kurze geschichte des dzogchen

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Kurze Geschichte des Dzogchen Dies ist die Druckversion von: http: / / www.berzinarchives.com / web / de / archives / advanced / dzogchen / basic_points / brief_history_dzogchen.html Alexander Berzin 10.-12. November 2000 Übersetzung ins Deutsche: Karin Behrendt und Monika Schreiber Einführung Dzogchen (tib. rdzogs-chen), die große Vollkommenheit, ist ein System der Mahayana-Praxis, das zur Erleuchtung führt und eine bestimmte Sicht der Wirklichkeit, eine Meditations- und Verhaltensweise (tib. lta-sgom-spyod gsum ) verlangt. Es war als erstes in der Nyingma-Tradition und der Bön-Tradition (vor-buddhistischen Tradition) zu finden. Die Bön-Tradition wurde gemäß ihrer eigenen Beschreibung von Shenrab Miwo (tib. gShen-rab mi-bo) in Tazig (tib. sTag-gzig) gegründet, einem iranischen Kulturgebiet in Zentralasien, und wurde im elften Jahrhundert v. u. Z. nach Zhang-Zhung (Westtibet) gebracht. Hierfür gibt es keinen wissenschaftlichen Nachweis. Buddha lebte im sechsten Jahrhundert v. u. Z. in Indien. Die Einführung des Vor-Nyingma-Buddhismus und der Zhang-Zhung-Riten in Zentraltibet Zhang-Zhung wurde im Jahre 645 u. Z. von Yarlung (Zentraltibet) erobert. Der Yarlung-Kaiser Songtsen-Gampo (tib. Srong-btsan sgam-po) hatte nicht nur Ehefrauen, die aus den kaiserlichen bzw. königlichen Familien Chinas und Nepals stammten (und die beide einige buddhistische Texte und Statuen mit sich brachten), sondern auch aus der kaiserlichen Familie Zhang-Zhungs. Der Hof übernahm Begräbnisrituale und Tieropfer aus der Zhang-Zhung-Tradition (Bön-Tradtion), obgleich die Bön-Tradition sagt, dass Tieropfer eine einheimische Sitte Tibets und nicht die des Bön gewesen sei. Der Kaiser baute dreizehn buddhistische Tempel in Tibet und Bhutan, gründete jedoch keine Klöster. In dieser Vor-Nyingma-Phase enthielt der Buddhismus in Zentraltibet keine Dzogchen-Belehrungen. Es lässt sich tatsächlich schwer feststellen, welche Ebenen buddhistischer Lehren und Praxis eingeführt wurden. Sie waren zweifellos sehr begrenzt, wie es auch mit den Zhang-Zhung-Riten der Fall gewesen sein muss. Guru Rinpoche und die Einführung des Nyingma-Dzogchen Die nächste wichtige Persönlichkeit, der Kaiser Tri Songdetsen (tib. Khri Srong-sde-btsan), verhielt sich den Chinesen gegenüber vorsichtig und hatte eine paranoide Furcht vor Zhang-Zhung, wahrscheinlich weil sein pro-chinesischer Vater von der fremdenfeindlichen, konservativen politischen Zhang-Zhung-Fraktion am kaiserlichen Hofe in einem Attentat ermordet worden war. 761 lud er den indischen buddhistischen Abt Shantarakshita nach Tibet ein. Es brach eine Pocken-Epidemie aus. Die Zhang-Zhung-Fraktion gab Shantarakshita die Kurze Geschichte des Dzogchen 1

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Alexander Berzin10.-12. November 2000Übersetzung ins Deutsche: Karin Behrendt und Monika Schreiber

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Page 1: Kurze Geschichte des Dzogchen

Kurze Geschichte des DzogchenDies ist die Druckversion von: http: / / www.berzinarchives.com / web / de / archives /

advanced / dzogchen / basic_points / brief_history_dzogchen.html

Alexander Berzin10.-12. November 2000

Übersetzung ins Deutsche: Karin Behrendt und Monika Schreiber

Einführung

Dzogchen (tib. rdzogs-chen), die große Vollkommenheit, ist ein System der Mahayana-Praxis,das zur Erleuchtung führt und eine bestimmte Sicht der Wirklichkeit, eine Meditations- undVerhaltensweise ( t ib. l ta-sgom-spyod gsum) verlangt. Es war als erstes in derNyingma-Tradition und der Bön-Tradition (vor-buddhistischen Tradition) zu finden.

