medizin des alterns und des alten menschen 2. auflage

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Page 1: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage
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W. von Renteln-Kruse (Hrsg.)

Medizin des Alterns und des alten Menschen

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W. von Renteln-Kruse (Hrsg.)

Medizin des Alternsund des alten Menschen

Zweite, überarbeitete und erweiterte Auflage,mit 22 Abbildungen und 63 Tabellen

Page 4: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Prof. Dr. med. Wolfgang v. Renteln-KruseMedizinisch Geriatrische Klinik Albertinen-HausZentrum für Geriatrie und GerontologieWiss. Einrichtung an der Universität HamburgSellhopsweg 18–22, 22459 Hamburg

ISBN 978-3-7985-1726-4 Steinkopff Verlag

Bibliografische Information Der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbeson-dere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildun-gen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung aufanderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch beinur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes odervon Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichenBestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. Sep-tember 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungs-pflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts-gesetzes.

Steinkopff Verlagein Unternehmen von Springer Science+Business Media

www.steinkopff.com

© Steinkopff Verlag 2004, 2009Printed in Germany

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in die-sem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daßsolche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zubetrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformenkann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vomjeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeitüberprüft werden.

Reaktion: Dr. Annette Gasser Herstellung: Klemens SchwindUmschlaggestaltung: Erich Kirchner, HeidelbergUmschlagphoto: Carina Markström, StockholmSatz: K+V Fotosatz GmbH, Beerfelden

SPIN 11902010 85/7231-5 4 3 2 1 0 – Gedruckt auf säurefreiem Papier

Page 5: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

„Der Sinn, den die Menschen ihrer Existenz geben, ihr globalesWertsystem: Das ist es, was Sinn und Wert des Alters bestimmt.Umgekehrt: Durch die Art, wie sich eine Gesellschaftgegenüber ihren Alten verhält, enthüllt sich unmissverständlichdie Wahrheit – oft sorgsam verschleiert – über ihre Grundsätzeund Ziele.“

S. de Beauvoir (1977) Das Alter. Reinbek bei Hamburg 1977(französische Erstausgabe, Paris)

„Age is something that doesn’t matter,unless you are a cheese.“

B. Burke zit. 2002; Harkins K.: Social gerontology.In: Rai GS, Mulley G (eds) Elderly medicine – A training guide.Martin Dunitz, London

Statt einer Widmung

Page 6: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Zu Recht stellen wir uns die Frage, warum erst jetzt den medi-zinischen Fakultäten vorgeschrieben wird die „Medizin des Al-terns und des alten Menschen“ in ihren Kanon aufzunehmen.Die Beziehung zwischen Alter und Krankheit ist keine neue Er-kenntnis. Senectus ipsa est morbus galt schon im alten Rom. Ei-ner der Begründer der modernen klinischen Medizin, Charcot,publizierte in Paris 1868 die „Leçons sur les maladies des vie-illards et les maladies chroniques“. Der Begriff Geriatrie wurdevon Nasher zu Beginn des 20. Jahrhunderts geprägt und dochscheint erst unter dem Eindruck des demographischen Wandelsan den medizinischen Fakultäten ein Umdenken einzusetzen.Nur allmählich werden Lehrstühle für Geriatrie und Geronto-psychiatrie geschaffen.

Es ist wohl weniger die demographische Pression, die, ob-wohl nicht unerheblich, zu diesem Wandel führt. Vielmehr istes ein subtiler Paradigmenwechsel in der klinischen Medizinselbst, der zu einem anderen Verständnis der Krankheiten undden möglichen therapeutischen Ansätzen führt. Die Erkenntnis,dass sich im Laufe des Alterns krankhafte Veränderungen ein-stellen, die nicht einfach dem „Zahn der Zeit“ zuzuschreibensind, sondern Folgen bestimmter Voraussetzungen wie z. B.Übergewicht, Hypertonus, Hyperlipidämien und diese wiede-rum das Resultat genetischer Prädisposition, Ernährung, Le-bensweise und Umweltfaktoren sind, hat zu einer neuen Sicht-weise geführt. Gerade die Identifikation und wissenschaftlicheAnalyse dieser Krankheiten hat zum großen Fortschritt der Me-dizin beigetragen und die heutigen Grundlagen der evidenzba-sierten Medizin gelegt. Die Operationalisierung dieses Prozessesist am effektivsten, wenn eine Krankheit als einzige Störung beieinem Patienten auftritt. Dies ist typischerweise beim jüngerenPatienten der Fall. Indes, die Mehrzahl der Patienten ist heutebetagt und leidet, wie Franke mit einer Untersuchung derKlientel der Würzburger Poliklinik zeigte, im Durchschnitt anvier bis fünf Krankheiten gleichzeitig, nicht selten sind es sie-ben und mehr. Die Multimorbidität und physiologischen Alters-veränderungen führen dazu, dass die Symptome und Krank-

Geleitwort zur 1. Auflage

Page 7: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

heitsverläufe häufig atypisch sind, länger dauern und sichKrankheiten oft erst in fortgeschrittenem Stadium als unspezi-fisches Syndrom, z.B. als Delir, manifestieren. Dies erschwertdie Vermittlung medizinischen Wissens und medizinischer Fer-tigkeiten und mag einen Teil des Widerstandes erklären, dieheutige tägliche Realität des Krankseins im Alter fest in dieLehre einzubinden.

Dabei eröffnen gerade geriatrische Patienten den heutigenÄrztinnen und Ärzten die Chance, in der Diagnostik nicht vonApparaten und Laborresultaten geführt zu werden, sonderndurch sorgfältige Exploration von Anamnese, Informationenaus dem Umfeld, dem klinischen Befund und dem Bewertenvon durch multidimensionales Assessment erhobenen Behin-derungen im Alltagsleben, die Diagnosen in ihrer Bedeutungfür den Patienten einzuschätzen und die relevanten Therapienfestzulegen. Schon vor Jahren meinte der Berner PsychiaterKlaesi in einer Rektoratsrede: „Die ärztliche Kunst beginnt dortwo die Behandelbarkeit einer Krankheit aufhört“. Auch dieseErfahrung gehört zur Geriatrie bei der Begleitung der Men-schen durch chronisches Leiden und auf ihrem letzten Lebens-abschnitt.

Für die Studierenden ist es essentiell, schon früh mit denheutigen Anforderungen im Arztberuf vertraut zu werden undzu lernen, wie das Idealtypische einer Krankheit sich auchbeim älteren Menschen mit seiner vielfältigen sozialen und me-dizinischen Biographie darstellt. Das Vertrautsein mit diesenProzessen erlaubt erst der Ärztin und dem Arzt, den hilfe-suchenden älteren Patienten im Ganzen und nicht nur ihrerKrankheit zu begegnen.

Geriatrische Universitätsklinik, Basel Prof. Dr. med. emerit.im Mai 2004 Hannes B. Stähelin

z Geleitwort zur 1. AuflageVIII

Page 8: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Die Autoren freuen sich, dass nunmehr die 2. Auflage dieserEinführung in die Geriatrie erscheinen kann. Das Konzept der1. Auflage wurde beibehalten, denn es entspricht den Inhaltender europäischen Definition geriatrischer Medizin der SektionGeriatrie der U.E.M.S. in der Fassung vom 3.5. 2008. Darin wirddie Notwendigkeit und die große Bedeutung der mehrdimen-sionalen Beurteilung und des interdisziplinären Arbeitens be-tont, um funktionale Kompetenz, Lebensqualität und Auto-nomie älterer Patienten zu verbessern oder zu erhalten.

Der demographische Wandel führt zu erhöhtem Bedarf ge-riatrischer Diagnostik und Behandlung1, geriatrische Syndromeerlangen – epidemiologisch betrachtet – die Häufigkeit wichti-ger chronischer Erkrankungen2, und es gibt Hinweise für dieerforderliche Verstärkung geriatrischer Inhalte in der ärztlichenAusbildung3. Dazu soll dieses Buch auch weiterhin beitragen.Alle Kapitel wurden überarbeitet und z.T. mit neuen und zu-sätzlichen Referenzen versehen, die Struktur und die gesetztenSchwerpunkte jedoch nicht verändert.

Die Autoren danken Lesern für ihre Anmerkungen und Stu-dierenden für viele Fragen in Seminaren und Vorlesungen. BeiFrau Sabine Ibkendanz und Frau Dr. Annette Gasser vom Stein-kopff Verlag bedanken sich die Autoren für die bewährt kom-petente und ausgesprochen angenehme Zusammenarbeit.

Hamburg, im März 2009 Wolfgang von Renteln-Krusefür die Autoren

Vorwort zur 2. Auflage

1 Statistische Ämter des Bundes und der Länder (Hrsg) (2008) De-mografischer Wandel in Deutschland Auswirkungen auf Kranken-hausbehandlungen und Pflegebedürftige im Bund und in den Län-dern. Statistisches Bundesamt

2 Cigolle CT, Langa KM, Kabeto MU, Tian Z, Blaum CS (2007) Geriatricconditions and disability: The Health and Retirement Study. AnnIntern Med 147:156–164

3 Lübke N, Ziegert S, Meinck M (2008) Geriatrie. Erheblicher Nachhol-bedarf in der Weiter- und Fortbildung. Dtsch Ärztebl 105(21):A1120–1122

Page 9: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Mit Inkrafttreten der reformierten Approbationsordnung fürÄrzte besteht für die medizinischen Fakultäten der Universitä-ten erstmals die Verpflichtung, Lehrinhalte des Querschnitts-bereichs „Medizin des Alterns und des alten Menschen“ im Me-dizinstudium anzubieten. Die Voraussetzungen hierfür sindsehr unterschiedlich, da es in Deutschland bislang nur in sehrwenigen Ausnahmen altersmedizinische Universitätsabteilungengibt und nur wenige geriatrische Abteilungen bzw. Kliniken mitUniversitäten formal assoziiert sind und zusammenarbeiten.Verbindliche und präzisierte Vorgaben für Lernziele existierennicht.

Unsere Einführung soll und wird umfassende Lehrbücherder Gerontologie, Geriatrie und Gerontopsychiatrie nicht erset-zen. Es ist keine Abhandlung von „Alterskrankheiten“ und er-hebt auch nicht den Anspruch eines Vademekums für jedenFall und sämtliche Besonderheiten von Erkrankungen im Alter.Der beabsichtigte Zweck ist hingegen, Merkmale und Bedürf-nisse alt gewordener Patienten in den Mittelpunkt und an denAusgangspunkt von Überlegungen zu ihrer medizinischen Ver-sorgung zu stellen. In der Praxis ergeben sich bei alt geworde-nen Patienten besonders häufig wiederkehrende klinische He-rausforderungen. Diese sind übergreifend und unabhängig vomjeweiligen spezifischen, ambulanten oder stationären Behand-lungsrahmen. Sie beruhen in der Regel nicht auf einzelnenKrankheiten, sondern haben den Charakter von Syndromen.Neben unabdingbaren differenzialdiagnostischen und -thera-peutischen Erwägungen erfordern sie deshalb einen problem-orientierten Arbeitsansatz. Die dafür erforderliche systemati-sche Sicht und strukturierte Vorgehensweise ist der eigentlicheLeitfaden dieses Buches.

Die Autoren haben der Konzentration auf eine möglichstkompakte thematische Einführung wegen eine Auswahl treffenmüssen. Diese Auswahl ist – vor dem Hintergrund klinischerErfahrung – natürlich persönlich geprägt, orientiert sich jedocham Studienziel der klinischen Ausbildung, der allgemeinenArztreife. In diesem Zusammenhang danken wir unseren Kolle-

Vorwort zur 1. Auflage

Page 10: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

ginnen und Kollegen der anderen Fächer der Kurrikulum-Grup-pe für den Ausbildungsblock V am UniversitätskrankenhausHamburg Eppendorf für intensive Gespräche und konstruktiveAnregungen.

Unser ausdrücklicher Dank gilt Herrn Dr. Thomas Thieköt-ter, Geschäftsführer des Steinkopff Verlags in Darmstadt, derdie Idee zu diesem Buch mit Begeisterung aufgriff und damitan frühes, über 20 Jahre zurückliegendes Engagement seinesVerlags 1 anknüpft. Frau Vera Herkommer, Medizinisch-Geriat-rische Klinik, Albertinen-Haus in Hamburg, danken wir fürihre stets freundliche und tatkräftige Unterstützung beim Kor-rekturlesen und der Erstellung von Tabellen und Abbildungen,Herrn Tom Krause, Albertinen-Haus, für wertvolle Hinweiseund Korrekturen. Frau Sabine Ibkendanz und Herrn OliverFrohmeyer vom Steinkopff Verlag danken wir schließlich fürdie kompetente und ermunternde Zusammenarbeit, die in aus-gesprochen kurzer Zeit die Fertigstellung des Buches überhauptermöglichte.

Wir haben uns bemüht, aktuelle Informationen, Referenzenund Informationsquellen in den Text einzubringen und dabei,wo immer möglich, Ansprüche an Evidenz – verstanden alswissenschaftlich belegbare Aussagekraft – zu berücksichtigen.Zu bedenken ist jedoch, dass die Halbwertszeit des Wissenssich auch in der Altersheilkunde rasch weiter verkürzt, da For-schungsanstrengungen auf diesem Gebiet intensiver werden.Die systematische Vermittlung altersmedizinischer Inhalte imMedizinstudium steht jedoch am Anfang. Rückmeldungen so-wohl von Lernenden als auch Lehrenden sind uns besonderswichtig. Wir erhoffen uns deshalb Kommentare, Anregungenund Vorschläge der Leser.

Hamburg, im Mai 2004 Wolfgang von Renteln-Krusefür die Autoren

z Vorwort zur 1. AuflageXII

1 Brocklehurst/Hanley/Martin: Geriatrie für Studenten.UTB Steinkopff, 1980

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z Teil I Grundlagen und Methoden

1 Der alternde Mensch (J. Anders) . . . . . . . . . . . . . . . . 3

2 Die alternde Bevölkerung (W. v. Renteln-Kruse) . . . . 12

3 Erfolgreiches Altern durch Gesundheitsförderungund Prävention (U. Dapp) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

4 Geriatrische Methodik und Versorgungsstrukturen(W. v. Renteln-Kruse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

z Teil II Geriatrische Syndrome

5 Geriatrische Syndrome –eine diagnostische und therapeutischeHerausforderung (W. v. Renteln-Kruse) . . . . . . . . . . 63

6 Iatrogene Störungen (W. v. Renteln-Kruse) . . . . . . . . 70

7 Mobilität im Alter und Immobilitätssyndrom(J. Anders) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

8 Sturz-Syndrom (P. Dieckmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . 98

9 Inkontinenz (P. Dieckmann) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

10 Demenzen (A. Rösler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

11 Verwirrtheitszustände und Delirien (A. Rösler) . . . . 140

Inhaltsverzeichnis

Page 12: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

12 Depression und Suizidalität im Alter(R. Lindner, A. Rösler) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149

13 Ernährung und Mangelernährungim höheren Lebensalter (J. Anders) . . . . . . . . . . . . . . 160

14 Flüssigkeitshaushalt und Exsikkose (P. Dieckmann) . . 173

z Teil III Geriatrisches Management

15 Geriatrische Rehabilitation (W. v. Renteln-Kruse) . . . 185

16 Qualitätsmanagement (W. v. Renteln-Kruse) . . . . . . . 197

17 Pflegebedürftigkeit und Pflegeversicherung(W. v. Renteln-Kruse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

18 Medizin im Altenpflegeheim (W. v. Renteln-Kruse) . . 214

19 Lebensende und medizinische Versorgung(W. v. Renteln-Kruse) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

z Auswahl von Screening- und Untersuchungsverfahrenzur Beurteilung gesundheitlicher Problemeälterer Patienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

z Geriatrisches Screening . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241z Assessment der Aktivitäten des täglichen Lebens . . . . . . 243z Instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens . . . . . . 247z Sehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248z Hören . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250z Mobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251z Depressions-Screening . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255z Kognitives Screening . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256z Mini Nutritional Assessment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265z Aspirationsskala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267z Sozialfragebogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267z Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270z Internetadressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273

z InhaltsverzeichnisXIV

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Dr. med. Jennifer Anders

Dipl. geogr. Ulrike Dapp

Dr. med. Petra Dieckmann*

Priv.-Doz. Dr. med. Reinhard Lindner

Prof. Dr. med. Wolfgang. v. Renteln-Kruse

Priv.-Doz. Dr. med. Alexander Rösler

Medizinisch Geriatrische Klinik Albertinen-HausZentrum für Geriatrie und GerontologieWiss. Einrichtung an der Universität HamburgSellhopsweg 18–2222459 Hamburg

Autorenverzeichnis

* Klinik für Geriatrische Rehabilitation „Maria Frieden“Am Krankenhaus 1, 48291 Telgte

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Teil I: Grundlagenund Methoden

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Bedeutung

Vielfach wird höheres menschliches Lebensalter gleichgesetzt mit Krankheitund körperlichem Verfall. Diese Annahme trifft selten so eindeutig undausschließlich zu. Deshalb ist es wichtig für jeden, der ältere Menschenmedizinisch betreut, so genannte „normale“ (physiologische) Alterserschei-nungen von Erkrankungen und Krankheitsfolgen zu unterscheiden [18].

Definition

Der Begriff „alt“ geht zurück auf den indogermanischen Wortstamm „al-“=wachsen, reifen. Die damit verbundene positive Wertung steht der geläufi-gen Auffassung vom Altern als etwas Negativem entgegen. Das naturwis-senschaftliche Verständnis beschreibt Altern wertfrei als eine der Zeit un-terworfene Veränderung. Altern betrifft alle Lebewesen und beginnt mitder Entstehung eines Organismus [17].

Wie andere Reifungsprozesse auch, z.B. die Entwicklung eines Charak-ters, sind dabei gewisse Abläufe genetisch determiniert, andere aber vonäußeren Einflüssen abhängig. Daher altern Menschen individuell in unter-schiedlicher Geschwindigkeit und Ausprägung [8]. Abhängig davon, ob in-nerhalb des Organismus aufbauende oder abbauende Prozesse dominieren,entsteht ein Gesamteindruck von Wachstum oder Verfall. Dabei gibt es kei-nen Stillstand, sondern einen kontinuierlichen Alterungsprozess. Im Folgen-den wird kurz auf die heute bekannten Theorien zu endogenen und exo-genen Einflüssen auf das menschliche Altern eingegangen.

Der alternde Mensch1

Page 16: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Genetische Determinanten

Da menschliche Zellkulturen in vitro eine lange Lebensdauer zeigen, ver-neinte die Biologie des frühen 20. Jahrhunderts zunächst eine im Körperverankerte Determinante des Alterns. Doch mit neuen Erkenntnissen an-hand verschiedener menschlicher Zellsysteme zeigte sich, dass Körperzelleneine begrenzte Anzahl von Teilungen durchlaufen. Diese Hayflick-Zahl istfür jede Spezies festgelegt und korreliert mit der maximalen Lebenserwar-tung der jeweiligen Art [14]. Der zugrunde liegende molekulare Mechanis-mus wird mit der Telomer-Theorie beschrieben. Telomere, die Endabschnit-te menschlicher Chromosomen, verkürzen sich bei jeder Zellteilung un-gleichmäßig. Stress wie Entzündungen oder Mangelernährung gehen miteinem beschleunigten Abbau von Telomeren einher [22]. Sind diese DNA-Abschnitte gewissermaßen aufgebraucht, stirbt die Zelle. Die genetischeBegrenzung des zellulären Lebens könnte einen Schutzmechanismus vorKrebserkrankungen darstellen (Programmtheorie) [12], denn Kennzeichenbösartiger Tumoren ist häufig unkontrolliertes Wachstum mit beliebig vie-len Zellteilungen. Weitere Hinweise auf genetisch bestimmtes Altern überexplizit dafür angelegte „Regulatorgene“ geben uns Erberkrankungen mitvorzeitigen Alterszeichen, wie die seltene Progeria infantilis, das Werner-Syndrom oder die Trisomie 21 [23].

Bereits auf molekularer Ebene sind keinesfalls alle Abläufe des Alternsin unseren Erbanlagen festgeschrieben. Genetisches Alterungsprogrammund tatsächliche körperliche Alterung unterscheiden sich wie Genotyp undPhänotyp eines Individuums. Äußere Einflüsse wie Genuss- und Umweltgifteoder Strahlung beschleunigen das Altern, sobald körpereigene Reparatur-und Schutzmechanismen versagen oder überfordert werden (Reparatur-und Fehlertheorien) oder epigenetische Strukturen blockieren [11]. Die Ei-genschaft von Vitaminen in vitro, als Antioxidanzien freie Radikale abzu-fangen, führte zu der Hoffnung, durch eine erhöhte Zufuhr von Vitaminendie Zellalterung verlangsamen zu können (Radikaltheorie) [15]. Doch bis-her stehen In-vivo-Beweise für eine gezielte Verlangsamung sowohl geneti-scher als auch zytogener Alterungsprozesse aus. Im Gegenteil – hochdosier-te Vitamingaben (z.B. Carotinoide) gehen sogar mit einem erhöhtenKrankheitsrisiko einher. Solange die intra- und interzellulären Regulations-mechanismen des Alterns nicht genau verstanden werden, birgt jede ver-suchte Modifikation von außen auch ungeahnte Risiken.

Darüber hinaus ergeben Untersuchungen an alternden Organismen, dassZellen nicht isoliert, sondern stets als Gewebeverband und Organsystembetrachtet werden sollten. Die Organsysteme des Menschen reifen, alternund involieren nicht synchron, sondern in aufeinander folgenden Zeitfens-tern mit erheblichen interindividuellen Unterschieden [20]. So bildet sichdie Thymusdrüse schon kurz nach der Pubertät zurück, während die Herz-leistung aufgrund kompensatorischer Mechanismen (z.B. Herzwandver-dickung bei Abnahme der Herzschlagfrequenz) im Laufe des Lebens oft

z 1 Der alternde Mensch4

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nur unwesentlich abnimmt – solange keine spezifische Erkrankung desHerzens vorliegt. Knochen nehmen an Umfang zu, verlieren aber an Dich-te. Eine anhand der Knochendichte als krankhaft diagnostizierte Osteoporo-se gilt inzwischen als umstritten. Vielmehr scheint die weitaus geringer ab-nehmende Knochenmasse entscheidend für die Häufigkeit von pathologi-schen Frakturen als dem eigentlichen Krankheitswert [5, 25].

Die einzelnen Organsysteme kommunizieren über Reizleitungsbahnenund chemische Botenstoffe miteinander. Wenn alle Kompensationsmecha-nismen versagen, tritt ein Organversagen in mehreren Systemen und fol-gend der Tod des Organismus ein [21]. Die Beobachtungen von der Konzen-trationsabnahme einiger Hormone mit zunehmendem Alter legte den Schlussnahe, durch ihre Substitution Jugend erhalten und das Altern aufhalten zukönnen [10]. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt fehlen aber Erfahrungen zualtersbezogenen Normwerten und möglichen unerwünschten Wirkungenderartiger „Anti-Aging-Maßnahmen“. Die Besorgnis, hormonabhängige Tu-moren wie das Mamma- oder Prostatakarzinom zu stimulieren, wächst auf-grund neuerer Langzeituntersuchungen zur „Hormon-Replacement-Thera-pie“ (HRT) mit Östrogenen nach Eintritt der Menopause [7].

Soziokulturelle Einflüsse

Die Bezeichnung „Anti-Aging“ weist auf eine „Allotherapie“ des natürli-chen Vorganges „Altern“ hin. Demgegenüber stehen soziologische und ge-rontologische Modelle, die Altern als eine besondere, einzigartige und da-mit auch positive Lebenserfahrung wertschätzen. Diese Fachrichtungen be-trachten sowohl psychische (siehe folgender Abschnitt) als auch soziokultu-relle Einflüsse auf das persönliche Altern. Angestrebt wird nicht eine Ver-hinderung des Alterns, sondern erfolgreiches, beschwerdefreies Altern.

Unterstützt wird eine solche Betrachtungsweise durch Theorien, die denbiologischen Sinn des Alterns als Ergebnis der menschlichen Evolution un-tersuchen. Die Natur gesteht, wie oben erläutert, den einzelnen Spezieshöchst unterschiedliche Lebenserwartungen zu. Bei Wirbeltieren dominiertdabei die Gleichsetzung der Reproduktionsphase mit der Lebensspanne.Das bedeutet, dass unwesentliche Zeit nach der erfolgreichen Weiterleitungder Gene und damit Vermehrung der Art das Individuum stirbt. Doch so-zial lebenden Arten – wie Elefanten oder Primaten – wird ein weitaus län-geres Leben zugestanden. Ältere Tiere dienen der Art und ihrer Gruppedann häufig durch die Weitergabe von gelernten Verhaltensweisen und Er-fahrungen. Eine Theorie besagt nun, dass höhere, sozial lebende Arten –und allen voran der Mensch – nicht nur stofflich greifbare Informationenin Form der Gene, sondern auch ideelle Informationen und kulturelle Er-rungenschaften als so genannte Meme an die Nachkommen weitergeben:

Soziokulturelle Einflüsse z 5

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„A meme contains behavioral instructions that are passed from one gene-ration to the next, social artifacts, and value-laden symbols that glue to-gether social systems. Like an intellectual virus, a meme reproduces itselfthrough concepts like dress styles, language trends, popular culturalnorms, architectural designs, art forms, religious expressions, social move-ments, economic models, and moral statements of how living should bedone“ [3].

Abbildung 1.1 gibt diese Zusammenhänge von maximaler menschlicher Le-benserwartung und individueller Lebenserwartung unter dem Einfluss vonGenen und Memen schematisch wieder.

Damit erhält das menschliche Altern einen hohen Stellenwert als beson-dere Anpassung, eine Lebensnotwendigkeit unserer Art wie das Lernenund Schaffen von Kulturen. Unterstützt wird diese These zum einen durchdie Beobachtung, dass bei gesunden Individuen das Sprachverständnis, diekristalline Intelligenz und die Fähigkeit zu lernen (neuronale Plastizität) le-benslang erhalten bleiben, während die körperliche Leistungsfähigkeit stär-kere „Einbußen“ verzeichnet [4, 24].

Zum anderen übernehmen in den meisten ursprünglichen Kulturen, denNaturvölkern, die Ältesten Funktionen als Lehrende oder Herrschende.Häufiger als von den biologischen Eltern werden Kinder dieser Völker vonden Großeltern in handwerklichen und kulturellen Fähigkeiten sowie ethi-schen Normen unterwiesen. Damit verbunden ist eine hohe Wertschätzungund hervorragende soziale Integration älterer Menschen in vielen dieserGesellschaften [9].

z 1 Der alternde Mensch6

Abb. 1.1. Maximale menschliche Lebenserwartung und individuelle Lebenserwartung unterdem Einfluss von Genen und Memen

Page 19: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Psychologie des Alterns

Jedes Individuum verfügt über unterschiedliche, teils angeborene und teilserworbene Strategien, sich mit dem persönlichen Reifen und Altern aus-einanderzusetzen. Die theoretisch-gerontologische Forschung zu Beginndes 20. Jahrhunderts beschrieb hauptsächlich Verluste und Beeinträchti-gungen durch das Altern als ein Defizitmodell. Diese Defizite würden zu ei-nem Rückzug der Älteren aus dem Erwerbsleben und anderen sozialenFunktionen führen (Disengagement-Theorie):

„The elderly disengage from productive social roles to reliquish these rolesto younger members of society“ [13].

Im Gegensatz dazu stellen zahlreiche empirische Untersuchungen Altern alseine positive Herausforderung dar.

Die Ausführungen in diesem Kapitel besagen, dass bereits Unterschiede inden Erbanlagen den Prozess des Alterns interindividuell unterschiedlichablaufen lassen. Noch erheblich mehr exogene Variablen beeinflussen Ge-schwindigkeit und Art der menschlichen Alterung, so dass ältere undhochaltrige Menschen sich stärker voneinander unterscheiden als jüngereIndividuen voneinander. Die Dritte Bundesberichterstattung zur Situationder älteren Generation spricht in diesem Zusammenhang von einer aktiven,selbstbewussten und vielschichtigen Bevölkerungsgruppe:

„In unserer Bevölkerung gibt es kaum eine Altersgruppe, die so differen-ziert, so heterogen und so stark im Umbruch begriffen ist wie die der Äl-teren. Ältere Menschen verfügen über erstaunliche Kompetenzen zur Pro-blembewältigung und vermögen mit Unterstützung durch geeignete Maß-nahmen ein hohes Maß an Autonomie, an Lebensqualität und an Lebens-zufriedenheit zu bewahren oder zurückzugewinnen. Geeignete Ressourcenim sachlichen und personellen Umfeld gilt es optimal zu erschließen. Indiesem Sinne sollte Alter auch als Chance begriffen werden“ [6].

Das „Kompetenzmodell“ beschäftigt sich mit der individuellen Fähigkeit,das eigene Altern aktiv zu bewältigen (Aktivitätstheorie). Altern wird dabeinicht als allmähliche „Auflösung“ verstanden, sondern als zunehmende Er-weiterung und Ausdifferenzierung einer Person. Dies setzt die erfolgreicheIntegration von Erfahrungen voraus. Ziel ist „erfolgreiches“ Altern, wobeisich Erfolg an persönlichen Werten und Zielen, Selbstbestimmung und Un-abhängigkeit im Alter sowie persönlicher Lebenszufriedenheit misst.Persönliche Kompetenz drückt sich aus im verfügbaren Handlungspotenzialtrotz eventueller körperlicher Einschränkungen. Berücksichtigt werden diebiologische, sensomotorische und kognitive Leistung. Kürzer formuliertgilt, dass weniger Kompetente (Ältere) von der Umgebung kontrolliert wer-den, während Kompetente (Ältere) ihre Umgebung kontrollieren [16]. DemAlterungsprozess als Reifung liegt eine Entwicklungsdynamik zugrunde,

Psychologie des Alterns z 7

Page 20: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

die eine Minimierung von Verlusten und Maximierung von Gewinnen an-strebt. In Tabelle 1.1 sind mögliche Verluste und Gewinne beispielhaft auf-geführt [2].

Menschen haben dabei unterschiedliche Möglichkeiten, sich an physiolo-gische und pathologische Veränderungen im Alter anzupassen. Beobachtetwerden Verhaltensweisen, die sich unter den Begriffen Selektion, Optimie-rung und Kompensation zusammenführen lassen.z Selektion bezieht sich auf die Auswahl, Eingrenzung und Veränderung

von Zielen und Verhaltensbereichen,z Optimierung meint die Stärkung und Nutzung vorhandener zielrelevan-

ter Handlungsmittel und Ressourcen, undz Kompensation zielt auf die Schaffung, das Training und die Nutzung

neuer Handlungsmittel, um Beeinträchtigungen auszugleichen oder ent-gegenzuwirken.

Der gelungene Einsatz dieser drei Strategien setzt innere Bereitschaft undFlexibilität, eine fördernde Umwelt sowie gute Abstimmung voraus.

Erfolgreiches Altern als persönlicheund medizinische Herausforderung

Altern beinhaltet also gleichzeitig in vielen Bereichen die Chance auf Ent-wicklung (Plastizität im weiteren Sinne), in anderen Bereichen die Gefahrvon Verlusten (multidimensional) und verläuft daher immer individuellund nicht gleichsinnig, sondern multidirektional. Anders ausgedrückt, be-deutet dies, dass auch ältere Menschen sich positiv entwickeln können.Dies gilt trotz oder aufgrund eintretender Verluste körperlicher oder psy-chosozialer Art, wenn beizeiten eigene Reserven in diesen Bereichen ge-stärkt und genutzt werden [1]. Im Englischen heißt es dazu prägnant: „Use

z 1 Der alternde Mensch8

Tabelle 1.1. Alter unter der Perspektive von möglichen Gewinnen und Verlusten. (Eigene Zu-sammenstellung nach Baltes [2])

Gewinnchancen im Alter Verlustrisiken im Alter

z Anpassung z Fähigkeitseinschränkungenz Kompensation z Verluste im sozialen Netzz Neue Verhaltensmerkmale z Krankheitz Soziokulturelle Fortschritte z Einschränkung von Perspektivenz Nutzung technischer Fortschritte z Verlust von Ansehenz Lebenspraktische Intelligenz z Behinderung der sozialen Teilhabe

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it or lose it“. Praktische Beispiele für die Nutzung und den Ausbau körper-licher, mentaler und psychosozialer Reserven im Alter gibt das Kapitel 3zur Gesundheitsförderung und Prävention. Die Geriatrie (Altersmedizin)unterstützt ältere Menschen professionell und gezielt, um zumindest patho-logisches Altern zu verhindern. Tabelle 1.2 stellt mögliche Endpunkte despersönlichen Alterns einander gegenüber.

Die Begleitung älterer Menschen stellt professionelle Dienstleister vorbesondere Herausforderungen, weil individuelle Ziele, Kompetenzen undEinschränkungen in mehreren Bereichen zu berücksichtigen sind. Dies ge-lingt effektiver in Systemen oder Einrichtungen, die unterschiedliches Ex-pertenwissen in interdisziplinären Arbeitstechniken anbieten. Allgemeinverbindliche Strategien zur Problembewältigung im Alter sind zurückhal-tend zu formulieren, da nicht nur interindividuelle Unterschiede auftreten,sondern auch so genannte Kohorteneffekte. Durch die weitere Ausdehnungder Lebensdauer zählen zu den „älteren Menschen“ in Deutschland derzeitfast drei Generationen. Diese sind biographisch und kulturell unterschied-lich geprägt.

Ältere Patienten werden in extrem unterschiedlichen Kontextsituatutio-nen angetroffen, nämlich als selbständig lebende Ältere im Rahmen derGesundheitsvorsorge, kurzzeitig als akut Erkrankte oder längerfristig inPflegeeinrichtungen. Dies eröffnet geriatrisch tätigen Ärzten ein breit ange-legtes, interessantes Arbeitsfeld. Die Geriatrie hat Methoden entwickelt,diese unterschiedlichen Voraussetzungen in Diagnostik und Behandlungs-planung zu berücksichtigen (siehe Kap. 4). Geriatrie findet im Spannungs-feld zwischen normaler und pathologischer Alterung statt. Charakteristischsind Wechselwirkungen zwischen akuten und chronischen Erkrankungensowie Krankheitsfolgen. Da Heilung bei chronischen Erkrankungen nichtmöglich ist, sind die Behandlung und Kompensation von Krankheitsfolgenein besonderes Anliegen der Altersmedizin.

Die wechselseitige Verschränkung dieser Ebenen des Krankheitsprozes-ses lässt sich dabei nicht unbedingt als zeitlich lineares Geschehen begrei-fen, so dass in der Altersmedizin eine strikte Trennung in Akutmedizin

Erfolgreiches Altern als persönliche und medizinische Herausforderung z 9

Tabelle 1.2. Begriffsbestimmung: Endpunkte erfolgreichen und krankhaften Alterns. (EigeneZusammenstellung frei nach Shay et al. [23])

Pathologisches Altern z Auftreten von Krankheiten und alltagsrelevanten Funktions-einschränkungen mit Einbuße an Autonomie, Lebensqualitätund/oder Verkürzung der individuellen Lebensspanne

Normales Altern z Erreichen der durchschnittlich in der Bevölkerung erreich-baren Lebensspanne mit geringen, kompensierten Einbußenin somatischen und psychischen Funktionen

Optimales Altern z Erreichen der durchschnittlich in der Bevölkerung erreich-baren Lebensspanne mit weit reichender Autonomie, Wohl-befinden und dem Erreichen von persönlichen Lebenszielen

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und Rehabilitation nur selten sinnvoll erscheint [19]. So wie das Verständ-nis von Krankheit um psychosoziale Komponenten erweitert wurde, giltauch ein erweitertes Verständnis von Gesundheit. Gesundheit geht über diebloße Abwesenheit von Krankheit hinaus (siehe Kap. 2) und ist zu verste-hen als eine wesentliche Voraussetzung für ein Altern in Zufriedenheit.Geriatrische Behandlung minimiert und kompensiert funktionelle Beein-trächtigungen mit den Zielen der persönlichen Autonomie im Alltag undder sozialen Reintegration. Eine Förderung oder Wiederherstellung von Ge-sundheit ist theoretisch auf allen Ebenen des Geschehens möglich.

z Fazit. Zufriedenes Altern ist trotz bestehender Erkrankungen möglich,wenn funktionelle Integrität und gesellschaftliche Integration gefördertwerden.

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Literatur z 11

Page 24: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Demographische Alterung

Mit dem Begriff „demographische Alterung“ wird die Zunahme des Durch-schnittsalters einer Bevölkerung bezeichnet. Zur Beschreibung dieser „Alte-rung“ werden folgende statistische Indikatoren herangezogen:z die Lebenserwartung bei Geburt bzw. die fernere Lebenserwartung in ei-

nem bestimmten Lebensalter,z das Medianalter (Teilung der Bevölkerung in 2 Hälften, von denen die

eine das Alter unter- und die andere das Alter überschreitet),z das erwartete Medianalter einer fiktiven Gruppe von z.B. 100000 Neu-

geborenen, das mit der geltenden, in der Sterbetafel festgehaltenen Ster-bewahrscheinlichkeit ermittelt wird (Medianalter der Sterbetafelbevölke-rung),

z der Altenquotient der Bevölkerung (Zahl der 60-Jährigen und Älterenauf 100 Menschen im Alter von 20 bis unter 60 Jahren),

z die Prozentanteile der Altersgruppen an der Gesamtbevölkerung, z. B. derAnteil der unter 20-Jährigen, der 20- bis unter 60-Jährigen und der über60-jährigen Menschen,

z die Zahl und der Anteil der Betagten und Hochbetagten (meist als80-Jährige und Ältere definiert) bzw. die Zahl der 100-Jährigen und Älte-ren („Centenarians“) bzw. der über 105-Jährigen („Super-Centenarians“)[1].

Die Altersstrukturveränderungen unserer Gesellschaft sind durch folgendeProzesse gekennzeichnet: Etwa seit Ende der 1960er Jahre ist ein starkerRückgang der Geburtenrate auf ca. 1,4 Lebendgeborene pro Frau und derabsoluten Geburtenzahl zu verzeichnen (Fertilitätsprozess). Der hohe Zuge-winn an Lebenserwartung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beruhteauf dem Rückgang der Säuglings- und Kindersterblichkeit, während derletzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts jedoch vor allem auf der Abnahmeder Mortalität im höheren Lebensalter (Mortalitätsprozess).

In Deutschland betrug 1997/98 die Lebenserwartung eines Jungen beiGeburt 74,44 Jahre, die eines Mädchens 80,57 Jahre. 2002/2004 betrug diemittlere Lebenserwartung 81,6 Jahre für Frauen und 76 Jahre für Männer.Die Geschlechterdifferenz hat sich seit 1990 damit von 6,5 auf 5,6 Jahre ver-

Die alternde Bevölkerung2

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ringert [11]. Die fernere Lebenserwartung im Alter von 80 Jahren stieg inDeutschland im Zeitraum von 1949/51 bis 1997/98 für Männer um 31,9%auf 6,91 Jahre und für Frauen um 50,3% auf 8,37 Jahre! Gleichwohl zeigtTabelle 2.1, dass innerhalb Deutschlands bemerkenswerte Unterschiedebezüglich der Lebenserwartung bei Geburt bestehen.

Warum Frauen länger leben als Männer, ist letztlich nicht geklärt [6].Erklärungsansätze für die geschlechtsspezifischen Mortalitätsdifferenzen las-sen sich in biologische sowie verhaltens- und umweltorientierte Erklärun-gen unterteilen. Erstere gehen davon aus, dass Frauen aufgrund biologi-scher bzw. genetischer Faktoren resistenter sind als Männer. Letzterenimmt dagegen an, dass Männer sich weniger gesundheitsbewusst verhal-ten und mehr umweltspezifischen Risiken ausgesetzt sind. Zu den Diagno-segruppen mit besonders hoher Übersterblichkeit der Männder gehören:z psyschische und Verhaltensstörungen, unter die auch der Gebrauch psy-

chotroper Substanzen gehört;z Verletzungen und Vergiftungen, einschließlich Unfälle und Suizide;z Krankheiten des Atmungssystems.

Die Übersterblichkeit bei Krankheiten des Verdauungssytems und Krebswird vor allem durch chronische Leberschäden und Lungenkrebs ver-ursacht.

Durch einwandernde Menschen verjüngt sich die Altersstruktur kurz- bismittelfristig, weil deren überwiegende Zahl auf die Gruppe der 25- bis

Demographische Alterung z 13

Tabelle 2.1. Lebenserwartung bei Geburt (in Jahren) in den deutschen Bundesländern [11]

Mädchen Jungen

z Baden-Württemberg 82,56 77,40z Bayern 81,92 76,47z Berlin 81,19 75,69z Brandenburg 81,11 74,60z Bremen 81,03 74,73z Hamburg 81,44 76,18z Hessen 81,82 76,43z Mecklenburg-Vorpommern 80,83 73,84z Niedersachsen 81,51 75,75z Nordrhein-Westfalen 81,16 75,64z Rheinland-Pfalz 81,28 75,88z Saarland 80,35 74,81z Sachsen 81,87 75,43z Sachsen-Anhalt 80,78 74,02z Schleswig-Holstein 81,42 76,02z Thüringen 81,01 74,77

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35-Jährigen entfällt (migrationsinduzierte Verjüngung). Langfristig schwächtsich dieser Effekt jedoch wieder ab. Niedrige Fertilität und hohe Lebens-erwartung zusammen bedingen den Prozess der transformationsbedingtenAlterung [1].

Zukünftig werden also in Deutschland absolut wie auch relativ mehr äl-tere Menschen leben, unter denen mehr Hochaltrige, sog. alte Alte (80 Jah-re und älter), sein werden als je zuvor, da dieser Bevölkerungsanteil amstärksten wächst (Tabelle 2.2).

Die Zahl der 100-Jährigen betrug im Mai 1987 2197 und stieg bis 2000auf schätzungsweise 9500. Deutschland verzeichnet zu Beginn des 21. Jahr-hunderts nach Japan die weltweit stärkste demographische Alterung(Abb. 2.1).

Bis 2050 wird sich das Medianalter auf 52 Jahre erhöhen, die Zahl der20- bis unter 60-Jährigen sinken1, was die Alterspyramide erheblich verän-dert (Abb. 2.2).

Durch diese gegenläufigen Entwicklungen wird der Altenquotient von38,6 (1998) voraussichtlich um mehr als das Doppelte ansteigen [1]. Es istunschwer erkennbar, dass dies enorme Herausforderungen an die sozialenSicherungssysteme stellen wird.

Weitere Veränderungen, die mit der veränderten Altersstruktur derBevölkerung einhergehen, sind Feminisierung und Singularisierung desAlters. Noch vor 100 Jahren gab es ungefähr gleich viele alte Frauen undMänner. Unsere heutige Altersgesellschaft ist bei den über 60-Jährigen zuzwei Dritteln, bei den über 75-Jährigen sogar zu drei Vierteln eine Frauen-gesellschaft. Mit zunehmendem Lebensalter nimmt der Anteil Alleinstehen-der zu [14].

Dies gilt besonders für ältere Frauen, die bei Verlust ihrer Selbstständig-keit ihre Unabhängigkeit schwerer bewahren können und in höherem Maßvon ambulanten und stationären Hilfen abhängig werden. In Altenheimenwohnen vor allem Frauen, die auch die Struktur besonders der Pflegeheime

z 2 Die alternde Bevölkerung14

Tabelle 2.2. Vorausberechnete Veränderung der Anzahl der Gesamtbevölkerung, der Anzahlsowie des Anteils 80-jähriger und älterer Menschen. (Statistisches Bundesamt Wiesbaden 2000)

Jahr Gesamtbevölkerung Alter �80 Jahre �80-Jährige [%]

2000 81946000 4863100 5,942010 81421900 4025700 4,942020 80151700 5266500 6,572030 77672400 5312600 6,842040 74155200 6436300 8,682050 69940000 7919600 11,32

1 Dies gilt auch unter der Annahme, dass die Zahl der Zuwandernden höher istals die der Auswandernden.

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prägen (siehe Kap. 18). Der Anteil der Einpersonenhaushalte wird in fastallen höheren Altersgruppen zunehmen, wozu gestiegene Scheidungsquotenbeitragen. Dies betrifft auch die Männer, um die sich die Altenhilfe in ab-sehbarer Zukunft stärker wird kümmern müssen. Deutlich größer istgleichzeitig der Anteil der Zweipersonenhaushalte, weil es mehr (Ehe-)Paa-re in höherem Alter gibt. Dagegen haben die Zwei-, Drei- und Mehrgenera-

Demographische Alterung z 15

Abb. 2.1. Entwicklung des Altenquotienten (=Zahl der 65-Jährigen und Älteren auf 100 Men-schen im Alter von 15–64 Jahren) von 1950–1955 bis 1995–2000 und Projektionsrechnungenbis 2050 [1]

Abb. 2.2. Veränderung der Altersstruktur der deutschen Bevölkerung 2000 bis 2050 [1]

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tionenhaushalte weiter abgenommen. Als gesellschaftliche Entwicklung istbei jüngeren Menschen der nachwachsenden Altersgeneration ein Trendzum Alleinleben festzustellen. Am 31. Dezember 1999 betrug der Anteilvon Einpersonenhaushalten beispielsweise in Hamburg 47,9% [13].

Lebenserwartung und aktive Lebensjahre

Mit den demographischen Veränderungen geht einher, dass aufgrund me-dizinischen Fortschritts mehr Menschen mit chronischen Erkrankungenein höheres Lebensalter erleben. Das Krankheitsspektrum verschiebt sichzunehmend von akuten zu degenerativen Erkrankungen („epidemiologictransition“). Chronische Krankheit bedeutet, dass medizinische Interventio-nen hierbei statt auf Heilung mehr auf Krankheitsmanagement und Um-gang der Patienten mit diesen Situationen ausgerichtet sein müssen. Hei-lung und verringerte Mortalität sind nicht mehr unbedingt die entschei-denden Erfolgskriterien [9]. Für den individuellen Patienten ist dabei vonausschlaggebender Bedeutung, ob der Zugewinn an Lebensjahren mit Le-bensqualität erfüllt ist oder nicht!

Bezugsrahmen der Altersmedizin ist deshalb ein biopsychosoziales Mo-dell, das zusätzliche Dimensionen wie Lebensqualität und Kriterien wieAufrechterhaltung oder Wiedergewinnung von unabhängiger Lebensfüh-rung grundsätzlich einschließt. Dieser Arbeitsansatz geht in seiner Sicht-weise über das biomedizinische Modell hinaus, welches darauf beruht, ein-zelne Krankheiten zu vermeiden bzw. zu heilen.

Bereits vor über 30 Jahren wurde das Konzept der „health state ex-pectancy“ (HSE) beschrieben [8]. Als neuer, aussagefähigerer Indikator, derMorbidität und Mortalität berücksichtigt, wurde die „disability-free life ex-pectancy“ (DFLE) bzw. „active (healthy) life expectancy“ (ALE) entwickelt,um die Qualität gewonnener Lebensjahre insbesondere alter Menschen zuerfassen. Kriterium aktiver Lebensjahre ist das selbstständige Vermögenoder die funktionelle Kompetenz, alltägliche Aktivitäten oder sog. Alltags-aktivitäten („activities of daily living“, ADL) ohne Hilfe auszuführen.Krankheiten und insbesondere chronische Erkrankungen können funktio-nelle Kompetenz in sehr unterschiedlichem Ausmaß beeinträchtigen undso über Fähigkeitsstörungen zu Behinderungen führen. Im Jahr 2002 be-trug die Lebenserwartung in Gesundheit für Frauen 74,0, für Männer 69,6Jahre, und weitere 7,6 bzw. 5,9 Jahre wurden mit gesundheitlichen Be-schwerden verbracht [18]. Die Berücksichtigung dieser letztlich entschei-denden Krankheitsfolgen erfordert ein erweitertes Verständnis von Krank-heit. Tabelle 2.3 zeigt die erweiterte Konzeption in Form der Internationa-len Klassifikation von Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und Beeinträchti-gungen (ICIDH), die also Krankheitsfolgen beinhaltet [15, 17].

z 2 Die alternde Bevölkerung16

Page 29: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Lebenserwartung und aktive Lebensjahre z 17

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Von der WHO wurde 2001 die Internationale Klassifikation der Funk-tionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) als Nachfolge der ICIDHverabschiedet (deutsche Fassung unter www.dimdi.de). In einem Modellder Wechselwirkungen mit sog. Kontextfaktoren berücksichtigt dieses wei-terentwickelte Konzept stärker den individuellen Lebenshintergrund (sieheauch Kap. 15). Folgende Begriffe sind definiert:z Funktionsfähigkeit ist ein Oberbegriff für Körperfunktionen und Körper-

strukturen, Aktivitäten und Teilhabe. Er bezeichnet die Fähigkeit einerPerson zur Ausführung zweckgerichteter Handlungen im Kontext des ge-samten Lebenshintergrundes.

z Behinderung ist ein Oberbegriff für Schädigungen sowie Beeinträchti-gungen der Aktivität und der Teilhabe. Er bezeichnet also die Störungvon Funktionsfähigkeit im Kontext des gesamten Lebenshintergrundes.

z Kontextfaktoren stellen den gesamten Lebenshintergrund einer Persondar. Sie umfassen zwei Komponenten: Umweltfaktoren und personenbe-zogene Faktoren. Diese können einen positiven oder negativen Einflussauf eine Person mit einem bestimmten Gesundheitszustand haben.

z Umweltfaktoren bilden die materielle, soziale und einstellungsbezogeneUmwelt ab.

z Personenbezogene Faktoren sind der individuelle Hintergrund des Le-bens und der Lebensführung einer Person (Eigenschaften und Attribute)und umfassen Gegebenheiten, die nicht Teil eines Gesundheitsproblemsoder -zustandes sind, z.B. Alter, Geschlecht, Lebensstil, Coping, sozialerHintergrund, Bildung/Ausbildung, Beruf und Erfahrung.

z Körperfunktionen sind die physiologischen Funktionen von Körpersyste-men (einschließlich psychischer Funktionen).

z Körperstrukturen sind anatomische Teile eines Körpers wie Organe,Gliedmaßen und ihre Bestandteile.

z Schädigungen sind Beeinträchtigungen einer Körperfunktion oderKörperstruktur wie z.B. eine wesentliche Abweichung oder ein Verlust.

z Aktivitäten bezeichnen die Durchführung von Aufgaben oder Handlun-gen durch einen Menschen.

z Beeinträchtigungen der Aktivität sind Schwierigkeiten, die ein Menschbei der Durchführung einer Aktivität haben kann.

z Teilhabe ist das „Einbezogensein“ in eine Lebenssituation oder einen Le-bensbereich.

z Beeinträchtigungen der Teilhabe sind Probleme, die ein Mensch beim„Einbezogensein“ in eine Lebenssituation oder einen Lebensbereich er-lebt.

z 2 Die alternde Bevölkerung18

Page 31: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Die Bedeutung der Funktion

Der Begriff der Funktion erhält damit für die Geriatrie eine zentrale Bedeu-tung. Das chronologische Alter selbst ist wenig hilfreich und spielt bei derFunktionsbeurteilung keine entscheidende Rolle. Biologisches Alter kann be-kanntlich erheblich von chronologischem oder kalendarischem Alter abwei-chen. Das komplexe Zusammenwirken von physiologischen Altersverände-rungen sowie physischen, psychischen und sozialen Krankheitsfolgen be-gründet die ausgeprägte Heterogenität älterer Patienten. Funktionelle Kom-petenz variiert von völlig selbstständig bis komplett pflegebedürftig.

Eine wachsende Zahl von Daten aus Querschnitts- und Langzeitstudienan älteren Bevölkerungsstichproben und Krankenhauspatienten belegt ein-drücklich die überragende Bedeutung von Fähigkeitsstörungen für Aus-sagen zum Risiko von Hilfs- und Pflegebedürftigkeit, zur Prognose, zumAusmaß der Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen sowie zur Mor-talität [5, 10].

Deshalb sind Verfahren zur qualitativen und/oder quantitativen Unter-suchung von Funktionen zusätzlich zur erforderlichen krankheitsbezogenenDiagnostik in der Geriatrie von essenzieller Bedeutung (siehe Kap. 4).

Berechnungen der gesetzlichen Krankenversicherung zur Bestimmungdes Anteils chronisch Kranker im ambulanten und stationären Versor-gungsbereich ermittelten Anteile von 40–50% [2]. Mit zunehmendem Altersteigt die Zahl chronisch Kranker, ebenso die Zahl der Menschen mit meh-reren Erkrankungen (Multimorbidität), häufiger für über 60-jährige Frauenals für gleichaltrige Männer. Leidet ein Mensch gleichzeitig an mehr als ei-ner medizinisch definierten Krankheit, so liegt Mehrfacherkrankung vor.Es wird auch – mit Schwerpunktsetzung auf eine Leitkrankheit – von Ko-morbidität gesprochen. Die Komorbidität ist ein bedeutender Risikofaktorfür Fähigkeitsstörungen, weshalb deren Häufigkeit stark mit dem Lebens-alter assoziiert ist (Abb. 2.3) [7].

Die Prävalenz von Funktionsstörungen ist bei Männern geringer als beiFrauen derselben Altersgruppe. Bei gleicher Inzidenz (Neuauftreten) istaufgrund der höheren Lebenserwartung die Prävalenz bei Frauen höher.Als weitere wichtige Information zeigt Abb. 2.3 jedoch auch, dass dieMehrzahl der Hochbetagten keine oder nur leichte funktionelle Beeinträch-tigungen aufweist!

Neben der Erfassung objektiver Befunde ist auch die subjektive Selbstein-schätzung des eigenen Gesundheitszustandes durch Patienten (siehe Kap. 5)von prognostischem Wert, z.B. für die Mortalität [3]. Mit steigendem Le-bensalter geht die positive Selbsteinschätzung zurück. In der Altersgruppeüber 65 Jahren bewerten Frauen ihren Gesundheitszustand häufiger un-günstig als Männer (Tabelle 2.4).

Die Bedeutung der Funktion z 19

Page 32: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

z 2 Die alternde Bevölkerung20

Abb. 2.3. Beziehung zwischen höherem Lebensalter und funktioneller Beeinträchtigung: a keineoder leichte Beeinträchtigung, b schwere Beeinträchtigung [10]

Tabelle 2.4. Selbsteinschätzung der Gesundheit nach Alter und Geschlecht (%; n=8318). (Tele-fonischer Gesundheitssurvey 2003, Robert Koch-Institut [zit. in 11])

Männer Frauen

Alter (Jahre) 18–29 30–44 45–64 �65 Gesamt 18–29 30–44 45–64 �65 Gesamt

z Sehr gut 33,6 28,0 15,7 9,3 21,8 33,6 27,4 17,3 7,6 20,4

z Gut 56,5 58,9 53,0 44,8 54,1 53,1 55,7 50,3 36,4 49,0

z Mittelmäßig 9,0 10,3 22,4 34,3 18,2 11,4 13,6 25,7 42,1 23,8

z Schlecht 0,7 2,3 7,4 9,6 4,9 1,6 2,7 5,5 10,8 5,3

z Sehrschlecht

0,1 0,5 1,5 2,1 1,0 0,3 0,8 1,3 3,1 1,4

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Hypothesen zu Mortalität, Morbidität und Behinderung im Alter

Aus den o.g. demographischen und epidemiologischen Veränderungen er-gibt sich folglich die Frage, ob nicht der Zugewinn an Lebensjahren mitebenfalls längeren Lebensabschnitten in Krankheit und Beeinträchtigungen(Behinderung) bezahlt wird. Die Beziehung zwischen Morbidität, Behin-derung und Mortalität ist komplex und keineswegs einfach und eindeutig.Abbildung 2.4 zeigt schematisch eine Überlebenskurve (Mortalität) sowieeine hypothetische Morbiditäts- und eine hypothetische Behinderungsüber-lebenskurve nach [16]. Diese Kurven repräsentieren die Anzahl der Per-sonen einer bestimmten Gruppe oder Kohorte, die überhaupt überleben,die ohne Behinderung und die ohne Morbidität überleben. Die Fläche un-ter der Mortalitätskurve repräsentiert die gesamte Lebenserwartung, wäh-rend die Fläche unterhalb der Behinderungs- bzw. Morbiditätskurve ent-sprechend jeweils die Lebenserwartung ohne Behinderung bzw. ohne Mor-bidität darstellt.

Die Fläche zwischen der Mortalitäts- und der Behinderungskurve ent-spricht der Lebenserwartung mit Behinderung. Bestimmt werden die Kur-venverläufe von altersspezifischen Raten für Morbidität, Behinderung undMortalität. Änderungen können zu unterschiedlichen Kurvenverläufen unddamit zu unterschiedlichen Gesamtlebenserwartungen bzw. Lebenserwar-tungen mit Morbidität und Behinderung führen. Die drei Überlebenskur-ven müssen sich jedoch nicht unbedingt gleichsinnig und in gleichem Aus-maß in dieselbe Richtung verändern. Zur Entwicklung der Beziehung dieserIndikatoren – Mortalität, Morbidität und Behinderung – zueinander existie-ren 3 unterschiedliche Hypothesen [8], die im Folgenden erläutert werden.

Hypothesen zu Mortalität, Morbidität und Behinderung im Alter z 21

Abb. 2.4. Beziehung zwischen Morbidität, Behinderung und Mortalität als veränderliche Über-lebenskurven [16]

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z „Compression-of-morbidity-Hypothese“

Diese Hypothese nimmt an, dass sich die Lebenserwartung des Menschenihrer genetisch determinierten Grenze nähern wird und dass chronischeKrankheiten und Behinderung in höhere Lebensalter hinausgeschoben odersogar verhindert werden können. Dazu tragen Präventionsmaßnahmen undgesunder Lebensstil bei (siehe Kap. 3). Durch diese positive Beeinflussungvon Morbidität und Behinderung wird sich die Überlebenskurve nicht we-sentlich verändern, aber die Fläche zwischen dieser und der Morbiditäts-bzw. Behinderungskurve (siehe Abb. 2.4) wird sich verschmälern („com-pression of morbidity“). Als Resultat dieser Hypothese käme es also zu ei-nem Zugewinn an krankheits- und behinderungsfreier Lebenserwartung.

z „Expansion-of-morbidity-Hypothese“

Diese Hypothese geht hingegen davon aus, dass es durch Reduktion vonMortalität zu einem Mehr an Jahren in Krankheit und Behinderung kommt.Medizinischer Fortschritt führt unter anderem dazu, dass insbesondereschwer chronisch Erkrankte länger überleben, sich die Mortalitätskurvealso nach außen bewegt, während sich die Morbiditätskurve jedoch kaumverändert (siehe Abb. 2.4). Dadurch vergrößert sich die Fläche zwischenden Kurven („expansion of morbidity“). Durch Senkung der Mortalitätüberleben außerdem mehr Menschen bis in ein hohes Lebensalter mit dannerhöhtem Risiko für nicht fatale Erkrankungen mit folgender Behinderung.

z „Dynamic-equilibrium-Hypothese“

Die dritte Hypothese schließlich geht davon aus, dass sich zwar die Über-lebenszeit in Krankheit und Behinderung durch Reduktion der Mortalitätvergrößert, es aber durch medizinische Maßnahmen und positive Änderun-gen des Lebensstils zu einer Verlangsamung der Progression chronischerKrankheiten kommt. Dadurch bleibt der Anteil der Überlebenszeit in schwe-rer Krankheit und Behinderung relativ konstant. Bezogen auf die Über-lebenskurven (siehe Abb. 2.4) bedeutet dies dann, dass sich die Mortalitäts-kurve rascher nach außen bewegt als die Morbiditätskurve. Dadurch ver-größert sich die Fläche zwischen diesen beiden Kurven, während sich dieFläche zwischen Morbiditäts- und Behinderungskurve – entsprechend derHypothese – nicht vergrößert („dynamic equilibrium“).

Wie sich der Gesundheitszustand der wachsenden Zahl älter werdenderMenschen insbesondere im sehr hohen Alter entsprechend der o. g. Hypo-thesen verändert, wird unterschiedlich eingeschätzt. Untersuchungen unterAnwendung des Konzepts der active life expectancy kommen in Ländern

z 2 Die alternde Bevölkerung22

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mit unterschiedlichen Gesundheitssystemen zu abweichenden, z.T. wider-sprüchlichen Ergebnissen [12]. Analysen über drei Geburtskohorten (1917,1922, 1927) ergaben für Deutschland erkennbare Verbesserungen des Ge-sundheitszustands älterer Menschen, gemessen am Rückgang inaktiver Zeitan der gesamten Überlebenszeit [4].

Schlussfolgerungen

Es ergeben sich folgende Schlussfolgerungen:z Ältere Menschen sind – als Gruppe gesehen – ausgesprochen heterogen;

biologisches Alter und kalendarisches Alter können erheblich differie-ren.

z Altern ist nicht gleichzusetzen mit Krankheit, aber hohes Lebensalter istassoziiert mit v. a. chronischer Krankheit, Multimorbidität und Krank-heitsfolgen.

z Funktionelle Beeinträchtigungen und daraus folgende Behinderung be-stimmen wesentlich die Lebensqualität älterer Menschen und schränkenihr Selbsthilfepotenzial sowie ihre Möglichkeiten unabhängiger Lebens-gestaltung entscheidend ein.

z Die Lebenserwartung wird voraussichtlich weiter ansteigen.z Ein Zugewinn an krankheits- bzw. behinderungsfreien Jahren ist wichti-

ger als steigende Lebenserwartung an sich („Add life to years but notjust years to life.“).

Für die Altersmedizin wird sich ein steigender Behandlungsbedarf ergeben.Dies betrifft den Bedarf für akute Behandlung sowie geriatrische Rehabili-tation. Darüber hinaus wird die Entwicklung präventiver und im Alter ge-sundheitsfördernder Konzepte eine Aufgabe der Geriatrie mit wachsenderBedeutung werden.

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z 2 Die alternde Bevölkerung24

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Bedeutung

Mit dem Begriff „Gesundheit“ werden sehr unterschiedliche Ansichten ver-bunden (siehe Kap. 1). Die Vorstellung von Gesundheit als Abwesenheitvon Krankheit ist jedoch die vorherrschende Sichtweise und prägt die Auf-fassung von dem, was unter Gesundheitsförderung verstanden wird. Somitist mit Gesundheitsförderung häufig nur Krankheitsprävention gemeint.Dies geschieht in der Regel durch die Identifizierung von Bevölkerungs-gruppen oder Individuen (Risikogruppen), die einem höheren Risiko aus-gesetzt sind, eine spezifische Krankheit zu entwickeln (durch Risikoverhal-tensweisen).

Diese pathogenetische Konzentrierung auf die Erkrankungsursachenführte zur Betonung der Risikofaktoren und Risikogruppen. Im Mittelpunktstanden nicht die mit dem Risiko zusammenhängenden tiefer liegenden Ur-sachen der Erkrankung. Antonovsky [1] plädiert hingegen für einen saluto-genetischen Ansatz, der danach fragt, warum Menschen gesund bleiben. Erbeschreibt Bewältungungsmechanismen, die es Menschen trotz widrigerUmstände, Veränderungen oder Stress ermöglichen, gesund zu bleiben. Einwichtiger Gesundheitsfaktor, den Antonovsky als „Kohärenzsinn“ bezeich-net, umfasst die drei Aspekte der Verstehbarkeit, Handhabbarkeit undSinnhaftigkeit von Veränderungen. Dies sind Fähigkeiten der Menschen,die durch das soziale Umfeld gefördert oder behindert werden können. Sosind soziale Faktoren bei der Entstehung von Gesundheit und Krankheitsowie die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Behandlung von Bedeutung[10].

Ergänzend zu den traditionellen Konzepten der Sozialhygiene, Gesund-heitserziehung und Prophylaxe wurden in den vergangenen JahrzehntenStrategien zur Gesundheitsförderung („health promotion“) entwickelt. Be-griffe wie Gesundheitserziehung, Gesundheitsaufklärung, Gesundheitsbil-dung, Gesundheitspflege, Gesundheitsberatung, Gesundheitstraining undGesundheitsförderung wurden bislang in Deutschland häufig synonym be-nutzt. Im Zusammenhang mit dem WHO-Programm „Gesundheit für alle“entwickelte sich ein neues lebensweisenbezogenes Verständnis von „health

Erfolgreiches Alterndurch Gesundheitsförderungund Prävention

3

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promotion“, das im Deutschen heute als „Gesundheitsförderung“ bezeichnetwird [5].

Für den älteren Menschen bedeutet Gesundheitsförderung, bestehendeReserven auszubauen, verloren gegangene Fähigkeiten wiederzugewinnenoder psychosoziale Benachteiligung durch körperliche Einschränkungen zuverhindern. Gesundheitsförderung ist ein übergeordneter Begriff, der es er-laubt, gleichzeitig bei einer Person Maßnahmen der primären, sekundärenoder tertiären Prävention und/oder der Rehabilitation anzuwenden. Um so-wohl Reserven als auch Defizite standardisiert zu erfassen, stehen verschie-dene valide Instrumente zur Verfügung. Ihre Anwendung, Interpretationund Umsetzung in einen (Be-)Handlungsplan sind wichtige Voraussetzun-gen geriatrischen Handelns (siehe Kap. 4).

Es spricht also vieles für die Entwicklung spezieller präventiver alters-medizinischer Instrumentarien und Konzepte. Epidemiologische Unter-suchungen zeigen eine hohe Prävalenz von Risikofaktoren für die Entste-hung von Krankheit und Behinderung in der älteren Bevölkerungsgruppe.An eine positive Beeinflussung dieser Risikofaktoren knüpft sich die Hoff-nung, auf diesem Wege die Entstehung von Krankheit und Behinderung zuvermeiden oder zumindest zu verzögern [12].

Definition

Bisher gibt es keinen einheitlichen Sprachgebrauch für die Begriffe „Ge-sundheitsförderung“ und „Prävention“ mit ihrer Unterscheidung in primä-re, sekundäre und tertiäre Prävention, obwohl die Begriffe in der Literaturdefiniert sind. Nachfolgend werden die Definitionen ausgeführt, die sich inder aktuellen Literatur durchgesetzt haben.

z Gesundheitsförderung

Die auf der ersten internationalen Conference on Health Promotion 1986verabschiedete Resolution – die sog. Ottawa-Charta – wurde in Deutsch-land breit diskutiert und wird inzwischen von allen wesentlichen Organisa-tionen und Institutionen im Gesundheitswesen als richtungsweisend akzep-tiert.

Gesundheitsförderung zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höhe-res Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen undsie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen. Um umfassendeskörperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden zu erlangen, ist es not-wendig, dass sowohl das Individuum als auch Gruppen ihre Bedürfnissebefriedigen, ihre Wünsche und Hoffnungen wahrnehmen und verwirk-

z 3 Erfolgreiches Altern durch Gesundheitsförderung und Prävention26

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lichen sowie ihre Umwelt meistern bzw. verändern können [5]. In diesemSinne ist Gesundheit ein wesentlicher Bestandteil des alltäglichen Lebensund nicht als vorrangiges Lebensziel zu verstehen. Gesundheit steht für einpositives Konzept, das in gleicher Weise die Bedeutung sozialer und indivi-dueller Ressourcen ebenso betont wie die körperlichen Fähigkeiten. DieVerantwortung für Gesundheitsförderung liegt deshalb nicht nur bei demGesundheitssektor, sondern bei allen Politikbereichen und zielt über dieEntwicklung gesünderer Lebensweisen hinaus auf die Förderung von um-fassendem Wohlbefinden (www.deutscher-praeventionspreis.de).

z Prävention

Die Definition der nachfolgenden Begriffe zur Prävention basiert auf demGutachten des Sachverständigenrats für die konzertierte Aktion im Ge-sundheitswesen [12].

z Primärprävention. Primärprävention umfasst alle spezifischen Aktivitätenvor Eintritt einer fassbaren biologischen Schädigung zur Vermeidung aus-lösender oder vorhandener Teilursachen. Gesundheitspolitisches Ziel ist es,die Inzidenzrate (Neuauftreten) einer Erkrankung in einer Population(oder die Eintrittswahrscheinlichkeit bei einem Individuum) zu senken.

z Sekundärprävention. Sekundärprävention umfasst alle Maßnahmen zur Ent-deckung klinisch symptomloser Krankheitsfrühstadien (Früherkennungs-maßnahmen, Gesundheits-Check-up, Vorsorgeuntersuchungen) asymptoma-tischer Krankheitsstadien und ihrer erfolgreichen Frühtherapie. Zentral istdie Forderung nach gesichertem Zusatznutzen der Frühbehandlung gegenü-ber einer später einsetzenden Normalbehandlung, da andernfalls Früherken-nung unnötige Kosten, unnötiges Leid und unnötige Risiken verursacht. AlsSekundärprävention wird in jüngster Zeit auch die Verhinderung einer Wie-derholungserkrankung bzw. einer identischen Zweiterkrankung nach behan-delter Ersterkrankung bezeichnet (z.B. Reinfarkt nach Herzinfarkt). Gesund-heitspolitisches Ziel ist die Inzidenzabsenkung manifester oder fortgeschrit-tener Erkrankungen.

z Tertiärprävention. Tertiärprävention kann im weiteren Sinne verstandenwerden als die wirksame Behandlung einer symptomatisch gewordenen Er-krankung mit dem Ziel, ihre Verschlimmerung zu verhüten. Engere Kon-zepte der Tertiärprävention subsumieren die Behandlung manifester Er-krankungen unter Kuration und bezeichnen lediglich bestimmte Interven-tionen zur Verhinderung bleibender, insbesondere sozialer Funktionsein-bußen als Tertiärprävention. Gesundheitspolitisches Ziel von Tertiärpräven-tion im Sinne von Rehabilitation ist es diesem Verständnis nach, die Leis-tungsfähigkeit soweit wie möglich wiederherzustellen, sie zu erhalten undbleibende Einbußen bzw. Behinderungen zu verhüten.

Definition z 27

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z Synonyme Begriffsbildung

Zusammengefasst ist primäre Prävention durch die Information und Bera-tung bestimmter Risikogruppen auf die Vorbeugung des ersten Auftretenseiner Störung bzw. Entstehung einer Erkrankung ausgerichtet. Sekundäreund tertiäre Prävention zielen darauf ab, eine vorhandene Krankheit in ih-ren Folgen durch Früherkennung und angemessene Behandlung zum Still-stand zu bringen oder zu verzögern oder das Auftreten von Rückfällen unddie Ausbildung chronischer Zustände zu reduzieren, z.B. durch wirksameRehabilitation. Eine Übersicht über Begrifflichkeiten, Synonyma und Ziel-gruppen gibt Tabelle 3.1.

Ziele und Zielgruppen für Gesundheitsförderung und Prävention

Sowohl der krankheitsorientierte Ansatz der Prävention als auch der res-sourcenorientierte Ansatz der Gesundheitsförderung zielen – wenn auchaus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit verschiedenen Strategien – aufdie verbesserte Gesundheit des Einzelnen sowie der Bevölkerung ab undsollten als einander ergänzend betrachtet werden.

Gesundheitsförderung im Speziellen zielt auf einen Prozess, allen Men-schen ein höheres Maß an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zuermöglichen und sie dadurch zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen.In diesem Zusammenhang stellt die WHO fünf Kernziele der Gesund-heitsförderung mit den dazugehörigen Handlungsfeldern heraus [10]:

z 3 Erfolgreiches Altern durch Gesundheitsförderung und Prävention28

Tabelle 3.1. Begriffbildung um den Terminus „Prävention“. (Eigene Zusammenstellung, modifi-ziert auf der Grundlage von Laaser et al. [7])

Kategorie Primordial Primär Sekundär Tertiär

z Synonyma Gesundheits-förderung

Prävention Kuration Rehabilitation

z Ansatz Stärkung dereigenen Reserven

Risikoreduktionvor Einsetzender Erkrankung

Erkennung undBehandlung imKrankheitsfrüh-stadium

Wiederherstellungnach Einsetzender Erkrankung

z Zielgruppe Gesunde(und Kranke!)

Träger vonRisikofaktoren

MedizinischePatienten

Rehabilitanden

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z Kernziel 1: Gesundheitsförderung umfasst die gesamte Bevölkerung undnicht nur die Menschen mit einem spezifischen Krankheitsrisiko.Handlungsfeld 1: Entwicklung einer gesundheitsfördernden Gesamtpolitik.

z Kernziel 2: Aktivitäten der Gesundheitsförderung zielen auf die Ursachenund Rahmenbedingungen der Gesundheit, um zu gewährleisten, dass diegesamte Umwelt der Gesundheit förderlich ist, auch die, auf die der Ein-zelne keinen direkten Einfluss hat.Handlungsfeld 2: Schaffung unterstützender Umwelten für Gesundheit.

z Kernziel 3: Gesundheitsförderung verbindet unterschiedliche, aber einan-der ergänzende Methoden. Dazu gehören Kommunikation, Erziehung,Gesetzgebung, steuerliche Maßnahmen, Veränderungen von Organisatio-nen, Kommunalentwicklung und Gemeinwesenarbeit sowie spontane lo-kale Aktionen gegen Gesundheitsgefährdungen.Handlungsfeld 3: Entwicklung von Kompetenzen des Einzelnen im Um-gang mit Gesundheit und Krankheit, inklusive Informations- und Bewäl-tigungsstrategien.

z Kernziel 4: Gesundheitsförderung zielt auf die aktive Mitarbeit derBevölkerung, unterstützt die Selbsthilfebewegung und fördert die Kom-petenzen der Menschen, damit sie auf die Gesundheit ihrer unmittel-baren Umgebung mehr Einfluss nehmen können.Handlungsfeld 4: Stärkung gesundheitsbezogener Gemeinschaftsaktio-nen, inklusive der sozialen Unterstützung und Netzwerkbildung.

z Kernziel 5: Gesundheitsförderung ist nicht nur eine Aufgabe für die imGesundheits- und Sozialbereich Tätigen, sondern für alle gesellschaftli-chen Bereiche relevant. Dennoch fällt den Gesundheitsberufen, insbeson-dere den in der primären Gesundheitsversorgung Tätigen, eine beson-ders wichtige Rolle bei der Unterstützung und Ermöglichung der Ge-sundheitsförderung zu.Handlungsfeld 5: Neuorientierung der Gesundheitsdienste über die medi-zinisch-kurativen Betreuungsleistungen hinaus und Verbesserung desZugangs zu den Gesundheitsdiensten.

Maßnahmen der Gesundheitsförderung und -prävention sind somit in je-dem Alter wirksame Strategien, um die Gesundheitspotenziale der Bevölke-rung zu fördern. Gesamtgesellschaftliches Ziel ist es, die Gesundheit zuerhalten und damit Lebensqualität, Mobilität und Leistungsfähigkeit derBevölkerung nachhaltig zu verbessern. Maßnahmen der Gesundheitsför-derung und Prävention sind als vierte eigenständige Säule des Gesundheits-systems neben den drei Säulen Behandlung, Rehabilitation und Pflege zubegreifen.

1984 startete die WHO ihr Programm zur Gesundheitsförderung, dasdurch nachfolgende Konferenzen weiterentwickelt wurde. In dem Pro-gramm „Gesundheit für alle“ definierte die WHO [18] insgesamt 21 Ziele.Einige dieser Ziele sind:z gesundheitliche Chancengleichheit (Ziel 2),z Altern in Gesundheit (Ziel 5),

Ziele und Zielgruppen für Gesundheitsförderung und Prävention z 29

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z Verringerung übertragbarer Krankheiten (Ziel 8),z gesünder Leben (Ziel 11),z Settings zur Förderung der Gesundheit (Ziel 13),z Qualifizierung von Fachkräften für gesundheitliche Aufgaben (Ziel 18),z Forschung und Wissen zur Förderung der Gesundheit (Ziel 19),z Konzepte und Strategien zur „Gesundheit für alle“ (Ziel 21).

Ansätze und Modelle der Gesundheitsförderung und Prävention

z Vergleich verschiedener Ansätze

Unterschiedliche gesundheitliche Sichtweisen und Einflussfaktoren auf dieGesundheit sowie die Methoden ihrer Erfassung und Messung haben zuentsprechend unterschiedlichen Ansätzen der Gesundheitsförderung ge-führt. Naidoo und Wills [10] stellen 5 Ansätze der Gesundheitsförderungvor, die z.T. unterschiedliche Strategien verfolgen:

z Ansatz: präventiv-medizinisch

– Ziele: Feststellung von Personen mit einem Erkrankungsrisiko.– Methoden: Präventionsberater, z.B. Messung des Body-mass-Index.– Beziehung zum Klienten: expertengeleitet, passiver Klient, befolgt An-

weisungen.

z Ansatz: Verhaltensänderung (verhaltensorientiert)

– Ziele: Ermutigung des Einzelnen, mehr Verantwortung für seine Ge-sundheit zu übernehmen und sich gesünder zu verhalten.

– Methoden: Überzeugung durch Massenkampagnen (Raucherentwöh-nung, gesunde Ernährung, regelmäßige körperliche Betätigung), In-formationen (Broschüren, TV-Spots etc.) und Einzelberatung.

– Beziehung zum Klienten: expertengeleitet; in der Regel nur dann er-folgversprechend, wenn beim Klienten eine entsprechende Handlungs-bereitschaft vorliegt; „Top-down“-Strategie, bei der die Bevölkerungvon Experten beraten wird.

z Ansatz: Gesundheitsaufklärung und -erziehung

– Ziele: Verbesserung des Wissens und der Fähigkeiten, sich gesünderzu verhalten. Der Ansatz unterscheidet sich von der Verhaltensän-derung, weil er nicht versucht, das Verhalten der Menschen in eineganz bestimmte Richtung zu verändern.

z 3 Erfolgreiches Altern durch Gesundheitsförderung und Prävention30

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– Methoden: Information, Aufklärung, Erfassung der Einstellungendurch Kleingruppen, Kompetenzentwicklungen.

– Beziehung zum Klienten: kann expertengeleitet sein, aber auch klien-teninvolvierend bei der Themenauswahl für eine Diskussion.

z Ansatz: Empowerment

– Ziele: Arbeit mit Klienten oder mit dem Gemeinwesen zur Lösung ih-rer Probleme (Selbstbestimmung über ihre Gesundheit).

