mehrganggetriebe mit klauenkupplung für hybridantriebe

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MARKTVORTEILE Es ist für verschiedenste Hybridantriebe möglich, ein Mehrganggetriebe mit Klau- enkupplung zu verwenden. So ist eine Anwendung zum Koppeln und Entkop- peln des Antriebsstrangs mittels Klauen- schaltung ebenso realisierbar wie die Kombination der Klauenschaltung mit einem Mehrganggetriebe. Besonders im Bereich der Effizienz, gekennzeichnet durch ein sehr geringes Schleppmoment, und in Bezug auf den reduzierten Platz- und Gewichtsbedarf, ergeben sich gegen- über anderen am Markt verfügbaren Sys- temen Vorteile. Verwendet man ein Mehrganggetriebe mit Klauenkupplung aber in Kombina- tion mit einem elektrischen Antrieb, wie es zum Beispiel beim seriellen Hybridan- trieb zum Einsatz kommt, ergeben sich daraus gewisse Vor- und Nachteile. Ein Zweiganggetriebe kann hier genutzt wer- den, um im ersten Gang das gewünschte Anfahrmoment zur Verfügung zu stellen und im zweiten Gang dann eine mög- lichst hohe Endgeschwindigkeit zu erreichen. MÖGLICHKEITEN DER KUPPLUNGSBETÄTIGUNG Bei der Wahl der Betätigung der Kupp- lung gibt es viele Freiheitsgrade. Je nach verwendetem System ist eine mechani- sche, pneumatische, hydraulische oder elektromechanische Betätigung möglich. In der Praxis hat sich unter anderem bewährt, die Klaue elektromechanisch durch einen Gleichstrommotor zu betäti- gen. Dies hat einige Vorteile: : Das System benötigt kein Hydraulik- modul. : Durch die Selbsthemmung der Klauen- kupplung kann das Betätigungssystem zwischen zwei Schaltungen abgeschal- tet werden. Seit November 2011 ist für Fahrzeuge unter 3,5 t die ISO 26262 in Kraft und diese beeinflusst auch die Hardware und Software eines Mehrganggetriebes, insbe- sondere im Verbund mit Hybrid- und E-Antrieben. Die mechanischen Vorteile, die ein Mehrganggetriebe mit Klauen- kupplung hat, bringen andererseits erhöhte Anforderungen an die Steuerung und Regelung des Systems mit sich. AUTOREN DIPL.-ING. (FH) MARTIN KERN ist Mitarbeiter in der Software- entwicklung bei der hofer f&e GmbH in Garsten (Österreich). DIPL.-ING. MICHAEL WUNDER ist Leiter Simulation bei der hofer f&e GmbH in Garsten (Österreich). DIPL.-ING. (FH) CHRISTOPH STIFTER ist verantwortlich für das Qualitäts- management bei der hofer f&e GmbH in Garsten (Österreich). ENTWICKLUNG GETRIEBE UND KUPPLUNGEN 44

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Page 1: Mehrganggetriebe mit Klauenkupplung für Hybridantriebe

MARKTVORTEILE

Es ist für verschiedenste Hybridantriebe möglich, ein Mehrganggetriebe mit Klau-enkupplung zu verwenden. So ist eine Anwendung zum Koppeln und Entkop-peln des Antriebsstrangs mittels Klauen-schaltung ebenso realisierbar wie die Kombination der Klauenschaltung mit einem Mehrganggetriebe. Besonders im Bereich der Effi zienz, gekennzeichnet durch ein sehr geringes Schleppmoment, und in Bezug auf den reduzierten Platz- und Gewichtsbedarf, ergeben sich gegen-über anderen am Markt verfügbaren Sys-temen Vorteile.

Verwendet man ein Mehrganggetriebe mit Klauenkupplung aber in Kombina-tion mit einem elektrischen Antrieb, wie es zum Beispiel beim seriellen Hybridan-trieb zum Einsatz kommt, ergeben sich daraus gewisse Vor- und Nachteile. Ein Zweiganggetriebe kann hier genutzt wer-den, um im ersten Gang das gewünschte Anfahrmoment zur Verfügung zu stellen und im zweiten Gang dann eine mög-lichst hohe Endgeschwindigkeit zu erreichen.