Die Bön-Tradition wurde gemäß ihrer eigenen Beschreibung von Shenrab Miwo (tib.gShen-rab mi-bo) in Tazig (tib. sTag-gzig) gegründet, einem iranischen Kulturgebiet inZentralasien, und wurde im elften Jahrhundert v. u. Z. nach Zhang-Zhung (Westtibet)gebracht. Hierfür gibt es keinen wissenschaftlichen Nachweis. Buddha lebte im sechstenJahrhundert v. u. Z. in Indien.

Die Einführung des Vor-Nyingma-Buddhismus und derZhang-Zhung-Riten in Zentraltibet

Zhang-Zhung wurde im Jahre 645 u. Z. von Yarlung (Zentraltibet) erobert. DerYarlung-Kaiser Songtsen-Gampo (tib. Srong-btsan sgam-po) hatte nicht nur Ehefrauen, dieaus den kaiserlichen bzw. königlichen Familien Chinas und Nepals stammten (und die beideeinige buddhistische Texte und Statuen mit sich brachten), sondern auch aus der kaiserlichenFamilie Zhang-Zhungs. Der Hof übernahm Begräbnisrituale und Tieropfer aus derZhang-Zhung-Tradition (Bön-Tradtion), obgleich die Bön-Tradition sagt, dass Tieropfer eineeinheimische Sitte Tibets und nicht die des Bön gewesen sei. Der Kaiser baute dreizehnbuddhistische Tempel in Tibet und Bhutan, gründete jedoch keine Klöster.

In d ieser Vor-Nyingma-Phase enthie l t der Buddhismus in Zentra l t ibet keineDzogchen-Belehrungen. Es lässt sich tatsächlich schwer feststellen, welche Ebenenbuddhistischer Lehren und Praxis eingeführt wurden. Sie waren zweifellos sehr begrenzt, wiees auch mit den Zhang-Zhung-Riten der Fall gewesen sein muss.

Guru Rinpoche und die Einführung desNyingma-Dzogchen

Die nächste wichtige Persönlichkeit, der Kaiser Tri Songdetsen (tib. Khri Srong-sde-btsan),verhielt sich den Chinesen gegenüber vorsichtig und hatte eine paranoide Furcht vorZhang-Zhung, wahrscheinlich weil sein pro-chinesischer Vater von der fremdenfeindlichen,konservativen politischen Zhang-Zhung-Fraktion am kaiserlichen Hofe in einem Attentatermordet worden war. 761 lud er den indischen buddhistischen Abt Shantarakshita nach Tibetein. Es brach eine Pocken-Epidemie aus. Die Zhang-Zhung-Fraktion gab Shantarakshita die

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Schuld und verwies ihn des Landes. Auf Anraten des Abtes lud der Kaiser dann GuruRinpoche (Padmasambhava) aus Swat (Nordwestpakistan) ein, der die Dämonen vertrieb, diedie Pocken ausgelöst hatten. Daraufhin lud der Kaiser Shantarakshita erneut ein.

Guru Rinpoche verließ das Land im Jahre 774, ohne die vollständige Übertragung desDzogchen abgeschlossen zu haben. Er sah, dass die Zeit noch nicht reif war, und verbargeinige Texte als verborgene Schatztexte (tib. gter-ma, ,Terma'). Bei diesen handelte es sichausschließlich um Dzogchen-Texte.