– Methoden: Interessenvertretung, Vermittlung und Vernetzungen, Er-leichterungen.

– Beziehung zum Klienten: Gesundheitsförderer agieren als Unterstützer,„Bottom-up“-Strategie, Klienten werden zum selbstbestimmten Han-deln befähigt („empowerment“). Der Experte sorgt dafür, dass der ge-sundheitsfördernde Prozess in Gang kommt, und zieht sich dann wie-der zurück.

z Ansatz: soziale Veränderung (verhältnisorientierter Ansatz)

– Ziele: Aufgreifen gesundheitlicher Chancenungleichheiten entspre-chend der Zugehörigkeit zu Sozialschichten, ethnischen Minderheiten,Geschlecht und geographischer Lage.

– Methoden: Organisationsentwicklung (z. B. Schaffung und Vernetzunggesundheitsfördernder Angebote), gesetzliche Regelungen (z.B. Kenn-zeichnungspflicht von Lebensmitteln, Präventionsgesetz).

– Beziehung zum Klienten: führt zu gesellschaftlichen Eingriffen, die„top down“ verlaufen.

Diese fünf zitierten Ansätze der Gesundheitsförderung [10] überlappen sichteilweise und sind kombiniert einsetzbar. Darüber hinaus sind die folgen-den beiden Ansätze, die sich aus der Geriatrie ableiten, von besondererWichtigkeit für die Gesundheitsförderung speziell bei älteren Menschen:

z Multidimensionaler Ansatz

– Ziele: Für den älteren Menschen bedeutet Gesundheitsförderung, be-stehende Reserven auszubauen, verloren gegangene Fähigkeiten wie-derzugewinnen oder psychosoziale Benachteiligung durch körperlicheEinschränkungen zu verhindern.

– Methoden: Standardisierte Erfassung sowohl von Reserven als auchvon Defiziten anhand valider Instrumente; ihre Anwendung, Interpre-tation und Umsetzung in einen Handlungsplan sind wichtige Voraus-setzungen geriatrischen Handelns (siehe Kap. 4).

– Beziehung zum Klienten: expertengeleitet und klienteninvolvierend.

Ansätze und Modelle der Gesundheitsförderung und Prävention z 31

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z Interdisziplinärer Ansatz

– Ziele: Vermittlung von Zusammenhängen innerhalb des komplexenWirkungsgefüges der Themen „Gesundheit“ und „normales Altern“.

– Methoden: Einsatz eines interdisziplinär arbeitenden Expertenteamsfür die Vermittlung gesundheitsfördernder Beratung und Maßnahmenfür ältere Menschen in verschiedenen Bereichen des „gesunden Al-terns“ auf der Basis unterschiedlicher Lebensstile. InterdisziplinäreTeams werden seit vielen Jahren erfolgreich in der Geriatrie eingesetzt(siehe Kap. 4).

– Beziehung zum Klienten: expertengeleitet und klienteninvolvierend.

z Ausgewählte Modelle mit verschiedenen Ansätzen

z Kampagnen zur Gesundheitsaufklärung. Kampagnen zur Gesundheitsauf-klärung zielen auf Bewusstmachung und Überzeugung durch Massenkam-pagnen (Broschüren, TV- und Radiokampagnen etc.) zu Themen der Ge-sundheitsgefährdung, wie z.B. AIDS oder Schlaganfall, und Aufzeigen vonVerhaltensweisen, die für die Gesundheit förderlich sind, wie z.B. Kam-pagne „5 Einheiten Obst und Gemüse am Tag“ der Deutschen Gesellschaftfür Ernährung (DGE) (siehe Kap. 13) oder Aufruf zu mehr körperlicherBewegung und Einrichtung von „Trimm-dich-Pfaden“ (siehe Kap. 7). ZuKampagnen dieser Art können auch gesetzgeberische Maßnahmen gezähltwerden, wie z.B. das Versehen von Zigarettenverpackungen mit Merksätzenwie „Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit“.

z Vorsorge und Früherkennung (Impfungen und Gesundheitsuntersuchungen).Die Früherkennung von Krankheiten ist seit 1971 wesentlicher Bestandteilder vertragsärztlichen Versorgung (§ 73 SGB V, Abs. 2, Ziffer 3). WelchenAnsprüchen diese Leistungen der Früherkennung genügen müssen, regeltder Gesetzgeber in SGB V § 92, Abs. 1, Satz 2, Nr. 3. Hinzu kommen fürunser Klientel der älteren Menschen Regelungen im SGB V für „Medizi-nische Vorsorgeleistungen“ (§ 23), „Gesundheitsuntersuchungen“ (§ 25)und „Ärztliche und zahnärztliche Behandlung“ (§ 28).

Impfungen sind als Satzungsleistung der Kassen im § 23 SGB V vorgese-hen und Aufgabe der Bundesländer. Die Empfehlungen der Ständigen Impf-kommission (STIKO) werden von den Landesgesundheitsverwaltungen inEmpfehlungen übernommen. Aktuell wird insbesondere älteren Personenab 60 Jahren empfohlen, sich der Grippeschutzimpfung (jährlich) und derImpfung gegen Lungenentzündung (alle 10 Jahre) zu unterziehen.

In § 25 SGB V „Gesundheitsuntersuchungen“ sind sowohl der sog.„Check-up 35“ als auch Maßnahmen zur Krebsfrüherkennung eingebun-den. Der „Check-up 35“ umfasst Anamnese, klinische Untersuchung (Ganz-körperstatus) und folgende Laboruntersuchungen:

z 3 Erfolgreiches Altern durch Gesundheitsförderung und Prävention32

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z Bestimmung des Gesamtcholesterinspiegels und der Glukosekonzentrationim Blut,

z Untersuchungen des Urins auf Eiweiß, Glukose, Erythrozyten, Leukozy-ten und Nitrit.

Die derzeit in der GKV vorgehaltenen Krebsfrüherkennungsuntersuchungenfür Versicherte umfassen folgende Tumorentitäten (Stand 2003): Zervix-,Mamma-, Haut-, Prostata- und Darmkarzinom. Zahnärztliche Untersuchun-gen werden in jährlichen Abständen empfohlen, insbesondere Personen mitZahnprothesen. Die Teilnahme an der Früherkennung ist in den 1990er Jah-ren gestiegen und liegt derzeit bei ca. 50% für Frauen und 20% für Männer.Dennoch müssen diese Zahlen als unbefriedigend bezeichnet werden.

Zur Optimierung der Inanspruchnahme werden in der ärztlichen Versor-gung sog. Recall-Systeme für Auffrischimpfungen und Vorsorgeunter-suchungen als hilfreich erachtet. Die Krankenkassen sollten durch gezielteAnschreiben an gemäß Alter und ggf. Krankheiten definierte Versicherten-gruppen die Bereitschaft zu Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen un-terstützen.

z Chronikerprogramme und Selbsthilfegruppen. Die WHO fordert seit über20 Jahren den „Patienten als Partner“. Auch die Ottawa-Charta von 1986zielt in erster Linie auf die Steigerung von Kompetenz und Einfluss in allenFragen der eigenen Gesundheit und Krankheit. Seit dem 1. Juli 2002 gibtes sog. Disease-Management-Programme. Als „Disease-Management“ wirdeine Form der medizinischen Versorgung bezeichnet, mit der unter ande-rem die Prävention und die Behandlung einer Krankheit verbessert werdenkönnen. Die Krankenkassen erhoffen sich hierdurch mehr Qualität in dergesundheitlichen Versorgung chronisch kranker Personen. In dieseProgramme können nur Patienten aufgenommen werden, die unter einerder folgenden Erkrankungen leiden: Diabetes mellitus, Mammakarzinom,koronare Herzkrankheit, chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung(www.bundesregierung.de, 29. 12. 2003).

Da Chronikerprogramme (z.B. Diabetes-Sprechstunde) und Selbsthilfe-gruppen aus der Betroffenheit heraus entstehen, hat die weit überwiegendeZahl dieser Programme und Selbsthilfegruppen den Schwerpunkt im kura-tiven und im tertiärpräventiv-rehabilitativen Bereich. Dennoch entstehenauch präventive Forderungen aus den Chronikerprogrammen und Selbsthil-fegruppen, wie z.B. die Entwicklung von Informationen über Krebserkran-kungen und Möglichkeiten der Vorbeugung bzw. Krankheitserkennung.Primärpräventive Aufgaben übernehmen z.B. Nichtraucherinitiativen.

Mit der Stärkung von Kompetenz und Selbstbestimmung der Betroffenenzielt die Selbsthilfe auch auf den Empowerment-Ansatz in der Gesund-heitsförderung. Anreize zur Stärkung der Eigenverantwortung der Versicher-ten werden bei den Krankenkassen seit Wiedereinführung des sog. Präventi-onsparagraphen in der Neufassung des § 20 SGB V „Prävention und Selbst-hilfe“ verwirklicht. Dies geschieht u. a. durch das Bonusheft in der Zahnpro-

Ansätze und Modelle der Gesundheitsförderung und Prävention z 33

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phylaxe oder die Rückerstattung von Beiträgen an Versicherte, die an Semi-naren/Kursen der Primärprävention teilnahmen (www.bvpraevention.de,www.gkv.info). Inwieweit sich diese Praxis mit der Einführung des Gesund-heitsfonds ab dem Jahr 2009 verändern wird, bleibt abzuwarten.

z Modell des „Gesundheitszentrums für ältere Menschen“. Grundlage ist die1975 vom National Council on the Aging’s Institute of Senior Centers(NCOA) der USA vorgestellte Konzeption eines Gesundheitszentrums fürÄltere [4]: „Ein Seniorenzentrum ist ein Anlaufpunkt innerhalb einer Ge-meinde zu Fragen des Alters und Alterns, an dem ältere Personen zusam-menkommen, um individuell oder in Gruppen Angebote und Aktivitätenwahrzunehmen, die ihre Würde wahren, ihre Unabhängigkeit unterstützenund ihre Einbindung in die Gemeinschaft fördern.“

Diese Gesundheitszentren sind eine Anlaufstelle innerhalb der Kommunefür ältere Personen, die gefährdet sind, ihre Selbstständigkeit zu verlieren,sowie für Familienmitglieder und pflegende Angehörige. Das Programmkann verschiedene Angebote und Aktivitäten in Einzel- und Gruppensitua-tion umfassen.

Hilfeangebote: Sie umfassen Angebote zur Unterstützung oder Verbes-serung des individuellen Zustands oder Umfelds mit dem Ziel, so langewie möglich selbstständig in der eigenen Häuslichkeit zu verbleiben. DieseAngebote umfassen alle Maßnahmen der Basisversorgung älterer, zuhauselebender Menschen, wie z.B. Fahrdienste, häusliche Pflege und „Essen aufRädern“. Hilfeangebote können auch im Gesundheitszentrum vorgehaltenwerden, wie z.B. Friseur, Fußpflege und Duschen mit Hilfsperson. Zur Er-mittlung des individuellen Unterstützungsbedarfs wird in Großbritannienein „primary care visiting service“ durch eine „nurse“ in jährlichen Abstän-den angeboten, um bei 75-Jährigen und älteren Bürgern der Kommune dassog. 75+ assessment durchzuführen.

Aktivitäten: Es werden alle Arten von körperlicher, intellektueller undsozialer Aktivität in Einzel- oder Gruppenbeschäftigung angeboten, z.B.Gymnastik, Ausflüge, Gedächtnistraining und Theatergruppe.

Gesundheitszentren für ältere Menschen haben sich bisher in den USA un-ter der Bezeichnung „senior center“ und in Großbritannien als „age concernday centres“ etabliert. Diese Einrichtungen werden auf kommunaler Basisorganisiert und überwiegend mit ehrenamtlichem Personal betrieben.

Im Gegensatz zu den USA und Großbritannien wurde am Albertinen-Haus Hamburg, Zentrum für Geriatrie und Gerontologie, ein Gesundheits-zentrum etabliert, das unter einem Dach Bestandteil der medizinischen Re-gelversorgung im klinischen Bereich ist sowie Anbieter gesundheitsfördern-der Maßnahmen für den ambulanten Bereich durch professionelle Gesund-heitsberufe (vgl. Programm „Aktive Gesundheitsförderung im Alter“). Syn-ergetische Effekte zu anderen Professionen des Gesundheitswesens wie z.B.Hausärzte und ihre Arzthelferinnen werden durch geriatrische Qualitätszir-kel gefördert [3, 9].

z 3 Erfolgreiches Altern durch Gesundheitsförderung und Prävention34

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z Modell der „präventiven Hausbesuche“. Hilfs- und Pflegebedürftigkeit imAlter entstehen als unmittelbare oder mittelbare Folgen von Krankheitenund funktionellen Beeinträchtigungen. Bekannte Risikofaktoren, die dieseEntwicklung begünstigen, und protektive Einflüsse werden im mehrdimen-sionalen geriatrischen Assessment erfasst. Diese Befunde sind Ausgangslagefür gezielt vorbeugende Maßnahmen [13, 14]. Während in der Klinik diefunktionellen Beeinträchtigungen und Reserven älterer Patienten in einemartifiziellen Umfeld gesehen werden, erlauben Hausbesuche, die funktionel-le Kompetenz älterer Personen im individuellen Lebensumfeld zu beurtei-len.

So stoßen sog. präventive Hausbesuche bei älteren Menschen durch Ärz-te, Pflegekräfte oder Sozialarbeiter als Methode der Prävention internatio-nal auf breites Interesse. Vorgehensweise, Zielgruppen und Effekte sind bis-her nicht einheitlich. Es zeigt sich jedoch, dass für die Planung gesund-heitsfördernder und präventiver Maßnahmen ein Screening und geeigneteAssessment-Verfahren nützlich sind. Inwieweit diese – aufgrund der nochoffenen Fragen nach Zielgruppen, Praktikabilität, Effizienz und strukturel-len Voraussetzungen – in präventiven Hausbesuchen zum Einsatz kommenkönnen, bedarf weiterer Forschung. Ein Beispiel zu präventiven Hausbesu-chen in Deutschland inklusive der angewendeten Screening- und Assess-ment-Instrumente sowie der Evaluation und des Curriculums für die Fort-bildung zur Durchführung präventiver Hausbesuche beschreiben Meier-Baumgartner et al. [8] und von Renteln-Kruse et al. [11].

Präventive Hausbesuche zielen auf die Erhaltung der Selbstständigkeitund die Vermeidung von Pflegebedürftigkeit bei älteren, noch selbstständi-gen Menschen durch ein multidimensionales Assessment und anschließendewiederholte risikoorientierte Beratung. Diese Vermeidung von Verschlim-merung oder Chronifizierung einer oder mehrerer Erkrankungen sowieVerhütung bleibender sozialer Funktionseinbußen ist der klassische Auf-gabenbereich der Tertiärprävention oder Rehabilitation. Dabei lernt der Re-habilitand, mit seinen Belastungen zu leben, weitere Komplikationen zuvermeiden und weitgehend selbstständig zu bleiben.

z Programm „Aktive Gesundheitsförderung im Alter“. Im Gegensatz zu „prä-ventiven Hausbesuchen“ greift das Programm „Aktive Gesundheitsför-derung im Alter“ früher und zielt auf die Investition in die gesundheitli-chen Ressourcen (Gesundheitsförderung und Primärprävention). Angespro-chen werden auch hier ältere Menschen im Vorruhe- und Ruhestand, dienoch selbstständig leben und keine Pflege im Alltag benötigen. Im Unter-schied zur Klientel der präventiven Hausbesuche (Bringstrukturen) fühltsich die Klientel der „Aktiven Gesundheitsförderung im Alter“ mobil genug(geistig, körperlich und sozial), um zur Teilnahme an einem gesund-heitsfördernden Programm in Kleingruppen in ein geriatrisches Zentrumzu kommen (Kommstrukturen) [3]. Beraten wird durch ein interdisziplinä-res Team von Gesundheitsberatern unter ärztlicher Leitung in denjenigendrei Gesundheitsbereichen, die primär der Eigenverantwortung und nach-

Ansätze und Modelle der Gesundheitsförderung und Prävention z 35

Page 48: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

weisbar Wechselwirkungen unterliegen sowie die individuelle Gesundheitmaßgeblich beeinflussen (Abb. 3.1):z körperliche Aktivität im Alter (Beratung durch Physiotherapeuten),z Ernährung im Alter (Beratung durch Ökotrophologen),z psychosoziales Wohlbefinden im Alter (Beratung durch durch Sozialpä-

dagogen).

In diesem Programm werden verschiedene Ansätze der Gesundheitsför-derung und Prävention miteinander kombiniert. Durch einen eigenen di-daktischen Ansatz in Kleingruppen wird die Eigenverantwortung des älte-ren Menschen zielgerichtet gestärkt und unterstützt (Ansatz: Empower-ment) und durch das interdisziplinäre Gesundheitsberaterteam (interdiszip-linärer Ansatz) die Kompetenz für die eigenständige Umsetzung gesund-heitsfördernder Maßnahmen vermittelt. Als Hilfsmittel für individuelle Be-ratungen in Kleingruppen dienen besonders strukturierte Instrumente undInformationsmaterialen (verhaltensorientierter Ansatz und Ansatz der Ge-sundheitsaufklärung). Das Gesundheitsberaterteam nutzt bestehende per-sonelle und strukturelle Ressourcen des geriatrischen Zentrums. Darüberhinaus werden durch den Kontakt zu Seniorenorganisationen, Sport- undFreizeitvereinen sowie Anbietern kultureller Veranstaltungen gezielt wohn-ortnahe weiterführende Angebote in einem gesundheitsfördernden Netz-werk empfohlen (verhältnisorientierter Ansatz). Durch dieses Vorgehenkönnen die multidimensionalen Maßnahmen effektiv durch das interdiszip-linär arbeitende Gesundheitsberater-Team koordiniert werden (multidimen-sionaler Ansatz). Planung, Durchführung, Ergebnisse und Erfolge des neu-artigen Programms der „Aktiven Gesundheitsförderung im Alter“ könnennachgelesen werden bei Dapp et al. und Meier-Baumgartner et al. [2, 9].

z 3 Erfolgreiches Altern durch Gesundheitsförderung und Prävention36

Abb. 3.1. Wirkungsweise der Gesundheits-förderung im Alter

Page 49: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Ausblick

Das deutsche Gesundheitssystem war lange Zeit primär auf die Behandlungvon Krankheiten ausgerichtet. Dies verdeutlichen die Gesamtausgaben fürGesundheit. Noch in den 1990er Jahren wurde der überwiegende Anteil derAusgaben für Behandlung und für Krankheitsfolgen aufgewendet, währendder Anteil für vorbeugende und betreuende Maßnahmen deutlich geringerausfiel. Lange Zeit waren ältere Menschen keine Zielgruppe für Gesund-heitsförderung und Prävention. Dies scheint sich aktuell zu ändern. Ein In-diz hierfür ist der Deutsche Präventionspreis, der im Jahr 2005 erstmaligfür Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention in der zweitenLebenshälfte ausgeschrieben wurde [www.deutscher-praeventionspreis.de].Preisträger ist das oben beschriebene Modell „Aktive Gesundheitsför-derung im Alter“ [2, 9].

Gerade in der älteren Bevölkerungsgruppe sind günstige psychologischeVoraussetzungen für Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Präven-tion gegeben. Gesundheit ist der führende Wert in dieser Altersgruppeund liegt in der individuellen Hierarchie vor anderen persönlichen Wertenwie z.B. Familie oder Beruf [17].

Die Umsetzung und der Erfolg präventiver Maßnahmen im höheren Le-bensalter wurden erst in wenigen Studien untersucht [3, 6, 9, 11, 13]. Me-thodik, konzeptionelle Rahmen sowie Zielgruppen dieser untersuchten In-terventionen waren sehr unterschiedlich. Ihre Anpassung an deutsche Ge-gebenheiten ist nicht geklärt, weitere Untersuchungen sollten folgen. Auchdas am 1. Januar 2000 in Kraft getretene GKV-Gesundheitsreformgesetzversucht, einem Mangel an klaren gesundheitlichen Zielen und Zielgrup-penorientierungen zu begegnen. In der Neufassung des § 20 SGB V „Prä-vention und Selbsthilfe“ wird eine Ausrichtung der Gesundheitsvorsorge anBedarf, Zielgruppen, Methoden und Zugangswegen gefordert [15].

Der Bundesgesundheitsrat verabschiedete 1989 mehrere Voten zur WHO-Strategie „Gesundheit für alle bis zum Jahr 2000“. Dort wurde „gesundesAltern“ als das Erreichen eines hohen Lebensalters bei gleichzeitiger Erhal-tung der physischen, emotionalen und kognitiven Fähigkeiten beschrieben.Im Wesentlichen wird zum Erhalt dieser Kompetenz darauf gesetzt, schonin jüngeren Lebensjahren Reserven und Fähigkeiten zu entwickeln, auf dieim Alter zurückgegriffen werden kann. Angesichts der aktuellen demogra-phischen und sozialen Entwicklung (siehe Kap. 2) darf dies jedoch nichtdazu verleiten, die jetzt schon älteren Generationen von präventiven Kon-zepten auszuschließen. Gesundheitsfördernde Konzepte für verschiedeneAlters- und Zielgruppen müssen entwickelt und erprobt werden.

Ganzheitliches (multidimensionales), gesundheitsorientiertes und inter-disziplinäres Denken und Handeln bestimmen die Auswahl geeigneter An-sätze und die erfolgreiche Durchführung von Maßnahmen der Gesund-heitsförderung und Prävention im Alter.

Ausblick z 37

Page 50: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Literatur

1. Antonovsky A (1993) The sense of coherence as a determinant of health. In:Beattie A, Gott M, Jones L, Sidell M (Hrsg) Health and wellbeing: a reader.Macmillan/Open University, Basingstoke, pp 202–214

2. Dapp U, Anders J, Renteln-Kruse W von, Meier-Baumgartner HP (2005) Activehealth promotion in old age: Methodology of preventive intervention pro-gramme provided by an interdisciplinary health advisory team for indepen-dent older people. J Public Health 13:122–127

3. Dapp U (2008) Gesundheitsförderung und Prävention selbständig lebenderälterer Menschen. Eine medizinisch-geographische Untersuchung. Kohlham-mer, Stuttgart

4. Dychtwald K (1986) Wellness and health promotion for the elderly. Aspen Pu-blishers, Rockville

5. Franzkowiak P, Sabo P (Hrsg) (1998) Dokumente der Gesundheitsförderung.Internationale und nationale Dokumente und Grundlagentexte zur Entwick-lung der Gesundheitsförderung im Wortlaut und mit Kommentierung. PeterSabo, Mainz

6. Haastregt van JCM, Diederiks JPM, van Rossum E, de Witte LP (2000) Effectsof preventive home visits to elderly people living in the community: Sytema-tic review. Br Med J 320:754–758

7. Laaser U, Hurrelmann K, Wolters P (1993) Prävention, Gesundheitserziehungund Gesundheitsförderung. In: Hurrelmann K, Laaser U (Hrsg) Gesundheits-wissenschaften. Handbuch für Lehre, Forschung und Praxis. Beltz, Weinheim,S 176–203

8. Meier-Baumgartner HP, Anders J, Dapp U (2005) Präventive Hausbesuche.Gesundheitsberatung für ein erfolgreiches Altern – als Arbeitsfeld für Pfle-gekräfte. Vincentz, Hannover

9. Meier-Baumgartner HP, Dapp U, Anders J (2006) Aktive Gesundheitsför-derung im Alter. Ein neuartiges Präventionsprogramm für Senioren, 2. Aufl.Kohlhammer, Stuttgart

10. Naidoo J, Wills J (2003) Lehrbuch der Gesundheitsförderung. Umfassend undanschaulich mit vielen Beispielen und Projekten aus der Praxis der Gesund-heitsförderung. Deutsche Ausgabe. Bundeszentrale für gesundheitliche Auf-klärung (Hrsg) Verlag für Gesundheitsförderung, Gamburg

11. Renteln-Kruse W von, Anders J, Dapp U, Meier-Baumgartner HP (2003) Prä-ventive Hausbesuche durch eine speziell fortgebildete Pflegekraft bei 60-jähri-gen und älteren Personen in Hamburg. Z Gerontol Geriat 36:378–391

12. Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (2001)Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit. Band I Zielbildung, PräventionNutzerorientierung und Partizipation

13. Stuck AE, Elkuch P, Dapp U, Anders J, Iliffe S, Swift C for the PRO AGE PilotSTUDY GROUP (2002) Feasibility and yield of a self-administered question-naire for health risk appraisal in older people in three European countries.Age Ageing 31:463–467

14. Stuck AE, Walthert JM, Nikolaus T, Büla CJ, Hohmann C, Beck JC (1998) Riskfactors for functional status decline in community-living elderly people: asystematic literature review. Soc Sci Med 48:445–469

z 3 Erfolgreiches Altern durch Gesundheitsförderung und Prävention38

Page 51: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

15. Schwartz FW (1999) Strukturelle Einbettung und Qualität von Gesund-heitsförderung und Selbsthilfeförderung: GKV-konforme Ansätze und Strate-gien. In: Ländereinigung für Gesundheit Niedersachsen e.V. (Hrsg) Gesund-heitsförderung, Prävention und Selbsthilfe als Zukunftsaufgabe der gesetzli-chen Krankenversicherung. Gesundheitspolitische Perspektiven, Hannover, S7–14

16. Schwartz FW, Bitzer EM, Dörning H, Grobe TG, Krauth C, Schlaud M,Schmidt T, Zielke M (1999) Gutachten Gesundheitsausgaben für chronischeKrankheit in Deutschland – Krankheitskostenlast und Reduktionspotenzialedurch verhaltensbezogene Risikomodifikation. Pabst, Lengerich

17. Stiksrud HA (1976) Diagnose und Bedeutung individueller Werthierarchien.Lang, Frankfurt

18. Weltgesundheitsorganisation WHO (Hrsg) (1999) Gesundheit 21: Das Rah-menkonzept „Gesundheit für alle“ für die Europäische Region der WHO. Eu-ropäische Schriftenreihe Nr. 6. WHO, Kopenhagen

Literatur z 39

Page 52: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Ziele und systematisches Vorgehen

Die ganzheitliche Erfassung und Berücksichtigung von Gesundheitsproble-men des individuellen Patienten auf physischer, psychischer und sozialerEbene bedingt einen hohen Anspruch bezüglich der Diagnostik und Be-handlung. Um diesem Anspruch zu genügen, ist eine strukturierte Vor-gehensweise unerlässlich. Dies bedeutet zunächst einmal systematischeSammlung vieler Informationen. Systematisch deshalb, weil Wichtiges sonstsehr leicht vergessen und deshalb unbeachtet wird. So muss die Frage, wel-che Aussichten ein Patient für seine weitere Lebensführung haben könnte,bereits relativ rasch nach Beginn einer stationären Behandlung im Kran-kenhaus bedacht und angesprochen werden. Beispielsweise hängt es vonder wieder erreichten oder nicht erreichten Fähigkeit Treppen steigen zukönnen ab, ob eine allein und bisher selbstversorgende Patientin in ihreAltbauwohnung im 2. Stock eines Mehrfamilienhauses ohne Fahrstuhlzurückkehren kann oder nicht. Die Perspektive „Umzug in eine Form be-treuten Wohnens oder ein Altenwohnheim“ verändert nachvollziehbar dasgesamte Gefüge der Kontextfaktoren (siehe Tabelle 4.1) dieser Frau, dievielleicht schon seit über 30 Jahren im selben Haus in „ihrem Viertel“wohnt. Die ausgesprochen enge Bindung (Attachment 1) an ihr Zuhause isteine sehr häufig zu beobachtende, motivierende Triebkraft gerade ältererFrauen, möglichst schnell wieder aus dem Krankenhaus heraus zu gelan-gen.

Für die Erhebung der Anamnese gilt, dass alte Patienten in ihrem langenLeben u.U. eben auch eine „lange Anamnese“ mit vielen Erkrankungen,Krankenhausaufenthalten, Operationen und medizinischen Behandlungen

Geriatrische Methodikund Versorgungsstrukturen

4

1 Die Attachment-Theorie stammt aus der Entwicklungspsychologie des Kindes.Lebenslang können emotionale Bindungen das Gefühl von Sicherheit undZugehörigkeit vermitteln und die eigene Identität fördern und stabilisieren. Inder Gerontologie und Gerontopsychologie wurde der Attachment-Begriff er-weitert. Emotionale Bindungen bestehen nicht ausschließlich mit Personen,sondern können sich auch auf das eigene Zuhause, auf Orte, Dinge, aufHaustiere sowie auf Ideen und Lebensanschauungen beziehen (z.B. [3])

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Ziele und systematisches Vorgehen z 41

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haben. Es ist wichtig zu wissen, was ihnen gut und was ihnen nicht gutgetan hat (vermeidbare Komplikationen, siehe Kap. 6). Oft muss nach vie-lem gezielt gefragt werden, um es herauszubekommen.

Gründlichkeit und Zeit für die Anamneseerhebung sind nützliche „In-vestitionen“ für die Planung des diagnostischen und therapeutischen Vor-gehens. Man muss viel wissen und bedenken, um das Richtige zu empfeh-len, zu tun oder eben auch (entschieden) nicht oder nicht mehr zu tun.

Systematik ist auch erforderlich, um die Krankheitsfolgen bezüglich dero.g. Dimensionen zu erfassen. Der nach der Informationssammlung folgen-de Schritt besteht in der Ordnung und Interpretation der Informationen,um Fragen für die Diagnostik und Ziele für die Behandlung festlegen zukönnen. Wie im Kapitel 2 beschrieben wurde, beruht die zentrale geriatri-sche Sicht- und Handlungsweise auf der Beurteilung von Krankheitsfolgenund -interaktionen bei Mehrfacherkrankung (Multimorbidität). Tabelle 4.1gibt eine Übersicht der Dimensionen der ICIDH-2 (siehe Kap. 2), die aufdrei Konzepten zur Beschreibung gesundheitlicher Integrität beruhen, näm-lich den Konzepten der Schädigung, der Aktivität und der Partizipation. InTabelle 4.1 sind die Begriffe der Konzepte erläutert. Abbildung 4.1 verdeut-licht schematisch das Zusammenwirken dieser Dimensionen. Das Modellzur Erfassung von Krankheitsfolgen hat die Erforschung von Behinderungim höheren Lebensalter maßgeblich beeinflusst und zur Identifizierungwichtiger Risikofaktoren für die Entwicklung von Funktionseinschränkun-gen geführt [32], woraus präventive Strategien ableitbar sind (siehe Kap. 3).

z 4 Geriatrische Methodik und Versorgungsstrukturen42

Abb. 4.1. Wirkungsgefüge der Dimensionen der ICIDH-2

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Geriatrisches Assessment

Umfassendes geriatrisches Assessment („comprehensive geriatric assess-ment“), sozusagen die Technik, das hierfür geeignete Instrumentarium,wurde in angloamerikanischen Ländern als diagnostischer Prozess ent-wickelt. Es wird in Anlehnung an Rubenstein folgendermaßen definiert:„Unter umfassendem geriatrischen Assessment versteht man einen multi-dimensionalen und interdisziplinären diagnostischen Prozess mit dem Ziel,die medizinischen, psychosozialen und funktionellen Probleme und Ressour-cen des Patienten zu erfassen und einen umfassenden Behandlungs- und Be-treuungsplan zu entwickeln“.

Funktionsbeurteilungen sind wichtige Grundlage sowie auch Bestandteillaufender geriatrischer Behandlung. Deshalb sollte auch besser von ge-riatrischem Assessment und Behandlungsplanung gesprochen werden [20].Geriatrisches Assessment als Methodik dient der Verbesserung diagnosti-scher Präzision, und es unterstützt die Formulierung von Therapiezielen.Es kann wertvolle Grundlagen liefern, um Prioritäten für einen Therapie-plan zu erstellen (Dringlichkeit, Umfang und Intensität zu ergreifenderMaßnahmen). Entscheidungen für oder auch gegen Maßnahmen könnenaufgrund „objektiver“ Ergebnisse von Assessment-Verfahren besser nach-vollziehbar begründet werden. Die Verwendung von standardisierten Funk-tionsbewertungen ermöglicht und erleichtert außerdem die Kommunikati-on innerhalb eines interdisziplinären Teams (siehe S. 51). Assessment kannhilfreich dabei sein, ein Rehabilitationspotenzial praktisch zu ermitteln(siehe Kap. 15), und es kann Hinweise für Ansatzpunkte von Präventions-maßnahmen sowie für prognostische Aussagen (z.B. zur Entwicklung vonHilfsbedürftigkeit) liefern (siehe Kap. 3). In geeigneter Form kann es Be-handlungsergebnisse im Verlauf dokumentieren bzw. quantifizieren und soauch zu einem Bestandteil von Qualitätsmanagement werden (sieheKap. 16).

Der Einsatz von standardisierten Assessment-Verfahren ist der klini-schen Beurteilung beginnender und leichtgradiger (präklinischer) funktio-neller Einschränkungen überlegen [25]. Auch für wissenschaftliche Zweckewerden standardisierte Assessment-Verfahren eingesetzt, um z.B. verschie-dene Studienpopulationen miteinander zu vergleichen [21]. Assessment-Programme sind obligatorischer Bestandteil kontrollierter Studien zumNachweis der Wirksamkeit geriatrischer Versorgungsformen und -konzepte[31]. Übergreifende Ziele von geriatrischem Assessment sind:z Optimierung medizinischer Behandlung und Versorgung,z verbesserte Behandlungsergebnisse,z Erreichung und Erhalt größtmöglicher Selbstständigkeit,z Verbesserung funktioneller Fähigkeiten und von Lebensqualität,z optimierte Lebensbedingungen (geigneter Ort angemessener Versorgung),z Vermeidung unnötiger Versorgungsleistungen.

Geriatrisches Assessment z 43

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Die Resultate von Testungen mit standardisierten Assessment-Instrumentensind kein Selbstzweck und für sich genommen ohne Sinn. Die Bedeutungderartiger Ergebnisse muss in der Zusammenschau mit den übrigen Befun-den und der klinischen Beobachtung interpretiert werden. UnterschiedlicheFragestellungen bestimmen die Auswahl des geeigneten Verfahrens. Esmuss bedacht sein, dass das eingesetzte Verfahren tatsächlich das erfasstoder misst, was es messen soll (Kriterium der Validität). Dies muss auchbei wiederholter Anwendung sowie Anwendung durch unterschiedliche Un-tersucher (Kriterium der Reliabilität) erfüllt sein.

z Dimensionen umfassender Beurteilung

Die umfassende Beurteilung eines älteren Patienten fußt immer, wie sonstauch, auf Anamnese und körperlicher Untersuchung. Informationen zu denfünf Dimensionen von Gesundheit (WHO) – physische, psychische, sozialeGesundheit, ökonomischer Status und Selbsthilfefähigkeit – sind teilweisebereits bei der Erhebung der Anamnese zu integrieren. Informationen ausfolgenden Bereichen sollten erhoben werden.

z Physische Gesundheit. Hierzu zählen neben der medizinischen Diagnostik(körperliche Untersuchung, Labor- und andere Zusatzuntersuchungen) In-formationen zum Ernährungszustand (Gewicht, Gewichtsverlauf, Nah-rungs- und Flüssigkeitszufuhr), eine gründliche Medikamentenanamnese(ggf. Fremdanamnese) unter Einschluss auch frei verkäuflicher Medika-mente (Selbstmedikation), ggf. Inspektion mitgebrachter Arzneimittel sowiedes Verordnungsplans (wenn vorhanden), Informationen zu sensorischenFunktionen und Kommunikationserschwernissen (Sehen, Hören, Sprache;Seh- und Hörhilfen?) sowie Informationen zu Arztbesuchen, Krankenhaus-aufenthalten und Nutzung gesundheitlicher Dienstleistungen (z.B. ambu-lanter Pflegedienst, Therapeuten).

Ältere Patienten tendieren nicht selten zur Überschätzung ihrer funktio-nellen Kompetenz und neigen trotz objektiver Befunde zum Dissimulieren(Herunterspielen von Beschwerden/Problemen) aus Furcht vor Konsequen-zen, z.B. nicht in die eigene Wohnung zurückkehren zu können. DepressivePatienten unterschätzen ihre funktionellen Fähigkeiten eher. Eine Fremda-namnese ist oft hilfreich oder zur Verifizierung der Angaben sogar unver-zichtbar.

z Psychische Gesundheit. Hierbei werden Depressivität und kognitive Funk-tionen geprüft: Gedächtnis, Orientierung, Aufmerksamkeit, Kommunika-tion und visuell-räumliche Fähigkeit. Beim Einsatz von Testverfahren zur„orientierenden“ Prüfung kognitiver Funktionen ist zu beachten, dass dieInstrumente nur eine Einschätzung der globalen Fähigkeiten, aber keineAussage zu Störungsursachen erlauben. Unterschiedliche Kulturen, unter-

z 4 Geriatrische Methodik und Versorgungsstrukturen44

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schiedliches Bildungsniveau sowie beeinträchtigte Möglichkeiten zur Kom-munikation sind bei der Interpretation unbedingt zu beachten. Es darfnicht vorschnell und fälschlicherweise der Schluss „Demenz“ gezogen wer-den.

z Selbsthilfestatus. Hierbei handelt es sich um eine Funktionsbeurteilungim engeren Sinne, d.h. um Befunde zu grundlegenden (basalen) Aktivitä-ten des täglichen Lebens („activities of daily living“, ADL) und zu instru-mentellen Aktivitäten des täglichen Lebens („instrumental activities of dailyliving“, IADL). Ergänzt wird dies durch weitere Informationen zum funk-tionellen Status mit Hilfe sog. Performance-Testverfahren. Dies sind leis-tungsbezogen standardisierte Testverfahren z.B. zur Mobilität. Dabei wirddie zu untersuchende Person gebeten, eine entsprechende Aufgabe durch-zuführen, z.B. eine bestimmte Strecke zu gehen, wobei die dafür benötigteZeit gemessen wird. Performance-Tests geben z.T. genaue Leistungsvor-gaben, deren Grad der Erfüllung gemessen werden kann. Im Gegensatz zuFragebögen sind Performance-Messungen in der Regel aber zeitaufwändi-ger. Nicht alle Ergebnisse haben einen direkt umsetzbaren Nutzen. Ein Vor-teil ist ihre Sensitivität für Veränderungen über die Zeit, z.B. als Resultattherapeutischer Interventionen oder wirksamer Prävention (siehe Kap. 15,16).

Der Patient soll bei der Befragung und Durchführung von Funktions-untersuchungen in einem medizinisch stabilen Zustand sein. Beurteilt wer-den sollen hier nämlich seine grundsätzlichen Fähigkeiten und Einschrän-kungen und nicht der Einfluss von Akuterkrankungen auf diese Fähigkei-ten. Das Ausmaß möglicher Aufmerksamkeit, Kooperations- und Leistungs-bereitschaft der zu untersuchenden Person muss bei der Durchführungberücksichtigt werden. Die Untersuchungen eines umfangreichen Assess-ments, die von verschiedenen Mitgliedern des interdisziplinären Teamsdurchgeführt werden, müssen ggf. auf mehrere Tage verteilt werden. Geläu-fige Untersuchungsverfahren sind im Anhang aufgeführt.

z Soziale Gesundheit. Im ICIDH- Konzept (siehe Kap. 2) nimmt die sozialeDimension einen wichtigen Platz ein. Zweifelsohne beeinflussen sozialeFaktoren den Gesundheitszustand. Fehlende oder nur spärlich vorhandenesoziale Kontakte stellen einen Risikofaktor im Alter für die Entwicklungvon Hilfsbedürftigkeit dar [32]. Krankheitsfolgen können andererseits zuerheblichen Veränderungen der Lebensgestaltung der Betroffenen führen,z.B. zum Umzug in ein Altenpflegeheim.

z Soziales Netz. Ein wichtiger Einflussfaktor ist das soziale Netz. Darunterversteht man die Verbindungen und Kontakte, über die eine Person verfügt.Mögliche Funktionen eines sozialen Netzes sind vielfältig und sehr indivi-duell geprägt. Zu wichtigen Angaben zählen Informationen zur Biographie(Ausbildung, früherer Beruf, familiäre Situation, Verwitwung, Wohnungs-wechsel, ökonomische Verhältnisse) und Informationen zum Grad sozialer

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Unterstützung (tatsächlich genutzt und potenziell mobilisierbar). Ergänztwird dies durch Informationen zum Vorliegen oder zur Beantragung einerPflegestufe (siehe Kap. 17), zur Wohnsituation, zur Umgebung und zur Zu-kunftsplanung.

z Informationen zu Wertvorstellungen. Informationen zu Wertvorstellungen,persönlichen Wünschen und Ressourcen (verstanden als körperliche undgeistige Reserven, aber auch verfügbare Unterstützung) von Patienten sindfür eine Behandlungsplanung wichtige Informationen. Sie sollen ebenfallsroutinemäßig in Erfahrung gebracht werden, da hiervon die Motivationentscheidend bestimmt wird. Dies betrifft die eigenen Wünsche und Vor-stellungen des Patienten zur Behandlung (persönliche Behandlungsziele),insbesondere auch zu lebensverlängernden Maßnahmen sowie zur subjek-tiven Einschätzung des weiteren Verlaufs und möglicher Perspektiven (sub-jektive Prognose) (siehe Kap. 19).

z Dokumentation

Dokumentation ist ein leidiges Thema im ärztlichen Alltag. Ohne Zweifelsind die Ansprüche an Dokumentation und der hiermit verbundene Auf-wand, der ärztliche Arbeitszeit in Anspruch nimmt, deutlich gestiegen. Esgibt jedoch außer der gesetzlichen Verpflichtung zur Dokumentation imZusammenhang mit Gesichtspunkten des Qualitätsmanagements (sieheKap. 16) weitere gute Gründe, die Dokumentation als Hilfe bei der Arbeitanzusehen. Angesichts der vielen und vielschichtigen Probleme multimor-bider alter Patienten (Diagnosen, Befunde, identifizierte Problembereiche,Komplextherapien, Zeitkoordination und Entlassungsplanung etc.) ist eineübersichtlich geordnete Dokumentation essenziell.

Ein einfaches, laufend aktualisiertes Dokumentationsmittel ist z.B. eine„Problemliste“ des Patienten. Dort werden alle Probleme notiert und nachKlärung bzw. Abarbeitung abgehakt. Das strukturierte Vorgehen geriatri-scher Diagnostik ist hierfür hervorragend geeignet und fördert das Denkenin Zusammenhängen. Wer seine Arbeit dokumentiert, kommt auch nichtumhin, sich dabei noch einmal zu vergegenwärtigen, was er mit welchenMitteln für welches Ziel tut (schriftliche Formulierung von Behandlungszielund Zwischenzielen).

Der Arzt leitet das interdisziplinäre Team (siehe S. 51), ordnet an, inte-griert und bewertet Befunde, informiert sich über den Behandlungsfort-gang, verantwortet letztlich die Gesamtheit der einzelnen angeordnetenMaßnahmen und muss deshalb unbedingt hierüber für sich selbst und fürdie anderen Teammitglieder einen Überblick herstellen können und erhal-ten. Deshalb ist es erforderlich, darüber eine Dokumentation zu führenund die Ergebnisse der regelmäßig stattfindenden Teambesprechungenschriftlich zu dokumentieren. Die Ergebnisse der routinemäßig durch ver-

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schiedene Teammitglieder eingesetzten Assessment-Verfahren können aufvorgefertigten Bögen, u.U. auch EDV-basiert, eingetragen werden. Optima-lerweise sind sie bereits Bestandteile von EDV-Systemen zur integriertenBefundschreibung und können dann auch bei der Arztberichtschreibungund Pflegeüberleitung automatisiert integriert werden. Unvollständige, feh-lende oder falsche Informationsweiterleitung kann Patienten anlässlich Ent-lassung oder Verlegung in andere Abteilungen/Kliniken erheblich gefähr-den! Nicht oder in falscher Dosierung fortgeführte Medikamentenbehand-lung kann z.B. eine Ursache für Komplikationen sein [24, 27, 33].

Nutzen von geriatrischem Assessment

Randomisiert-kontrollierte Studien belegten den Nutzen systematischstrukturierter Vorgehensweise unter Verwendung von Assessment-Verfah-ren [28]. Sie zeigen, dass geriatrische Assessment-Programme, in bestimm-ten Situationen angewendet, den Grad der Selbstständigkeit älterer Patien-ten verbessern, deren Verbleib in der Häuslichkeit erhöhen und die Morta-lität reduzieren können. Die Kontinuität der Betreuung und Einflussnahmeauf die Umsetzung von Therapieempfehlungen, die sich aus den Ergebnis-sen des Assessments ergeben, sind wichtige Komponenten für den Erfolg.

Eine Analyse aus dem Jahr 2004 schloss ausschließlich Studien ein, dieAssessment-Programme im Krankenhaus zum Gegenstand der Unter-suchung hatten [4]. Zwei konzeptionelle Formen von Assessment-Program-men im Krankenhaus wurden untersucht:

„Geriatric Evaluation and Management Unit“ (GEMU): Dabei handelt essich um spezielle Stationen, die ältere Patienten für ein umfassendes As-sessment und eine Behandlung durch ein interdisziplinäres Team aufneh-men.

„In-patient Geriatric Consultation Service Team“ (IGCS): Ein multidiszip-linäres Team untersucht mittels standardisierter Assessment-Verfahren, be-wertet die Ergebnisse und führt Beratungen zur Behandlungsplanung alterKrankenhauspatienten durch.

Es wurde ermittelt, dass jene Patienten, die in CGA-Programme(CGA=„comprehensive geriatric assessment“) auf speziellen Stationen imKrankenhaus eingeschlossen worden waren, am Ende der Follow-up-Peri-ode sich häufiger als Kontrollpatienten in der eigenen Häuslichkeit befan-den. Programme auf der Basis eines Konsiliarservices hingegen waren nichtmit einem signifikant besseren Ergebnis verbunden.

Eine Studie an geriatrischen Krankenhauspatienten setzte bei den Pa-tienten der Interventionsgruppe umfassendes Assessment und eine Über-gangsbetreuung direkt im Anschluss an die Entlassung aus dem Kranken-haus ein [22]. Diese Form der Intervention führte zur Verkürzung des ini-

Nutzen von geriatrischem Assessment z 47

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tialen Krankenhausaufenthaltes, zur zeitlichen Verzögerung des Umzugs insPflegeheim, zur Reduktion der Krankenhaustage (bei Wiederaufnahmen)und zu besseren funktionellen Fähigkeiten (IADL) der Patienten. In der In-terventionsgruppe wurden mehr ambulante Hilfen genutzt.

Indikationen für umfassendes geriatrisches Assessment

Die Zielgruppen für ein umfassendes geriatrisches Assessment sind charak-terisiert durch die Kombination von höherem Lebensalter, körperlicherKrankheit, dem Vorliegen von geriatrischen Syndromen und Einschränkun-gen funktionaler Kompetenz. Diese Fokussierung soll sicherstellen, dassdiejenigen Patienten erfasst werden, die eine möglichst hohe Wahrschein-lichkeit dafür aufweisen, von geriatrischer Behandlung zu profitieren.

Ausschlusskriterien sind einerseits Akuterkrankungen ohne drohendeEinschränkung der Selbstständigkeit, andererseits terminale Erkrankungen,terminale Demenz, medizinisch instabile Situation (intensivpflichtig) undeine Erkrankung ohne wirksame Behandlung. Es wird davon ausgegangen,dass zwischen 10–40% der älteren Krankenhauspatienten in Akutkranken-häusern die Zielgruppe für ein geriatrisches Assessment darstellen [20].

Der Bedarf für ein Assessment und/oder Behandlung durch mindestenseines oder mehrere Mitglieder des interdisziplinären Teams (s. u.) wurdean einem Stichtag bei allen stationären Patienten in sechs englischen Kran-kenhäusern erhoben, darunter auch auf 46 Akutstationen [10]. Ein entspre-chender Bedarf wurde bei 69% der erfassten Patienten (889/1324 Pat.) er-mittelt. Im Bereich der Akutstationen (61%) war dies mehr als jeder zweitePatient. Der Selbsthilfestatus, gemessen anhand grundlegender Alltagsakti-vitäten, sank mit steigendem Lebensalter der Patienten, während der Bedarffür interdisziplinäre Versorgung entsprechend anstieg.

Bereits der Zeitaufwand für Anamnese und körperliche Untersuchungbei älteren Patienten ist erheblich und nimmt mit steigendem Komplexi-tätsgrad des Assessments zu (Tabelle 4.2).

Zur Indikationsstellung für ein umfassendes geriatrisches Assessmentmüssen deshalb geeignete Patienten, die davon profitieren können, zu-nächst erkannt werden. Das Verfahren, mit dem geeignete Patienten mit ty-pischen Problemkonstellationen identifiziert werden können, wird als ger-iatrisches Screening bezeichnet (s. u.). Situationen für den Einsatz einesScreenings sind beispielsweise die Aufnahme in einer Notfallambulanz oderAufnahmestation im Krankenhaus sowie die geriatrische Konsiliarunter-suchung im Krankenhaus, die Aufnahme in einer geriatrischen Abteilung,die Anmeldung für geriatrische Rehabilitationsbehandlung und die Beur-teilung von Pflegebedürftigkeit.

z 4 Geriatrische Methodik und Versorgungsstrukturen48

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Empfehlungen zum Vorgehen

Von der deutsch-schweizerischen Arbeitsgruppe „Geriatrisches Assessment“(AGAST) wurde 1995 eine Empfehlung zur Durchführung eines sog. Basis-As-sessments erarbeitet [2, 9]. Teile hiervon wurden vom Bundesverband Ger-iatrie e.V. übernommen. Sie sind auch im „Geriatrischen Minimum Data Set“(GEMIDAS) [4] enthalten, der von vielen im Bundesverband organisierten Kli-niken erhoben wird (siehe Kap. 16). Eine Arbeitskommission der DeutschenGesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG) und der Deutschen Ge-sellschaft für Geriatrie (DGG) hat gemeinsame Empfehlungen formuliert [23].

Diese Empfehlungen sehen in der ersten Stufe die Durchführung eineserweiterten Screenings vor. Dieses nach Lachs et al. [13] modifizierte Scree-ning-Verfahren dient der Identifikation geriatrischer Problemkonstellatio-nen und Risiken. In der Version nach Lachs et al. beinhaltet es 11 Bereicheund wurde für den ambulanten Einsatz bei asymptomatischen Patientenkonzipiert. In der Version nach AGAST sind die Bereiche ADL/IADL undhäusliche Umgebung modifiziert, zusammengefasst und vier Risikofaktorenhinzugefügt. Nach Empfehlung der o. g. Kommission sollten folgende Prob-lembereiche ergänzend ebenfalls angesprochen werden:z Liegt eine relevante Störung der sprachlichen Kommunikation vor?z Bestehen Verhaltensauffälligkeiten (z.B. Unruhezustände, Aggressivität,

mangelnde Kooperation)?z Droht oder besteht ein Dekubitus?z Droht oder besteht Pflegebedürftigkeit oder deren Verschlimmerung?z Besteht eine Indikation zu qualifizierten geriatrischen Maßnahmen?z Möchte der Patient auch entsprechende Maßnahmen?

Empfehlungen zum Vorgehen z 49

Tabelle 4.2. Zeitaufwand in Minuten für geriatrisches Assessment (Beispiel: Hausbesuch mitAssessment)

Bekannter Patient Neuer Patient

Durchschnittlich Komplex Durchschnittlich Komplex

z Anamnese undkörperliche Untersuchung

30–45 45–60 45–60 60–75

z Kognitiver undaffektiver Status

20 20 20 20

z Funktioneller Status ADL,IADL

15 20 15 20

z Häusliche Umgebung 15 15 15 15z Sozioökonomischer

Status und Fremdanamnese20 20 20 20

z Gesamt 100–115 120–130 115–130 135–150

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Mögliche Konsequenzen für weitergehende Untersuchungen aus dem Er-gebnis dieses Screenings werden unter Gesichtspunkten klinischer Relevanzentschieden. Diese Entscheidung richtet sich nach der klinischen Gesamt-beurteilung. Eine bestimmte Anzahl von identifizierten Problemen imScreening kann hierfür nicht angegeben werden. Für ein Assessment wirdin der 2. Stufe die Erhebung des Barthel-Index (ADL; basale Aktivitätendes täglichen Lebens), die Feststellung des Mini-Mental-Status (MMSE; kog-nitive Funktion) und eine Einordnung auf der geriatrischen Depressionsska-la (GDS; Depression) empfohlen. Zusätzlich werden Fragen sowohl zurWohnsituation als auch zur sozialen Situation (soziale Kontakte, Unter-stützung sowie soziale Aktivität) gestellt. Neben der Durchführung desAufsteh- und Gehtests (timed „up and go“; Mobilität) sollen zusätzlich einSemitandem-Stand und ein Tandem-Stand durchgeführt werden, um auchdie Balance zu erfassen, die zur Abklärung des Sturzrisikos wichtig ist (sie-he Kap. 8). Ausgewählte Assessment-Instrumente und dazugehörige Hand-lungsanleitungen finden sich im Anhang.

Ein für den Bereich ambulanter Versorgung entwickeltes ambulantesgeriatrisches Screening (AGES) wurde in allgemeinärztlichen Praxen probe-weise durchgeführt. Damit konnten bei 713 Patienten im Alter von 70 Jah-ren und älter im Durchschnitt 4,8 neue, bis dahin nicht bekannte Gesund-heitsprobleme aufgedeckt werden [11]. Das von einer europäischen Ar-beitsgruppe (STEP-Project) entwickelte ambulante evidenzbasierte präventi-ve Assessment [12] liegt auch in deutscher Fassung.

Fazit

Ältere Patienten sind sehr häufig mehrfach erkrankt, mit u.U. komplexenund weitreichenden, physischen, psychischen und sozialen Krankheitsfol-gen. Zur Erfassung und Beurteilung dieser Krankheitsfolgen und zur sinn-vollen Planung der Behandlung ist eine systematische Vorgehensweise er-forderlich. Die medizinische Diagnostik wird deshalb ergänzt durch stan-dardisierte Untersuchungsverfahren, die Krankheitsfolgen abbilden bzw.messbar machen. Der Prozess, der diese umfassende (Funktions-)Beurtei-lung und Behandlungsplanung beschreibt, wird als umfassendes geriatri-sches Assessment bezeichnet. An diesem multidimensionalen Prozess istein interdisziplinäres Team beteiligt.

z 4 Geriatrische Methodik und Versorgungsstrukturen50

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Interdisziplinäres Team

Umfassende (mehrdimensionale) Beurteilung, Befunderhebung, Planungund Durchführung der in der Regel komplexen Behandlungen erforderndie Methoden und Fähigkeiten mehrerer Berufe, also mehrerer Disziplinen.Ein essenzieller Bestandteil des geriatrischen Konzepts ist der interdiszipli-näre Arbeitsansatz. In der klinischen Geriatrie ist das interdisziplinäre the-rapeutische Team die diagnostizierende und therapierende Einheit. Für un-terschiedliche Aufgabenschwerpunkte bzw. Versorgungsaufträge kann dieZusammensetzung der Disziplinen eines Teams wechseln. Als geriatrischesKernteam wird die Kombination aus ärztlichem und pflegerischem Dienstsowie Sozialdienst benannt. Den Teammitgliedern, insbesondere Ärzten alsVerantwortliche für den gesamten Behandlungsverlauf, sollten Grundzügeder Tätigkeiten der anderen Disziplinen bekannt sein. Im Folgenden wer-den deshalb die Aufgabenbereiche stichwortartig aufgeführt.

z Teammitglieder und ihre Aufgaben

z Krankenschwester/Krankenpfleger/Altenpfleger. Die Krankenpflegeausbil-dung erfolgt an Krankenpflegeschulen, die Altenpflegeausbildung an Alten-pflegeschulen oder Berufsfachschulen. Letztere ist auf Altersaspekte ausge-richtet und beinhaltet neben pflegerisch-medizinischen auch sozial-pflege-rische Inhalte. Aufgaben umfassen u. a. die pflegerische Beurteilung desFunktionsstatus bei Alltagsaktivitäten der Patienten, die fortlaufende Kran-kenbeobachtung, die Pflegeplanung und die Durchführung von Grundpfle-ge auf der Grundlage aktivierender Konzepte, rehabilitative Pflege (Erhal-tung und Förderung des Selbstpflegepotenzials), Behandlungspflege, Unter-stützung von Angehörigen durch Beratung und Anleitung, im stationärenBereich 24-stündige pflegerische Verantwortung (Grundlage des therapeuti-schen Milieus) und Begleitung bis zum Tod.

z Ärzte. Die 24-stündige Verantwortung des ärztlichen Dienstes im statio-nären Bereich betrifft die medizinische Gesamtverantwortung. Aufgabenumfassen u.a. medizinische Diagnostik und Therapie, Indikationsstellungfür diagnostische und therapeutische Maßnahmen, Leitung der gemein-samen Dokumentation, Integration und Bewertung der Diagnostik, Diag-nosenstellung, Beurteilung des Behandlungsverlaufs, Leitung des therapeu-tischen Teams, Dasein als konstante Bezugsperson für Patient und Angehö-rige, Beratung, ärztliche Dokumentation und Dialog mit Kostenträgern.

z Physiotherapeut (Krankengymnastik). Die Ausbildung erfolgt an staatlichanerkannten Schulen. Physiotherapeuten arbeiten gemäß ärztlicher Verord-nung mit ärztlicher Diagnose. Sie führen aufgrund differenzierter Befund-

Interdisziplinäres Team z 51

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aufnahme eine individuelle Behandlung durch, um ein funktionelles, d.h.alltagsrelevantes Ziel zu erreichen. Hier kommen verschiedene Behand-lungsverfahren und Konzepte zur Anwendung, die spezielle Fort- und Wei-terbildungen erfordern. Ein Beispiel ist das Bobath-Konzept zur Behand-lung neurologischer Erkrankungen. Physiotherapie dient u.a. der Präven-tion, z.B. von Erkrankungen des Bewegungsapparats, der Schmerzlinde-rung und der Wiedererlangung funktioneller Bewegungsmöglichkeiten. Einneuerer Arbeitsbereich ist die medizinische Trainingstherapie unter Anwen-dung spezieller Trainingsgeräte zur gezielten Kräftigung von Muskeln bzw.Muskelgruppen. Auch dies setzt die vorherige Befundaufnahme voraus. Häu-fig gehören Hilfsmittelversorgung sowie Patienten- und Angehörigenbera-tung ebenfalls zum Aufgabenbereich der Physiotherapeuten.

z Masseurin, medizinischer Bademeister. Die Ausbildung erfolgt an staatlichanerkannten Schulen. Aufgaben sind die Durchführung verschiedener Mas-sageformen, die manuelle Lymphdränage, die Anwendung von Thermo-,Elektro-, Hydro- und Balneotherapie. Behandlungsziele sind z.B. Schmerz-linderung, Verbesserung der Durchblutung, Abbau von Schwellungen, To-nusregulierung zur Förderung von Beweglichkeit und Elektrostimulationzur Behandlung peripherer Nervenschädigungen.

z Ergotherapeut. Die Ausbildung erfolgt an staatlich anerkannten Schulen.Die therapeutischen Aufgaben sind an ärztlicher Verordnung orientiert undsetzen eine differenzierte Befunderhebung und Behandlungsplanung durchdie Ergotherapeuten voraus. Behandlungsziele sind die Verbesserung kör-perlicher und geistiger Funktionen durch gezielte therapeutisch-konstruk-tive Aktivitäten. Hierzu zählen z.B. das Training alltagspraktischer Fertig-keiten und das Training erweiterter Tätigkeiten etwa in Form von Küchen-oder Citytraining. Die Behandlungskonzepte von Bobath und Affolter fin-den ihre Anwendung v. a. bei der Diagnostik und Therapie von neuropsy-chologischen Störungen. Durchgeführt werden ebenfalls Hilfsmittelbera-tung, -anpassung und -training, Hausbesuche, Wohnungsanpassungen so-wie Beratung von Patienten und Angehörigen.

z Logopäde/Sprachheiltherapeut. Die logopädische Ausbildung erfolgt anstaatlich anerkannten Schulen. Sprachheiltherapeuten haben Sonderpädago-gik mit dem Schwerpunkt Sprachtherapie studiert. Aufgaben sind Diagnos-tik und Therapie von Sprach-, Sprech- und Stimmstörungen. Zur Anwen-dung kommen z.T. lerntheoretische und kommunikationstheoretische Be-handlungskonzepte. Ziele sind z.B. Verbesserung von Sprachverständnisund Sprachproduktion sowie Lesen und Schreiben. Ein weiterer wichtigerBereich ist die Diagnostik und Behandlung von Kau- und Schluckstörun-gen. Auch Erkrankungen im orofazialen Bereich und im Kehlkopfbereichwerden logopädisch behandelt.

z 4 Geriatrische Methodik und Versorgungsstrukturen52

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z Diplomsozialarbeiter/Diplomsozialpädagoge. Sozialarbeiter/-pädagogen ab-solvieren ein Fachhochschulstudium. Aufgaben in der Klinik betreffen Pa-tienten- und Angehörigenberatung durch klärende und unterstützende Ge-spräche zur Krankheits- und Konfliktbewältigung und in sozialmedizini-schen Fragen. Sozialarbeiter/-pädagogen sind häufig entscheidend beteiligtan der Planung der Entlassungsvorbereitung durch Beratung und Vermitt-lung sowie Klärung der Kosten ambulanter Hilfen und stationärer Versor-gung. Sie arbeiten deshalb eng mit Einrichtungen des Gesundheits- undsozialen Versorgungssystems zusammen und sind z.B. auch bei der Klä-rung zu treffender Regelungen im Zusammenhang mit dem Betreuungs-gesetz tätig.

z Diplompsychologe. Diplompsychologen und approbierte psychologischePsychotherapeuten haben ein Hochschulstudium absolviert. Als KlinischePsychologen oder spezialisierte Neuropsychologen (nach 3-jähriger wei-terführender Zusatzausbildung) sind ihre Aufgaben in geriatrischen Klini-ken insbesondere die Diagnostik und Therapie neuropsychologischerStörungen (vorwiegend mit psychometrischen Testverfahren) im BereichIntelligenz, Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Raumverarbeitung, Praxie, Pro-blemlösungsfähigkeit und Planungsvermögen. Sie führen therapeuten- undcomputergestützte Therapien sowie psychotherapeutische Gespräche undBeratungen von Angehörigen durch.

z Diätassistent. Die Ausbildung erfolgt an staatlich anerkannten Schulen.Aufgaben in der Klinik sind Ernährungsberatung und Schulung von Pa-tienten und Angehörigen. Diätassistenten erstellen Rezepte, Speisepläneund Nährwertberechnungen und beraten Küchen bei der Planung, Organi-sation und Kontrolle spezieller Kostformen. Sie führen neben Informations-und Beratungsgesprächen z.T. auch praktische Übungen mit Patienten inder Lernküche durch. Ein zunehmend wichtig werdender Bereich in geri-atrischen Kliniken ist die Beratung von Patienten mit Kau- und Schluck-störungen und deren Angehörigen bezüglich geeigneter Kostformen (Auf-klärung über geeignete und ungeeignete Kost, Möglichkeiten der Andi-ckung von Flüssigkeiten).

z Seelsorger. Zum Team in der geriatrischen Klinik gehört auch der Seel-sorger, insbesondere mit der Zusatzausbildung „Klinische Seelsorge“. Ne-ben den Gottesdiensten hilft die Seelsorge Patienten und Angehörigendurch ihr Angebot geistlicher und anteilnehmender Begleitung. Auch Mit-arbeitern steht sie in persönlichen oder ethischen Fragestellungen zurVerfügung. Seelsorger besuchen Kranke und helfen bei der Krankheitsver-arbeitung, trösten und stehen Sterbenden und ihren Angehörigen bei.

Interdisziplinäres Team z 53

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z Ehrenamtliche Helfer. Ehrenamtliche Laienhelferinnen und Helfer, z. B.sog. „grüne oder blaue Damen“, leisten in Kliniken vielfältige Hilfe für Pa-tienten im Rahmen eines Besuchsdienstes, übernehmen z.B. regelmäßigLotsendienste im Krankenhaus oder betreuen die Patientenbibliothek.

z Zusammenarbeit im therapeutischen Team

Ein Team besteht aus Mitgliedern, deren Fähigkeiten sich gegenseitig er-gänzen und deren Arbeit sich auf den Patienten zentriert. Voraussetzunghierfür ist eine funktionierende Kommunikation. Sie betrifft die Ergebnisseder spezifischen Befunderhebung (Assessment), die Formulierung von Be-handlungszielen, die Beurteilung des Fortgangs der laufenden Behandlungmit ggf. erforderlichen Veränderungen im Vorgehen sowie die Entlassungs-planung. Grundlage hierfür sind die Dokumentationsunterlagen, die vonden einzelnen Disziplinen verwendet werden. Das organisatorische Gerüstdieser interdisziplinären Teamarbeit sind tägliche Kurzbesprechungen amMorgen (z.B. Probleme während der Nacht, flexible Terminabsprachen)und eine wöchentliche Teambesprechung, bei der alle Teammitglieder an-wesend sind. Sie dient neben dem Informationsaustausch (s. o.) der Ab-sprache und Koordination therapeutischer Maßnahmen sowie der Entschei-dungsfindung über Fortsetzung bzw. Beendigung der Behandlung.

Geriatrische Versorgungsstrukturen

z Entwicklung

Unter dem Motto „vom geriatrischen (Krankenhaus-)Block zum integrier-ten geriatrischen Service“ könnte man die Entwicklung beschreiben, diedie stationäre geriatrische Versorgung v. a. im angloamerikanischen Raumgenommen hat. Die Argumentation Dr. Marjory Warrens, einer britischenPionierin der Geriatrie, für die eigenständige organisatorische Etablierungder Geriatrie im Jahre 1943 ist immer noch bedenkenswert. Geriatrie seiein wichtiger Bereich im Kurrikulum der Medizinstudenten und die spezi-fische Pflege essenzieller Bestandteil der Ausbildung von Krankenschwes-tern. Für die diagnostische und therapeutische Versorgung sowie dieFörderung der Forschung seien die Möglichkeiten eines Krankenhauses er-forderlich. Die Integration einer solchen Abteilung sollte den Zugang ger-iatrischer Patienten zu anderen Spezialabteilungen sicherstellen (Konsiliar-dienste) [35].

Heute wird man hinzufügen, dass umgekehrt auch keinem alten Patien-ten, der von der Versorgung durch ein multidisziplinäres geriatrischesTeam profitieren könnte, der Zugang dazu erschwert oder vorenthaltenwerden sollte. Direkter Zugang zu geriatrischer Abklärung und Behandlung

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ist ein integrierter Bestandteil medizinischer Versorgung, die im Kranken-haus möglichst in der Notaufnahme oder Aufnahmestation beginnt [7, 15].Dies war auch die schlussfolgernde Forderung einer Nachbeobachtung derInternistischen Notaufnahme der Baseler Medizinischen Universitätsklinik.Von initial als „Pflegeheimkandidaten“ beurteilten Patienten (mittleres Al-ter 83±7 Jahre) konnten 56% (!) nach geriatrischer Behandlung in ihrehäusliche Umgebung zurückkehren [29]. Abbildung 4.2 zeigt modellhaftdie Integration einer geriatrischen Fachabteilung im Akutkrankenhaus.

In den USA spielte das geriatrische Assessment die entscheidende Rollebei der Etablierung entsprechender Versorgungseinrichtungen. Dies führtezunächst zu sog. Geriatric Research Education and Clinical Centers(GRECC). Deren Aufgaben waren die Entwicklung modellhafter klinischerVersorgung, altersbezogene Forschung sowie die Aufstellung von Program-men für die Ausbildung von Experten. Nachdem der Beweis der Effizienzdes Konzepts geführt worden war, wurden weitere Abteilungen (GeriatricEvaluation and Management/GEM Units) eingerichtet [6].

In Deutschland wurde erst 1968 die erste Fachklinik für geriatrische Re-habilitation in Hofgeismar eröffnet und 1980 mit dem Albertinen-Haus inHamburg erstmals eine geriatrische Klinik mit Fördermitteln des Bundes-ministeriums für Arbeit und Sozialordnung eingerichtet. Die weitere Ent-wicklung v. a. geriatrischer Rehabilitationseinrichtungen wurde durch diePolitik des Bundes und der Länder maßgeblich gefördert [8]. Der Grund-satz „Rehabilitation vor Pflege“ wurde 1989 im Gesundheitsreformgesetzverankert. Auf Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialord-nung wurde 1993 die Bundesarbeitsgemeinschaft der geriatrischen Rehabi-litationseinrichtungen e.V. gegründet. Diese Trägervereinigung berücksich-tigte zunächst ausschließlich Träger von Rehabilitationskliniken/-abteilun-

Geriatrische Versorgungsstrukturen z 55

Geriatrische Fachabteilung

akutmed. u.rehabil. Behandlung

InterdisziplinäreNotaufnahme

Primärdiagnos-tik u. geriatr.Screening

ErweitertesAssessment

Sterbe-begleitung

erweit. Abklä-rungsbedarf

Regelung d.Versorgung

primär rehab.Behandlungsbedarf

Direkt-einweisung

Verlegung ausakutmed. Abteilung

Entl.amb./teilstat./stat.

Pflegeverstorben

amb./teilstat./stat.geriatr. Rehabilit.

Akut-med.Fach-

abteilung

Abb. 4.2. Integration einer geriatrischen Fachabteilung im Akutkrankenhaus [15]

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gen, später als Bundesarbeitsgemeinschaft der Klinisch-Geriatrischen Ein-richtungen e.V. (BAG) auch Träger geriatrischer Krankenhausabteilungen[18]. 2008 erfolgte die Umbenennung der BAG in Bundesverband Geriatrie.Informationen finden sich unter: http://www.bv-geriatrie.de.

z Bestand geriatrischer Einrichtungen

Geriatrische Versorgungsleistungen werden in Krankenhäusern (§§ 107Abs. 1 i.V.m. 39 SGB V) und in Rehabilitationseinrichtungen (§§ 107 Abs.2 i.V.m. 40 SGB V) erbracht. Im Krankenhausbereich bestehen stationäreund teilstationäre Versorgungsstrukturen in Form geriatrischer Tagesklini-ken, im Rehabilitationsbereich stationäre und ambulante Einheiten.

Übersichten zum Bestand geriatrischer Versorgungsstrukturen wurdenwiederholt erstellt [8, 14, 33]. Dabei lagen unterschiedliche methodischeAnsätze sowie unterschiedlich umfangreiche Erhebungen zugrunde. Dieletzte Zusammenfassung wurde 2006 durch das Kompetenz-Centrum Ger-iatrie beim MDK Nord erstellt [19]. Diese berücksichtigte die 2005 veröf-fentlichten Grunddaten der Krankenhausstatistik für das Jahr 2003 sowieeine gesonderte Recherche zu ambulanten geriatrischen Rehabilitationsein-richtungen für das Jahr 2003. Danach standen 2003 in Deutschland ins-gesamt 388 geriatrische Versorgungseinrichtungen zur Verfügung (245 sta-tionäre, 97 teilstationäre, 46 ambulante). Von diesen waren über zwei Drit-tel leistungsrechtlich im Krankenhausbereich angesiedelt. Auf Grundlageder Daten des Statistischen Bundesamtes wurde 2003 für 7,8% aller 2197Krankenhäuser eine eigene geriatrische Fachabteilung erfasst. Der Anteilgeriatrischer Tageskliniken (teilstationäre Versorgung) betrug 8,9% aller16234 Tages- und Nachtklinikplätze und der Anteil der geriatrischen Reha-bilitationsbetten 2,3% der insgesamt 179789 für das Jahr 2003 ausgewiese-nen Rehabilitationsbetten.

Die Durchführung einer teilstationären Behandlung in Tageskliniken(von Montag bis Freitag) setzt voraus, dass Patienten während der Nachtsowie an Wochenenden und Feiertagen zu Hause zurecht kommen bzw.versorgt sind. Für die Behandlung werden sie von zu Hause abgeholt, zurTagesklinik und nach Beendigung der Behandlung zurück nach Hausebefördert. Die zweite Voraussetzung für tagesklinische Behandlung ist des-halb die Transportfähigkeit.

Der Patientenzugang erfolgt unterschiedlich, sowohl als Selbsteinweisungoder Direktaufnahme via Notaufnahme oder Aufnahmestation als auch alsVerlegung aus anderen Krankenhausabteilungen bzw. Kliniken.

Als Besonderheit ist vor der Aufnahme in ambulante, teilstationäre oderstationäre geriatrische Rehabilitation die Kostenübernahmeerklärung desKostenträgers erforderlich. Die Anmeldung erfolgt über spezielle Anmel-debögen, die neben Diagnosen und angestrebtem Rehabilitationsziel auchAngaben zum basalen Selbsthilfestatus enthalten. Das Verfahren beinhaltetdie Überprüfung des Rehabilitationsantrags und die daraus resultierende

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Empfehlung des MDK an den über die Antragsgenehmigung entscheiden-den Kostenträger (siehe Kap. 15).

Die Frührehabilitation ist Bestandteil der akutstationären Behandlungim Krankenhaus. Möglichst frühzeitig werden Leistungen zur Frührehabili-tation (§ 39 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 107 Abs. 1 SGB V) bereits während akut-medizinisch-kurativer Behandlung erbracht. Sie haben das Ziel, Behin-derung oder Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern,auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mil-dern (§ 11 Abs. 2 SGB V). Im Unterschied zur weiterführenden Rehabilita-tion ist die Frührehabilitation dadurch gekennzeichnet, dass bei vordring-lich bestehendem akut stationären Behandlungsbedarf gleichzeitig Rehabi-litationsbedarf besteht, die Rehabilitationsfähigkeit erheblich eingeschränktsein kann und die Rehabilitationsprognose oftmals unsicher ist. Im Rah-men des DRG-Systems sind die Mindestvoraussetzungen der diagnosti-schen Kriterien und Behandlungskriterien festgelegt. Die so definierte „ger-iatrische frührehabilitative Komplexbehandlung“ wird von der fachübergrei-fenden Frührehabilitation unterschieden. Sie ist durch spezielle Bedingun-gen bzw. Behandlungsanforderungen definiert (Operationen- und Pro-zedurenschlüssel OPS, Nr. 8.550; jeweils aktuell gültige OPS-Version), diedie Prinzipien geriatrischer Versorgung durch Festlegung der fachlichenQualifikation sowie durch definierte Vorgaben für Struktur und Abläufe imBehandlungsprozess berücksichtigen.

Für das Jahr 2003 wurden als mittlere Versorgungsquote 12,3 geriatri-sche Betten bzw. Behandlungsplätze pro 10.000 Personen im Alter ab 65Jahren berechnet [19]. Zwischen den Bundesländern besteht eine erhebli-che Variabilität mit hohen Versorgungsquoten in den Stadtstaaten Berlin,Bremen und Hamburg sowie im Saarland (23,3–28,9) und niedrigen Ver-sorgungsquoten für Sachsen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Rhein-land-Pfalz (5,8–7,2).

„Strukturstandards für geriatrische und gerontopsychiatrische Einrich-tungen“ sowie „Empfehlungen für die klinisch-geriatrische Behandlung“wurden 1998 von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Klinisch-Geriatri-schen Einrichtungen e.V. veröffentlicht. Ausgehend von den Zielen geriatri-scher Behandlung beruhen diese auf den hierfür erforderlichen Rahmenbe-dingungen (strukturelle, räumliche und fachlich personelle Bedingungen,interdisziplinäre Versorgungsprozesse) [18]. Die Entwicklung führt zu inte-grierten geriatrischen Behandlungseinheiten im Krankenhaus [1, 15, 16]und, den Aufgaben des Querschnittsfaches entsprechend, zur Wahrneh-mung integrativer Funktionen im Sinne eines geriatrischen Case-Manage-ments (siehe Tabelle 4.3).

Die Aufgaben einer geriatrischen Klinik/Krankenhausabteilung sind inTabelle 4.4 aufgeführt. Deren mögliche Realisierung ist von den jeweiligenRahmenbedingungen einer Klinik bzw. Abteilung abhängig. Bezüglich derAufgaben im Bereich der Ausbildung ist festzustellen, dass ärztliche Aus-und Weiterbildung im Gebiet Geriatrie fast ausschließlich außeruniversitärstattfindet [17, 26, 27].

Geriatrische Versorgungsstrukturen z 57

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z 4 Geriatrische Methodik und Versorgungsstrukturen58

Tabelle 4.3. Eckpunkte eines medizinisch-geriatrischen Casemanagements [16]

z Patientenidentifikation und Zuweisung zu einem geriatrischen Behandlungsteam

z Multiprofessionelles Assessment � Behandlungspriorisierung � Behandlungsplanung

z Berücksichtigung des geriatriespezifischen Behandlungsfokus

z Medizinische Behandlungsführung (inkl. abgestimmter Pharmakotherapieund ggf. Rückgriff auf Spezialisten)

z Kontinuierliche Patientenbegleitung auch bei zeitweilig anderem fachspezifischenBehandlungsschwerpunkt

z Systematisches Risikomanagement

z Vorhalten frührehabilitativer Behandlungsmöglichkeiten und deren Einsatz und Kontrollenach individuellem Bedarf

z Planung und Umsetzung von Maßnahmen der Weiterversorgung – ggf. auch unterNutzung teilstationärer Übergangsbehandlung – in Abstimmung mit Angehörigen,Pflegediensten und Hausarzt

Tabelle 4.4. Mögliches Aufgabenspektrum einer geriatrischen Krankenhausabteilung

z Diagnostik und Behandlung – Berücksichtigung von Multimoriditätund spezifischen Risiken

Geriatrische Abklärungund Konsiliartätigkeit

– umfassendes Assessment, spez. Assessment– Rehabilitationsbedürftigkeit, -potenzial, -fähigkeit– Findung optimaler Versorgungsoption– interdisziplinär: Stroke-Unit, perioperativ etc.

