nur an die Komplikationen des Diabetes mellitus, an die mit Luftnot rin-genden Patienten bei unheilbarer Erkran-kung der Lungen oder die Patienten an der Dialyse [5]. Wir haben heute nicht die Gewissheit eines besseren Lebens im Jen-seits, wie man es damals hatte, sofern man den teuflischen Versuchungen widerstan-den hatte.

Bescheidenheit, wie sie der Engel dem Sterbenden auf einer hier nicht gezeig-ten Abbildung anrät (sis humilis), ist auch in unserer werteorientierten Gesellschaft angezeigt. Das ständige Streben nach An-erkennung, Glanz, Reichtum, nach Posten und Macht ist unserer körperlichen und

seelischen Gesundheit zweifellos wenig zuträglich. Der Engel, der zu dem Ster-benden tritt, hilft ihm, in Frieden und vol-ler Zuversicht sein Leben zu beenden. Un-ser Gesundheits- und Sozialsystem sowie der Verlust der sorgenden Familie ver-wehren vielen Sterbenden diese Gebor-genheit und Hilfe; hier mag gegenwärtig ein Umdenken im Rahmen der Palliativ-medizin in der Hospizbewegung im Gan-ge sein.

Niemand möge glauben, dass das Ster-ben unter den Bedingungen des 15. Jahr-hunderts einfach war [2]. Die angewand-te erlernte Kunst des Sterbens, den teufli-schen Verführungen zu widerstehen, ge-währte dem Sterbenden jedoch die Ge-wissheit eines besseren Weiterlebens im Jenseits, was vielen Menschen damals das Sterben erleichtert haben mag.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. C. LuckeHansenhof 330916 Isernhagen

Danksagung. Die Autoren danken dem Historischen Museum Bern sowie der Staatsbibliothek Berlin, Preu-ßischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, herzlich für die Abdruckgenehmigung der Abbildungen.

Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor gibt für sich und seine Koautoren an, dass kein Interes-senkonflikt besteht.

Literatur

1. Ars moriendi. Holztafeldruck von ca. 1470. Autor unbekannt. Staatliche Museen zu Berlin. Preußi-scher Kulturbesitz. Handschriften-Abteilung

2. Daub D (1989) Sterben im Zeitalter der Apparate-medizin. In: Matouschek E (Hrsg) Arzt und Tod. Ver-antwortung, Freiheiten und Zwänge. Schattauer, Stuttgart, S 137–145

3. Egger F (2000) Der Basler Totentanz. In: Katalog zur Ausstellung „Ihr müßt alle nach meiner Pfeife tan-zen“. Harrassowitz, Wiesbaden, S 43–55

4. Genz H, Jenetzky E, Hauer K et al (2010) Pallia-tive Geriatrie. Wie unterscheiden sich onkologi-sche von nichtonkologischen Palliativpatienten im Krankenhaus? Z Gerontol Geriatr 43:369–375

5. Gärtner J, Simon St, Voltz R (2011) Palliativmedizin und fortgeschrittene, nicht heilbare Erkrankungen. Internist (Berl) 52:20–27

6. Geissler H (o J) Ökonomische und sozialpolitische Aspekte der Intensivmedizin. Zitiert nach [2]

7. Hagg-Grün U, Lukas A, Sommer BN et al (2010) Die Implementierung eines Palliativkonzeptes in ein geriatrisches Krankenhaus. Z Gerontol Geriatr 43:362–368

8. Hallek M, Voltz R, Lehnert H (2011) Was ist Palliativ-medizin? Internist 52:5–6

9. Illhardt FJ (1989) Ars moriendi – Hilfe beim Ster-ben. Ein historisches Model. In: Matouschek E (Hrsg) Arzt und Tod. Verantwortung, Freiheiten und Zwänge. Schattauer, Stuttgart, S 89–103

10. Imhof AE (1991) Ars moriendi. Die Kunst des Ster-bens einst und heute. Böhlau, Wien

11. Kübler- Ross E (1979) Leben bis wir Abschied neh-men. Kreuz, Stuttgart

12. Lucke C, Lucke M, Gogol M (2009) Lebenstreppen – oder wie man den Alternsprozess über die Jahr-hunderte gesehen hat. Euro J Ger 11:132–140

13. Lucke C, Rademacher U, Lucke M, Gogol M (2010) „Memento mori“ oder was lehren uns die alten Abbildungen über das Sterben in früheren Zeiten? Z Gerontol Geriatr 43(Suppl.1):87

14. Mantels W (1993) Der Totentanz in der Marienkir-che zu Lübeck. H.G. Rathgens, Lübeck 1866 – Neu-druck. Graphische Werkstätten, Lübeck

15. Müller-Busch HC (2011) Definition und Ziele in der Palliativmedizin. Internist 52:7–14

16. Pickenhain L, Ries W (1988) Entwicklung und Grundbegriffe der Gerontologie. In: Pickenhain L, Ries W (Hrsg) Das Alter. VEB Bibliographisches Ins-titut, Leipzig, S 1–17

17. Wilhelm-Schaffer I (2000) „Ir mußet alle in diß dantzhus“. Zu Aussage, Kontext und Interpretation des mittelalterlichen Totentanzes. In: Katalog zur Ausstellung „Ihr müßt alle nach meiner Pfeife tan-zen“. Harrassowitz, Wiesbaden, S 9–26

338 |  Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 4 · 2012

Originalarbeit