Das Samye-Kloster und das Bönpo-Exil

Das Samye-Kloster (tib. bSam-yas) (das erste Kloster in Tibet mit den ersten siebentibetischen Mönchen) wurde kurz darauf fertiggestellt. Chinesen aus der Chan-Tradition (Jap.Zen), indische und Zhang-Zhung-Übersetzer arbeiteten dort zusammen. 779 wurde derBuddhismus zur Staatsreligion, wahrscheinlich weil der Kaiser Tri Songdetsen Zhang-Zhungeine alternative Kultur entgegensetzten musste, um die Einheit des Landes zu gewähren. DerKaiser beauftragte je drei Familien mit der Unterstützung eines jeden Mönchs.

781 eroberte Tibet das chinesische Dunhuang (Tunhuang, eine buddhistische Oase an derSeidenstraße nordwestlich von Tibet). Doch der chinesische Kaiser sandte ab 781 jedes zweiteJahr zwei chinesische Mönche nach Samye, um seinen Einfluss beizubehalten.

Shantarakshita starb 783, wobei er warnte, dass die Chinesen Probleme bereiten würden, unddazu riet, seinen Schüler Kamalashila einzuladen, um sie in der Debatte zu schlagen, was dieTibeter taten.

Im nächsten Jahr, 784, begann eine große Verfolgung und Vertreibung der Bönpos (Anhängerdes Bön). Die meisten flohen nach Gilgit (Nordpakistan) oder Yünnan (Südwestchina).Gemäß den traditionellen Bön-Erzählungen verbarg Zhang-Zhung Drenpa-Namka (tib.Dran-pa nam-mkha') zu diesem Zeitpunkt die Bön-Texte (alle Kategorien, nicht nurDzogchen), um sie in Sicherheit zu bringen.

Historische und politische Analyse enthüllt, dass der Grund für diese Vertreibung derVerdacht war, dass die fremdenfeindliche, konservative politische Zhang-Zhung-Fraktion einAttentat auf den Kaiser ausüben würde, weil er pro-indisch war, wie sie es bei seinem Vatergetan hatten. Zudem behielt der Staat die Begräbnisrituale und Opfergaben der Bön bei. Daherist es angemessen zu schließen, dass es sich um eine Verfolgung der politischenZhang-Zhung-Fraktion handelte, nicht um eine Verfolgung der Bön-Religion.

Aus diesem Grund gehen mehrere westliche Gelehrte davon aus, dass der Begriff Bönpo(Anhänger des Bön) in diesem Zeitraum eher eine politische als eine religiöse Bedeutunghatte. Er wurde für die politische Zhang-Zhung-Fraktion am Hof und deren Anhänger benutzt,und nicht für die spirituellen Anführer, die die religiösen Zhang-Zhung-Riten am Hofausführten, sowie deren Anhänger.

Vairochana, Vimalamitra und die Samye-Debatte

Der Kaiser Tri Songdetsen sandte Vairochana, einen der sieben ursprünglichen tibetischenMönche aus Samye, nach Indien, um weitere Texte zu holen. Er brachte sowohl Dzogchen alsauch buddhistische medizinische Tantras zurück und lud den indischen Dzogchen-Meister

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Guru Rinpoche und die Einführung desNyingma-Dzogchen 2

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Vimalamitra ein, der noch mehr Texte brachte.

Die Samye-Debatte fand 792-794 statt, zwischen indischem und chinesischem Buddhismus.Die indische Seite, angeführt von Kamalashila, gewann; die Chinesen, unter der Leitung vonHoshang Mahayana (chinesisch für 'Mahayana-Mönch') wurden aus Tibet vertrieben. DieTibeter führten offiziell den indischen Buddhismus und die indisch-buddhistische Medizinein, wobei sie einige der Einflüsse der chinesischen Medizin beibehielten und mit derindischen kombinierten.

Kurz darauf wurde der Tibeter Vairochana aufgrund von Verleumdungen indischer Abte, diebehaupteten, er würde zu viel enthüllen, ins Exil verbannt. Er verbarg daraufhin noch mehrDzogchen-Texte, genau wie der Inder Vimalamitra.