Geriatrische Rehabilitation – Frührehabilitation– stationär, teilstationär, ambulant

Prävention – Entwicklung von Hilfs- und Pflegebedürftigkeit,iatrogene Störungen

Palliation – Linderung von Schmerzen, Symptomkontrolle un-ter prioritärer Berücksichtigung von Lebensquali-tät

z Aus-, Fort- und Weiterbildung – Medizinstudenten, Ärzte, Berufedes interdisziplinären Teams

z Zusammenarbeit – intern: interdisziplinär mit med. Fachabteilungen– extern: z. B. Institutionen der Altenhilfe, Behörden,

Seniorenverbände, „Runder Tisch“ usw.

z Klinisch-geriatrische Forschung – interdisziplinär und im Verbund

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z 4 Geriatrische Methodik und Versorgungsstrukturen60

Page 73: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Teil II: GeriatrischeSyndrome

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Anamneseerhebung

Diagnostisch sind bei älteren und sehr alten Menschen einige Charakteris-tika zu berücksichtigen. Nicht selten besteht eine erstaunliche Gelassenheitbis Indolenz von Patienten, gelegentlich auch von deren familiären Umfeld,was gesundheitliche Veränderungen anbelangt. Der „Gesundheitsoptimis-mus“ alt gewordener Menschen korrespondierte in zahlreichen Unter-suchungen mit positiver Selbsteinschätzung des Gesundheitszustands. ImExtremfall erreicht diese „Zufriedenheit“ das Ausmaß ausgeprägter Selbst-vernachlässigung. Unter der Bezeichnung „Diogenes-Syndrom“ mit der Fol-ge katastrophaler Verwahrlosung wurde dies 1975 erstmals als geriatrischeEntität beschrieben [5]. Positive Selbsteinschätzung kann dazu verleiten,wichtige Befunde zu übersehen. Dieses Risiko nimmt bei Multimorbidität,dem Vorliegen mehrerer Erkrankungen zu [32] und steigt deshalb auchmit höherem Lebensalter [24]. Aufgrund der Chronizität vieler Erkrankun-gen werden Exazerbationen selbstverständlich erwartet, neu hinzukommen-de Störungen und Symptome jedoch gerade bei lang bekannten Patientenschwieriger erkannt oder verpasst.

Die Kommunikation mit und die Anamneseerhebung bei alten Krankenkönnen ausgesprochen schwierig sein; sie beanspruchen Ruhe und in derRegel mehr Zeit als bei jüngeren Patienten. Als altersspezifisches „underre-porting“ wird der Umstand bezeichnet, dass körperliche, psychische undsoziale Probleme von alten Menschen häufig nicht spontan geäußert wer-den [26]. Die Ursachen hierfür sind vielschichtig (Tabelle 5.1). Erstaunlichhäufig werden auch gravierende Symptome wie Blut im Stuhl, Gangunsi-cherheit und Stürze, Phasen von Desorientiertheit, Vergesslichkeit oder Ap-petitmangel nicht mitgeteilt [4]. Eine finnische Untersuchung zeigte einelängere Latenzzeit vom Auftreten erster Symptome bis zur Diagnosestellungkolorektaler Karzinome bei älteren Personen [15]. Die Anamnese solltedeshalb gezielte Fragen enthalten und Informationen durch eine Fremda-namnese nutzen. Die Bedeutung der gründlichen körperlichen Unter-suchung ist überhaupt nicht zu überschätzen, da sie oft entscheidende Hin-weise für das weitere diagnostische Vorgehen und die Behandlung liefert[21].

Geriatrische Syndrome –eine diagnostische undtherapeutische Herausforderung

5

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Multimorbidität und unspezifische Manifestation von Krankheit

Viele Diagnosen und pathologische Befunde können den Blick für dasDringende verstellen. Diese Komplexität verführt einerseits zu polypragma-tischem Aktionismus, während andererseits gleichzeitig potenziellen Gefah-ren paradoxerweise ungenügende Aufmerksamkeit gewidmet und unzurei-chend vorgebeugt wird (siehe Kap. 6). Insbesondere alte Patienten imKrankenhaus sind aufgrund von Komorbidität komplex erkrankt und wei-sen häufig mehrere Risiken gleichzeitig auf (Tabelle 5.2) [6–8, 11, 23].

Die Gemengelage aus Multimorbidität und funktionellen Alternsverän-derungen wird als üblicher Bestandteil eines „Verfalls“ im Alter verall-gemeinert [9]. Das hiermit verbundene negative Dogma betrachtet diesen„Verfall“ (Synonyma: Gebrechlichkeit, Hinfälligkeit, Senilität etc.) als nichtspezifisch verursacht und deshalb auch nicht (spezifisch) behandel- undverbesserbar. Hierin liegt eine grundlegende Problematik, die vor allemmit Annahmen, jedoch immer noch zu wenig validen Daten verbunden ist.

Ein weiteres, wichtiges Charakteristikum alter Patienten ist die außer-ordentlich große Variabilität. In keiner anderen Gruppe von Patienten sindvergleichbar ausgeprägte individuelle Variationen festzustellen. Die Ergebnis-se aus gerontologischen Langzeitstudien belegen dies z.B. für biomedizi-nische Parameter [28, 30]. Es wird zunehmend deutlich, dass Veränderungen,die bislang Alternsfaktoren zugeordnet wurden, im Wesentlichen krankheits-bestimmt sind. Beispiele hierfür sind Parameter der Herz- und Nierenfunk-tion [12, 16, 25]. Unterschiedliche Untersuchungsergebnisse stammen häufignoch aus Vergleichen gesunder junger Menschen mit mehr oder wenigerkranken alten Personen. Fehlschlüsse stammen auch aus Querschnittsunter-suchungen, ohne dass longitudinale Daten vorlägen.

Die übliche klinische Problemlösung versucht, verschiedene Symptome pa-thophysiologisch möglichst auf eine einzelne spezifische Krankheit (Ursache)zurückzuführen. Bei Patienten im hohen Alter mündet jedoch die Summe

z 5 Geriatrische Syndrome – eine diagnostische und therapeutische Herausforderung64

Tabelle 5.1. Ursachen des altersspezifischen „underreportings“

z Nichtwahrnehmen eines langsam, aber stetig voranschreitenden Funktionsverlustesz Verleugnen von Problemen aus Furcht vor eingreifender Diagnostik und Therapie sowie

sozialen Folgen (Umzug ins Pflegeheim)z Erachtung von Problemen als Tabuthemen, z. B. Inkontinenz und Demenzz Wahrnehmung von Erkrankungen nicht als Krankheit, sondern als Altersfolgez Vermutung, dass Krankheiten nicht behandelbar sindz Ratlosigkeit, wer überhaupt bei unspezifischen Problemen ansprechbar istz Scheu oder falscher Stolz bei Inanspruchnahme medizinischer und sozialer Dienste

Page 76: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

zahlreicher Ursachen (Krankheiten und altersbedingte Funktionsänderun-gen) zunehmend häufiger in phänomenologisch unspezifischer Symptomatik.

Dies bedeutet, dass sich bei Hochbetagten eine neue, zusätzliche Krank-heit, Gesundheitsstörung oder Verschlechterung oft durch atypische Sympto-matik (nicht wie im Lehrbuch!) oder unspezifisch manifestiert, z. B. durchunruhige, agitierte Verwirrtheit als spektakuläre Manifestation oder relativ„still“, aber ebenfalls uncharakteristisch („es geht irgendwie nicht mehr“).Beide Situationen sind ebenso typisch wie diagnostisch tückisch! Im erstenFall besteht das Risiko, dass vorschnell die evtl. falsche Diagnose „Demenz“gestellt wird. Im zweiten Fall wird u.U. gar keine Diagnose gestellt, sonderndas „geht nicht mehr“ wird auf das hohe Lebensalter geschoben. Bei beidenTypen von Kranken besteht die Gefahr, dass sich ihr Zustand infolge falscheroder gar keiner Behandlung aufgrund inadäquater Beurteilung weiter ver-schlechtert, statt sich zu verbessern.

Geriatrische Syndrome sind also multifaktoriell verursacht. Systematischemehrdimensionale Diagnostik (medizinisch und funktionell) kann zur Lösungdieser komplexen Probleme und zu effektiven Therapiekonzepten führen [19](siehe Kap. 4). Geriatrische Strategien wurden daher als beispielhaft für dieHerangehensweise an komplexe Probleme bzw. Systeme angesehen [20].

Multimorbidität und unspezifische Manifestation von Krankheit z 65

Tabelle 5.2. Auffällige Befunde/Risiken im geriatrischen Screening (nach AGAST) bei 250 Pa-tienten (mittleres Alter: 81 Jahre) bei Krankenhausaufnahme [23]

z Sehen eingeschränkt 69 (27,6%)z Hören eingeschränkt 124 (49,6%)z Armfunktion beeinträchtigt 73 (29,2%)z Beinfunktion beeinträchtigt 173 (69,2%)z Harninkontinenz 166 (66,4%)z Stuhlinkontinenz 63 (25,2%)z Reduzierter Ernährungszustand 105 (42,0%)z Kognitive Funktion eingeschränkt 199 (79,6%)z ADL a/IADL b beeinträchtigt 221 (88,4%)z Depressivität 133 (53,2%)z Fehlende soziale Unterstützung 65 (26,0%)z Krankenhausaufenthalt (<3 Monate) 81 (32,4%)z Sturzereignis (vor <3 Monaten) 117 (44,8%)z Multimedikation (�5 Medikamente) 112 (44,8%)z Häufig Schmerzen 73 (29,2%)

a ADL Aktivitäten des täglichen Lebens, b IADL instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens

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Das Konzept der Instabilität

Ein Merkmal von Multimorbidität im hohen Lebensalter besteht darin, dassbereits geringfügige Anlässe (körperliche oder psychosoziale Belastungenoder geringe Veränderungen der Medikation) genügen können, um grenz-wertig kompensierte homöostatische Gleichgewichte zum Zusammenbruchzu bringen. Beispiele hierfür sind Glukosetoleranz, Wasser-/Elektrolythaus-halt, Blutdruck- und Gleichgewichtsregulation, sensorische und kognitiveFunktion sowie der Erhalt minimaler Mobilität. Insbesondere Pharmakakönnen labile Regulationsmechanismen weiter destabilisieren. Die im höhe-ren Alter erhöhte Komplikationsrate wird hierdurch teilweise erklärt (sieheKap. 6) [6, 17, 18, 22].

Diese durch eingeschränkte Kompensationsmechanismen bzw. funktionel-le Reserven begründete „Labilität“ bzw. „Anfälligkeit“ wird als „Syndrom derInstabilität“ bezeichnet. Instabilität ist im wahrsten Sinne des Wortes einMerkmal „gebrechlicher“ alter Menschen und geht mit Fluktuationen imGrad funktioneller Behinderung einher [3]. Behinderung ist ein Indikatorfür Funktionseinschränkungen, Instabilität ein Indikator für drohenden oderweiteren Funktionsverlust. Essenzielle Komponenten funktioneller Kom-petenz sind die muskuloskelettale Funktion, die aerobe Kapazität als Maßfür Ausdauer bzw. Belastbarkeit (siehe Kap. 7), kognitive und integrative neu-rologische Funktionen sowie der Ernährungszustand. Ihnen ist gemeinsam,dass sie sowohl durch Krankheiten als auch durch Altersveränderungen be-einträchtigt werden [27, 31]. Diese Schlüsselkomponenten funktionellerKompetenz (Tabelle 5.3) sind Prädiktoren für Funktionsverlust und Mortali-tät. Weiterhin sind sie durch Prävention positiv zu beeinflussen (siehe Kap. 2und 3).

Diese Zusammenhänge begründen ebenfalls die Erfordernis einer syste-matischen Vorgehensweise, an deren Beginn ein geriatrisches Assessmentsteht [10,14] (siehe Kap. 4). Ohne Frage können sich alte Patienten wäh-

z 5 Geriatrische Syndrome – eine diagnostische und therapeutische Herausforderung66

Tabelle 5.3. Merkmale von Schlüsselkomponenten a funktioneller Kompetenz. (Modifiziert nach [3])

z Ermöglichen die Interaktion mit der Umweltz Werden von der Interaktion mit der Umwelt beeinflusstz Sind wesentlich für die Adaptation an Belastungen und Schädigungenz Klinische Dekompensationen können durch geringfügige körperliche

oder psychosoziale Belastungen herbeigeführt werdenz Schädigungen können vor klinischen Manifestationen erkannt werdenz Schädigungen können verhindert werdenz Die Komponenten sind miteinander verbunden

a Muskuloskelettale Funktion, aerobe Kapazität, kognitive und integrative neurologische Funktio-nen, Ernährungszustand (-reserve)

Page 78: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

rend eines Krankenhausaufenthaltes funktionell im Selbsthilfestatus z.T. er-heblich verschlechtern. Die bedeutsamsten Risiken hierfür zu kennen undzu beachten, trägt wesentlich dazu bei, Behandlungsergebnisse auch beischwer Erkrankten zu verbessern. Andernfalls wird das Ergebnis einerbestmöglichen medizinischen Intervention, beispielsweise die erfolgreicheantibiotische Pneumoniebehandlung oder die operative Versorgung, letzt-lich infrage gestellt. Herausragende Bedeutung kommt dabei der Mobilitätzu, die bei ungünstigem Outcome einer Krankenhausbehandlung erheblichreduziert sein kann; Folge ist eine Verschlechterung in alltagsrelevanten Fä-higkeiten, der Bedarf für institutionelle Pflege sowie gar der Tod [2]. Fol-genschwere Immobilität durch Bettruhe ist noch überaus häufig im Kran-kenhaus und in der Mehrzahl nicht indiziert [1,2] (siehe Kap. 7).

Als eigenes geriatrisches Syndrom wird in der angloamerikanischen Li-teratur die verminderte Belastbarkeit gegenüber externen Stressoren mitdem Begriff „Frailty“ bezeichnet [29]. Klinische Kennzeichen von Frailtysind physische und psychische Erschöpfung, körperliche Schwäche, ver-langsamte Gehgeschwindigkeit sowie verminderte körperliche Aktivität.Zugrunde liegende Ursachen hierfür werden auf genetische sowie erworbe-ne Faktoren (Entzündungsprozesse) zurückgeführt. Der Rückgang vonMuskelmasse bzw. muskulärer Leistung wird in Verbindung mit der Abnah-me anabol und dem Anstieg katabol wirksamer Hormone gebracht.

Das Frailty-Syndrom ist zum wesentlichen Bestandteil der Definition desgeriatrischen Patienten geworden, die 2007 gemeinsam von der DeutschenGesellschaft für Geriatrie (DGG), der Deutschen Gesellschaft für Gerontolo-gie und Geriatrie (DGGG) sowie dem Bundesverband Geriatrie, ehem. Bun-desarbeitsgemeinschaft Geriatrischer Einrichtungen (BAG) ausgearbeitetwurde (http://www.dggeriatrie.de). Danach sind geriatrische Patienten defi-niert durch:z geriatrietypische Multimorbidität,z höheres Lebensalter (überwiegend 70 Jahre und älter),

oder durch:

z Alter �80 Jahre;z alterstypisch erhöhte Vulnerabilität („frailty“; z.B. wegen Auftretens von

Komplikationen und Folgeerkrankungen, der Gefahr der Chronifizierungsowie des erhöhten Risikos eines Verlustes der Autonomie mit Ver-schlechterung des Selbsthilfestatus).

Geriatrietypische Multimorbidität ist vorrangig gegenüber dem kalendari-schen Alter.

Im Folgenden werden geriatrische Syndrome dargestellt sowie Demenzenund Depression als besonders häufige Erkrankungen im Alter. Mangeler-nährung und Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts sind ebenfallshäufige klinische Probleme bei älteren Patienten. Besonders häufige Kom-plikationen sind arzneimittelbedingte Störungen, Stürze, neu auftretendeVerwirrtheit und Infektionen sowie funktionelle Verschlechterung.

Das Konzept der Instabilität z 67

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Für diagnostische Maßnahmen gilt, dass zunächst möglichst nichtinvasi-ve Verfahren eingesetzt werden sollen. Vor dem Einsatz anstrengender undinvasiver Untersuchungstechniken sind die sich daraus ergebenden mögli-chen Konsequenzen für die Behandlung, z.B. Operation, mit eigenen Risi-ken abwägend zu bedenken. Wegen der Häufigkeit wird folgend vor allemauf arzneimittelbedingte Störungen eingegangen.

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Definitionen

Im Pschyrembel wird unter iatrogen „durch den Arzt verursacht“ verstan-den, „z.B. infolge diagnostischer oder therapeutischer Einwirkungen“. Eineandere Definition für iatrogene Krankheit („iatrogenic illness“) versteht hie-runter allgemein jeden krankhaften Zustand, der aus einer diagnostischenoder irgendeiner therapeutischen Maßnahme folgt. Dies schließt schädi-gende Ereignisse ein, die nicht als „natürliche Folge“ der Erkrankungendes Patienten anzusehen sind, z.B. Stürze und Dekubitalulzera. Synonymwird auch der Begriff „iatrogene Komplikation“ verwendet. Eine neuere De-finition beruht auf der Zugrundelegung von 3 Kriterien:1. der Kausalität,2. der messbaren Behinderung und3. der fehlenden Absicht.

Diese Definition versteht unter dem Begriff „widriges Ereignis“ („adverseevent“) jene eindeutig beschreibbare Schädigung,z die wenigstens teilweise auf medizinisches Management zurückzuführen

ist (Kausalität),z deren daraus resultierende Behinderung/funktionelle Einschränkung

(„disability“) zur Verlängerung des Krankenhausaufenthalts oder einge-schränkter Funktion zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Kranken-haus führt,

z die unbeabsichtigt ist (fehlende Intention).

Der Sturz aus einem Krankenhausbett wird ebenso als unerwünschtes Er-eignis gewertet wie eine Unterlassung, z.B. eine nicht erfolgte Diagnosestel-lung [18]. Eine iatrogene Schädigung als „Folge von Nachlässigkeit“, ver-standen als ungenügende oder fehlende Sorgfalt, wird bei dieser Definitionangenommen, wenn „zu erwartende Standards eines durchschnittlichenArztes, eines anderen Leistungserbringers oder einer Institution nicht ge-währleistet waren“.

Iatrogene Störungen6

Page 82: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Häufigkeit und Art iatrogener Störungen

Die Informationen zu dieser Thematik stammen fast ausschließlich ausdem stationären Bereich medizinischer Versorgung. Die retrospektive Har-vard Medical Practice Study ermittelte an über 30000 Krankenhausaufnah-men in 3,7% der Fälle unerwünschte Ereignisse. Deren Folgen dauerten zu70% weniger als 6 Monate an, waren in 2,6% der Fälle Dauerfolgen und en-deten zu 13,6% tödlich [4]. Knapp 30% der unerwünschten Ereignisse wur-de als vermeidbar beurteilt.

Die Häufigkeit vermeidbarer Komplikationen bei medizinischen Eingrif-fen (z.B. durch zentrale Venenkatheter), durch Arzneimittel und beiStürzen im Krankenhaus steigt mit einem höheren Grad komplexer Komor-bidität (Begleiterkrankungen) und ist bei über 65-Jährigen deutlich häufi-ger als bei jüngeren Patienten [18, 28]. Eine australische Untersuchungfand bei 16,6% der im Krankenhaus behandelten Patienten unerwünschteEreignisse, von denen 51% als vermeidbar eingeschätzt wurden (Abb. 6.1).

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen

Nach der ursprünglichen WHO-Definition ist eine unerwünschte Arznei-mittelwirkung (UAW) jede unerwünschte Reaktion, die auf ein Arzneimittelursächlich zurückgeführt werden kann, das in Dosierungen, die beim Men-schen zur Prophylaxe, Diagnose oder Therapie üblich sind, verabreichtwurde. Eine neue Definition lautet:

„an appreciably harmful or unpleasant reaction, resulting from an inter-vention related to the use of a medicinal product, which predicts hazard

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen z 71

0–140

An

zah

l un

erw

ün

sch

te E

reig

nis

se

Alter [Jahre]

GesamtzahlAnzahl vermeidbarer EreignisseAnzahl der Ereignisse mit bleibenden Schädigungen

100

200

300

400

500

600

700

800

900

1000

15–29 30–44 45–64 ≥65

Unerwünschte Ereignisse

Abb. 6.1. Lebensalter von Krankenhauspatienten und unerwünschte Ereignisse [19]

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from future administration and warrants prevention or specific treatment,or alteration of the dosage regimen, or withdrawal of the product“ [7].

Danach ist eine unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) also „eine nen-nenswert schädliche oder unangenehme Reaktion, die durch den Gebraucheines Arzneimittels hervorgerufen wird, und die auf eine Gefahr durchzukünftigen Gebrauch weist, welche Prävention, eine spezielle Therapie, ei-ne Änderung des Dosierungsschemas oder ein Absetzen des Präparates er-forderlich macht“ [2]. Es wird zwischen dosisabhängigen und dosis-unabhängigen UAW unterschieden, die auch als Typ-A- bzw. Typ-B-Reaktio-nen bezeichnet werden.

Typ-A-Reaktionen sind häufig, beruhen auf der Verstärkung dererwünschten Wirkung bei gewöhnlichen therapeutischen Dosen und sinddeshalb vorhersehbar. Beispiele hierfür sind die Hypotonie bei antihyper-tensiv wirkenden Medikamenten oder die Hypoglykämie bei Insulin. Typ-B-Reaktionen sind hingegen selten, weisen keinen Bezug zu einer pharma-kologischen Wirkung auf und sind deshalb unvorhersehbar. Ein Beispielhierfür ist die immunologische Reaktion nach Penicillin.

Weiter werden unerwünschte Arzneimittelwirkungen in schwere undnicht schwere UAW eingeteilt. Gemäß der Definition der europäischen Arz-neimittelbehörde ist eine UAW schwer, „wenn siez tödlich oder lebensbedrohlich ist,z zur Arbeitsunfähigkeit oder einer dauerhaften Behinderung führt,z eine stationäre Behandlung oder ihre Verlängerung zur Folge hat,z zu einer kongenitalen Anomalie führt oderz beinahe zu einer der oben angeführten Situationen geführt hätte“ [2].

Von einer UAW wird das unerwünschte Ereignis („adverse event“) unter-schieden. Damit werden alle Befindlichkeitsstörungen, subjektiven und ob-jektiven Krankheitssymptome bezeichnet, die während einer medika-mentösen Therapie unabhängig von einer möglichen Kausalität beobachtetwerden. Unter einem so genannten Medikationsfehler („medication error“)versteht man gewöhnlich einen vermeidbaren Fehler bei der Arzneimittel-anwendung. Medikationsfehler werden z.B. verursacht durch fehlerhafteDosierungen, Kommunikationsfehler oder fälschliche Bezeichnung des Arz-neimittels. Eingeschlossen ist auch die durch Patienten unbeabsichtigt feh-lerhafte bzw. von ärztlicher Verordnung abweichende Arzneimittelanwen-dung. Medikationsfehler sind in der WHO-Definition für UAW nicht einge-schlossen. Sie zählen zu den Arzneimittel-bezogenen Problemen.

Die Metaanalyse der Ergebnisse von 39 prospektiven UAW-Studien (aus-schließlich Kliniken in den USA und ausschließlich sichere UAW-Fälle nachWHO-Definition) bezifferte die Inzidenz von UAW aller Schweregrade beiKrankenhauspatienten mit 15,1%. Die Inzidenz schwerwiegender UAW(definiert als notwendige Krankenhausbehandlung, Verlängerung des sta-tionären Aufenthalts, bleibende Behinderung oder tödlicher Ausgang) be-trug 6,7%, die aller tödlich verlaufenden Nebenwirkungen 0,32%. Es über-

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wogen mit drei Vierteln dosisabhängige Nebenwirkungen [17]. Im Kran-kenhaus gehen unerwünschte Arzneimittelwirkungen mit erhöhter Sterb-lichkeit, verlängerter Behandlungsdauer sowie erhöhten Behandlungskosteneinher.

Über 65-jährige Patienten weisen bei Aufnahme und während stationärerBehandlung zu 6 bis über 30% UAW auf. In einer geriatrischen Rehabilitati-onsklinik erhielten Patienten (mittleres Alter: 80 Jahre; durchschnittlich 7 Di-agnosen) während ihres stationären Aufenthalts durchschnittlich 14 Medika-mente. Bei 99 von 163 Patienten (60,7%) wurden insgesamt 153 leicht- (61%)bis mittelschwere (39%) UAW identifiziert. Die Mehrzahl der UAW war auf-grund der pharmakologischen Wirkung der Medikamente vorhersagbar,17% beruhten auf Arzneimittelinteraktionen (Wechselwirkungen) [8].

Das Risiko für Arzneimittelinteraktionen steigt erwartungsgemäß mit derZahl gleichzeitig verordneter Medikamente exponenziell an. Bei 169 Patien-ten mit der Diagnose „Koronare Herzkrankheit“ und/oder „chronisch-ob-struktive Lungenerkrankung“ fanden sich pro Patient 1,5 Interaktionen beiEntlassung aus der Klinik. Die am häufigsten an Interaktionen beteiligtenArzneimittelgruppen waren Diuretika, ACE-Hemmer, Antikoagulanzien,Thrombozytenaggregationshemmer und Digitalisglykoside [16]. Als poten-ziell lebensbedrohlich wurden ca. 1–2%, als klinisch bedeutsam 70% undals therapeutisch günstig, z.B. als synergistische Wirkungsverstärkung ca.18%, beurteilt.

Erwähnenswert sind Wechselwirkungen zwischen Spironolakton, ACE-Hemmern und AT1-Rezeptor-Blockern mit dem Risiko für lebensbedroh-liche Hyperkaliämien [32]. Gefährdet sind herzinsuffiziente Patienten, beidenen diese Medikamente häufig eingesetzt werden, besonders jene miteingeschränkter Nierenfunktion (ein normaler Serumkreatininwert schließtdies nicht aus!) und Diabetes mellitus Typ 2.

Für ca. 10% der stationären Aufnahmen in geriatrische Kliniken sindUAW als direkter oder mit entscheidender Anlass verantwortlich [24].Krankenhausaufnahmen insgesamt wurden zu 3,4% als UAW-bedingt beur-teilt (70% über 65-jährige Patienten, 964 von 28411 Aufnahmen). Gastroin-testinale Symptome, Stoffwechselstörungen und Blutungen waren die häu-figsten Manifestationen von UAW. Diuretika, Kalziumantagonisten, nichtste-roidale Antiphlogistika und Digoxin waren die am häufigsten involviertenArzneimittel. Der wichtigste unabhängige Risikofaktor war die Anzahl ver-ordneter Medikamente! Von schwerwiegenden unerwünschten Wirkungen(19,3%; Blutungen, hämatologische UAW, kardiale Arrhythmien) waren äl-tere und schwerer erkrankte Patienten häufiger betroffen. Drei Viertel allerUAW beruhten (dosisabhängig) auf verstärkten Wirkungen der betreffen-den Medikamente und waren vorhersehbar [22]. Ein Beispiel vermeidbarerUAW betrifft die häufige Behandlung mit Digitoxin, indem fehlendeBerücksichtigung von niedrigem Körpergewicht älterer Menschen zurÜberdosierung (>1 �g/kg Körpergewicht) führen kann [25].

Über 65-jährige Patienten suchen wegen unerwünschter Ereignisse imZusammenhang mit ihrer Arzneimittelbehandlung häufiger eine Notfallam-

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bulanz auf als jüngere Patienten. Sie benötigen dann auch häufiger einestationäre Krankenhausbehandlung [5]

Zur Häufigkeit von UAW im Bereich der ambulanten Versorgung liegennoch wenige und aufgrund unterschiedlicher Erfassungsmethodik auch un-terschiedliche Angaben vor [10]. Zwischen 15 und 20% über 65-jähriger,ambulant behandelter Patienten führten auf Befragen einen Teil ihrer Be-schwerden auf eingenommene Arzneimittel zurück oder sahen hier einenZusammenhang [15]. Auch im ambulanten Bereich sind viele UAW imPrinzip vermeidbar [10].

Die im höheren Lebensalter überdurchschnittlich häufig durch Arznei-mittel verursachten oder verschlechterten Symptome sind:z Verwirrtheitszustände,z Depression,z Stürze,z Orthostasestörung,z Obstipation,z Harninkontinenz,z Parkinsonismus.

Diese Symptome sind uncharakteristisch und können ohne weiteres Krank-heiten zugeordnet werden. Schlimmstenfalls werden sie auch als „Alters-erscheinungen“ abgetan (siehe Kap. 5). Es ist deshalb absolut wichtig, vordem Hintergrund der Multimorbidität alter Patienten überhaupt an un-erwünschte Arzneimittelwirkungen zu denken und dann aufmerksam da-nach zu suchen. Man diagnostiziert nur das, was man weiß! Deshalb ist eserforderlich, die Wirkungen und möglichen Nebenwirkungen der Arznei-mittel, die man einsetzt, zu kennen.

Erschwert wird die Aufdeckung von UAW im Alter dadurch, dass ältereim Vergleich zu jüngeren Patienten selbst weniger aufmerksam und mitteil-sam bezüglich vermeintlicher und selbst gravierender Nebenwirkungensind. Auch unter den Bedingungen einer Langzeitbehandlung muss dieEntwicklung unerwünschter Arzneimittelwirkungen bedacht werden. Sokönnen anticholinerg wirkende Medikamente über längere Zeit die Symp-tome eines milden kognitiven Defizits verursachen [1]. Es ist deshalb nichtselten, dass die Nebenwirkung eines Medikaments mit einem weiteren, zu-sätzlichen Medikament „behandelt“ wird. Hierdurch wird der Zustand desPatienten in der Regel nicht verbessert, sondern weiter verschlechtert (Kas-kadeneffekt).

Das Spektrum der für betagte Patienten verordneten Medikamente undihrer möglichen Nebenwirkungen ist ausgesprochen vielfältig. Auf die inden Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) Versicherten ab 60 Jahren(26,1%) entfielen 2002 insgesamt 55% des gesamten GKV-Fertigarzneimit-telumsatzes. Im Durchschnitt erhält jeder GKV-Versicherte über 60 Jahrentäglich ca. 2,7 Arzneimittel als Dauerbehandlung.

Die große Häufigkeit Arzneimittel-bedingter Störungen und Schäden beiälteren Patienten führte zur Entwicklung des Begriffs der nicht für alte Pa-

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tienten geeigneten Medikation („inappropriate medication“). Eine Arznei-therapie wird allgemein als nicht geeignet oder unangemessen beurteilt,wenn deren (unerwünschte) Risiken die gesundheitlichen Vorteile überwie-gen [26]. Mittlerweile existieren verschiedene Zusammenstellungen vonKriterien, mit deren Hilfe Arzneimittelverordnungen für ältere Patientenbezüglich ihrer Angemessenheit bzw. Unangemessenheit beurteilt werden.Unter den bekannteren Verfahren sind die in den USA entwickelten sog.Beers-Kriterien zu nennen. Sie wurden ursprünglich in ihrer ersten Versionaus dem Jahr 1991 ausschließlich für die Anwendung bei Bewohnern vonPflegeheimen erarbeitet und verwendet. Später erfuhren sie Erweiterungen(1997) und wurden dann auch im ambulanten Behandlungsbereich einge-setzt. Die letzte Überarbeitung enthält Feststellungen zu einer Reihe vonMedikamenten, die grundsätzlich bei Patienten im Alter über 65 Jahren zuvermeiden sind, und eine Liste von Medikamenten, die bei älteren Patien-ten mit bestimmten Gesundheitsstörungen nicht eingesetzt werden sollten[9]. Die klinische Relevanz der als ungeeignet bewerteten Arzneimittelver-ordnungen der Liste und ihr mittelbarer Nutzen zur Verbesserung medika-mentöser Behandlung konnten bislang jedoch nicht überzeugend gezeigtwerden [27]. Aus klinischer Sicht fehlt das wichtige Kriterium der unzurei-chenden Behandlung. Dies betrifft z.B. häufiger die Schmerzbehandlungund die antidepressive Behandlung. Die Entwicklung neuer Instrumenteund der mögliche Nutzen EDV-gestützter Systeme zur Verbesserung derVerordnungspraxis zeichnen sich ab.

z Multimedikation

Aufgrund der Multimorbidität im Alter sind verständlicherweise Mehrfach-behandlungen häufig. Besonders häufig ist eine Multimedikation – die Ver-ordnung von 5 und mehr Medikamenten gleichzeitig – bei älteren Patien-ten im Krankenhaus und in Altenpflegeheimen (siehe Kap. 18). Prädiktorenhierfür sind insbesondere die Diagnosen Herzinsuffizienz und arterielleHypertonie, aber auch häufige Arztbesuche. Unerwünschte Effekte ergebensich besonders häufig bei Mehrfachbehandlung mit Medikamenten, die inihrer Summe gleichsinnig hypotensiv wirken (Schwindel, Benommenheit,Unsicherheit, Orthostasestörung) und bei Kombinationen mehrerer zentral-venös wirksamer Medikamente, z.B. Psychopharmaka und Sedativa (uncha-rakteristische Symptomatik, Schwindel, Steh- und Gangunsicherheit, Stürze,akute Verwirrtheit, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Benommen-heit, aber auch Unruhe und Bild wie bei einer Demenz).

Multimedikation ist ein möglicher Indikator für ein hohes Maß an Mul-timorbidität, der wichtigste Risikofaktor für unerwünschte Arzneimittelwir-kungen sowie ein Risikofaktor für Stürze und Verwirrtheitszustände im Al-ter (siehe Kap. 8 und 11). Deshalb sind ältere Patienten mit Multimedikati-on als Risikopatienten anzusehen!

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen z 75

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z Probleme bei der praktischen Arzneimittelbehandlung

Einflussfaktoren für die praktische Arzneimittelbehandlung sind in Tabelle6.1 zusammengefasst. Für Einzelheiten wird auf Lehrbücher der Pharmako-logie und der Klinischen Pharmakologie verwiesen. Eine ungenügendeBerücksichtigung der aufgeführten Faktoren erhöht die Wahrscheinlichkeitfür das Auftreten unerwünschter Effekte mit teilweise lebensbedrohlicherGefährdung der Patienten [33]. Deshalb liegt in ihrer Vermeidung ein be-trächtliches präventives Potenzial!

Tabelle 6.2 enthält ergänzend die Stadieneinteilung der chronischen Nie-renerkrankung. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang noch, dass derSerumkreatininwert nicht mehr als einziger Parameter genutzt werden soll-te, um die Nierenfunktion zu beurteilen. Einige Laboratorien stellen nebendem Serumkreatininwert bereits die nach der MDRD-Formel oder der mo-difizierten MDRD-Formel (siehe Erläuterungen zu Tabelle 6.1) abgeschätzteglomeruläre Filtrationsrate (GFR) automatisch zur Verfügung.

Die häufigsten verbesserungsfähigen Aspekte ärztlicher Medikamentenver-ordnungen sind erfahrungsgemäß:z ungenügende Berücksichtigung einer eingeschränkten Nierenfunktion,

eines niedrigen Körpergewichts sowie von Kontraindikationen,z unzureichende Verlaufsbeobachtung nach Behandlungsbeginn und über

längere Zeiträume ohne Überprüfung von Indikation und Dosis,z fehlendes Erkennen oder Fehlinterpretation aufgetretener Nebenwirkun-

gen.

Systematische Fehleranalysen zeigen, dass die wichtigsten Ursachen bzw.Gründe hierfür in folgenden Bereichen liegen:z Verfügbarkeit von Wissen zu Arzneimitteln,z Überprüfung von Identität und Dosierung der Medikamente,z verfügbares Wissen zu Patientendaten,z Übertragung von Verordnungen in den Unterlagen der Patientenkurve,z Warnung vor bekannten Allergien des Patienten,z Prozess der Weiterleitung von der Verordnung bis zur Anwendung und

Kommunikation zwischen Verordnenden und Patienten selbst sowie zwi-schen den an der Patientenversorgung Beteiligten.

Ihnen gemeinsam ist als Grundproblem die fehlerhafte, unvollständige odernicht verfügbare Information, wenn sie gebraucht wird. ComputerisierteSammlungen von Arzneimitteldaten sind geeignet, vermeidbare uner-wünschte Wirkungen und mögliche Wechselwirkungen zu erkennen. Ver-fügbare Softwareprogramme sind jedoch derzeit für ihren praktischen Ein-satz noch nicht genügend ausgereift [8].

Aber auch die überlegteste, individuell angepasste Arzneimittelverord-nung ist nur dann wirksam, wenn sie auch vom Patienten umgesetzt wirdbzw. umgesetzt werden kann.

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Unerwünschte Arzneimittelwirkungen z 77

Tabelle 6.1. Einflussfaktoren für die Arzneimittelbehandlung älterer Patienten

Möglicher Einflussfaktorbeim älteren Patienten

Konsequenz für die Arzneimittelbehandlung

z Eingeschränkte Nierenfunktion a, b Verringerte renale Clearance, Risiko fürtoxische Arzneimittelkonzentrationen

z Verlangsamte oder eingeschränkteRegulation des Wasser- und Elektro-lythaushalts

Risiko sowohl für Überwässerung als auchfür Exsikkose (verstärkt durch nicht ange-passte Medikamentenbehandlung)

z Vermindertes Durstempfinden Risiko für Exsikkose (verstärkt durch nichtangepasste Medikamentenbehandlung)

z Schlechter Ernährungszustand, nied-riges Körpergewicht, eingeschränkteLeberfunktion

Risiko für Überdosierung, verringerte hepatischeClearance, Risiko für toxische Arzneimittelkonzen-trationen

z Multimorbidität (Mehrfacherkrankung) Risiko für absolute oder relative Kontraindikatio-nen, Risiko für schwerwiegende unerwünschteWirkungen

z Begleitmedikation Risiko für pharmakokinetische und pharmako-dynamische Wechselwirkungen

z Multimedikation (�5 Arzneimittel) Risiken für unerwünschte Wirkungen, Wechsel-wirkungen, Medikationsfehler und Noncompliance

z Funktionelle Beeinträchtigungen,z. B. bei Gedächtnis, Sehen, Hören undHändigkeit sowie beginnende Demenz

Risiko für Medikationsfehler und/oder Noncom-pliance, dadurch Risiko sowohl für unerwünschteals auch für ausbleibende Wirkungen („Therapie-versagen“)

a Trotz Einschränkungen der Nierenfunktion können bei alten Patienten normale Serumkreati-ninwerte gemessen werden (geringe Muskelmasse!). Mit der Formel nach Cockroft und Gault(1976) kann eine Abschätzung der Kreatinin-Clearance erfolgen: Clearance= (140–Alter)�Gewicht (kg)/72� Serumkreatininkonzentration (mg/dl) für Männer; Clearance= (140–Al-ter)�Gewicht (kg)/85� Serumkreatininkonzentration (g/dl) für Frauen. Bei komplett bettlägeri-gen Patienten können sich Abweichungen um mehr als 20% zur laborchemisch bestimmtenKreatinin-Clearance ergeben.

b Genauer gelingt die Einschätzung der glomerulären Filtrationsrate (GFR) mit der MDRD-Formel(Modification-of-Diet-in-Renal-Disease-Studie) [7]: GFRm=170� (KreatininSerum)–0,999� (Al-ter)–0,176� (Harnstoff-NSerum)–0,17� (AlbuminSerum)0,318 (ml/min)�0,762 für Frauen bzw. �1,180für Patienten mit schwarzer Hautfarbe. Die modifizierte Version [19] lautet: GFR (in ml/min/1,73m2 KOF)=186� (KreatininSerum)–1,154� (Alter)–0,203�0,742 für Frauen bzw. �1,210 für Patientenmit schwarzer Hautfarbe. „Die MDRD-Formel wurde noch nicht für Patienten mit diabetischerNierenerkrankung, schweren Begleiterkrankungen sowie Patienten über 70 Jahre validiert. Kli-nische Situationen, die die Messung der GFR mittels Clearance-Verfahren erfordern, können sein:extrem hohes oder niedriges Körpergewicht, schwere Malnutrition oder Adipositas, Muskelerkran-kungen, Paraplegie oder Tetraplegie, vegetarische Diäten, rasche Veränderungen der Nierenfunk-tion sowie Dosis-Berechnungen von potenziell toxischen, renal eliminierten Medikamenten“ [20].Die mittels der MDRD-Formeln rechnerisch bestimmten Werte der GFR können erheblich diffe-rieren! Die Formeln sind von Vorteil, wenn bei bettlägerigen Patienten kein Gewicht verfügbarist, können jedoch nicht ohne Weiteres gegen die Formel nach Cockroft und Gault ausgetauschtwerden. Außerdem zeigten die Ergebnisse mittels der nichtmodifizierten MDRD-Formel die bes-sere Übereinstimmung mit den nach Cockroft und Gault bestimmten Werten [23].

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Medikamenten-Compliance

Die am häufigsten verwendete Definition des Begriffs „Compliance“stammt von Haynes [11] und lautet in der deutschen Übersetzung: „Unterdem Begriff Compliance versteht man den Grad, in dem das Verhalten einerPerson in Bezug auf die Einnahme eines Medikamentes, das Befolgen einerDiät oder die Veränderung des Lebensstiles mit dem ärztlichen oder gesund-heitlichen Rat korrespondiert.“

Synonym wird der Begriff „Adherence“ benutzt, neuerdings auch „Con-cordance“, um auch begrifflich den Wandel von der herkömmlichen, eherdirektiven Arzt-Patienten-Beziehung zu einem partnerschaftlichen Behand-lungsverhältnis mit dem gemeinsamen Ziel der erfolgreichen Behandlungauszudrücken. Noncompliance bezeichnet entsprechend das Verhalten, vonärztlichen oder gesundheitlichen Verordnungen bzw. Empfehlungen abzu-weichen.

Formen von Noncompliance bei der Medikamentenanwendung sind Ta-belle 6.3 zu entnehmen. Zu unterscheiden sind beabsichtigte und unbe-absichtigte Noncompliance. Erstere kann Ausdruck „vernünftigen“, selbst-regulatorischen Verhaltens sein, z.B. beim Auftreten von Nebenwirkungenoder auch aus Furcht davor, letztere Folge von Vergessen, Medikationsfeh-lern oder auch erschwertem Zugang zum Arzneimittel. Ältere Patientensind a priori nicht geringer compliant als jüngere! Im höheren Lebensalterliegen jedoch häufiger und dazu oft kombiniert Faktoren vor, die eine ver-ordnungsgemäße und regelmäßige Arzneimittelanwendung ungünstig be-einflussen können. Hierzu zählen unzureichendes Krankheits- und Thera-piewissen, Gedächtnisstörungen und andere Einschränkungen kognitiverLeistungen. Auch funktionelle Behinderungen sind wichtig, z.B. nicht aus-reichende Sehschärfe, unzureichende Fähigkeit zur Farbdiskriminierungund gestörte Händigkeit. Schwierigkeiten beim Öffnen kindersicherer Be-hältnisse, beim Teilen von Tabletten, beim effektiven Gebrauch von Inhala-toren oder auch bei der korrekten Handhabung von Dosetten (Behältnisse

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Tabelle 6.2. Stadien der chronischen Nierenerkrankung. (Nach [21])

Stadium Beschreibung GFR a (ml/min/1,73 m2 KOF)

1 Schädigung mit normaler oder erniedrigter GFR >90

2 Schädigung mit milder Einschränkung der GFR 60–89

3 Moderate Einschränkung der GFR 30–59

4 Schwere Einschränkung der GFR 15–29

5 Nierenversagen <15 oder Dialysepflichtigkeit

a GFR glomeruläre Filtrationsrate

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für einen Medikamentenvorrat für einen Tag oder eine Woche) sind häufi-ger als angenommen. Mit steigendem Lebensalter der Patienten ist mit ei-ner höheren Wahrscheinlichkeit hierfür zu rechnen. Probleme bei der Arz-neimittelanwendung selbst sind ebenfalls zu berücksichtigen. Das Schlu-cken großer Tabletten oder Kapseln gelingt mit weicher Nahrung, z.B. Jo-ghurt, häufig leichter. Mögliche Alternativen können flüssige Zubereitungs-formen sein.

Auch trotz eines hohen Maßes an Kompetenz und Aktivität verlassensich ältere Menschen bei der Medikamenteneinnahme häufig auf anderePersonen, z.B. Familienangehörige. Es bestehen positive Beziehungen zwi-schen sozialer Unterstützung und Compliance. Nach Schätzungen benö-tigen über 40% der alten Personen mit regelmäßigem Pflegebedarf in pri-vaten Haushalten Unterstützung bei der Arzneimittelanwendung [6].

Die Güte der wechselseitig funktionierenden Kommunikation zwischenArzt und Patient ist einer der wichtigsten Faktoren für eine gute Compli-ance. Diesbezüglich ausgeprägte Fähigkeiten und konkrete Anweisungenmit eindeutigen Terminabsprachen für Kontrollen des Behandlungsergeb-nisses sind wahrscheinlich wichtiger für die Zufriedenheit und die Compli-ance der Patienten als die Quantität angebotener Information. Auch derTherapieplan selbst beeinflusst die Compliance. Komplizierte Dosierungs-schemata und eine umfangreiche Medikation sind mit geringer Complianceund einer höheren Fehlerrate verknüpft. Möglichkeiten zur Vereinfachungder Therapie sollen deshalb wahrgenommen werden.

Medikamenten-Compliance z 79

Tabelle 6.3. Phänomenologie der Noncompliance bei der Arzneimittelanwendung

z Mindereinnahme (Unterdosierung) häufiger als Mehreinnahme (Überdosierung)z Auslassen einzelner Dosen (Vergessen!), auch bei täglicher Einmaldosierungz Abweichen von verordneter Einnahmezeit und vorgegebenen Dosierungsintervallenz Morgendliche Einnahme regelmäßiger als abendliche Einnahmez Durch Patienten initiierte „drug holidays“ (Einnahmepausen mit einer Dauer

von �2 Tagen)z Abbruch jeglicher Einnahmez Weniger regelmäßige Einnahme im Intervall zwischen Arztbesuchen, jedoch regelmäßige

Einnahme in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Arztbesuch (sog. „Toothbrush-Effekt“, „Whitecoat-Compliance“)

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z Hinweise für Noncompliance

Probleme mit der Medikamentenanwendung erfährt man am einfachstendurch Befragung des Patienten. Bei ausbleibendem Behandlungseffekt mussan Noncompliance gedacht werden! Hinweise können sich bereits bei derMedikamentenanamnese ergeben (siehe Kap. 4). Gefragt werden muss nachallen eingenommenen Medikamenten, deren Dosierung und Applikations-frequenz sowie der Selbstmedikation (frei verkäufliche Medikamente). Dis-krepanzen zwischen Patientenangaben und Verordnungsplan sind häufig,bedürfen der Klärung und sind ein guter Einstieg in ein weiterführendesGespräch. Dies gilt auch für Gespräche mit versorgenden Angehörigen,wenn Patienten selbst nicht in der Lage sind, Auskunft zu geben. Es istsehr nützlich, sich sämtliche vorhandenen Medikamente mitbringen undzeigen zu lassen (Horten nicht mehr gebrauchter Arzneien, Gefährdungdurch Verwechslung!). Erkannte Probleme sollen unter dem Gesichtspunktder Behandlungssicherheit besprochen werden.

Ältere Menschen sind besonders zugänglich für Maßnahmen mit ganzkonkreten Hilfestellungen. Bestandteile wirksamer Maßnahmen zur Schaf-fung und zum Erhalt von Compliance sind in Tabelle 6.4 aufgeführt. Iso-

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Tabelle 6.4. Einzelkomponenten erfolgreicher Interventionsmaßnahmen, um Patienten bei derverordnungsgemäßen Einnahme/Anwendung von Medikamenten zu helfen. (Unter Berücksichti-gung von [13])

z Identifikation der individuellen Probleme und individualisierte Maßnahmen

z Informationen/Instruktionen des Patienten: mündlich, schriftlich und visuell

z Beratung des Patienten bzgl. Behandlungszweck, Therapie, Nebenwirkungenund Notwendigkeit von Compliance-Verhalten

z Vorteile durch vereinfachtes Dosierungsschema nutzen

z Geeignete Applikationsform wählen

z Erinnerungshilfen nutzen, z. B. spez. Kalenderpackungen

z Technische Hilfen nutzen, z. B. Dosette

z Tägliche Gewohnheiten („Ritualisierung“) bilden

z Möglichkeiten zum Feedback nutzen, z. B. Blutdruck- und Blutzuckerselbstmessung(ggf. direkte Beobachtung der Einnahme)

z Kontinuität der Versorgung sichern

z Wiederholungseffekt nutzen

z Regelmäßige Überprüfung des Behandlungsergebnisses

z Engmaschigere Wiedervorstellung nach Therapiebeginn

z Einbeziehung der an der Versorgung Beteiligten (z. B. Angehörige, amb. Pflegedienst)

z Interdisziplinäre Ansätze nutzen (Verstärker; pharmazeut. Service)

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lierte Maßnahmen, die auf Teilaspekte abzielen, haben erfahrungsgemäßwenig oder keine Aussicht auf nachhaltige Auswirkungen. Allgemeine Emp-fehlungen für die Arzneimittelbehandlung im Alter sind abschließend inTabelle 6.5 zusammengefasst. Das Setzen von Behandlungsprioritäten ist je-doch bei Vorliegen von Mulitmorbidität im Einzelfall nicht immer einfach;Therapieempfehlungen mit Bezug zum höheren Lebensalter liegen häufignicht vor oder enthalten keine Empfehlungen zu Multimorbidität [3, 29].

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Literatur z 81

Tabelle 6.5. Allgemeine Empfehlungen zur Arzneimittelbehandlung im Alter

z Umfassende Medikamentenanamnese vor Verordnung neuer Medikamentez Keine neue Verordnung ohne sichere Indikationz Medikamente einsetzen, deren Wirkungen und mögliche Nebenwirkungen man kenntz In regelmäßigen Abständen die Notwendigkeit von Verordnungen überprüfenz Nicht oder nicht mehr notwendige Medikamente absetzen und bei neuer Verordnung das

Absetzen eines überflüssigen Medikaments erwägenz Medikamentöse Dauertherapie mit niedriger Dosis beginnen und Dosis nach gewünschter

Wirkung und Verträglichkeit steigernz Die wirksame Dosis eines Medikaments anstreben, bevor erwogen wird, ein weiteres

Medikament hinzuzufügenz Vermeiden, Nebenwirkungen von Medikamenten mit zusätzlichen Medikamenten zu

„behandeln“z Eindeutige Verordnungen mit Angabe von Dosisstärke, Anwendungsart und -frequenzz Neben ausreichender mündlicher Information (auch über wichtigste Nebenwirkungen)

möglichst schriftliche Information mit Dosis und Angabe des Zweckes der Verordnung; ggf.auch für versorgende Angehörige und als Information für weitere Verordnende (häufigmehrere behandelnde Ärzte)

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Literatur z 83

Page 95: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Mobilität im Alter

z Bedeutung

Die Fähigkeit zur selbständigen Fortbewegung ist eine Voraussetzung fürunabhängige Lebensführung. Eng verbunden ist Mobilität in unserer Ge-sellschaft mit der Fähigkeit, soziale Kontakte und persönliche Lebensquali-tät aufrechtzuerhalten.

z Definition

Der Begriff Mobilität stammt von mobil (lat.=beweglich). Mobilität im Sin-ne von Fortbewegung beschreibt die Fähigkeit und Entscheidung einer Per-son, mit eigener Körperkraft und/oder der Nutzung von VerkehrsmittelnEntfernungen zu überwinden. Im Folgenden wird der Begriff Mobilität indiesem Sinne verwendet. In der Soziologie wird der Terminus geographi-sche Mobilität für Migrationsbewegungen von Völkern oder Bevölkerungs-gruppen verwendet. Unter sozialer Mobilität werden Bewegungen von Per-sonen(-gruppen) zwischen verschiedenen sozialen Klassen oder Schich-tungsdimensionen wie sozialer Status, Beruf oder auch der Wohngegendverstanden.

z Fortbewegung im Alter

Mit steigendem Alter wird der tatsächlich genutzte Bewegungsradius gerin-ger. Das tägliche Leben beschränkt sich in der Altersgruppe ab 55 Jahrenüberwiegend auf einen Umkreis von maximal 3 km um die eigene Häus-lichkeit. Dies gilt insbesondere für die städtische Bevölkerung, die Einrich-tungen des täglichen Bedarfs wie Geschäfte, Arztpraxen und Apotheken imnahen Umfeld vorfindet. Obwohl diese gut ausgebaute städtische Infra-struktur den Alltag erleichtert, fehlen aber gleichzeitig bestimmte körperli-che Trainingsanreize. So ist es mit Hilfe privater Kraftfahrzeuge, öffentli-

Mobilität im Alterund Immobilitätssyndrom

7

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cher Verkehrsmittel, Aufzügen und Rolltreppen möglich, kilometerweiteEntfernungen zügig zurückzulegen, sich aber eigenständig nur wenigeSchritte zu bewegen [17].

Das private Kraftfahrzeug als ein Werkzeug der Mobilität nimmt bei denkommenden Generationen alter Menschen eine wichtige Stellung ein. Mehrals 80% der über 60 bis 64-jährigen Personen in Deutschland besitzen eineFahrerlaubnis. Bei den 70- bis 74-Jährigen sind es noch über 60%. Hiermitkorrespondiert, dass der Anteil der täglichen Strecken, die aus eigenerKraft zurückgelegt werden, bei erwachsenen Bundesbürgern kontinuierlichabnimmt. So wurden 1976 noch fast 43% der täglichen Wege zu Fuß odermit dem Fahrrad bewältigt, im Jahr 2002 – zulasten des privaten Kraftver-kehrs – nur noch knapp 31% [7]. Insbesondere in kleineren Gemeindender neuen und alten Bundesländer führten die Abwanderung junger Men-schen, der Abbau von Lebensmittel- und Postfilialen in Verbindung mit un-zureichenden Angeboten des öffentlichen Nahverkehrs zur Beeinträchti-gung des räumlichen und sozialen Verkehrs älterer Menschen. Der Begriff„Verkehr“ bezeichnet dabei die zweckbestimmte Bewegung oder Beförde-rung von Personen, Fahrzeugen und Gütern; den Austausch von Nachrich-ten und Daten sowie den Kontakt zwischen Menschen.

Der Zusammenhang zwischen sozialen Kontakten, Lebensqualität undMobilität wird künftig noch an Bedeutung gewinnen, da in den letztenJahrzehnten die Anzahl der Ein-Personen-Haushalte ständig zugenommenhat (siehe Kap. 2). Eine mobilitäts-fördernde Umwelt ist als ein verhältnis-orientierter Ansatz der Gesundheitsförderung zu verstehen (siehe Kap. 3).Besonders ältere Personen mit körperlichen Einschränkungen profitierenvon Behinderten-gerechten Anpassungen des Wohnraumes, der Gehwege,der öffentlichen Gebäude, der Transportmittel sowie auch der technischenGeräte. In diesen Bereichen ist politisches Engagement gefragt, um eine so-ziale Benachteiligung körperlich behinderter Menschen zu vermeiden [7].

z Körperliche Aktivität im Alter

Der in den USA regelmäßig erhobene National Health Survey ergab für dasJahr 1987, dass bei den 70- bis 74-Jährigen bereits ein knappes Drittel derBefragten gar nicht oder nur noch mit Schwierigkeiten in der Lage war, zuFuß eine Strecke von 0,4 km zu bewältigen. Über die Hälfte der befragtenFrauen dieser Altersgruppe berichtete, mit dem Tragen eines Gewichtesvon 11 kg (entspricht etwa zwei Einkaufstüten) überfordert zu sein [24].

Bei mobilen, nicht behinderten über 70-jährigen Menschen sind einge-schränkte funktionelle Leistungen, die teilweise kraftbestimmt sind, z.B.Stehen, Gehen und Hinsetzen, in hohem Maß mit zukünftiger Behinderungassoziiert, ebenso koordinative Schwächen der statischen und dynamischenBalance [11]. Geringe Hand- und Beinkraft sowie geringe Gehgeschwindig-keit waren in einer Längsschnittuntersuchung auch mit erhöhter Mortalitätverbunden [15].

Mobilität im Alter z 85

Page 97: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Vom 40. bis zum 70. Lebensjahr beträgt die Verringerung der Kraft ca.1% pro Jahr [12]. Dieser Verlust wird durch körperliche Inaktivität erheb-lich beschleunigt. Die erforderliche Trainingszeit zum Ausgleich des Kräfte-verfalls ist dabei deutlich länger als z.B. die Zeit der Bettruhe, die zumKraftverlust geführt hat! Es ist wahrscheinlich, dass sich nach dem 50. Le-bensjahr nicht nur endogene Alterungsprozesse beschleunigen, sondernauch Effekte der ruhigeren, evtl. schon eingeschränkten Lebensführungsichtbar werden. Die Abnahme der skelettalen Muskelmasse und nachlas-sende Kraft (Sarkopenie) führen zur Aufgabe gewohnter körperlicher Ver-richtungen. Es entfällt damit der fordernde Reiz, der bisher den weiterenAbbau der Muskulatur verhinderte. Der Kraftabbau beschleunigt sich in ei-ner Abwärtsspirale aus Muskelabbau, geringerer körperlicher Aktivität unddamit weiterem Kraftverlust. Der hierdurch bedingte körperliche Trainings-mangel, Folgen chronischer Erkrankungen und akute Ereignisse wie Stürzekönnen die Situation weiter verschlechtern. Liegen die klinisch fassbarenZeichen akkumulierender Risikofaktoren für eine drohende Verschlechte-rung des Selbsthilfestatus vor wie langsame Gehgeschwindigkeit, ungewoll-ter Gewichtsverlust, Kraftmangel, schnelle Erschöpfung und erhöhte Vulne-rabilität, so spricht der Geriater von Gebrechlichkeit (engl. „frailty“), dieüber den normalen Alterungsprozess hinausgeht [23]. Gezieltes sensomoto-risches Balance- und Krafttraining beugt dem Abbau von Knochenmasseund Muskelkraft vor und ist bis ins höchste Alter möglich [9].

Angaben zur Häufigkeit der Sarkopenie sind abhängig von der Unter-suchungsmethode und der Auswahl der untersuchten Personengruppen. ImRahmen des Third National Health and Nutrition Surveys (NHANES III)wurde die Skelettmuskelmasse mittels Bioimpedanzmessung bestimmt. Einehöhergradige Sarkopenie (bezogen auf geschlechtsspezifische Mittelwertejunger Erwachsener) wiesen danach 10% der untersuchten Frauen und 7%der Männer im Alter ab 60 Jahren auf [14].

Obwohl ältere Menschen den Werten „Gesundheit“ und „körperliche Ak-tivität“ hohe Bedeutung beimessen, setzen nur wenige diese Erkenntnis fürsich persönlich in Form von regelmäßigem körperlichen Training um. DieUrsachen hierfür sind vielfältig und häufig psychologischen Ursprungs. Esfehlen teilweise Übungsleiter, die Trainingsmodalitäten an die besonderenBedürfnisse älterer Menschen anpassen könnten. Der Deutsche Sportbundreagierte darauf mit der Etablierung der Gütesiegel „Sport pro Reha“ und„Sport pro Gesundheit“ sowie der B-Lizenz „Sport der Älteren“.

Zur Unterstützung der Mobilität älterer Menschen dienen deshalb auchverhaltens-orientierte Maßnahmen der Gesundheitsförderung. Häufig wer-den die Auswirkungen des endogenen Alterungsprozesses überschätzt undführen zu einem grundsätzlichen Nihilismus: „Das ist eben das Alter, dieAltersschwäche. Da kann man nichts machen.“ Eine wachsende Zahl vonUntersuchungen belegt dagegen positive Auswirkungen moderater, regel-mäßiger körperlicher Bewegung gerade im höheren Lebensalter. Tabelle 7.1beschreibt eine Auswahl förderlicher Effekte durch körperliches Trainingbei älteren und hochaltrigen Menschen [13, 23].

z 7 Mobilität im Alter und Immobilitätssyndrom86

Page 98: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Die Bandbreite körperlicher Fitness ist im höheren Lebensalter enormweit. Sie reicht vom sporttreibenden bis zum komplett pflegebedürftigenMenschen. Gezieltes körperliches Training ist immer individuell anzupas-sen und muss Leistungsfähigkeit und spezifische Risiken berücksichtigen.Es muss deshalb auch professionell angeleitet sein. Der relative Zugewinnmotorischer Leistungen durch gezieltes Training kann bei älteren Menschensogar ausgeprägter sein als bei jüngeren [9, 12]. Geeignete Trainingspro-gramme integrieren alltägliche Bewegungsabläufe, z.B. Treppengehen, undführen zu erkennbaren Verbesserungen der körperlichen Leistung. EineKombination von Kraft- und Balancetraining (z. B. Tai Chi Chuan) ist ge-eignet, Mobilität zu erhalten und Stürzen vorzubeugen [2, 8, 10].

Mobilität im Alter z 87

Tabelle 7.1. Effekte von körperlichem Training im höheren Lebensalter

Zielorgan Effekt bei gezieltem Trainingsanreiz

z Blut Abnahme der Thrombozytenaggregation

z Gehirn – Zunahme der Durchblutung– Zunahme des Energiestoffwechsels– Zunahme der Ausschüttung von Serotonin, Dopamin und Noradrenalin

im limbischen System (antidepressiv); teilweise auch von Endorphinen– Förderung der zentralen Koordination

z Gewebe – Zunahme der Lymphdränage (Muskelpumpe)– Zunahme der Superoxiddismutase (körpereigener intrazellulärer

Radikalfänger)

z Herz Ökonomisierung: gleiches Schlagvolumen bei niedrigerer Schlagfrequenz

z Hormone Abnahme der Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin

z Immunsystem Zunahme der Zahl und Qualität von T-Lymphozyten und Makrophagen

z Lunge Zunahme der Atemkapazität

z Muskulatur – Zunahme der Durchblutung– Zunahme des Energiestoffwechsels (Mitochondrienzahl)– Zunahme der Faserdicke (Kraftzuwachs)– Verbesserung der peripheren Koordination

z Vestibularorgan Größere Toleranz gegen Lagewechsel

z Psyche Abnahme von Ängstlichkeit und Depression, Zunahme von Selbstvertrau-en und Selbstachtung

Page 99: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Immobilitätssyndrom

z Bedeutung

Ruhigstellung, Schonung und/oder Beeinträchtigungen der Mobilität auf-grund unterschiedlicher Ursachen sowie deren Folgeerscheinungen werdenunter dem Begriff „Immobilitätssyndrom“ zusammengefasst. Immobilitätals sich selbst verstärkende Störung ist u. a. assoziiert mit sozialer Isolati-on, kognitiven Funktionseinschränkungen und Mangelernährung.

z Definition

Unter Immobilität (lat. im-mobilitas = Un-Beweglichkeit) wird die Unbe-weglichkeit des Körpers verstanden. Die Bezeichnung Immobilitätssyndrombeschreibt eine durch längere Ruhigstellung des Körpers, meist durch Bett-lägerigkeit, hervorgerufene Erschwerung des Grundleidens durch Muskel-und Knochenatrophie, Gelenksteife, Marasmus und/oder psychische Altera-tion. Vollständige Immobilität ist gegeben, wenn Lagewechsel im Liegenoder Sitzen nicht mehr eigenständig ausgeführt werden können [5]. Folgeist die Entwicklung von Hilfs- und Pflegebedürftigkeit. Immobilität ist ne-ben dem Hilfebedarf bei der Körperpflege und der Ernährung ein wichti-ges Kriterium bei der Begutachtung für die Bewilligung von Leistungender Pflegeversicherung (siehe Kap. 17).

z Ursachen

Es lassen sich grob folgende Ursachen unterscheiden, von denen viele auchdas Sturzrisiko erhöhen (siehe Kap. 8):z Beeinträchtigungen des Bewegungsapparates führen zu Kraftmangel,

Schmerzen und Bewegungseinschränkungen der Gelenke.z Neurologische Defizite gehen einher mit Lähmungen, Sensibilitäts- und

Koordinationsstörungen sowie auch mit Gleichgewichtsproblemen.z Kardiopulmonale Erkrankungen mindern die körperliche Leistungsfähig-

keit. Es treten Symptome auf wie Atemnot und Schwindel. Bei periphe-ren Durchblutungsstörungen können Schmerzen als Claudicatio inter-mittens hinzukommen.

z Psychische Störungen beeinträchtigen vor allem den Antrieb (Depressi-on) und die Orientierung (Demenz, Delir).

z Beeinträchtigungen des Seh- und Hörvermögens führen zu Defiziten beider Kommunikation sowie der Orientierung. Sie sind ebenfalls häufig ander Entstehung von Schwindelsymptomatik beteiligt.

z 7 Mobilität im Alter und Immobilitätssyndrom88

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z Iatrogene Ursachen sind auf die unkritische Verordnung von Bettruhe,Fixierung oder sedierende Medikamente zurückzuführen.

z Sturzereignisse können als Sekundärfolgen von Grunderkrankungen wiez.B. Arthrosen einen beschleunigenden Einfluss auf die Entwicklung ei-nes Immobilitätssyndroms nehmen (siehe Kap. 8). Aus Angst und Unsi-cherheit werden bisher mögliche körperliche Aktivitäten aufgegeben(Post-Fall-Syndrom). Dadurch kommt es zur Verschlechterung deskörperlichen Zustandes, und das Risiko für weitere Sturzereignissesteigt.

Da die Entstehung von Immobilität meist mehrere Ursachen hat und kei-nen gesetzmäßigen Verlauf zeigt, wird die Bedeutung dieses funktionellenVerlustes häufig unterschätzt. Das ausgeprägte Immobilitätssyndrom ist einBeispiel für eine sich selbst unterhaltende funktionelle Störung. BeteiligteRisikofaktoren unterliegen einer sich verstärkenden Rückkopplung, so dassan sich geringfügige Beeinträchtigungen sich in der Kombination zur aus-geprägten Einschränkung der Mobilität potenzieren können [8].

z Diagnostik

Der Schweregrad von Mobilitätseinschränkungen kann im anamnestischenGespräch und durch einfache Untersuchungen wie eine standardisierteGehprobe erfasst werden (siehe Kap. 4). Der Gebrauch von Gehhilfen ist zuerfragen. Ein bedeutsamer Befund ist die Fähigkeit, Transferleistungen zwi-schen Bett und Stuhl/Rollstuhl bzw. von und zur Toilette eigenständig undsicher auszuführen. Ergeben sich Hinweise auf Beeinträchtigungen der Mo-bilität, schließt sich eine multidimensionale Evaluierung möglicher Ursa-chen an. Durch die gezielte Modifikation der erkannten Risikofaktorenkann das sich selbst unterhaltende Immobilitätssyndrom durchbrochenwerden. Wichtige differentialdiagnostische Überlegungen sind in Abb. 7.1als Flussdiagramm aufgeführt.

z Therapie

Durch mehrdimensionale Therapie mit den Schwerpunkten körperliche Re-habilitation und Prophylaxe von Komplikationen lassen sich ernste Auswir-kungen der Immobilität vermeiden. Ziel ist die Wiederherstellung der Fort-bewegung aus eigener Kraft ohne oder auch mit Hilfsmitteln. Hilfsmittelkönnen zu Lasten der Krankenkassen nur verordnet werden, wenn sie not-wendig sind. Sie dienen dem Zweck, den Erfolg einer Krankenbehandlungzu sichern, Behinderung auszugleichen oder abzumildern, die Selbständig-keit behinderter und kranker Menschen ganz oder teilweise wiederherzu-stellen und Folgeschäden vorzubeugen. Derartige Hilfsmittel müssen von

Immobilitätssyndrom z 89

Page 101: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen erfasst und im Hilfs-mittelverzeichnis der Spitzenverbände der Krankenkassen aufgelistet sein.

Drohende Immobilität ist eine eindeutige Indikation für die Durch-führung eines geriatrischen Assessments bzw. einer geriatrischen Konsiliar-untersuchung (siehe Kap. 4). Diagnostizierte Grunderkrankungen und Risi-kofaktoren sind durch spezifische Behandlung positiv zu beeinflussen.Hierzu gehört auch die individuell angepasste und ausreichende Schmerz-medikation.

Grundlage von Prävention, kurativer Behandlung und Rehabilitation istdie Bewegungsförderung. Im Einzelnen ist zu prüfen, obz kurzfristig Maßnahmen der passiven Bewegungsförderung anzuordnen

sind (Lagerung, Kontrakturprophylaxe, Atemgymnastik, Kolonmassage);z die Indikation für geriatrische Rehabilitation gegeben ist (ambulant, teil-

stationär oder stationär). Im Zweifelsfall sollte ein zeitlich befristeterTherapieversuch eingeleitet werden. Dies gilt auch für bereits pflege-bedürftige Patienten, um Komplikationen oder Verschlimmerungen zuverhindern (siehe Kap. 15);

z die Umgebung an die Bedürfnisse des Patienten angepasst werden muss(Sicherung von rutschgefährdenden Teppichen, Ausräumung von Stol-perfallen, Anbringung von Handgriffen und Handläufen, Bau von Ram-pen) oder ob der Umzug in eine behindertengerechte Wohnung von Vor-teil wäre;

z die Verordnung von Hilfsmitteln (Gehhilfen) angezeigt ist (siehe Kap. 8und 15);

z psychische Erkrankungen eine psychiatrische Behandlung erfordern bzw.fachärztlicher Rat eingeholt werden sollte;

z 7 Mobilität im Alter und Immobilitätssyndrom90

Abb. 7.1. Differenzialdiagnostische Überlegungen bei Immobilität

Page 102: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

z eine befriedigende Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr sichergestellt ist(siehe Kap. 13);

z eine psychosoziale Notlage die Einschaltung des klinischen Sozialdiens-tes oder der Bezirksaltenhilfe erfordert oder

z im Rahmen der Sekundärprävention ambulant durchgeführte Physiothe-rapie, medizinische Trainingstherapie oder auch die Teilnahme an so ge-nannten „Reha-Sportgruppen“ empfohlen werden sollte.

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Gefahren durch Immobilisierung

z Bedeutung

Jede Immobilisierung birgt für ältere Menschen erhebliche Risiken. Unter-suchungen zur Bettlägerigkeit zeigten bereits bei jungen, gesunden Men-schen nach wenigen Wochen deutlich negative Auswirkungen auf den Stoff-wechsel, den Bewegungsapparat, den Kreislauf und den psychischen Zu-stand. Die möglichen Komplikationen durch Immobilität reichen von derVerstärkung der ursächlichen Risikofaktoren bis zu lebensbedrohlichen Er-krankungen. Die Indikation für Bettruhe ist daher sehr kritisch zu stellenund bezieht sich im Wesentlichen auf intensiv-pflichtige Patienten oder Pa-tienten mit instabilen Frakturen [1]. Eine Übersicht zu pathophysiologi-schen Veränderungen während Immobilisierung gibt Tabelle 7.2.

z Pathophysiologie

Längere Bettlägerigkeit induziert eine katabole Stoffwechsellage mit gleich-zeitiger Verringerung des Appetits. Mangelernährung, Eiweiß- und Ge-wichtsverluste sowie Hyperglykämien werden beobachtet. Durch verringer-

Gefahren durch Immobilisierung z 91

Page 103: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

te ADH-Sekretion kann eine Urininkontinenz begünstigt werden. Die Mo-torik des Darmes nimmt ab und begünstigt Obstipation bis hin zum Ko-prostase-Ileus.

Während Blutdruck, Herzzeitvolumen und Fließgeschwindigkeit des Blu-tes sinken, erhöht sich die Blutviskosität mit der Folge erhöhten Risikosfür tiefe Venenthrombosen und Lungenembolien. Diese entwickeln sich beiälteren Menschen häufig ausgesprochen symptomarm. Bei Sektionen wer-den wesentlich mehr Lungenembolien diagnostiziert als klinisch zuvor ver-mutet waren. Geeignete Prophylaxen (möglichst früh einsetzende Bewe-gungsförderung, Anti-Thrombose-Strümpfe, medikamentöse Thrombose-prophylaxe) sind daher bereits bei partieller Immobilität indiziert. Bei der

z 7 Mobilität im Alter und Immobilitätssyndrom92

Tabelle 7.2. Pathophysiologische Veränderungen durch Immobilisierung und geeignete Gegen-maßnahmen. (Mod. n. [20])

Direkte Auswirkungender Immobilisierung

Mögliche Komplikationender Immobilisierung

Prophylaxen undtherapeutische Ansätze(Auswahl)

Stoffwechsel z Kataboliez Eiweißverlustz Antidiuresez Glukoseintoleranzz Obstipation

z Gewichtsverlustz Mangelernährungz Urininkontinenzz Hyperglykämienz Koprostaseileus

z Gabe hochkalorischerProteinsupplemente

z Mobilisierungz Kolonmassagez Stuhlmanagementz Gesteigerte Flüssig-

keitszufuhr

Kreislauf z Periphere Perfusions-minderung

z Orthostasez Verminderte Belüftung

und Durchblutungder Lungen

z Tiefe Venenthrombosen,Lungenembolien

z Hypotonie, Schwindelz Basale Pneumonien

z Antikoagulationz Antithrombose-

strümpfez Mobilisierungz Atemgymnastik

Bewegungs-apparat

z Inaktivitätsatrophieund Muskelverkürzung

z Sarkopeniez Minderung von lokaler

Innervation, Perfusionund Ernährung

z Verlust von Knochen-masse

z Muskelschwundund Kraftverlust,Kontrakturen

z Trophische Störungz Abnahme der Gelenk-

beweglichkeitz Osteoporotische

Frakturen

z Krafttraining (im Lie-gen isometrisch odermit Manschetten)

z Mobilisierung,passive Bewegung

z Gabe von Kalzium,Vitamin D und K,evtl. Biphosphonate

Haut z Minderung vonlokaler Perfusionund Ernährung

z DruckinduzierteNekrosen(Dekubitalgeschwüre)

z Lagerungz Mobilisierungz Druckverteilende

Hilfsmittel

Psyche z Apathie, Isolationz Reizverarmung

z Depressionz Delir, kognitiver Abbau

z Mobilisierungz Aktivierende Pflege

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therapeutischen Remobilisation nach längerer Bettruhe ist eine orthostati-sche Dysregulation (Blutdruckabfall) mit und ohne Schwindelsymptomatikunbedingt zu berücksichtigen.

Muskelschwund und Kraftverlust sind bei Bettlägerigkeit und katabolemStoffwechsel besonders ausgeprägt. Ist ein kritischer Anteil von etwa 35%der ursprünglich angelegten Muskelmasse unterschritten, sind selbst ein-fache Verrichtungen wie Sitzen oder Stehen nicht mehr selbstständigmöglich. Weitere Begleiterscheinungen sind trophische Störungen der Kno-chen, der Haut und der Nägel mit erhöhtem Risiko für mykotische Infektio-nen [20]. Auch bei kognitiv zunächst unauffälligen Personen wird infolge derReizverarmung bei längerer Hospitalisation und/oder Immobilisierung nichtselten eine Abnahme der kognitiven Leistung beobachtet. Insbesondere beiPatienten mit zerebralen Vorschädigungen können gehäuft Orientierungs-störungen oder Verwirrtheitszustände auftreten (siehe Kap. 11).

z Komplikationen am Beispiel Dekubitus

Dauerhafte Einschränkung der Beweglichkeit von Gelenken (Kontrakturen)und druckinduzierte Nekrosen (Druckgeschwüre, Dekubitus) sind folgen-schwere, jedoch meist vermeidbare Komplikationen von Immobilität. BeideErkrankungen mindern nachhaltig die Lebensqualität, erzeugen Schmerzenund erschweren jede weitere Rehabilitation und Pflege.

Immobilität ist die Hauptursache für die Entstehung von Dekubitus.Druckgeschwüre werden in verschiedene Schweregrade eingeteilt. Beson-ders bekannt ist die Einteilung nach Shea [21], bei der die Tiefenausdeh-nung des geschädigten Gewebes berücksichtigt wird [5]:z Grad 1: Umschriebene Rötung der intakten Haut, die nach zweistündiger

Entlastung nicht verschwunden ist.z Grad 2: Schädigung oder Blasenbildung in den obersten Hautschichten.

Grad 2a hat eben die Basalmembran der Epidermis durchbrochen, Grad2b umfasst die Dermis (Epidermis und Korium) vollständig.

z Grad 3: Schädigung aller Gewebeschichten mit sichtbaren Anteilen vonUnterhautfettgewebe (Subkutis), Sehnen und/oder Muskeln.

z Grad 4: Beteiligung von Knochenhaut (Periost) und/oder Knochen imSinne einer Entzündung (Osteomyelitis).

Bevorzugt über Knochenvorsprüngen oder Partien mit wenig subkutanemFett können einwirkende Drücke nicht auf größere Flächen verteilt werden.Durch andauernde Kompression der Weichteile kommt es zu Ernährungs-störungen des umliegenden Gewebes, und Stoffwechselprodukte reichernsich an. Um die Nekrosezone kommt es zur Entzündungsreaktion mit denklinischen Zeichen Schwellung, Rötung, Überwärmung und Schmerzhaftig-keit. Wird dieser Mechanismus nicht unterbrochen, breitet sich das Ge-schwür in tiefere Schichten aus [18]. Die Prädilektionsstellen für Dekubituszeigt Abb. 7.2 [5].

