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_____ Sie ist 192 Meter lang, 58 Meter breit. Die Rede ist von der neuen Lackie- rerei, die Porsche im September 2011 am Traditionsstandort Stuttgart-Zuffenhau- sen offiziell in Betrieb genommen hat. Schon die ersten Planungsschritte — die Suche nach einem Standort auf dem Werksgelände — stellte die Verantwortli- chen vor echte Herausforderungen. Ers- tens ist Platz Mangelware, weil Porsche in den vergangenen Jahren die Produk- tionszahlen kontinuierlich erhöht hat. Da traf es sich gut, dass der Nachbar Dürr bereit war, ein angrenzendes Grundstück zu veräußern. Zweitens befindet sich das Porsche-Werk in unmit- telbarer Nähe zu Wohngebieten. Die Anforderungen an einen umweltverträg- lichen Betrieb sind also hoch. Dass sie mehr als erfüllt werden, zeigt die Tatsa- che, dass es während der gesamten Pla- nungs- und Bauphase keinen einzigen Einspruch der Anwohner gab. Als Sportwagenhersteller hat Porsche einen wirklich legendären Ruf. Nur den „Insidern“ der Produktionstechnik ist hingegen bekannt, dass die Schwester- Die neue Lackiererei von Porsche in Zuffenhausen Lackieren nach dem Perlenketten-Prinzip Bei der Planung der neuen Lackiererei in Zuffenhausen setzt Porsche nicht nur neue Anlagentechnik ein, sondern hat auch viele eigene Ideen verwirklicht — in der Vorbehandlung ebenso wie bei den Applikationsverfahren und der Umwelt- und Energietechnik. 18 JOT 3.2012 automobil-lackierung

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Page 1: Lackieren nach dem Perlenketten-Prinzip

_____ Sie ist 192 Meter lang, 58 Meter breit. Die Rede ist von der neuen Lackie-rerei, die Porsche im September 2011 am Traditionsstandort Stuttgart-Zuffenhau-sen offiziell in Betrieb genommen hat. Schon die ersten Planungsschritte — die Suche nach einem Standort auf dem Werksgelände — stellte die Verantwortli-chen vor echte Herausforderungen. Ers-

tens ist Platz Mangelware, weil Porsche in den vergangenen Jahren die Produk-tionszahlen kontinuierlich erhöht hat. Da traf es sich gut, dass der Nachbar Dürr bereit war, ein angrenzendes Grundstück zu veräußern. Zweitens befindet sich das Porsche-Werk in unmit-telbarer Nähe zu Wohngebieten. Die Anforderungen an einen umweltverträg-

lichen Betrieb sind also hoch. Dass sie mehr als erfüllt werden, zeigt die Tatsa-che, dass es während der gesamten Pla-nungs- und Bauphase keinen einzigen Einspruch der Anwohner gab.

Als Sportwagenhersteller hat Porsche einen wirklich legendären Ruf. Nur den „Insidern“ der Produktionstechnik ist hingegen bekannt, dass die Schwester-

Die neue Lackiererei von Porsche in Zuffenhausen

Lackieren nach dem Perlenketten-PrinzipBei der Planung der neuen Lackiererei in Zuffenhausen setzt Porsche nicht nur neue Anlagentechnik ein, sondern hat auch viele eigene Ideen verwirklicht — in der Vorbehandlung ebenso wie bei den Applikationsverfahren und der Umwelt- und Energietechnik.

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gesellschaft Porsche Consulting weltweit produzierende Unternehmen bei der Optimierung von Abläufen berät. Des-halb darf man hohe Erwartungen nicht nur an die Qualität der Lackierung stel-len, sondern auch an die Organisation des Materialflusses, der bei Porsche durchgängig nach dem Prinzip der „sta-bilen Perlenkette“ erfolgt. Das bedeutet: Über den gesamten Produktionsdurch-lauf hinweg muss die geplante Reihen-folge beibehalten werden.