Die drei Kategorien der Nyingma-Schatztexte

Die Dzogchen-Lehren, die den Schatztexten entstammten, die von Vairochana undVimalamitra und zuvor von Guru Rinpoche verborgen worden waren, wurden später in dreiKategorien unterteilt:

Semde (tib. sems-sde, die Kategorie des Geistes) betont reines Gewahrsein (tib. rig-pa)als die Basis für alles (tib. kun-gzhi, Skt. alaya),

1.

Longde (tib. klong-sde, die Kategorie des offenen Raumes) betont den Aspekt deswahrnehmenden offenen Raumes (tib. klong) des reinen Gewahrseins als Basis füralles,

2.

Men-Ngag-de (tib. man-ngag sde, die Kategorie der Quintessenz-Lehren), auchNyingtig (tib. snying-thig, die Kategorie der Herzessenz) genannt, betont, dass reinesGewahrsein ursprünglich rein (tib. ka-dag) ist.

3.

Die ersten beiden entspringen Schatztexten, die vom tibetischen Mönch Vairocana verborgenworden waren und heute kaum noch praktiziert werden. Die Kategorie des Geistes entspringtindischen Texten, die von Vairochana übersetzt wurden, die Kategorie des offenen Raumesseinen mündlichen Belehrungen. Die Kategorie der Quintessenz-Lehren enthält zweiAbschnitte von den beiden indischen Lehrern, eine von Guru Rinpoche, das "Kadro Nyingtig"(tib. "mKha'-'gro snying-thig", "Herzessenz-Belehrungen der Dakinis") und eine vonVimalamitra , das "Vima Nyingt ig" ( t ib . "Bi-ma snying-thigi" , "VimalamitrasHerzessenz-Belehrungen").

Die Verfolgung des Buddhismus

Der Kaiser Ralpachen (tib. Ral-pa-can) (ein buddhistischer Fanatiker) machte 821, nachdemer einen Friedensvertrag mit China unterschrieben hatte (in aller Vollständigkeit, mitTieropfer) den Samye-Abt zum Vorsitzenden des Staatsrats. Er erließ, dass jeder Mönch inTibet von je sieben Familien unterstützt werden müsse. Er formte auch ein Konzil für dieautorisierte Zulassung von Begriffen in einem Sanskrit-Tibetisch-Kompendium vonÜbersetzungsbegriffen, das er in Auftrag gegeben hatte, das "Mahavyutpatti" (tib."Bye-brag-tu rtogs-pa chen-po", Großes [Lexikon] für das Verständnis spezifischer[Begriffe]"). Tantra-Begriffe wurden nicht aufgenommen. Der Kaiser und sein Konzilbeschlossen, was übersetzt wurde, und gestatteten nur die Praxis der ersten beidenTantra-Klassen.

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Vairochana, Vimalamitra und die Samye-Debatte 3

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Aller Wahrscheinlichkeit lag es an den Exzessen der Kaisers Ralpachen, dass sein Nachfolger,der Kaiser Langdarma (tib. gLang-dar-ma) in den Jahren 836-842 Klöster schloss undMönche verfolgte. Die buddhistischen Büchereien und die Ngagpa- (tib. sngags-pa,tantrische) Laientradition wurden jedoch bewahrt.

913 wurden durch Zufall die ersten verborgenen Bön-Schatztexte in Samye wiederentdeckt.

Die Schulen der neuen Übertragung

Gegen Ende des zehnten Jahrhunderts wurden Gesandte zu Atisha geschickt, um ihn zu bitten,aus Indien zu kommen und Missverständnisse hinsichtlich des Buddhismus zu klären, speziellin Bezug auf Sex und Opfergaben im Tantra. Es wurden neue Übersetzungen aus demSanskrit angefertigt, angefangen mit dem Werk Rinchen-Zangpos (tib. Rin-chen bzang-po).