Gefahren durch Immobilisierung z 93

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Der stetige Verlust von Flüssigkeit und Nährstoffen über eiweißreicheWundexsudate (ähnlich den Vorgängen bei Verbrennung) bedingt eine ka-tabole, die Heilung behindernde Stoffwechsellage. Die offene Wundoberflä-che ist eine Eintrittspforte für Erreger, die zu Entzündungen tieferer Stuk-turen (Weichteile, Osteomyelitis) und u.U. septischem Verlauf mit Todesfol-ge führen können. Der Dekubitus ist ein Beispiel für eine sich selbst unter-haltende Erkrankung mit hoher Gefahr des Rezidivs. Eine dauerhafte Hei-lung kann nur gelingen, wenn alle Risikofaktoren erkannt und ihre Ein-flüsse konsequent unterbrochen werden. Standardisierte Risikoskalen (z. B.Norton-, Braden- und Waterloo-Skala) erleichtern die Einschätzung der Ge-fährdung und dienen der Dokumentation, ersetzen jedoch nicht die kli-nische Beurteilung. Jede anhaltende Rötung der Haut ist ein DekubitusGrad 1 und zwingt zur sofortigen Einleitung von Maßnahmen der Druck-entlastung und Bewegungsförderung [3, 4]:z Effektiv und sicher ist die Anwendung geeigneter Lagerungstechniken wie

die 30�-Schräglagerung, die 135�-Lagerung und die 5-Kissen-Methode.z Lagerungsintervalle lassen sich nicht pauschal, sondern nur nach der in-

dividuellen Situation bestimmen. Entscheidend ist das Verschwinden derHautrötung.

z Druckverteilende Systeme reichen allein nicht aus, sondern haben ergän-zenden Charakter: Wechseldruckmatratzen und vor allem Luftstrombet-

z 7 Mobilität im Alter und Immobilitätssyndrom94

Abb. 7.2. Prädilektionsstellenfür Dekubitus [4]

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ten („Air-Flow-Systeme“) minimieren den Auflagedruck wesentlich bes-ser als Superweichmatratzen, stören allerdings auch stärker die Eigen-wahrnehmung und die Spontanbewegung. Ihre Anwendung unterliegtdaher einer individuellen therapeutischen Entscheidung. Sitzen inStühlen oder Rollstühlen länger als eine Stunde birgt ein hohes Risikofür Dekubitus der Sitzbeine.

z Die Indikation zur Verordnung rehabilitativer Therapien sollte großzügiggestellt werden [19].

Grundlage jeder erfolgreichen Behandlung eines Dekubitus sind die Aus-schaltung bekannter Risikofaktoren und die konsequente Fortführung derbeschriebenen prophylaktischen Maßnahmen. Die praktische Vorgehens-weise bei der Behandlung chronischer Wunden sollte sich an folgendeneinfachen Prinzipien orientieren:z Frühzeitige und vollständige Nekrosenentfernung – am einfachsten und

effektivsten durch chirurgisches Debridement. Enzymatische Wundrei-niger sind allenfalls in der Lage, dünne Fibrinbeläge rasch und vollstän-dig aufzulösen. Bei längerem Gebrauch stört ihre zytotoxische Wirkkom-ponente die Wundheilung. Um den kritischen Zeitpunkt nicht zu ver-passen und um die Therapie dem Heilungsverlauf anzupassen, muss dieWunde engmaschig angesehen werden. Infektionen sind systemisch, aberniemals lokal durch Antibiose zu behandeln.

z Feuchte Wundbehandlung, angepasst an die jeweilige Phase der Wund-heilung. Die angebotenen Produkte erleichtern den Aufbau eines feuch-ten Milieus zur Förderung der Granulation und damit die sekundäreWundheilung. Immunkompetente Zellen, körpereigene wundreinigendeEnzyme und die Einwanderung neuer Deckzellen (Epithel) werden hier-durch unterstützt. Die Behandlung ist schmerzlindernd und atrauma-tisch. Der Verbandswechsel unter sterilen Bedingungen erfolgt abhängigvon der Art der Wundauflage (Hydrokolloide, -polymere, -gele und Algi-nate) alle 24 bis 72 Stunden. Damit wird erreicht, dass das feuchtwarmeMikroklima und das neu gebildete Gewebe nicht gestört wird. Dieser The-rapieempfehlung liegt eine hohe wissenschaftliche Evidenz zugrunde [6].

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Literatur z 97

Page 109: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Bedeutung

Stürze sind im Alter relativ häufig und nicht selten Anlass für die Aufnah-me in unfallchirurgischen oder geriatrischen Kliniken [10]. Ein Drittel derzuhause lebenden über 65-Jährigen stürzt einmal pro Jahr, unter den über80-Jährigen sind es bereits 50% [19], bei Pflegeheimbewohnern liegt dieRate noch höher [2]. Im Gegensatz zu jungen Erwachsenen ist nur selteneine starke äußere Gewalteinwirkung Ursache für den Sturz.

Etwa 5% der Stürze bei zuhause lebenden über 65-Jährigen führt zu ei-ner Fraktur [14]. Bei jüngeren Senioren sind dies oft Radius-, bei älterenSchenkelhalsfrakturen. Weitere 5% der Gestürzten ziehen sich gravierendeWeichteilverletzungen zu, die zu Immobilisation oder Krankenhausaufent-halt führen [16]. Ca. 47% der Gestürzten können nach einem Sturz nichtalleine wieder aufstehen [20].

Stürze und Frakturen sind mit einer erhöhten Letalität verknüpft. 24%der Hüftfrakturpatienten sterben innerhalb von 12 Monaten nach der Frak-tur; 41% werden aus dem Akutkrankenhaus ins Pflegeheim entlassen [21].Frakturfolgen und vor allem die Angst vor einem erneuten Sturz führendazu, dass 6 Monate nach dem Frakturereignis nur 15% alleine und ohneHilfsmittel gehen können, obwohl 75% dazu vor dem Unfall in der Lagewaren [4].

Abklärung von Sturzfolgen und Sturzursachen

Einen Überblick über das Vorgehen bei der Abklärung eines Sturzes liefertAbb. 8.1.

Zunächst sollte eine behandlungsbedürftige Verletzung ausgeschlossenwerden. Besondere Sorgfalt erfordert dabei die Untersuchung schwer kran-ker, aphasischer, dementer oder verwirrter Patienten, da bei ihnen Fraktu-ren oder innere Verletzungen nicht selten übersehen werden. Sturzhergang,

Sturz-Syndrom8

Page 110: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Hämatome oder im Verlauf persistierende starke Schmerzen liefern wichti-ge Hinweise. Bei Schädelverletzungen muss an ein u.U. erst nach mehr-wöchiger Latenzzeit auftretendes subdurales Hämatom gedacht werden.

Schwere akute Erkrankungen wie eine Pneumonie oder ein Delir könnenUrsache einer erhöhten Fallneigung sein. Ihre diagnostische Abklärungund Therapie ist dann vorrangig.

Zentrale Bedeutung in der Sturzabklärung hat die Anamnese (Tabelle8.1). Sie muss zunächst klären, ob dem Sturz eine Synkope zugrunde liegt.Als Synkope wird ein vorübergehender, selbst-limitierender Bewusstseins-verlust bezeichnet, der in der Regel zum Sturz führt. Ursachen sind globaleMinderdurchblutungen des Gehirns unterschiedlicher Ätiologie (z.B. Ar-rhythmien, arterielle Hypotonie). Synkopen stellen weniger als 5% allerSturzursachen [15] und erfordern eine spezielle Diagnostik (Tabelle 8.2)[17]. Da die Patienten oft nicht angeben können, ob sie bewusstlos waren,ist die Befragung möglicher Zeugen des Sturzhergangs wichtig (Fremdanam-nese). Metabolische (Hypoglykämie) und elektrische (Epilepsie) Funktions-störungen des Gehirns können zu einer ähnlichen Symptomatik führen.

Abklärung von Sturzfolgen und Sturzursachen z 99

Sturz

Verletzung?

Nein oder leicht ja

Zustand schlecht? Verletzung behandeln

ja nein

nach akuterErkrankung suchen

Sturzanamnese

monokausale Ursache multifaktorielle Genese

Bewusstsein erhalten,plötzlicher Tonusverlust

– neurologische,orthopädische, psychische Untersuchung:– Visus, Gehör, Hilfsmittel– Medikamente, Umfeld– Funktionsdiagnostik im Team

Bewusstseins-verlust

starke äußereGewalteinwirkung

„drop attack” 1Synkope Unfall

seltenunter 5 % 5 % 85–90 %

Abb. 8.1. Vorgehen bei der Sturzabklärung1 „Drop attack“: plötzlicher Sturz ohne Bewusstseinsverlust und ohne Schwindel, verursacht

durch einen plötzlichen Tonusverlust der Muskulatur. Als Ursache wird eine vertebrobasiläreDurchblutungsstörung vermutet.

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Neurologische und psychiatrische Erkrankungen wie Hemiparese nachSchlaganfall, Parkinsonsyndrom, Normaldruckhydrozephalus, zervikaleMyelopathie, Polyneuropathie und Demenz gehen mit einem erhöhtenSturzrisiko einher. Demenzkranke stürzen dreimal häufiger als geistigkompetente Personen. Zu erhöhter Sturzgefahr führen auch sedierende undmuskelrelaxierende Medikamente wie Antidepressiva, Benzodiazepine, Neu-roleptika, sedierende Antihistaminika, zentral wirksame Analgetika sowieAlkohol. Eine orthostatische Hypotension als Sturzursache kann durch Me-dikamente (z.B. Antihypertensiva, Diuretika, Antiparkinsonmittel, Neuro-leptika, Antidepressiva) oder eine Exsikkose ausgelöst oder verstärkt wer-den. Die Einnahme von vier oder mehr Medikamenten ist mit einemerhöhten Sturzrisiko verbunden ist. Die wichtigsten Risikofaktoren fürStürze finden sich in Tabelle 8.3.

z 8 Sturz-Syndrom100

Tabelle 8.1. Fragen zum Sturz

Aktueller Sturz (wann, wo, wie?)z Wann sind Sie gestürzt? (tags? nachts?)z Wo sind Sie gestürzt? Wohin sind Sie gefallen?z Was haben Sie gerade getan, als Sie stürzten?z Ist Ihnen vor dem Sturz etwas Besonderes aufgefallen? Fühlten Sie sich wohl?z Haben Sie das Bewusstsein verloren? Können Sie sich an alles erinnern?z Haben Sie sich verletzt? Schmerzen?z Wie lange hat es gedauert, bis Sie aufstehen konnten/Ihnen geholfen wurde?z Wie gut konnten Sie vor dem Sturz gehen?

Frühere Stürze (wann, wo, wie?)z Waren die einzelnen Stürze ähnlich?

Fremdanamnese

Tabelle 8.2. Ursachen und Differentialdiagnostik von Synkopen

Ursachen-gruppen

Mechanismen Ursachen Diagnostik

Kardial(ca. 33%)

Herzrhythmus-störungen

bradykarde und tachy-karde RhythmusstörungenSick-Sinus-Syndrom

EKG, Langzeit-EKG

(transiente)kardialeDysfunktion

Ischämie (Infarkt)AortenklappenstenoseHOCM, Vorhofmyxom

EKG, Herzenzyme,Echokardiogramm

Page 112: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Abklärung von Sturzfolgen und Sturzursachen z 101

Tabelle 8.2 (Fortsetzung)

Ursachen-gruppen

Mechanismen Ursachen Diagnostik

Vaskulär regionalerDruckabfall

Lungenemboliepulmonale HypertonieSubclavian-steel-SyndromAortenbogensyndrom

Echokardiogramm,Beinvenendopplerunters.,Lungenszintigramm, Spiral-CT

vertebrobasiläre Durch-blutungsstörung

RR-Differenz an den ArmenDopplerunters., Angio-CTmeist Herdsymptome,Doppleruntersuchung

Hypertonus lokalesHirnödem?

Hypertensive Krise RR-Messung

Hypotonus hypersensitiverCarotissinus

Carotissinussyndrom Carotisdruckversuch nachHalsgefäßdopplerunters.

vasovagal Anamnesespezielle Arten Hustensynkope

MiktionssynkopeDefäkationssynkopeSchlucksynkopeFrühdumping nachMagenresektion

Anamnese

OrthostatischerHypotonus

Neuropathie des auto-nomen Nervensystemsmedikamentös bedingterVolumenmangel

Schellong-Test,ggf. Kipptischuntersuchung

Ungeklärt (30%)

Hypo-glykämie

durchMedikamente

SulfonylharnstoffeGlinide, Insulin

Anamnese, BZ-Profil

spontan reaktiv(z. B. Spätdumping)

Synkope selten

sekundär InsulinomLeberschädigungAddison-Krankheitmaligne Erkrankungen

Epilepsie EEG, Schädel-CT

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Die körperliche Untersuchung überprüft die für Haltung, Motorik undOrientierung wichtigen Systeme (Kreislauf, neurologischer und orthopädi-scher Status, Visus, Gehör und mentale Funktion) (Tabelle 8.4). ZusätzlicheFunktionstests wie der Timed Up and Go Test, der Mobilitätstest nach Ti-netti und die Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL oder Barthel-Index)geben wertvolle Hinweise auf sturzrelevante Störungen und Ressourcen fürdie Alltagsbewältigung (siehe Anhang).

z 8 Sturz-Syndrom102

Tabelle 8.3. Sturzrisikofaktoren im Alter

z Weibliches Geschlechtz Untergewichtz Alter >80 Jahrez Arterielle Hypotonie (systolisch <90 mmHg), orthostatische Hypotoniez Fraktur innerhalb der letzten 5 Jahre, vorausgegangene Stürzez Hilfs- und Pflegbedürftigkeit (ADL-Hilfsbedarf a)z Visusminderung (Lesen einer Zeitungsüberschrift)z Demenz (MMSEb <21 Punkte)z Morbus Parkinson/Parkinsonsyndromz Neurologisches Defizit nach Schlaganfallz Einnahme von Psychopharmaka/sedierenden Medikamentenz Einnahme von 4 und mehr Medikamentenz Alkoholabhängigkeitz Balancetest (Semitandemstand oder Tandemstand nicht möglich)z Einbeinstand >5 s nicht möglich, 3 Versuche erlaubtz Timed-Up-and-Go-Test c >20 sz Mobilitätstest nach Tinetti d <18 Punktez Häusliche Gefahrenquellen

Assessmentinstrumente, s. Anhanga Aktivitäten des täglichen Lebens=Barthel-Indexb Mini-Mental-State-Examination nach Folsteinc Timed-up-and-go-Test nach Podsiadlo und Richardsond Mobilitätstest nach Tinetti

Page 114: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Therapie

Liegt – wie bei einer Synkope oder einer starken äußeren Gewalteinwir-kung – eine monokausale Ursache für den Sturz vor, so erfolgt eine ent-sprechende Therapie oder Beratung (z.B. Schrittmacherimplantation, An-leitung zur Unfallverhütung). Dies ist im höheren Lebensalter jedoch eherdie Ausnahme. Die Mehrzahl der Stürze alter Menschen ist multifaktoriellbedingt und kommt durch eine Kombination mehrerer körpereigenerFunktionsdefizite ohne oder mit nur geringfügigen äußeren Störfaktoren(Bagatellauslöser) zustande. Diese Sturzform wird – in Abgrenzung zurSynkope – oft auch als „lokomotorischer Sturz“ bezeichnet. Zur Prophylaxeweiterer Sturzereignisse wird eine Reduktion oder Beseitigung möglichstvieler sturzrelevanter Funktionsdefizite bzw. Sturzrisikofaktoren angestrebt(Prinzip der Risikominimierung). Grundlage für die Therapieentscheidungsind Anamnese, körperliche Untersuchung, Funktionstests, ggf. fachspezi-

Therapie z 103

Tabelle 8.4. Untersuchungen bei multifaktoriellen Stürzen

z Neurologischer StatusMotorik, Reflexe, Oberflächen- und Tiefensensibilität (Lagesinn, Vibration),bei Gleichgewichtsstörungen u./o. Schwindel: Schwindelanamnese, Nystagmus,Gehör, Lagerungsmaneuver nach Semont a, ggf. Vestibularisprüfung (HNO),FNV, KHV, Beweglichkeit und Druckschmerz der Nackenmuskulatur

z Orthopädischer StatusSind Gelenke stabil und frei beweglich? Sind die Beine gleich lang? Bestehen Schmerzen?Beinmuskelatrophien? Fußdeformitäten? Schuhe?Form und Beweglichkeit der Wirbelsäule, v. a. der HWS?

z FunktionstestsVom Stuhl aufstehen und gehen (timed up and go),Blindstand (Romberg), Semitandemstand, Tandemstand, Tandemgang,Tinetti-Test, vorhandene Hilfsmittel? Ängstlichkeit beim Gehen?Barthel-Index (ADL)

z SehenFernvisus, Gesichtsfeld (Fingerperimetrie), Okulomotorik, Brille (bifokal?)

z KreislaufRR, Puls, Schellong-Test (möglichst früh morgens oder nach dem Essen), evtl. Langzeit-RR

z Psyche und mentale FunktionenGeriatrische Depressionsskala, Minimentalstatus,Ängstlichkeit nach Sturz (Post-fall-Syndrom)?

a Lagerungsmaneuver nach Semont: klinischer Test und Behandlungsmethode für den benignenparoxysmalen Lagerungsschwindel. Plötzliche Lageveränderung (Kopfdrehung um 45 Grad zurSeite und plötzliches Hinlegen zur Seite aus dem Sitzen) führt zu passagerem Nystagmus undSchwindelgefühl.

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fische Zusatzuntersuchungen und die Beobachtungen verschiedener Thera-peuten (Pflege, Physiotherapie, Ergotherapie).

Zentrales Element der Behandlung ist das Kraft- und Balance-Trainingim Rahmen einer krankengymnastischen Übungsbehandlung. Kraftmin-derungen sind auch im hohen Alter noch durch Training reversibel [8].Neben funktionellen Veränderungen wie Zunahme der Gehgeschwindigkeitkonnten einige Untersuchungen auch eine Abnahme der Sturzhäufigkeitund eine Zunahme der täglichen Spontanaktivität nach einem Krafttrainingnachweisen.

Neben der Kraft ist die Balance ein entscheidender Faktor für die Ver-meidung von Stürzen. Visueller, vestibulärer und propriozeptiver Input, Re-aktionsgeschwindigkeit und motorischer Output wirken bei der Balancezusammen. Dieses Zusammenspiel ist auch im Alter trainierbar. Als Hilfs-mittel können dabei ein Schaukelbrett oder eine Kraftmessplattform die-nen. Ganz ohne Hilfsmittel und besonders effektiv ist dieses Training aberauch in Form von Tai-Chi-Übungen möglich. 15 Wochen Tai-Chi reduzier-ten in der FICSIT-Studie die Häufigkeit multipler Stürze um 47,5% [22].

Gangunsicherheit und Immobilität werden verstärkt durch die Angst, er-neut zu stürzen. Bei einem Drittel bis der Hälfte älterer Sturzopfer, häufigerbei Frauen, ist diese Angst so ausgeprägt und anhaltend, dass sie als eige-nes Krankheitsbild bezeichnet wird: das so genannte Post-fall-Syndrom. Be-ruhigende Gespräche, Gehschule in vertrauensvoller Atmosphäre, Balan-cetraining und evtl. Entspannungs- und Aufstehübungen sind geeigneteMaßnahmen, um eine dauerhafte Immobilität, sozialen Rückzug und zu-nehmende Pflegebedürftigkeit zu verhindern.

Weitere Maßnahmen zur Sturzvorbeugung können sein:z sturzbegünstigende Medikamente, soweit möglich, absetzen,z Erprobung, Anpassung und Verordnung von Hilfsmitteln (z.B. Rollator,

Nachtstuhl, Greifzange zum Vermeiden von Bücken, Brille, Hörgerät),z feste, geschlossene Schuhe undz Patienten- und Angehörigenberatung zur Wohnsituation (Treppen,

Schwellen, Teppiche, Lichtverhältnisse, Haltegriffe u. ä.)

Zur Verbesserung des Wohnumfeldes kann ein Hausbesuch gemeinsam mitdem Patienten sinnvoll sein – häufig eine Aufgabe der Ergotherapeuten. Invielen Städten gibt es Beratungseinrichtungen für Senioren, die dieseDienstleistung anbieten. Tabelle 8.5 listet häufige häusliche Gefahrenquellenauf.

Tabelle 8.6 gibt einen Überblick über die Wirksamkeit verschiedenerStrategien zur Sturzprävention.

Bleibt trotz der o. g. Maßnahmen ein deutliches Sturzrisiko bestehen,können folgende Maßnahmen größere Traumata verhindern:z Ein Hausnotrufgerät ermöglicht es der am Boden liegenden Person, sich

rasch bei Angehörigen oder einem Hilfsdienst zu melden. Lange Liege-

z 8 Sturz-Syndrom104

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Therapie z 105

Tabelle 8.5. Häufige häusliche Gefahrenquellen für Stürze. (Nach [33])

z Beleuchtung:zu schwach, zu hell (blendend), Lichtschalter schwer zu finden oder zu erreichen,keine Nachtbeleuchtung

z Fußböden:rutschende Teppiche/Läufer, rutschige Fußböden (v. a. Badezimmer), Fußbodenbelagin schlechtem Zustand, Verlängerungsschnüre quer auf dem Fußboden, Schwellen

z Erreichbarkeit:Schränke, Regale oder Armaturen zu hoch oder zu niedrig,Seife oder Shampoo schlecht erreichbar

z Handgriffe/Handläufe:fehlend in Toilette, Bad oder an der Treppe

z Toilette/Bad:Glastüre ohne Sicherheitsglas, Öffnung nach innen, Toilettensitz zu niedrig, Toiletteaußerhalb der Wohnung, hoher Duschwannenrand, Seife/Shampoo schlecht erreichbar

z Treppen:zu steil, reparaturbedürftig, ohne Handlauf, wackeliger Handlauf,Stufenränder schlecht zu sehen, schlechte Beleuchtung

z Unsichere Stühle:wackelige Stühle, fehlende Armlehnen, zu kurze Rückenlehnen

z Insgesamt bergen Toilette und Bad die meisten Gefahrenquellen.

Tabelle 8.6. Wirksame Strategien kontrollierter Studien zur Reduktion von Stürzen bei zuhauselebenden älteren Menschen. (Nach [18])

Strategie Risikoreduktion [%]

Medizinisches Versorgungssystem a

z Balance- und Gangtraining sowie Übungen zur Kräftigung 14–27

z Reduktion häuslicher Risiken nach Krankenhausaufenthalt 19

z Beendigung psychotroper Medikation 39

z Multifaktorielles Risikoassessment mit gezielterInterventionsmaßnahme

25–39

Bevölkerungsbasiert b

z Spezielles Balance- und Krafttraining 29–49

a Teilnehmer rekrutiert im klinischen Rahmen, Interventionen durch Mitglieder professionellermedizinischer/therapeutischer Berufe, Rekrutierung aufgrund anamnestischer Stürze oder we-gen Problemen bei Balance und Gang.

b Teilnehmer bevölkerungsbasiert rekrutiert, Interventionen nicht durch Mitglieder professionel-ler medizinischer/therapeutischer Berufe, Rekrutierung nicht aufgrund anamnestischer Stürzeund wegen Problemen bei Balance und Gang.

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zeiten mit Auskühlung, Dekubitusentstehung, Exsikkose, Rhabdomyoly-se, Hilflosigkeit, Schmerzen und Angst werden so vermieden.

z Ein Schlüpfer mit integrierten Kunststoffschalen oder Schaumgummi-polstern über den Hüften (z. B. Safe hip® Hose oder safety pants®) redu-zierte in mehreren Studien das Risiko einer Schenkelhalsfraktur deutlich[1]. Nachteile derartiger Hüftprotektoren sind ihre geringe Akzeptanzund die vermehrten Schwierigkeiten beim selbstständigen Anziehen oderbeim Gang zur Toilette [9], was die Tragehäufigkeit und damit derenWirksamkeit reduziert, so dass insgesamt nur bei Bewohnern von Pfle-geheimen statistisch eine Reduktion der Hüftfrakturrate beobachtet wer-den kann [11].

z Besteht eine Osteoporose, so kann die Frakturgefahr durch Gabe von Vi-tamin D und Kalzium in Kombination mit Bisphosphonaten oder ande-ren Osteoporose-Medikamenten reduziert werden [6]. Ein Vitamin-D-Mangel ist v. a. bei Pflegeheimbewohnern häufig. Seine Beseitigung wirktsich auch positiv auf die Muskelkraft aus.

Ein Umzug in ein Pflegeheim verhindert Stürze nicht generell. Er lässt sichjedoch bei allein lebenden, stark gefährdeten Personen bisweilen nicht ver-meiden, insbesondere wenn sie sich auch per Hausnotruf nicht meldenkönnen. Gerade bei den gebrechlicheren Bewohnern von Pflegeheimen sindStürze besonders häufig.

Auch das Krankenhaus ist für alte Patienten ein sehr sturzträchtiger Ort.Abhängig u.a. von der Patientenklientel und der Vollständigkeit der Erfas-sung werden sehr unterschiedliche Sturz- und Verletzungsraten berichtet.Insgesamt zählen Stürze zu den häufigsten unerwünschten Ereignissen älte-rer Patienten während des Aufenthaltes im Krankenhaus oder der Rehabili-tationsklinik. Stürze häufen sich in den ersten Tagen der Hospitalisierung.Desorientierte Patienten und Patienten mit beginnendem, aber noch unsi-cherem Transfer- und Gehvermögen sind besonders gefährdet [12, 13].

Schmerzhafte Folgen für die Patienten, Kosten durch Verlängerung desstationären Aufenthaltes, Imageschäden für die Kliniken und rechtlicheKonsequenzen führten in den letzten Jahren zu vermehrter Aufmerksam-keit für die Sturzproblematik in stationären Einrichtungen. Im durch dasBundesministerium für Gesundheit geförderten Benchmarking-Projekt„GEMIDAS-QM“ erarbeiteten 22 geriatrische Kliniken u.a. Maßnahmenpa-kete zur Reduktion von Sturzraten und sturzbedingten Verletzungen [5].Das Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege hat einenExpertenstandard zur Sturzprophylaxe entwickelt [7]. Für den ambulantenBereich wird Hausärzten mit der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft fürAllgemeinmedizin ein Instrumentarium zur Risikoerfassung und Prophyla-xe von Stürzen bei älteren Patienten an die Hand gegeben.

z 8 Sturz-Syndrom106

Page 118: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

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Unfall – Synkope – multifaktorieller Sturz: 3 Patientengeschichten

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Literatur z 109

Page 121: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Harninkontinenz

z Definition

Die neue Definition der International Continence Society (ICS) unterschei-det unter Berücksichtigung der International Classification of Functioning,Disability and Health (ICF; siehe Kap. 15) zwischen Harninkontinenz alsSymptom und Harninkontinenz als Befund („sign“): Auf der Symptomebe-ne bezeichnet Harninkontinenz den vom Patienten oder seiner Umgebungangegebenen unkontrollierten Urinabgang an ungewolltem Ort oder zu un-gewollter Zeit, auf der Befundebene den vom Arzt durch einfache diagnos-tische Maßnahmen verifizierten Urinverlust außerhalb einer gezielten Mik-tion. Entsprechende Ergebnisse urodynamischer Untersuchungen ergänzendas Störungsbild zu einer „condition“[1].

Harninkontinenz stellt für viele Symptomträger eine erhebliche Belas-tung dar. Wer inkontinent ist, wird oft als unsauber oder „geistig be-schränkt“ eingeschätzt [4]. Betroffene vermeiden es aus Angst oder Scham,auszugehen, und ziehen sich zurück. Angehörige sind durch die Geruchs-belästigung angewidert, mit zusätzlicher Arbeit belastet und erleben dasEinnässen als persönlichen Affront oder als Umkehr des Eltern-Kind-Verhältnisses. Bei mangelnder Pflege steigt durch die ständige Nässe dasRisiko für Hautmazerationen oder -infektionen. So wird die Harninkon-tinenz nicht selten zum entscheidenden Anlass für den Umzug ins Pflege-heim [9]. Dort gehen ca. 25% der Dienstzeit auf die Inkontinenzversorgungzurück.

Inkontinenz bedeutet eine finanzielle Bürde für die Betroffenen und dasGesundheitssystem. Die gesetzlichen Krankenversicherungen gaben 2004 al-lein für inkontinenzspezifische Arzneimittel 106 Millionen Euro aus. Beider Gmünder Ersatzkasse mit 1,4 Millionen Versicherten betrugen die Aus-gaben für Inkontinenzhilfsmittel im Jahr 2003 2,8 Millionen Euro. Schwie-rig zu schätzen sind die erheblichen Kosten für Inkontinenzhilfsmittel, dievon den Betroffenen selbst aufgebracht werden, ferner die Kosten für Diag-nostik, nicht medikamentöse Behandlung, stationäre und ambulante Pflegesowie Folgeschäden wie Stürze, Hautschädigungen, psychosoziale Folgen

Inkontinenz9

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etc. [14]. Die Kosten werden mit zunehmender Lebenserwartung weitersteigen, wenn es nicht gelingt, die Prävalenz der Harninkontinenz durchadäquate Diagnostik und Therapie zu senken.

z Epidemiologie

Harninkontinenz ist ein Tabuthema. Angaben zu ihrer Häufigkeit schwankendaher stark, abhängig von der verwendeten Definition, Art der Befragungund Untersuchung. Sicher ist, dass ihre Häufigkeit mit zunehmendem Alterund zunehmender Pflegebedürftigkeit ansteigt. So sind rund 6% der erwach-senen Bevölkerung Nordamerikas und Mitteleuropas inkontinent [6]. Unterden über 70-jährigen, zu Hause lebenden Personen sind es etwa 30% undin Pflegeheimen 50–60% [5, 12, 19]. Während in jüngerem Alter vor allemFrauen an Harninkontinenz leiden, verschiebt sich dies mit zunehmendemAlter und bei Heimbewohnern zuungunsten der Männer [15, 18].

z Anatomie

Zum Verständnis der verschiedenen Harninkontinenzformen, ihrer Entste-hungsmechanismen und Therapieoptionen sind Grundkenntnisse der Ana-tomie und Physiologie des Harntraktes erforderlich. Abbildung 9.1 stelltschematisch die anatomischen Strukturen und deren Zusammenspiel beiHarnspeicherung und -entleerung dar.

Harninkontinenz z 111

Abb. 9.1. Nervale Steuerung der Harnspeicherung und -entleerung. (Aus [21])

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Die dehnbare glatte Detrusormuskulatur der Harnblasenwand ermöglichtunter dem Einfluss hemmender Sympathikus-Impulse (�-Rezeptoren) eineSpeicherung kleiner und mittlerer Urinvolumina ohne wesentliche Erhö-hung des Blaseninnendrucks. Über �-Rezeptoren tonisiert der Sympathikusgleichzeitig den glatten inneren Harnblasensphinkter und gewährleistet sozusammen mit dem quergestreiften, willkürlich über den Nervus pudendusinnervierten Musculus spincter externus den Blasenverschluss.

Größere Füllungsvolumina lösen Dehnungsreize aus, die über das Sakral-mark zum Hirnstamm und den übergeordneten Zentren im Gehirn weiterge-leitet und als Harndrang bewusst wahrgenommen werden. Dort erfolgt dieübergeordnete Koordination von Harnspeicherung und Blasenentleerung.

Während die Speicherphase über sympathische Fasern aus dem oberenLumbalmark (Plexus hypogastricus) gesteuert wird, erfolgt die Blasenent-leerung durch parasympathische Impulse aus dem Sakralmark über denNervus pelvicus. Diese führen zur Detrusorkontraktion und zur Eröffnungdes Blasenhalses. Gleichzeitig erschlaffen unter willkürlicher Steuerung Be-ckenboden und M. spincter externus.

Nur die perfekte Koordination aller beteiligten Systeme gewährleistetvollständige Kontinenz. Zur Inkontinenz führende Störungen können aufallen Ebenen auftreten:z zerebral (z. B. Schlaganfall, Normaldruckhydrozephalus, Demenz),z spinal, nerval (z.B. Querschnittslähmung, Diabetes mellitus, Encephalo-

myelitis disseminata),z lokal infolge anatomischer Veränderungen (z.B. Descensus, Prostata-

hypertrophie),z lokal durch Reizzustände (z.B. Zystitis, Harnblasensteine) undz vorwiegend lokal durch Medikamente.

z Formen der Harninkontinenz

Zum Verständnis der Pathomechanismen der Harninkontinenz kann fol-gende Einteilung dienen:1. Dranginkontinenz (überaktive Blase mit Inkontinenz, „overactive bladder

wet“),2. Belastungsinkontinenz („stress urinary incontinence“),3. Inkontinenz bei chronischer Harnretention,4. Reflexinkontinenz,5. extraurethrale Inkontinenz und6. funktionelle Inkontinenz.

z Die Dranginkontinenz ist die häufigste Form der Harninkontinenz imAlter. Sie ist gekennzeichnet durch häufigen, nicht unterdrückbarenHarndrang, der auch nachts auftreten kann. Der Drang ist plötzlich sostark, dass die Toilette nicht mehr erreicht wird. Psychische Belastungenkönnen die Symptomatik verstärken.

z 9 Inkontinenz112

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Die Dranginkontinenz als „overactive bladder wet“ wird mit imperati-vem Harndrang und Pollakisurie („overactive bladder dry“) unter demÜberbegriff der überaktiven Blase zusammengefasst.Zwei Pathomechanismen sind für ihre Entstehung verantwortlich:1. Bei der motorischen Dranginkontinenz treten aufgrund einer mangel-

haften übergeordneten Kontrolle unkontrollierte Detrusorkontraktio-nen auf. Typische Ursachen sind Erkrankungen des ZNS wie zerebraleIschämie, Demenz oder Parkinson-Erkrankung.

2. Bei der sensorischen Dranginkontinenz führen vermehrte afferente Im-pulse aus der Blase zur ununterdrückbaren Detrusorkontraktion. Diesgeschieht z.B. bei infektiösen oder strahlenbedingten Zystitiden, Ko-prostase, Blasensteinen oder Tumoren.

z Eine Belastungsinkontinenz entsteht, wenn der von außen auf die Blasewirkende Druck im Bauchraum den Druck des Blasenverschlussmecha-nismus übersteigt. Dies geschieht beim Husten, Niesen und Lachen, inschwereren Fällen schon bei leichter körperlicher Anstrengung wie Trep-pen steigen oder hüpfen. Dabei entsteht kein wahrnehmbarer Harn-drang. Im Schlaf sind die Patienten in der Regel kontinent. Die Belas-tungsinkontinenz ist die bei weitem häufigste Harninkontinenzform beiFrauen unter 50 Jahren [16], tritt jedoch auch im höheren Alter und sel-tener auch bei Männern auf. Für einen dichten Blasenverschluss sind ne-ben den beiden Schließmuskeln mit ihrer Innervation die Beckenboden-muskulatur, die Lage der Blase und die Trophik der urogenitalenSchleimhäute unter Östrogeneinfluss verantwortlich. Mehrere Geburten,ein Descensus oder ein Östrogenmangel begünstigen bei Frauen, eineSchädigung des Sphinkters oder seiner nervalen Versorgung durch eineProstataoperation bei Männern das Auftreten einer Belastungsinkon-tinenz. Begünstigend wirkt auch chronischer Husten.

z Bei einer Inkontinenz bei chronischer Harnretention müssen hohe Fül-lungsvolumina vorliegen, damit der intravesikale Druck den Blasenver-schlussdruck übersteigt. Erst dann gehen kleine Mengen Urin ab, und inder Blase bleibt Restharn zurück. Teilweise kommt es zu einem verzöger-ten Miktionsbeginn oder zu Nachträufeln nach Miktionsende. Zwei Pa-thomechanismen führen zu dieser Form der Harninkontinenz:1. ein erhöhter Blasenauslasswiderstand (Obstruktion), meist durch eine

Prostatahypertrophie, seltener eine Harnröhrenstriktur oder2. eine verminderte Kontraktilität des Detrusors, z.B. durch eine diabeti-

sche Neuropathie oder Medikamente (z. B. anticholinerge Wirkstoffe).z Bei der Reflexinkontinenz ist der sakrale Reflexbogen für die Miktion in-

takt, die Weiterleitung zum Gehirn jedoch aufgrund einer neurologi-schen Erkrankung (z.B. Querschnittsverletzung des Rückenmarks)gestört. Harndrang wird nicht wahrgenommen; die Blase entleert sichreflektorisch oder nach einem äußeren Reiz wie Beklopfen der Bauch-decke.

z Bei der extraurethralen Inkontinenz erfolgt die Harnentleerung nichtdurch die Urethra, sondern z.B. durch eine Fistel und damit kontinuier-

Harninkontinenz z 113

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lich. Auf die beiden letzten Harninkontinenzformen wird wegen ihrerSeltenheit im Alter nicht näher eingegangen.

z Ursache der funktionellen Inkontinenz sind Störungen außerhalb desHarntrakts und seiner nervalen Steuerung. Betroffene erreichen die Toi-lette nicht rechtzeitig aufgrund einer Orientierungsstörung oder man-gelnder Mobilität. Weiter Ursachen sind Störungen der Sensomotorikund Koordination der oberen Extremität oder schwierig zu öffnendeKleidung.

Harninkontinenzformen können auch gemeinsam auftreten. Am häufigstenist im höheren Alter die Kombination einer Drang- und einer Belastungs-inkontinenz.

z Diagnostik

Die Frage nach der Kontinenz ist Bestandteil jeder geriatrischen Anamnese.Vorausgegangene Geburten, bestehende Erkrankungen (Tabelle 9.1), Medi-kamente (Tabelle 9.2), situative und Umgebungsfaktoren (z. B. Weg zur Toi-

z 9 Inkontinenz114

Tabelle 9.1. Erkrankungen und Veränderungen, die zu Harninkontinenz führen können

z Demenzz Parkinson-Syndromz Gehirn- oder Rückenmarkstumorz Encephalomyelitis disseminataz Verwirrtheitszustandz Schlaganfallz Normaldruckhydrozephalusz Gehirn- oder Rückenmarksverletzungz Polyneuropathie (z. B. diabetisch, alkoholisch)z Schwere akute Erkrankungen

z Harnwegsinfektz Strahlenzystitisz Prostatahypertrophiez Prostatakarzinom, Z. n. OPz Zustand nach vaginalen Geburtenz Urethrastenose (z. B. nach Katheter)z Blasensteinz Blasentumorz Deszensus (uteri oder vaginae)z Verletzungen im Urogenitalbereichz Fistel im Urogenitalbereichz Chronische Obstipation

Tabelle 9.2. Medikamente, die eine Inkontinenz bei chronischer Harnretention verursachen können

z Anticholinergika z Antihistaminikaz Spasmolytika z Tri- und tetrazyklische Antidepressivaz Neuroleptika z Sedativaz Zentral wirksame Analgetika z Muskelrelaxanzienz Sympathomimetika z Kalziumantagonistenz Anticholinerg wirksame Antiparkinsonmittel (z. B. Biperiden, Trihexyphenidyl)

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Harninkontinenz z 115

Tabelle 9.3. Fragebogen für Patienten mit Blasenschwäche. (Mod. n. [13])

Wie oft verlieren Sie ungewollt Urin? Selten, gelegentlich oder täglich, dauernd? Wie groß sinddie Urinmengen, die Sie verlieren? Einige Tropfen oder größere Mengen?

Bitte kreuzen Sie die zutreffenden Aussagen an:

1. Kommt es öfter vor, dass Sie trotz starken Harndrangs nursehr kleine Urinportionen oder gar nichts entleeren können?

� H

2. Haben Sie öfter das Gefühl, dass die Blase nach demWasserlassen nicht vollkommen leer ist?

� H

3. Stottert der Harnstrahl, oder kommt die Entleerung nurverzögert in Gang?

� H

4. Verstärken sich die Beschwerden beim Wasserlassenoder im Anschluss an das Wasserlassen?

� I D

5. Ist der Harndrang bei Ihnen öfters schmerzhaft? � I D

6. Gehen Sie täglich häufiger als acht Mal zur Toilette? � I D

7. Verspüren Sie plötzlich starken Harndrang und verlierenSie kurz darauf Urin, ohne dass Sie es verhindern können?

� D P

8. Haben Sie starken Harndrang, der sich nicht unterdrückenlässt?

� D

9. Erreichen Sie normalerweise die Toilette oder das Bad nochtrocken – und verlieren dann Urin, wenn sie gerade dieKleider öffnen oder sich der Toilette nähern?

� P D

10. Unter Stress und Anspannung – müssen Sie da vermehrtzur Toilette?

� P D

11. Verlieren Sie auch im Schlaf Urin? � D

12. Müssen Sie nachts häufiger als zweimal Wasser lassen? � D HI

13. Haben Sie bei längerem Stehen oder Gehen, besondersbeim Bergabgehen, das Gefühl, dass „unten etwas lockerist“ oder „unten etwas herauszufallen droht“?

� B

14. Kommt es beim Bücken oder Heben zu Urinabgängen? � B

15. Beobachten Sie, dass beim Husten, Niesen oder Lachen Urinabgeht?

� B

16. Wie viele Kinder haben Sie geboren? � B

Angekreuzte Felder ergeben Hinweise auf die in den darauf folgenden Kästchen angegebenenUrsachen.

B Belastungsinkontinenz, D Dranginkontinenz, H Harnretention (Obstruktion oder Detrusor-schwäche), HI Herzinsuffizienz, I Infektion (sensorische Dranginkontinenz), P psychogene Kom-ponente

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z 9 Inkontinenz116

Name: Datum:

Uhrzeit Getränkund Trink-mengein ml

Wassergelassenin ml

Drang-gefühlja/nein

Nassja/nein+/++/+++

Bemerkungen(Medikamente,Hilfsmittel u. a.)

07 h

08 h

09 h

10 h

11 h

12 h

13 h

14 h

15 h

16 h

17 h

18 h

19 h

20 h

21 h

22 h

23 h

24 h

01 h

02 h

03 h

04 h

05 h

06 h

Abb. 9.2. Miktionsprotokoll

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lette, Art der Kleidung) haben Einfluss auf die Kontinenz und müssen da-her eruiert werden. Ein Fragebogen wie in Tabelle 9.3 gibt Hinweise auf dieArt und das Ausmaß der Inkontinenz. Bei Bedarf werden die Angabendurch ein über 3–5 Tage geführtes Miktionsprotokoll (Abb. 9.2) ergänzt.Darin werden Getränke (z.B. harntreibende Genussmittel wie Kaffee, Tee,Alkohol), Trinkmenge, Miktionsmengen, Häufigkeit der Miktion, zeitlichesAuftreten der Inkontinenz und dabei wahrgenommener Harndrang erfasst.

Zur körperlichen Untersuchung gehören ein rektaler Tastbefund (Kopro-stase, Prostatagröße, Sphinktertonus), die gynäkologische Inspektion (Des-census uteri, Zystozele beim Pressen), eine neurologische Untersuchungmit Prüfung der perianalen Sensibilität und die Inspektion der Haut imGenitoanal- und Sakralbereich. Bei Verdacht auf eine Belastungsinkon-tinenz kann man die Patientin bitten, bei voller Blase zu husten, um einenUrinabgang in eine Vorlage zu provozieren.

Eine Urinanalyse und eine sonographische Untersuchung mit voller (Bla-sensteine, Blasentumor, Prostatagröße?) und entleerter Blase (Messung desRestharnvolumens, Nierenaufstau?) schließen die Basisuntersuchung ab.

Bei der Mehrzahl der Patienten kann nach diesen Untersuchungen eineVerdachtsdiagnose gestellt und eine Therapie eingeleitet werden. In unkla-ren Fällen, bei Therapieversagen und vor einer geplanten Operation ist einefachärztliche Abklärung mit Uroflowmetrie, urodynamischer Untersuchung,Urethrozystoskopie, Miktionszystourethrographie oder Perinealsonographie[17] erforderlich. Männer mit Überlaufblase sollten zum Ausschluss einerHarnröhrenstriktur und zur Abklärung einer Prostatahypertrophie in derRegel dem Urologen vorgestellt werden.

z Therapie

z Dranginkontinenz. Behandelbare Ursachen einer sensorischen Drangin-kontinenz (am häufigsten infektiöse Zystitis oder Koprostase) werden vor-rangig therapiert. Persistiert die Dranginkontinenz danach oder liegt eineandere Ursache vor, so kann eine Besserung über Verhaltenstraining und/oder medikamentöse Behandlung erzielt werden.

Grundlage des Verhaltenstrainings ist das Miktionsprotokoll, das eineAussage darüber liefert, wie lange ein Patient mindestens trocken bleibt.Beim Training erfolgt der Toilettengang regelmäßig und unabhängig vomHarndrang, zunächst in den durch das Miktionsprotokoll bestimmten Zeit-intervallen. Bei selbstständigen, kooperativen Patienten werden die Mikti-onsintervalle alle 2–3 Tage um eine halbe Stunde verlängert. Dieses Blasen-training vergrößert die Harnspeicherkapazität. Kognitiv eingeschränkte Pa-tienten, bei denen ein Blasentraining nicht möglich ist, erhalten ein Toilet-tentraining. Dabei werden die Miktionsintervalle so lange schrittweise an-gepasst, bis der Patient zwischenzeitlich trocken bleibt.

Anticholinergika bessern die Dranginkontinenz über eine Hemmung derDetrusoraktivität. Bevorzugt eingesetzt wird bei älteren Patienten die hy-

Harninkontinenz z 117

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drophile, nicht liquorgängige quartäre Ammoniumverbindung Trospium-chlorid, weitere Optionen sind Oxybutynin, Tolterodin, Propiverin und So-lifenacin oder das relativ M3-spezifische Anticholinergikum Darifenacin[22, 23]. Bei Engwinkelglaukom sind Anticholinergika kontraindiziert. Un-ter den Nebenwirkungen ist vor allem die Mundtrockenheit häufig; hierkann die transdermale Anwendung von Oxybutynin von Vorteil sein [22].Seltener kommt es zu Tachykardien, Schwindel, Verwirrtheit, Halluzinatio-nen, Obstipation und Restharnbildung.

Die Restharnmenge muss unter der Therapie kontrolliert werden [2].Sorgfältig zu achten ist auf eine Verschlechterung kognitiver Funktionen.Bei bestehender Demenz kann die Gabe von Trospiumchlorid oder Darife-nacin unter Beobachtung versucht werden; die übrigen Substanzen sindkontraindiziert [23]. Bei depressiven Patienten kann der anticholinerge Be-gleiteffekt der trizyklischen Antidepressiva Imipramin, Desipramin, Nor-triptylin oder Doxepin zur Behandlung der Dranginkontinenz ausgenutztwerden – allerdings unter strenger Beachtung der zentralnervösen und kar-dialen Nebenwirkungen [2].

z Belastungsinkontinenz. Behandlungsprinzip bei der Belastungsinkon-tinenz ist eine Stärkung des Blasenverschlussmechanismus. Bei kooperati-ven Patientinnen führt Beckenbodengymnastik in 50–70% zur Besserungoder Heilung [17]. Ihre Effektivität kann bei ungenügender Wahrnehmungder Muskelspannung durch Biofeedback, intravaginale Hilfsmittel (Vaginal-konus beim Üben) oder Elektrotherapie gesteigert werden. Der Serotonin-Reuptake-Hemmer Duloxetin verstärkt die Kontraktion des quergestreiftenM. sphincter externus urethrae durch eine Zunahme der Aktivität des Nu-cleus Onuf im Rückenmark, führt allerdings häufig zu Übelkeit, Kopf-schmerzen und Obstipation [22]. Bei Mukosaatrophie können intravaginaleÖstrogenapplikationen in niedriger Dosierung (z. B. Estriol 1 mg) eine un-terstützende Wirkung haben [10]. Da eine zuverlässige Besserung der Har-ninkontinenz durch Östrogene nicht nachgewiesen ist, sollte ihr Einsatz zu-nächst auf 4–6 Wochen begrenzt und die Weiterbehandlung dann nochmalshinterfragt werden [2].

Von den zahlreichen Operationsverfahren sind die Kolposuspension nachBurch und die minimalinvasive TVT-Plastik („Tension free vaginal tape“)mit Heilungs- bzw. Besserungsraten über 70% am besten dokumentiert [3,11]. Bei Descensus und Inoperabilität kommen Hilfsmittel wie intravaginalePessare oder Vaginaltampons zum Einsatz, die wegen der Gefahr vonDrucknekrosen und Infektionen unbedingt regelmäßig gewechselt werdenmüssen.

z Inkontinenz bei chronischer Harnretention. Ein akuter Harnverhalt mitmassiv gefüllter Blase und Unfähigkeit, Urin zu lassen, kann sich bei Älte-ren auch als Verwirrtheitszustand äußern. Unabhängig von der Ursache er-fordert er in jedem Fall eine sofortige Harnableitung über einen Katheter.Rascher Handlungsbedarf besteht auch bei Nierenaufstau. Restharnmengen

z 9 Inkontinenz118

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bis 100 ml können bei fehlenden Komplikationen (z.B. chronische Blasen-infektionen) toleriert werden.

Prostatahypertrophie und Harnröhrenstriktur erfordern oft eine operati-ve Korrektur des erhöhten Blasenauslasswiderstandes (z.B. Prostataresekti-on, Harnröhrenbougierung). Dabei ist zu beachten, dass zwischen Prostata-größe und Ausmaß der Obstruktion keine enge Korrelation besteht [20]. Inleichteren Fällen einer durch eine Prostatahypertrophie bedingten Obstruk-tion kann ein konservativer Therapieversuch mit �-Rezeptorenblockern(Alfuzosin, Doxazosin, Tamsulosin, Terazosin) nach Ausschluss einer arte-riellen Hypotonie und unter Blutdruckkontrollen (Cave: Hypotonie) erfol-gen. 5-�-Reduktasehemmer (Finasterid 5 mg) kommen bei Prostatavolumi-na über 40 ml zum Einsatz, erreichen ihre volle Wirkung allerdings erstnach 3–6 Monaten. Eine Kombinationstherapie ist möglich.

Bei verminderter Detrusorkontraktilität als Ursache einer chronischenHarnretention werden auslösende Medikamente soweit möglich abgesetzt(v. a. Anticholinergika und Medikamente mit anticholinerger Nebenwirkungwie manche Neuroleptika, Antidepressiva und zentral wirksame Analgetikau. a.). Cholinergika wie Bethanecholchlorid, Carbachol oder Distigminbro-mid verbessern die Detrusorkontraktion, haben jedoch zahlreiche Kon-traindikationen und Nebenwirkungen, was ihren Einsatz bei geriatrischenPatienten einschränkt [2]. �-Rezeptorenblocker (Präparate s.o. oder Phe-noxybenzamin) senken den Blasenauslasswiderstand. Bei manchen Patien-ten kann durch wiederholten Einmalkatheterismus, das vorübergehendeAnlegen eines Dauerkatheters oder durch die Behandlung eines Harnwegs-infektes eine Reduktion der Restharnmenge erzielt werden. Bisweilen istnur eine Kombination verschiedener Maßnahmen erfolgreich.

Sind obige Maßnahmen nicht möglich oder ohne Erfolg, so kommt fürkooperationsfähige Patienten das intermittierende Selbstkatheterisieren, füralle anderen die Harnableitung über einen Blasenverweilkatheter zum Ein-satz. Dabei ist die suprapubische der transurethralen Katheteranlage vor-zuziehen, da sie für den Patienten auf Dauer weniger störend ist und Kom-plikationen wie Harnröhrenstriktur, Prostatitis oder Epididymitis vermie-den werden. Der Katheter kann bei mobilen Patienten durch ein auf Knopf-druck zu öffnendes Ventil verschlossen werden.

z Allgemeine Maßnahmen bei Harninkontinenz. Eine Harninkontinenz kannbei immobilen oder dementen Patienten funktionell bedingt sein, weil siedie Toilette nicht finden oder zu spät erreichen. Bewegungsübungen, Geh-hilfen, Markierung des Weges und der Toilette, leicht zu öffnende Kleidung,Haltegriffe, eine Urinflasche mit oder ohne Rücklaufventil oder ein Toilet-tenstuhl können hier Abhilfe schaffen. Gelegentlich führt das Absetzen vonDiuretika, die Reduktion einer zu großen Trinkmenge (Ziel: ca. 1,5 l/Tag)oder das Meiden harntreibender Getränke (Kaffee, Tee, Alkohol) zur Bes-serung. Sind Inkontinenz-Hilfsmittel (z.B. Vorlagen, Windeln) erforderlich,so sollte ihre Größe nach dem Grad der Inkontinenz gewählt werden. Einregelmäßiger Wechsel von Vorlagen oder Windeln ist zur Vermeidung von

Harninkontinenz z 119

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Hautschäden erforderlich, wobei moderne Produkte durch ihr stark saugfä-higes, innen liegendes Gelkissen eine trockene Oberfläche behalten. Män-ner können ein Kondomurinal verwenden. Ein Blasenverweilkatheter solltenur bei immobilen Patienten mit Dekubitus oder durch die Inkontinenz be-dingten Hautproblemen und dann möglichst nur passager Verwendung fin-den. Gelegentlich ist er aber auch erforderlich, wenn nur so eine häuslichePflege noch ermöglicht werden kann.

z Harninkontinenz-Management in geriatrischen Kliniken

Bei der Vielzahl an Diagnosen und funktionellen Einschränkungen, die Pa-tienten in geriatrischen Abteilungen mitbringen, gerät das für den Patien-ten und seine Umgebung belastende Symptom der Harninkontinenz trotzseiner Erfassung im Barthel-Index leicht in Vergessenheit. Einige geriatri-sche Kliniken haben daher spezielle Kontinenzberatungsstellen oder Kon-tinenzvisiten eingerichtet. Bei der Kontinenzvisite bespricht ein Team, demspeziell geschulte Ärzte und Kontinenzfachpflegepersonen angehören, mitdem zuständigen Arzt und der Bereichspflegekraft systematisch die Kon-tinenzsituation jedes Patienten und empfiehlt in Abstimmung mit dem Pa-tienten und/oder seinen Angehörigen Abklärungs- und Therapiemaßnah-men. Bei Bedarf erfolgt vor der Entlassung eine gezielte Erprobung undVerordnung von Inkontinenz-Hilfsmitteln [8]. Auf eine Förderung derHarnkontinenz zielt auch der 5. Nationale Expertenstandard des DeutschenNetzwerks zur Qualitätsentwicklung in der Pflege [7].

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http://www.uni-duesseldorf.de/awmf/ll/ll_043.htm: Leitlinien der Deutschen Ge-sellschaft für Urologie

Stuhlinkontinenz

z Definition und Häufigkeit

Stuhlinkontinenz, der ungewollte peranale Abgang von Stuhl, ist ein Symp-tom, das über 3% der zuhause lebenden über 65-Jährigen und ca. 20% derüber 80-Jährigen betrifft [1, 10]. In jüngeren Jahren leiden vorwiegend Frau-en an einer Stuhlinkontinenz; bei den über 80-Jährigen sind beide Geschlech-ter gleich häufig betroffen [10]. Die Kombination einer Stuhl- mit einerHarninkontinenz ist häufiger als eine Stuhlinkontinenz alleine [10].

z 9 Inkontinenz122

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z Bedeutung

Stuhlinkontinenz bedeutet weit mehr als eine peinliche Angelegenheit und ei-ne Geruchsbelästigung für Patienten, Angehörige und Pflegepersonal. Sie istoft ein Zeichen für einen reduzierten Gesundheits- und Kräftezustand unddamit ein Marker für ein erhöhtes Mortalitätsrisiko [6]. Bei Demenzkranken,bei denen eine Stuhlinkontinenz gehäuft auftritt [1], ist sie oft der Anlass fürden Umzug ins Pflegeheim [8]. Stuhlinkontinente haben häufiger Harnwegs-infekte und Dekubitalgeschwüre und verursachen zusätzliche Kosten.

z Schweregrade

Die Stuhlinkontinenz wird in 3 Schweregrade eingeteilt:z Grad 1: unkontrollierter Abgang von Darmwinden,z Grad 2: unkontrollierter Abgang von Winden und flüssigem Stuhl,z Grad 3: unkontrollierter Abgang auch von festem Stuhl.

z Pathophysiologie

Kontinenz und gesteuerte Defäkation entstehen im Zusammenspiel von:z M. spincter ani internus (glatte Muskulatur, in Ruhe tonisch kontrahiert);z M. sphincter ani externus (quergestreifte Muskulatur, 20% Beitrag zum

Ruhetonus, vermehrte reflektorische Kontraktion bei Reizen wie starkerDehnung des Rektums und Husten, willkürliche Anspannung für kurzeZeit möglich, Versorgung durch Nervus pudendus);

z Beckenbodenmuskulatur (M. puborectalis, M. pubo- und ileococcygeus:willkürliche, funktionell zum M. sphincter ani externus gehörige Musku-latur);

z Sensibilität der Analhaut;z Reservoirfunktion des Rektums (rektale Compliance);z Corpus cavernosum recti (am inneren Rand des Schließmuskels gelege-

nes Gefäßpolster, bewirkt den luft- und feuchtigkeitsdichten Verschluss.Hämorrhoiden sind eine pathologische Ausweitung dieser Gefäße);

z nervaler und psychischer Steuerung.

Übermäßiges Stuhlvolumen und eine flüssige Stuhlkonsistenz können die-sen Kontinenzmechanismus auch bei jungen Gesunden überfordern und zuvorübergehender Stuhlinkontinenz führen.

Im Alterungsprozess wird der M. sphincter internus mit Bindegewebedurchsetzt, und Kraft und Dicke des M. sphincter externus nehmen ab.

Stuhlinkontinenz z 123

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z Ursachen der Stuhlinkontinenz

Die Ursachen lassen sich einteilen inz lokale anatomische und sensomotorische Störungen,z Störungen der nervalen und psychischen Kontrolle,z funktionelle Störungen durch veränderte Stuhlkonsistenz,z Probleme mit der Mobilität und dem Zugang zur Toilette (Tabelle 9.4).

Eine typische und leicht behebbare Ursache der Stuhlinkontinenz bei Älterenist die Koprostase: Im Rektum sammeln sich bei reduzierter Sensibilität Kot-ballen (Skybala). Die Dehnung überfordert den Kontinenzmechanismus fürweicheren, daran vorbei fließenden Stuhl. Die Diagnose wird durch eine ein-fache digitale rektale Untersuchung gestellt. Die Therapie besteht in einermanuellen Stuhlausräumung und Abführmaßnahmen (z.B. hoher Einlauf).Zur Prophylaxe ähnlicher Zustände sollten die Ursache geklärt, soweitmöglich beseitigt (z. B. obstipierende Medikamente wie Verapamil oder Opia-te, ungenügende Trinkmenge, Bewegungsmangel, Parkinson-Erkrankung,Tumor etc.) und/oder regelmäßige Abführmaßnahmen getroffen werden.

z Diagnostik

Stuhlinkontinenz ist peinlich und wird selten freiwillig erwähnt. Die Anam-nese umfasst daher Fragen nach Defäkationsfrequenz, Häufigkeit und Men-ge der Stuhlinkontinenz und Beginn der Inkontinenzsymptome. Zur Ursa-chenabklärung wird gezielt nach den Konditionen in Tabelle 9.4 gefragt,außerdem nach der Wahrnehmung von Stuhldrang oder unwillkürlichenStuhlabgängen und der Abhängigkeit von bestimmten Speisen.

Die klinische Untersuchung umfasst:z Inspektion (mit und ohne Pressen): Hautzustand, Narben, Hämorrhoi-

den Grad 2–4, Marisken, Anal- oder Rektumprolaps, Rektozele, Analfis-sur (bei 6 Uhr in Steinschnittlage), Fisteln;

z Prüfung der perianalen Sensibilität, Analreflex;z rektaler Tastbefund: Sphinktertonus in Ruhe und bei willkürlicher Kon-

traktion, Schleimhaut glatt? Resistenzen, Analfissur (Schmerz in der Re-gel bei 6 Uhr in Steinschnittlage), Stuhlkonsistenz und -menge.

Nur selten sind bei gezielten Fragestellungen weitere Untersuchungen erfor-derlich:z Abdomensonographie oder Röntgen-Abdomen-Übersicht: Koprostase

mit Stuhl im Sigma/oberen Retum;z Rektosigmoidoskopie oder Koloskopie: Tumor, Kolitis unterschiedlicher

Ursache (z. B. durch Clostridium difficile, ischämisch), nicht berichteterLaxanzienabusus;

z 9 Inkontinenz124

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z anorektale Manometrie: Quantifizierung des Sphinktertonus in Ruhe undbeim Pressen, Beurteilung der anorektalen Sensorik und Compliance [9];

z Elektromyographie: neuromuskuläre Schädigung von N. pudendus undM. sphincter ani externus (z.B. durch Geburtstrauma) [9];

z Endosonographie: Defekte im M. sphincter ani internus oder externus[4], Eindringtiefe und Lymphknotenbefall bei Rektumkarzinom;

z endoanales MRT: Defekte im M. sphincter ani internus oder externus[4], Eindringtiefe und Lymphknotenbefall bei Rektumkarzinom;

z Defäkogramm (röntgenologische Darstellung des Defäkationsvorgangsmit Barium-Paste) zur Darstellung eines inneren Rektumprolapses (In-tussuszeption) oder einer Rektozele [4], selten zur präoperativen Diag-nostik verwendet.

Stuhlinkontinenz z 125

Tabelle 9.4. Ursachen der Stuhlinkontinenz

Lokale anatomische und sensomotorische Störungenz Traumata (z. B. Geburt)z Operationen (z. B. Dilatation, Sphinkterotomie, Hämorrhoidenoperation mit ausgedehnter

Resektion der sensiblen Analhaut, Fistelchirurgie, tiefe Anastomose nach Rektumresektion)z Rektum- und Analprolaps, Rektozelez Zustand nach Radiatioz Marisken, Analfissurz Proktokolitisz Neoplasien (z. B. Rektum- und Analkarzinom)

Störungen der nervalen und psychischen Kontrollez Nervenverletzungen (Prostataoperation, Geburtstrauma)z Polyneuropathien (z. B. Diabetes mellitus)z Rückenmarksläsionen (z. B. Querschnitt)z Demenzz Delirz Schwere Depressionz Apoplexz Encephalomyelitis disseminata

Funktionelle Störungen durch veränderte Stuhlkonsistenzz Koprostase, Skybalaz Diarrhö unterschiedlicher Ursache (z. B. Kolitis, antibiotikaassoz. Diarrhö, pseudomembranöse

Kolitis durch Clostridium difficile etc.)z Abführmittel, Nahrungszusätze wie Sorbit oder Mannit, magnesiumhaltige Antazida

Probleme mit dem Zugang zur Toilettez Orientierungsstörung (z. B. durch Demenz)z Fehlende Toilettez Gangstörung (z. B. durch Apoplex, Arthrose, Morbus Parkinson)

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z Therapie

Ziel der Behandlung ist eine planbare Defäkation zu passender Zeit. Dazukann eine Regulierung der Stuhlkonsistenz erforderlich sein. Die kurative Be-handlung fassbarer Ursachen (z.B. Therapie einer Koprostase, einer Clostri-dienkolitis oder Operation eines Rektumkarzinoms) hat Vorrang vor einersymptomatischen Therapie. Wenn Stuhldrang wahrgenommen wird und die-ser nicht bis zur Toilette gehalten werden kann (Urgesymptomatik), genügenmanchmal Hilfsmittel wie ein Toilettenstuhl oder leicht zu öffnende Klei-dung. Eine Markierung der Toilette ist für manche Demenzkranke hilfreich.

Ist die Stuhlinkontinenz durch eine Diarrhö bedingt und eine behandel-bare Ursache dafür ausgeschlossen, so lassen sich Stuhlfrequenz und Zahlder Inkontinenzepisoden durch Loperamid verringern [2]. Loperamid ent-faltet seine antidiarrhoische Wirkung über eine Verminderung der Peristal-tik und eine erhöhte Wasserabsorption mit Reduktion des Stuhlgewichts.Der Ruhedruck des Analsphinkters wird geringfügig erhöht, die anorektaleCompliance verbessert. Gegenüber anderen obstipierend wirkenden Sub-stanzen wird es wegen seiner großen therapeutischen Breite bevorzugt. DieDosierung erfolgt einschleichend, beginnend mit 2–4 mg täglich oder 2 mgnach jedem dünnflüssigen Stuhl. Potenzielle Nebenwirkungen sind Obsti-pation, Bauchschmerzen, Übelkeit, Müdigkeit und Schwindel.

Interessant sind Studien mit lokal applizierten Medikamenten, die zu ei-ner Erhöhung des Sphinktertonus führen (z.B. Phenylephrin-Gel). Die kli-nischen Resultate sind bisher jedoch widersprüchlich, und die Substanz istzur Behandlung der Stuhlinkontinenz in Deutschland nicht zugelassen [3].Auch minimal-invasive Maßnahmen wie die Injektion von Silikon oder dieSakralnervenstimulation über perkutan eingebrachte feine Drahtelektrodensind noch unzureichend erforscht [5].

Motivierte und kognitiv kompetente Personen können durch regelmäßi-ge Beckenbodengymnastik den M. sphincter ani externus und die Becken-bodenmuskulatur trainieren. Ein biofeedbackgesteuertes Training, bei demauch die Wahrnehmung rektaler Dehnungsreize geübt wird, führt angeblichzu besseren Resultaten als die Beckenbodengymnastik alleine [9, 11].Voraussetzung ist eine vorhandene anale Restsensibilität und eine zumin-dest geringe willkürliche Kontraktionsfähigkeit des M. sphincter ani exter-nus, was sich bei der rektalen Untersuchung prüfen lässt. Zu beiden Thera-pieformen gibt es allerdings kaum methodisch einwandfreie Studien [7].Dasselbe gilt für ein passives Training des Schließmuskels durch Elektrosti-mulation [9].

Bei gestörter nervaler und psychischer Kontrolle, z. B. bei Demenzkran-ken, hilft teilweise ein Verhaltenstraining mit dem Ziel einer täglichen De-fäkation morgens nach dem Frühstück. Bei Bedarf können dafür auch Ab-führmittel eingesetzt werden.

Nur selten kommt bei geriatrischen Patienten mit nachgewiesenen De-fekten im M. sphincter ani externus eine operative Sphinkterrekonstruktion(anal repair) in Frage. Auch die operative Raffung der Puborektalisschlinge

z 9 Inkontinenz126

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mit dem Ziel, den anorektalen Winkel zu verstärken (post anal repair) oderausgedehnte, potenziell komplikationsträchtige und nachbehandlungsinten-sive Sphinkter-Ersatzoperationen (z.B. Grazilisplastik) [4] sind bei geriatri-schen Patienten in der Regel nicht indiziert.

Ist die Stuhlinkontinenz therapieresistent, so erhöhen regelmäßig ge-wechselte saugfähige Windeln den Komfort für den Patienten und minderndas Riskio einer schmerzhaften Hautmazeration. Als Hautschutz hilfreichsind zinkoxydhaltige Externa (z.B. Zinkpaste) oder Flüssigkeiten aus Poly-meren, die nach Einpinseln der Haut einen Schutzfilm bilden (z.B. Cavi-lon). Ausgedehnte, therapieresistente Hautmazerationen, die als Ultima ra-tio die Anlage eines Anus praeters erforderlich machen, sollten sich damitvermeiden lassen.

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z 9 Inkontinenz128

Page 140: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Begriffsbestimmung

Demenz (lat. dementia: Unsinn, Wahnsinn) ist ein Syndrom, das die krank-hafte, subakute oder chronische Verschlechterung der individuellen kogni-tiven Leistungen bezeichnet. Dabei werden zur Diagnosestellung die Betrof-fenheit von mindestens zwei kognitiven Teilbereichen gefordert. Diese Teil-bereiche können beispielsweise Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Sprache, visu-ell-räumliche Leistungen oder sogenannte exekutive Funktionen (Entschei-dungsfindung, Planen) betreffen.

Die kognitiven Einschränkungen müssen mit dem täglichen Leben desBetroffenen interferieren und über einen Zeitraum von mindestens 6 Mona-ten bestehen. Eine Bewusstseinsstörung darf, zur Abgrenzung gegenüberVerwirrtheitszuständen, nicht vorliegen. Darüber hinaus bestehen bei denBetroffenen vor allem in fortgeschritteneren Stadien einer Demenz Verhal-tensauffälligkeiten und Veränderungen der Persönlichkeit.

Im Bereich der Forschung wird versucht, die Alzheimer-Erkrankung be-reits früher anhand der Kombination von Positivkriterien zu erfassen [2].

Häufigkeit und praktische Relevanz

z Epidemiologische Daten

Die Prävalenz demenzieller Erkrankungen bei Personen zwischen 65 und70 Jahren wird zwischen 1 und 4% angegeben. Dabei verdoppeln sich in-nerhalb der Gruppe der über 65-Jährigen die Prävalenzraten etwa alle 5 Le-bensjahre, das heißt, für die BRD wird der Anteil der Demenzkranken beiüber 90-Jährigen auf etwa 35% geschätzt. In Deutschland wird zur Zeit miteiner Anzahl von ca. 950000 Demenzkranken gerechnet (Übersicht bei [1]).Demenzen bei Patienten unter 65 Jahren sind seltener und müssen ver-mehrt an symptomatische, reversible und primär genetische Ursachen den-ken lassen.

Demenzen10

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Der Anteil der Patienten mit einer Alzheimer-Erkrankung innerhalb derGruppe der an Demenz Leidenden beträgt als größte Gruppe ca. 60–70%,der der Patienten mit vaskulärer Demenz als zweitgrößte Gruppe ca. 15%.Der Anteil der sog. „gemischten“ Formen mit Alzheimer-typischen Verän-derungen und vaskulären Veränderungen des Gehirns wird in letzter Zeithöher eingeschätzt als früher.

Aufgrund der demographischen Entwicklung ist mit einer Zunahme derDemenzerkrankungen zu rechnen. Die Hochrechnungen divergieren stark,u. a. aufgrund unterschiedlicher Annahmen zur Effektivität von präventivenund therapeutischen Maßnahmen.

Die Lebenserwartung dieser Patienten ist deutlich eingeschränkt. DieSterberaten sind um das 2- bis 5fache erhöht. Die durchschnittliche Dauereiner Alzheimer-Erkrankung wird mit 9–12 Jahren angegeben [7]. DiePrognose bei vaskulärer Demenz ist tendenziell schlechter.

z Entwicklung kognitiver Fähigkeiten mit zunehmendem Alter

Hohes Alter ist einer der Hauptrisikofaktoren für die Entwicklung einerDemenz. Das Gehirn ist, wie alle anderen Organe des Köpers auch, vomAlterungsprozess betroffen. Die sog. Kontinuitätshypothese, die einennatürlichen Übergang von einem relativ gesunden zu einem kranken Alternnahe legt, ist weit verbreitet. Ob sich – bei theoretisch unbegrenztem Le-bensalter – bei jedem Menschen eine degenerative Demenz, wie z.B. eineAlzheimer-Erkrankung, einstellen würde, ist umstritten. Den Veränderun-gen intellektueller Fähigkeiten mit zunehmendem Alter wurde in unter-schiedlichen Konzepten Rechnung getragen. So scheint mit zunehmendemAlter „fluide“ Intelligenz – d.h. problemlösendes Denken in neuen Situatio-nen betreffende Intelligenz – nachzulassen, wohingegen „kristalline“ Intelli-genz – die häufig praktizierte, z.B. verbale Fähigkeiten beschreibt – bis inshohe Alter hinein konstant zu bleiben scheint. Ohne Zweifel laufen kogni-tive Prozesse bereits bei einem 70-Jährigen durchschnittlich langsamer abals bei einem 20-jährigen Menschen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass siequalitativ gestört sind [4].

Die Unterscheidung zwischen altersbedingten Einschränkungen der Kog-nition und einer beginnenden demenziellen Erkrankung ist schwer zu tref-fen. Zahlreiche diagnostische Termini wurden entwickelt, um Patienten inder „diagnostischen Grauzone“ zwischen Altern und Demenz zu beschrei-ben. Am gebräuchlichsten ist der Terminus des „mild cognitive impair-ment“ (MCI), der Patienten beschreibt, die isolierte, über das Altersmaß hi-nausgehende Einschränkungen des Gedächtnisses („amnestic MCI“) aufwei-sen. Der Anteil dieser Patienten, die später eine Demenz entwickeln, istdeutlich erhöht.

z 10 Demenzen130

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Diagnostische Hinweise und Differenzialdiagnostik

z Anamnese

Im Rahmen der Anamneseerhebung offenbart sich bei Demenzkrankenhäufig eine Anosognosie, d.h. eine Unfähigkeit in der Wahrnehmung dereigenen Krankheit. Diese kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein undkorreliert schlecht mit der Einschränkung der Kognition insgesamt. Klagenüber ein nachlassendes Gedächtnis im Alter sind umgekehrt aber in jedemFall ein Warnsymptom im Hinblick auf die Entwicklung einer Demenz, wo-bei in diesen Fällen auch auf eine depressive Symptomatik zu achten ist.

Unerlässlich ist die Fremdanamnese durch einen nahen Angehörigen,wobei zu beachten ist, dass Patienten mit beginnenden demenziellen Er-krankungen in gewohnter Umgebung oft nur wenige Auffälligkeiten zeigen.Daher sollte auch das Verhalten in fremder Umgebung oder bei besondererBeanspruchung (Autofahrt durch eine fremde Stadt, neue Aufgabe im Berufetc.) erfragt werden. Bei der Fremdanamnese sind möglichst der Beginnder Symptome konkret an Beispielen zu erfragen und die Dynamik des Ge-schehens (eher langsam progredient oder plötzlicher Beginn mit stu-fenförmigem Verlauf) zu eruieren. Plötzliche Verschlechterungen könnenauf vaskuläre Ursachen hinweisen, eine rasche Progredienz über Wochenauf Stoffwechsel- oder Infektionskrankheiten.

Ferner wichtig sind Begleitsymptome wie Gangunsicherheit, vermehrteUnbeweglichkeit und Blasenstörungen als mögliche Hinweise auf zugrundeliegende Ursachen (s. u.) und die Frage nach Schlafstörungen und depressi-ver Verstimmung sowie nach eingenommenen Medikamenten (Schlafmit-telüberhang? Betablocker? Anticholinerge Nebenwirkungen?) und Alkohol-sowie Substanzmissbrauch.

Die Familienanamnese im Hinblick auf demenzielle Erkrankungen undvaskuläre Ereignisse ist ebenso wichtig wie die Sozialanamnese (hoher Bil-dungsstand mit etwas geringerem Demenzrisiko, Versorgungssituation zu-hause).

z Körperliche Untersuchung

Zu jeder Demenzdiagnose gehört eine medizinische, neurologische und psy-chiatrisch-klinische Beurteilung. Bei der medizinischen Untersuchung istinsbesondere auf vaskuläre Risikofaktoren zu achten (Rhythmusstörungen,Vitien, Blutdruckregulationsstörungen, Durchblutungsstörungen der Extre-mitäten) sowie auf Zeichen der Leber- oder Niereninsuffizienz. Bei der neu-rologischen Untersuchung sollte auf folgende Symptome geachtet werden:z Tonuserhöhungen der Muskulatur und Reflexdifferenzen (Hirninfarkte,

zerebraler Tumor),

Diagnostische Hinweise und Differenzialdiagnostik z 131

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z Parkinson-Syndrom (Lewy-Körperchen-Demenz, progressive supranukleä-re Blickparese – asymmetrisch bei kortikobasaler Degeneration),

z Gangstörungen (Normaldruckhydrozephalus oder Parkinson-Syndrome,s. o.),

z aphasische Symptome (Wortfindungsstörungen bei Morbus Alzheimer,Broca-Aphasie-ähnliche Symptome bei frontotemporaler Demenz),

z Primitivreflexe (z.B. Schnauzreflex bei frontotemporaler Demenz),z weitere neurologische Hinweissymptome (vertikale Blickparese bei pro-

gressiver supranukleärer Blickparese, Myoklonien bei Creutzfeld-Jakob-Erkrankung).

Die Psychopathologie umfasst insbesondere Hinweise auf depressive Symp-tome, visuelle Halluzinationen (Lewy-Körperchen-Demenz) und Enthem-mung bei frontotemporalen Demenzen.

z Neuropsychologische Testverfahren, kognitive Profile

Neuropsychologische Untersuchungsverfahren stellen weiterhin die zentraleUntersuchung bei der Diagnosestellung einer Demenz dar. Neben Diagno-sestellung und Schweregradeinschätzung kann das neuropsychologischeSpektrum der Ausfälle Hinweise auf die zugrunde liegende Erkrankung ge-ben. Screening-Verfahren können von Ärzten durchgeführt werden. Einedetailliertere Untersuchung sollte Neuropsychologen vorbehalten bleiben.Wichtig sind bei der Testung eine ungestörte Atmosphäre und die Be-obachtung der Motivation und der Mitarbeit des Probanden.

z Screening-Verfahren

z Uhrentest: Zeichnen einer Uhr, anschließend Einzeichnen der Zeiger auf„10 nach 11“. Beobachtung der Vorgehensweise. Prüft Planung, visuellräumliche Orientierung, konzeptuelles Denken und Perseverationen; gibtggf. Anhalt für die Umsetzung von Zeit-Ziffer-Relationen.Aufschlussreich sind die Beobachtung des Vorgehens beim Zeichnen so-wie die „Gestalt“ der gezeichneten Uhr. Zahlreiche Beurteilungssystemeexistieren, z.B. nach Shulman, angelehnt an Schulnoten: 1= fehlerlos,6=keine Uhr erkennbar (siehe Anhang).

z Die sog. DEMTECT-Testbatterie enthält eine Auswahl von Tests zur Un-tersuchung der insbesondere beim Morbus Alzheimer frühzeitig betrof-fenen kognitiven Systeme: eine Wortliste zur Prüfung des verbalen Ge-dächtnisses mit verzögertem Abruf, eine Wortgenerierungsaufgabe, einenTest der rückwärts gerichteten Aufmerksamkeitsspanne (sog. Arbeits-gedächtnis) und eine Transkodierungsaufgabe zur Umwandlung vonZahlen in Wörter und umgekehrt [6].

z 10 Demenzen132

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z „Mini-mental-state“-Test: Sehr weit verbreiteter Screening-Test (s. An-hang). Geringer Gedächtnisanteil. Die Sensitivität/Spezifität bei einemCut-off-Wert von <26/30 Punkten liegt für die Alzheimer-Erkrankungbei ca. 74/100% [8].