Der Durchlauf einer Karosse durch die Lackiererei dauert zwölf Stunden. Nur die Zuführbrücke vom Karosseriebau zum Lackiererei-Gebäude könnte man als klei-nen Speicher betrachten. Man spart also Platz und Aufwand für die Zwischenlage-rung. Bezogen auf die Lackiererei bedeu-tet das: Sie arbeitet exakt im präzise abge-stimmten Takt der gesamten Sportwagen-produktion. Und sie muss sich flexibel auf Farbwechsel einstellen können. Chris-tian Friedl, Leiter Karosseriebau und Lackiererei: „Da wir ohne Farbsortier-speicher arbeiten, ist es eine notwendige Voraussetzung, dass nach jedem Fahr-zeug ein Decklack-Farbwechsel erfolgt.“

„E-Shuttle“ gewährleistet beste Durchströmung beim KTL-ProzessWährend Dürr als Generalunternehmer der Lackiererei mit der gesamten Appli-kationstechnik beauftragt wurde, ent-schied sich Porsche bei den Vorbehand-lungs- und Tauchlackierprozessen für das „E-Shuttle“-System von Eisenmann, das in Zuffenhausen Weltpremiere fei-ert. Jedes Shuttle besteht aus drei frei programmierbaren Achsen, die das Fah-ren von individuell einstellbaren Tauch-kurven erlaubt. Neben „Dach oben“ und „Dach unten“ sind beliebige Zwischen-positionen möglich. Auf diese Weise wird eine sehr gute Durchströmung auch in den Hohlräumen erreicht.

Den Karosseriewerkstoffen Rechnung tragen Bei der Planung der vorbereitenden Pro-zesse musste Porsche der Tatsache Rech-

nung tragen, dass der Aluminiumanteil der Karosserien stetig steigt. Christian Friedl: „Wir haben uns darauf vorberei-tet, sowohl eine Hybridbauweise mit hohem Aluminiumanteil und hochfesten Stählen als auch Karossen aus 100 Pro-zent Aluminium fertigen zu können. So haben wir uns zum Beispiel in der Vor-behandlung die Option offen gehalten, Tauch- und Spritzverfahren einzusetzen, um dem Problem der Bildung von Kryo-lithschlamm bei hohen Aluminiumantei-

len Rechnung zu tragen.“ Außerdem sind die Trockner speziell in den Kühl-zonen darauf ausgelegt, relativ langsam und homogen die Temperaturen zu sen-ken. So lassen sich Spannungen durch die unterschiedlichen Wärmeausdeh-nungen der Materialien reduzieren.

Hohlraumkonservierung: Nur nichts verschwendenBeim Prozessschritt der Hohlraumkon-servierung zeigt sich, wie stark Porsche

Für die KTL-Beschichtung setzt Porsche das E-Shuttle-System ein

Applikation des Basislackes

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bei jedem einzelnen Prozess auf Effizi-enz achtet. Mit Hilfe eines Düsenwech-selkopfes wird die berechnete Menge an Konservierungsmittel per Roboter appli-ziert. Anschließend setzen zwei weitere Roboter die Stopfen: ein Prozessschritt, der zuvor manuell erledigt wurde. Auf ein Flutsystem verzichtet man, weil Material und Gewicht gespart werden soll. Das Ergebnis, auf das die Prozess-verantwortlichen stolz sind: Unter der Förderstrecke nach der HRK sieht man kein Tröpfchen.

Reinigen im kombinierten ProzessBeeindruckend ist auch die Reinigungs-station vor der ersten Lack-Applikation. Hier hat Porsche — genau wie bei zahl-reichen anderen Detailfragen — eigene Entwicklungsarbeit betrieben und sich nicht für reines Bürsten entschieden, sondern für einen robotergestützten kombinierten Blas-Saug-Prozess. Sollten vereinzelt noch feinste Staubpartikel vorhanden sein, werden sie per Druck-luftimpuls aufgewirbelt und zuverlässig abgesaugt. Erst dann reinigen roboterge-führte bewegliche Schwertbürsten die Flächen der Karosserie. Dieses Prinzip wurde erstmals in der Automobilindus-

trie realisiert. Die Roboter, die dabei zum Einsatz kommen, sind darüber hinaus in der Lage, Türen und Klappen form-schlüssig zu entriegeln und verriegeln. Kamerasysteme sorgen für die millime-tergenaue Positionierung der Roboter. Christian Friedl: „Der komplette Lackier-prozess verläuft eingehaust, so dass die Fahrzeuge den staubgeschützten Bereich nicht mehr verlassen.“