Anfangs des elften Jahrhunderts entwickelten sich die Kadam- (die später zur Gelug-Traditionwurden), Sakya- und Kagyü-Traditionen als Sarma-Schulen (tib. gSar-ma , neueÜbertragungsschulen, neue Tantra-Schulen). Im Gegensatz dazu ist die Nyingma-Traditiondie alte Übertragungsschule oder alte Tantra-Schule.

Zu dieser Zeit wurde auch das Bön wieder lebendig, doch diesmal mit sehr buddhistischemInhalt. 1017 wurden die Bön-Texte kodifiziert - in erster Linie Nicht-Dzogchen-Texte in denHauptkategorien der buddhistischen Literatur. Im späteren Verlauf des elften Jahrhundertswurden noch mehr Nyingma- und Bön-Dzogchen-Texte aufgefunden, oft von derselbenPerson.

Die südlichen und die nördlichen Schatztext-Linien

In der ersten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts stellte der Sakya-Meister Butön (tib. Bu-stonRin-chen grub) das "Zhalu-Manuskript" zusammen, das der Vorläufer des "Kangyur" (tib."bKa'-'gyur", "Die Worte des Buddha") war. Er nahm keine Dzogchen-Materialien darin aufund auch keine der Übersetzungen der Tantras aus der Zeitspanne der alten Übersetzungen.

Butöns Zeitgenosse Longchenpa (tib. Klong-chen Rab-'byams-pa Dri-med 'od-zer) fasste das"Kadro-"und das "Vima-Nyingtig" im "Zabmo-Nyingtig" (tib. " Zab-mo snying-thig", "Dietiefgründigen Herzessenz-Lehren") zusammen und sammelte und strukturierte die derzeitigverfügbaren Dzogchen-Texte. Von ihm stammt die südliche Schatztext-Linie (tib. lho-gter)der Nyimgma-Tradition ab.

Die Bön-Tradition kodifizierte ihr Äquivalent des "Kangyur" in der zweiten Hälfte desvierzehnten Jahrhunderts, das auch Dzogchen enthält.

Die nördliche Schatztext-Linie (tib. byang-gter) der Nyimgma-Tradition fand gegen Ende desvierzehnten Jahrhunderts durch Rigdzin Gödem Je (tib. Rig-'dzin rGod-ldem rJe dNgos-grubrgyal-mtshan) ihren Anfang, einem Nachfahren der frühen tibetischen Kaiser. Das Oberhauptdieser Linie wird Rigdzin-Chenpo (tib. rig-'dzin chen-po) genannt.

Zusammenstellung des Nyingma-Kanons und derwichtigsten Texte

Kurze Geschichte des Dzogchen

Die Verfolgung des Buddhismus 4

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Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts stellte Ratna Lingpa (tib. Ratna gling-pa) das " NyingmaGyübum" (tib. "rNying-ma rgyud-'bum", "Lakhs der Nyingma-Tantras") zusammen, dieSammlung sämtlicher Dzogchen-Texte sowie der Übersetzungen der Tantras der altenÜbertragungslinie, als Erweiterung von Longchenpas Werk.

Jigme Lingpa (tib. ' Jigs-med gling-pa mKhyen-brtse 'od-zer) überarbeitete Longchenpas"Zabmo Nyingtig" gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts und machte daraus das "Longchen Nyingtig" (tib. "Klong-chen snying-thig", "Longchenpas Herzessenz-Lehren"), daswichtigste Nyingma-Dzogchen-System, das heutzutage praktiziert wird. Sein Schüler, dererste Dodrubchen (tib. rDo-grub chen 'Jigs-med 'phrin-las 'od-zer), schrieb einen Ritualtextmit vorbereitenden Praktiken dafür, das "Longchen Ngöndro" (tib. "Klong-chen sngon-'gro").

Paltrül (tib. rDza dPal-sprul 'O-rgyan 'jigs-med dbang-po), einer der Wiedergeburten vonJigme Lingpa, schrieb die "Persönlichen Anleitungen meines vollkommen vortrefflichen(Samantabhadra) Gurus" (tib. "Kun-bzang bla-ma'i zhal-lung", "Die vollkommenen Wortemeines vortrefflichen Lehrers", "Künzang Lame Zhallung"). Dies ist der ausführlichsteNyingma-Text über das Äquivalent des Lam-rim (abgestufte Phasen des Pfades) und über dieVorbereitungen für das "Longchen Nyingtig".