Als detaillierterer Test hat sich – insbesondere in Hinblick auf die Alzhei-mer-Erkrankung – die CERAD-Batterie („consortium to establish a registryfor Alzheimer disease“) durchgesetzt. Je nach Auffälligkeiten werden weitereTests durchgeführt.

z Weiterführende Untersuchungen

Zu jeder Demenzdiagnostik gehört eine zerebrale Bildgebung, insbesonderezur Beurteilung vaskulärer Veränderungen und zum Ausschluss von Raum-forderungen. Die cMRT (kraniale Magnetresonanztomographie) ist auf-grund höherer Sensitivität für chronisch-vaskuläre Prozesse, bessererstruktureller Auflösung, möglicher koronarer Schnittführung zur Beurtei-lung der Hippocampusregion sowie fehlender Strahlenbelastung gegenübereiner CCT (kraniale Computertomographie) trotz der etwa doppelt so ho-hen Kosten vorzuziehen.

Eine funktionelle Bildgebung wie SPECT (Single-Photon-Emissionscom-putertomographie) und insbesondere die PET (Positronenemissionstomo-graphie) kann bei schwierigen Differenzialdiagnosen hilfreich sein. Diefunktionelle cMRT zur Diagnostik demenzieller Erkrankungen ist bishernicht etabliert.

Laboruntersuchungen dienen insbesondere der Diagnose „sekundärer“,oft reversibler Demenzerkrankungen. Obligate Laboruntersuchungen beiDemenzverdacht umfassen:z Differenzialblutbild,z BSG,z Transaminasenaktivitäten,z Harnstoff-/Kreatininkonzentration,z Elektrolytwerte,z Glukose- und HbA1c-Wert,z Vitamin-B12-Spiegel,z Folsäurekonzentration,z Luesserologie,z ggf. HIV-Serologie.

Bei besonderen Verdachtsmomenten können ergänzend wichtig sein: Coeru-loplasminkonzentration (erniedrigt bei Morbus Wilson), Parathormonspiegel(Hyperparathyreoidismus), Homocysteinkonzentration (Nüchternabnahme;u. a. vaskulärer Risikofaktor), Thiaminspiegel (Korsakow-Syndrom), anti-nukleäre Antikörper, Granulozyten-Zytoplasma-Antikörper (ANCA; Vaskuli-tiden), Liquoruntersuchungen (Ausschluss Enzephalitis, Protein 14-3-3 bei

Diagnostische Hinweise und Differenzialdiagnostik z 133

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Creutzfeld-Jakob-Erkrankung, Liquor-PCR Tropheryma whipplei bei MorbusWhipple etc.). Zunehmend an Bedeutung gewinnt die Bestimmung von Tau-Protein und Beta-Amyloid 1-42 aus dem Liquor bei Verdacht auf Morbus Alz-heimer (Wert für Tau-Protein erhöht, für Amyloid 1-42 erniedrigt).

Das Vorliegen eines �4-Allels auf dem Apo-E-Gen (Chromosom 19) istmit einem früheren Krankheitsbeginn assoziiert. Eine Apo-E-Genotypisie-rung als Baustein zur Diagnosestellung des Morbus Alzheimer wird zumjetzigen Zeitpunkt jedoch nicht empfohlen.

Genetische Analysen (z. B. bei familiären Alzheimer-Erkrankungen, Cho-rea Huntington, CADASIL [= cerebrale autosomal-dominante Arteriopathiemit subkortikalen Infarkten und Leukenzephalopathie]) sollten nur beihochgradigem Verdacht auf eine familiäre Demenzerkrankung in Erwägunggezogen werden und an eine genetische Beratung gekoppelt sein.

z Algorithmus zum Vorgehen bei Verdachtauf demenzielle Erkrankung

Klage über nachlassende kognitive Leistungsfähigkeit oder Persönlichkeitsveränderungen�

Ausführliche Anamnese und Fremdanamnese: u. a. zeitliche Dynamik,typische Manifestation im Alltag, Verhalten und Stimmung? Familienanamnese?Zusatzerkrankungen? Medikation?

�Körperliche, neurologische und psychiatrische Untersuchung

�Neuropsychologische Testung:1. Screeningtest, z. B. Mini-Mental-Status oder DEMTECT2. Bei auffälligem Ergebnis oder weiter bestehendem Demenzverdacht

ausführliche Testung durch einen Neuropsychologen.Spektrum der kognitiven Einbußen?

�Diagnosestellung eines demenziellen Syndroms

�Laboruntersuchungen und Bildgebung des Gehirns

�Exakte Diagnose, z. B.:z Verdacht auf Alzheimer-Erkrankungz Vaskuläre Demenz (mit jeweiliger Unterform)z sog. „Mischdemenz“z andere Demenzformen, z. B. frontotemporale Demenz, Lewy-Körperchen-Demenz,

progressive supranukleäre Blickparese, Demenz bei Vitamin-B12-Mangel etc.

z 10 Demenzen134

Page 146: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Therapie

z Allgemeine Maßnahmen

In den Anfangsstadien einer Demenz, insbesondere der Alzheimer-Erkran-kung, können Gedächtnishilfen (Uhr, Tagebuch, elektronische Erinnerungs-hilfen) nützlich sein. Kognitive Aktivierungen zur Nutzung der vorhande-nen Fähigkeiten in Form von Ergo-, Musik- und Bewegungstherapie sindmotivierend und wirken sich auf Verhaltensstörungen günstig aus, zumalinsbesondere bei der Alzheimer-Erkrankung prozedurale Gedächtnisleis-tungen, zum Beispiel motorische Lernvorgänge, lange Zeit erhalten sind[9]. Die Wirksamkeit von zweimal wöchentlich über 10 Wochen durch-geführter Ergotherapie auf die Verbesserung der Alltagsbewältigung über 3Monate konnte erstmalig belegt werden [3]. Auch das Einüben von regel-mäßigen Tätigkeiten wie Toilettengängen sowie computergestütztes Orien-tierungstraining kann nützlich sein. Eine kognitive Stimulation 2- wöchent-lich für je 45 min über 7 Wochen erbrachte in einer Studie mit über 200Demenzkranken deutliche kognitive Übungseffekte [10]. Auch ein intensi-ves Multimediatraining zeigte positive Effekte [11]. Für die Patienten oftfrustrierend wirkt sich jedoch explizites Gedächtnistraining aus, dessentherapeutischer Effekt zweifelhaft ist.

Weiterhin wichtig sind eine Konstanz der Betreuungspersonen, ein festerTagesrhythmus, Strukturierung und Gestaltung der Umgebung mit Orien-tierungshilfen und Rückzugsmöglichkeiten [12] sowie geeignete Kommuni-kationstechniken wie „integrative Validation“.

z Spezifische Therapieansätze

Die Anwendung spezifischer Therapieansätze hängt von der jeweiligen De-menzerkrankung ab. Tabelle 10.1 soll einen Überblick über die häufigerenDemenzerkrankungen und deren medikamentöse Therapie geben.

Auf zahlreiche, v. a. seltenere (z.B. durch Syphilis, Hypothyreose, Hashi-moto-Enzephalopathie, Vitamin-B12-Mangel, Creutzfeld-Jakob-Erkrankung,kortikobasale Degeneration oder Morbus Whipple bedingte) oder umstrit-tene Demenzformen wie bei der Alkoholenzephalopathie wird nicht einge-gangen.

Weitere diagnostische und therapeutische Hinweise finden sich u. a. in denLeitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (http://www.dgn.org).Hilfe für Patienten und Angehörige sind u.a. auf der Website der DeutschenAlzheimergesellschaft (http://www.deutsche-alzheimer.de) erhältlich; dortgibt es auch telefonisch Hilfe (Tel. 0 1803-17 1017).

Therapie z 135

Page 147: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

z 10 Demenzen136

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Page 148: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

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Page 149: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

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Literatur z 139

Page 151: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Begriffsbestimmung

Unter Verwirrtheitszuständen und Delirien, die nicht durch Alkohol oderpsychotrope Substanzen ausgelöst werden, versteht man in Anlehnung andie ICD-10 F05 ätiologisch unspezifische hirnorganische Syndrome, diedurch die folgende, gleichzeitig bestehende Symptomatik gekennzeichnetsind:z Störung der Aufmerksamkeit und des Bewusstseins,z globales kognitives Defizit,z Störungen der Psychomotorik, dementsprechend sowohl hyperaktive als

auch hypoaktive klinische Erscheinungsbilder,z Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus,z emotionale (affektive) Störungen.

Im deutschen Sprachraum wird der Begriff des Delirs in der Regel vomVerwirrtheitszustand abgegrenzt durch zusätzlich bestehendez produktiv-psychotische Elemente wie Halluzinationen undz vegetative Störungen.

Der Begriff Delir wird zumeist auf durch Intoxikationen und Substanzent-zug bedingte Störungen angewandt.

Die Diagnosestellung eines Verwirrtheitszustandes wird klinisch anhandder obigen Kriterien gestellt. Mehrere Assessmentinstrumente wurden vali-diert. Im deutschen Sprachraum sind die NEECHAM-Skala zur Erfassungverwirrter Patienten und die CSE (Confusional State Evaluation) übersetztund verbreitet (Übersicht bei [6]). Die globale Aufmerksamkeitsstörung istdas Kardinalsymptom des Verwirrtheitszustandes [5]. Die anderen kogni-tiven Defizite gehen wahrscheinlich darauf zurück.

Die Entität des Verwirrtheitszustandes im o.g. Sinn subsummiert andere,in der psychiatrischen Literatur gebräuchliche Begriffe, so den „akutenexogenen Reaktionstyp“ (Karl Bonhoeffer), „hirnorganische“ und „psycho-organische“ Syndrome sowie die Psychose bei Infektionskrankheiten. DerVerlauf ist oft fluktuierend, zumeist bestehen Verwirrtheitszustände überStunden und Tage, aber auch ein deutlich längerer Verlauf ist möglich.

Verwirrtheitszuständeund Delirien

11

Page 152: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Häufigkeit und praktische Relevanz

Die Inzidenz von Verwirrtheitszuständen und Delirien, die sich bei älteren,hospitalisierten Patienten entwickelt, wird zwischen 10 und 20% angege-ben.

Die angegebenen Zahlen beziehen sich jedoch auf klinische Studien mitgezielter Untersuchung, wohingegen im Klinikalltag davon ausgegangenwird, dass bis zu 2/3 der Verwirrtheitszustände/Delirien nicht erkannt wer-den [4]. Bei Verwirrtheitszuständen hospitalisierter Patienten wird in überder Hälfte der Fälle von einer beginnenden oder zugrundeliegenden De-menz ausgegangen. Das Risiko, bei einer vorliegenden Demenzerkrankungeinen Verwirrtheitszustand zu entwickeln, ist um das 2- bis 5fache erhöht.Zahlreiche Faktoren prädisponieren zur Entwicklung eines Verwirrtheits-zustandes, Alter ist einer der wichtigsten. Eine Übersicht gibt Tabelle 11.1.Verwirrtheitszustände im Krankenhaus ziehen im Durchschnitt einen län-geren Krankenhausaufenthalt, eine höhere Mortalität und eine erhöhte Ratean Wiederaufnahmen ins Krankenhaus nach sich [7].

Häufigkeit und praktische Relevanz z 141

Tabelle 11.1. Die 10 wichtigsten prädisponierenden Faktoren für Verwirrtheitszustände (Intoxi-kationen und Alkoholentzug ausgenommen)

z Alterz Demenzz Komorbiditätz Operation (peri- oder postoperativ), besonders Notfalloperationen

und Operationen mit nachfolgender längerer Immobilisationz Depressionz Medikamente [2], insbesondere:

– Kombination mehrerer Medikamente– Antidepressiva (v. a. trizyklische Antidepressiva)– Neuroleptika (anticholinerg, �-Blockade mit Blutdruckabsenkung)– Lithium– Benzodiazepine– Dopaminagonisten– H2-Blocker (z. B. Cimetidin und Ranitidin)– Antiepileptika (alle)

z Infektz Störungen im Elektrolyt- und Wasserhaushaltz Hör-/Sehstörungenz Umgebungsfaktoren: Isolation, Umgebungswechsel

Page 153: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Diagnostische Hinweise und Differentialdiagnostik

Eine große Anzahl verschiedener Grunderkrankungen können zu einer kli-nisch ähnlichen symptomatischen Endstrecke führen. Nach Lipowski [3]kann man zerebrale, extrazerebrale, exogen-toxische und entzugsbedingteUrsachen unterscheiden.

Zahlreiche zerebrale Ursachen wie Hirninfarkte, subdurale Hämatome,Schädel-Hirn-Traumata und raumfordernde Läsionen zeigen i. d.R. fokal-neurologische Ausfälle, und die kognitive Störung ist spezifischer. Sokönnen z.B. transkortikal-sensorische oder Wernicke-Aphasien als Ver-wirrtheitszustand missgedeutet werden. Bei zerebralen Läsionen ohne fo-kal-neurologische Zeichen, wie z.B. Enzephalitiden, ist die klinische Diag-nose schwieriger. Eine CMRT- oder CCT-Untersuchung des Gehirns und ei-ne Liquorpunktion sind bei Verdacht nötig. Extrazerebrale Ursachen um-fassen vor allem internistische Erkrankungen wie hypertensive Enzephalo-pathie, metabolische Störungen, Nieren-/Leberinsuffizienz oder Elektroly-tentgleisungen. Auf Intoxikationen wird aus Platzgründen nicht eingegan-gen, die Symptomatik, Diagnostik und die Therapie des Alkoholentzugs-delirs zeigt Tabelle 11.2.

Praktisches Vorgehen

z Anamnese/Fremdanamnese.z Klinisches Bild (s. o.) mit subakutem (Stunden bis Tage) Beginn und oft

fluktuierendem Verlauf, Aufmerksamkeitsstörungen mit Desorientiertheitund Ablenkbarkeit, gestörtem formalen Denkablauf, wechselnder Be-wusstseinslage, Antriebssteigerung mit Nesteln und Unruhe, aber auchhypoaktive Bilder mit Rückzug, Apathie und Ängstlichkeit möglich. Hal-luzinationen möglich.

z Ausschluss neurologischer Herdsymptomatik,z Bed-side Tests:

– Orientierung zu Zeit (ein Tag Abweichung normal), Ort, Situationund Person.

– Aufmerksamkeit: Monate vorwärts schnellstmöglich: höchstens 8 s,Monate rückwärts (Arbeitsgedächtnis) höchstens 16 s, Aufmerksam-keitsspanne rückwärts (Zahlenfolge vorsagen, Patient soll Zahlenfolgerückwärts wiedergeben): auch im Alter noch 4 Zahlen möglich. Pa-tienten mit Verwirrtheitszustand schneiden schlechter ab, sind ab-lenkbar und perseverieren.

z 11 Verwirrtheitszustände und Delirien142

Page 154: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Praktisches Vorgehen z 143

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Page 157: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

z Labordiagnostik: Glukose, Blutbild, Elektrolyte, Nieren- und Leberwerte,CRP, ggf. toxikologische Untersuchungen, Ammoniak.

z Bei jeglichem Zweifel an der Diagnose (keine ausreichende Erklärung,anamnestische Lücken, neurologische Herdsymptomatik):– CCT– EEG– Liquorpunktion

z Jeder Verwirrtheitszustand ist eine Indikation zur stationären Aufnahme!

Therapie (siehe auch Tabelle 11.2)

z Behandlung zugrunde liegender Ursachen (Dehydratation, Infekt); oftmultifaktoriell.

z Neuroleptika, z.B. 10–50 mg Melperon, (Cave: Hypotonie!) Bei starkerpsychotisch-halluzinatorischer Symptomatik Haloperidol 0,5–1 mg i.v.,ggf. auch i.m. oder oral (i.v. seltener extrapyramidal-motorische Neben-wirkungen), alternativ Risperidon 1–2 mg oral, ggf. wiederholen.

z Insbesondere bei Entzugsdelirien und stark ängstlich getönter Sympto-matik: Benzodiazepine, z.B. Lorazepam 1–2 mg i.v. oder als Expedit-Tab-lette (Cave: Atemdepression!). Mit Flumazenil antagonisierbar.

Eine Übersicht über den Umgang mit verwirrten Patienten gibt Tabelle11.3.

z 11 Verwirrtheitszustände und Delirien146

Tabelle 11.3. Umgang mit verwirrten Patienten. (Nach [8])

Sicherstellen Vermeiden

z Orientierungshilfen (Begrüßung mit Namen,Kontinuität der Bezugspersonen, Seh- und Hörhilfen)

z Konfrontation/Streit mit Patient

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(Stürze, Immobilität, Übersedierung, Decubiti)z Einbindung von Angehörigen

Page 158: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Prävention

Die Prävention ist erwiesenermaßen effektiv bei älteren, hospitalisiertenPatienten mittels nichtpharmokogener Kontrolle folgender Faktoren [1]:1. Orientierungshilfen und kognitive Stimulation bei kognitiver Beeinträch-

tigung,2. Umgebungsruhe u.a.m. bei Schlafstörungen,3. frühe Mobilisation,4. ausreichende Hydratation,5. Hör- und Sehhilfen.

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Page 159: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

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z 11 Verwirrtheitszustände und Delirien148

Page 160: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Begriffsbestimmung

Als Hauptsymptome einer Depression gelten nach ICD-10 beim älteren Pa-tienten wie beim jüngeren:z eine depressive Verstimmung für die meiste Zeit des Tages,z deutlicher Verlust von Freude und Interesse, sowiez ein Gefühl des Energieverlusts und vermehrter Müdigkeit.

Häufige andere Symptome sindz Gefühle der Wertlosigkeit,z übermäßige Schuldgefühle,z reduzierter Appetit mit Gewichtsverlust,z verringerte Konzentrations- und Entscheidungsfähigkeit,z Schlafstörungen,z psychomotorische Verlangsamung, aber auch psychomotorische Unruhe

sowiez vermehrte Gedanken an den Tod bis hin zu konkreten Suizidplanungen.

Die Einteilung depressiver Störungen wird unterschiedlich nach Sympto-men, Schweregrad, Auslösern und Verlauf gehandhabt. Nach ICD-10 wer-den in erster Linie depressive Episoden mit unterschiedlichen Schweregra-den und Zusatzsymptomen, organisch-affektive Störungen, Dysthymien(chronifizierte, mildere Form) und Anpassungsstörungen mit depressiverReaktion unterschieden.

Häufigkeit und praktische Relevanz

Frauen sind auch in höherem Lebensalter häufiger von Depressionen be-troffen als Männer (Verhältnis ca. 2:1). Insgesamt sind depressive Episodenim höheren Lebensalter nicht häufiger als in anderen Altersgruppen. Nurca. 10% der Erstmanifestationen depressiver Episoden erfolgt nach dem 60.

Depression und Suizidalitätim Alter

12

Page 161: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Lebensjahr. Bei Älteren, die nicht in Alten- und Pflegeheimen leben oderhospitalisiert sind, liegt die Prävalenz schwerer Depressionen bei ca. 4%und damit nicht höher als bei jüngeren Menschen. Die Prävalenz leichtererFormen der Depression beträgt bei Älteren jedoch etwa 15%.

Noch höher wird der Prozentsatz depressiver Symptome bei Komorbidi-tät mit häufigen Erkrankungen wie Demenz, Diabetes mellitus, Herzinsuffi-zienz oder Morbus Parkinson, Anämie bei Vitamin B12-, Eisen- oder Fol-säuremangelzuständen, Hypothyreose, Addison-Syndrom, Leber-, Nieren-und Herzkreislauferkrankungen sowie bei Alkoholismus mit bis zu 50%angegeben. Umgekehrt scheinen depressive Symptome ein Risikofaktor fürkardiovaskuläre Erkrankungen zu sein und die Morbidität und Mortalitätbei Patienten mit koronarer Herzerkrankung zu erhöhen. Gerade aufgrunddieser bisher nicht geklärten komplexen Wechselwirkungen erfordert dieDiagnostik und Therapie von Depressionen im Alter eine besonders diffe-renzierte Vorgehensweise.

Zwei wesentliche Aspekte sind bei der Beurteilung depressiver Sympto-me älterer Menschen zu beachten. Depressionen älterer Menschen habenhäufig altersspezifische Auslöser. Hierzu zählen die Umstellung des sozialenUmfeldes mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses, ein vermehrter Verlustvon körperlicher und sozialer Selbstständigkeit und gehäufte Verluste vonPartnern, gleichaltrigen Freunden und Bekannten, die zu vermehrter see-lischer Belastung führen können. Die körperlichen Veränderungen im Alterbeeinflussen die psychischen Veränderungen stärker als in den mittlerenLebensjahren [14]. Des weiteren führen intrazerebrale Veränderungen, z.Bder cholinergen und monaminergen Neurotransmission („Monoaminman-gel-Hypothese“ und „Imbalance-Hypothese“), zu einem erhöhten Risikonegativer Selbstwahrnehmung und vermehrter Anfälligkeit für kognitiveund affektive Dysfunktion.

Dennoch kann das Vorurteil des „lebensmüden alten Menschen“ zumBeispiel nach den Ergebnissen der repräsentativen Berliner Altersstudienicht bestätigt werden. 70% der Teilnehmer an dieser Studie gaben an, dasGefühl zu haben ihr Leben selbst bestimmen zu können, und 94% der Be-fragten machten Pläne für die Zukunft. Das Thema Tod und Sterben hatteniedrige Priorität [16]. Während 23% der über 70-Jährigen eindeutig alspsychisch krank eingestuft wurden, haben weitere 16% psychopathologi-sche Symptome ohne und 17% solche mit Krankheitswert, dabei meist af-fektive Störungen [12].

Diagnostische Hinweise und Differentialdiagnose

Bei älteren ist die Phänomenologie der Depressionen heterogener als beijüngeren Menschen. Neben der Tatsache, dass häufig nicht das vollständigepsychopathologische Bild einer Depression vorliegt, ist die depressive He-

z 12 Depression und Suizidalität im Alter150

Page 162: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

rabgestimmtheit bei Älteren oft im Hintergrund; Gefühle der Gefühllosig-keit, Freudlosigkeit und ein defizitäres inneres Erleben sind hingegen vor-herrschend. Häufiger ist auch die Neigung zu Klagsamkeit, aber auch zuapathischem Rückzug. Depressive Episoden können nicht mehr so klar vonPhasen der Symptomfreiheit abgegrenzt werden, häufig sind auch depressi-ver Wahn und ein direkt oder indirekt selbstdestruktives Verhalten. DemHausarzt werden oftmals diffuse körperliche Beschwerden geschildert. Beibestehenden körperlichen Erkrankungen führt dies zu besonderen diagnos-tischen Problemen [29]. Häufig bestehen somatische Beschwerden wie Obs-tipation, Kopfschmerzen, Ohrgeräusche, Übelkeit oder Herzbeschwerden,die eine Zusatzdiagnostik zum Ausschluss einer anderen Ursache erfor-dern.

Trotz etwas erschwerter Anwendbarkeit im Alter werden Depressionenanhand internationaler Klassifikationssyteme diagnostiziert (ICD-10; DSM-IV). Zum Screening und für wissenschaftliche Fragestellungen werden psy-chometrische Verfahren wie die Geriatrische Depressionsskala (vgl. Anhang)und die Hamilton-Depressionsskala eingesetzt. Bei fehlenden kognitivenEinschränkungen kommen auch Selbstevaluationsverfahren wie das Beck-Depressionsinventar in Frage.

Bei geringem Zeitaufwand können geeignete Screeningfragen („WarenSie in den letzten Monaten oft niedergeschlagen, depressiv oder hoffnungs-los?“ oder „Hatten Sie in den letzten Monaten oft wenig Interesse und Ver-gnügen, etwas anzugehen oder zu unternehmen?“) mit einer Sensitivitätvon 97% und einer Spezifität von 67% für eine depressive Störung gestelltwerden [1]. Sie ersetzen jedoch nicht die ausführliche Eigen- und Fremda-namnese.

Differentialdiagnostisch sollte eine Depression von der Trauer um denVerlust eines nahen Menschen, aber auch eigener Fähigkeiten, Funktionenund Möglichkeiten abgegrenzt werden. Immer noch gilt die Feststellungvon Freud: „Bei der Trauer ist die Welt arm und leer geworden, bei derMelancholie ist es das Ich selbst“ [9]. Gemeinsam sind Trauer und Depres-sion Gefühle der Niedergeschlagenheit und Interesselosigkeit sowie Schlaf-störungen. Bei der Depression kommen jedoch selbstbezogene Symptomehinzu, wie Gefühle der Wert- und Hoffnungslosigkeit und eine starke psy-chomotorische Hemmung [14]. Andauernde Suizidgedanken mit Hand-lungsdruck sind auch nicht mit einer Trauerreaktion allein zu erklären.

Eine weitere, oftmals schwer zu treffende differentialdiagnostische Unter-scheidung ist die zwischen Depression und Demenz, denn leicht dementePatienten leiden oftmals unter depressivem Erleben ihrer Einschränkungenund Unzulänglichkeiten. Aus klinischer Perspektive gelten als Anhaltspunk-te für eine Depression ein eher rascher Beginn, anamnestisch erfragbareauslösende Belastungsfaktoren oder Lebensereignisse und eine interaktio-nell erhebbare Psychodynamik [29].

Diagnostische Hinweise und Differentialdiagnose z 151

Page 163: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Praktisches Vorgehen und Therapie

z Grundsätzliche Überlegungen

Die meisten depressiven älteren Patienten werden in der allgemeinärzt-lichen Praxis behandelt. Dabei werden Depressionen bei Älteren zu seltendiagnostiziert und häufig zu kurz und zu niedrig dosiert behandelt.

Einige grundsätzliche Regeln sind beachtenswert:z Besonders in der Hausarztpraxis ist es wichtig, an die Möglichkeit einer

Depression im Alter überhaupt zu denken. Die „diagnostische Leerstelle“bezeichnet ein Phänomen, bei dem der Arzt die geschilderten Beschwer-den nicht somatisch einzuordnen vermag, zu Verlegenheitsdiagnosenwie „vegetative Dystonie“ greifen möchte, sich aber nicht „traut“, an dasVorliegen einer Depression zu denken [17].

z Besondere Aufmerksamkeit sollten auch solche Patienten erhalten, diesich im Alter zunehmend sozial und psychisch zurückziehen, seltenerzum Arzt kommen, sich weniger über ihre Befindlichkeiten äußern, oh-ne explizit über depressive Symptome zu klagen [18].

z Der Patient sollte in diagnostische und therapeutische Entscheidungenmit einbezogen werden, da dies die Compliance und die therapeutischenErfolgsaussichten verbessert. Aufforderungen, „sich zusammen zu rei-ßen“, sind kontraproduktiv. Kleine therapeutische Fortschritte solltenauch benannt werden.

z Die Behandlung sollte besonders bei alten Menschen unter Berücksichti-gung anderer Erkrankungen bzw. Behinderungen und des sozialen Um-feldes erfolgen.

z Das Behandlungsziel ist die komplette Remission, da residuelle depressi-ve Symptome wiederum ein Risikofaktor für erneute depressive Episo-den sind.

z Wichtig ist auch, im Kontakt mit älteren, depressiven Patienten ein be-sonderes Gespür für ihre erhöhte Kränkbarkeit zu entwickeln und dies,wenn nötig, auch direkt anzusprechen. Eine Klärung von Kränkungs-und Zurückweisungserlebnissen belebt die Patient-Arzt-Beziehung eher,als dass sie sie bedroht.

z Die Überweisung zum Psychiater oder die Einweisung in eine psychiatri-sche Klinik sollten erfolgen, wenn Zweifel an der Diagnose bestehen(zum Beispiel bei Überlappung mit demenziellen Symptomen), bei psy-chotischer Symptomatik, bei schwerer Ausprägung oder Anzeichen einerSuizidgefahr sowie bei Ausbleiben des Behandlungserfolges.

z Betablocker, Prazosin, Clonidin, Kortikosteroide, Cimetidin, manche Anti-biotika wie z.B. Gyrasehemmer und Digitalisglykoside sowie einzelne an-dere, seltener eingesetzte Medikamente können depressive Symptomeauslösen bzw. verstärken. Ein Ersatz sollte im Zweifelsfall erwogen werden.

z 12 Depression und Suizidalität im Alter152

Page 164: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

z Medikamentöse Therapie (Tabelle 12.1)

Die Wirksamkeit von Antidepressiva ist evidenzbasiert. Wesentliche Unter-schiede in der antidepressiven Wirksamkeit zwischen den trizyklischen An-tidepressiva und den Serotoninwiederaufnahme-Hemmern („selective sero-tonin reuptake inhibitors“, SSRI) als Hauptgruppen bestehen nicht [2]. Al-lerdings erscheint gerade bei multimorbiden oder komedizierten älterenPatienten die Medikation mit SSRI vorteilhaft (weniger kardiale Nebenwir-kungen von SSRI gegenüber trizyklischen Antidepressiva, weniger anticho-linerge Nebenwirkungen). Ungeeignet sind Antidepressiva, die Cytochrom-P-450-Isoenzyme stark inhibieren, wie z.B. Fluoxetin oder Fluvoxamin. DieAuswahl eines Antidepressivums richtet sich zudem nach eher antriebsstei-gernden oder sedierenden Effekten der Einzelsubstanzen. Mirtazapin weistzum einen wenige Nebenwirkungen auf und bietet zum anderen eine sedie-rende Komponente, die bei Schlafstörungen, Agitiertheit und innerer Unru-he oftmals angenehm empfunden wird. Als Faustregel zur Therapie mitAntidepressiva im Alter gilt „start low, go slow“ [15].

Die Dauer der antidepressiven Therapie sollte mindestens sechs Wochenbetragen, um einen Effekt abschätzen zu können. Bei effektiver Therapiesollte diese bei einer ersten depressiven Episode 12 Monate, bei einem Re-zidiv bis zu drei Jahre, bei Hochrisikopatienten auch länger beibehaltenwerden. Bei rund 75% der Patienten mit einer schweren depressiven Episo-de kann eine Remission erreicht werden.

Je nach Präparat kann es zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen wieUnruhe, Agitiertheit, Schlafstörungen, orthostatischer Hypotonie, Übelkeit,Gewichtszunahme und EKG-Veränderungen kommen. Bei Älteren ist zu-dem die Möglichkeit der Auslösung eines Syndroms der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH) zu beachten.

Eine Augmentationstherapie mit Lithium, Lichttherapie bei saisonalenDepressionen, Schlafentzugstherapie oder Elektrokonvulsionstherapie beipsychotischen und therapieresistenten Depressionen sind Indikationen, dieder fachärztlichen psychiatrischen Entscheidung vorbehalten bleiben.

z Psychotherapie

Es gibt inzwischen eine breite Basis an Forschungsergebnissen, die die Ef-fektivität der Psychotherapie mit älteren Menschen belegt. In den letztenJahren ist besonders durch die Arbeiten von Radebold [z.B. 24, 25] in derFachöffentlichkeit das Bewusstsein gewachsen, dass Ältere bei Anpassungs-störungen im Alterungsprozess von Psychotherapie und psychosomatischenBehandlungen profitieren können, um damit länger autonom und ausrei-chend kompetent leben zu können.

Unter einer Anpassungsstörung (ICD 10: F43) versteht man eine Reakti-on auf einmalige oder fortbestehende belastende Ereignisse, z.B. eine Trau-

Praktisches Vorgehen und Therapie z 153

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z 12 Depression und Suizidalität im Alter154

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erreaktion, aber auch eine neurotische oder eine reaktive Depression. Auchim deutschsprachigen Raum konnte nachgewiesen werden, dass Psychothe-rapie bei Älteren durchführbar, sinnvoll, erforderlich und langfristig erfolg-reich ist. Outcome-Studien im ambulanten und stationären Bereich konn-ten die Wirksamkeit belegen (Übersicht bei [25]). Damit ist das alte Dik-tum von Freud [8, 10] entkräftet worden, dass Personen über 50 Jahre einerpsychotherapeutischen Behandlung nicht zugeführt werden sollten, weil siesich nicht mehr in ihrer psychischen Verfasstheit ändern könnten und dieBehandlungen zu lange dauerten.

Empirische Studien zur Effektivität psychotherapeutischer Behandlungenim Alter sind selten. Daten von Fallstudien zeigen, dass Methoden in derBehandlung jüngerer auch bei älteren Personen anwendbar sind, obwohldie Behandlung in einer langsameren Geschwindigkeit voranzukommenscheint. Die Ergebnisse kontrollierter Studien weisen darauf hin, dass kog-nitive Therapie, Verhaltenstherapie und kurzzeit-psychodynamische Psy-chotherapie gleich effektiv in der Behandlung der Depression Älterer sind.Es ist allerdings zu beachten, dass, wie bei den Jüngeren auch, 30% der Pa-tienten mit Depression im Alter durch keine Behandlung eine Besserungerleben, auch nicht durch eine psychopharmakologische Behandlung [30].Vor dem Hintergrund der eingeschränkten Wirksamkeit von Antidepressi-va, besonders bei Hochaltrigen, gibt es empirische Hinweise darauf, dasseine kombinierte Behandlung der Depression im Alter mit Psychotherapieund Antidepressiva effektiv ist. Die klinischen und empirischen Erkennt-nisse haben sowohl bei den psychoanalytisch orientierten als auch bei denverhaltenstherapeutischen Psychotherapien zu spezifischen Konzepten inder Behandlung Älterer geführt [14, 19].

Auch andere Formen der psychosozialen Betreuung sind wirksam, wieein in den USA praktiziertes „Care management“ oder ein „Treatment ini-tiation program“, eine persönliche Betreuung der pharmakologischen undpsychotherapeutischen Behandlung mit dem Ziel, effektiv depressive Symp-tome und Suizidalität zu reduzieren [27].

z Suizidalität im Alter

In Deutschland steigen wie in den meisten westlichen Ländern die Suizid-ziffern mit dem Lebensalter an (zuerst beschrieben in Ungarn, daher sog.„ungarisches Muster“). Die Suizidziffern der über 60-jährigen Männer lie-gen um das 1,7fache, die der über 60-jährigen Frauen um das 2fache höherals die Gesamtsuizidziffern der jeweiligen Geschlechtsgruppe. Jede zweiteFrau, die sich in Deutschland das Leben nimmt, ist über 60 Jahre alt [6].Seit 1952 nimmt der Anteil an Älteren an der Gesamtheit der Suizide deut-lich zu. Unter Berücksichtigung der demographischen Entwicklung inDeutschland (Zunahme des Anteils älterer Menschen in der Gesellschaft)kann für die Zukunft eine weitere Zunahme der absoluten Anzahl von Sui-ziden älterer Menschen erwartet werden. Ältere Menschen benutzen signifi-

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kant mehr harte Suizidmethoden (wie z.B. Erhängen und Erschießen) alsjüngere [22]. Betrachtet man einschneidende Lebensereignisse kurz vor ei-nem Suizid, so finden sich deutlich mehr körperliche Erkrankungen imVorfeld als bei Jüngeren. Keine Unterschiede in den Altersgruppen findensich bezüglich des Erlebens von Einsamkeit, des Alleinlebens und dem Feh-len von Freunden oder Vertrauten. Dies gilt besonders für Männer [11].

Bei den Suizidversuchen, über deren Häufigkeit aus Datenschutzgründenkeine amtliche Statistik geführt wird, zeigt sich ein gegenläufiges Bild: Über60-Jährige waren nach der WHO/Euro-Multicenter-Study of Suicidal Beha-vior nur zu 7% an Suizidversuchen beteiligt; wird also ein älterer Mensch sui-zidal, dann ist die Wahrscheinlichkeit eines Suizids deutlich höher als injüngeren Lebensjahren. Allerdings gilt, dass Ältere, die einen Suizidversuchunternommen haben, eine hohe Mortalitätsrate bezüglich Suizid und körper-lichen Erkrankungen haben. Einen Suizidversuch im Alter wiederholen 5,4%der Betroffenen pro Jahr, 1,5% sterben pro Jahr durch Suizid [13].

Als Risikofaktoren für Suizid im Alter sind seit längerer Zeit Einsamkeit,somatische Krankheit und finanzielle Probleme bekannt [z.B. 23]. Neuereempirische Arbeiten zu Risikofaktoren weisen insbesondere auf Faktorender psychischen Verarbeitung und der interpersonellen Konflikte hin.Übergeordnete Risikofaktoren sind weiterhin psychische Erkrankungen,insbesondere Depressionen, und die Zunahme der somatischen Multimor-bidität im höheren Lebensalter, insbesondere neurologische Störungen undmaligne Erkrankungen [3, 4], verbunden mit funktionellen Störungen/Ein-bußen wie Schmerzsyndrome, Immobilität und Sehbehinderung. Die häufigunabänderlichen Auswirkungen im Körperselbsterleben führen zu sozialenDefiziten und Abhängigkeiten, vor allem aber zu Veränderungen in der Be-ziehungsqualität. Unabhängig davon zählen intrafamiliäre Konflikte undSchwierigkeiten in langen Paarbeziehungen zu den Risikofaktoren für Sui-zidalität bei Älteren [5, 16].

In größeren Studien konnte nachgewiesen werden, dass körperliche Ein-bußen sich weniger stark auf eine suizidale Entwicklung auswirken als psy-chische Belastungen [3, 4], soziale Einschränkungen und die Qualität derBewältigungsstrategien [28].

Ein besonderes Augenmerk sollte auf Beziehungsprobleme gelegt wer-den, die durch die psychische Erkrankung (z.B. eine Depression oder eineDemenz) eines Lebenspartners ausgelöst werden können [31]. Mittelman etal. [20] beschrieben in einer Follow-up-Studie den positiven Effekt von Be-ratung auf depressive Symptome bei Lebenspartnern von dementen Per-sonen. Der Effekt blieb bei beiden Geschlechtern auch in der Katamnesenach 3 Jahren und nach Aufnahme des dementen Partners in ein Pfle-geheim erhalten.

Die Behandlung der Suizidalität erfolgt meist mit einem multimodalenAnsatz. Sie ist differenziert nach Art und Ausprägung der Suizidalität, demVorhandensein psychiatrischer Erkrankungen und den real vorhandenenBehandlungsmöglichkeiten. Psychiatrische Behandlungsmethoden sinddemnach

z 12 Depression und Suizidalität im Alter156

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1. die pharmakologische Behandlung akuter Symptome, die mit der Suizi-dalität einhergehen (z.B. Erregung, Depressivität, Schlafstörungen oderpsychotische Symptome) und

2. die pharmakologische Behandlung einer psychiatrischen Grunderkran-kung mit Antidepressiva und/oder Neuroleptika, sowie

3. bei affektiven Störungen die Behandlung mit Stimmungsstabilisierern.

Die Krisenintervention findet in psychiatrischen Kliniken sowohl ambulantals auch in Beratungszentren oder durch Laienhilfsdienste statt. Bisherkonnte noch kein Nachweis einer dauerhaft wirksamen psychiatrischen In-tervention gefunden werden [29]. Unter der Vorstellung, dass derartige Be-handlungen ein suizidales Restpotenzial nicht erreichen können und des-halb bei entsprechenden äußeren oder intrapsychischen Auslösern die Sui-zidalität nach einer zunächst stabilisierenden Behandlung erneut sehr akutwerden kann, wurden u. a. Konzepte der psychoanalytisch orientierten Psy-chotherapie (notfallinduzierte psychodynamische Psychotherapie) der Sui-zidalität entwickelt und evaluiert [7].

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Literatur z 159

Page 171: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Besonderheiten der Ernährung im höheren Lebensalter

Grundsätzlich ist der ältere Mensch auf die gleichen Nährstoffe angewiesenwie ein junger. Allerdings nimmt die Masse der Energie-verbrennendenMuskulatur mit steigendem Alter ab, so dass spätestens ab dem 5. Lebens-jahrzehnt der Energiebedarf abnimmt [4, 9, 10]. Ein älterer Mensch solltedaher die Energiezufuhr an seine tatsächlichen Bedürfnisse anpassen, mussaber mindestens genau so viele Nährstoffe zu sich nehmen wie ein junger.Dabei ist zu beachten, dass bei einer durchschnittlichen Zufuhr von weni-ger als 1500 Kalorien pro Tag eine ausreichende Zufuhr von Nährstoffennicht mehr gewährleistet ist [11].

Eine Orientierungshilfe für die tägliche Nährstoffzufuhr bieten die Vor-gaben der D-A-CH (D-A-CH = D: Gesellschaft in Deutschland [DGE], A:Österreich [ÖGE] und CH: Schweiz [SGE/SVE]). Die Vorgaben der ver-schiedenen Expertengremien und Gesellschaften für Ernährung variierenzu einzelnen Punkten [4]. Anzuwenden sind daher die seit 2005 angepass-ten Empfehlungen der Fachgesellschaften für gesunde Erwachsene sowiedie Ausführungen zur Kampagne „Fit im Alter – gesund essen, besser le-ben“, die vom Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung undLandwirtschaft 2003 initiiert wurde. Weitere Informationen zu Fragen dergesunden Ernährung für ältere Bürger finden sich über das Forum Präven-tion der Bundesregierung Deutschlands (http://www.forumpraevention.de)oder in der evidenzbasierten Leitlinie der DGE von 2006: „Fettkonsum undPrävention ausgewählter ernährungsmitbedingter Krankheiten“ (http://www.dge.de/modules.php?name=St&file=w_leitlinien).

Für eine den Bedürfnissen und dem Energieverbrauch (durch körperli-che Aktivität) angepasste Ernährung ist es wichtig, dass die drei Haupt-nährstoffe Kohlenhydrate, Fette und Proteine in einem bestimmten Verhält-nis vorliegen. Nach den Empfehlungen der D-A-CH-Referenzwerte solltedie anteilige Zufuhr von Kohlenhydraten bei 50%, von Fetten bei 30% undvon Eiweiß bei ca. 15% liegen [4]. Eine praxisnahe Übersicht über empfoh-lene Anteile der Hauptnährstoffgruppen an der täglichen Ernährung zeigensog. Nahrungspyramiden. Abbildung 13.1 zeigt eine adaptierte Version fürMenschen ab dem 60. Lebensjahr, die nachfolgend beschrieben wird [17].

Ernährungund Mangelernährungim höheren Lebensalter

13

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Die Pyramide teilt Lebensmittel nach Nährstoffhauptgruppen und emp-fohlenen Verzehrsmengen in Segmente ein. Die dargestellten Portions-größen sind dem Bundesschlüssel für Lebensmittel entlehnt [3].

Notwendig für den körperlichen Stoffwechsel ist die ausreichende Zu-fuhr von Flüssigkeit. Die offiziellen Empfehlungen zur Flüssigkeitszufuhrreichen von 1,5 bis zu 3 l pro Tag [9]. Die Deutsche Gesellschaft für Ernäh-rung e. V. (DGE) empfiehlt für den gesunden Älteren eine tägliche Flüssig-keitszufuhr von 2,25 l, wobei ca. 0,75 l auf feste Nahrung (z.B. Obst,Gemüse, Salate, Milchprodukte) und 1,5 l auf geeignete Getränke entfallen.Da im Alter weniger Kalorien verbrannt werden und der Flüssigkeitsbedarfmit diesem Energieverbrauch positiv korreliert (1 ml pro Verbrauch von1 kcal), andererseits Flüssigkeit nicht nur aus Getränken, sondern auch ausNahrungsmitteln bezogen wird, werden bei gemäßigten Temperaturen (bis21 �C) und moderater körperlicher Aktivität ca. 1,6 l Flüssigkeitszufuhr proTag aus Getränken wie Früchtetee, Obstschorlen und Mineralwässern alsausreichend angesehen. Getränke wie Kaffee oder Tee sind in Maßen alsGenussmittel erlaubt und werden bei nur geringer harntreibender Wirkungauf die Flüssigkeitszufuhr angerechnet. Auf die möglichen Komplikationenvon Flüssigkeitsverarmung wird in Kapitel 14 eingegangen.

Besonderheiten der Ernährung im höheren Lebensalter z 161

Maximal1 Portionpro Tag:

Süßigkeiten

Maximal2 Portionen pro Tag:

sichtbares Fett (Öle,Butter)

2–3 Portionenpro Tag:

fettarme Milch,Milchprodukte

2–3 Portionenpro Tag:

stärkehaltige Lebensmittel(Getreideprodukte und Kartoffeln)

2–3 Portionenpro Woche:

Fisch,Fleisch,Eier

„Fünf am Tag”3 Portionen pro Tag:

Gemüse2 Portionen pro Tag:

Obst

Abb. 13.1. Praktische Empfehlungen für eine ausgewogene Ernährung älterer Menschen amBeispiel einer adaptierten Nahrungspyramide

Page 173: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Obst und Gemüse liefern außer Kohlenhydraten auch Flüssigkeit, Vita-mine, Nährstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe bei gleichzeitig wenig Kalo-rien und sind daher in jedem Alter die Basis für eine gesunde Ernährung.Besonders die günstigen Wirkungen sekundärer Pflanzen- und Ballaststoffelassen sich durch die Gabe von Vitaminpräparaten nicht erzielen. Gegen-wärtig werden täglich mindestens 3 Portionen Gemüse und 2 PortionenObst empfohlen [25].

Gemäß den kürzlich revidierten Empfehlungen hätten 7-8 Portionenstärkehaltiger Getreideprodukte oder Kartoffeln einem Kohlenhydratanteilvon 55% an der täglichen Energiezufuhr durch die Nahrung entsprochen.Aufgrund des geringeren Energiebedarfs im Alter und abnehmender Glu-kosetoleranz ist es ernährungsphysiologisch nicht unbedingt wünschens-wert, täglich mehrmals in größeren Mengen Kohlenhydrate in Form stärke-haltiger Lebensmittel zu essen. Zur Deckung des Energiebedarfes im Altersind bereits 2–3 Portionen ausreichend, wenn zusätzlich genügende Men-gen von Obst und Gemüse verzehrt werden. Da zur Vorbeugung oder Be-handlung der diabetischen Stoffwechsellage eine Kostform mit niedrigemglykämischen Index (geringe blutzuckersteigernde Wirkung) günstiger ist,sind auch im Alter Vollkornprodukte zu bevorzugen. Die darin enthaltenenBallaststoffe fördern die Verdauung und verlangsamen die Aufnahme vonGlukose und Fetten aus dem Darm [17].

Zudem wird älteren Menschen der Verzehr von mindestens einer bis zudrei Portionen natürlich fettarmer Milchprodukte (z. B. Joghurt, Kefir) oderMilch pro Tag empfohlen. Diese enthalten hochwertige Proteine und Kalzi-um für den Knochenstoffwechsel. Bei Vorliegen einer Laktoseintoleranzoder Milcheiweißallergie sind alternative Kalziumquellen zu empfehlen. Im-merhin 13–14% der Bevölkerung Deutschlands sind von einer Laktoseinto-leranz bei endemisch vorkommendem Laktasemangel nach der Phase desAbstillens betroffen; weltweit ist es der häufigste Enzymmangel [15].

Auch nicht weiter verarbeitetes Fleisch (keine Wurstwaren) liefert hoch-wertige Proteine sowie Eisen. Allerdings ist der Verzehr nicht täglich erfor-derlich. Fische liefern darüber hinaus hochwertige, ungesättigte Fettsäuren(Omega-3-Fettsäuren) und sollten daher mindestens zweimal wöchentlichverzehrt werden. Eier sind eine preiswerte und kalorienarme, aber nähr-stoffreiche Alternative. Zusammenhänge mit Hypercholesterinämie werdeninzwischen kontrovers diskutiert, weil das im Ei gleichfalls enthaltene Le-cithin bei Gesunden die Cholesterinaufnahme begrenzt. Bei Patienten mitDiabetes mellitus Typ II scheint dieser Mechanismus nicht mehr zu greifen.Langzeituntersuchungen wie die Nurse’s Health Study zeigen zwar einenZusammenhang zwischen Hypercholesterinämie und Mortalität, aber nichtzwischen dem Verzehr von Eiern und kardiovaskulärer Mortalität [12, 14].

Bekannt ist mittlerweile, dass eine geringfügig höhere Zufuhr sichtbarerFette (Pflanzenöle) bis zu 40% nicht unbedingt zu einer Erhöhung des Ri-sikos von Herz-Kreislauf-Erkrankungen führt, sofern nicht zusätzliche Risi-kofaktoren vorliegen und vorausgesetzt, dass die Zufuhr ungesättigter Fett-säuren überwiegt. Zu begrenzen sind gesättigte Fettsäuren; versteckt in Kä-

z 13 Ernährung und Mangelernährung im höheren Lebensalter162

Page 174: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

se, Wurstwaren und Süßigkeiten [5]. Eine gesunde Ernährung ist also inerster Linie abwechslungsreich. Von einseitigen Kostformen oder Energie-reduzierten Diäten im Alter wird prinzipiell abgeraten, da die Appetitsteue-rung über die Hormone Leptin und Ghrelin nur noch eingeschränkt ge-lingt. Speziell für ältere Patienten mit Stoffwechselerkrankungen werden ge-genwärtig Leitlinien verfasst; z.B. für ältere Diabetiker (Deutsche DiabetesGesellschaft und Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (Hrsg.): http://www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/redaktion/mitteilungen/leitlinien/Leitlinien04_Alter.pdf).

Mangelernährung im Alter

z Bedeutung

Während im Kindes- und jüngeren Erwachsenenalter Formen der Fehl-und insbesondere Überernährung (Hyperalimentation) sowie in Folge dieAdipositas zunehmen, rückt im höheren Lebensalter ein für Industrielän-der ungewohntes Problem in den Mittelpunkt des Interesses. Es handeltsich um unterschiedlich ausgeprägte Formen von Fehl- und Mangelernäh-rung. Häufiger als eine tatsächliche kalorische Unterernährung werden beiälteren Menschen versteckte Mangelzustände beobachtet. Je nach unter-suchter Stichprobe und Setting werden zwischen 10% und 55% ältererMenschen mit unterschiedlichsten akuten Erkrankungen als mangelernährtbezeichnet [2].

Bei älteren Personen kann eine Vielzahl ungünstiger Umstände zu ein-seitiger Kost und damit langfristig zu Mangelerscheinungen führen. Vergli-chen mit bekannten Formen klassischer Hypovitaminosen wie z.B. demSkorbut sind die Symptome häufig unspezifisch. Zu nennen sind: Abge-schlagenheit, Infektanfälligkeit und Kraftmangel. Dabei sind multimorbidePatienten mit funktionellen Einschränkungen, wie sie in geriatrischen Kli-niken und Langzeit-Pflegeeinrichtungen gesehen werden, besonders gefähr-det [22].

Mangelernährung geht einher mit längerer Verweildauer im Kranken-haus und einer deutlich erhöhten Morbidität und Mortalität [16]. Man-gelernährung im Alter ist assoziiert mit Gewichtsverlust, Immobilität undSturz, kognitiver Leistungsminderung, Dekubitus und verzögerter Wund-heilung sowie herabgesetzter Immunabwehr [1]. Für die Praxis ist zu be-achten, dass ein Heilungs- oder Rehabilitationsprozess durch unzureichen-de Ernährung aufgehalten oder verzögert werden kann [6].

Mangelernährung im Alter z 163

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z Definition

Mangelernährung liegt vor, wenn weniger Nährstoffe als benötigt auf-genommen werden:z Mangelernährung im weiteren Sinne (engl. „undernourishment“) be-

schreibt eine Ernährungssituation mit negativer Energiebilanz (Hypoali-mentation).

z Mangelernährung im engeren Sinne (engl. „malnutrition“) bezeichnet eineenergetisch (kalorisch) ausreichende, jedoch einseitige Ernährung mit un-zureichendem Gehalt an Eiweiß, Vitaminen, Mineralien und Spurenele-menten. Diese Form der Mangelernährung kann längere Zeit ohne kli-nische Symptome bleiben, da im Körper einige Nährstoffe wie Eisen, Kup-fer und fettlösliche Vitamine gespeichert werden. Im Verlauf können Man-gelkrankheiten (z.B. Hypovitaminosen, Mangelanämie, Hungerdystro-phie) auftreten. Ursächlich beteiligt sein können mangelhafte Nahrungs-zufuhr, gestörte Verdauungsleistung oder Verwertungsstörungen [19].

Cave: Im Alter gehen beide Formen der Mangelernährung fließend ineinan-der über, da bei kalorisch unzureichender Ernährung aufgrund eines nied-rigen Grundumsatzes und geringer körperlicher Aktivität spürbare Ge-wichtsverluste verspätet einsetzen.

z Ursachen

Bereits weitgehend physiologische Alterungsprozesse wie das Nachlassender Speichelsekretion und des Geschmackssinnes beeinträchtigen den Appe-tit [27]. Akute Erkrankungen können durch gesteigerte Stoffwechselrateund erhöhten Nährstoffbedarf zu mangelnder Versorgung führen. Beispielefür Erkrankungen mit erhöhtem Grundumsatz zeigt Tabelle 13.1.

z 13 Ernährung und Mangelernährung im höheren Lebensalter164

Tabelle 13.1. Ausgewählte Erkrankungen mit erhöhtem Grundumsatz

z Erkrankungender inneren Organe

– Herzinsuffizienz– COPD– Hyperthyreose– Maligne Tumoren– Infektionen, insbesondere bei Fieber und Sepsis– Autoimmunerkrankungen

z Erkrankungender Haut

– Dekubitus– Venöse Ulzera

z Erkrankungendes Nervensystems

– Demenz– Chorea Huntington– Morbus Parkinson

z Erkrankungendes Bewegungsapparats

– Frakturen– Morbus Paget

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z Entzündungen und Erkrankungen der Verdauungsorgane, aber auch imhöheren Lebensalter gehäufter Verbrauch von Laxanzien können trotzausreichender Nahrungszufuhr zu Mangelerscheinungen aufgrund vonMalabsorption führen. Zu nennen sind hier v. a. die atrophische oderHelicobacter-pylori-induzierte Gastritiden. Typische Symptome wie Sod-brennen, Schmerzen oder Übelkeit fehlen bei älteren Patienten öfter, sodass Appetitmangel oder Abneigung gegen spezielle Speisen (Fleisch,Fett) Anlass für eine klärende gastroskopische Untersuchung sind.

z Als unerwünschte Wirkung häufig verordneter Medikamente, wie z.B.Antibiotika, Psychopharmaka oder Antihypertensiva können im AlterÜbelkeit, verringerter Appetit oder Mundtrockenheit eintreten. Beimnephropatischen Syndrom werden Nährstoffe, in erster Linie Proteine,über die Niere verloren.

z Kaustörungen aufgrund nicht sanierter oder fehlender Zähne, schlechtsitzender Zahnprothesen sowie Entzündungen im Mundraum bedingenebenfalls eine unzureichende Ernährung. Leider werden diese Missstän-de zu häufig schicksalhaft hingenommen.

z Allein oder im Zusammenwirken mit organischen Ursachen sind psycho-soziale Probleme Auslöser von Malnutrition. Demenz, Depression, Ver-einsamung oder ein nicht erkannter Hilfebedarf bei alltäglichen Verrich-tungen werden häufig gefunden.

z Mangelernährung selbst ist wiederum ein Risikofaktor für einige anderegeriatrische Syndrome (siehe Kap. 5.12). Das Fallbeispiel und die Abb.13.2 erläutern diesen Circulus vitiosus.

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Zur Früherkennung durch Screeningmaßnahmen, Differentialdiagnostikund Behandlung von Mangelernährung im Alter liegen drei geriatrischeLeitlinien vor (zum Stoffwechsel im Alter: http://www.dgem.de/leitlinien/01ernstat100804.pdf, zur enteralen Ernährung: http://www.dgem.de/leitlini-en/01geriatrie100804.pdf oder http://www.espen.org/Education/documents/ENGeriatrics.pdf). Wesentliche Impulse gehen dabei von der European So-ciety for Clinical Nutrition and Metabolism (www.espen.org) aus.

Mangelernährung im Alter z 165

Page 177: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

z Diagnostik

Zur Beurteilung des Ernährungszustandes sind anthropometrische Daten(Körpergewicht und Körpergröße) hilfreich, aus denen das relative Körper-gewicht (Body-Mass-Index = das Köpergewicht [kg] dividiert durch diequadrierte Körperhöhe [m]: (BMI = kg/m2)) ermittelt werden kann. Tabelle13.2 zeigt die Einteilung in Gewichtsklassen entsprechend dem relativenKörpergewicht. Da ein mäßig erhöhter BMI im höheren Lebensalter positivmit der Lebenserwartung assoziiert ist, sollte für Personen über 60 Jahreder Richtwert modifiziert werden. Wünschenswert wäre die Anhebung desNormalwertes von 24 auf 29 [10, 18].

Ein ungewollter Gewichtsverlust von 1% des Körpergewichtes pro Wochebzw. 5% pro Monat oder 10% in sechs Monaten gilt als deutlich patholo-gisch. Aber Vorsicht: Ein gleichbleibendes Körpergewicht schließt eineMangelernährung nicht aus. Die Abnahme der Fett- und Magermasse(Muskulatur) kann durch Ödeme kaschiert werden. Zur Risikoeinschätzunghelfen standardisierte Instrumente (s.u.) und Ernährungsprotokolle, umein sog. „Under-Reporting“ der Nahrungsaufnahme zu umgehen. Bei pfle-gebedürftigen Patienten sind der tatsächliche Verzehr und die Flüssigkeits-zufuhr fremdanamnestisch einzuschätzen bzw. durch Pflegepersonal zuprotokollieren [22].

Bei älteren Patienten und Bewohnern von Langzeit-Pflegeeinrichtungensowie älteren Menschen, die von ambulanten Pflegediensten versorgt wer-den, sollte die Gefährdung für eine Mangelernährung bei akuter Ver-schlechterung ihres Zustandes oder erstem ärztlichen Kontakt bzw. bei derAufnahme in ein Krankenhaus ermittelt werden. Dazu hat sich das MiniNutritional Assessment (MNATM) besonders bewährt (siehe Anhang). Es istzeitlich nicht aufwändig und erfasst grundlegende Ernährungsgewohnhei-

z 13 Ernährung und Mangelernährung im höheren Lebensalter166

Abb. 13.2. Assoziation von Mangeler-nährung und geriatrischen Syndromen

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ten, begleitende Umstände wie Depressionen sowie anthropometrische Da-ten (z.B. BMI). Aus der Summe der Abweichungen ergeben sich Hinweiseauf eine Mangelernährung oder Unterernährung sowie eine erste Einschät-zung zugrunde liegender Probleme [7]. Weitere klinische Testinstrumentesind bei Volkert beschrieben [22].

Besteht der Verdacht auf Mangelernährung, können weitere Unter-suchungen die Mangelerscheinungen und ihre Ursachen näher eingrenzen.Abbildung 13.3 gibt einen Überblick über die vielfältigen Ursachen vonMangelernährung und Überlegungen zur Differentialdiagnostik.

Zahnerkrankungen, Kau- und Schluckstörungen sind häufig bei geriatri-schen Patienten. Die visuelle und ggf. taktile Befundung des Mundraumesgehören daher zur klinischen Untersuchung. Druckstellen, Entzündungen,Pilzbeläge und Tumoren im Kieferbereich, der Pflegezustand des Gebisses

Mangelernährung im Alter z 167

Tabelle 13.2. Einteilung in Gewichtsklassen nach dem Body-Mass-Index für gesunde Erwachse-ne [10, 18]

Body-Mass-Index Gewichtsklasse

<17 z Auszehrung (Kachexie)<19 z Untergewicht19–24 z Normalgewicht25–29 z Übergewicht (Adipositas I)30 und mehr z Übergewicht (Adipositas II–III)

Abb. 13.3. Ursachen von Mangelernährung im Alter. (Mod. n. [8])

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und lockere oder schadhafte Zähne sind zu vermerken. Auffälligkeiten soll-ten zu einem zahnärztlichen Konsil führen. Eine qualitative Beurteilung derKaufunktion erlaubt der Möhren-Test [26]. Eine standardisierte Möhren-scheibe von 2�1 cm Durchmesser wird vom Probanden 45 Sekunden langgekaut; dann ausgespuckt und das Kaugut anschließend visuell nach demGrad der Zerkleinerung beurteilt. Ergänzend kann die Kaukraft mit einemeinfachen Hand-Gnathometer oder einem geeichten Dynamo-Gnathometerbestimmt werden. Ihr Einsatz erbringt Hinweise, ob im Rahmen einerKaustörung auch nachlassende Beisskraft ursächlich beteiligt ist. Die An-passung lockerer Zahnprothesen und der Einsatz von handelsüblichenHaftcremes unterstützen die Kaufunktion [23].

Vorausgegangene Schlaganfälle oder Folgen neurodegenerativer Erkran-kungen begünstigen Schluckstörungen (Dysphagien). Warnzeichen sind be-legte oder gurgelnde Stimme, häufiges Verschlucken mit oder ohne Husten,rezidivierende Pneumonien, angegebenes Globusgefühl und/oder ein ver-langsamter Schluckakt mit verzögerter Hebung des Kehlkopfes bei Palpati-on (Schluckprobe). Auch Speisereste im Mundraum, Schleimansammlungenund Regurgitation sind verdächtig. Eine potenziell lebensgefährliche Kom-plikation ist die Aspiration. Da der komplexe Schluckakt auf neuronaler,struktureller oder psychogener Ebene gestört sein kann, sind zur Klärungsowohl eine logopädische Untersuchung als auch apparative Verfahren wiez.B. die flexible fiberoptische Endoskopie (FFE) oder die Video-Fluorosko-pie sinnvoll sowie die Anwendung einer klinischen Einteilung (siehe auchAnhang) wie die Penetration-Aspiration Scale [20]. Für die Behandlung vonSchluckstörungen spezialisierte Logopäden bzw. Therapeuten für den fazio-oralen Trakt (F.O.T.T. = „facio-oral-tract-therapy“) vermitteln dem Patien-ten Schlucktechniken zur Vermeidung von Aspirationen. Die Kost wirddurch Zerkleinerung und Andicken von Flüssigkeiten speziell angepasst(Dysphagiekost).

Bei Dysphagie oder einer anderweitig begründeten, besonderen diäteti-schen Kost (z.B. Diabetes mellitus, Zöliakie, orale Antikoangulation) ist ei-ne Ernährungsberatung durch klinische Diätassisstent/Innen oder nieder-gelassene Ökotropholog/Innen zu erwägen. Angehörige sind in diese Bera-tungen nach Möglichkeit zu integrieren. Die standardisierte Erhebung derErnährungsgewohnheiten anhand eines 1-Tages-Ernährungsprotokolles lie-fert hierfür wertvolle Informationen zu aufgenommenen Nährstoffen undFlüssigkeiten sowie auch zu Ernährungsvorlieben und -abneigungen [21].

Im Serum können manifeste Mangelzustände wie Hypovitaminosen oderEisenmangelanämie diagnostiziert werden. Zu beachten ist, dass für vieleNährstoffe körpereigene Speichersysteme vorhanden sind. Bis sich einMangel klinisch oder als erniedrigter Blutwert manifestiert, können Monate(Vitamin D, Folsäure) bis Jahre (Vitamin B12) vergehen. Tabelle 13.3 fasstdie wichtigsten Untersuchungen bei Mangelernährung zusammen.

z 13 Ernährung und Mangelernährung im höheren Lebensalter168

Page 180: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Mangelernährung im Alter z 169

Tabelle 13.3. Diagnostik bei Malnutrition

Diagnostische Möglichkeitenbei Mangelernährung

Symptome

z Anamnese AppetitmangelKauproblemeSchluckstörungIsolationDepressionProbleme beim Einkauf/KochenSchmerzenLeistungsabfallErnährungsgewohnheiten

z Klinische Befunde Body-Mass-IndexGewichtsverlustTrizeps-Hautfalten-MessungWadenumfangGebiss-SchauGlossitisPerlècheBlässe der KonjunktivenÖdemePeriphere sensorische DefiziteHandkraftmessungExsikkosezeichen

z Laboruntersuchungen:ernährungsabhängigeParameter im Serum

Serumprotein/AlbuminVitamine (v. a. B6, B12 und D)LymphozytenCholesterinEisen, TransferrinZinkElektrolyte

z Risikofaktor-Screening Mini Nutritional AssessmentGeriatrisches Screening:– Depression– Demenz– Dysphagie– Disability (Defizite bei alltäglichen Fähigkeiten)– Multimedikation– Schmerz

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z Therapie

Vielfältig wie die Ursachen von Malnutrition sind auch die therapeutischenOptionen. Im multidimensionalen Assessment identifizierte Risikofaktorenund Folgeerscheinungen sind gezielt, Grunderkrankungen möglichst kausalzu behandeln. Darüber hinaus sind ggf. folgende Maßnahmen einzuleiten:z Milieugestaltung: Die Einnahme von Speisen sollte nach Möglichkeit in

aufrechter Haltung erfolgen, um die Bewegungsfreiheit zu fördern undVerschlucken sowie einem Reflux vorzubeugen. Essen in Gesellschaftund optisch abwechslungsreich gestaltete, gut gewürzte (Lieblings-)Spei-sen fördern den Appetit.

z Demenzielle Erkrankungen: Demenzkranke profitieren von regelmäßigen,über den Tag verteilten kleinen Mahlzeiten und verbaler Motivation imRahmen aktivierender Pflege. Kleine (energiedichte) Volumina mit vielversteckten Kalorien z.B. in Süßspeisen sind häufig nötig, um eine kalo-risch ausreichende Ernährung zu erreichen.

z Gebissfunktion: Zahnersatz ist optimal einzupassen, ggf. ist eine zahn-ärztliche oder kieferorthopädische Diagnostik und Behandlung erforder-lich. Vorübergehend kann die mechanische Zerkleinerung der Kost hel-fen, langfristig ist dies jedoch eher Appetit-hemmend!

z Behinderung: Bei funktionellen Einschränkungen ist die Indikation zueiner geriatrischen Rehabilitation zu prüfen. Wenn die Selbständigkeitim Alltag nicht oder nur teilweise wiederhergestellt werden konnte, sindkompensierende Hilfen in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Sozial-dienst oder der behördlichen Altenhilfe einzuleiten. Häufig genutzt wer-den z.B. Seviceleistungen wie Einkaufsbegleitung durch Zivildienstleis-tende oder „Essen auf Rädern“.

z Ergotherapeutisch angepasste Hilfsmittel wie ergonomische Bestecke, Ein-Hand-Hilfen sowie Armaturaufsätze können bei Hemiplegie, Einschrän-kungen der Handfunktion und Gelenkdeformitäten nutzbringend einge-setzt werden.

z Nahrungsergänzung: Hypovitaminosen sind durch geeignete Präparateauszugleichen. Ältere Menschen mit Malnutrition zeigen oft eine un-genügende Aufnahme von Proteinen. Eingesetzt werden Nahrungssupple-mente in Trinkform, die bei geringem Volumen (100–200 ml) hochwerti-ges Eiweiß (meist Soja), Kalorien und Vitamine enthalten. Sie werdenzusätzlich zur normalen Kost 1- bis 2-mal täglich gegeben und sollendaher nicht sättigen. Verschiedene Geschmacksrichtungen können jenach Vorliebe als Kaltgetränk oder Suppenmahlzeit gegeben werden.

z Dysphagie-Kost: Schluckgestörte Patienten benötigen spezielle Kost, de-ren wesentliches Merkmal eine erhöhte Konsistenz durch das Andickenvon Flüssigkeiten ist und Aspirationen vorbeugt.

z Künstliche Ernährung: Zur Überbrückung weniger Tage etwa im Rahmenintensiv-medizinischer Behandlung eignen sich die künstliche Ernäh-rung über Magensonden (enteral) oder intravenöse Gaben (parenteral).Häufiger im Alter anzutreffen sind allerdings chronische Formen der

z 13 Ernährung und Mangelernährung im höheren Lebensalter170

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Mangelernährung. Wenn möglich, sind die oben beschriebenen, physio-logischen Formen der Nahrungsergänzung und/oder Nahrungsaufberei-tung zu bevorzugen. Ist längerfristig eine perorale Ernährung nicht odernicht ausreichend möglich, so ist die Anlage einer perkutanen endosko-pischen Gastrostomie (PEG-Sonde) zu erwägen. Diese hat den Vorteil,dass parallel ein peroraler Nahrungsaufbau und eine Behandlung vonSchluckstörungen, z.B. nach zerebraler Ischämie, möglich sind. Eine re-trospektive Analyse zeigte, dass in geriatrischen Kliniken PEG-Sondenam häufigsten bei Schlaganfallpatienten eingesetzt wurden [24]. Die In-dikation zu dieser ggf. lebenslangen Form künstlicher Ernährung istsehr sorgfältig zu stellen, da nicht alle Patienten davon profitieren [13].

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z 13 Ernährung und Mangelernährung im höheren Lebensalter172

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Physiologische Veränderungen des Wasserhaushaltes im Alter

Im Rahmen des Alterungsprozesses kommt es zu zahlreichen physiologi-schen Veränderungen, die den Wasser- und Elektrolythaushalt beeinflussen.Die wichtigsten davon sind:z Abnahme des Wasseranteils am Körpergewicht von ca. 60% bei jungen

Erwachsenen auf ca. 50% im Alter; Zunahme des Fettanteils [5];z Abnahme des Durstempfindens, auch bei erheblichem Flüssigkeitsmangel

[3];z Abnahme des renalen Plasmaflusses und der glomerulären Filtrationsrate

mit Störung der Natriumexkretion;z Abnahme der Konzentrationsfähigkeit der Niere mit schlechter Salzkon-

servierung.

Auf hormoneller Ebene kommt es zu folgenden altersassoziierten Verän-derungen, die alle zu einer Hyponatriämie prädestinieren:z Zunahme der basalen und stimulierten Sekretion von antidiuretischem

Hormon (ADH; auch Arginin-Vasopressin, AVP), Stimuli sind Hypovol-ämie und erhöhte Plasmaosmolalität;

z Zunahme der basalen und stimulierten Sekretion von atrialem natriure-tischem Hormon (ANH);

z verminderte Sekretion bzw. Wirkung von Renin, Angiotensin und Aldo-steron [6, 12].

Diese Veränderungen machen alte Menschen anfällig für Störungen derWasser- und Elektrolythomöostase. Dehydratation und Überwässerung, Hy-per- und Hyponatriämie in unterschiedlicher Kombination sind wesentlichhäufiger als bei jungen Erwachsenen. Besonders anfällig für ein Flüssig-keitsdefizit sind untergewichtige Personen und Pflegebedürftige, die ihreFlüssigkeitszufuhr infolge Immobilität, Demenz, Depression, Sedierung,Dysphagie oder Aphasie nicht mehr adäquat steuern können. Verstärktwerden diese Störungen der Homöostase durch Erkrankungen, Medika-mente und Umgebungsbedingungen (z.B. Hitze) [2].

Störungen des Natrium- und Wasserhaushaltes können gravierende Fol-gen haben. Typische und häufige Folgen des Flüssigkeitsdefizits sind Ver-

Flüssigkeitshaushaltund Exsikkose

14

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wirrtheit, Adynamie, Verstärkung einer Obstipation, Stürze infolge ortho-statischer Hyoptonie und prärenales Nierenversagen, im Extremfall mit le-talem Ausgang.

Exsikkose

z Ursachen

Die häufigste Störung des Wasser- und Elektrolythaushaltes im Alter istder Flüssigkeitsmangel, die Exsikkose. Sie entsteht durch unzureichendeFlüssigkeitszufuhr (Ursachen s. o.) und/oder übermäßige Flüssigkeitsverlus-te. Flüssigkeit geht verloren überz den Magen-Darm-Trakt (z. B. bei Erbrechen, Diarrhoe, (Sub-)Ileus mit

Flüssigkeitssequestrierung im Darmlumen, Peritonitis und Pankreatitismit Flüssigkeitssequestrierung im Abdomen),

z die Niere (z. B. durch Diuretika, polyurische Phase einer Niereninsuffi-zienz, osmotische Diurese bei Hyperglykämie oder hoch konzentrierterSondenkost),

z die Haut (z.B. bei Schwitzen, Verbrennung, großen Wundflächen, Fis-teln),

z die Atmung (infolge Tachypnoe z.B. bei Fieber, Sepsis).

Pro Grad Fieber müssen 500 ml Flüssigkeit zusätzlich verabreicht werden.

z Klinische Zeichen

Klinische Zeichen des Flüssigkeitsdefizits sind eine trockene Zunge undein erniedrigter Hautturgor, am ehesten zu erkennen als stehenbleibendeHautfalte über dem Sternum. Weitere Zeichen sind trockene Mundschleim-häute, Sprechschwierigkeiten mit einer tonlosen, heiser wirkenden Stimme,fehlende Füllung der Halsvenen im Liegen, in ausgeprägteren Fällen einearterielle und/oder orthostatische Hypotonie, Tachykardie, Verwirrtheitund prärenales Nierenversagen mit Oligurie oder Anurie. Die meisten die-ser Hinweise sind jedoch mehrdeutig (z. B. trockener Mund durch Medika-mente mit anticholinerger Wirkung oder Nebenwirkung) und gerade beiÄlteren nur in der Zusammenschau zu interpretieren. Die genauere Bestim-mung des Flüssigkeitsdefizits über den zentralen Venendruck ist meistnicht erforderlich.

Im Labor ist der Hämatokritwert erhöht, sofern nicht gleichzeitig eineAnämie vorliegt. Im Verlauf steigen Kreatinin und Harnstoff im Serum anals Zeichen des prärenalen Nierenversagens. Alte Menschen sind hier be-

z 14 Flüssigkeitshaushalt und Exsikkose174

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sonders gefährdet, da die Nierenfunktion mit dem Alter abnimmt. Nähe-rungsweise berechnen lässt sich die mit dem Alter abnehmende glomerulä-re Filtrationsrate nach der Formel von Cockcroft und Gault:

GFR � �140 � Alter� � K�orpergewicht �kg�72 � Serumkreatinin �mg�dl�

(bei Frauen mal 0,85).

Labors berechnen zunehmend die GFR automatisch nach der Gewichts-un-abhängigen MDRD-Formel:

GFR�ml�min�1�73m2� � 186� �Kreatinin��1�154 � �Alter��0�203(bei Frauen mal 0,742).

z Isotone, hypotone und hypertone Dehydratation

Flüssigkeitsverluste können zu isotoner, hypo- und hypertoner Dehydratati-on führen – abhängig davon, ob Wasser, Elektrolyte und andere osmotischwirksame Substanzen in proportionaler oder unproportionaler Menge ver-loren gehen. Isotonie oder Isoosmolalität liegt bei einer Serumosmolalitätvon 280–295 mosm/kg vor. Sie wird berechnet nach der Formel:

Serumosmolalit�at � 2� Natrium �mmol�l� Glukose �mg�dl��18Harnstoff �mg�dl��6 �

Natrium ist dabei mengenmäßig das wichtigste osmotisch wirksame Mo-lekül im Extrazellulärraum und damit auch im Serum. Bei normalen Glu-kose- und Harnstoffkonzentrationen sind diese zu vernachlässigen. Nähe-rungsweise gilt dann:

Serumosmolalit�at � 2� Serumnatrium �mmol�l� �

Hyponatriämie bedeutet damit in der Regel erniedrigte, Hypernatriämieerhöhte Serumosmolalität (Ausnahmen siehe S. 178).

Die isotone Dehydratation die häufigste Form des Flüssigkeitsdefizits.Sie entsteht durch den proportionalen Verlust von Natrium und Wasser. Po-tentiell kommen alle auf S. 174 angeführten Entstehungsmechanismen inFrage. Besonders häufige Ursachen im Alter sind ungenügendes Trinken,Erbrechen, Diarrhoe oder zu hohe Diuretikadosen. Diese Faktoren können– kombiniert mit körpereigenen oder externen Korrekturversuchen – aucheine hypotone (Natrium und Plasmaosmolalität erniedrigt) oder hypertoneDehydratation auslösen.

Zur Dehydratation mit Hypernatriämie (Natrium>150 mmol/l) kommtes, wenn bei Wassermangel die Wasserzufuhr über den Durst nicht mehr

Exsikkose z 175

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selbstständig geregelt werden kann. Eine typische Ursache ist Fieber, wel-ches zu einem Wasserverlust über Atmung und Schwitzen mit nur gerin-gem Natriumverlust führt. Die erhöhte Natriumkonzentration im Serumverursacht einen Wasserausstrom aus der Zelle. Bei Natriumwerten über150 mmol/l tritt Lethargie oder Unruhe auf, höhere Werte führen zu Mus-kelzuckungen, Hyperreflexie, Krämpfen, Fieber, Übelkeit, Erbrechen, Komaund evt. irreversiblen neurologischen Schäden.

Zu beachten ist, dass eine Hypernatriämie auch durch erhöhte Natrium-zufuhr, z.B. iatrogen durch die Gabe natriumreicher Penicillinlösungenoder sogar isotoner Kochsalzlösungen (154 mmol Na+/l) entstehen kann.

z Therapie

Die Therapie jeder Exsikkose besteht neben der Beseitigung der Ursache ineiner ausreichenden Flüssigkeitsgabe. Der Ausgleich des Flüssigkeitsdefizitsund der gestörten Natriumkonzentration muss um so rascher erfolgen, jeschneller die Abweichung entstanden ist und je ausgeprägter die Symptomesind. Entsprechend ist auch die Applikationsart zu wählen: Bei ausgepräg-ter Symptomatik und Dringlichkeit, v. a. bei hämodynamisch instabilen Pa-tienten, Flüssigkeitsgabe nur i.v.! In leichten Fällen kann die Flüssigkeits-substitution bei nicht ausreichend trinkenden Patienten auch als langsamesubkutane Infusion isotoner Lösungen (z.B. Ringer, NaCl 0,9%, Glukose5%) erfolgen, z.B. am Bauch, Oberschenkel oder Rücken (Hypodermoclysis)[9]. Diese Methode ist auch in Pflegeheimen oder zu Hause durchführbarund dient bei geringer Trinkmenge auch als Exsikkoseprophylaxe. KaumAnwendung findet die langsame Flüssigkeitsgabe über einen Rektaltropf.

Die Art der Infusionslösung wird nach der begleitenden Elektrolytstö-rung ausgewählt. Unabhängig von der Natriumkonzentration im Serumgilt: Volumenmangelschockzustände erfordern bis zu einem systolischenBlutdruck von 100 mm Hg immer die rasche intravenöse Gabe physiologi-scher NaCl-Lösung. Erhöhte oder erniedrigte Natriumkonzentrationen sol-len auch bei ausgeprägter Symptomatik maximal mit einer Geschwindigkeitvon 1 mmol/l pro Stunde bzw. 8 mmol/l pro Tag [1] dem Normbereich an-genähert werden; nur initial und kurzfristig ist bei schwerster Hyponatri-ämie mit neurologischen Symptomen ein Ausgleich um 5–6 mmol/l indi-ziert [7]. Die Korrektur muss um so langsamer erfolgen, je langsamer dieStörung entstanden ist und je näher die Werte dem Normbereich kommen.Engmaschige Laborkontrollen sind obligat. Bei zu raschem Ausgleich einerHyponatriämie droht die zentrale pontine Myelinolyse mit Tetraparese undPseudobulbärparalyse, bei zu raschem Ausgleich einer Hypernatriämie dasHirnödem [7].