Applikation mit Ecobell 3Alle Lackschichten werden mit den elek-trostatischen Hochrotrationszerstäubern Ecobell 3 von Dürr appliziert. Die Por-sche-Lackierspezialisten schätzen an diesen Zerstäubern die sehr hohe Beweglichkeit und die kompakte Baugrö-ße. Christian Friedl: „Zu den Innovatio-nen, die wir in den Lackierstationen verwirklicht haben, gehören hochgesetz-te Roboter-Verfahrachsen.“ Das schafft — zusammen mit dem sehr kompakten Elektrodenring der Ecobell 3 — eine wichtige Voraussetzung dafür, dass ein und derselbe Roboter die Karosse innen und außen lackieren kann.

Porsche arbeitet mit vier Füllerfarben, und beim Decklack sind den Wünschen kaum Grenzen gesetzt. Christian Friedl:

„Unsere Kunden können jede beliebige Farbe bestellen, manche bringen uns sogar ihren Lieblingston gleich als Mus-ter mit. Wir erfüllen sehr gerne Sonder-wünsche.“ Ausgelegt ist die Lackiererei auf zwölf Serienfarben und fünf Sonder-farben. Für die Individuallackierungen gibt es eine eigene Linie in der im Manu-fakturcharakter exklusive Kundenwün-sche erfüllt werden können.

Alle Trocknungsstufen als „Haus im Haus“ Zu den Besonderheiten des Material-flusses in der Lackiererei gehört es, dass alle Prozesse der Trocknung in einem „Haus im Haus“ stattfinden, das zentral angeordnet und energetisch abgeschirmt ist. Dieser Grundriss hat zur Folge, dass sehr viel weniger Abwär-me entsteht und folglich auch sehr viel weniger Kühlung erforderlich ist: Das spart Energie.

Die Abscheidung des Oversprays in den Füller-, Decklack- und Klarlack-Lini-en erfolgt elektrostatisch mit dem E-Scrub-System von Eisenmann, das nach Angaben des Herstellers im Ver-gleich zur klassischen Nassauswa-schung rund 75 Prozent weniger Energie

Porsche arbeitet mit vier Füllerfarben, und beim Decklack sind den Wünschen kaum Grenzen gesetzt. Christian Friedl: „Unsere Kunden können jede beliebige Farbe bestellen, manche bringen uns sogar ihren Lieblingston gleich als Muster mit.“

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pro Karosse verbraucht und deutlich lei-ser ist als der bekannte „Wasserfall“. Zudem reduziert sich die Feinstaubbe-lastung der Abluft ganz erheblich.

Ohne Abluftsammelkamin Die hohe Effizienz der elektrostatischen Abscheidung schafft die Voraussetzung dafür, dass 70 Prozent der Luftmengen als Umluft im Kreislauf geführt werden. Nur 30 Prozent verlassen die Lackiererei als gereinigte Abluft. Diese Tatsache und eine nasschemische Abluftreinigung ermöglichen Porsche auf den sonst übli-chen 60 Meter hohen Abluftsammelka-min zu verzichten: Ein zehn Meter hoher Schornstein reicht aus.

Abluft und Abwasser unterschreiten die gesetzlichen Grenzwerte um ein Vielfaches. Wie wichtig das ist, erkennt man vom Dach der Lackiererei aus: Unmittelbar in der Nachbarschaft befin-den sich Wohngebiete. Deshalb bemühte sich Porsche von Beginn an um ein transparentes Planungsverfahren — und es gab keinen einzigen Einspruch der Anwohner.