MÖGLICHKEITEN DER KUPPLUNGSBETÄTIGUNG

Bei der Wahl der Betätigung der Kupp-lung gibt es viele Freiheitsgrade. Je nach verwendetem System ist eine mechani-sche, pneumatische, hydraulische oder elektromechanische Betätigung möglich. In der Praxis hat sich unter anderem bewährt, die Klaue elektromechanisch durch einen Gleichstrommotor zu betäti-gen. Dies hat einige Vorteile: : Das System benötigt kein Hydraulik-

modul. : Durch die Selbsthemmung der Klauen-

kupplung kann das Betätigungssystem zwischen zwei Schaltungen abgeschal-tet werden.

Seit November 2011 ist für Fahrzeuge unter 3,5 t die ISO 26262 in Kraft und diese beeinfl usst auch die Hardware und Software eines Mehrganggetriebes, insbe-sondere im Verbund mit Hybrid- und E-Antrieben. Die mechanischen Vorteile, die ein Mehrganggetriebe mit Klauen-kupplung hat, bringen andererseits erhöhte Anforderungen an die Steuerung und Regelung des Systems mit sich.

AUTOREN

DIPL.-ING. (FH) MARTIN KERN ist Mitarbeiter in der Software-

entwicklung bei der hofer f&e GmbH in Garsten (Österreich).

DIPL.-ING. MICHAEL WUNDER ist Leiter Simulation bei der hofer f&e

GmbH in Garsten (Österreich).

DIPL.-ING. (FH) CHRISTOPH STIFTER

ist verantwortlich für das Qualitäts-management bei der hofer f&e GmbH

in Garsten (Österreich).

ENTWICKLUNG GETRIEBE UND KUPPLUNGEN

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Getriebe und Kupplungen

Page 2: Mehrganggetriebe mit Klauenkupplung für Hybridantriebe

Gerade auf die Schnittstellen zwischen E-Antrieb und Getriebe muss hier ein Augenmerk gelegt werden.

Vergleicht man die Anforderungen der Schaltqualität einer Klauenkupplung für den Pkw- oder Lkw-/Omnibus-Bereich mit jenen von einspurigen Kraftfahrzeugen, wo Klauenschaltungen schon seit Jahrzen-ten erfolgreich im Einsatz sind, kristalli-siert sich heraus, dass zum Beispiel rup-pige Schaltungen oder Schläge während des Schaltvorgangs beim Motorrad als sportlich empfunden werden. Im Pkw-Bereich aber wird ein „Ruckeln“ oder eine merkliche Zugkraftunterbrechung wäh-rend der Schaltung nicht akzeptiert.

Aus diesen Erkenntnissen resultieren erhöhte Anforderungen an die Steuerung eines Antriebsverbunds. Das Getriebe ist mehr denn je angewiesen auf eine gute Regelbarkeit der elektrischen Maschine, da sich Klauenschaltungen nur qualitativ hochwertig in einem sehr engen Drehmo-ment- und Drehzahlband schalten lassen. Dieses Band wird durch die Geometrie der Klauen bestimmt. Gerade wenn Schal-tungen im Stillstand, sogenannte Garage Shifts, beim Einparken nötig sind, muss

besonderes Augenmerk auf die verwen-dete Geometrie gelegt werden.

ZWEI GEOMETRIEN VERFÜGBAR

Im Detail gibt es zwei mögliche Klauen-geometrien: eine flache und eine spitze.

Verwendet man flache Klauen, ergibt sich ein Schaltkorridor, der sich symmet-risch mit einem definierten Versatz ober-halb und unterhalb der Synchronisie-rungsdrehzahl befindet, ➊. Vereinfacht gesagt, regelt man die Drehzahl des Ver-brennungsmotors unter Berücksichti-

➊ Schematische Darstellung des Schaltablaufs mit einer flachen Klauengeometrie hinsichtlich der Drehzahl des Verbrennungsmotors (n1) und der Eingangsdrehzahl des Getriebes (n2)

MEHRGANGGETRIEBE MIT KLAUENKUPPLUNG FÜR HYBRIDANTRIEBEIm Bereich der Hybrid- und Elektroantriebe kann die Verwendung eines Mehrganggetriebes mit Klauenschaltung

Vorteile in Bezug auf Kosten, Gewicht und Performance mit sich bringen. Unterstützt durch modellbasierte

Entwicklung und Sicherheiten nach ISO 26262 gelingt es hofer f&e, flache und spitze Klauen so auszulegen,

dass Schwachstellen behoben werden und eine robuste Konstruktion entsteht.