Bei Hypernatriämie und einem systolischen Druck von �100 mmHgwird Glukose 5% oder NaCl-Lösung 0,45% infundiert. Das Flüssigkeitsdefi-zit ergibt sich aus:

z 14 Flüssigkeitshaushalt und Exsikkose176

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Wasserdefizit � 0�5� K�orpergewicht �kg� � �1�140�Plasmanatrium�

(altersadaptiert nach [7]). Davon wird die Hälfte in den ersten 24 Stundenersetzt, der Rest am zweiten Tag. Gleichzeitig muss der Tagesbedarf anFlüssigkeit verabreicht und ggf. Kalium substituiert werden.

Bei Volumenmangel mit normaler Natriumkonzentration wird Ringerlö-sung verabreicht. Die Gabe von isotoner Kochsalzlösung ist in den meistenFällen ebenfalls möglich, führt jedoch bei ausschließlicher Gabe über meh-rere Tage gelegentlich zur Hypernatriämie.

Bei Volumenmangel mit Hyponatriämie erfolgt der Flüssigkeitsersatz inder Regel durch isotone Kochsalzlösung. Meist genügt eine Abschätzungder benötigten Infusionsmenge anhand von Tagesbedarf und Flüssigkeits-defizit. Nur bei nachweislich rasch (<48 h) entstandener Hyponatriämiemit schwerer neurologischer Symptomatik (Krampfanfälle, Koma) muss zu-sätzlich 3%ige NaCl-Lösung gegeben werden, um durch einen rascherenAusgleich die Letalität zu senken (s.u.). Die Infusionsmenge zur Korrekturder Hyponatriämie wird dann nach folgender Formel berechnet [1]:

Natriumver�anderung im Serum �mmol�l� �Natrium in der Infusionsl�osung �mmol�l� � Natrium im Serum �mmol�l�

�0�5� K�orpergewicht �kg�� �

Die angestrebte Natriumveränderung dividiert durch die mit obiger Formelerrechnete Natriumveränderung ergibt die benötigte Infusionsmenge in Li-tern. Der Faktor 0,5 in der Formel entspricht – wie in der Formel zumWasserbedarf bei Hypernatriämie – dem Wasseranteil am Körpergewicht.

Als Erfolgskontrolle für einen ausreichenden Flüssigkeitsersatz dienenKreislaufparameter (Pulsfrequenz, Blutdruck), Urinvolumen und -konzen-tration, Hautturgor und Schleimhäute. Die exaktere Messung über den Ve-nendruck ist dafür meist nicht erforderlich. Tägliche Kontrollen sind vorallem bei Patienten mit Herz-, Nieren- oder Leberinsuffizienz notwendig,um eine Überwässerung zu vermeiden.

Hyponatriämie

Eine Hyponatriämie tritt bei zahlreichen im Alter häufigen Störungen wiedekompensierte Herzinsuffizienz, chronische Niereninsuffizienz, Diarrhoe,Diuretikagabe oder SIADH-Syndrom (siehe S. 179), aber auch bei seltenenErkrankungen wie Gluko- oder Mineralokortikoidmangel auf. Ihre Inzidenzvon bis zu 50% pro Jahr unter Pflegeheimbewohnern [11] und ihre Präva-lenz von 11% bei Patienten einer geriatrischen Ambulanz [6] sind hoch.

Hyponatriämie z 177

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Hyponatriämie führt zum Wassereinstrom in die Zellen. Symptome ent-stehen v. a. infolge der Schwellung der Hirnzellen. Sie sind um so gravie-render, je schwerer die Hyponatriämie und je kürzer ihre Entstehungszeitsind. Bei langsamer Entwicklung werden initiale Symptome wie Müdigkeit,Konzentrationsschwierigkeiten und Gangunsicherheit bei Natriumkonzen-trationen von �125 mmol/l leicht fehl gedeutet. Nicht selten ist bei altenPatienten eine mäßiggradige Hyponatriämie die Ursache für Übelkeit undErbrechen. Mit zunehmender Verschlechterung kommt es zu Kopfschmer-zen, Lethargie, Verwirrtheit, Delir, Krampfanfällen, Einklemmung des Hirn-stammes mit zerebralen Dauerschäden, Koma und Atemstillstand. Bei einerEntstehungszeit von weniger als 48 Stunden und Natriumkonzentrationenunter 110 mmol/l steigt die Mortalität auf bis zu 50% [6]. Da die kausaleTherapie – abhängig von der Ursache – unterschiedlich ist, sollten diewichtigsten Abklärungsschritte und Differentialdiagnosen bekannt sein.

z Differentialdiagnose der Hyponatriämie [7]

Erhöhte Glukose- und Harnstoffkonzentrationen im Serum führen auf-grund ihrer osmotischen Wirkung mit Wasserausstrom aus den Zellen zueiner „physiologischen“ Hyponatriämie bei erhöhter Serumosmolalität(Formel siehe S. 175). Bei einer Lithiumtherapie kommt es ebenfalls zurHyponatriämie, da das Kation Lithium ausgleichend zu einer relativenKonzentrationsabnahme des Kations Natrium führt. Osmotisch wirksameSubstanzen im Blut wie Mannitol führen ebenfalls zur Hyponatriämie beierhöhter oder normaler Serumosmolalität [1]. Im Flammenphotometer, ei-ner zunehmend seltener angewandten, älteren Natriumbestimmungsmetho-de, wird die Natriumkonzentration bei hohem Serumeiweiß oder -lipidenfalsch niedrig gemessen [1, 7].

Alle anderen Hyponatriämien gehen mit einer Serumhypoosmolalitäteinher und sind pathologisch. Zur weiteren Differenzierung helfenz die Bestimmung der Natriumkonzentration im Spontanurin (Diuretika

mindestens 24 Stunden vorher absetzten): Ein Urinnatriumgehalt über20 mmol/l ist ein Hinweis auf renale oder hormonelle Ursachen;

z die Schätzung des Extrazellulärvolumens: Geht die Hyponatriämie miteiner Hypo-, Eu- oder Hypervolämie einher? (Tabelle 14.1)

Hyponatriämien mit Hypervolämie, erkennbar an Ödemen und Gewichts-zunahme, sind durch dekompensierte Herz- oder Leberinsuffizienz oderdurch Nierenerkrankungen (akutes Nierenversagen, chronische Nierenin-suffizienz, nephrotisches Syndrom) verursacht, die in der Regel bereits be-kannt oder leicht zu diagnostizieren sind. Die Therapie richtet sich nachder Grunderkrankung und besteht bei der dekompensierten Herz- und Le-berinsuffizienz in einer Flüssigkeitsrestriktion, ggf. in Kombination mit ei-nem Schleifendiuretikum. Eine Natriumsubstitution ist nicht indiziert, da

z 14 Flüssigkeitshaushalt und Exsikkose178

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das Gesamtkörpernatrium erhöht ist (relative Hyponatriämie durch ver-mehrte Wasserretention). Hyponatriämien mit Hypovolämie wurden aufS. 174 ff. besprochen.

z Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion

Die im Alter wichtigste Hyponatriämie mit normalem Extrazellulärvolu-men ist das Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH), erstmals1967 beschrieben von Bartter und Schwartz. ADH (antidiuretisches Hor-mon) wird in den supraoptischen und paraventrikulären Kernen des Hypo-thalamus synthetisiert, im Hypophysenhinterlappen gespeichert und beiSerumhyperosmolalität vermehrt freigesetzt. In den distalen Tubuli undSammelrohren der Niere bewirkt es eine vermehrte Reabsorption von frei-em Wasser. Zur Minderung des dadurch vermehrten Blutvolumens wirdüber die Niere vermehrt Natrium (und Wasser) ausgeschieden. Die Na-

Hyponatriämie z 179

Tabelle 14.1. Ursachen einer hypoosmolaren Hyponatriämie [7]

Urinnatruim <20 mmol/l

+ Hypovolämie + Euvolämie + Hypervolämie

Extrarenaler Natrium-(und Wasser-)Verlust:

Spülungen mit hypotonenLösungen, z. B. bei Prostata-resektionen, Darmeinlauf

Dekompensierte Herzinsuffizienz

z Erbrechen, Diarrhoe Polydipsie (im Alter selten) Dekompensierte Leber-insuffizienz

z Schwitzen mit Trinkenhypotoner Lösungen

Nephrotisches Syndrom

z Verbrennungenz Pankreatitisz Plasmaexpander

Urinnatruim >20 mmol/l

+ Hypovolämie + Euvolämie + Hypervolämie

Renaler Natrium-(und Wasser-)Verlust:

SIADH Akutes Nierenversagen

z Diuretika Glukokortikoidmangel Chronische Niereninsuffizienz

z Mineralokortikoidmangel Schwere Hypothyreose

z Salzverlustniere Schwere Hypokaliämie

z Metabolische Alkalose

z Renal-tubuläre Acidose

Page 191: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

triumkonzentration im Urin steigt auf über 20 mmol/l, die Natriumkonzen-tration im Serum sinkt. Die Steuerung der ADH-Produktion und -Freiset-zung erfolgt über Osmorezeptoren im Hypothalamus, aber auch über Deh-nungsrezeptoren im linken Vorhof des Herzens, über Barorezeptoren imAortenbogen und über das limbische System, das z.B. bei Schmerz, Übel-keit, Angst und größeren Traumata aktiviert wird.

Physiologische Veränderungen der ADH-Sekretion und -Wirkung im Alterwurden auf S. 173 erwähnt. Alter per se stellt einen Risikofaktor für eine Hy-ponatriämie dar. Daher sollte älteren Hypertonikern keine Salzrestriktionverordnet werden, zumal deren blutdrucksenkender Effekt gering ist.

Die häufigste Ursache für ein SIADH im Alter sind Medikamente, v. a.Thiazid-Diuretika und Antidepressiva (SSRI). Oft führt das alleinige Abset-zen dieser Medikamente zu einer Normalisierung der Natriumkonzentrati-on und macht eine weitere Ursachensuche überflüssig. Die Gefahr einesSIADH besteht – unabhängig vom Alter – auch in den ersten 9 Tagen nachOperationen. Zu einer erhöhten ADH-Sekretion führen einige Tumor-erkrankungen, darunter v. a. das kleinzellige Bronchialkarzinom, das selbstADH produzieren kann [11]. Zahlreiche andere Lungenkrankheiten, ZNS-Erkrankungen, Stress (postoperativ, Schmerz), Infektionen oder eineschwere Hypothyreose können die ADH-Sekretion ebenfalls pathologischerhöhen oder – im Falle einiger Medikamente – die ADH-Wirkung in derNiere verstärken. Die wichtigsten Ursachen im Alter sind in Tabelle 14.2aufgelistet, eine Übersicht findet sich bei [6, 7, 11].

z 14 Flüssigkeitshaushalt und Exsikkose180

Tabelle 14.2. Ursachen eines SIADH. (Nach [4, 6, 7, 11])

z Medikamente (im Alter besonders häufig Thiazid-Diuretika, SSRI, Oxcarbazepin, außerdemNeuroleptika [z. B. Haloperidol], trizyklische Antidepressiva, Antikonvulsiva [z. B. Carbamaze-pin, Lamotrigin], MAO-Inhibitoren [Selegilin, Moclobemid], Metolopramid, Bromocriptin,Omeprazol, Ciprofloxacin, selten Schmerzmittel [NSAR, Paracetamol, Morphin], Ecstasy,Mannit, einige Chemotherapeutika, selten Schleifendiuretika, ACE-Hemmer)

z Tumoren (v. a. kleinzelliges Bronchialkarzinom, aber auch Pankreas, Kolon, lymphatischesGewebe, Thymus, Prostata, Gehirn, Harnblase)

z Lungenerkrankungen (z. B. bakterielle Pneumonien, Tuberkulose, COPD, Lungenabszesse,Bronchiektasen, PEEP-Beatmung)

z Hypothyreosez Lupus erythematodesz Arteriitis temporalisz Myokardinfarktz Zerebrale Erkrankungen (z. B. Schädelfraktur, subdurales Hämatom, Sinusvenenthrombose,

Subarachnoidalblutung, Hirninfarkt, Enzephalitis, Meningitis, Guillain-Barré-Syndrom, Hydro-zephalus, Psychosen)

z Starke Schmerzenz Stress, Angstz Trauma, Operationen

Page 192: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Hyponatriämie z 181

Zur Diagnose eines SIADH gehört neben einer Hyponatriämie mit Serum-hypoosmolalität ein erhöhter Natriumwert im Spontanurin (>20 mmol/l) miteiner erhöhten Urinosmolalität. Potentielle andere Ursachen für diese Labor-konstellation wie eine Hypothyreose, eine Hypokaliämie oder ein Glukokor-tikoidmangel sollten ausgeschlossen werden (Patienten nach vorheriger, evt.im Rahmen einer Operation plötzlich abgesetzter Dauerbehandlung mitGlukokortikoiden fragen!).

Die Therapie richtet sich primär nach der Ursache (z. B. OP eines Tu-mors, auslösende Medikamente absetzen, effektive Schmerztherapie). Diesymptomatische Therapie besteht bei leichter Hyponatriämie (125–135 mmol/l) in einer Flüssigkeitsrestriktion auf 800–1000 ml pro Tag [11].Natrium- und proteinreiche Kost (Essen zusalzen!) vermehrt bei Hypona-triämie die Wasserausscheidung. Eine Natriumgabe ist auch in Form vonTabletten („Schwedentabletten“, in der Regel Gabe von 3�1 g/Tag) möglich.Sind diese Maßnahmen alleine nicht erfolgreich, werden zusätzlich Schlei-fendiuretika, das Tetrazyklin-Derivat Demeclocylin (Ledermycin 2–4�300 mg/Tag; nur über internationale Apotheke zu beziehen) oder Lithiumeingesetzt. Letztere inhibieren die ADH-Wirkung am Sammelrohr [11]. Beischwerer Hyponatriämie mit neurologischen Symptomen ist aufgrund derDringlichkeit initial und nur bis zu einem Serumnatriumwert von 120mmol/l die Gabe von 3%iger Kochsalzlösung, ggf. in Kombination mit ei-nem Schleifendiuretikum, erforderlich. 1–2 ml/kg Körpergewicht pro Stun-de einer 3%igen NaCl-Lösung erhöhen die Natriumkonzentration im Se-rum um 1–2 mmol/l. Zu Ausgleichsgeschwindigkeit und Risiken sieheS. 177. Eine neue Therapiemöglichkeit stellen in Zukunft voraussichtlichAquaretika wie Tolvaptan und Lixivaptan dar, die über eine Blockierungder V2-Rezeptoren für ADH in der Niere zur Ausscheidung von Wasser oh-ne gleichzeitigen Elektrolytverlust führen [6, 8].

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Eine seltene Ursache einer Hyponatriämie im Alter 5���� MDGN7� 3�� :;28 ������ ����)��� ��������� "�� D� ������ �������� ���� � ��� ������� )���� ��)���"��2��& E���'�� ��� 3�������� �������� #������ ���� ���� 3��''��� *� ������ �� )�������� ���� !10����� ��� �� ,���� �)����� DCD ��� D;@ ����H� ������)��� ���� ���� !10��'��� ��� �� ,���� �)����� A&G ��� A&� ����H� ���� ���2���� ����'�0��� ��� ���� )��)������� -������ ����'����� ���� �� �������� .� >�����2�>& �� )���� B������ ��� ��� �*�.! ��������%�� )���& � �����2� ����� ������� ������������ #�����)��� ������ �� $����������� ?��� 1�0����2���� >����0�� 5��%��'���������& �������'�7 ���� ��� ��� 4���� 8�2)��� ��� "��%���������� $��� ����� � ������� #����0 )��� �� �� $����� ���12�����& ��������� ��� �� ��������� -������' )����� ������������ .�� !�� �8�� ����� �10��0��������� 3�� ��>!2#���� �%�� �� ����� �������������� #��2�������� ��� ����������� ����� �����2��>!� .� �������2�> ���� ���0�����&"��'��'� $����������� ?��� ���� "�� !1���'����� ��� ������'����� ��� *����2�� "�� $��� G&:O ���� ��� ��� 4���� ����� 4)�� ����� 0 �� �� �� ����)����� ��)��� �����������

Page 193: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

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z 14 Flüssigkeitshaushalt und Exsikkose182

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Teil III: GeriatrischesManagement

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Definitionen

Nach der Definition der WHO schließt Rehabilitation alle Maßnahmen ein,die darauf gerichtet sind zu verhüten, dass eine Fähigkeitsstörung eine Be-einträchtigung verursacht, außerdem alle Maßnahmen, die darauf gerichtetsind, das Ausmaß von Fähigkeitsstörungen oder Beeinträchtigungen zuverringern [37] (siehe Kap. 2 und 4). Damit gründet jede Form von Reha-bilitation auf dem Konzept der ICIDH (International Classification of Im-pairments, Disabilities and Handicaps) bzw. der ICF (Internationale Klassi-fikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit, DIMDI/www.dimdi.de). Dieses Konzept bildet auch die Grundlage für den Begriffund den Gegenstandsbereich der Rehabilitationswissenschaften [28].

Medizinische Rehabilitation ist ein wichtiger Bestandteil geriatrischerVersorgung. Das Ziel geriatrischer Rehabilitation besteht darin, eine Behin-derung einschließlich Pflegebedürftigkeit abzuwenden, zu beseitigen, zumindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Fol-gen zu mildern. Damit sind geriatrische Rehabilitationsziele die dauerhafteWiedergewinnung, die Verbesserung oder der Erhalt der Selbstständigkeitbei den alltäglichen Verrichtungen („activities of daily living“, ADL; sieheKap. 2). Ein konkretes Ziel wäre beispielsweise das Verbleiben in der Häus-lichkeit, das durch die Verbesserung der Mobilität oder die Vermeidungbzw. Verringerung der Abhängigkeit von Pflegepersonen angestrebt wird.

Alltagsrelevante Teilschritte (-ziele) könnten sein:z Erreichen der Stehfähigkeit,z Erreichen des Bett-Rollstuhl-Transfers,z Verbesserung der Rollstuhlfähigkeit,z Erreichen des Toilettengangs oder der selbstständigen persönlichen Hygie-

ne,z selbstständige Nahrungsaufnahme,z selbstständiges An- und Auskleiden,z Gehfähigkeit über mehrere Treppenstufen,z Gehfähigkeit innerhalb der Wohnung,z Tagesstrukturierung [29].

Geriatrische Rehabilitation15

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Gesetzliche Grundlagen

Die Grundlagen für Leistungen medizinischer Rehabilitation sind die ge-setzlichen Regelungen des SGB V und des SGB XI. Dabei gelten die Grund-sätze „Rehabilitation vor Pflege“1 (§ 31 SGB XI) sowie „ambulant vor sta-tionär“. Im Unterschied zur indikationsspezifischen Rehabilitation ist inder Regel die gesetzliche Krankenkasse Kostenträger für die geriatrischeRehabilitation. Leistungen der medizinischen Rehabilitation werden aufAntrag des Versicherten erbracht. Über die Leistung entscheiden die Kran-kenkassen nach Begutachtung des Antrags durch den MDK (MedizinischerDienst der Krankenversicherung; siehe Kap. 4).

Ambulante und stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitationsind zuzahlungspflichtig (§ 40 Abs. 5 SGB V). Bei einer Anschlussrehabilita-tion – eine Leistung zur Rehabilitation, die in unmittelbarem Anschluss aneine Krankenhausbehandlung erfolgt – ist die Zuzahlungsdauer auf läng-stens 28 Tage je Kalenderjahr eingeschränkt. Als unmittelbar gilt, wenn dieLeistung innerhalb von 14 Tagen nach einer Krankenhausbehandlung be-ginnt.

Voraussetzungen für geriatrische Rehabilitation

2004 traten die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses über Leis-tungen zur medizinischen Rehabilitation (Rehabilitationsrichtlinien) inKraft (§ 92 SGB V). Damit wurde ein standardisiertes Verfahren für die Be-ratung und Einleitung notwendiger Leistungen zur medizinischen Rehabili-tation im vertragsärztlichen Bereich geschaffen.

Die „Arbeitshilfe zur geriatrischen Rehabilitation“ der Bundesarbeits-gemeinschaft für Rehabilitation (BAR) gibt einen Überblick über die Ver-fahrensweise [3].

z 15 Geriatrische Rehabilitation186

1 Der Grundsatz „Rehabilitation vor Pflege“ gilt auch dann, wenn ein ältererMensch bereits als pflegebedürftig eingestuft wurde. Die Pflegekassen prüfen imEinzelfall, welche Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und welcheergänzenden Leistungen geeignet und zumutbar sind, um Pflegebedürftigkeit zuüberwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten. Wirdvonseiten der Pflegekasse festgestellt, dass im Einzelfall Leistungen zur medizi-nischen Rehabilitation angezeigt sind, teilt sie dies dem Versicherten und demzuständigen Rehabilitationsträger unverzüglich mit. Die Pflegekassen unter-stützen die Versicherten bei der Inanspruchnahme, insbesondere auch bei derAntragstellung.

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In Ergänzung zu den „Begutachtungs-Richtlinien Vorsorge und Rehabili-tation“ des MDS (Medizinischer Dienst der Spitzenverbände der Kranken-kassen) [14] wurden eine Begutachtungshilfe „Geriatrische Rehabilitation“sowie „Rahmenempfehlungen zur ambulanten geriatrischen Rehabilitation“[29] entwickelt. Diese enthalten neben Definitionen zum geriatrischen Pa-tienten und zur geriatrietypischen Multimorbidität auch Indikationskrite-rien für die geriatrische Rehabilitation.

Im Sinne der o. g. Rahmenempfehlungen ist ein geriatrischer Patient cha-rakterisiert durch „geriatrietypische Multimorbidität und höheres Lebens-alter (in der Regel 70 Jahre oder älter; Abweichungen von diesem striktenKriterium sind möglich, bedürfen jedoch der Begründung)“. Geriatrie-typische Multimorbidität ist die Kombination von Multimorbidität und ge-riatrietypischen Befunden bzw. Sachverhalten. „Ein Patient ist multimorbi-de, wenn er multiple strukturelle oder funktionelle Schädigungen (nachICIDH/ICF) bei mindestens zwei behandlungsbedürftigen Erkrankungen auf-weist“ [3]. Behandlungsbedürftig in diesem genannten Sinn bedeutet, dassdie aus diesen Erkrankungen entstehenden medizinischen Probleme wäh-rend der Rehabilitation engmaschig ärztlich überwacht und bei der Thera-pie berücksichtigt werden müssen.

Das „Geriatrietypische“ der Multimorbidität ist eine Kombination fol-gender Merkmalkomplexe sowie relativ hoher Risiken (siehe Teil II: Ge-riatrische Syndrome):z Immobilität,z Sturzneigung und Schwindel,z kognitive Defizite,z Inkontinenz (Harninkontinenz, Stuhlinkontinenz),z Dekubitalulzera,z Fehl- und Mangelernährung,z Störungen im Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt,z Depression, Angststörung,z chronische Schmerzen,z Sensibilitätsstörungen,z herabgesetzte körperliche Belastbarkeit/Gebrechlichkeit,z starke Sehbehinderung,z ausgeprägte Schwerhörigkeit.

Für das geriatrische Syndrom relevante Sachverhalte – außerhalb der Syste-matik der Schädigungen und Fähigkeitsstörungen nach ICIDH/ICF – sind:z Mehrfachmedikation (siehe Kap. 6),z herabgesetzte Medikamententoleranz,z häufige Krankenhausbehandlungen („Drehtüreffekt“).

Typische antragsrelevante Hauptdiagnosen beim geriatrischen Patientensind:z Zustand nach Schlaganfall,z Zustand nach hüftgelenknahen Frakturen,

Voraussetzungen für geriatrische Rehabilitation z 187

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z Zustand nach operativer Versorgung mit Totalendoprothese von Hüfteoder Knie,

z Zustand nach Gliedmaßenamputation bei peripherer arterieller Verschluss-krankheit oder diabetischem Gefäßleiden.

Als spezifische Risiken sind benannt:z relativ hohes Risiko – gegenüber nichtgeriatrischen Patienten – der Ein-

schränkung der Selbstständigkeit im Alltag bis hin zur Pflegebedürftig-keit,

z relativ hohes Risiko – gegenüber nichtgeriatrischen Patienten – vonKrankheitskomplikationen (Thrombosen, interkurrente Infektionen, Frak-turen, verzögerte Rekonvaleszenz u.a.).

Maßnahmen der Rehabilitation zeichnen sich aus durch:z Individualität (individueller Behandlungsplan),z Komplexität (Komplexbehandlung unter Einbezug verschiedener Thera-

pieformen),z Interdisziplinarität (Rehabilitationsteam).

Drei weitere Begriffe sind im Zusammenhang mit der Indikationsstellungzu nennen und werden im Folgenden erläutert.

z Rehabilitationsbedürftigkeit

Rehabilitationsbedürftigkeit besteht, wenn aufgrund einer körperlichen,geistigen oder seelischen Schädigungz voraussichtlich nicht nur vorübergehende alltagsrelevante Beeinträchti-

gungen der Aktivitäten vorliegen, durch die in absehbarer Zeit Beein-trächtigungen der Teilhabe drohen oder

z Beeinträchtigungen der Teilhabe bereits bestehen undz über die kurative Versorgung hinaus ein mehrdimensionaler und inter-

disziplinärer rehabilitativer Ansatz erforderlich ist.

Entsprechende Beeinträchtigungen der Aktivitäten sind beispielsweise dieSelbstversorgung, die Fortbewegung, das Verhalten (z. B. Folgen vorüberge-hender Verwirrtheit) und die Kommunikation.

z Rehabilitationsfähigkeit

Der Begriff der Rehabilitationsfähigkeit bezieht sich auf die somatischeund psychische Verfassung des Rehabilitanden (Motivation/Motivierbarkeitund Belastbarkeit) für die Teilnahme an einer geeigneten Rehabilitation.

z 15 Geriatrische Rehabilitation188

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Im Unterschied zu Patienten, für die eine indikationsspezifische Rehabi-litation infrage kommt, zeichnen sich geriatrische Patienten vor allemdurch größere Hilfsbedürftigkeit aus und verfügen in der Regel über einegeringere Belastbarkeit. Geriatrische Rehabilitationsfähigkeit ist normaler-weise dann gegeben, wennz die vitalen Parameter stabil sind,z Begleitkrankheiten, Schädigungen und typische Komplikationen vom

ärztlichen, pflegerischen und therapeutischen Personal behandelt werdenkönnen und

z die kardiopulmonale Stabilität sowie die physische und psychische Be-lastbarkeit erlauben, dass Patienten mehrmals täglich aktiv an rehabilita-tiven Therapien teilnehmen.

Rehabilitationsfähigkeit ist nicht gegeben beiz fehlender Zustimmung, Motivation und Motivierbarkeit des Patienten,z fehlender oder nicht ausreichender Belastbarkeit, die eine aktive Teilnah-

me an Therapien verhindert,z Stuhlinkontinenz, wenn diese Symptom einer weit fortgeschrittenen geis-

tigen und körperlichen Erkrankung ist, sowiez schweren psychischen Störungsbildern, die z.B. mit gravierender Desori-

entiertheit, akuter Wahnsymptomatik oder Weglauftendenz einhergehen.

Aufgrund der epidemiologischen Veränderungen wird der Anteil älterer Pa-tienten, die zusätzlich an einer demenziellen Erkrankung (Komorbidität)leiden, zunehmen. Abhängig vom Schweregrad werden gezielte physio- undergotherapeutische Behandlungen durch eine demenzielle Erkrankung inder Regel erschwert. Dann bedarf es des besonderen Einfühlungsvermögensund größerer Flexibilität der Therapeuten. Außerdem müssen die Behand-lungen in besonderem Maß an der Alltagsrelevanz orientiert sein. Eine Me-taanalyse von Studien zur Physiotherapie bei älteren Patienten mit kogni-tiven Leistungseinschränkungen kam zu dem Ergebnis, dass sowohlkörperliche als auch kognitive Funktionen und Verhaltensparameter auchbei diesen Patienten positiv beeinflusst werden [9].

Im Rahmen der Behandlung kognitiver Störungen kann geeignetes Trai-ning des semantischen Gedächtnisses bei Patienten mit Alzheimer-Erkran-kung frustrierend sein. Allerdings können über drei Monate anhaltendeVerbesserungen durch intensives Training unter gleichzeitiger medika-mentöser Therapie mit Acetylcholinesterasehemmern erreicht werden.Noch günstiger ist möglicherweise das Potenzial bei Training prozeduraler,d.h. vor allem motorische Abläufe betreffender Gedächtnisvorgänge bei Pa-tienten mit Alzheimer-Erkrankung, da die verantwortlichen Hirnareale erstim späteren Krankheitsverlauf betroffen werden. Die grundlegende Ableh-nung von kognitiver Therapie erscheint jedenfalls nicht berechtigt.

Voraussetzungen für geriatrische Rehabilitation z 189

Page 200: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

z Rehabilitationsprognose

Die Rehabilitationsprognose ist eine medizinisch begründete Wahrschein-lichkeitsaussage auf der Basis der Erkrankung, des bisherigen Verlaufs undder Rückbildungsfähigkeit unter Beachtung und Förderung der persön-lichen Ressourcen (Rehabilitationspotenzial) für die Erreichbarkeit einesfestgelegten Rehabilitationszieles [14].

Die positive Rehabilitationsprognose ist anzunehmen, wenn mindestenseines der folgenden Kriterien zutrifft:z Beseitigung/Verminderung alltagsrelevanter Beeinträchtigungen derz Aktivitäten/Teilhabe durch Verbesserung der Selbsthilfefähigkeit ist er-

reichbar,z Kompensationsmöglichkeiten zur Alltagsbewältigung sind mit Aussicht

auf nachhaltigen Erfolg anzuwenden/trainierbar oderz aussichtsreiche Adaptionsmöglichkeiten sind vorhanden und nutzbar.

Der unter Berücksichtigung der Kontextfaktoren anzustrebende Grad derSelbstständigkeit ergibt sich aus der Alltagskompetenz in den Grundbe-dürfnissen, die vor Auftreten der Beeinträchtigung der Aktivitäten und derTeilhabe bestand. Dies begründet die aktuelle Rehabilitationsbedürftigkeit.

Formen geriatrischer Rehabilitation

Geriatrische Rehabilitationsbehandlung wird in drei verschiedenen Be-handlungssettings vorgehalten: stationär, teilstationär und als ambulantegeriatrische Rehabilitation (AGR). Ausführungen zum stationären Bereichund zum interdiszipliären Team, das in allen drei Organisationsformen tä-tig ist, wurden bereits in Kap. 4 dargelegt. Im Folgenden wird deshalb aufdie Geriatrische Tagesklinik und Formen der AGR eingegangen. Beide Orga-nisationsformen fallen unter den Begriff „ambulante medizinische Rehabili-tation“ [29]. In einem 2003 vom Bundesministerium für Gesundheit undSoziale Sicherung herausgegebenen Verzeichnis sind geriatrische Klinikenund Rehabilitationseinrichtungen in Deutschland u. a. spezifiziert mit ih-rem jeweiligen Behandlungsspektrum aufgeführt [4].

z Geriatrische Tagesklinik

Tageskliniken stellen die teilstationären Behandlungs- und Rehabilitations-angebote der Geriatrie dar. Im letzteren Fall, als ausschließliche klinischeEinrichtung der Rehabilitation, muss vor Aufnahme eines Patienten dieKostenzusage durch die Krankenkasse vorliegen (siehe Kap. 4). In der Ta-

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gesklinik erhalten Patienten eine umfassende Diagnostik (geriatrisches As-sessment) und Behandlung, die der stationären Situation prinzipiell ent-spricht. Der Unterschied zur vollstationären Behandlung besteht darin,dass sich die betreffenden Patienten abends sowie an Wochenenden undFeiertagen zuhause befinden. Entsprechend gelten prinzipiell identische In-dikationen für eine tagesklinische Behandlung, mit der Bedingung, dassdie Versorgung zuhause gewährleistet und Transportfähigkeit des Patientengegeben ist. Die Patienten werden morgens vom Wohnort abgeholt und amNachmittag dorthin zurückgebracht, in der Regel durch einen von der Kli-nik selbst organisierten bzw. durch sie beauftragten Transportdienst. Auchrollstuhlabhängige Patienten sind hiervon nicht ausgenommen (Einsatzspezieller Fahrzeuge mit Hubeinrichtung zum Rollstuhltransport). Auf-grund der vorgehaltenen aktivierend-pflegerischen und therapeutischenKapazität kann in einer Tagesklinik nur eine hierdurch bestimmte maxima-le Anzahl von „Rollstuhlfahrern“ behandelt werden.

Durch die Entfernung der Tagesklinik vom Wohnort der Patienten ist ei-ne „logistische“ Begrenzung ihres möglichen Einzugsgebiets vorgegeben,da die Fahrtzeit – zu normalen Verkehrsbedingungen – maximal 45 minnicht überschreiten sollte bzw. den Patienten auch nicht zumutbar ist.

Die Entwicklung von Tageskliniken reicht in die 1940er Jahre zurück.1946 entstand in Montreal, Kanada, die erste Tagesklinik für psychiatrischePatienten, später entwickelten sich dann auch spezielle gerontopsychiatri-sche Tagesspitäler. In Oxford (Großbritannien) entstand 1952 das erste ge-riatrische Tageshospital. Anfang der 1970er Jahre gab es in England bereitsüber 100 Tageskliniken [5], während die erste geriatrische Tagesklinik inder Bundesrepublik Deutschland erst Anfang 1978 in Frankfurt Höchst/Main eröffnet wurde.

Vorteile der teilstationären Behandlung bestehen in der ausgesprochenen„Alltagsnähe“, die auf zuhause praktisch auftretende Probleme gezielt undzeitnah eingehen kann. Stationäre Rehabilitation findet größtenteils in ei-nem relativ „artifiziellen“ Rahmen mit behindertengerechten Bädern, Toi-letten, Übungsküchen etc. statt. Die „Nagelprobe“ jeder rehabilitativen Be-handlung besteht allerdings darin, dass der Patient ja wieder in seinempersönlichen Wohn- und Lebensbereich „zurechtkommen“ soll oder muss.Behindertengerechte Verhältnisse in Wohnungen bzw. Häusern älterer Men-schen sind indes noch eher die Ausnahme als die Regel.

Ein aus klinisch-geriatrischer sowie gerontologischer Sicht bedeutsamerVorteil der geriatrischen Tagesklinik besteht also einerseits in der aktivenAufrechterhaltung sozialer Kompetenz und andererseits in der Nutzung dergesamten diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten einer geriatri-schen Klinik. Insbesondere funktionell höhergradig beeinträchtigte Patien-ten (z.B. mit ausgeprägten Apraxien, Wahrnehmungs- oder Orientierungs-störungen) profitieren von der alltagsrelevant übenden Ablauf- und Tages-strukturierung sowie der in einer Tagesklinik ausgeübten aktivierend-the-rapeutischen Pflege (z.B. wichtig für das Blasentraining, siehe Kap. 9). DieAblauf- bzw. Tagesstrukturierung ist in anderen ambulanten Settings nicht

Formen geriatrischer Rehabilitation z 191

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bzw. nicht mehr gegeben oder kann nicht unbedingt gewährleistet werden.Neben diesen therapeutischen Vorteilen geht eine tagesklinische Komplex-behandlung mit der Vermeidung oder Verkürzung kostenintensiverer sta-tionärer Behandlungszeiten einher. Sie stellt deshalb eine zu Recht etablier-te „wohnortnahe“ Form geriatrischer Versorgung bzw. Rehabilitation fürhierfür geeignete Patienten dar, die eines vollstationären Settings nichtoder nicht mehr bedürfen [24].

Die Ergebnisse von Untersuchungen zu verschiedenen Aspekten der Effi-zienz der tagesklinischen Behandlung sind uneinheitlich [5, 7], jedoch we-gen unterschiedlich selektierter Patientengruppen sowie schwerpunktmäßi-ger Betrachtung bestimmter Teilaspekte auch schwierig zu interpretieren.Ein Beispiel für eine ausgesprochen erfolgreiche, randomisiert-kontrollierteIntervention im Rahmen einer tagesklinischen Routineversorgung in Lon-don (PROFET-Studie) ist die hierdurch erreichte Reduktion von Stürzenbei kognitiv nicht beeinträchtigten Patienten [6].

Eine Überlegenheit der tagesklinischen Versorgung verglichen – mit an-deren Formen ambulanter Versorgung, die ebenfalls auf umfassender Kon-zeption (umfassende geriatrische Beurteilung und interdisziplinärer Be-handlungsansatz mit definierten Zielen) beruhen – ist auf der Grundlageentsprechender Studien nicht belegt. Jedoch existiert Evidenz dafür, dassdie tagesklinische Versorgung wirksamer ist als eine übliche, d.h. nichtumfassende ambulante Versorgung [8]. Dies stützt die Sinnhaftigkeit desKonzepts systematischen und umfassenden, d.h. multiprofessionellen Vor-gehens geriatrischer Medizin (siehe Kap. 4).

z Ambulante geriatrische Rehabilitation

Sehr wenige ambulante Organisationsformen geriatrischer Rehabilitationwurden bislang im Rahmen von Modellversuchen in Betrieb genommen.Zwei Formen können unterschieden werden. Im einen Modellansatz suchtein mobiles Rehabilitationsteam mit Anbindung an eine geriatrische Klinikseine Patienten an deren Wohnort auf, um sie eben dort auch zu behan-deln. Der andere Modellansatz sieht vor, dass geeignete Patienten in eineklinisch-geriatrische Einrichtung kommen, um dort in einer speziellen Ab-teilung für ambulante geriatrische Rehabilitation (AGR) entsprechend kom-plex behandelt zu werden. Zu beiden Organisationsformen sind bislang ne-ben Beschreibungen der Modellversuche lediglich erste empirische Datenveröffentlicht worden [18, 27].

Neben Anforderungen für Einrichtungen der AGR an die personelle Be-setzung, an erforderliche Qualifikationen, zur Strukturqualität sowie zurapparativen Ausstattung, zu der auch Geräte der medizinischen Trainings-therapie zählen (Muskel- bzw. Krafttraining, siehe Kap. 7), wurden Empfeh-lungen für die Indikationsstellung formuliert [29]. Grundlagen für die Be-urteilung sowie für die Befund- und Behandlungsverlaufsdokumentationsind Assessment-Verfahren (siehe Kap. 4 und 16). Vor dem Beginn einer

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ambulanten geriatrischen Rehabilitationsbehandlung muss, wie üblich fürden Bereich der Rehabilitation, die Kostenzusage vorliegen, über die vonder zuständigen Krankenkasse nach erfolgter Begutachtung des Rehabilita-tionsantrags durch den MDK entschieden wird.

Geriatrische Rehabilitation am Beispiel von Schlaganfallpatienten

z Schlaganfallhäufigkeit im höheren Lebensalter

Der Schlaganfall ist eine Erkrankung mit hoher Inzidenz (Neuerkrankungs-rate), langfristigen funktionellen Einschränkungen für die Mehrzahl der Be-troffenen und damit auch großer volkswirtschaftlicher Bedeutung (sieheKap. 17). Gemäß verschiedener Erhebungen ereignen sich in Deutschlandjährlich 185000–220000 erste Schlaganfälle [35]. Die Prävalenzrate von Erst-und Rezidivschlaganfällen wird auf 500–800 Personen pro 100000 Einwohnergeschätzt. Hiervon leiden ca. zwei Drittel an den Folgen eines ischämischenHirninfarkts.

Die Wahrscheinlichkeit eines Schlaganfalls steigt mit zunehmendem Le-bensalter deutlich an. Während die Inzidenzrate bei 60- bis 64-Jährigenzwischen 200 und 400 pro 100000 Personen liegt, beträgt sie bei über75-jährigen Menschen deutlich über 1000 pro 100000 Personen [16].

Zur Pathophysiologie und zum Krankheitsbild des Schlaganfalls wird aufLehrbücher der Neurologie verwiesen. Auch bei über 65-jährigen Patientensind „klassische Risikofaktoren“ wegbereitend. Insbesondere absolute Ar-rhythmie bei Vorhofflimmern, vorangegangene transitorische ischämischeAttacken (TIA; zerebrale Durchblutungsstörungen), Rauchen, kardiovasku-läre Erkrankungen und arterielle Hypertonie erhöhen das Risiko ältererMenschen, einen Schlaganfall zu erleiden [26].

z Rehabilitation älterer Schlaganfallpatienten

Obwohl bei Patienten mit einem Schlaganfall ein höheres Lebensalter mitgrößerer Wahrscheinlichkeit für einen ungünstigen Verlauf mit höhererMortalität und Aussicht auf geringere funktionelle Verbesserungen ver-knüpft ist [25, 35, 36], belegt eine steigende Zahl von Studien die Wirk-samkeit der Rehabilitationsbehandlung älterer Patienten [1, 15, 17, 20, 33].Systematisches Assessment, koordinierte Zusammenarbeit des interdiszipli-nären Teams mit individuell zielorientierten therapeutischen Maßnahmensowie auch die sehr wichtige proaktive Erfassung und die frühzeitige Be-handlung von Komplikationen sind essenzielle Voraussetzungen für eine er-folgreiche Behandlung [10, 11, 23].

Geriatrische Rehabilitation am Beispiel von Schlaganfallpatienten z 193

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Für die rehabilitative Behandlung von Schlaganfallpatienten ist ein inter-disziplinäres Team erforderlich [19]. Für die Wirksamkeit therapeutischerMaßnahmen liegen mittlerweile ebenfalls fundierte Belege vor, wenngleichhierzu weiterhin ein großer Forschungsbedarf besteht [2, 21, 30, 31].

Die Behandlung von Schlaganfallpatienten ist aus den genanntenGründen besonders personalintensiv und teuer [34]. Insbesondere Kosten-aspekte treiben deshalb die Suche nach kostengünstigen Behandlungsfor-men voran [32]. Hierbei spielen teilstationär und ambulant organisierte Re-habilitationsformen (s. o.) eine Rolle. Die Herausforderung besteht darin,dass die in einem gestuften System für die unterschiedlichen Behandlungs-formen geeigneten Patienten diese auch erhalten und gemäß ihrem Rehabi-litationspotenzial behandelt werden können. Auch die Etablierung von sog.„clinical pathways“, die Gestaltung klinischer Versorgungsprozesse gemäßevidenzbasierter Erkenntnisse, ist ein weiteres Forschungsgebiet. Bislangliegen Erkenntnisse über die Beziehung zwischen Prozessen und Behand-lungsergebnissen bei Schlaganfallpatienten nur begrenzt vor und sind wi-dersprüchlich [12, 13]. Aufgrund von Kostendruck und Verweildauerver-kürzung sollte es nicht zu Qualitätseinbußen der Behandlung bei älterenPatienten kommen.

Literatur

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z 15 Geriatrische Rehabilitation196

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Gründe für die Beschäftigung mit Qualitätsfragen

Die Begriffe Qualität, Qualitätsmanagement, Qualitätssicherung, Effektivitätund Effizienz wurden während der letzten Jahre zu zentralen gesundheits-politischen Themen und Schlagworten. Wegen geringer werdender Finanz-mittel ist die Qualität medizinischer Versorgungsleistungen zunehmend zurDiskussion und zu Recht auch auf den Prüfstand gekommen. VorhandeneMittel müssen optimal eingesetzt werden – ohne nachträgliche Auswirkun-gen auf die Qualität der Versorgung. Auch aus diesem Grund ist es notwen-dig, die Wirksamkeit medizinischer Versorgung im höheren und hohen Le-bensalter intensiver als bisher zu erforschen. Der Zweck ist letztlich, kli-nische Entscheidungen zum Nutzen des Einzelnen auf der Grundlage wis-senschaftlich bestmöglich abgesicherten Wissens treffen zu können.

Zwischen Effektivität (wirksame Behandlung) und Effizienz (kostengüns-tigste Behandlung), zwischen medizinischen und ökonomischen Belangenalso, wird medizinische Qualitätssicherung als „objektiver Interessensaus-gleich“ gesehen [8]. Die Beschäftigung mit Qualitätsfragen geschieht alsoeinerseits unter Gesichtspunkten der Kosten, andererseits sind auch über-greifende gesundheitspolitische Rahmenbedingungen zu berücksichtigen.Mit Augenmerk auf die Versorgung der älteren Bevölkerung zählen hierzuz.B. Intentionen bzw. gesetzliche Vorgaben wie „Rehabilitation vor Pflege“und „ambulant vor stationär“.

Die Verpflichtung zur Qualitätssicherung ist bereits berufsrechtlich undseit 1993 durch das Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) und das Sozialgesetz-buch (SGB V §§ 135–139) vorgeschrieben. Die Erbringer ambulanter Vor-sorge- und Rehabilitationsmaßnahmen sowie stationärer Leistungen imKrankenhaus (nach §108 SGB V) oder in Vorsorge- und Rehabilitationsein-richtungen (nach § 111 SGB V) sind verpflichtet, sich an Maßnahmen zurQualitätssicherung zu beteiligen. Hiermit sind Maßnahmen der externen,d.h. betriebsvergleichenden Qualitätssicherung (Benchmarking) gemeint.

Durch die gesetzlichen Auflagen zur Erstellung von Qualitätsberichtenfür Einrichtungen im Gesundheitswesen und den Trend zur Zertifizierungvon Kliniken werden mittelfristig alle Einrichtungen im Gesundheitswesenund damit natürlich auch deren Mitarbeiter mit Qualitätsmanagement-Sys-temen wie beispielsweise dem EFQM-Modell (European Foundation for

Qualitätsmanagement16

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Quality Management) oder Zertifizierungen z.B. nach DIN ISO oder KTQ(Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen) in Be-rührung kommen.

Weitere Gründe für die Notwendigkeit, sich mit Qualitätsfragen zu be-schäftigen, sind u.a. auch spektakuläre Behandlungsskandale, verändertesPatientenverhalten mit steigenden Erwartungen an Güte und modernstenStand der Behandlung, wirtschaftliche Faktoren (z. B. wachsender Wett-bewerbsdruck unter privatisierten Einrichtungen im Gesundheitswesen)und rascher Wissenszuwachs (z. B. sehr kurze Innovationszeiten bei neuenMethoden).

Es ist auf Dauer nicht absolut auszuschließen, dass kranke alte Men-schen gefährdet sind, bei wachsendem Kostendruck diskriminiert (herab-gesetzt) zu werden aufgrund der Annahme, sie verursachten überhaupt nurnoch Kosten.

Definitionen

Bevor auf Entwicklungen zur Qualitätssicherung im Bereich geriatrischerVersorgung eingegangen wird, sollen einige Begriffe im Zusammenhangmit Qualitätsmanagement erwähnt und erläutert werden.

z Qualität. Qualität ist die Gesamtheit der Merkmale bezüglich ihrer Eig-nung, festgelegte und vorausgesetzte Erfordernisse zu erfüllen (DIN ENISO-Norm 8402).

z Qualität in der medizinischen Versorgung. Versorgungsqualität ist derGrad, in welchem Gesundheitsleistungen für Einzelne oder ganze Bevölke-rungen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass angestrebte Ergebnisse unterAnwendung des derzeitigen professionellen Wissens erreicht werden (Qua-lity of care, Institute of Medicine, 1990).

z Qualitätssicherung ist ein Teil des Qualitätsmanagements, der Vertrauendarauf erzeugen und sichern soll, dass Qualitätsanforderungen erfüllt wer-den. Unterschieden werden externe Qualitätssicherung (externe Qualitäts-beurteilung oder Qualitätsvergleiche) und interne Qualitätssicherung (Nut-zung institutsinterner Qualitätsmaßstäbe).

z Qualitätsmanagement. Dies sind alle Tätigkeiten des Gesamtmanage-ments, die im Rahmen des Qualitätssystems Qualitätspolitik, -ziele und-verantwortungen festlegen sowie diese durch Qualitätsplanung, -lenkung,-sicherung und -verbesserung verwirklichen (DIN EN ISO 8402).

z 16 Qualitätsmanagement198

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Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität

Die Operationalisierung des Qualitätsbegriffs von Donabedian [3] für diePflege und Medizin führt zu den folgenden drei Dimensionen:z Versorgungsstruktur (Strukturqualität),z Behandlungsprozess (Prozessqualität),z Behandlungsergebnis (Ergebnisqualität).

Strukturstandards 1 für geriatrische und gerontopsychiatrische Einrichtun-gen sind 1995 von einer Expertenkommission der Deutschen Gesellschaftfür Geriatrie und der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriat-rie erstellt worden [4]. Angaben zu den Voraussetzungen der Arbeit in ge-riatrischen Abteilungen bezüglich Struktur- und Prozessqualität wurdenvon der Bundesarbeitsgemeinschaft der Klinisch-Geriatrischen Einrichtun-gen e.V. (Bundesverband Geriatrie) veröffentlicht [12]. Merkmale derStrukturqualität betreffen die Räumlichkeiten, die apparativ-technischeAusstattung und die Stellenpläne sowie die beruflich-fachliche Qualifikati-on der Mitarbeiter (siehe Kap. 4). Beispielsweise ist in geriatrischen Abtei-lungen der Flächenbedarf im Funktionsbereich der Pflege um 20–25%höher als sonst üblich im Krankenhaus. Dies trägt dem überdurchschnitt-lich hohen Behinderungsgrad hier behandelter Patienten (notwendige Zu-gänglichkeit des Krankenbettes von beiden Seiten) sowie dem häufigenEinsatz von Hilfsmitteln, insbesondere Mobilitätshilfen, Rechnung.

Merkmale der Prozessqualität ergeben sich aus dem geriatrischen Diag-nostik- und Behandlungskonzept, das multidimensional und interdiszipli-när auf dem Assessment-Prozess gründet (siehe Kap. 4). Dies stellt organi-satorische Anforderungen an Dokumentation und Kommunikation aller andiesem Prozess Beteiligten. Für die Dokumentation werden in der Regelvon den einzelnen Berufsgruppen eigene Befundbögen verwendet. Zusam-men mit diagnostischen Ergebnissen bildet diese Dokumentation dieGrundlage für die Behandlungsplanung und die Beurteilung der Ergebnis-se. Zusätzlich werden die Behandlungsmaßnahmen dokumentiert.

Bestandteil der abschließenden Beurteilung des Behandlungsergebnisses(Ergebnisqualität) ist in der Regel der Vergleich (Differenz) von funktionel-lem Ausgangs- und Endbefund.

Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität z 199

1 Ein Standard ist das Kriterium und die Angabe des Erfüllungssolls, also in derRegel die maßgebliche Aussage über minimal akzeptable Versorgungsprozesseund Versorgungsergebnisse.

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Qualitätssicherungsinstrumente in der Geriatrie

Voraussetzung für die Qualitätssicherung ist die Verwendung standardisier-ter Dokumentationsverfahren, die eine Vergleichbarkeit herstellen. Hierfürkönnen Assessmentinstrumente herangezogen werden. Die Durchführungvon Basis-, Verlaufs- und Abschlussdokumentation für sich genommenstellt jedoch noch keine Qualitätssicherung dar. Diese Dokumentationensind lediglich die notwendige Grundlage für eine Qualitätssicherung.

Qualitätsindikatoren für den Bereich geriatrischer Versorgung sind bis-lang in Deutschland noch nicht allgemeingültig definiert worden. Unter ei-nem Indikator versteht man ein quantitatives Maß, dessen Ausprägungoder Vorhandensein die gesundheitliche Versorgung (in der Regel wertfrei)beschreibt oder abbildet. Ein Beispiel für einen Indikator ist die Rate er-fasster nosokomialer Infektionen. Von 2004 bis 2006 arbeiteten 23 geriatri-sche Kliniken in Deutschland im Verbund eines gemeinsamen Forschungs-vorhabens zusammen (GEMIDAS-QM: Benchmarking in der geriatrischenPatientenversorgung) [5]. Das übergeordnete Ziel dieses Modellprojektswar eine Verbesserung der Ergebnisqualität durch Erreichen einer gezieltenOptimierung definierter Problembereiche im Rahmen stationärer Behand-lung.

z Qualitätssicherungsinstrumente

Derzeit werden in Deutschland im Bereich der geriatrischen Rehabilitationsieben standardisierte Verfahren der externen Qualitätssicherung eingesetzt[10]. Dabei handelt es sich um fünf fallbezogene Evaluationsverfahren undzwei einrichtungsbezogene Verfahren. Die Schwerpunkte der einrichtungs-bezogenen Verfahren (Qualitätssiegel Geriatrie) liegen in den Qualitäts-dimensionen Struktur und Prozess. Das Qualitätssiegel Geriatrische Reha-bilitation in Rheinland-Pfalz ist ein Akkreditierungsverfahren durch denMDK Rheinland-Pfalz, der Landesverbände der Krankenkassen und dergeriatrischen Rehabilitationseinrichtungen des Landes. Das QualitätssiegelGeriatrie des Bundesverbandes Geriatrie ist eine spezifische Ergänzungund kann nur erworben werden, wenn bereits ein allgemeines Gütesiegel(z.B. KTQ) erteilt oder ein vollständiges EFQM-Assessment durchlaufenwurde. Es ist ein zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Geriatrieund der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie erarbeitetesZertifizierungsverfahren.

Das Geriatrische Minimum Data Set (GEMIDAS) des BundesverbandesGeriatrie (ehemals Bundesarbeitsgemeinschaft der Klinisch-GeriatrischenEinrichtungen e.V.) enthält demographische Stammdaten, Rahmendatenzur Behandlungsform, Hauptdiagnose und relevante Nebendiagnosen sowieInformationen zum funktionellen Status [2]. Die Kliniken, die an diesem

z 16 Qualitätsmanagement200

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Programm teilnehmen, senden ihre erhobenen Daten an die zentral aus-wertende Stelle. Von dort erhalten sie dann die Auswertungen, die die eige-nen Daten im Vergleich der Gesamtdaten darstellen. Das Programm stehtallen geriatrischen Krankenhaus- und Rehabilitationseinrichtungen offen,bundesweit sind über 80 Kliniken beteiligt, davon ca. 25% Rehabilitations-einrichtungen. Jährlich werden etwa 70000 Datensätze geliefert.

In Hessen wurde 1999 das GEMIDAS-Programm obligatorisch für alle kli-nisch-geriatrischen Einrichtungen des Landes eingeführt [6]. Im FreistaatBayern wird in geriatrischen Kliniken eine Datenerhebung mittels der „Ger-iatrie in Bayern Datenbank, GIB-DAT“ (http://www.gibdat.de) durchgeführt,die 2000 begann und von der Ärztlichen Arbeitsgemeinschaft zur Förderungder Geriatrie in Bayern e.V. (AFGIB) getragen wird [1]. Grundlage dieser Da-tenbank sind Bestandteile des GEMIDAS-Programms sowie weitere Daten,die z.T. optional erhoben werden und Assessment-Instrumente beinhalten.Jährlich werden ca. 24000 Datensätze geliefert. Die Datenauswertung erfolgtüber einen Datenbeauftragten unter Aufsicht der AFGiB [15, 16].

Im Jahr 2002 haben sich neurologische und geriatrische Rehabilitationskli-niken in Rheinland-Pfalz zu einem Benchmark-Verbund zusammengeschlos-sen [13, 14]. Daraus entstand EVA-Reha®, ein seit 2004 obligatorisch verwen-detes Verfahren, das gemeinsam vom MDK Rheinland-Pfalz, den Kranken-kassenverbänden und den Arbeitsgemeinschaften der neurologischen undgeriatrischen rehabilitativen Leistungserbringer des Landes entwickelt wur-de. Die Daten werden vom MDK Rheinland-Pfalz ausgewertet.

KODAS ist ein seit 2001 eingesetztes Verfahren der Landesarbeitsgemein-schaft der geriatrischen Rehabilitationskliniken Baden-Württembergs. Etwa25 Kliniken nehmen teil und liefern ca. 3500 Datensätze pro Jahr.

In Sachsen wird seit 2000 eine Evaluation geriatrischer Rehabilitations-einrichtungen anhand eines definierten Rasters vorwiegend administrativerDaten durchgeführt. Ein Schwerpunkt liegt auf der systematischen Erhe-bung komplizierender Faktoren bzw. die Rehabilitation beeinträchtigendeProbleme.

Für den Bereich stationärer Pflege in Altenpflegeheimen existiert ein As-sessment-Instrument zur Beurteilung von Heimbewohnern, das seit 1989 inden USA gesetzlich vorgeschrieben ist. Es muss in allen Heimen durch-geführt werden, in denen Bewohner leben, die über Medicare bzw. Medi-caid finanziell unterstützt werden. Auf Initiative der Robert Bosch Stiftung,Stuttgart, und des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA), Köln, wurdedieses Assessment-Instrument, das sog. Resident Assessment Instrument(RAI), für Deutschland verfügbar gemacht [9]. Es ist ein multidisziplinäresund pflegekoordiniertes Instrument, das aus vier Teilen besteht:z Minimum Data Set (MDS),z Hinweise auf geriatrische Problembereiche,z spezielle Abklärungshilfen zum weiteren Vorgehen bei identifizierten

Problemen (Resident Assessment Protocol, RAP),z Kostenanalyse (Resource Utilization Groups, RUG).

Qualitätssicherungsinstrumente in der Geriatrie z 201

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Im Bereich der ambulanten und stationären Pflege prüft der MDK im Auf-trag der Landesverbände der Pflegekassen die Qualität in Form von Einzel-,Stichproben- und vergleichenden Prüfungen. Die Prüfungen erstrecken sichauf die Qualität, Versorgungsabläufe, die Ergebnisse der Leistungen sowiederen Abrechnung. Gemessen an der Anzahl aller Qualitätsprüfungen inambulanten und stationären Pflegediensten im Jahr 2006 lag die Prüfquoteauf Bundesebene bei ca. 13,5% bzw. 24,4% [11]. Grundlage der Bewertungbei der Ergebnisdarstellung einer angemessenen Versorgung in der Pflegesind die gemeinsamen Grundsätze und Maßstäbe nach § 80 SGB XI sowiedie MDK-Anleitungen zur Prüfung der Qualität.

Identifizierte Problembereiche betrafen 2006 im Bereich der ambulantenPflege die Dekubitusprophylaxe, die Ernährung und Flüssigkeitszufuhr, dieInkontinenzversorgung sowie die angemessene Versorgung von Personenmit gerontopsychiatrischen Beeinträchtigungen; im stationären Bereich zu-sätzlich den Umgang mit freiheitseinschränkenden Maßnahmen sowie denUmgang mit Medikamenten [11]. Interne Qualitätssicherungsmaßnahmenführten 2006 70,9% der ambulanten und 89,6% der stationären Pflegeein-richtungen durch.

Externe Qualitätssicherung am Beispiel Dekubitusprophylaxe

Als Beispiel für ein wirksames System externer Qualitätssicherung im Be-reich der Versorgung vorwiegend alter Patienten soll das Programm zur Er-fassung der Prävalenz und Inzidenz von Dekubitalgeschwüren in Hamburggenannt werden. Dekubitus ist ein vordringliches Pflegeproblem in allenBereichen der Versorgung älterer Menschen (siehe Kap. 7). Sowohl in Kran-kenhäusern als auch im Bereich ambulanter und stationärer Pflege werdendiesbezügliche Daten durch die EQS (Externe Qualitätssicherung) bzw.durch die Geschäftsstelle equip (externe Qualitätsimpulse für die Pflege)der Hamburgischen Pflegegesellschaft erhoben, ausgewertet und an die be-teiligten Einrichtungen zurückgemeldet [7]. Zusammen mit begleitendenQualitätssicherungsmaßnahmen hat diese seit 1999 kontinuierliche Erhe-bung bewirkt, dass die Prävalenz von Dekubitus insgesamt von knapp 8%auf unter 6% gesunken ist.

Fazit: Die Bemühung um Verbesserung und Erhalt qualitativ guter Ver-sorgung älterer Patienten im Rahmen von Qualitätsmanagement ist eine ge-nuine ärztliche Aufgabe. Die Formulierung allgemein gültiger Qualitätsindi-katoren für bestimmte Versorgungsbereiche ist aufgrund von Mehrfacher-krankungen und der daraus folgenden Erfordernis komplexer, interdiszipli-när durchgeführter Behandlungen nicht einfach, aber notwendig. Qualitäts-sicherung ist deshalb auch weiterhin ein wichtiges Thema klinisch geriatri-scher Forschung.

z 16 Qualitätsmanagement202

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Literatur

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Literatur z 203

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Definitionen

Pflegebedürftigkeit ist kein medizinischer, sondern ein sozialrechtlicher Be-griff und wird in der sozialen Pflegeversicherung im § 14 Sozialgesetzbuch(SGB) XI folgendermaßen definiert:

„Pflegebedürftige sind Personen, die wegen einer körperlichen, geistigenoder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regel-mäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens aufDauer, voraussichtlich für mindestens 6 Monate, in erheblichem oder höhe-rem Maße der Hilfe bedürfen.“

Der Antrag auf Feststellung von Pflegebedürftigkeit und die Zuordnungzu einer Pflegestufe sind grundsätzlich Sache der zuständigen Pflegekasse.Der Antrag kann formlos von jedem Bürger, dessen Angehörigen, anderenPersonen oder Institutionen gestellt werden, wenn der Eindruck von Pfle-gebedürftigkeit nach o.g. Definition besteht. Die Feststellung und Einstu-fung in eine Pflegestufe erfolgen auf Empfehlung des Medizinischen Diens-tes der Krankenversicherungen (MDK) nach dessen Begutachtung. Grund-lage für die Begutachtung durch den MDK sind die „Richtlinien der Spit-zenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeitnach dem XI. Buch des SGB in der Fassung vom 27. 8. 2001“. Entsprechenddieser Richtlinien ist Pflegebedürftigkeit regelmäßig kein unveränderbarerZustand, sondern ein Prozess, der durch präventive, therapeutische bzw. re-habilitative Maßnahmen und durch aktivierende Pflege beeinflussbar ist [3].

In diesem Zusammenhang sind zwei Begriffe der Begutachtungsricht-linie erwähnenswert. Der Begriff aktivierende Pflege ist dort folgenderma-ßen definiert:

„Unter aktivierender Pflege ist eine Pflegepraxis zu verstehen, die dieSelbständigkeit und Unabhängigkeit des Patienten fördert. Diese berücksich-tigt ständig die Ressourcen des Patienten, so dass dieser unter Beaufsichti-gung bzw. Anleitung selbst aktiv sein kann. Sie hat die Erhaltung bzw. Wie-dergewinnung der Selbständigkeit des zu pflegenden Menschen im Rahmendes medizinisch und pflegerisch Notwendigen zum Ziel. Aktivierende Pflegesetzt eine bestimmte Geisteshaltung der Pflegenden voraus, nämlich die Ab-kehr vom Bild des passiven, zu verwahrenden pflegebedürftigen Menschen.Sie hat eine nachvollziehbare Pflegedokumentation und -planung zur Voraus-

Pflegebedürftigkeitund Pflegeversicherung

17

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setzung. Die aktivierende Pflege soll gemeinsam mit den Rehabilitationsmaß-nahmen dem Pflegebedürftigen helfen, trotz seines Hilfebedarfs eine möglichstweitgehende Selbständigkeit im täglichen Leben zu fördern, zu erhalten bzw.wiederherzustellen. Dabei ist insbesondere anzustreben,z vorhandene Selbstversorgungsaktivitäten zu erhalten und solche, die ver-

loren gegangen sind, zu reaktivieren,z bei der Leistungserbringung die Kommunikation zu verbessern,z dass geistig und seelisch Behinderte, psychisch Kranke und geistig verwirrte

Menschen sich in ihrer Umgebung und auch zeitlich zurechtfinden.“

Die Definition des Begriffes pflegerisches Defizit lautet:„An ein pflegerisches Defizit ist insbesondere zu denken, wenn folgendeSachverhalte zutreffen bzw. Befunde zu erheben sind:z Hinweise auf mögliche Gewalteinwirkung,z nicht ärztlich verordnete Sedierung,z kachektischer und/oder exsikkotischer Allgemeinzustand,z unterlassene Pflegeleistung nach Einkoten und Einnässen,z Kontrakturen,z Dekubitalgeschwüre,z unterlassene Beaufsichtigung von geistig Behinderten oder umtriebigen

Dementen (im Zusammenhang mit den definierten Verrichtungen),z Vernachlässigung der Körperhygiene,z verschmutzte Wäsche,z Vernachlässigung des Haushalts.“

Der für die Feststellung der Pflegebedürftigkeit bzw. der Pflegestufe maßgeb-liche Hilfebedarf bei insgesamt 21 Verrichtungen der Grundpflege (Körper-pflege, Ernährung, Mobilität) und hauswirtschaftlichen Versorgung (Einkau-fen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln/Waschen der Klei-dung und Wäsche, Beheizen der Wohnung) ergibt sich ausz der individuellen Ausprägung von funktionellen Einschränkungen und

Fähigkeitsstörungen durch Krankheit und Behinderung,z der individuellen Lebenssituation (Wohnverhältnisse, soziales Umfeld),z der individuellen Pflegesituation unter Zugrundelegung der Laienpflege.

Die drei Pflegestufen sind folgendermaßen definiert:

z Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige)

In Körperpflege, Ernährung oder Mobilität ist mindestens bei zwei Verrich-tungen aus diesen Bereichen täglich Hilfe erforderlich sowie mehrfach ineiner Woche Unterstützung in der Hauswirtschaft. Der Zeitaufwand im Ta-gesdurchschnitt muss mindestens 90 min betragen, und davon müssenmehr als die Hälfte (>45 min) auf die Grundpflege entfallen.

Definitionen z 205

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z Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftige)

Hilfe in Körperpflege, Ernährung oder Mobilität ist mindestens dreimaltäglich zu verschiedenen Tageszeiten und außerdem mehrfach pro Wochebei der hauswirtschaftlichen Versorgung erforderlich. Der tägliche Zeitauf-wand muss mindestens 3 h betragen und hiervon mindestens 2 h für dieGrundpflege.

z Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürftige)

Schwerstpflegebedürftige sind Personen, die bei der Körperpflege, Ernäh-rung oder Mobilität täglich 24 h, also auch nachts, Hilfe und zusätzlichmehrfach in der Woche Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgungbenötigen. Der Zeitaufwand muss mindestens 5 h betragen, davon mindes-tens 4 h für die Grundpflege.

Leistungsarten der Pflegeversicherung

Wenn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind und Pfle-gebedürftigkeit durch den MDK festgestellt ist, können pflegebedürftigePersonen und deren Pflegepersonen folgende Leistungen erhalten:

z Leistungen bei häuslicher Pflege

Es kann zwischen Sach- und Geldleistungen gewählt werden, ggf. ist auch eineKombination beider Leistungen möglich (Tabelle 17.1). Bei den Sachleistun-gen werden die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Hilfe durch ambu-lante Pflegedienste durchgeführt, die Versorgungsverträge mit den Pflegekas-sen abgeschlossen haben. Geldleistungen werden den Versicherten zur Verfü-gung gestellt, wenn diese ihre Pflegehilfen (z.B. Angehörige, Freunde oderNachbarn) selbst beschaffen. Bei außergewöhnlich hohem Pflegeaufwand,der das übliche Maß der Pflegestufe III übersteigt, können weitere Pflegeein-sätze bis zu einem Gesamtwert von 1918 � monatlich gewährt werden (Här-tefallregelung). Voraussetzung dafür ist, dass die Hilfe bei der Grundpflege(Körperpflege, Ernährung oder Mobilität) mindestens 6 Stunden täglich, da-von mindestens dreimal in der Nacht, erforderlich ist. Bei Pflegebedürftigenin vollstationären Pflegeeinrichtungen ist dabei auch die auf Dauer bestehen-de medizinische Behandlungspflege zu berücksichtigen, oder die Grundpflegefür den Pflegebedürftigen muss auch nachts nur von mehreren Pflegekräftengemeinsam (zeitgleich) erbracht werden können. Wenigstens bei einer Ver-

z 17 Pflegebedürftigkeit und Pflegeversicherung206

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richtung tagsüber und des Nachts muss dabei neben einer professionellenmindestens eine weitere Pflegeperson tätig werden, die nicht bei einem Pfle-gedienst beschäftigt sein muss (z.B. Angehörige). Zusätzlich muss in jedemFall ständige Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung erforderlich sein.

Gemäß den Bestimmungen des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes(PfWG) können Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenznach entsprechend positiver Begutachtung zusätzlich 100 � (Grundbetrag)oder bis zu 200 � monatlich (erhöhter Betrag) an Zuschüssen (Entlastungder Pflegepersonen, zusätzliche Betreuungsangebote s. u.) erhalten. An-spruch darauf haben Pflegebedürftige der Pflegestufen I, II und III sowiePersonen, die zwar im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftli-chen Versorgung einen Hilfebedarf haben, der nicht das Ausmaß der Pfle-gestufe I erreicht, die jedoch einen auf Dauer bestehenden erheblichen Be-darf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung aufweisen. Für jenePersonen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz in stationärenPflegeeinrichtungen haben die Einrichtungen Anspruch auf die Verein-barung leistungsgerechter Zuschläge zur Pflegevergütung, wenn ein zusätz-liches, über das normale Betreuungsangebot hinausgehendes Angebot derBetreuung und Aktivierung vorgehalten wird.

z Ersatz- und Verhinderungspflege

Ersatzpflege kann auf Kosten der Pflegekassen für längstens 4 Wochen imKalenderjahr in Anspruch genommen werden, wenn durch Urlaub, Krank-heit oder andere Gründe die Pflegepersonen vorübergehend nicht zurVerfügung stehen.

Leistungsarten der Pflegeversicherung z 207

Tabelle 17.1. Ausgewählte Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung [2]

Häusliche Pflege Pflegestufe I Pflegestufe II Pflegestufe III Härtefall

z Sachleistungbis zu . . . � mtl. 420,00 980,00 1470,00 1918,00

z Geldleistung mtl. . . . � 215,00 420,00 675,00

z PflegevertretungPflegeaufwendungen für biszu 4 Wochen/ Jahr bis zu . . . �

– durch nahe Angehörige– durch sonstige Personen

215,00 a

1470,00420,00 a

1470,00675,00 a

1470,00

z Vollstationäre PflegePflegeaufwendungenpauschal . . . � mtl.

1023,00 1279,00 1470,00 1750,00

a Auf Nachweis werden den nahen Angehörigen notwendige Aufwendungen (Verdienstausfall,Fahrtkosten usw.) bis zum Gesamtbetrag von 1432,00 � erstattet

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z Pflegehilfsmittel

Zur Erleichterung der häuslichen Pflege können Pflegehilfsmittel angewen-det werden, deren Kosten von den Pflegekassen getragen werden können.Technische Hilfsmittel sollen sowohl von Kranken- als auch Pflegekassenvorzugsweise leihweise den betreffenden Kranken oder Pflegebedürftigenüberlassen werden. Das Hilfsmittelverzeichnis wird gemeinsam von denSpitzenverbänden der Krankenkassen erstellt. Es erscheint etwa vierteljähr-lich (auch auf CD-ROM) und kann über verschiedene Verlage sowie überdie Krankenversicherungen bezogen werden.

z Tages- und Nachtpflege

Tages- und Nachtpflege kommen dann in Frage, wenn sich die häuslichePflege nicht ausreichend sichern lässt. Dieser Fall kann bei erforderlicherEntlastung von Pflegepersonen oder bei vorübergehender Abwesenheit vonpflegenden Angehörigen oder Nachbarn eintreten. Je nach Pflegestufe wer-den bis zu 420 �, 980 � bzw. 1470 � pro Monat bezahlt.

z Kurzzeitpflege

Kurzzeitpflege findet in Kurzzeitpflegeeinrichtungen statt, in einer Über-gangszeit im Anschluss an eine stationäre Behandlung, wenn weder häusli-che noch teilstationäre Pflege möglich ist. Sie ist auf höchstens 4 Wochenim Kalenderjahr begrenzt. Die Aufwendungen dürfen 1470 � im Kalender-jahr nicht überschreiten.

z Vollstationäre Pflege

Die Pflegestufenbeträge für Heimeinrichtungen betragen bis zu 1470 � fürPflegestufe III sowie im Härtefall bis zu 1750 �. Bis zu diesem Höchstbe-trag kann die Pflegekasse die Kosten für Grund- und Behandlungspflegeübernehmen. Die „Hotelkosten“ (Unterkunft und Verpflegung) müssen dieVersicherten selbst übernehmen.

z Pflegekurse für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen

Die Pflegekassen bieten zur Anleitung, Beratung und Unterstützung Pflege-kurse an.

z 17 Pflegebedürftigkeit und Pflegeversicherung208

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z Niedrigschwellige Betreuungsangebote und Modellvorhaben

Anerkannte niedrigschwellige Betreuungsangebote sind z.B.:z Betreuergruppen für demente Pflegebedürftige,z Helferinnenkreise zur stundenweisen Entlastung pflegender Angehöriger,z Tagesbetreuung in Klein- und Kleinstgruppen,z Einzelbetreuung durch anerkannte Helfer,z familienentlastende Dienste.

Zur Häufigkeit von Pflegebedürftigkeit

Im Dezember 2005 waren entsprechend der Pflegestatistik 2,13 MillionenMenschen in Deutschland pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversiche-rungsgesetzes, davon mehrheitlich Frauen (68%). Über 80% der Pflege-bedürftigen waren 65 Jahre und älter, ein Drittel (33%) 85 Jahre alt. DiePflegequote steigt mit höherem Lebensalter und etwa ab dem 80. Lebens-jahr besonders ausgeprägt deutlich, insbesondere bei den Frauen an (s.Kap. 2). Während von den 70- bis unter 75-Jährigen etwa jeder Zwanzigste(5%) pflegebedürftig war, betrug die Pflegequote der Bevölkerungsgruppeim Alter ab 90 Jahren etwa 60%. Die überwiegende Mehrheit pflegebedürf-tiger Menschen wird zu Hause ausschließlich durch Angehörige gepflegt;2005 waren es 980000. Weitere 472000 pflegebedürftige, zu Hause lebendeMenschen wurden zum Teil oder vollständig durch ambulante Pflegedienstebetreut. Knapp ein Drittel (32%) wurden in Altenpflegeheimen versorgt.

Die Tabelle 17.2 zeigt, dass Frauen in den drei Kategorien als Leistungs-empfänger von Pflegegeld, ambulanter sowie stationärer Leistungen derPflegeversicherung häufiger vertreten sind als gleichaltrige Männer unddass der Häufigkeitssprung im Zeitabschnitt zwischen dem 75. und 85. Le-bensjahr zu verzeichnen ist. Weiter ist erkennbar, dass sich das Verhältnisambulanter zu stationärer Pflege bei den Hochaltrigen zugunsten der sta-tionären Versorgung verschiebt. Die Tabelle 17.3 zeigt die gutachterlichenMDK-Empfehlungen aufgeschlüsselt für die drei Pflegestufen im Verlaufvon 1999 bis 2006.

Die Häufigkeit erforderlicher stationärer Pflege steigt (Tabelle 17.4). Feh-lende Pflegepersonen und die Überforderung Pflegender sind Gründe fürstationäre pflegerische Versorgung. Der Anteil Personen mit höherer Pfle-gestufe ist erwartungsgemäß im stationären Versorgungsbereich deutlichhöher. Eine Querschnittserhebung in Pflegeeinrichtungen mittels eines As-sessment-Instruments (Resident Assessment Instrument, RAI) erfasste beiBewohnern häufig vorhandene funktionelle Einschränkungen und Prob-leme [1]. Von den 769 Untersuchten (79% Frauen) wiesen z.B. 608 (79%)

Zur Häufigkeit von Pflegebedürftigkeit z 209

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z 17 Pflegebedürftigkeit und Pflegeversicherung210

Tabelle 17.2. Pflegebedürftige Frauen und Männer im Alter ab 70 Jahren in Deutschland, 2007

70<75 Jahre 75<80 Jahre 80<85 Jahre

� � � � � �

z Leistungs-empfänger/innen

111801 92721 190025 113421 324972 113766

z AmbulantePflege

26274 19311 48202 28262 83947 31846

z StationärePflege

29725 22552 57744 27075 118179 29786

z Pflegegeld 55802 50858 84079 58084 122846 52134

85<90 Jahre 90<95 Jahre �95 Jahre

� � � � � �

z Leistungs-empfänger/innen

359275 88029 189313 35925 88716 14103

z AmbulantePflege

88901 26486 42476 10689 18584 4176

z StationärePflege

152 311 26614 93352 12953 48963 5436

z Pflegegeld 118 063 34929 53485 12283 21163 4491

Quelle: www.gbe-bund.de, 22. 1. 2009

Tabelle 17.3. Gutachterliche MDK-Empfehlung ambulante und stationäre Erstbegutachtung

1999 2000 2005 2006

z Erstgutachten gesamt 1678792 679588 674101 686033

z Nicht pflegebedürftig (%) 29,6 30,1 29,3 29,0

z Pflegestufe I (%) 31,4 43,8 47,1 47,9

z Pflegestufe II (%) 26,5 20,7 19,1 19,0

z Pflegestufe III (%) 12,5 5,5 4,5 4,2

Quelle: Begutachtungsstatistik (Pflegeversicherung), MDS e.V., 22. 1. 2009unter www.gbe-bund.de

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Einschränkungen der Mobilität und 461 (60%) Harninkontinenz auf. Mehrals 4 Medikamente waren 361 Bewohnern verordnet (47%). Demenz undSchlaganfall waren die beiden häufigsten medizinischen Diagnosen.

