kohlenstoffmonosulfid im thermischen gleichgewicht

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Kohlenstoff monosulf id im thermischen Gleichgewicht Von HARALD SCHAFER und HERIBERT WIEDEMEIER Professor Erich Thilo xum 60. Geburtstage gewidmet Inhaltsubersicht Die Bildungsenthalpie des gasformigen Kohlenstoffnionosulfids wird auf zwei ver- schiedenen Wegen ermittelt, erstens durch Untersuchung der Einwirkung von CS,-Gas auf gluhende Faden aus Kohlenstotf und zweitens niit Hilfe der Urnsetzung von Metallsulfiden mit Kohlenstoff. Beide Verfahren liefern iibereinstimmend einen Orien- tierungswert fur AH,, yon rund 60 kcal/Mol. Summary The enthalpy of formation of gaseous carbon monosulfide has been estimated from the reactions between CS,-gas and glowing carbon filaments and between metal sulfides and carbon. AH,, is about 60 kcal/mole. Die a l t e r e Literatur iiber Kohlenstoffmonosulfid ist umfangreich. Sie ist jedoch zum groljen Teil iiberholt und liefert keinen Beitrag zum vorliegenden Problem. Wesentlich sind dagegen spektroskopische Untersuchungen, die zum Nachweis des gasformigen CS in der CS,- Flamme, bei der Photolyse von CS, und bei der Einwirkung von Hoch- frequenzentladungen auf CS, fiihrtenl) ,). Man hat ferner zuverlassigt. Werte fur die Norrnalentr~pie~) (SCb(g),298 = 50,28 cl) und die? spezifische Warme4) des Kohlenstoffmonosulfids (Cpcscg) =. 7,39 + 1,02 . 10-3 T - 0,51 . lo5 T-2) und schlieljlich einen groben Richtwert 1) Vgl. P. J. DYNE u. D. A. RAMSAY, J. chem. Physics 30, 1055 (1952) und die dort 2) Weitere Literaturangaben und eine eingehendere Wurdigung und Auswertung 3) K. K. KELLEY, Contr. Data Theor. Met. XI. Entropies. Bur. Mines, Bull. 4) K. K. KELLEY, Contr. Data Theor. Met. X. High-Temperature Hcat-Content zitierte Literaturz). friiherer Untersuchungen werden wir in einer ausfuhrlicheren Abhandlung bringen. 477 (1950). Bur. Mines, Bull. 476 (1949). Z anorg. allg. Chemie. Bd. 206. 16

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Page 1: Kohlenstoffmonosulfid im thermischen Gleichgewicht

Kohlenstoff monosulf id im thermischen Gleichgewicht

Von HARALD SCHAFER und HERIBERT WIEDEMEIER

Professor Erich Thilo xum 60. Geburtstage gewidmet

Inhaltsubersicht Die Bildungsenthalpie des gasformigen Kohlenstoffnionosulfids wird auf zwei ver-

schiedenen Wegen ermittelt, erstens durch Untersuchung der Einwirkung von CS,-Gas auf gluhende Faden aus Kohlenstotf und zweitens niit Hilfe der Urnsetzung von Metallsulfiden mit Kohlenstoff. Beide Verfahren liefern iibereinstimmend einen Orien- tierungswert fur AH,, yon rund 60 kcal/Mol.

Summary The enthalpy of formation of gaseous carbon monosulfide has been estimated from

the reactions between CS,-gas and glowing carbon filaments and between metal sulfides and carbon. AH,, is about 60 kcal/mole.

Die a l t e r e Literatur iiber Kohlenstoffmonosulfid ist umfangreich. Sie ist jedoch zum groljen Teil iiberholt und liefert keinen Beitrag zum vorliegenden Problem. Wesentlich sind dagegen spektroskopische Untersuchungen, die zum Nachweis des gasformigen C S in der CS,- Flamme, bei der Photolyse von CS, und bei der Einwirkung von Hoch- frequenzentladungen auf CS, fiihrtenl) ,). Man hat ferner zuverlassigt. Werte fur die Norrnalentr~pie~) (SCb(g),298 = 50,28 cl) und die? spezifische Warme4) des Kohlenstoffmonosulfids (Cpcscg) =. 7,39 + 1,02 . 10-3 T - 0,51 . lo5 T-2) und schlieljlich einen groben Richtwert

1) Vgl. P. J. DYNE u. D. A. RAMSAY, J. chem. Physics 30, 1055 (1952) und die dort

2) Weitere Literaturangaben und eine eingehendere Wurdigung und Auswertung

3) K. K. KELLEY, Contr. Data Theor. Met. XI. Entropies. Bur. Mines, Bull.

4 ) K. K. KELLEY, Contr. Data Theor. Met. X. High-Temperature Hcat-Content

zitierte Literaturz).

friiherer Untersuchungen werden wir i n einer ausfuhrlicheren Abhandlung bringen.

477 (1950).

Bur. Mines, Bull. 476 (1949).