Die nichtsektiererische Rime-Bewegung

Auch in der nächsten Generation nach Jigme Lingpa schrieb von den drei Hauptbegründernder Rime- (nichtsektiererischen) Bewegung - Kongtrül (tib. Kong-sprul Yon-tan rgya-mtso),Jamyang-Kyentse-Wangpo (tib. 'Jam-dbyangs mkhyen-brtse dbang-po) und Mipam (tib. 'JuMi-pham rgya-mtsho) - letzterer die wichtigsten Nyingma-Kommentare zu den Haupttexten.

Choggyur Lingpa (tib. mChog-gyur bde-chen gling-pa) war sowohl Schüler und Lehrer vonKongtrül und Jamyang-Kyentse-Wangpo. Seine Terma Zyklus, "Chogling Tersar" (tib. "mChog-gling gter-gsar"; "Der neue Schatztext von Chogling"), wird sowohl durch dieNyingma-und Karma-Kagyü-Schulen praktiziert wird.

Jamyang Kyentse-Wangpo und Paltrüls Schüler, der dritte Dodrubchen (tib. rDo-grub-chen'Jigs-med bstan-pa'i nyi-ma), schrieb die klarsten Kommentare über Dzogchen -"Dzogchen-Zyklen" (tib. "rDzogs-chen skor") und "Gemischte Schriften über Dzogchen" (tib."rDzogs-chen thor-bu") - in denen er das Dzogchen in den Kontext der anderen Traditionendes tibetischen Buddhismus stellten. Dies sind die Kommentare, auf die sich Seine Heiligkeitder 14. Dalai Lama als wichtige Quelle seiner Erklärungen einer vereinten Theorie aller vierTraditionen stützt.

Ist Dzogchen buddhistisch oder Bön?

Ist Bön buddhistisch oder nichtbuddhistisch? Beide führen zur Erleuchtung und benutzen denBegriff Buddhaschaft. Dharmakirti, der indische Meister des siebten Jahrhunderts, sagte, dassein Werk, das mit den Hauptthemen des Buddhismus übereinstimmt, Buddhas Lehre ist.Daher sind sowohl Nyingma- als auch Bön-Dzogchen deutlich Mahayana-buddhistischeLehren, weil beide Gemeinsamkeiten mit den Mahayana-Sutras besitzen. Jedes hat zudemnatürlich auch seine eigenen Merkmale. Darüber hinaus haben Nyingma- und Bön-Dzogchen- ob wir Dzogchen nun zum Tantra zählen oder als jenseits von Sutra und Tantra betrachten -Merkmale, die sie mit den verschiedenen Tantra-Klassen teilen.

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Zusammenstellung des Nyingma-Kanons und derwichtigsten Texte 5

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Da sowohl die Nyingma- als auch die Bön-Tradition den Ursprung des Dzogchen für sichbeanspruchen und behaupten, die jeweils andere Tradition hätte sie von ihnen kopiert, gibt esdrei Möglichkeiten:

Dzogchen entwickelte sich sehr früh im Buddhismus und die Bön-Tradition empfinges durch die frühe Verbreitung des Buddhismus im Iran und in Zentralasien viaZhang-Zhung. In diesem Fall hätte das Bön-Dzogchen einen buddhistischen Ursprung,aber keinen direkten indisch-buddhistischen.

1.

Bön erfuhr vom Dzogchen von Guru Rinpoche in Samye und verbarg es, als dieZhang-Zhung-Bön-Fraktion 784 ins Exil, in erster Linie nach Gilgit (Nordpakistan),ging.

2.

Als die Zhang-Zhung-Bönpos ins Exil nach Gilgit gingen, erfuhren sie dort vomDzogchen, unabhängig von Guru Rinpoche.