Pflegebedürftigkeit und begründende Erkrankungen

Das Pflegeversicherungsgesetz verknüpft Pflegebedürftigkeit mit Krank-heiten oder Behinderungen, die ursächlich für die Pflegebedürftigkeit sind.Dabei geht es vor allem um Erkrankungen, die als Ursache für funktionelleEinschränkungen und Fähigkeitsstörungen geltend gemacht werden (sieheKap. 2). In Pflegegutachten werden gemäß pflegebegründende Haupt-diagnosen und wichtige Begleitdiagnosen gemäß der International Classifi-cation of Diseases (ICD-10; Krankheitseinteilung in Gruppen) angegeben.

Fast 80% aller Pflegebedürftigen hatten 2002 [7] eine pflegebegründendeHauptdiagnose aus den folgenden 5 Krankheitsgruppen (ICD-10), aufgeführtin der Rangfolge ihrer Häufigkeit:z Krankheiten des Kreislaufsystems (9), darunter am häufigsten zerebrale

Infarkte und Schlaganfallfolgen, andere zerebrovaskuläre Krankheitenund Herzinsuffizienz;

z psychische und Verhaltensstörungen (5), darunter am häufigsten Demen-zen;

z Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, nicht klassifizierbar(18) darunter am häufigsten „Senilität“;

z Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes (13), da-runter am häufigsten Polyarthrose und Osteoporose;

z Neubildungen (2), darunter am häufigsten solche in Bronchien/Lunge,Brustdrüse, Dickdarm und Prostata.

Pflegebedürftigkeit und begründende Erkrankungen z 211

Tabelle 17.4. Pflegebedürftige Frauen und Männer in Deutschland der Jahre 1999, 2003 und 2007

1999 2003 2007

z Leistungsempfänger/innen 2016091 2076935 2246829

z Ambulante Pflege (%) 415289 (20,6) 450126 (21,7) 504232 (22,4)

z Stationäre Pflege (%) 573211 (28,4) 640289 (30,8) 709311 (31,6)

z Vollstationäre Pflege 554217 612183 671080

z Kurzzeitpflege 8545 10999 15002

z Tagespflege 10276 17078 23196

z Nachtpflege 173 29 33

z Pflegegeld (%) 1027591 (51,0) 986520 (47,5) 1 033286 (46,0)

Quelle: www.gbe-bund.de, 22. 1. 2009

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Erwartungsgemäß finden sich in dieser Auflistung die Gruppen chronischerErkrankungen. Die Rangfolgen der häufigsten Diagnosegruppen bei Frauenund Männern decken sich annähernd. Bemerkenswert ist die hohe Zahlnicht klassifizierbarer Symptome und Befunde, die in der Altersgruppe derüber 80-Jährigen an 3. Stelle stehen [4].

Eine gesundheitsökonomische Studie aus den Niederlanden ordnete ins-gesamt 15 Diagnosen nach deren höchsten Kostenanteilen an den gesamtenGesundheitskosten fünf Altersklassen zu [5]. Auf die mit der Bundesrepu-blik Deutschland vergleichsweise niedrige Anzahl über 65-jähriger Men-schen (13,1%) entfielen 1994 [5] 42,2% der gesamten Gesundheitskosten.In der Reihenfolge der kostenintensivsten Diagnosen bei 65- bis 84-Jähri-gen standen Demenz, Schlaganfall und muskuloskelettale Erkrankungen ander Spitze, gefolgt von Malignomen und schlecht definierbaren Sympto-men. Die Rangfolge für über 85-Jährige lautete Demenz vor Schlaganfallund Stürzen, muskuloskelettalen Erkrankungen und ebenfalls schlecht defi-nierbaren Symptomen.

Pflegebedürftigkeit betrifft also nicht ausschließlich, aber in erster LinieMenschen in hohem und höchstem Lebensalter, häufiger Frauen als Män-ner. Die Ursachen sind Fähigkeitsstörungen bei den alltäglichen Verrich-tungen aufgrund funktioneller Einschränkungen infolge chronischerKrankheiten. Dabei stehen zerebro- und kardiovaskuläre Erkrankungen(insbesondere Schlaganfall und Herzinsuffizienz), Demenzen, degenerativemuskuloskelettale Krankheiten und Krebserkrankungen an der Spitze. Einerheblicher Teil dieser Erkrankungen ist der Vorbeugung zugänglich, wes-halb der Umsetzung gesundheitsfördernder und präventiver Maßnahmengroße Bedeutung zukommt (siehe Kap. 3).

Annahmen zur zukünftigen Entwicklung

Die demographische Entwicklung wird zu einem Anstieg der Zahl hoch-betagter und pflegebedürftiger Menschen führen (siehe Kap. 2). Seit 1999,der Einführung der Pflegestatistik, stieg die Zahl der Pflegebedürftigen um6% von 2,02 auf 2,13 Millionen im Jahr 2005. Damit nahm der Anteil ander Gesamtbevölkerung von 2,5 auf 2,6% zu. Unter den Annahmen der un-veränderten Definition von Pflegebedürftigkeit und eines „Status-quo-Sze-narios“ (konstante Pflegequote) erwarten Vorausberechnungen eine weitereSteigerung des Anteils pflegebedürftiger Menschen. Danach wird derenZahl von 2,13 Mio. im Jahr 2005 um ein Drittel auf 2,91 Mio. im Jahr 2020und um 58% auf 3,36 Mio. im Jahr 2030 ansteigen [6]. Dieser erwartete Zu-wachs wird mit 74% bei den Männern höher sein als bei den Frauen(50%). Nahezu die Hälfte der Pflegebedürftigen (48%) wird dann 85 Jahreund älter sein, während es 2005 noch 33% waren. Das Szenario „sinkende

z 17 Pflegebedürftigkeit und Pflegeversicherung212

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Pflegequote“ geht hingegen von der Annahme aus, dass das Pflegerisiko imAlter abnimmt, kommt in der Vorausberechnung jedoch ebenfalls zum An-stieg der Pflegebedürftigen auf 2,68 Mio. im Jahr 2020 und 2,95 Mio. imJahr 2030 mit einem Anteil 85-jähriger und älterer Menschen von 42 bzw.51%. Gleichzeitig ist deshalb die Sicherstellung quantitativ und auch quali-tativ ausreichender Angebote ambulanter sowie stationärer pflegerischerVersorgung eine dringende Aufgabe.

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Epidemiologie von Pflegebedürftigkeit

Nach Angaben der Pflegestatistik des Statistischen Bundesamtes gab es imDezember 2005 in Deutschland insgesamt 2,13 Mio. Pflegebedürftige, vondenen die überwiegende Mehrzahl, 1,45 Mio., zu Hause und 677000 (32%)in Heimen versorgt wurden [27]. Von den zu Hause Lebenden wurden980000, also knapp 68%, von Angehörigen und 472000 mit der Hilfe am-bulanter Pflegedienste versorgt. Tabelle 18.1 zeigt die Verteilung der Pfle-gestufen (siehe Kap. 17) auf die o. g. drei Personengruppen. Bei den zuHause versorgten pflegebedürftigen Menschen überwog der Anteil derFrauen mit 63%, in Heimen betrug er 77%. Während bei den 70- bis75-Jährigen knapp jeder 20. (5%) pflegebedürftig war, lag die Quote beiden 90- bis 95-Jährigen bei 61%. Etwa ab dem 80. Lebensjahr ist die Pfle-gequote bei Frauen deutlich höher als bei gleichaltrigen Männern (sieheKap. 2 und 17) – 65% gegenüber 44% der 90- bis 95-jährigen Menschen.67% aller Pflegebedürftigen waren 2005 älter als 75 Jahre, ein Drittel (33%)waren über 85 Jahre alt. Regional bestehen Unterschiede bezüglich derPflege in Heimen, die z.B. in Schleswig-Holstein 40%, in Hessen hingegennur 26% der Pflegebedürftigen betrafen. Die Versorgung durch ambulantePflegedienste erfolgte besonders häufig in Hamburg (30%), Bremen (29%)und Brandenburg (27%). Bundesweit betrug der Anteil der durch ambulan-te Pflegedienste betreuten Menschen 22% [28].

Medizin im Altenpflegeheim18

Tabelle 18.1. Pflegestufen der ambulant und in Heimen versorgten Pflegebedürftigen in denJahren 2001 und 2005. (Nach [27])

Pflegestufe Zu Hause durchAngehörige versorgt

Zu Hause durch ambulantePflegedienste versorgt

In Heimen versorgt

2001 2005 2001 2005 2001 2005

z Stufe I 57,4% 61,0% 48,2% 50,9% 32,5% 34,2%z Stufe II 33,6% 30,8% 38,4% 36,7% 44,5% 43,4%z Stufe III 9,0% 8,3% 13,4% 12,4% 21,2% 20,9%z ohne Zuordnung 1,7% 1,6%

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Gegenüber 2003 stieg die Zahl der Pflegebedürftigen insgesamt um52000 bzw. 2,5% an, und zwar mit 40000 (3,9%) überdurchschnittlich in-nerhalb der Pflegestufe I, in den Pflegestufen II und III um 0,5% bzw.1,7%. Gestiegen ist die Zahl der durch ambulante Pflegedienste betreutenPersonen um 4,8% (21000) sowie die Zahl der in Heimen Lebenden um5,7% (36000), während der Anteil zu Hause Versorgter von 69,2% auf68,2% geringfügig sank.

Strukturmerkmale von Pflegeheimen

In Deutschland gab es im Dezember 2005 insgesamt rund 10400 nachSGB XI zugelassene Pflegeheime, in denen über 676000 pflegebedürftigeMenschen lebten [27]. Die Mehrzahl der Heime (55%) befand sich in frei-gemeinnütziger, 38% in privater und 7% in öffentlicher Trägerschaft. Diemeisten der vorgehaltenen Plätze entfallen auf den Bereich vollstationärerDauerpflege, der zu 88% ausgelastet war. Tabelle 18.2 fasst einige Merkmaleder Pflegeheime zusammen. Bei etwa jedem 4. Pflegeheim ist ein Alten-wohnheim oder/und ein Bereich des Betreuten Wohnens organisatorisch an-geschlossen, wo alte Menschen wohnen, die in der Regel keine Leistungen

Strukturmerkmale von Pflegeheimen z 215

Tabelle 18.2. Ausgewählte Merkmale von Pflegeheimen in Deutschland 2005 nach Angabendes Statistischen Bundesamtes. (Nach [27])

Gesamt Private Träger Freigemein-nützige Träger

ÖffentlicheTräger

z Pflegeheime 10424 3974 (38,1%) 5748 (55,1% ) 702 (6,7%)+ sonstige ambulante

Hilfeleistungen648 254 (39,2%) 363 (56,0%) 31 (4,8%)

+ Wohneinrichtungen 1993 568 (28,5%) 1277 (64,1%) 148 (7,4%)+ Anbindung z. B. an

Krankenhaus491 111 (22,6%) 260 (52,9%) 120 (24,4%)

+ Ambulanter Pflegedienst 999 408 (40,8%) 525 (52,5%) 66 (6,6%)

z Anzahl Pflegebedürftige/Heim1–50

51–10046493789

2364 (50,8%)1123 (29,6%)

2041 (43,9%)2406 (63,5%)

244 (5,2%)260 (6,9%)

101–200 1856 455 (24,5%) 1227 (66,1%) 174 (9,4%)201–300 114 29 (25,4%) 67 (58,8%) 18 (15,8%)301 und mehr 16 3 (18,7%) 7 (43,8%) 6 (37,5%)

z Durchschnitt 65 53 71 80

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nach dem Pflegegesetz erhalten. Das Leben im Bereich des Betreuten Woh-nens setzt in diesem System abgestufter Hilfe- und Pflegeleistungen ein ho-hes Maß an Selbstständigkeit voraus. Die Größe der Pflegeeinrichtungenvariiert erheblich, kleinere Pflegeheime (1–50 Plätze) befinden sich häufigin privater Trägerschaft. Ersichtlich ist das herausragende Engagement frei-gemeinnütziger Träger, deren stationäre Pflegeeinrichtungen häufig im Ver-bund mit anderen Organisationsformen ambulanter oder stationärer Hilfenarbeiten (siehe Tabelle 18.2). Die Anzahl stationär dauerversorgter Pflege-bedürftiger stieg seit 2003 um 5,2% an, die Anzahl der stationär versorgtenpflegebdürftigen Menschen insgesamt um 5,7%. Korrespondierend hiermitstieg vom Jahr 2003 bis 2005 ebenfalls die Zahl der Heime um 700 (7%).

Insgesamt waren 546397 Personen in Heimen beschäftigt, in der Mehr-zahl Frauen (85%) und mehrheitlich im Bereich Pflege und Betreuung(68%). Von den in diesem Bereich Tätigen hatte annähernd jeder Zweite(48%) Ausbildungsabschluss als Altenpfleger/-pflegerin (32%), Kranken-schwester/-pfleger (15%) oder Kinderkrankenschwester/-pfleger (1%). Zu-sammen mit den Beschäftigten im Bereich der sozialen Betreuung, ohneAltenpflegehelfer/-helferinnen, betrug die sog. Fachkraftquote ca. 51%.

Teilweise sind in Pflegeheimen auch Sozialarbeiter/-pädagogen und Ergo-therapeuten angestellt. Weitere therapeutische Leistungen werden ggf. durchexterne Therapeuten erbracht, die auf ärztliche Verordnung hin tätig werden.Die ärztliche Versorgung erfolgt durch Hausärzte. In den neuen Bundeslän-dern und in der Freien und Hansestadt Hamburg gab es teilweise ein Heim-arztsystem, das in Folge der Einführung der Pflegeversicherung wegen man-gelnder Finanzierbarkeit abgeschafft wurde [4]. Entsprechend werden die Be-wohner eines Pflegeheims von zahlreichen Hausärzten betreut, Pflegeheimearbeiten in der Regel mit mehreren Hausärzten zusammen.

Der Pflegesatz für vollstationäre Dauerpflege in der Pflegestufe III betrugdurchschnittlich 70 � pro Tag, der für Unterkunft und Verpflegung 19 �pro Tag. Die monatliche Vergütung in dieser Pflegestufe betrug somit imDurchschnitt 2710 � monatlich, wobei noch Ausgaben für Zusatzleistungenund gesondert berechenbare Investitionsaufwendungen hinzukommenkönnen [28].

Medizinische Probleme bei Pflegeheimbewohnern

Eine Repräsentativerhebung zur Frage der Gründe für einen Heimeintrittüber 60-jähriger Personen in Deutschland zeigte, dass sich die höhere Ein-trittsrate von Frauen durch deren häufigere Verwitwung erklärte, währendder exponentielle Anstieg mit höherem Lebensalter interessanterweise zueinem eher geringem Teil mit sich verschlechterndem Gesundheitszustandoder dem Überleben von Familien- und Sozialbeziehungen erklärbar war

z 18 Medizin im Altenpflegeheim216

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[12]. Die Häufigkeit von Heimeintritten aufgrund gesundheitlicher Beein-trächtigung von Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL; siehe Kap. 2) ver-ringerte sich, wenn weitere Personen im Haushalt lebten. Andererseits re-duzierte sich der Einfluss, den weitere Personen im Haushalt auf die Sen-kung der Heimeintrittsrate hatten, wenn keine starke Beeinträchtigung derADL gegeben war.

Die Einführung der Pflegeversicherung führte dazu, dass sich währendder letzten Jahre die Bewohnerstruktur der Heime drastisch veränderte –mit deutlich gestiegenem Anteil von Bewohnern mit höherem Pflegebedarf(siehe Kap. 17). Im Rahmen dieser Entwicklung hat sich die Überlebenszeitder Bewohner nach Einzug ins Heim deutlich verkürzt. Hiermit geht ein-her, dass insbesondere die Betreuung unheilbar schwerstkranker alter Men-schen in Pflegeheimen zunimmt.

Wenn ausgeprägte Heterogenität die Gruppe der alt gewordenen Men-schen sowie auch alte Patienten charakterisiert (siehe Kap. 5), dann giltdies umso mehr für Personen, die im Bereich institutionalisierter Betreu-ung bzw. Pflege leben. Die Häufigkeit ausgeprägter funktioneller Ein-schränkungen im Bereich grundlegender Alltagsaktivitäten sowie die Häu-figkeit der im Abschnitt II aufgeführten geriatrischen Syndrome sind beiBewohnern von Pflegeheimen besonders hoch.

Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind als Beispiele für häufig vorkom-mende Syndrome sowie medizinische Probleme zu nennen:z kognitive Beeinträchtigung, Verwirrtheit und Demenz [11] mit Verhal-

tensauffälligkeiten,z Schlafstörungen,z ausgeprägte Seh- und Hörbehinderung [5, 29],z chronische Schmerzen,z Einschränkungen der Mobilität [5],z Immobilität, Gangstörungen und Stürze [24],z Inkontinenz,z Mangelernährung und Risikofaktoren hierfür [16, 19, 30],z Dehydratation,z ungeeignete und nicht angepasste Arzneimittelbehandlung [7, 10, 18, 20],z Multimedikation,z medikamentöse Unter- und Fehlbehandlung.

Insofern findet sich bei Bewohnern von Pflegeheimen die gesamte Band-breite komplexer geriatrischer Herausforderungen in konzentrierter Form.Abzulesen ist dies bei Patienten, die aus Pflegeheimen sehr häufig auch imKrankenhaus aufgenommen werden [13]. Von 250 Patienten einer retro-spektiv untersuchten Krankenhauskohorte einer geriatrischen Fachabtei-lung waren dies 15% [21]. In einer prospektiven Untersuchung waren dieführenden Ursachen für die im Krankenhaus verbrachten BehandlungstageStürze und Sturzfolgen (45%), kardiovaskuläre Ereignisse (26%), Infektio-nen (11%) und Ernährungsprobleme (6%) [26].

Medizinische Probleme bei Pflegeheimbewohnern z 217

Page 228: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Ein zunehmendes praktisch-klinisches Problem im Krankenhaus ist dieHäufigkeit nosokomialer Infektionen mit MRSA (methicillinresistenter Sta-phylococus aureus). Deren Prävalenz bei Pflegeheimbewohnern bewegt sichgemäß verschiedener Erhebungen in Deutschland zwischen 1,2–3,1% undhöher, jedoch auf deutlich niedrigerem Niveau als beispielsweise in denUSA und Großbritannien [22]. Tabelle 18.3 fasst Risikofaktoren für die Be-siedelung mit MRSA bei Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen zusam-men. Die Verringerung sowohl manifester Infektionen als auch der Aus-breitung von MRSA ist durch die konsequente Einhaltung von Standard-hygienemaßnahmen erfolgreich möglich [22]:z hygienische Händedesinfektion vor und nach Pflege und Behandlung je-

des Bewohners/Patienten;z Tragen von Schutzhandschuhen und patientengebundenen Schutzkitteln

bei Kontakt mit infektiösen Körpersekreten;z Entsorgen der Handschuhe nach jedem Kontakt mit MRSA-besiedelten

Bewohnern/Patienten und Belassen des Kittels im Zimmer, anschließen-de Händedesinfektion;

z Verbinden oder Abdecken offener Wunden, Ableiten der Harnwegskathe-ter in geschlossene Systeme, bei inkontinenten Patienten Auffangen derFäzes in Vorlagen.

Nosokomiale Infektionen finden sich bei insgesamt etwa 3–8% aller Kran-kenhauspatienten [23].

Nosokomiale Erkrankungen durch Noroviren treten im gesamten Jahres-verlauf auf, zeigen jedoch einen ausgeprägten saisonalen Gipfel in denHerbst- und Wintermonaten. Insbesondere in Krankenhäusern sowie Al-ten- und Krankenpflegeeinrichtungen verursachen Noroviren Gastroenteri-tisausbrüche, die erhebliche Ausmaße annehmen können. Im Winter2007/2008 wurde eine deutliche Zunahme festgestellt. Ausbrüche betrafen

z 18 Medizin im Altenpflegeheim218

Tabelle 18.3. Risikofaktoren für die Besiedelung mit MRSA (Methicillin-resistente Staphylococ-cus aureus) bei Bewohnern von Alten- und Pflegeheimen. (Nach [22])

Dispositionelle Faktoren Mit Behandlungsmaßnahmen assoziierte Faktoren

z Bettlägerigkeit, geringe Mobilitätz Hohes Lebensalterz Ausgedehnte Hautläsionen

(offene Wunden, Dekubiti, Ulzera,nässende Dermatiden, Ekzeme)

z Diabetes mellitusz Periphere Durchblutungsstörungenz Resistenzminderung durch chronische

Erkrankungen, funktionelle Störungenund Multimorbidität

z Hospitalisierung innerhalb der letzten 6 Monatez Langdauernde Antibiotikabehandlungz Hohe Pflegestufez Invasive Maßnahmen, Fremdkörperimplantate

(z. B. PEG-Sonde, Infusionen, Endoprothesen)Harnwegskatheter, insbesondere offene Harn-ableitungssysteme

z Längerer Heimaufenthalt

Page 229: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

zu jeweils 37% Krankenhäuser bzw. Altenpflegeheime und in 16% Kinder-gärten. Beim ersten Hinweis auf einen Norovirus-bedingten Gastroenteritis-ausbruch in einer Gemeinschaftseinrichtung sollten – ohne virologische Er-gebnisse abzuwarten – unverzüglich notwendige Maßnahmen zur Verhü-tung weiterer Infektionen eingeleitet werden [23].

Zur medizinischen Versorgungsqualitätvon Alten- und Pflegeheimbewohnern

Aus den vorausgegangenen Ausführungen lässt sich ohne weiteres ableiten,dass bei der medizinischen Versorgung alter und höchstbetagter Bewohnervon Pflegeeinrichtungen Kenntnisse der Altersmedizin nicht nur nützlich,sondern eigentlich dringend geboten sind. Unterstützt wird diese Forde-rung durch Ergebnisse von Untersuchungen zur Versorgungsqualität in die-sem Bereich, der in Deutschland bislang – zumindest medizinisch – so gutwie kein wissenschaftliches Interesse auf sich zog. Aus Sicht der Altersheil-kunde schließt sich hier in gewisser Weise ein Kreis, der mit ersten syste-matischen ärztlichen Untersuchungen – als Anfang eines geriatrischen As-sessments – bei Bewohnern im Pflegeheim begann (siehe Kap. 4).

Pflegeheimbewohner stellen eine wachsende Population dar, die in be-deutendem Ausmaß auf medizinische Leistungen angewiesen ist [17]. Esmehren sich Untersuchungen, die auf diesbezüglich erforderliche undmögliche Verbesserungen hinweisen [z. B. 10, 18, 26]. Studien zur Arznei-mittelbehandlung von Pflegeheimbewohnern, v. a. aus den USA sowie Skan-dinavien, belegten ein hohes Potential für Verbesserungen (tertiäre Präven-tion!) [z.B. 3, 7]. Auch im Krankenhaus sind erstaunliche qualitative Unter-schiede, z.B. bezüglich Diagnostik und Behandlung der Herzinsuffizienz,zwischen Pflegeheimbewohnern und nicht im Pflegeheim Lebenden be-schrieben worden [1].

Im Rahmen von Interventionsstudien war die Reduktion von Mehrfach-verordnungen ohne gesundheitliche Verschlechterung der Betroffenenmöglich [z. B. 3]. Auch einfache Maßnahmen wie die regelmäßige ärztlicheDurchsicht der Medikamentenverordnungen sind möglich [15]. DerartigeInterventionen schlossen z.T. Fortbildungsmaßnahmen für Pflegeheimper-sonal ein. Ein Beispiel für offensichtlichen Wissensbedarf ist die Vor-gehensweise bei Prävention und Behandlung von Dekubitalulzera [14].

Andere Beispiele erfolgreicher Interventionen im Heimbereich zieltenauf die Reduktion von Sturzereignissen und deren Folgen [6]. Weitere An-sätze zur Verbesserung der Versorgungsqualität haben als Ausgangspunktumfassendere Dokumentationssysteme (siehe Kap. 16) oder auch neue Kon-zeptionen, z.B. mit einem Schwerpunkt speziell für die Versorgung De-menzkranker [8, 9].

Zur medizinischen Versorgungsqualität von Alten- und Pflegeheimbewohnern z 219

Page 230: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

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Literatur z 221

Page 232: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Vorbemerkungen

Dieses Kapitel steht am Ende, hätte jedoch aus guten Gründen auch durch-aus im 1. oder 2. Teil dieses Buches seinen Platz haben können. Medizini-sche Versorgung älterer Patienten ist häufig auch Palliation, verstanden alsdie therapeutisch vorrangige Linderung von Symptomen. Die Linderungvon Symptomen, unter denen Patienten leiden, ist essenzieller Teil der Me-dizin – nicht nur für alte Menschen. Darüber hinaus erfolgt ärztliche undpflegerische Betreuung alter Menschen in Anbetracht der Endlichkeit desLebens. Sie sollte sich deshalb auch der „Todesnähe“ [11] bewusst sein.

Eine umfassende Darstellung der vielschichtigen Ebenen der Thematikund – wichtiger – ihres notwendigen Diskurses [13] ist an dieser Stelleauch nicht annähernd möglich. In den folgenden Abschnitten werden des-halb lediglich einige „Befunde“ – verstanden als Teile einer Situationsskizze– zitiert, die vielleicht geeignet sein können, zu einer vertiefenden persön-lichen Auseinandersetzung anzuregen. Neben der Nennung einiger Faktenwaren Auswahl und Schwerpunktlegung wesentlich davon bestimmt, mög-lichst die Sichtweise alter Menschen darzustellen.

Palliative Medizin

Nach der Definition der WHO (1990) ist Palliativmedizin „die aktive Gesamt-behandlung von Kranken, deren Leiden auf kurative Behandlung nicht an-spricht. Kontrolle von Schmerzen, von anderen Symptomen sowie psychischen,sozialen und spirituellen Problemen ist von entscheidender Bedeutung. DasZiel der palliativen Behandlung ist es, die bestmögliche Lebensqualität fürPatienten und deren Familien zu erreichen.“ Die vergleichende Übersicht inTabelle 19.1 fasst die zentralen Elemente der Palliativmedizin und ihre kor-respondierenden Elemente der Altersmedizin zusammen. Beiden gemeinsamist der Grundsatz einer aktiven Gesamtbehandlung, die nicht endet, wenn ku-rative Behandlungsoptionen nicht mehr gegeben sind [12].

Lebensendeund medizinische Versorgung

19

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Das Konzept der Palliativmedizin umfasst nach Klaschik [25] folgendeInhalte [26]:z „exzellente Schmerz- und Symptomkontrolle;z Integration der psychischen, sozialen und seelsorgerischen Bedürfnisse

der Patienten, der Angehörigen und des Behandlungsteams sowohl beider Krankheit als auch beim Sterben und in der Zeit danach;

z Akzeptanz des Todes als ein Teil des Lebens; durch eine deutliche Beja-hung des Lebens soll der Tod weder beschleunigt noch hinausgezögertwerden; Palliativmedizin ist eine eindeutige Absage an die aktive Sterbe-hilfe;

z Kompetenz in den wichtigen Fragen der Kommunikation und Ethik“.

Zu den Symptomen, die durch aktive Behandlung kontrolliert werdenmüssen, zählen neben Schmerzen auch Angst, Atemnot, Übelkeit, Erbre-chen und Obstipation. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen,dass es für eine erfolgreiche Schmerzbehandlung unabdingbar ist, Patien-ten zu befragen, zu beobachten und ggf. die Schmerzsituation auch eng-maschig neu zu bewerten. Die allermeisten Patienten können einfache Fra-

Palliative Medizin z 223

Tabelle 19.1. Zentrale Elemente der Palliativ- und Altersmedizin

Altersmedizin Palliativmedizin [24]

z Gesamtbehandlung z GesamtbehandlungMehrdimensionaler Ansatz(geriatrisches Assessment)Interdisziplinäres Team

z Prävention, Therapie, Rehabilitation*und Palliation

z Ende kurativerBehandlungmöglichkeiten

(*Adaptation, Optimierungund Kompensation)Die Möglichkeiten kurativer Behandlungsind oft begrenzt.

z Schmerzkontrolle z Schmerzkontrolle

z Aktive Behandlungphysisch, psychisch und sozial

z Kontrolle psychischer, sozialerund spiritueller Symptome

z Orientierung an Lebensqualität z Orientierung an Lebensqualität– Diagnostik erfolgt unter Beachtung

therapeutischer Konsequenzen– Prävention geriatrischer Risiken

(Tertiärprävention)– Berücksichtigung des Patientenwillens

(Selbstbestimmung)

z „Soziales Netzwerk“,Einbezug von Angehörigen

z Mitbehandlung der Familie

Page 234: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

gen nach Schmerzen beantworten. Es gibt keine Hinweise dafür, warumden Schmerzangaben von kommunikationsfähigen Patienten – auch mitkognitiven Funktionseinschränkungen – nicht geglaubt werden sollte [32].Allerdings bestehen z.T. erhebliche Unsicherheiten bei der Erkennung vonSchmerzen durch professionelle Helfer [39].

Beispiele für spezielle palliativmedizinische Einrichtungen sind das Hos-piz und die Palliativstation. Stationäre Hospize sind eigenständige Einrich-tungen, in denen unheilbar Kranke während der letzten Lebensphase pal-liativmedizinisch betreut werden. Voraussetzungen für die Aufnahme sind,dass der Patient an einer Erkrankung leidet, die progredient verläuft undbereits ein fortgeschrittenes Stadium erreicht hat, bei der eine Heilung aus-geschlossen und eine palliativmedizinische Behandlung notwendig odervom Patienten erwünscht ist und die lediglich eine begrenzte Lebenserwar-tung von Wochen oder wenigen Monaten zulässt und keine Krankenhaus-behandlung im Sinne von § 39 SGB V erforderlich macht [25].

Eine Palliativstation ist hingegen in einem Krankenhaus integriert odereiner Klinik angegliedert. Die Vorteile gegenüber einem Hospiz liegen indiagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten sowie der konsiliari-schen Einbindung anderer Fachdisziplinen. Eine Übersicht stationärer undambulanter Palliativ- und Hospizeinrichtungen in Deutschland ist in eineminformativen Führer zusammengestellt [35]. In palliativmedizinischen Ein-richtungen werden nicht mehr ausschließlich, aber überwiegend Tumorpa-tienten behandelt. Tatsächlich zeigt die Hospiz- und PalliativerhebungHOPE (2002–2005), an der die Mehrzahl der Palliativstationen in Deutsch-land teilnahmen, dass lediglich 147 von insgesamt 4182 dort behandeltenPatienten (3,5%) an nichtonkologischen Grunderkrankungen litten. Bezüg-lich ihrer Symptome und Versorgungsprobleme unterschieden sich diesePatienten erheblich von den Tumorpatienten. Nichtonkologische Palliativ-patienten wiesen bei häufiger erniedrigtem Funktionsstatus und PflegestufeIII signifikant häufiger pflegerischen Unterstützungsbedarf im Bereich derAlltagsaktivitäten auf. Häufiger als Tumorpatienten litten sie an Luftnot,Schwäche und Müdigkeit und waren auch häufiger desorientiert bzw. ver-wirrt [30, 31]. Im Bereich der ärztlichen Weiterbildung existieren erste An-gebote, die die palliative Geriatrie und hausärztliche Palliativmedizinberücksichtigen.

Aufgrund der demographischen Veränderungen wird die Erweiterungvon Versorgungsangeboten auch für alte Patienten gefordert [36, 45]. Vordem Hintergrund steigenden Bedarfs ist das Angebot palliativmedizinischerInhalte auch in der Ausbildung noch unzureichend [24]. Praktisch dürfte dieUmsetzung der „Gemeinsamen Empfehlungen nach § 132d Abs. 2 SGB V fürdie spezialisierte ambulante Palliativversorgung“ zur Verbesserung der Ver-sorgungssituation führen (http://www.aok-bv.de/08/2008).

z 19 Lebensende und medizinische Versorgung224

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Sterben im Alter

Nahezu 80% aller Sterbefälle in Deutschland betreffen über 65-jährigeMenschen, und das Sterben hat sich in Institutionen, d.h. wesentlich inKrankenhäuser und Heime verlagert, wo schätzungsweise 70% aller Sterbe-fälle eintreten [38].

Eine repräsentative Untersuchung in Mannheim zeigt dies beispielhaftfür die städtische Bevölkerung (Tabelle 19.2) [5]. Die Hälfte der Sterbefälleereignete sich im Krankenhaus (49,7%), gefolgt von Sterbefällen außerhalbvon Institutionen (29,1%) und in Alten- bzw. Altenpflegeheimen (21,1%).Mit höherem Sterbealter wurde dabei die Wahrscheinlichkeit verringert, imKrankenhaus zu sterben, dagegen wurde das Sterben im Heim wahrschein-licher. Verwitwete, ledige und geschiedene ältere Menschen verstarben häu-figer im Alten- oder Pflegeheim. Ältere Menschen, die bis zum Lebensendein einem Privathaushalt lebten, starben häufiger in einem Krankenhaus alsHeimbewohner, und Bewohner von Altenheimen starben häufiger im Kran-kenhaus als Bewohner von Pflegeheimen.

Mehr als drei Viertel dieser Verstorbenen waren während ihres letztenLebensjahres mindestens einmal stationär in einem Krankenhaus behandeltworden (Tabelle 19.3). Die Verweildauer im Krankenhaus sank oberhalbeines Sterbealters von 80 Jahren deutlich ab, während die Verweildauer inHeimen mit dem Sterbealter kontinuierlich zunahm. Der Anteil der Ver-

Sterben im Alter z 225

Tabelle 19.2. Sterbeort, Lebensalter, Geschlecht und Familienstand. (Nach [5])

Sterbeort

Nicht in Institution [%] Krankenhaus [%] Alten-/Pflegeheim [%]

Sterbealter65–69 Jahre 34,4 61,1 4,670–79 Jahre 32,1 58,5 9,480–89 Jahre 26,4 45,8 27,8�90 Jahre 27,6 29,3 43,2�65 Jahre insges. 29,1 49,7 21,2

GeschlechtMänner 32,2 55,6 12,2Frauen 27,3 45,5 27,3

FamilienstandVerheiratet 33,2 59,1 7,7Verwitwet 27,8 43,9 28,2Ledig 20,0 45,6 34,4Geschieden 30,3 49,7 20,0

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storbenen, die während des letzten Lebensjahrs weder stationär im Kran-kenhaus noch im Heim waren, betrug nur 11,4% und der Anteil der Ver-storbenen, die auch keine ambulanten professionellen Dienste in Anspruchgenommen hatten, lediglich 7,4%.

Die von nächsten Angehörigen genannten mutmaßlichen Todesursachenbetrafen Krankheiten des Kreislaufsystems (39,4%), Neubildungen (23,2%),Krankheiten der Atmungsorgane (9,9%), der Verdauungs-, Harn- und Ge-schlechtsorgane (7,0%), Stoffwechselerkrankungen (5,7%) und Suizide(1,6%). Menschen mit Atemwegs- und Kreislauferkrankungen starben häu-figer im Krankenhaus.

In 18,1% der Fälle wurden auch schlecht definierte Zustände wie „Alters-schwäche“ oder „Gebrechlichkeit“ genannt. Verstorbene mit den Todesursa-chen Altersschwäche oder Demenzerkrankungen waren während ihres letz-ten Lebensjahrs seltener im Krankenhaus behandelt worden [5]. Bei ge-brechlichen alten Menschen verschlechtert sich die funktionelle Abhängig-keit (siehe Kap. 2 und 5), gemessen an vier ADL-Bereichen (Baden, Essen,Mobilität und Kontinenz), über viele Monate sehr allmählich fortschreitendohne deutlich erkennbare Beschleunigung vor dem nahenden Tod. Bei altenMenschen mit kognitiver Beeinträchtigung beginnt dieser Prozess des fort-schreitenden Verlusts funktioneller Kompetenz früher und erreicht bis zumZeitpunkt des Todes ein vergleichsweise höheres Ausmaß [17].

z 19 Lebensende und medizinische Versorgung226

Tabelle 19.3. Ausgewählte Merkmale verstorbener, über 65-jähriger Menschen in Mannheim imletzten Lebensjahr. (Nach [5])

Bewohner von Privathaushalten Heimbewohner

Männer [%] Frauen [%] Männer [%] Frauen [%]

Ohne informelle Hilfspersonen 1,6 3,2 6,2 7,8

Ohne einen Angehörigenals Hilfsperson

5,5 7,9 9,2 13,8

Hausarztkontaktez Keine 2,6 2,8 3,8 1,9z Vierteljährlich 14,5 16,8 5,8 4,9z Mehrmals im Quartal 82,9 80,4 90,4 93,7

Krankenhausbehandlung 85,5 82,0 76,4 71,2z Mittlere Zahl der Episoden 1,69 1,61 1,62 1,30z Mittlere Gesamtdauer (Wochen) 5,29 4,78 6,04 4,20

Sterbeortz Außerhalb einer Institution 38,6 42,7 0,6 0,6z Krankenhaus 61,4 57,3 27,4 25,3z Heim – – 72,0 74,1

Mittleres Sterbealter (Jahre) 76,9 79,9 82,8 85,1

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Was ist ein guter Tod?

Im Sommer 2003 führte das British Medical Journal eine Online-Befragungdurch, die dazu einlud, die drei persönlich wichtigsten Merkmale eines „gu-ten Todes“ zu nennen. Insgesamt 692 Personen, und zwar 171 medizinischeLaien und 521 Professionelle aus dem medizinischen/gesundheitlichen Be-reich, hatten daraufhin ihre Auffassungen mitgeteilt [14]. Für die Laien wa-ren die drei wichtigsten Nennungen: die Freiheit von belastenden Sympto-men wie Schmerzen und Atemnot (80%), gefolgt von der Wahl, den Zeit-punkt des Todes (42%) und des Sterbeorts (32%) zu bestimmen. Die dreiwichtigsten Punkte, die von Professionellen genannt wurden, waren Freiheitvon belastenden Symptomen (77%), keine „heroischen medizinischen Inter-ventionen“ (35%) sowie die Wahl des Sterbeorts (30%). Die Auflistung ein-zelner Nennungen soll hier in der originalen englischen Sprache wiederge-geben werden (Tabelle 19.4).

Was ist ein guter Tod? z 227

Tabelle 19.4. Merkmale eines „guten Todes“ im Spiegel der Ergebnisse einer Online-Befragungdes British Medical Journals, 2003. (Aus [14])

Non-healthcareprofessionals [%]

Healthcareprofessionals [%]

What are your three most importantcharacteristics of a good death?

z Choice over where I die 32 30

z Choice over when I die 42 27(with possibility of bringing my death forward)

z Choice over with whom I die 28 25

z Freedom of unpleasant symptoms(pain, shortness of breath)

80 77

z Freedom from heroic medical interventions 20 35– With specialist palliative care services available 15 17– With my spiritual needs addressed 19 28– With psychological support available 15 10– With my financial matters resolved 18 22– With bereavement care for my family 26 24

z Where would you prefer to die?– Home 67 76– Hospice 7 6– Hospital 2 12– No preference 23 15

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Auch die Mehrzahl der Befragten einer repräsentativen Bevölkerungsstich-probe (77%; 644 Personen über 18 Jahre) in Thüringen wünschten ebenfalls,zu Hause sterben zu können, nur 8% gaben das Krankenhaus als Sterbeort an[42]. Die große Mehrheit der Befragten wünschte, dass Angehörige der eige-nen Familie (93%) oder Freunde (64%) das eigene Sterben begleiten sollten,gefolgt vom Hausarzt und professionellen Pflegepersonen. Für den Fall einerunheilbaren Krankheit wünschte sich die Mehrzahl ein möglichst schmerz-freies Sterben (89%). Als Mittel zur Wahrung von Autonomie und Patienten-rechten wird dabei offenbar eine Patientenverfügung (s. u.) angesehen, abernur 4% der Befragten gaben an, bereits eine derartige Verfügung unterschrie-ben zu haben. Eine Patientenverfügung „sehr wahrscheinlich abschließen“würde ein Drittel der Befragten, die bereits einmal einen Sterbenden gepflegthatten. Befragte ohne eigene entsprechende Pflegeerfahrungen würden diesweniger häufig tun (23%).

Gut zwei Drittel der Befragten würden auch einer im weiteren Sinne ak-tiven Form der „Sterbehilfe“ zustimmen. Bemerkenswert wichtige, mit die-ser Aussage assoziierte Faktoren waren in dieser Untersuchung die fehlendeErfahrung mit einem Todesfall im näheren Umfeld (78%), Konfessions-losigkeit (71%), Ledigsein (78%), Alter zwischen 30 und 39 Jahren (75%)sowie die geäußerte Bereitschaft zum Abschluss einer Patientenverfügung(73%) [42].

Die allermeisten (älteren) Menschen wünschen sich also, nicht in einemKrankenhaus oder Pflegeheim zu sterben [38]. Wenn immer möglich, solltedieser Wunsch in Erfüllung gehen können. Es wird deshalb in diesem Zu-sammenhang darauf hingewiesen, dass es an vielen Orten segensreiche Ini-tiativen gibt, in denen ehrenamtlich tätige Menschen (auch ältere und des-halb lebenserfahrene) nach entsprechender Schulung und unter geeigneterSupervision Sterbebegleitung und Unterstützung von pflegenden Angehö-ren durchführen. Hier werden zunehmend auch Hospizinitiativen im am-bulanten Bereich tätig. Vertrauensbildend für die Betroffenen beginnt einederartige Begleitung in idealer Weise bereits im Krankenhaus. Ein treffen-der Begriff hierfür ist z.B. „Brückenpflege“. An diese Möglichkeiten solltegedacht werden, um Sterben zu Hause zu ermöglichen.

Die Ergebnisse einer zwischen 1987 und 1991 anhand von Mitarbeiter-befragungen (248 befragte Mitarbeiter aus 70 Kliniken) durchgeführtenUntersuchung zu den psychosozialen Bedingungen des Sterbens im Kran-kenhaus zeigten ein bedenklich düsteres Bild [21]. Es seien nur einige Be-funde hieraus erwähnt. Über die Hälfte der Mitarbeiter (57%) hielt die be-stehenden räumlichen Voraussetzungen für ungeeignet, um Schwerstkrankeadäquat zu betreuen. Aufgrund von Personal- und Zeitmangel glaubten nurwenige (28%), sich die notwendige Zeit für die Betreuung Sterbender neh-men zu können. Die Mehrheit der Mitarbeiter (65%) sah sich durch dieBerufsausbildung sehr unzureichend auf das Sterben im Krankenhaus vor-bereitet. Die Mehrzahl der Befragten (75%) sprach sich für offene Ge-sprächsführung mit Patienten aus. Aber nach Aussagen der Mitarbeiter wa-ren nur ein Drittel der Patienten über ihre Prognose und den wahrscheinli-

z 19 Lebensende und medizinische Versorgung228

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chen Krankheitsverlauf orientiert. Nach Einschätzung von 72% der Mit-arbeiter waren die Bedingungen des Sterbens an ihrem Arbeitsplatz imKrankenhaus zu häufig mit der menschlichen Würde nicht vereinbar.Knapp ein Drittel gaben schließlich an, aufgrund ihrer Erfahrungen mehrAngst vor dem Sterben zu haben als andere Menschen.

Auffassungen älterer Menschen vom Sterben

Nach Sichtung psychologischer Arbeiten zur Thematik „Sterben und Tod imAlter“ kam Baltes [2] zu folgenden Schlussfolgerungen [zitiert bei 38]:z „Es existieren sehr große Unterschiede hinsichtlich der Einstellungen zum

Tod bei alten Menschen.z Die Bedeutungen, die der Tod für alte Menschen haben kann, variieren

ebenfalls sehr stark.z Auch die Bewältigungsformen in der Auseinandersetzung mit Sterben

und Tod zeigen im Alter eine sehr große Heterogenität.“

Im Rahmen einer Longitudinalstudie in Groningen, Niederlande, wurdendie Einstellungen älterer Menschen zu Sterben und Tod in zwei aufeinanderfolgenden Jahren erhoben und untersucht [41]. Dazu wurden 632 bzw. imFolgejahr noch 575 in Privathaushalten lebende Personen befragt. DieMehrzahl waren Frauen (72%) im mittleren Alter von 73 Jahren, von denen40% verwitwet waren. Knapp ein Viertel der Befragten waren bezüglichgrundlegender oder instrumenteller Aktivitäten des täglichen Lebens be-reits eingeschränkt.

Intensive Beschäftigung mit dem Tod war insgesamt selten und wenn,dann sehr eng mit Angst vor dem Sterben verbunden. Bei diesen geäußer-ten Ängsten überwogen – in beiden Jahren der Befragung – Befürchtungen,von jemandem abhängig zu sein oder jemandem zur Last zu fallen sowienahe Personen zu verlieren (20–24%). Direkt persönlich bezogene Angst,etwa von Maschinen abhängig zu werden oder zu leiden, wurde deutlichweniger häufig genannt.

Ein Drittel dieser befragten älteren Menschen stimmten u.a. der Auffas-sung zu, ein Arzt sollte zulassen, dass ein Mensch, der sich seit mehrerenMonaten im Koma befindet, sterben könne. Anlässlich der Wiederholungs-befragung im zweiten Jahr stimmten allerdings signifikant weniger der Be-fragten der Auffassung zu, dass unter Annahme bestimmter Bedingungenauch die Beschleunigung des Todes möglich sein sollte!

Ein wichtiger Befund dieser Studie ist, dass sich in beiden Erhebungs-jahren gleichermaßen wenige ältere Menschen mit Gedanken an den Tododer Ängsten vor dem Sterben beschäftigten. Den engsten Zusammenhangmit Überlegungen, den Tod zu beschleunigen, wiesen dabei soziokulturelleFaktoren auf. Geäußerte Ängste vor Tod und Sterben hingegen zeigten ei-

Auffassungen älterer Menschen vom Sterben z 229

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nen Zusammenhang am ehesten mit Merkmalen des Gesundheitszustands,insbesondere der psychischen Gesundheit (z.B. Depressivität) [41].

Ergebnisse der Berliner Altersstudie erbrachten, dass sich 70% der befrag-ten altenMenschen – bei Vorgabe von 10 Lebensbereichenund -themen – starkoder sehr stark mit dem Wohlergehen ihrer Angehörigen beschäftigen (s. o.).Das Thema Sterben und Tod wurde hingegen nur von 30% genannt [3].

Einstellungen älterer Patientenzu lebensverlängernden Maßnahmen

Untersuchungen zu Einstellungen von Patienten zu lebenserhaltenden oder-verlängernden Interventionen sind methodisch schwierig. Sie ermitteln inder Regel Antworten auf umschriebene hypothetische Szenarien, die derhäufigen Komplexität der tatsächlich im Alltag auftretenden Problemlagennicht unbedingt ähnlich sind, und sie werden aus ethischen Gründennatürlich nicht in tatsächlich akut lebensbedrohlichen Situationen durch-geführt. Dies ist bei der Deutung der Ergebnisse derartiger Studien zu be-denken. Folgende drei Studien werden angeführt, weil sie exemplarische,bei der Betreuung alter Patienten auftretende Konstellationen beleuchten.

z 1. Studie

Schweizerische Pflegeheimbewohner, bei denen keine offensichtliche De-menz vorlag, wurden bezüglich ihrer Einstellungen zu lebensverlängerndenMaßnahmen im Falle einer angenommenen, akut lebensbedrohlichen Lun-genentzündung befragt. 1997 wünschten 19 von 50 Befragten eine antibioti-sche Behandlung (38%), 15 lehnten diese ab (30%) und 16 waren unent-schlossen (32%) [7]. Anschließend wurden der betreuende Arzt und einePflegeperson befragt. Falls vom Patienten jemand aus dem Kreis seiner An-gehörigen als etwaiger Patientenvertreter vorgeschlagen worden war, wurdediese Person mit Einverständnis des Pflegeheimbewohners telefonisch inter-viewt. Von den Bewohnern wurden 22 Personen entsprechend benannt, diedann befragt wurden, ob sie der Meinung seien, dass die lebensverlängern-den Maßnahmen beim Auftreten einer lebensbedrohenden Erkrankung imSinne des Patienten wären.

Zwischen den Aussagen der Pflegeheimbewohner selbst und denen ihrerAngehörigen fand sich ein hoch signifikanter Grad der Übereinstimmung.Die Aussagen der Angehörigen, der Pflegekräfte und der Ärzte unterschiedensich in ihrer Tendenz nicht signifikant von denen der Bewohner. Die Gegenü-berstellung der ärztlichen und pflegerischen Meinungen offenbarte jedochsignifikante Unterschiede, indem die Ärzte die lebensverlängernde Maßnah-

z 19 Lebensende und medizinische Versorgung230

Page 241: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

me eher befürworteten, die Pflegekräfte diese jedoch eher ablehnten. DreiJahre später konnten noch 19 überlebende Pflegeheimbewohner abermalsin identischer Weise befragt werden. 10 wünschten eine antibiotische Be-handlung (53%), 2 lehnten sie ab (11%) und 7 waren ambivalent (37%) [8].

z 2. Studie

Die allerwenigsten Bewohner von Pflegeheimen verfügen über eine schrift-liche Verlautbarung zur gewünschten oder nicht gewünschten Intensitätmöglicher medizinischer Maßnahmen im Fall einer lebensbedrohlichen Er-krankung.

Vor diesem Hintergrund untersuchte eine dänische Studie die Wünschevon Pflegeheimbewohnern, ihren Angehörigen und dem Heimpersonal ineinem solchen angenommenen Fall sowie den Grad der Übereinstimmungzwischen diesen drei beteiligten Personengruppen [29]. Grundlage für dieAuswahl der befragten Bewohner waren die Angaben zur Einstufung desGrads von Gedächtnisfunktion und Entscheidungsfähigkeit gemäß ResidentAssessment Instrument (RAI; siehe Kap. 18). An der Untersuchung nahmenBewohner teil, die diesbezüglich die höchste Kompetenz aufwiesen sowieBewohner, die die geringste Kompetenz besaßen. Durchgeführt wurden In-terviews bei 101 kompetenten und 106 Bewohnern mit stark eingeschränk-ter Kompetenz, 142 Angehörigen und 207 Personen des Pflegepersonals.

Die erste Frage war, ob im Fall einer lebensbedrohlichen Lungenentzün-dung eine Verlegung ins Krankenhaus gewünscht wurde oder nicht. Wurdedies bejaht, so wurde gefragt, ob eine Beatmung für einige Tage erwünschtsei, wenn dies für das Überleben notwendig sei. Wurde keine Verlegungins Krankenhaus gefordert, so wurde weiter gefragt, ob eine antibiotischeBehandlung, wie üblich unter Routinebedingungen im Pflegeheim durch-geführt, erwünscht sei. Danach ergaben sich Antwortmöglichkeiten, die auffolgende vier Kategorien entfielen:1. keine Verlegung und keine antibiotische (kurative), aber palliative Be-

handlung im Heim,2. keine Verlegung, aber antibiotische Behandlung und palliative Behand-

lung im Heim,3. kurative und palliative Behandlung im Krankenhaus, aber keine Beat-

mung,4. kurative und palliative Behandlung im Krankenhaus und Beatmung.

Von den insgesamt 3451 in Frage kommenden Pflegeheimbewohnern inKopenhagen (durchschnittliches Alter 86 Jahre, 76% Frauen) hatten 2,8%eine schriftlich vorliegende Erklärung zu „Lebensend-Entscheidungen“;1,5% wollten entschieden keine Wiederbelebungsmaßnahmen, 1,2% keineVerlegung ins Krankenhaus im Falle einer akuten Erkrankung und 0,8%weder intravenöse Infusionen noch Ernährungssonden.

Einstellungen älterer Patienten zu lebensverlängernden Maßnahmen z 231

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Die Verteilung der Antworten der Bewohner mit sehr hoher und sehrniedriger Gedächtnis- und Entscheidungskompetenz auf die vier Kategorienzeigte keinen statistisch signifikanten Bezug zu Alter oder Geschlecht. Derstatistisch signifikant höchste Grad der Diskrepanz ergab sich beim Ver-gleich der gegebenen Antworten der Angehörigen von Bewohnern mitniedrigster Kompetenz für Gedächtnis und Entscheidungsfähigkeit unddem Pflegepersonal, indem gut ein Drittel dieser Angehörigen eine intensi-vere Behandlung wünschten als das Pflegepersonal.

z 3. Studie

In der dritten Studie wurden 226 Patienten (durchschnittliches Alter 73Jahre, 43% Frauen) mit absehbar beschränkter weiterer Lebenserwartungaufgrund einer Krebserkrankung, kongestiver Herzinsuffizienz oder chro-nisch obstruktiver Lungenerkrankung in ihrem Zuhause zu Behandlungs-wünschen befragt [19]. Hierfür wurden jeweils zwei Behandlungsformenvorgelegt, die sich im Intensitätsgrad der Belastung unterschieden:1. wenig belastend: wenige Tage bis eine Woche Krankenhausaufenthalt,

Untersuchungen inklusive Röntgen etc. und Behandlungen mit intra-venöser Antibiotikabehandlung und Sauerstoffgabe,

2. stark belastend: mindestens ein Monat Krankenhausaufenthalt, auchkomplexere Untersuchungen, Behandlungen inkl. Intensivstation, Opera-tion und Beatmung.

Zu jeder Behandlung wurden außerdem Angaben zum Grad der Belastung,zu den möglichen Ausgängen der Behandlung sowie zur Wahrscheinlich-keit des Eintretens möglicher Ausgänge vorgelegt. Weiterhin wurde ange-nommen, dass keinerlei Behandlung in jedem Fall tödlich ausginge. Eswurden die vier folgenden Szenarien angeboten:1. Wenig belastende Behandlung stellt derzeitigen Gesundheitszustand wie-

der her.2. Stark belastende Behandlung stellt derzeitigen Gesundheitszustand wie-

der her.3. Wenig belastende Behandlung führt zu schwerer funktioneller Beein-

trächtigung (Bettlägerigkeit und Pflegebedürftigkeit).4. Wenig belastende Behandlung führt zu schwerer kognitiver Beeinträchti-

gung (Umgebung und Familienangehörige werden nicht mehr erkannt).

Zunächst wurde nach der Präferenz gefragt, wenn der geschilderte Behand-lungsausgang als sicher angenommen wurde. Dann wurden die Fragen wie-derholt, indem sich die Wahrscheinlichkeit für einen ungünstigen Behand-lungsausgang erhöhte.

Die Ergebnisse der Befragungen waren wie folgt: 98,7% der Patientenentschieden sich für die wenig belastende Behandlung (Alternative: Tod beikeiner Behandlung). Der Anteil der Patienten, die die Szenarien 2, 3 und 4

z 19 Lebensende und medizinische Versorgung232

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mit ungünstigen Ausgängen im Vergleich mit dem Szenario 1 nicht mehrwünschten, stieg von 11 auf 74 und 89%. Mit zunehmender Wahrschein-lichkeit eines ungünstigen Ausgangs sank die Zahl der Patienten, die dieseBehandlungen wünschten. Für den Fall des Todes als ungünstigen Ausgangsank die Zahl derer, die eine derartige Behandlung wünschten, allerdingserst ab einer Todeswahrscheinlichkeit von 90%! Für die Szenarien mit Pfle-gebedürftigkeit und schwerer kognitiver Einschränkung hingegen sank dieZahl der Patienten, die eine derartige Behandlung wünschten, bereits deut-lich ab einer 50%igen Wahrscheinlichkeit für den ungünstigen Ausgang!

Es ist also offenkundig, dass die Behandlungswahl der befragten älterenPatienten stark vom Behandlungsausgang bestimmt wurde. Außerdem tra-fen die Patienten eindeutig Abwägungen zwischen Belastungen aufgrundvon Behandlungen und möglichen Ausgängen von Behandlungen sowie de-ren unterschiedlich niedrigen bzw. hohen Wahrscheinlichkeiten.

Die wichtigste Schlussfolgerung aus den Ergebnissen der o. g. drei Studienheißt: Die Kommunikation zwischen behandelnden Ärzten und ihren (alten)Patienten, zwischen Ärzten und Angehörigen sowie zwischen Teammitglie-dern untereinander ist von nicht hoch genug einzuschätzender Bedeutung!

Weiter ist zu bedenken, dass sich einmal geäußerte Willensbekundungenim Laufe der Zeit unter veränderten Bedingungen ändern können [40].

Die Bedeutung der Kommunikation mit den Patienten

Die Mehrzahl der Patienten wünscht mehr und andere Informationen, alssie vom Arzt erhält. Viele Patienten sind dazu bereit, eine aktivere Rolle imUmgang mit ihrer Krankheit zu spielen. Dazu möchten sie stärker als bis-her an Entscheidungen beteiligt werden. Auch die Patienten, die sich nichtan der Entscheidung beteiligen wollen, wünschen sich mehr Informationen.Die Tendenz zur Stärkung der Position des Patienten im Gesundheitswesenfindet ihren Ausdruck in der Erforschung, Entwicklung und Implementati-on von Modellen und Konzepten der medizinischen Entscheidungsfindung(„medical decision making“). Diese Konzepte werden mit Begriffen über-schrieben wiez patient-centered care,z informed choice,z informed decision making,z shared decision making (SDM),z evidence-based patient choice [27].

Eines der o. g. Konzepte zur medizinischen Entscheidungsfindung basiertauf dem patientenzentrierten Shared-decision-making-Modell, das als eine

Die Bedeutung der Kommunikation mit den Patienten z 233

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„patientenzentrierte klinische Methode“ die folgenden 6 Komponenten um-fasst:1. Exploration der Vorstellungen und Konzepte des Patienten von Krank-

heit und Gesundheit,2. Integration dieser Konzepte zum Verständnis der ganzen Person,3. eine gemeinsame Grundlage und Partnerschaft für das weitere Vorgehen

finden,4. Prävention und Gesundheitsförderung,5. die Patient-Arzt-Beziehung pflegen und verbessern,6. den realistischen Umgang mit Zeit und der erforderlichen emotionalen

und physischen Energie [10].

Wie unmittelbar erkennbar ist, entsprechen diese Komponenten einer pa-tientenzentrierten Kommunikation geradezu idealtypisch dem Ansatz derAltersmedizin, die die ganze Person mit ihren in der Regel mehrdimensio-nalen Problemen wahrnimmt (siehe Kap. 4).

Die Elemente der informierten Entscheidungsfindung sind:z Diskussion der Rolle des Patienten in der Entscheidungsfindung,z Diskussion des klinischen Problems und der Art der Entscheidung,z Diskussion von Alternativen,z Diskussion des Für (möglicher Nutzen) und Wider (möglicher Schaden)

der Alternativen,z Diskussion der Unsicherheiten, die mit der Entscheidung einhergehen,z Beurteilung des Verständnisses des Patienten,z Exploration der Präferenz des Patienten [9].

Wesentliche Informationsbedürfnisse von Patienten sind folgende (nachCoulter et al. [16]):

Patienten möchten

z verstehen, was nicht in Ordnung ist,z eine realistische Vorstellung der Prognose erhalten,z das Arztgespräch bestmöglich nutzen,z die Abläufe und die wahrscheinlichen Ergebnisse von Untersuchungen und

Behandlungen verstehen,z Unterstützung und Hilfe bei der Bewältigung erhalten,z darin unterstützt werden, selber etwas zu tun,z ihr Hilfsbedürfnis und ihre Besorgnis rechtfertigen,z andere darin unterstützen, sie zu verstehen,z lernen, weitere Krankheit zu verhindern sowiez wissen, wer die besten Ärzte sind.

Es gibt überhaupt keine vernünftigen Gründe, anzunehmen, dass ältereund auch hochbetagte Patienten keine eigenen Vorstellungen („Modelle“)von ihren Krankheiten oder gesundheitlichen Problemen bzw. von Wohl-

z 19 Lebensende und medizinische Versorgung234

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ergehen und Gesundheit haben oder keine persönlichen Erwartungen anDiagnostik und Behandlung. Es gibt auch keine vernünftigen Gründe, wa-rum sich das Informationsbedürfnis alter Patienten grundlegend von demjüngerer unterscheiden sollte. Der klinische Alltag zeigt, dass ältere Patien-ten im Vergleich mit jüngeren allerdings eher zurückhaltend in der Forde-rung nach Erfüllung dieser Bedürfnisse sind. Zahlreiche „Hindernisse“(z.B. Beeinträchtigungen von Hören, Sehen, Sprechen, Schwierigkeiten derKonzentrationsfähigkeit und des Verständnisses etc.), die für alte Krankedie Kommunikation erschweren, sind deshalb unbedingt zu beachten!

Des weiteren zeigten Untersuchungen wiederholt, dass die Bereitschaft,dem Arzt die wesentliche Rolle bei der Entscheidungsfindung oder die letz-te Entscheidung ganz zu überlassen, mit zunehmendem Alter wächst [26].Jüngere Patienten zeigen ein höheres Bedürfnis nach Autonomie undkönnen dieses auch eher geltend machen. Im Praxisalltag sind es dannauch Angehörige, die häufig die Interessen alter Patienten wahrnehmen.

Ebenso wie die Fremdanamnese nicht nur ausgesprochen nützlich, son-dern häufig auch erforderlich ist (siehe Kap. 5), sollte die Kommunikationmit Angehörigen sowie mit dem Patienten zusammen mit seinen Angehöri-gen genutzt werden, um Informationen, Empfehlungen und ärztlichen Ratnachhaltig zum alten Patienten zu bringen!

Eine entsprechend ernst zu nehmende und häufig auch zeitintensiveärztliche Aufgabe besteht in der Aufklärung, der Informationsvermittlungund der Beratung von Angehörigen. Ihre Ängste, Sorgen und Bedürfnissenach Informationen über ihren angehörigen Patienten sollten möglichstberücksichtigt werden, denn sie sind – z.B. nach Abschluss einer stationä-ren Behandlung – sehr häufig diejenigen, die verantwortlich sind für dieBürden der weiteren Versorgung [34]. Informiertheit und verbessertes Ver-ständnis durch ärztliche Beratung können ohne Zweifel auch dazu beitra-gen, dass diese belastenden Aufgaben für Angehörige „tragbarer“ werden.

Für Angehörige von Patienten im Krankenhaus sind auch die anderenBerufsgruppen im Team wichtige Ansprechpartner in Sachen Information.Es ist deshalb wichtig, dass die Mitglieder eines Behandlungsteamsmöglichst kongruente Informationen an Patienten und Angehörige abge-ben, also sinngemäß „mit einer Stimme“ sprechen [34]. Die Pflege einer„Informationskultur“ mit Patienten und deren Angehörigen sollte selbstver-ständlich werden. Je professioneller und selbstverständlicher informiertwird, desto komplikationsloser sind erfahrungsgemäß auch gemeinsameWege mit Patienten aus schwierigen Situationen zu finden und zu gehen.

Aus dem bisher Gesagten lässt sich zwanglos ableiten, dass es zu Prob-lemen kommen kann, und – wie der klinische Alltag zeigt – dass es beson-ders in sehr komplizierten Situationen geradezu regelhaft auch zu Prob-lemen kommt, wenn die o. g. Prinzipien funktionierender Kommunikationunberücksichtigt, vergessen oder gar in ignoranter Weise missachtet wer-den.

An dieser Stelle soll besonders auf die Einrichtung eines KlinischenEthikkomitees hingewiesen werden, zu dessen Standardaufgaben neben

Die Bedeutung der Kommunikation mit den Patienten z 235

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ethischer Weiterbildung und Leitlinienarbeit vor allem die ethische Einzel-fallberatung zählt [37].

Es darf hier nicht unerwähnt bleiben, dass Kommunikationsproblememindestens die Hälfte aller Beschwerden ausmachen, die alte Patienten imKrankenhaus betreffen, und dass sie in der Mehrzahl von deren Angehöri-gen vorgebracht werden [1]. Dabei geht es nicht unbedingt immer um(missverständliche oder missverstandene) Kommunikationsinhalte, sondernum unangemessene Formen von Kommunikation. Hierin kommen – bedau-erlicherweise immer noch zu oft – völlig inadäquate und überhaupt garnicht zu tolerierende Haltungen gegenüber alten Patienten und alten Men-schen schlechthin zum Ausdruck.

Was hat Kommunikation mit dem Inhalt dieses Kapitels zu tun? DieBedeutung patientenzentrierter Kommunikation betrifft grundsätzlich dasVerhältnis zu Patienten und beschränkt sich natürlich nicht auf Situatio-nen, in denen Entscheidungen anstehen, die möglicherweise durch die Al-ternative zwischen Leben oder Tod zu beschreiben sind. Eine häufige Situa-tion besteht aber darin, gemeinsam mit dem Patienten die für ihn best-mögliche Behandlungsoption zu wählen [39]. Oft müssen Ärzte traurige,schlechte oder schwierige Nachrichten überbringen oder vermitteln [18].Um dieses gut, d.h. professionell und kompetent tun zu können, muss mansich darum bemühen, es zu lernen.

In dem Spektrum der vielfältigen ärztlichen Tätigkeiten ist die Betreu-ung und Begleitung sterbender Menschen etwas Besonderes. Wenn dieKommunikation als wichtigstes tragendes Element im Verhältnis zum Pa-tienten zu Lebzeiten nicht gekennzeichnet ist durch Ehrlichkeit, Authentizi-tät und Bemühen um Verständnis und Vertrauen, wie soll dann in der Si-tuation des Sterbens, wenn Worte vielleicht nicht mehr verstanden werdenkönnen, kommuniziert werden? Deshalb ist dieser Abschnitt als ein Plädoy-er für offene Kommunikation zu verstehen, die die überwiegende Zahl derPatienten sich von uns wünscht. Dies bedeutet nicht, dass Patienten sowieauch Angehörige stets in jeder Situation „alles“ gesagt bekommen möchten[20]. Häufig wird dies dann signalisiert, freilich nicht immer durch sofortverständliche Worte, sondern manchmal in Bildwörtern oder auch ganzohne ein gesprochenes Wort. Es muss allerdings wahrgenommen und ver-standen werden.

Patientenrechte und Willensbezeugungen

Selbstbestimmung, Kontrolle, Autonomie, die Würde der Identität undMenschenrechte sind u. a. Bestandteile eines Konzepts von Würde, wie sievon alten Menschen selbst beschrieben oder umschrieben worden ist [46].Es gibt sehr vielfältige Situationen, in denen die Würde von Patienten und

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das, was damit – für den Einzelnen – verbunden ist, potenziell gefährdetsein kann oder tatsächlich nicht gewahrt wird.

Die überwiegende Mehrzahl auch älterer Patienten ist – in angemessenerSituation und Form – dazu bereit, offen über ihre Wünsche der medizi-nisch-pflegerischen Versorgung, insbesondere bezüglich lebenserhaltenderbzw. -verlängernder Maßnahmen zu sprechen und Fragen hierzu zu beant-worten [22, 23].

Hilfen bei Entscheidungsfindungen in der letzten Lebensphase könnenschriftliche Willensbezeugungen sein, z.B. die Patientenverfügung:. „Patien-tenverfügungen sind schriftliche oder mündliche Willensäußerungen einesentscheidungsfähigen Patienten zur zukünftigen Behandlung für den Fallder Äußerungsunfähigkeit. Mit ihr kann und soll der Patient unter anderembestimmen, ob und in welchem Umfang bei ihm in bestimmten, näher umris-senen Krankheitssituationen medizinische Maßnahmen ergriffen oder auchunterlassen werden sollen. Eine Patientenverfügung ist gewissermaßen einin die Zukunft hinein wirkender Patientenwille für den Fall fehlender Ent-scheidungs- und Willensfähigkeit. Ihre rechtliche Bedeutung ist inzwischenunbestritten: Sie bindet grundsätzlich die behandelnden Ärzte [6, 28].“

Die Alltagserfahrung zeigt, dass derartige Patientenverfügungen bislangin den seltensten Fällen vorliegen. Abschließend soll deshalb eine Möglich-keit genannt werden, die eine Hilfe sein kann, den Patientenwillen zu er-mitteln. Es handelt sich um die sog. Wertanamnese. Darunter versteht mandie systematische Erfassung der Wertvorstellungen von Patienten (sieheKap. 4) (Lambert et al. 1990; zitiert bei [4]).

Literatur

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2. Baltes M (1984) Altern und Tod in der psychologischen Forschung. In: WinauR, Rosemeier P (Hrsg) Tod und Sterben. De Gruyter, Berlin, S 237–251

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Page 251: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Auswahl von Screening- und Untersuchungsverfahrenzur Beurteilung gesundheitlicher Probleme älterer Patienten

Diese Auswahl von Screening- und Untersuchungsverfahren berücksichtigtetablierte Instrumente, die größtenteils als Bestandteil des so genanntengeriatrischen Basisassessments, in Deutschland als Arbeitsgruppe Geriatri-sches Assessment (AGAST [1]) bereits seit Jahren empirisch Eingang in diePraxis klinisch geriatrischer Versorgung gefunden haben (siehe auchKap. 4). Für Einzelheiten sei auf die jeweils angegebenen Originalquellenverwiesen.

Positiv ausfallende Ergebnisse bei Durchführung der hier aufgeführtenScreening-Verfahren liefern keine nosologische Zuordnung bzw. Diagnose-stellung. In diesem Fall soll jeweils die weiterführende und spezifizierendeDiagnostik eingeleitet werden, die z.T. von Mitgliedern des interdisziplinä-ren Teams durchgeführt wird (Beispiel: neuropsychologische Diagnostikbei Verdacht auf demenzielle Erkrankung im Screening).

Geriatrisches Screening(AGAST 1997; mod. n. Lachs et al. 1990 [1])

Das geriatrische Screening (Tabelle 1) liefert Hinweise auf beeinträchtigteFunktionen sowie wichtige geriatrische Risiken. Es sollen alle 15 Bereiche(Items des Bogens) angesprochen bzw. durchgeführt werden. Die Fragenund Aufgaben sind im Bogen enthalten. Mögliche Konsequenzen für wei-terführende Untersuchungen aus dem Ergebnis des geriatrischen Screeningssind nach Gesichtspunkten klinisch-geriatrischer Relevanz zu entscheiden.

Anhang

Page 252: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

z Anhang242

Tabelle 1. Geriatrisches Screening. (Mod. n. [1])

Problem Untersuchung Pathologisches Ergebnis

1. Sehen Fingerzahl mit Brille in 2 mEntfernung erkennenNahvisus oder Lesen einerÜberschriftFrage: Hat sich Ihre Sehfähigkeitin letzter Zeit verschlechtert?

Kein korrektes Erkennenbzw. Lesen möglich oderdie Frage wird mit Jabeantwortet

2. Hören Flüstern der folgenden Zahlen inca. 50 cm Entfernung nach Aus-atmung in das angegebene Ohr,während das andere zugehaltenwird.6 1 9 linkes Ohr2 7 3 rechtes Ohr

Mehr als eine Zahl wirdfalsch erkannt

3. Armfunktion Bitten Sie den Patienten,1. beide Hände hinter

den Kopf zu legen und2. einen Kugelschreiber

von Tisch/Bettdecke aufzuheben

Mindestens eine Aufgabewird nicht gelöst

4. Beinfunktion Bitten Sie den Patientenaufzustehen, einige Schrittezu gehen und sich wiederzu setzen

Patient ist nicht in derLage, eine dieser Tätig-keiten selbstständigauszuführen

5. Blasenkontinenz Frage: Konnten Sie in letzterZeit den Urin versehentlichnicht halten?

Antwort des Patienten: Ja

6. Stuhlkontinenz Frage: Konnten Sie in letzterZeit den Stuhl versehentlichnicht halten?

Antwort des Patienten: Ja

7. Ernährungsstatus Schätzen Sie das Patienten-gewicht

Nicht normalgewichtigUntergewichtig?

8 a. Kognitiver Status Nennen Sie dem Patienten diefolgenden Begriffe und bittenihn, sie sich zu merken:Apfel Pfennig TischBitten Sie den Patienten,die Begriffe zu wiederholen

9. Aktivität Fragen Sie den Patienten:„Können Sie sich selbst anziehen?Können Sie mindestens eineTreppe steigen?Können Sie selbst einkaufengehen?“

Eine oder mehr Fragenmit Nein beantwortet

Page 253: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Assessment der Aktivitäten des täglichen Lebens

z Barthel-Index gemäß Hamburger Einstufungsmanualder Arbeitsgruppe „Barthel-Index“ der RAG Hamburg der BAG(Lübke et al. 2001 [10])

Der Bartel-Index erfasst die in Tabelle 2 aufgeführten Komponenten. Einevolle Punktzahl darf nur für eine völlig selbstständige und sichere Durch-führung der beobachteten Tätigkeiten vergeben werden. Bewertet wird nur,was der Patient tatsächlich aus eigenem Antrieb in seiner aktuellen Situati-on tut, nicht was er von seiner Motorik theoretisch oder unter anderen äu-ßeren Bedingungen tun könnte. Hilfsweise, wenn keine Beobachtungmöglich ist, kann eine Befragung erfolgen (Anamnese, Fremdanamnese).Die Summe möglicher Summenscores reicht von 0–100. Der Barthel-Indexwird i. d.R. durch Pflegekräfte verwendet.

Auf die methodischen Probleme dieses weit verbreiteten Instrumentskann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Es wird jedoch auf eineausführliche Erörterung hierzu hingewiesen [11].

Assessment der Aktivitäten des täglichen Lebens z 243

Tabelle 1 (Fortsetzung)

Problem Untersuchung Pathologisches Ergebnis

10. Depression Fragen Sie den Patienten:„Fühlen Sie sich oft traurigoder niedergeschlagen?“

Bei Antwort Ja oder ggf.Eindruck des Arztes

8b. Kognitiver Status Fragen Sie die Begriffe aus8 a ab: Apfel Pfennig Tisch

Einen oder mehrereBegriffe vergessen

11. SozialeUnterstützung

Frage: „Haben Sie Personen,auf die Sie sich verlassen unddie Ihnen zu Hause regelmäßighelfen können?“

Bei Antwort des Patienten:Nein

12. RisikofaktorKrankenhaus-aufenthalt

Frage: „Wann waren Siezum letzten Malim Krankenhaus?“

Ja, vor wenigerals 3 Monaten(ungeplant)

13. RisikofaktorSturz

Frage: „Sind Sie in den letzten3 Monaten gestürzt?“

Antwort: Ja

14. RisikofaktorMultimedikation

Frage: „Nehmen Sie regelmäßigmehr als 5 verschiedeneMedikamente?“

Antwort: Ja

15. Risikofaktorhäufig Schmerzen

Frage: „Leiden Sie häufigunter Schmerzen?“

Antwort: Ja

Page 254: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

z Anhang244

Tabelle 2. Barthel-Index. (Nach [10])

z Essen10 Komplett selbstständig oder selbstständige PEG-Beschickung/-Versorgung5 Hilfe bei mundgerechter Vorbereitung, aber selbstständiges Einnehmen

oder Hilfe bei PEG-Beschickung/-Versorgung0 Kein selbstständiges Einnehmen und keine MS/PEG-Ernährung

z Aufsetzen und Umsetzen15 Komplett selbstständig aus liegender Position in (Roll-)Stuhl und zurück10 Aufsicht oder geringe Hilfe (ungeschulte Laienhilfe)5 Erhebliche Hilfe (geschulte Laienhilfe oder professionelle Hilfe)0 Wird faktisch nicht aus dem Bett transferiert

z Sich Waschen5 Vor Ort komplett selbstständig inklusive Zähneputzen, Rasieren und Frisieren0 Erfüllt 5 nicht

z Toilettenbenutzung10 Vor Ort komplett selbstständige Nutzung von Toilette

oder Toilettenstuhl inklusive Spülung/Reinigung5 Vor Ort Hilfe oder Aufsicht bei Toiletten- oder Toilettenstuhlbenutzung

oder deren Spülung/Reinigung erforderlich0 Benutzt faktisch weder Toilette noch Toilettenstuhl

z Baden/Duschen5 Selbstständiges Baden oder Duschen inklusive Ein-/Ausstieg, sich reinigen

und abtrocknen0 Erfüllt 5 nicht

z Aufstehen und Gehen15 Ohne Aufsicht oder personelle Hilfe vom Sitz in den Stand kommen

und mindestens 50 m ohne Gehwagen (aber ggf. mit Stöcken/Gehstützen)10 Ohne Aufsicht oder personelle Hilfe vom Sitz in den Stand kommen

und mindestens 50 m mit Hilfe eines Gehwagens gehen5 Mit Laienhilfe oder Gehwagen vom Sitz in den Stand kommen und Strecken

im Wohnbereich bewältigen;alternativ: im Wohnbereich komplett selbstständig mit Rollstuhl

0 Erfüllt 5 nicht

z Treppensteigen10 Ohne Aufsicht oder personelle Hilfe (ggf. mit Hilfe von Stöcken/Gehstützen)

mindestens ein Stockwerk hinauf- und hinuntersteigen5 Mit Aufsicht oder Laienhilfe mindestens ein Stockwerk hinauf und hinunter0 Erfüllt 5 nicht

Page 255: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

z Ergebnisinterpretation. Erreicht der Proband 100 Punkte, so ist er in denBasisaktivitäten des täglichen Lebens weitgehend selbstständig und i. Allg.von Pflege unabhängig; hauswirtschaftliche Hilfen können jedoch erforder-lich sein. Da der Barthel-Index keine kontinuierliche Skala ist, kann er, als al-leiniges Verfahren angewandt, den Grad der Hilfsbedürftigkeit nicht quanti-fizieren. Bei der Beurteilung pflegebedürftiger alter Menschen können einzel-ne Items eine größere Bedeutung haben als die im Summenscore erreichtePunktzahl. Der Barthel-Index ist nicht geeignet zur Erfassung leichterer Be-hinderungen und besitzt eine sehr geringe Unterschiedssensitivität. Verschie-bungen der Punktwerte für einzelne Items bei konstantem Gesamtpunktwertsind bei Verlaufsmessungen möglich. Dieser Umstand ist deshalb bei einerBewertung zu berücksichtigen, weshalb für eine sinnvolle Aussage eben auchdie Punktwerte der Einzelitems angegeben werden sollten.

z Frühreha-Barthel-Index (Schönle 1996) [17]. Um den Schweregrad undpflegerischen Versorgungsaufwand funktional schwer beeinträchtigter Pa-tienten mit Hirnschädigung in der neurologischen Rehabilitation abzubil-den und zu quantifizieren, wurde der Frühreha-Barthel-Index entwickelt

Assessment der Aktivitäten des täglichen Lebens z 245

Tabelle 2 (Fortsetzung)

z An- und Auskleiden10 Zieht sich in angemessener Zeit selbstständig Tageskleidung, Schuhe

(und ggf. benötigte Hilfsmittel, z. B. ATS, Prothesen) an und aus5 Kleidet mindestens den Oberkörper in angemessener Zeit selbständig

an und aus, sofern die Utensilien in greifbarer Nähe sind0 Erfüllt 5 nicht

z Stuhlkontinenz10 Ist stuhlkontinent, ggf. selbstständig bei rektalen Abführmaßnahmen

oder AP-Versorgung5 Ist durchschnittlich nicht mehr als 1� pro Woche stuhlinkontinent

oder benötigt Hilfe bei rektalen Abführmaßnahmen/AP-Versorgung0 Ist durchschnittlich mehr als 1� pro Woche stuhlinkontinent

z Harnkontinenz10 Ist harnkontinent oder kompensiert seine Harninkontinenz/versorgt seinen DK komplett

selbstständig und mit Erfolg (kein Einnässen von Kleidung oder Bettwäsche)5 Kompensiert seine Harninkontinenz selbstständig und mit überwiegendem Erfolg

(durchschnittlich nicht mehr als 1� pro Tag Einnässen von Kleidung oder Bettwäsche)oder benötigt Hilfe bei der Versorgung seines Harnkathetersystems

0 Ist durchschnittlich mehr als 1� pro Tag harninkontinent

z Gesamtpunktescore: 0–100

Page 256: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

[17]. Er enthält Items, die mit erhöhtem Versorgungsaufwand verbundensind und mit einer negativen Punktzahl bewertet werden (Tabelle 3).

z Functional Independence Measure (FIM)(FIM-Arbeitskreis 1997 [5])

Der FIM ist ein Instrument zur Einschätzung der funktionalen Selbststän-digkeit. Er erfasst Aktivitäten des Lebens in insgesamt 18 Items. Anhandeiner Ordinalskala zu jedem Item wird der gegenwärtige Grad der Selbst-ändigkeit in Stufen von 1–7 bewertet (1=komplette Hilfestellung bis7=vollständige Unabhängigkeit). Die Summe möglicher Punktescoresreicht von minimal 18 bis maximal 126 Punkten.