Energiesparen auf vielen Ebenen Im Sinne der Energieeinsparung nutzt man die Abwärme der Trockner zur Erwärmung des Heißwassernetzes. Auch bei der Hallenbeleuchtung hat Por-sche eine energiesparende Lösung ent-wickelt. Sie wurde dimmbar gestaltet und mit Hochleistungsreflektoren aus-gestattet. Das verlängert die Standzeit der Leuchtmittel erheblich und spart Strom. Ein zentrales Energiemanage-mentsystem mit 233 digitalen Zählern erfasst alle Medienströme und gibt Aus-kunft über die Effizienz der Prozesse. Wobei ganz obenan natürlich die makel-lose und dauerhafte Qualität des Lackier-ergebnisses steht. Das gilt für Porsche noch mehr als für andere Fabrikate, denn ein Porsche hat bekanntermaßen ein sehr langes Leben: 75 bis 80 Prozent aller seit 1948 gefertigten Fahrzeuge sind noch auf der Straße unterwegs.

Gerald Scheffels

Höchste Effizienz als Ziel

Herr Friedl, welche Ziele standen bei der Planung Ihrer neuen Lackie-rerei ganz obenan?

Das Hauptziel besteht aus einem einzigen Wort: Effizienz. Bei Porsche wollten wir grundsätzlich mit so gerin-gem Ressourceneinsatz wie möglich Premiumqualität erzeugen. Diese Ziel haben wir voll und ganz erreicht.

Wann startete die Planung?Wir haben uns Ende 2005 entschie-

den, das Projekt in Angriff zu nehmen und nicht die vorhandene, 1986 errich-tete Lackiererei zu erneuern, sondern eine ganz neue zu errichten. 2006 starteten wir einen Ideenwettbewerb, aus dem dann die Planungsgrundlagen hervorgingen.

Wie viele Mitarbeiter sind in ein derart großes und wichtiges Projekt involviert?

„Klein aber fein“, lautet die grund-sätzliche Formel bei Porsche. Ehrlich gesagt, gab es immer wieder Phasen, in denen wir uns noch ein paar Hände zusätzlich gewünscht hätten. Zusam-mengezählt waren an Planung, Konstruktion und Ausführung — bei uns und den Lieferanten — mehr als 200 Personen mit den Details des Projektes beschäftigt. Hinzu kommen die Arbeiter auf der Baustelle. An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal bei allen Beteiligten bedanken.

Ihre beiden Haupt-Anlagenlieferanten stammen fast aus der Nachbarschaft — aus Böblingen und Bietigheim-Bissingen. Haben Sie sich auch global nach Anlagenbauern umgesehen?

Wir haben tatsächlich den Vorteil der sehr kurzen Wege, den wir uns gerne zu Nutze machen. Unsere beiden Haupt-Anlagenlieferanten Dürr und Eisenmann sind nicht nur bewährte Partner, sondern sie gehören gleichzeitig auch zu den Technologieführern weltweit. Diese Tatsache passt perfekt zu Porsche. Darüber hinaus haben beide Anbieter gerade in der Zeit der Planung große Entwicklungen zur Marktreife gebracht.

2013 wird Ihr zweites Werk in Leipzig um eine Lackiererei ergänzt. Kommen dort die gleichen Prozesse zum Einsatz beziehungsweise was wird dort anders sein?

Das Porsche-Werk Leipzig, das wir für unseren neuen kompakten SUV mit dem Projektnamen Cajun erweitern, wird von unseren aktuellen Erfahrungen profitie-ren. Vieles wird auf den Prozessen von Zuffenhausen basieren. Wir wollen aber auch Erfahrungen aus dem Volkswagen-Konzern nutzen. Alleine die höhere Aus-legungsstückzahl der Lackiererei bringt andere Anforderungen mit.

Christian Friedl, Leiter Karosseriebau und Lackiererei der Dr. h.c. Porsche AG

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