3.

Es ist nicht möglich, zu einem entschiedenen Schluss zu kommen, welche Möglichkeit diekorrekte ist.

Dzogchen in den Kagyü-Traditionen

Dzogchen ist auch in der Drugpa-Kagyü-Tradition zu finden, in die es im späten zwölftenJahrhunderts durch ihren Gründer Tsangpa Gyare (tib. gTsang-pa rGya-ras) Einlass fand.

Der dritte Karmapa (tib. Kar-ma Rang-byung rdo-rje) führte Dzogchen im frühen vierzehntenJahrhundert in die Karma-Kagyü-Tradition ein und schriebt das "Karma Nyingtig" ("Kar-masnying-thig", "Karmapas Herzessenz-Lehren"). Er studierte Dzogchen mit Kumararaja, demselben Dzogchen-Lehrer, bei dem auch Longchenpa studiert hatte. Daher wird in der KarmaPakshi-Praxis Guru Rinpoche im Herzen des zweiten Karmapa, Karma Pakshi, visualisiert. Esgibt auch eine Guru Rinpoche-Praxis in der Karma Kagyü-Tradition.

Dzogchen kam in die Drigung-Kagyü-Tradition durch die Schatz-Texte, die von den Meisterndes 16. Jahrhunderts Drigung Ratna (tib. rGyal-dbang Rin-chen phun-tshogs 'Bri-gung Ratna)und dem vierten Drigung Lho Jedrung (tib. 'Bri-gung Lho rJe-drung O-rgyan nus-ldanrdo-rje) entdeckt worden waren.

Dzogchen und die Dalai Lamas

In der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts hatte der fünfte Dalai Lama reine Visionen vonDzogchen. Er fasste sie im "Unter dem Siegel der Geheimhaltung" (tib. "gSang-ba rgya-can")zusammen und führte diese Dzogchen-Praktiken in seinem Namgyal-Kloster ein, dasansonsten in erster Linie Gelug praktiziert.

Guru Rinpoche prophezeite, dass es, wenn die Linie der frühen tibetischen Kaiser - derenNachfahren, die Linie der Rigdzin-Chenpos, an der Spitze der nördlichen Schatztext-Liniestanden - unterbrochen würde, dies sehr nachteilige Auswirkungen auf Tibet haben würde. Soübertrug der fünfte Dalai Lama seine Dzogchen-Linien auch auf den Rigdzin-Chenpo seinerZeit. Daher praktiziert die nördliche Schatztext-Linie auch die Dzogchen-Lehren des fünftenDalai Lama.

Der nächste Rigdzin-Chenpo übertrug die Dzogchen-Lehren des fünften Dalai Lama an dasNechung-Kloster, das Kloster des Staatsorakels, Nechung (tib. gNas-chung). Das

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Nechung-Orakel wurde in Samye von Guru Rinpoche dazu beauftragt, Tibet zu beschützen.Es gibt eine persönliche Verbindung zwischen den Dalai Lamas und dem Nechung-Orakel seitder Zeit des zweiten Dalai Lama, als jener vom Tashilhünpo-Kloster ins Drepung-Klosterumzog.

Der fünfte Dalai Lama ernannte auch die Thronhalter des Nyingma Mindroling-Klosters (tib.sMin-gling khri-can, 'Minling Trichen'), die Spitze der südlichen Schatztext-Linie. Sounterstützte der fünfte Dalai Lama die beiden wichtigsten Nyingma-Linien. Seitdem gab eseine enge Verbindung zwischen der Linie der Dalai Lamas und der Nyingma-Tradition.

[Für eine schematische Darstellung der wichtigsten Punkte siehe: Kurze Geschichte desDzogchen in schematischer Form {1}.]

Links

{1} http: / / www.berzinarchives.com / web / de / archives / advanced / dzogchen /basic_points / history_dzogchen_chart.html

Kurze Geschichte des Dzogchen

Dzogchen und die Dalai Lamas 7