05I2014 116. Jahrgang 45

Getriebe und Kupplungen

Page 3: Mehrganggetriebe mit Klauenkupplung für Hybridantriebe

gung aller Übersetzungen und nähert sich der Synchronisierungsdrehzahl des Getriebes. Eine qualitativ hochwertige Schaltung lässt sich nur innerhalb dieses Korridors ausführen. Entfernt man sich während der Schaltung zu weit der Syn-chronisierungsdrehzahl, riskiert man eine Abweisung (mögliche Blockierung). Im günstigsten Fall wird die Schaltung nur etwas lauter oder ruckelt. Sollte es wirklich zu einer Abweisung kommen, muss die Schaltung abgebrochen werden und der Synchronisierungsprozess neu initialisiert werden. Dadurch werden die Schaltzeit und der damit verbundenen Komfort stark beeinflusst.

Verwendet man eine spitze Klauen-geometrie, verschiebt sich der Schalt-korridor, ➋, auf ein Band, welches sym metrisch um die Synchronisierungs-drehzahl liegt. In diesem Anwendungs-fall versucht man nun, die Drehzahl des E-Motors möglichst genau auf die Getriebeausgangsdrehzahl zu stellen. Im Optimalfall sollte das aktuelle Moment am Eingang des Getriebes während der Schaltung bei 0 Nm sein.

Die Frage, ob nun flache oder spitze Klauen für eine Schaltung im Stillstand besser sind, kann nicht pauschal beant-wortetet werden. Der Umstand, dass spitze Klauen keine Drehzahldifferenz für eine erfolgreiche Schaltung benötigen, lässt diese oft als die bessere Wahl erscheinen. Durch alle diese mechanisch bedingten Vorgaben ergeben sich erhöhte Anforde-rungen an die Steuerung der elektrischen Maschine und auch an deren Kommunika-tionsschnittstelle zum Getriebe.

SCHALTABLAUF BEI EINEM ZWEIGANGGETRIEBE

Prinzipiell lassen sich der Schaltablauf und die Kommunikation mit der elektri-schen Maschine in fünf Phasen untertei-len, ➌. In der Phase 1 „Schaltvorberei-tung“ wird das aktuelle Moment der elektrischen Maschine wird so weit wie möglich reduziert. Dazu ist ein aktiver Momenteneingriff nötig. Das Getriebe-steuergerät sendet das gewünschte Soll-drehmoment an die Maschine. Momen-ten-Anforderungen, die zum Beispiel vom Fahrer kommen, werden in dieser Phase nicht umgesetzt.

Das System befindet sich in Phase 2 „Ausklinken“ immer noch in einem Modus der Drehmomentkontrolle des Elek-tromotors. Das Getriebesteuergerät beginnt

nun, den aktuell eingelegten Gang zu betä-tigen und diesen in die Neutralposition zu bringen. In dieser Stellung ist nun keine Übertragung von Momenten oder Dreh-zahl des Antriebs an den Abtrieb möglich.

Als nächster Schritt wird in der Phase 3 „Synchronisation“ die benötigte Ein-gangsdrehzahl des Getriebes berechnet. Abhängig von der aktuellen Drehzahl am Ausgang wird nun vom Momenteneingriff des elektrischen Antriebs auf einen soge-nannten Drehzahleingriff umgeschaltet.

Über eine definierte Annäherungsfunk-tion wird nun die Eingangsdrehzahl an die Ausgangsdrehzahl angepasst. Der Gradient dieser Funktion hat einen signi-fikanten Einfluss auf die Schaltzeit und Qualität. Ein zu flacher Gradient zieht die Schaltung unnötig in die Länge. Ist der Gradient zu steil kann es zum Beispiel zu Anregungen im Triebstrang kommen.

In der Phase 4 „Einklinken“ wird die Klaue nun eingelegt. Je nach verwende-tem Getriebesystem befindet man sich in

➋ Schematische Darstellung des Schaltablaufs mit einer spitzen Klauengeometrie hinsichtlich der Drehzahl des Verbrennungs-motors (n1) und der Eingangsdrehzahl des Getriebes (n2)

➌ Unterteilung des Schaltablaufs und die Kommunikation mit der elektrischen Maschine in die Phasen 1 bis 5

ENTWICKLUNG GETRIEBE UND KUPPLUNGEN

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Page 4: Mehrganggetriebe mit Klauenkupplung für Hybridantriebe

einem Drehzahl- oder Drehmomentrege-lungs-Modus. Im Schaltablauf ist dies nun die kritischste Phase. Qualitativ können hier die meisten Mängel auftreten oder schon durch Fehler in den vorhergehen-den Phasen ausgelöst worden sein.