Die Items beziehen sich auf fünf Bereiche:z Selbstversorgung (Essen/Trinken, Körperpflege, Baden/Duschen/Waschen,

Ankleiden Ober- und Unterkörper, Toilettenhygiene),z Kontinenz (Blasen-, Darmkontrolle),z Transfer (Bett/Stuhl/Rollstuhl, Toilettensitz, Badewanne/Dusche),z Fortbewegung (zu Fuß, Rollstuhl, Treppensteigen),z Kommunikation (Verstehen, Ausdruck) undz sozialkognitive Fähigkeiten (soziales Verhalten, Problemlösung, Gedächt-

nis).

Die Anwendung erfordert Schulung mit dem ausführlichen Manual. Das In-strument wird im Bereich der Rehabilitation z.B. von Ergotherapeuten an-gewendet.

z Anhang246

Tabelle 3. Frühreha-Barthel-Index (Schönle 1996 [17])

Nein Ja

z Intensivmedizinisch überwachungspflichtiger Zustand(z. B. vegetative Krisen)

0 –50

z Absaugpflichtiges Tracheostoma 0 –50z Intermittierende Beatmung 0 –50z Beaufsichtigungspflichtige Orientierungsstörung (Verwirrtheit) 0 –50z Beaufsichtigungspflichtige Verhaltensstörung

(mit Eigen- und/oder Fremdgefährdung)0 –50

z Schwere Verständigungsstörung 0 –25z Beaufsichtigungspflichtige Schluckstörung 0 –50

Page 257: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens (IADL)(Nach Lawton u. Brody 1969 [9] in der Übersetzung von Nikolaus 1999 [14])

Bei der Erfassung von Alltagskompetenzeinbußen mittels IADL-Skala wirdfür jede Tätigkeit, die selbstständig geleistet werden kann, ein Punkt ver-geben (Tabelle 4). Die Skala erfasst grobe Veränderungen. Die Antwortensind z.T. abhängig von der geschlechtsspezifischen Rollenverteilung, dieBeurteilungen sind z.T. sehr subjektiv. Das Ergebnis wird als Quotient von8 angegeben.

Instrumentelle Aktivitäten des täglichen Lebens (IADL) z 247

Tabelle 4. Erfassung der IADL. (Nach [9, 14])

z TelefonBenutzt Telefon aus eigener Initiative 1Wählt einige bekannte Nummern 1Nimmt ab, wählt nicht selbstständig 1Benutzt das Telefon überhaupt nicht 0

z EinkaufenKauft selbstständig die meisten benötigten Sachen ein 1Tätigt wenige Einkäufe 0Benötigt bei jedem Einkauf Begleitung 0Unfähig zum Einkaufen 0

z KochenPlant und kocht erforderliche Mahlzeiten selbstständig 1Kocht erforderliche Mahlzeiten nur nach Vorbereitungdurch Drittpersonen

0

Kocht selbstständig, hält aber benötigte Diät nicht ein 0Benötigt vorbereitete und servierte Mahlzeiten 0

z HaushaltHält Haushalt instand oder benötigt zeitweise Hilfe bei schweren Arbeiten 1Führt selbstständig kleine Hausarbeiten aus 1Führt selbstständig kleine Hausarbeiten aus, kann aber die Wohnungnicht rein halten

1

Benötigt Hilfe in allen Haushaltsverrichtungen 1Nimmt überhaupt nicht teil an täglichen Verrichtungen im Haushalt 0

Page 258: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Sehen

z Nahvisus-Prüfung mit Jäger-Tafel(Mangione et al. 1992 [13])

Die Karte (Abb. 1) wird bei bei guten Lichtverhältnissen in Lesedistanzvom Auge entfernt gehalten, und zwar für jedes Auge einzeln, mit und oh-ne Brille.

z Beurteilung: �20/40: wahrscheinliche Sehstörung

z Anhang248

Tabelle 4 (Fortsetzung)

z WäscheWäscht sämtliche eigene Wäsche 1Wäscht kleine Sachen 1Gesamte Wäsche muss auswärts versorgt werden 0

z TransportmittelBenutzt unabhängig öffentliche Verkehrsmittel, eigenes Auto 1Bestellt und benutzt selbstständig Taxi,benutzt aber keine öffentlichen Verkehrsmittel

1

Benutzt öffentliche Verkehrsmittel in Begleitung 1Beschränkte Fahrten in Taxi oder Auto in Begleitung 0Reist überhaupt nicht 0

z MedikamenteNimmt Medikamente in genauer Dosierungund zum korrekten Zeitpunkt eigenverantwortlich

1

Nimmt vorbereitete Medikamente korrekt 0Kann korrekte Einnahme von Medikamenten nicht handhaben 0

z GeldhaushaltRegelt finanzielle Geschäfte selbstständig(Budget, Schecks, Einzahlungen, Gang zur Bank)

1

Erledigt täglich kleine Ausgaben, benötigt Hilfebei Einzahlungen, Bankgeschäften

1

Ist nicht mehr fähig, mit Geld umzugehen 0

z Gesamtscore /8

Page 259: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Sehen z 249

Abb. 1.

Page 260: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Hören

z Flüstertest(Macphee, Growther, McAlpine 1988 [12])

Nach Ausatmen werden folgende Zahlen aus 50 cm Entfernung in das be-zeichnete Ohr geflüstert, während das andere Ohr zugehalten wird:

6 1 9 linkes Ohr2 7 3 rechtes Ohr

z Beurteilung: �1 falsche Zahlenwiedergabe: mögliche Hörstörung

z Hearing Handicap Inventory for the Elderly (HHIE-S)(Ventry, Weinstein 1982 [21])

Um Handicaps beim Hören zu evaluieren, eignet sich der in Tabelle 5 wie-dergegebene Fragenkatalog.

z Anhang250

Tabelle 5. Hearing Handicap Inventory for the Elderly. (Nach [21])

Ja Manchmal Nein

1. Verunsichert Sie Ihr Hörproblem, wenn Sie mit anderenLeuten zusammentreffen?

4 2

2. Sind Sie wegen Ihres Hörproblems manchmal frustriert,wenn Sie mit Familienangehörigen sprechen?

4 2

3. Haben Sie Schwierigkeiten, jemanden zu verstehen,der nur flüstert?

4 2

4. Fühlen Sie sich durch Hörprobleme behindert? 4 2

5. Macht Ihnen Ihr Hörproblem beim Besuch vonFreunden, Verwandten oder Nachbarn Schwierigkeiten?

4 2

6. Gehen Sie wegen Ihres Hörproblems seltenerzur Kirche, als Sie es möchten?

4 2

7. Führt Ihr Hörproblem zu Auseinandersetzungenmit Familienmitgliedern?

4 2

8. Macht Ihnen Ihr Hörproblem beim Fernsehenoder Radiohören Schwierigkeiten?

4 2

9. Haben Sie das Gefühl, dass Ihr Hörproblem Ihr persönlichesoder soziales Leben einschränkt oder beeinträchtigt?

4 2

10. Macht Ihnen Ihr Hörproblem bei einem Restaurantbesuchmit Angehörigen oder Freunden Schwierigkeiten?

4 2

Page 261: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

z Gesamtscore: 0–40 Punkte>8 Punkte: einschränkende Hörstörung

z Bewertung: 0–8 Punkte: kein Handicap;10–24 Punkte: leichtes bis mäßiges Handicap;26–40 Punkte: schweres Handicap

Mobilität

z Tandem-Stand (statische Balance)

Der Proband wird aufgefordert, mindestens 10 s in drei Positionen zu ste-hen. Es wird gemessen, wie lange die Stellung eingehalten werden kann.1. Position: Füße Seite an Seite (berühren sich)2. Position: Ferse des einen Fußes neben Großzehe des anderen (Semi-Tan-

dem-Stand)3. Position: Ferse des einen Fußes direkt vor den anderen Fuß (Tandem-

Stand)

z Bewertung: Wird eine Position weniger als 10 s eingehalten, besteht eineBalance-Störung.

z Timed-up and go (basale funktionelle Beweglichkeit)(Podsiadlo, Richardson 1991 [15])

Der zu Untersuchende sitzt auf einem Stuhl mit Armlehne (Sitzhöhe ca. 46cm). Die Arme liegen locker auf den Armlehnen, der Rücken liegt an derRückenlehne an. Bei Aufforderung soll der Proband mit normalem und si-cherem Gang bis zu einer Linie gehen, die 3 m vom Stuhl entfernt auf demBoden markiert ist, sich dort umdrehen und wieder zum Stuhl gehen undsich zurück in die Ausgangsposition begeben. Es darf ggf. ein Hilfsmittel,z.B. ein Stock, benutzt werden. Die Zeit (in Sekunden gemessen) wird ge-stoppt vom Beginn des Aufstehens bis zum Hinsetzen, und es darf ein Pro-belauf gemacht werden.

z Beurteilung: <20 s: Mobilität für den Alltag uneingeschränkt;

20–29 s: Mobilität eingeschränkt, funktionelleAuswirkungen wahrscheinlich;

>30 s: ausgeprägte Mobilitätseinschränkung

Mobilität z 251

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Bei 65- bis 85-jährigen zu Hause lebenden Frauen erwies sich die Zeit von12 s als Schwellenwert für eingeschränkte Mobilität [2]. Deshalb wurde derTimed-up-and-go-Test als Screening-Verfahren empfohlen. Ab 12 s sollteein weiterführendes Assessment, daraufhin ggf. Interventionen (z.B. Hilfs-mittel) erwogen werden.

z Motilitätstest nach Tinetti (Balance, Stand und Gangbild)(Tinetti 1986 [20])

Der Motilitätstest nach Tinetti (Tabelle 6) analysiert und quantifiziert dieBereiche Balance, Stand und Gangbild. Er beschreibt auch ein erhöhtesSturzrisiko.

z Gesamtscore: 0–28 Punkte

z Beurteilung: <20 Punkte: Sturzrisiko deutlich erhöht;

20–23 Punkte: Sturzrisiko leicht erhöht

Der Proband hat verschiedene Aufforderungen des Untersuchers zu befol-gen. Art und Sicherheit der Ausführung werden bewertet. Hilfsmittel, z.B.ein Gehstock, dürfen verwendet werden und werden notiert. Die Prüfungvon Stand und Balance beinhaltet die Einzelschritte Aufstehen, Stehen inden ersten Sekunden, Stehen mit geschlossenen Augen, Drehen auf derStelle und wieder Hinsetzen. Weiter wird die Standfestigkeit des Probandendurch mehrere leichte Stöße gegen die Brust geprüft. Der Untersucher sollbei diesem Manöver in unmittelbarer Nähe des Probanden sein. Beim Auf-stehen soll beurteilt werden, ob dies dem Probanden beim ersten Anlaufgelingt oder ob er z.B. die Armlehne des Stuhls als Stütze braucht. BeimStehen wird beurteilt, ob der Proband einen Halt benötigt und ob die Füßegeschlossen sind. Zur Beurteilung des Gehens wird das Gangbild nachSchrittauslösung, Schrittlänge, Schritthöhe, Schrittsymmetrie, Gangkon-tinuität, Wegabweichung, Schrittbreite und Rumpfstabilität analysiert.

z Anhang252

Page 263: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Mobilität z 253

Tabelle 6. Erhebungsbogen Motilitätstest nach Tinetti. (Nach [20])

Hilfsmittel: nein ____ ja ____ Welches? ______________________

I. Balancetest

z Gleichgewicht im Sitzen0 Unsicher1 Sicher, stabil

z Aufstehen vom Stuhl0 Nicht möglich1 Nur mit Hilfe2 Diverse Versuche, rutscht nach vorn3 Braucht Armlehne oder Halt (nur 1 Versuch)4 In einer fließenden Bewegung

z Balance in den ersten 5 s0 Unsicher1 Sicher, mit Halt2 Sicher, ohne Halt

z Stehsicherheit0 Unsicher1 Sicher, aber ohne geschlossene Füße2 Sicher, mit geschlossenen Füßen

z Balance mit geschlossenen Augen0 Unsicher1 Sicher, ohne Halt

z Drehung 360� mit offenen Augen0 Unsicher, braucht Halt1 Diskontinuierliche Bewegung, bd. Füße am Boden

vor dem nächsten Schritt2 Kontinuierliche Bewegung, sicher

z Stoß gegen die Brust (3� leicht)0 Fällt ohne Hilfe oder Halt1 Muss Füße bewegen, behält Gleichgewicht2 Gibt sicheren Widerstand

z Hinsetzen0 Lässt sich plumpsen, unzentriert, braucht Lehne1 Flüssige Bewegung

Page 264: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

z Anhang254

Tabelle 6 (Fortsetzung)

II. Gehprobe

z Schrittauslösung (Patient wird aufgefordert zu gehen)0 Gehen ohne fremde Hilfe nicht möglich1 Zögert, mehrere Versuche, stockender Beginn2 Beginnt ohne Zögern zu gehen, fließende Bewegungen

z Schritthöhe (von der Seite beobachtet)0 Kein selbstständiges Gehen möglich1 Schlurfen, übertriebenes Hochziehen2 Fuß total vom Boden gelöst, maximal 2–4 cm über Grund

z Schrittlänge (von Zehen des einen bis Ferse des anderen Fußes)1 Weniger als Fußlänge2 Mindestens Fußlänge

z Schrittsymmetrie0 Schrittlänge variiert, Hinken1 Schrittlänge beidseits gleich

z Gangkontinuität0 Kein selbstständiges Gehen möglich1 Phasen mit Beinen am Boden, diskontinuierlich2 Beim Absetzen des einen wird der andere Fuß gehoben, keine Pausen

z Wegabweichung0 Kein selbstständiges Gehen möglich1 Schwanken, einseitige Abweichung2 Füße werden entlang einer imaginären Linie abgesetzt

z Rumpfstabilität0 Abweichung, Schwanken, Unsicherheit1 Rücken und Knie gestreckt, kein Schwanken,

Arme werden nicht zur Stabilisierung gebraucht

z Schrittbreite0 Breitbeinig oder über Kreuz1 Füße berühren sich beinahe

Punkte Balance: _____ Punkte Gehprobe: _____ Gesamtpunktzahl: _____

Page 265: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Depressions-Screening

z Geriatrische Depressionsskala (GDS)(Yesavage et al. 1983 [23])

Depressions-Screening z 255

Tabelle 7. Geriatrische Depressionsskala. (Nach [23])

1 Sind Sie grundsätzlich mit Ihrem Leben zufrieden? Ja Nein

2 Haben Sie viele Ihrer Aktivitäten und Interessen aufgegeben? Ja Nein

3 Haben Sie das Gefühl, Ihr Leben sei unausgefüllt? Ja Nein

4 Ist Ihnen oft langweilig? Ja Nein

5 Sind Sie die meiste Zeit guter Laune? Ja Nein

6 Haben Sie Angst, dass Ihnen etwas Schlimmes zustoßen wird? Ja Nein

7 Fühlen Sie sich die meiste Zeit glücklich? Ja Nein

8 Fühlen Sie sich oft hilflos? Ja Nein

9 Bleiben Sie lieber zu Hause, anstatt auszugehenund Neues zu unternehmen?

Ja Nein

10 Glauben Sie, mehr Probleme mit dem Gedächtnis zu habenals die meisten anderen?

Ja Nein

11 Finden Sie, es sei schön, jetzt zu leben? Ja Nein

12 Kommen Sie sich in ihrem jetzigen Zustand ziemlich wertlos vor? Ja Nein

13 Fühlen Sie sich voller Energie? Ja Nein

14 Finden Sie, dass Ihre Situation hoffnungslos ist? Ja Nein

15 Glauben Sie, dass es den meisten Leuten besser geht als Ihnen? Ja Nein

Der zu Untersuchende ist darauf hinzuweisen, dass sich die Fragen daraufbeziehen, wie er sich in der letzten Woche gefühlt hat. Für die Fragen 1, 5,7, 11, 13 gibt es für die Antwort „Nein“, für die übrigen Fragen für dieAntwort „Ja“ jeweils einen Punkt.

z Beurteilung: �6 Punkte sprechen für das Vorliegen einer depressivenSymptomatik. Eine Punktzahl von weniger als 6 schließt eine Depressionjedoch nicht vollständig aus. Sind kognitive Leistungen stark einge-schränkt, ist das Ergebnis der GDS nicht verwertbar.

Verschiedene Verfahren zum Screening stehen für ihren Gebrauch in derärztlichen Praxis zur Verfügung [22]). Aus Gründen größerer Praktikabili-tät wurde im Klinikbereich auch bereits eine einzelne Frage als Screeningfür Depression eingesetzt [4].

Page 266: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Kognitives Screening

z Mini-Mental-Status(Folstein et al. 1975 [6])

Die Mini-Mental-State-Examination ist ein Screening-Verfahren für kogni-tive Funktionseinschränkungen. Es prüft Orientiertheit zeitlich und räum-lich, Merkfähigkeit und Kurzzeitgedächtnis, Kopfrechnen, Benennen, Lesenund Schreiben sowie visuell-konstruktive Fähigkeiten. Das Verfahren bein-haltet insgesamt 30 Fragen bzw. Aufgaben.

z Anhang256

Tabelle 8. Mini-Mental-Status-Test (MMST). (Nach [6])

Name: ______________ Datum ______________ Score: ______________

A. Orientierung Score

Zeit 1. Jahr 1(z. B. Welchen Tag haben wir heute?) 2. Jahreszeit 1

3. Datum 14. Wochentag 15. Monat 1

Ort 6. Land/Staat 1(z. B. Wo sind wir?) 7. Bundesland 1

8. Stadt/Ortschaft 19. Klinik Praxis/Altersheim 1

10. Stockwerk 1

Summe (max. 10):

B. Merkfähigkeit

Der Untersucher nennt folgende drei Gegenständeund fordert den Patienten auf, die Begriffe zuwiederholen (1 Punkt für jede richtige Antwort).Der Untersucher wiederholt die Wörter so lange,bis der Patient alle drei gelernt hat (höchstens 6Wiederholungen)

1. „Auto“2. „Blume“3. „Kerze“

111

Summe (max. 3):

Page 267: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Kognitives Screening z 257

Tabelle 8 (Fortsetzung)

Name: ______________ Datum ______________ Score: ______________

C. Aufmerksamkeit und Rechenfähigkeit

Von 100 an sind jeweils 7 abzuziehen.Falls ein Rechenfehler gemacht wirdund die darauf folgendenErgebnisse „verschoben“ sind,so wird nur ein Fehler gegeben

oder

1. „93“2. „86“3. „79“4. „72“5. „65“

11111

Falls der Patient die Aufgabe nicht durchführenkann oder will, „RADIO“ rückwärts buchstabierenlassen: O-I-D-A-R

1. O2. I3. D4. A5. R

11111

Summe (max. 5):

D. Erinnerungsfähigkeit

Der Untersucher fragt nach den drei zuvorgenannten Wörtern

1. „Auto“2. „Blume“3. „Kerze“

111

Summe (max. 3):

E. Sprache

Der Untersucher zeigt zwei Gegenständeund fordert den Patienten auf, sie zu benennen

1. Armbanduhr2. Bleistift

11

Der Untersucher fordert den Patienten auf,nachzusprechen

3. „Sie leiht ihm kein Geld mehr“ 1

Der Untersucher lässt den Patientenfolgendes Kommando befolgen

4. „Nehmen Sie dieses Blatt indie rechte Hand“

5. „Falten Sie es in der Mitte“6. „Legen Sie es auf den Boden“

1

11

Der Untersucher bittet den Patienten, 7. die Anweisung auf der Rück-seite zu befolgen

1

Der Untersucher dreht das Blatt umund fordert den Patienten auf,

8. einen vollständigen Satz zuschreiben (Rückseite)

1

Der Untersucher lässt den Patienten die in Abb. 2vorgegebene Figur malen (1 Punkt, wenn alle Seitenund Winkel stimmen und die sich überschneidendenLinien ein Viereck bilden) (siehe Abb. 2, S. 262)

9. Nachzeichnen (Rückseite) 1

Summe (max. 3):

Gesamtsumme bitte oben eintragen

Page 268: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

z Erläuterungen zum Vorgehen

z 1–5: Zuerst soll nach dem Datum gefragt werden, dann nach den weite-ren Punkten.

z 6–10: Zuerst nach dem Namen der Klinik, dann nach Station/Stockwerk,Stadt/Stadtteil usw. fragen. In Großstädten sollte nicht nach Stadt undLandkreis, sondern nach Stadt und Stadtteil gefragt werden, in jedem Fallnach dem aktuellen Aufenthaltsort und nicht nach dem Wohnort.

z 11-13: Der Untersucher muss zunächst fragen, ob der zu Untersuchende miteinem kurzen Gedächtnistest einverstanden ist. Er wird darauf hingewiesen,dass er sich 3 Begriffe merken soll. Die Begriffe langsam und deutlich – imAbstand von jeweils 1 s nennen. Direkt danach die 3 Begriffe wiederholenlassen. Der erste Versuch bestimmt die Punktzahl; ggf. wiederholen lassen,bis alle 3 Begriffe gelernt wurden. Die Anzahl der notwendigen Versuche wirdnotiert (maximal 6 Versuche zulässig). Wenn nicht alle 3 Begriffe gelerntwurden, kann der Gedächtnistest nicht durchgeführt werden.

z 14–18: Beginnend bei 100 muss 5-mal jeweils 7 subtrahiert werden. Jedeneinzelnen Rechenschritt unabhängig vom vorhergehenden bewerten, damitein Fehler nicht mehrfach bewertet wird. Alternativ (z. B., wenn der zu Un-tersuchende nicht rechnen kann oder will) kann in Ausnahmen das Wort„Radio“ rückwärts buchstabiert werden. Das Wort sollte zunächst vorwärtsbuchstabiert und – wenn nötig – korrigiert werden. Die Punktzahl ergibtsich aus der Anzahl der Buchstaben, die in der richtigen Reihenfolge ge-nannt werden (z.B. OIDAR=3 Punkte).

z 19–21: Der Untersuchte muss die 3 Begriffe nennen, die er sich unter11–13 merken sollte.

z 22, 23: Eine Uhr und ein Stift werden gezeigt, der Untersuchte muss dieserichtig benennen.

z 24: Der Satz muss unmittelbar nachgesprochen werden, nur ein Versuchist erlaubt. Es ist nicht zulässig, die Redewendung „Kein wenn und aber“zu benutzen.

z 25–27: Der zu Untersuchende erhält ein Blatt Papier, die dreistufige Auf-forderung wird nur einmal erteilt. Einen Punkt gibt es für jeden Teil, derkorrekt befolgt wurde.

z 28: Die Buchstaben (Augen zu) müssen so groß sein, dass sie auch beieingeschränktem Visus noch lesbar sind. Ein Punkt wird nur dann gege-ben, wenn die Augen wirklich geschlossen werden.

z 29: Es darf kein Satz diktiert werden. Die Ausführung muss spontan er-folgen. Der Satz muss Subjekt und Prädikat enthalten und sinnvoll sein.Korrekte Grammatik und Interpunktion sind nicht gefordert. Das Schrei-ben von Namen und Anschrift ist nicht ausreichend.

z Anhang258

Page 269: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

z 30: Auf einem Blatt sind 2 sich überschneidende Fünfecke (Abb. 2) darge-stellt. Der Untersuchte soll diese so exakt wie möglich abzeichnen. Alle 10Ecken müssen widergegeben sein und 2 davon sich überschneiden. Nurdann wird der Punkt gegeben.

z Interpretation. Maximal können 30 Punkte erreicht werden. Es wird an-genommen, dass 24 oder weniger Punkte mit hoher Wahrscheinlichkeit aufeine kognitive Einschränkung hinweisen. Bei der Interpretation sind Bil-dungsgrad und Lebensalter zu berücksichtigen. Probanden mit höheremBildungsgrad bzw. anzunehmendem höherem intellektuellem Niveau solltenbis ins hohe Alter 27 Punkte und mehr erreichen. Für jede Altersdekade kanndie Reduktion des Erwartungswerts um einen Punkt nach unten angepasstwerden. Mögliche Ursachen für falsch-niedrige Punktwerte sind z.B. Unauf-merksamkeit, akute Erkrankung oder andere akute Umstände wie Unruhe,Depression oder fehlende Motivation.

z DemTect® 1

(Kessler et al. 2000 [8])

Das Testverfahren ist ebenfalls ein Screening-Verfahren für kognitive Beein-trächtigungen und besteht aus insgesamt 5 Einzelaufgaben (Abb. 3a,b):drei Gedächtnistests, eine Zahlenumwandlungsaufgabe, bei der Ziffern zuZahlwörtern und Zahlwörter zu Ziffern umgeschrieben werden müssen, so-wie einer verbalen Flüssigkeitsaufgabe, bei der 1 min lang Gegenstände ge-nannt werden müssen, die es in einem Supermarkt zu kaufen gibt. Da die

Kognitives Screening z 259

Abb. 2. Frage 30

Bitte schließen Sie die Augen!

1 Der DemTect® kann kostenlos bei der Eisai GmbH, Frankfurt bezogen werden

Page 270: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

z Anhang260

Abb. 3a

Page 271: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Kognitives Screening z 261

Altergemäße kognitiveLeistung

Nach 12 Monaen bzw. beiAuftreten von Problemenerneut testen

Nach 6 Monaten erneuttesten – Verlauf beobachten

Weitere diagnostischeAbklärung, Therapie einleiten

Leichte kognitiveBeeinträchtigung

Demenzverdacht

Abb. 3b

Page 272: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Testleistungen z.T. alterssensitiv sind, wird eine separate Auswertung für60-Jährige und Ältere sowie für unter 60-Jährige vorgenommen. Die Ergeb-nisse der Einzelaufgaben werden in Punkte umgerechnet. Die Summe derPunkte (maximal 18) ergibt entweder Hinweise auf einen Demenzverdachtoder aber weist darauf hin, dass altersentsprechende Leistungen vorliegen.Patienten unter 40 Jahren sollten mit dem DemTect nicht getestet werden.

z Instruktion zur Durchführung

z Wortliste: „Ich werde Ihnen jetzt langsam eine Liste mit 10 Worten vor-lesen. Danach wiederholen Sie bitte möglichst viele dieser Worte. Auf dieReihenfolge kommt es nicht an.“ (Erste Wortliste)

„Vielen Dank. Nun nenne ich Ihnen die gleichen 10 Worte ein 2. Mal.Auch danach sollen Sie wieder möglichst viele Worte wiederholen.“ (ZweiteWortliste)

Auswertung: Es wird die Summe (aus beiden Durchgängen) aller korrektgenannten Begriffe gewertet (maximal 20 Punkte).

z Zahlenumwandeln: „Wie Sie in dem Beispiel sehen können, kann man dieZiffer „5“ auch als Wort „fünf“ schreiben und das Wort „drei“ auch als Zif-fer „3“. Ein Teil der Aufgabe ist so, wie wenn Sie einen Scheck ausfüllenwürden. Ich bitte Sie nun, die Ziffern in Worte und die Worte in Ziffern zuschreiben.“

Auswertung: Jede korrekte Umwandlung wird gewertet. Einzelne Recht-schreibfehler und leichte Wortentstellungen (z.B. hunert, fünzig) werdentrotzdem als richtig gewertet. Bei allen anderen Fehlern wird die Umwand-lung nicht gewertet, wie z.B. Verwendung des falschen Zahlensystems (z.B.209�2hundert9), schrittweise Verarbeitung (z.B. sechshunderteinundacht-zig�60081) oder Auslassungen (z.B. 209�zweihundert) (maximal 4Punkte).

z Supermarktaufgabe: „Nennen Sie mir bitte so viele Dinge wie möglich,die man im Supermarkt kaufen kann. Sie haben dafür 1 min Zeit.“

Auswertung: Kreuzen Sie für jeden genannten Begriff ein Kästchen an.Wiederholungen werden nicht gezählt. Stoppt der Patient, so kann daraufverwiesen werden, dass er noch Zeit hat, weitere Begriffe zu nennen. Bittezeitgenau stoppen (Armbanduhr mit Sekundenzeiger genügt) (maximal 30Punkte).

z Anhang262

Page 273: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

z Zahlenfolge rückwärts: „Ich werde Ihnen jetzt eine Zahlenreihe nennen,die Sie mir dann bitte in umgekehrter Reihenfolge wiederholen sollen.Wenn ich beispielsweise ,vier – fünf‘ sage, dann sagen Sie bitte ,fünf –vier‘.“

Auswertung: Wird die erste (links stehende) Folge richtig rückwärts wie-derholt, so ist mit der nächst längeren Folge (eine Zeile tiefer) fortzufah-ren. Wird ein Fehler gemacht, erhält der Patient einen 2. Versuch (rechtsstehende Folge). Wird auch diese Folge nicht richtig rückwärts wiedergege-ben, wird die Aufgabe beendet. Gewertet wird die Anzahl der Zahlen inder längsten, richtig rückwärts wiederholten Folge (maximal 6 Punkte).

z Erneute Abfrage der Wortliste: „Ganz am Anfang dieses Tests habe ich Ih-nen 10 Worte genannt. Können Sie sich noch an diese Worte erinnern?“

Auswertung: Die Anzahl der richtig erinnerten Worte wird gewertet (maxi-mal 10 Punkte).

z Auswertung und Interpretation: Die Ergebnisse aus den einzelnen Aufga-ben werden – unter Berücksichtigung des Alters – in Punkte umgerechnet(transformiert). Tragen Sie dazu in die Umrechnungstabellen (Tabelle 9)erst die erzielten Einzelergebnisse (z. B. Anzahl Worte) ein und dann diePunkte für diese Aufgabe. Zählen Sie anschließend alle Punkte aus den 5Einzelaufgaben zusammen. Die Beurteilung der Gesamtpunktzahl wird derTabelle „Testergebnis“ entnommen.

z Uhren-Test mod. n. Shulman(Shulman et al. 1986 [18], Shulman 1993 [19] und Brodaty,Moore 1997 [3])

Die zu untersuchende Person wird gebeten, in einem vorgezeichneten Kreis(Durchmesser 10 cm) die Ziffern einer Uhr einzuzeichnen. Danach soll dieUhrzeit „10 nach 11“ eingezeichnet werden. Voraussetzung ist ein korri-gierter Nahvisus von mindestens 0,2.

In der Bewertung nach Shulman ist ein Punktwert von 1=ohne Fehlerbis 6=keine Uhr erkennbar möglich. Ein Punktwert von 3 und mehr Punk-ten ist als pathologisch anzusehen und weist auf das Vorliegen einer kogni-tiven Beeinträchtigung hin.

Kognitives Screening z 263

Page 274: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

z Anhang264

Zahlen umwandeln

verzögerter Abruf

Tabelle 9. Umrechnungstabellen DemTect (Umrechnung der Einzelergebnisse in Punkte)

Page 275: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Mini Nutritional Assessment

Das Mini Nutritional Assessment, ein Anamnesebogen zur Bestimmungdes Ernährungszustandes älterer Menschen, ist in Abb. 4 wiedergegeben.

Mini Nutritional Assessment z 265

Tabelle 10. Uhren-Test

Punkte Beschreibung

1 „Einwandfrei“– Ziffern 1–12 richtig eingezeichnet– 2 Zeiger, die die richtige Uhrzeit (10 : 11) anzeigen

2 Leichte visuell-räumliche Fehler– Abstände zwischen den Ziffern nicht gleichmäßig– Ziffern außerhalb des Kreises– Blatt wird gedreht, so dass Ziffern auf dem Kopf stehen– Patient verwendet Linien („Speichen“) zur Orientierung

3 Fehlerhafte Uhrzeit bei erhaltener visuell-räumlicherDarstellung der Uhr– Nur 1 Zeiger– „10 nach 11“ (o. ä.) als Text hingeschrieben

4 Mittelgradige visuell-räumliche Desorganisation, so dass einkorrektes Einzeichnen der Uhrzeit unmöglich wird– Unregelmäßige Zwischenräume– Ziffern vergessen– Perseveration: wiederholt in den Kreis, Ziffern jenseits der 12– Rechts-Links-Umkehr (Ziffern gegen den Uhrzeigersinn)– Dysgraphie – keine lesbare Darstellung der Ziffern

5 Schwergradige visuell-räumliche Desorganisation– Wie unter 4 beschrieben, aber stärker ausgeprägt

6 Keinerlei Darstellung einer Uhr

Page 276: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

z Anhang266

Abb. 4. Mini Nutritional Assessment. (Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Fa. Nestlé)

Page 277: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Aspirationsskala(nach Rosenbek et al. 1996 [16])

Im Rahmen der rhinolaryngoskopischen Schluckdiagnostik kann derSchweregrad einer Penetration bzw. Aspiration in Anlehnung an die Aspi-rationsskala von Rosenbek et al. [16] beschrieben werden:

1 = kein Materialübertritt (MÜ) in die Luftwege

2 = MÜ nur oberhalb der Stimmlippen, komplette spontane Reinigung3 = MÜ nur oberhalb der Stimmlippen, keine komplette spontane Reinigung

4 = MÜ bis auf die Stimmlippen, komplette spontane Reinigung5 = MÜ bis auf die Stimmlippen, keine komplette spontane Reinigung

6 = MÜ bis unterhalb der Stimmlippen, komplette spontane Reinigung7 = MÜ bis unterhalb der Stimmlippen, vorhandene, aber ineffiziente Schutzreaktion8 = MÜ bis unterhalb der Stimmlippen, keine Schutzreaktion

Sozialfragebogennach Nikolaus et al. 1994 [14]

Der Sozialfragebogen erfasst die soziale Situation älterer Patienten und be-inhaltet Angaben zu sozialen Kontakten und zur Unterstützung, zu Aktivi-täten, zu den wirtschaftlichen Verhältnissen sowie zur Wohnsituation. DieSkala umfasst 25 Items. Werden weniger als 17 Punkte erreicht, besteht An-lass, die soziale Gesamtsituation zu klären.

Gegebenenfalls ist auch ein therapeutischer Hausbesuch indiziert. Fürdie übersichtliche und einheitliche Dokumentation der Ergebnisse bzw. deraufgedeckten Probleme anlässlich eines Hausbesuchs ist eine „Hausbesuch-Checkliste“ entwickelt worden (Tabelle 11).

Sozialfragebogen nach Nikolaus et al. z 267

Page 278: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

z Anhang268

Tabelle 11. Sozialfragebogen: Hausbesuch-Checkliste. (Nach [7])

Teil 1: Soziale Kontakte und Unterstützung

1. Wie leben Sie?z Schon lange allein 1z Seit kurzem allein (<1 Jahr) 0z Bei Familienangehörigen oder mit rüstigem Partner 1z Mit Lebenspartner, der selbst Hilfe braucht 0

2. Haben Sie Personen (auch professionelle Helfer), auf die Sie sichverlassen und die Ihnen zu Hause regelmäßig helfen können?(aufzählen)z Bezugsperson(en) vorhanden 1z Keine Bezugsperson vorhanden (weiter mit Frage 5) 0

3. Wie oft sehen Sie diese Person(en)?z Mehrmals täglich/jeden Tag 1z Ein-/mehrmals in der Woche 1z Selten (ein- bis zweimal im Monat) 0z (Fast) Nie 0

4. Wie ist Ihr Verhältnis zu o. g. Person(en)?z Beziehung harmonisch und vertrauensvoll 1z Beziehung teilweise konfliktbeladen und gespannt 0

5. Wie haben sich in letzter Zeit Ihre Kontakte entwickelt?z Habe neue Bekannte gewonnen 1z Keine Veränderung 1z Einige Kontakte habe ich aufgeben müssen 0z Habe nahezu alle wichtigen Kontakte verloren

(z. B. Lebenspartner verstorben)0

6. Sind Sie mit diesem Zustand zufrieden?z Fühle mich rundum gut versorgt 1z Es geht so, man muss zufrieden sein 0z Fühle mich einsam und im Stich gelassen 0

Teil 2: Soziale Aktivitäten

1. Welchen Beruf haben Sie ausgeübt? ____________________________________

2. Welche Hobbys (Handarbeit, handwerkliche Tätigkeiten, Basteln, Musizieren,Gartenarbeit, Briefmarken o. ä. sammeln etc.) oder Interessen (Vorträge, Ausflüge,Theater, Sport, Bücher, Lesen, Kirchgang, Seniorentreff, Enkel hüten etc.) haben Sie,die Sie noch regelmäßig betreiben? (aufzählen)

________________________________________________________________

z Hobbys/Interessen vorhanden 1z Keine Hobbys/Interessen 0

Page 279: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Sozialfragebogen nach Nikolaus et al. z 269

Tabelle 11 (Fortsetzung)

3. Haben Sie ein Haustier?z Ja 1z Nein 0

4. Wie oft verlassen Sie Ihre Wohnung?(Einkaufen, Erledigungen, Spazierengehen, (Arzt-)Besuche, Garten usw.)z Täglich 1z Mindestens ein- bis zweimal in der Woche 1z Seltener als einmal pro Woche 0z (Fast) nie 0

5. Wie haben sich in letzter Zeit Ihre Interessen entwickelt?z Habe noch neue Pläne und Interessen 1z Unverändert 1z Habe einige Interessen aufgeben müssen 0z Habe (fast) alle Interessen verloren 0

6. Sind Sie mit diesem Zustand zufrieden?z Voll und ganz, fühle mich nicht beeinträchtigt 1z Fühle mich schon eingeschränkt, muss zufrieden sein 0z Nein, bin durch Alter/Krankheit stark behindert 0

Teil 3: Wohnsituation

1. Treppenz Wohnung im Erdgeschoss oder Lift im Haus 1z Viele Treppen, erster Stock oder höher 0

2. Komfortz Wohnung eingeschossig, geräumig und rollstuhlgängig 1z Beengte Verhältnisse, Türschwellen, viele Teppiche 0z Mehrere Wohnebenen, nicht rollstuhlgeeignet 0

3. Heizungz Gut und bequem heizbar (Öl- oder Gaszentralheizung) 1z Schlecht und mühsam heizbar (Kohle- oder Ölöfen) 0

4. Wasserz Warmes Wasser in Küche und/oder Bad 1z Kein warmes Wasser vorhanden 0

5. Bad/WCz Innerhalb der Wohnung, rollstuhlgeeignet 1z Klein, nicht rollstuhlgängig, außerhalb der Wohnung 0

6. Telefonz Vorhanden 1z Nicht vorhanden 0

7. Beleuchtungz Treppenhaus und Flure hell, genügend Lichtschalter 1z Treppenhaus und Flure schummrig beleuchtet 0z Wenig Lichtschalter 0

Page 280: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Literatur

1. Arbeitsgruppe Geriatrisches Assessment (AGAST) (Hrsg) (1997) GeriatrischesBasisassessment: Handlungsanleitungen für die Praxis, 2. Aufl. MMV, Mün-chen

2. Bischoff HA, Stähelin HB, Monsch AU, Iversen MD, Weyh A, von Dechend M,Akos R, Conzelmann M, Dick W, Theiler R (2003) Identifying a cut-off pointfor normal mobility: a comparison of the timed ‘up and go’ test in communi-ty-dwelling and institutionalised elderly women. Age Ageing 32:315–320

3. Brodaty H, Moore CM (1997) The Clock Drawing Test for dementia of theAlzheimer’s type: A comparison of three scoring methods in a memory dis-orders clinic. Int J Geriatr Psychiatry 12:619–627

z Anhang270

Tabelle 11 (Fortsetzung)

8. Einkaufenz Alle Geschäfte des täglichen Bedarfs leicht erreichbar 1z Nur Bäcker/Metzger in der Nähe 0z Alle Geschäfte weiter entfernt 0

9. Nahverkehrz Haltestelle in der Nähe (<1 km) 1z Nächste Haltestelle weiter entfernt 0

10. Wohndauerz Wohnt schon lange Zeit in der Wohnung (>5 Jahre) 1z Hat innerhalb der letzten 5 Jahre Wohnung bezogen 0

11. Fühlen Sie sich in Ihrer Wohnung und der Wohngegend wohl?z Bin mit der Wohnsituation sehr zufrieden 1z Geht so, muss zufrieden sein 0z Bin unzufrieden 0

Teil 4: Ökonomische Verhältnisse (Ökon)

1. Wieviel Geld steht Ihnen monatlich zur Verfügung? __________________

2. Kommen Sie mit Ihrem Geld gut über die Runden?z Ja 1z Es geht so; muss schon sehen, dass ich damit zurechtkomme 0z Nein, schlecht 0

3. Haben Sie Ersparnisse, Vermögen (eigenes Haus)? (aufzählen)z Ja, ausreichend 1z Nur wenig 0z Nein 0

4. Regeln Sie Ihre Finanzen selbst?z Ja 1z Nein 0

Page 281: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

4. Büla CJ, Wietlisbach V, Yersin B, Burnand B (2003) Does a single item question-naire identify elderly medical inpatients who report significant depressivesymptoms? Age Aging 32:231–233

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6. Folstein MF, Folstein SE, McMugh PR (1975) “Mini-mental state”. A practicalmethod for grading the cognitive state of patients for the clinician. J Psychi-atr Res 12:189–198

7. Girsig E (1998) Dokumentation eines Hausbesuchs – Vorstellung eines Haus-besuch-Protokollbogens. Ergotherapie & Rehabilitation 2:106–109

8. Kessler J, Calabrese P, Kalbe E, Berger F (2000) DemTect: Ein neues Scree-ning-Verfahren zur Unterstützung der Demenzdiagnostik. Psycho 26:343–347

9. Lawton MP, Brody EM (1969) Assessment of older people: self-maintainingand instrumental activities of daily living. Gerontologist 9:179–186

10. Lübke N, Grassl A, Kundy M, Meier-Baumgartner HP, Wilk J (2001) Hambur-ger Einstufungsmanual zum Barthel-Index. Geriat J 1–2:41–46

11. Lübke N, Meinck M, von Renteln-Kruse W (2004) Der Barthel-Index in derGeriatrie. Eine Kontextanalyse zum Hamburger Einstufungsmanual. Z Geron-tol Geriat 37:316–326

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14. Nikolaus T, Specht-Leible N, Bach M, Oster P, Schlierf G (1994) Social aspectsin diagnosis and therapy of very elderly patients. Initial experiences with anewly developed questionnaire within the scope of geriatric assessment. ZGerontol 27:240–245

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17. Schönle PW (1996) Frühe Phasen der neurologischen Rehabilitation: Diffe-rentielle Schweregradbeurteilung bei Patienten in der Phase B (Frührehabili-tation) und in der Phase C (Frühmobilisation/postprimäre Rehabilitation)mit Hilfe des Frühreha-Barthel-Index (FRB). Neurol Rehabil 1:21–25

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21. Ventry IM, Weinstein BE (1982) The hearing handicap inventory for the el-derly: a new tool. Ear Hear 3:128–134

22. Williams JW, Hitchcock P, Cordes JA, Ramirez G, Pignone M (2002) Is thispatient clinically depressed? J Am Med Ass 287:1160–1170

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Literatur z 271

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Internetadressen

Fachgesellschaften/Institutionen Internetlink

In Deutschlandz Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen

Medizinischen Fachgesellschaften e.V.Leitlinien für Diagnostik und Therapie

www.awmf-leitlinien.de

z Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft www.akdae.de

z Bundesverband Geriatrie e.V. www.bv-geriatrie.de

z Bundesministerium für Bildung und Forschung www.bmbf.de

z Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauenund Jugend (BMFSFJ)

www.bmfsfj.de

z Bundesministerium für Gesundheit www.bmg.bund.de

z Deutsche Gesellschaft für Geriatrie e.V. (DGG) www.dggeriatrie.de

z Deutsche Gesellschaft für Gerontologieund Geriatrie e.V. (DGGG)

www.dggg-online.de

z Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklungin der Pflege (DNQP)

www.dnqp.de

z Forschungskolleg Geriatrie: Robert Bosch Stiftung www.bosch-stiftung.de/content/language1/html/13539.asp

z Kompetenz Centrum Geriatrie beim MedizinischenDienst der Krankenversicherung Nord

www.kcgeriatrie.de

z Projektträger im Deutschen Zentrumfür Luft- und Raumfahrt e.V.

www.pt-dlr.de

In der Schweizz Schweizerische Gesellschaft für Gerontologie (SGG) www.sgg-ssg.chz Schweizerische Fachgesellschaft für Geriatrie (SFGG) www.sgg-ssg.chz Pro Senectute e.V. (Stiftung) www.pro-senectute.ch

In Österreichz Ludwig Boltzmann Institut für Alternsforschung www.ludwigboltzmann.at

In Großbritannienz British Geriatrics Society www.bgs.org.uk

In den USAz American Geriatrics Society www.americangeriatrics.org

Deutschsprachige Datenbanken www.dimdi/static/de/db/index.htm

272 z Anhang: Internetadressen

Page 283: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

A

Abklärung, geriatrische 54Ablaufstrukturierung 191active (healthy) life expectancy

(ALE) 16active life expectancy 22activities of daily living (ADL) 16,

45, 185ADH 173ADH-Sekretion (SIADH) 153, 179ADH-Sekretion, inadäquate 179Adherence 78adverse event 70, 72Adynamie 174age concern centers 34Agitiertheit 153Air-Flow-Systeme 95Aktionismus, polypragmatischer 64Aktive Gesundheitsförderung

im Alter 35Aktivitäten 18, 42, 242– Beeinträchtigung 18– instrumentelle, des täglichen Lebens

(IADL) 247– körperliche 85Aktivitätstheorie 7Aldosteron 173Algorithmus 134Alkoholentzugsdelir 142, 143Allotherapie 5Alltagsbewältigung 135Alltagsnähe 191Alt 3Alten- und Pflegeheimbewohner, Ver-

sorgungsqualität 219Altenpflegeheime 75, 214Altenpfleger 51Altenquotient 12, 14

Altenwohnheim 215Alter, kalendarisches 67Altern– „erfolgreiches“ 7, 8– normales 9– optimales 9– pathologisches 9Altersmedizin 9Alterspyramide 14Altersschwäche 226Altersspezifisches „underrepointing“

63Altersstruktur 14Altersstrukturveränderung 12Alterung 7– demographische 12, 14– transformationsbedingte 14Alterungsprozess 3Alzheimer-Erkrankung 129, 130, 135Ambulantes geriatrisches Screening

(AGES) 50Ammoniak 146Amnesie, transitorische globale 145amnestic MCI 130Anal- oder Rektumprolaps 124Analreflex 124Anamnese 114, 169Anamneseerhebung 42, 63, 131Anfälligkeit 66Angehörige 214– pflegende 209Angiotensin 173Angst/Panikstörung 144Anosognosie 131Anpassungsstörungen 153Ansatz– Gesundheitsaufklärung 36– interdisziplinärer 32, 36– krankheitsorientierter 28

Sachverzeichnis

Page 284: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

– multidimensionaler 31, 36– präventiv-medizinischer 30– ressourcenorientierter 28– salutogenetischer 25– verhaltensorientierter 30, 36– verhältnisorientierter 31, 36Anschlussrehabilitation 186Anti-Aging 5Anti-Aging-Maßnahmen 5Anticholinergika 117Antidepressiva 153, 155– trizyklische 153, 154Anurie 174Anus praeter 127Aphasien, transkortikal-sensorische

142Apo-E-Genotypisierung 134Appetitsteuerung 163Applikationsform 80Aquaretika 1981Arbeitshilfe zur geriatrischen

Rehabilitation 186Arginin-Vasopressin (AVP) 173Armfunktion 242Arteriopathie, cerebrale autosomal-

dominante (CADASIL) 134Ärztliche Arbeitsgemeinschaft zur

Förderung der Geriatrie in Bayerne. V. (AFGIB) 201

Arzneimittelbehandlung 77– praktische 76Arzneimittelbehörde, europäische 72Arzneimittelinteraktion 73Arzneimittelverordnung, angepass-

te 76Arzneimittelwirkungen, unerwünschte

(UAW) 71, 74– dosishabhängige 72, 73– Typ-A-Reaktion 72– Typ-B-Reaktion 72Ärzte 51, 230Aspirationsskala 267Assessment 54– geriatrisches 43, 49, 55– – umfassendes 48– multidimensionales 35– systematisches 193Assessment-Programme 43, 47Assessment-Verfahren 43, 192Atemdepression 146

Attachement 40Attachment-Theorie 40Atypika 154Auflagedruck 95Aufsteh- und Gehtest 50Autonomie 10, 235, 236

B

Bademeiser, medizinischer 52Barorezeptoren 180Barthel-Index 50, 243, 244Beck-Depressionsinventar 151Beckenbodengymnastik 118, 126Beckenbodenmuskulatur 123Bed-side Test 142Bedürfnisse 235Beeinträchtigung 18– Aktivität 18– funktionelle 20Befindlichkeiten 152Begleiteffekt, anticholinerge 118Begleiterkrankungen 71Begleitsymptome 131Begutachtungs-Richtlinien Vorsorge

und Rehabilitation 187Behandlung 29– belastende 232– klinisch-geriatrisches 57– teilstationäre 56, 191Behandlungseffekt 80Behandlungsprioritäten 81Behandlungswünsche 232Behandlungsziele, persönliche 46Behinderung 18, 21Behinderungskurve 22Beinfunktion 242Belastungsinkontinenz 112, 113, 118Benchmarking 197Beratungszentren 157Bereichspflegekraft 120Berliner Altersstudie 150, 230Betreutes Wohnen 215Betreuungsangebot 207– niedrigschwelliges 209Bewegungstherapie 135Beziehungsprobleme 156Beziehungsqualität 156Bildgebung, zerebrale 133Biofeedback 118

z Sachverzeichnis274

Page 285: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Blasenauslasswiderstand 119– erhöhter 113Blasenkontinenz 242Blasenschwäche 115Blasentraining 117Blasenverweilkatheter 119Blickparese– progressive surpanukleäre 132,

137– vertikale 132Body-Mass-Index 166, 167Bringstrukturen 35Bronchialkarzinom, kleinzelliges 180Brückenpflege 228Bundesarbeitsgemeinschaft

für Rehabilitation 186Bundesgesundheitsrat 37Bundesschlüssel für Lebensmittel 161

C

Care management 155Case-Management 57– medizinisch-geriatrisches 58CCT 146Centenarians 12CERAD-Batterie 133cerebrale autosomal-dominante

Arteriopahthie (CADASIL) 134CGA-Programme 47Check-up 35 32Chronikerprogramme 33clinical pathways 194Cockroft and Gault 77Compliance 78, 79, 80– rektale 123Compliance-Verhalten 80comprehensive geriatric assessment

(CGA) 47Compression of morbidity 22Compression-of-morbidity-Hypothese

22Computertomographie, kraniale

(CCT) 133Concordance 78Confusional State Evaluation

(CSE) 140Creutzfeld-Jakob-Erkrankung 132,

134

D

D-A-CH-Referenzwerte 160Daten, anthropometrische 166Dauerbehandlung 74Defäkation 123Defäkationsfrequenz 124Defäkogramm 125Defizitmodell 7Degeneration, kortikobasale 132Dehnungsreize, rektale 126Dehydratation 146, 173– hypertone 175– hypotone 175– isotone 175Dekubitus 93, 163, 202– Komplikationen 93Dekubitusprophylaxe 202Delirien 140, 141– Ursachen 146dementia 129Demenz 129, 145, 156– frontotemporale 132, 137– mit Lewy-Körperchen 137– vaskuläre 136Demenzerkrankung, sekundäre,

oft reversible 133Demographische Alterung 12, 14DemTect 259DEMTECT-Testbatterie 132Depression 149, 156, 243– reaktive 155Depressions-Screening 255Depressionsskala, geriatrische 151Depressivität 230Descensus 118Determinanten, genetische 4Detrusoraktivität 117Detrusorkontraktilität 119Deutsche Alzheimergesellschaft 135– Internetadresse 135Deutsche Gesellschaft für Ernährung

e.V. (DGE) 161Diätassistenz 53Dienste, familiäre 209Diogenes-Syndrom 63Diplompsychologe 53Diplomsozialarbeiter 53Diplomsozialpädagoge 53disability 70

Sachverzeichnis z 275

Page 286: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

disability-free life expectancy(DFLE) 16

Disengagement-Theorie 7Dissimulieren 44Diuretika 174, 178Dokumentation 46Dosette 80Dosierungsschemata 79Dranginkontinenz 112, 117– motorische 113– sensorische 113Drehtüreffekt 187Dreigenerationenhaushalte 15Druckgeschwüre 93Durstempfinden 173Dynamic equilibrium 22Dynamic-equilibrium-Hypothese 22Dyphagiekost 168Dysphagie 168Dysphagie-Kost 170Dystonie, vegetative 152

E

EEG 146Effektivität 197Effizienz 197Ehrenamtliche Helfer 53Einkaufen 247Einmalkatheterismus 119Einpersonenhaushalte 15Ein-Personen-Haushalte 85Einschränkungen, präklinische 43Einteilung nach Shea 93Elektrokonvulsionstherapie 153Empowerment 31, 36Endosonographie 125Energiebedarf 162Energieverbrauch 160, 161Energiezufuhr 162Enthemmung 132Entscheidungsfähigkeit 237Entscheidungsfindung 234, 235, 237Entzugsdelirien 146Enzephalitis 133Enzephalopathie, hypertensive 142epidemiologic transition 16Epilepsie 99, 101Episoden, depressive 149, 151Ergebnisqualität 199

Ergotherapeut 52Ergotherapie 135Erkrankungen, demenzielle 170Ernährung 160– Internetadressen 165– künstliche 170– Risikoeinschätzung 166Ernährungsprotokoll 168Ernährungssonden 231Ernährungsstatus 242– psychogener 143Ersatz- und Verhinderungspflege 207Ethikrat– Internetadresse 240– nationaler 240European Foundation for Quality

Management (EFQM) 197– Modell 197Euvolämie 178EVA-Reha 201Evolution 5Expansion of morbidity 22Expansion-of-morbidity-Hypothese

22Exsikkose 100, 173, 174, 176Exsikkoseprophylaxe 176Extrazellulärraum 175

F

Fachkraftquote 216facio-oral-tract-therapy (F.O.T.T.) 168Fähigkeitsstörungen 16Faktoren, personenbezogene 18Familienanamnese 131Feedback 80Fehleranalyse, systematische 76Feminisierung 14Fertilitätsprozess 12FICSIT-Studie 104Filtrationsrate, glomeruläre (GFR) 76,

175Fitness, körperliche 87Fluide Intelligenz 130Flüssgikeitszufuhr 174Flüssigkeitsbedarf 161Flüssigkeitshaushalt 173Flüssigkeitsmangel 173Flüssigkeitsrestriktion 181Flüssigkeitsverarmung 161

z Sachverzeichnis276

Page 287: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Flüssigkeitszufuhr 161Flüstertest 250Formel von Cockcroft und Gault 175Fortbewegung 84Forum Prävention der Bundesregie-

rung Deutschlands 160– Internetadresse 160fraility 67, 86Fraility-Syndrom 67Fremdanamnese 44, 99, 131, 142, 151,

235Freudlosigkeit 151Früherkennung 32Frühreha-Barthel-Index 245Frührehabilitation 57Functional Independence Measure

(FIM) 246Funktion 19Funktionsbeurteilung 43Funktionseinschränkung 42Funktionsfähigkeit 18

G

Gastrostomie 171Gebissfunktion 170Gebrechlichkeit 226Gebrechlichkeit, Geriater 86Gedächtnishilfen 135Gedächtnisleistungen, prozedurale

135Gedächtnistraining 135Gefahrenquellen, häusliche 105Gehhilfen 90Geldhaushalt 248Geldleistung 206, 207Gemeinsame Empfehlung für die

spezialisierte ambulante Palliativ-medizin 224

Gene 5Genetische Determinanten 4Geriater, Gebrechlichkeit 86Geriatric Evaluation and Management

Unit (GEMU) 47, 55Geriatric Research Education

and Clinical Centers (GRECC) 55Geriatrie 9, 23– Internetadressen 201– palliative 224

Geriatrische Depressionsskala(GDS) 151, 255

Geriatrische frührehabilitativeKomplexbehandlung 57

Geriatrische Hausbesuche 34Geriatrische Methodik 40Geriatrische Rehabilitation 185Geriatrische Syndrome 63, 65Geriatrische Tagesklinik 190Geriatrische Versorgungsleistun-

gen 56Geriatrisches Assessment (AGAT) 43,

49, 55, 241Geriatrisches Minimum Data Set

(GEMIDAS) 49, 200Geriatrisches Screening 65, 241, 242Gesamtbehandlung, aktive 222Gesamtkörpernatrium 179Gesetzliche Krankenversicherung

(GKV) 74– Gesundheitsreformgesetz 37Gesunder Lebensstil 22Gesundheit– physische 44– Selbsteinschätzung 20– soziale 45Gesundheitsaufklärung 30, 32, 36Gesundheits-Check-up 27Gesundheitserziehung 30Gesundheitsförderung 25, 26, 28, 29Gesundheitsreformgesetz 55Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) 197Gesundheitszentren 34Gesundheitszentrum für ältere

Menschen 34Gesundheitszustand, subjektive

Selbsteinschätzung 19Gewichtsklassen 167Gewichtsverlust 149, 163Ghrelin 163GIB-DAT 201Gleichgewichte, homöostatische 66Glomeruläre Filtrationsrate (GFR) 76Glukokortikoidmangel 181Grundpflege 205, 206Grundumsatz 164Guter Tod 227

Sachverzeichnis z 277

Page 288: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

H

Hämatokritwert 174Hämatom, subdurales 99, 142Hamburger Einstufungsmanual 243Hamilton-Depressionsskala 151Harninkontinenz 110Harnretention, chronische 112, 113,

114, 118Harnröhrenstriktur 119Harnstoff 174Harntrakt 111Härtefallregelung 206Harvard Medical Practice Study 71Hausbesuche 104– Checkliste 268– präventive 35Haushalt 247Hautschutz 127Hautturgor 174Hayflick-Zahl 4health promotion 25health state expectancy (HSE) 16Hearing Handicap Inventory for the

Elderly (HHIE-S) 250Herdsymptomatik, neurologische 142Heterogenität 217Hilfs- und Pflegebedürftigkeit 19Hilfe, hauswirtschaftliche 206Hilfsmittel 89, 90, 170Hirninfarkt 142Hitze 173Hör- und Sehhilfen 147Hören 242Hormon– antidiuretisches 179– atriales natriuretisches (ANH) 173Hormon-Replacement-Therapie

(HRT) 5Hospiz 224Hospiz- und Palliativerhebung

(HOPE) 224Hospizinitiativen 228Hotelkosten 208Hüftfrakturpatienten 98Hüftprotektoren 106Hydratation 147Hyperalimentation 163Hyperämie 173Hyperglykämie 174

Hyperkaliämie 73Hypernatriämie 175Hyperparathyreodismus 133Hypervolämie 178Hypodermoclysis 176Hypoglykämie 99, 101Hyponatriämie 173, 177, 178, 181– hypoosmolare 179– relative 179Hypotonie, orthostatische 153, 174Hypotonus 101Hypovolämie 173, 178

I

Identität 236Imbalance-Hypothese 150Immobilisierung 91Immobilisierung, Komplikationen 92Immobilität 88, 89, 90, 156– Hilfsmittel 89, 90– – Gehhilfen 90Immobilitätssyndrom 84, 88, 89inappropiate medication 75Index, glykämischer 162Indikationskriterien 187Indikationsstellung 192Indikator– Morbidität 16– Mortalität 16Infekt 146Infektionen, nosokomiale 218Infektionskrankheiten, Psychose 140Informationsbedürfnisse 234Informationssammlung 42Informationsvermittlung 235Informiertheit 235Inkontinenz 110Inkontinenz– bei chronischer Harnretention 112,

113– extraurethrale 112, 113– funktionelle 112, 114Inkontinenz-Hilfsmittel 119, 120Inkontinenzversorgung 110In-patient Geriatric Consultation Ser-

vice Team (IGCS) 47Instrumental activities of daily living

(IADL) 45, 247

z Sachverzeichnis278

Page 289: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Instrumentelle Aktivitäten destäglichen Lebens (IADL) 45, 247

Integrierter geriatrischer Service 54Intelligenz– fluide 130– kristalline 130Intention, fehlende 70Internationale Klassifikation von

Schädigungen, Fähigkeitsstörungenund Beeinträchtigungen(ICIDH) 17, 18

– Konzept 45Internationale Klassifikation der

Funktionsfähigkeit, Behinderungund Gesundheit (ICF) 18, 185

Internetadressen 272Inzidenzrate 27

J

100-jährige 14

K

Kachexie 167Katatonie 144Kau- und Schluckstörungen 167Kausalität 70Kaustörungen 165Klinisches Ethikkomitee 235Kochen 247Kochsalzlösung, isotone 176, 177KODAS 201Kohärenzsinn 25Kohorteneffekte 9Kolposuspension 118Kommstrukturen 35Kommunikation 79, 233, 235– offene 236Kommunikationsinhalte 236Kommunikationsprobleme 236Komorbidität 19, 150, 189Kompensation 8Kompetenz, funktionelle 66Kompetenzmodell 7Komplexbehandlung 188– geriatrische frührehabilitative 57Komplikationen 47– iatrogene 70Konsiliardienste 54

Kontextfaktoren 18, 190Kontinenz 112– Internetadressen 122Kontinenzmechanismus 123Kontinenzvisite 120Kontinuitätshypothese 130Kontraindikationen 76Kontrolle 236Konzepte, gesundheitsfördernde 23Kooperation für Transparenz und

Qualität im Gesundheitswesen(KTQ) 198

Koprostase 117, 124Körperfunktonen 18Körpergewicht 173Körperstrukturen 18Korsakow-Syndrom 133Kostenträger 186Kostenzusage 190, 193Kraft- und Balance-Training 104Krangengymnastik 51Kranhkeitsprävention 25Krankenhausaufenthalt 243Krankenhausbereich 56Krankenhausstatistik 56Krankenpfleger 51Krankenschwester 51Krankheitsfolgen 3Krankheitsmanagement 16Kreatinin 174Kreatinin-Clearance 77Kristalline Intelligenz 130Künstliche Ernährung 170Kuratorium Deutsche Altershilfe

(KDA) 201Kurzzeitpflege 208

L

Labilität 66Lagerungsmaneuver nach Semont

103Laienhilfsdienste 157Laktasemangel 162Laktoseintoleranz 162Laxanzien 165Lebensende 222Lebensend-Entscheidung 231Lebenserwartung 12, 130– fernere 12, 13

Sachverzeichnis z 279

Page 290: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

Lebensstil, gesunder 22Leerstellen, diagnostische 152Leistungsarten 206Leitlinien der Deutschen Gesellschaft

für Neurologie 135– Internetadresse 135Leptin 163Lernvorgänge, motorische 135Lewy-Körperchen-Demenz 132,

137Lichttherapie 153Liquorpunktion 142, 146Lithium 153Lithiumtherapie 178Logopäde 52Lokomotorischer Sturz 103Lösungen, isotone 176Luesserologie 133Luftstrombetten 94

M

M. sphincter ani externus 123M. sphincter ani internus 123Magnetresonanztomographie (MRT)– endoanales 125– kraniale (cMRT) 133Malnutrition 164Malnutrition, Diagnostik 169Mangelernährung 160, 163– Anamnese 169– Risikofaktor-Screening 169– Ursachen 167Manometrie, anorektale 125MAO-Hemmer 154Masseurin 52Maßnahmen, lebenslängliche 230MDRD-Formel 76, 77, 175Medianalter 12, 14– erwartetes 12medical decision making 233Medikamente 152, 180, 248Medikamentenanamnese 44, 80Medikamenten-Compliance 78Medikationsfehler 72Medizin, palliative 222, 223Medizinischer Dienst der Kranken-

versicherung (MDK) 186, 202, 204

Medizinischer Dienst der Spitzenver-bände der Krankenkassen(MDS) 187

Mehrfachbehandlung 75Mehrgenerationenhaushalte 15Meme 5, 6Menschen, pflegebedürftige 212Methodik, geriatrische 40Miktionsprotokoll 117Miktionszystourethrographie 117mild cognitive impairment

(MCI) 130Milieugestaltung 170Mini Nutritional Assessment

(MNA) 166, 265, 266Mini-Mental-State-Test 133Mini-Mental-Status 256Minimum Data Set (MDS) 202Mobil 84Mobilität 84, 86, 251Mobilitätstest nach Tinetti 252Modell– biomedizinisches 16– biopsychosoziales 16Möhren-Test 168Monoaminmangel-Hypothese 150Morbidität 21– Indikator 16Morbiditätskurve 22Morbus Alzheimer 136Morbus Whipple 134Morbus-Wilson 133Mortalität 21– Indikator 16Mortalitätsdifferenzen, geschlechtliche

13Mortalitätskurve 22Mortalitätsprozess 12Mukosaatrophie 118Multimedikation 75, 243Multimorbidität 19, 42, 63, 64, 66, 67,

81, 187– geriatrietypische 187Musiktherapie 135Muskel- bzw. Krafttraining 192Myoklonien 132

z Sachverzeichnis280

Page 291: Medizin des Alterns und des alten Menschen 2. Auflage

N

Nachlässigkeit 70Nachrichten, schlechte 236Nährstoffhauptgruppen 161Nahrungsergänzungsmittel 170Nahrungspyramide 160, 161Nahvisus-Prüfung mit Jäger-Tafel 248Natriumkonzentration 176, 177Natriumsubstitution 178Natriumzufuhr 176NEECHAM-Skala 140Nekrosenentfernung 95Nervus pelvicus 112Netz, soziales 45Nierenerkrankung, chronische 78Nierenfunktion 76, 77Nierenversagen, prärenales 174Noncompliance 78, 79, 80Normaldruckhydrozephalus 99, 137Noroviren 218, 219

O

Obstipation 174– chronische 114Oligurie 174Operation- und Prozedurschlüssel

(OPS) 57Optimierung 8Osteoporose 106– Internetadressen 109Ottawa-Charta 26

P

Paarbeziehung 156Palliation 222Palliativmedizin 222, 223– hausärztliche 224– Internetadressen 224Palliativstation 224Panikstörung 144Partizipation 42Patient-Arzt-Beziehung 152Patientenrecht 236Patientenverfügung 228, 237Patientenzentrierte klinische Methode

234PEG-Sonde 171

Penetration-Aspiration Scale 168Performance-Testverfahren 45Pessare, intravaginale 118Pflanzenöle 162Pflege 29, 93– aktive 204– Defizit 205– häusliche 206– vollstationäre 207, 208Pflegebedürftige 206, 209, 212Pflegebedürftigkeit 185, 204, 205, 214– erhebliche 205Pflegedienst, ambulanter 214Pflegedokumentation 204Pflegegesetz 216Pflegeheim 215– Strukturmerkmale 215Pflegeheimbewohner 216, 219, 230Pflegeheimpersonal 219Pflegehilfsmittel 208Pflegekassen 207Pflegekräfte 206, 230Pflegekurse für Angehörige 208Pflegenotstand 240Pflegepersonal, ehrenamtliches 208Pflegepersonen 207Pflegeplanung 204Pflegepraxis 204Pflegequote– konstante 212– sinkende 212Pflegerisiko 212Pflegestufe 205Pflegestufe I (erhebliche Pflegebedürf-

tigkeit) 205Pflegestufe II (Schwerpflegebedürftig-

keit) 206Pflegestufe III (Schwerstpflegebedürf-

tigkeit) 206Pflegeversicherung 204, 217– gesetzliche 207– Leistungsarten 206Pflegevertretung 207Pflege-Weiterentwicklungsgesetz

(PfWG) 207Physiotherapeut 51Plasmaosmolalität 173Plastizität 8– neuronale 6Plexus hypogastricus 112

Sachverzeichnis z 281

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Portionsgrößen 161Positronenemissionstomographie

(PET) 133Prädiktoren 75Prädilektionsstellen 93, 94Prävention 25, 26, 27, 28, 147– tertiäre 219Präventionsmaßnahmen 22Primärprävention 27primary care visiting service 34Primitivreflex 132Prinzip der Risikominimierung 103Profile, kognitive 132Progeria infantilis 4Prognose, subjektive 46Programme, CGA-Programme 47Programmtheorie 4Prostatahypertrophie 114, 119Prozessqualität 199Pseudobulbärparalyse 176Psychodynamik 151Psychopharmaka 75Psychose bei Infektionskrankheiten

140Psychotherapie 153, 155– kurzzeit-psychodynamische 155– notfallinduzierte psychodynami-

sche 157Puborektalschlinge 126

Q

Qualität 197, 198Qualitätsanforderungen 198Qualitätsindikatoren 200Qualitätsmanagement 46, 197, 198,

202Qualitätspolitik 198Qualitätsprüfung 202Qualitätssicherung 197, 198, 202– externe (EQS) 202Qualitätssicherungsinstrumente 200Qualitätssiegel Geriatrie 200Qualitätszirkel, geriatrischer 34

R

Radikaltheorie 4Radiusfrakturen 98Rahmenempfehlungen 187

Reaktionstyp, akuter exogener 140Reflexinkontinenz 11, 113Regulatorgene 4Rehabilitation 27, 29, 93– ambulante geriatrische (AGR) 190– ambulante medizinische 190– Formen 190– geriatrische 23, 185– Kostenzusage 193– medizinische 186– stationäre 190– teilstationäre 190– vor Pflege 55, 186Rehabilitationsbedürftigkeit 188Rehabilitationsfähigkeit 188, 189Rehabilitationspotenzial 43, 190Rehabilitationsprognose 190– Kontextfaktoren 190– Kriterien 190Rehabilitationsrichtlinien 186Rehabilitationsteam 188– mobiles 192Rehabilitationswissenschaften 185Reintegration, soziale 10Rektozele 124Relevanz, klinisch-geriatrische 241Reliabilität 44Renin 173Reparatur- und Fehlertheorien 4Resident Assessment Instrument

(RAI) 201, 210Restharnmenge 118Rezeptorenblocker, alpha-Rezeptoren-

blocker 119Richtlinien der Spitzenverbände

der Pflegekassen 204Ringerlösung 177Risikoeinschätzung 166Risikofaktoren 25, 156– vaskuläre 131Risikofaktor-Screening 169Risikogruppen 25Risikopatienten 75Risikoverhalten 25

S

Sachleistungen 207Sarkopenie 86Schädel-Hirn-Traumata 142

z Sachverzeichnis282

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Schädelverletzungen 99Schädigung 18, 42– iatrogene 70Schenkelhalsfrakturen 98Schlafentzugstherapie 153Schlafstörung 149, 151Schlaganfall, Risikofaktoren 193Schlaganfallhäufigkeit 193Schlaganfallpatient 193Schmerzen– häufige 243– postoperativer 180Schmerzsyndrome 156Schmerztherapie 181Schwedentabletten 181Schwerpflegebedürftige 206Schwerstpflegebedürftige 206Screening 241– geriatrisches 48, 65, 241, 242– kognitives 256Screeningfragen 151Screening-Verfahren 49Seelsorger 53Sehbehinderung 156Sehen 242Sekundärprävention 27Selbstbestimmung 236, 240Selbsteinschätzung der Gesund-

heit 19, 20Selbsthilfefähigkeit 44Selbsthilfegruppen 33Selbsthilfestatus 45Selbstkatheterisieren, intermittierendes

119Selbstmedikation 44Selektion 8Semitandem-Stand 50senior center 34Serotoninwiederaufnahmehemmer

(SSRI) 153, 154Serumhypoosmolalität 178Serumosmolalität 175, 178Shared-decision-making-Modell 233SIADH, Ursachen 180SIADH-Syndrom 177, 180Single-Photon-Emissionstomographie

(SPECT) 133Singularisierung 14Skybala 124Sondenkost 174

Sozialanamnese 131Soziales Netz 45Sozialfragebogen 267Sphinkterrekonstruktion, operative

126Sphinktertonus 124, 126Spontanurin 181Sprachtherapeut 52Standardhygienemaßnahmen 218Ständige Impfkommission (STIKO)

32Staphylococcus aureus, methicillin-

resistenter (MRSA) 218– Risikofaktoren 218Status epilepticus, nonkonvulsiver

144Status, kognitiver 242, 243Status-quo-Szenario 212Sterbealter 225, 228, 240Sterbehilfe, aktive 223Sterben 225, 229Sterbender 228Sterbeort 225, 227Sterbetafel 12Stimulation, kognitive 135Störungen– iatrogene 70– psychische 88Strukturqualiät 199Strukturstandards 199Studien, randomisierte-kontrollierte

47Stuhldrang 126Stuhlinkontinenz 122, 123, 124, 127,

242Stupor/Katatonie 144Sturz 243– lokomotorischer 103– multifaktorieller 103, 107Sturzprävention, Internetadressen 109Sturzrisikofaktoren 102Sturz-Syndrom 98Sturzursache 98Suizid, Risikofaktoren 156Suizidalität 149, 155Suizidgedanken 151Suizidmethoden 156Suizidversuche 156Suizidziffern 155Super-Centenarians 12

Sachverzeichnis z 283

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Symptomatik 140Symptome 131– aphasische 132– belastende 227– depressive 132, 155Symptomkontrolle 223Syndrome– der Instabilität 66– geriatrische 63, 65– hirnorganische 140– psychoorganische 140– SIADH-Syndrom 177, 180– unspezifische hirnorganische 140Synkopen 99, 100, 107– Internetadressen 109

T

Tabuthema 111Tages- und Nachtpflege 208Tagesbetreuung 209Tageskliniken 56, 191– geriatrische 190– Kostenzusage 190Tagesstrukturierung 191Tai-Chi 104Tandem-Stand 50, 251Team– interdisziplinäres 43, 51– therapeutisches 54Teilhabe, „Einbezogensein“ 18Telefon 247Telomer-Theorie 4Tertiärprävention 27timed up and go 50Timed-up and go 251Tod 229Todesnähe 222Toilettendrang 126Toilettenstuhl 119Toilettentraining 117Träger, freigemeinnütziger 216Trägerschaft 215Training, körperliches 86Trainingsprogramme 87Transportmittel 248Trauer 151Trauerreaktion 151Treatment initiation program 155Trinkmenge 119

Trisomie 21 4TVT-Plastik 118

U

Übergewicht 167Überlebenskurve 22Überwässerung 173Uhrentest 132Uhren-Test mod. nach Shulman 263Umweltfaktoren 18undernourishment 164underreporting 64, 166– altersspezifisches 63Unerwünschtes Ereignis 72Unfall 107Unterstützung, soziale 243Untersuchung– körperliche 63– urodynamische 117Urethrozystoskopie 117Urinanalyse 117Urinvolumen 177Uroflowmetrie 117

V

Vaginalkonus 118Vaginaltampon 118Validation, integrative 135Validität 44Vaskulitiden 133Verhalten, selbstdestruktives 151Verhaltensstörungen 211Verhaltenstraining 117, 126Verjüngung, migrationsinduzierte 14Versorgung– hauswirtschaftliche 205, 206– tagesklinische 192Versorgungsaufwand 245Versorgungsleistungen, geriatri-

sche 56Versorgungsqualität 198, 219Versorgungsquote 57Versorgungssituation, Internetadresse

224Versorgungsstrukturen 40– geriatrische 54Verstimmung, depressive 149Verwirrtheit 174

z Sachverzeichnis284

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Verwirrtheitszustände 140, 141, 143– Ursachen 146Verwitwung 216Vitamin-B12-Spiegel 133Vitaminpräparate 162Vorsorge 32Vulnerabilität 67

W

Wäsche 248Wasser, freies 179Wasserhaushalt 173Wassermangel 175Wasserretention 179Wechseldruckmatratze 94Werner-Syndrom 4Wernicke-Aphasie 142Wernicke-Korsakow-Syndrom 145

Wertvorstellung 46, 237WHO 18, 25, 28, 29, 33, 37, 44, 71,

72, 185, 122WHO/Euro-Multicenter-Study

of Suicidal Behavior 156Widriges Ereignis 70Wiederbelebungsmaßnahme 231Willensbekundungen 233Willensbezeugung 236Willensfähigkeit 237Wohnumfeld 104Wundbehandlung, feuchte 95Wundheilung, verzögerte163Würde 236

Z

Zweigenerationenhaushalte 15

Sachverzeichnis z 285