Zur letzten Phase 5 „Anpassung“: Nach-dem der Gang erfolgreich eingelegt wurde, wird das gewünschte Fahrerwunschmo-ment wieder hergestellt und alle aktiven Elektromotoreingriffe beendet. Der Fahrer übernimmt wieder die Kontrolle über die Momentvorgabe an den Motor.

Aus dem beschriebenen Schaltablauf wird ersichtlich, dass der Motoreingriff eine signifikante Rolle spielt, um qualita-tiv hochwertige Schaltungen durchfüh-ren zu können. Dies gilt für alle Hybrid-antriebe, in denen die elektrische Maschine direkt mit dem Getriebe ver-bunden ist. Gerade die Synchronisierung der Drehzahl muss sehr exakt ausge-führt werden. Gerade im Bereich sehr niedriger Drehzahl und sehr hoher Getriebedrehzahl muss die aktuelle Drehzahl exakt erfasst werden. Um hier Fehler vorzubeugen, müssen schon bei der ersten Auslegung der Getriebekom-ponenten sehr viele Details beachtet wer-den. In der Praxis wird beispielsweise oft ein Zahnrad als Impulsrad verwendet. Reicht jedoch die Anzahl der Zähne nicht, um eine ausreichende Auflösung des Sensors zu gewährleisten, muss ein eigener Encoder verwendet werden. Sol-che Effekte müssen möglichst früh in der Entwicklung aufgezeigt werden.

MODELBASIERTE ENTWICKLUNG

Für die Simulation eines solch komple-xen Themas hat sich eine Kombination aus Matlab/Simulink und LMS Imagine.Lab AMESim bewährt. Zum Erstellen der Applikationssoftware kann Matlab in Kombination mit dSpace TargetLink als Seriencode-Generator genutzt werden. Die Simulation des Gesamtmodells, in der Getriebe, Motor, Triebstrang und die Daten des Fahrzeugs enthalten sind, kann nicht nur in frühen Projektphasen für die Systemsimulation genützt wer-den, sondern später auch zum Erstellen und Testen der Applikationssoftware.

Dadurch ist es möglich, den Schaltab-lauf schon in der Auslegungsphase des Getriebes zu definieren und systembe-dingte Schwachstellen aufzuzeigen. Mit-hilfe sogenannter S-Funktionen in AME-Sim kann nun ein sehr exaktes Simula-

tionsmodell in Matlab eingebunden werden. Damit ist es möglich die Appli-kationssoftware, im speziellen den Schalt-ablauf, schon sehr früh zu testen, ohne dabei einen Prüfstand oder ein Fahrzeug zu benötigen. Laufzeitoptimierte Modelle können später auf HiL-Systemen einge-setzt werden. Diese Modelle laufen in Echtzeit ab und erlauben Tests der Hard- und Software am Prüfstand.

MEHRGANGGETRIEBE MIT KLAUENKUPPLUNG IM UMFELD DER ISO 26262

Besonders der Umstand, dass sich Klauenkupplungen nur „digital“ und unter definierten Umständen schalten lassen, verlangt bezüglich der Sicher-heitsbetrachtung besondere Aufmerk-samkeit. Besonders sind Situationen zu beachten, in welchen die Klauenschal-tung geschlossen (gekoppelt) ist und ein Zustand eintritt, der zur Überdreh-zahl des E-Motors und in weiterer Folge zum Blockieren führen kann. Durch die bestehende Verbindung zu den Rädern,

in solch einer Konstellation, führt dies zum ungewollten Verzögern des Fahr-zeugs. Das Risiko solcher Fehler wird dabei oft mit einer hohen Integrität ein-gestuft (Asil C oder Asil D) und verdient daher eine besondere Beachtung. In jeder Situation muss ein Ausrücken der Klauenkupplung möglich sein.

Die Kombination eines Mehrgangge-triebes mit Klauenkupplung und E-Motor bringt viele Vorteile mit sich. Jedoch sollte man nicht vergessen, dass den mechanischen Vorteilen wie geringer Platzbedarf, geringes Schleppmoment und günstige Herstellungskosten auch Herausforderungen in der Entwicklung gegenüberstehen. Darum ist es wichtig, schon in einer frühen Entwicklungs-phase mit einer detaillierten System-analyse zu beginnen.

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