Z anorg. allg. Chemie. Bd. 206. 16

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248 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 296. 1958

fur die Dissoziation CS (g) = C (g) + S (g); A H = 166 f 23 kca15)'"). Die Unsicherheit dieser aus dem Spektrum ermittelten Dissoziations- warme ist jedoch so groB, dalj sich hierauf thermodynamische Rech- nungen von Gewicht nicht griinden lassen6). Durch Untersuchung der Gleichgewichte

und MeS (f) + C ( f ) = CS (g) + Me (g)

konnten wir jetzt neue Angaben iiber die Bildungsenthalpie des gas- formigen Kohlenstoffmonosulfids gewinnen.

cs, (g) + c (f) = 3 cs (9)

3. Die Heakt,ion von CY2 mit gliihenden Faden $us Kohlenstoff Die Untersuchung der dem BouDouARD-Gleichgewicht analogen

Reaktion CS, (g) + C ( f ) = 2 CS (g) bei Temperaturen um 1400" C ist mit Reaktionsrohren aus Hartporzellan oder Sintertonerde unmoglich, da diese Stoffe stark angegriffen werden. Zum Studium der genannten Reaktion konnen jedoch Faden aus Kohlenstoff verwendet werden. Sie werden unmittelbar elektrisch beheizt und gluhen in einer CS,-At- mosphare. Diesen Experimenten lag folgende Vorstellung zugrunde : .Am gliihenden C-Faden werden sich die Gleichgewichte

(1)

(2)

(1 + 2)

zumindest angenahert einstellen. Wie die Reaktionsgleichungen zeigen, hangen die Gleichgewichte (1) und (2) in unterschiedlicher Weise vom Gesamtdruck ab, denn nur Reaktion (2 ) findet mit Vermehrung der Molzahl statt. Bei gegebener Temperatur des Kohlenstoffs ist zu er- warten, daB die Reaktion (1) bei hoheren Drucken uberwiegt, d. h., daB sich C am Gliihfaden abscheidet. Bei hinreichend kleinen Drucken wird dagegen die Reaktion (2) iiberwiegen, d. h. Kohlenstoff wird durch die Reaktion verbraucht, der Gliihfaden wird dunner. Man kann nun den Druck experimentell eingabeln, bei dem der C-Faden weder dicker noch

cs, (d = c (f) + s, (9 )

cs, (9) + c (f) = 2 cs (g)

2 cs, (g) = s, (g) + 2 cs (€7)

5 , A. G. GAYDON, Dissociation Energies and Spectra of Diatomic Molecules, London 1947.

6a) A n m e r k u n g b e i d e r K or r e k t u r : Nach freundlicher Privatinitteilung yon Herrn Kollegen BARROW, Oxford, ist fur die Dissoziationsenthalpie des CS der Wert: d H ( 2 9 ~ = 182 kcal/Mol vorzuziehen. (A. LACERQVIST, H. WESTERLUID, C. V. WRIGHT und R . F. BARROW, Ark. Fysik, im Druck).

6 , Zur UngewiSheit iiber AH,, vgl. auch L. BREWER in L. L. QUILL, The Chemistry and hIetallurgy of Miscellaneous Materials, New York 1950, S. 6 i .

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SCHAFER u. WIEDEMEIER, Kohlenstoffmonosulfid im t.hermischen Gleichgewicht 143

dunner wird'). I n diesem Falle gilt die Stochiometrie der G1. (1 + 2) . Kennt man P, s, und den mit thermodynamischen Werten berechenbaren Teildruck Psi, so hat man auch P,,, wegen Pcb = 2 P,*. Zu prufen war, ob dieser ,,Umkehrpunkt" bei experimentell zuganglichen Bedingungen liegt.

Bei nur einmaliger Einstellung dieser Gleichgewichte am C-Faden bliebe der Effekt unmeabar klein. MeBbar wird er jedoch, wenn ein rnit CS, beladener Gasstrom am C-Faden vorbeistreicht oder wenn das Gleich- gewichtsgas durch Konvektion und Diffusion standig durch frisches CS,- Gas vom Gliihfaden verdrangt wird. Die Reaktionsprodukte S, und CS werden an der ,,kalten" Wand des Reaktionsraums kondensiert [ S (f); (CS),] oder disproportioniert ( 2 CS = C f CS,) und so standig aus dem System entfernt.

Solche Experimente waren im Prinzip rnit kauflichen Kohlen- fadenlampen moglich, die geoffnet und mit einem CS,-VorratsgefaB ver- bunden wurden .

Da sich das Glas der Gluhbirne bald mit braunen Reaktionsprodukten bedeckte, war cs zweckmafliger, den C-Faden mit eiiier Graphithalterung in einen 1-Liter-Rund- kolben zu montieren. Der Kolben trug seitlich ein Ansatzrohr, das durch ein Fenster abgeschlossen war. Es erlaubte die optische Messung der Temperatur des gluhenden C-Fadens. Der Kolben stand ferner rnit einem Gefafl in Verbindung, das CS, als Boden- korper enthielt. Seine Temperatur regelte den CS,-Druck im Reaktionsraum. AuRerdem honnte der Kolben (nach Ausfrieren des CS,) hochevakuiert werden. Die zur Reheizung des Kohlenstoff-Fadens angelegte Spannung und der Stroni wurden mit Prazisionsinstru- menten gemessen. Jeder Faden wurde zunachst so lange im Hochvakuum bei der vorgesehenen Versuchstemperatur gealtert, his sich sein elektrischer Widerstand nicht mehr anderte. Danach wurde der Hochvakuumteil durch Abschmelzen abgetrennt. Waren der vorgesehene CS,-Druck und die Temperatur des C-Fadens (meist 1500° C) eingestellt, so hielt man die angelegte Heizspannung konstant und beobachtete die Veranderung des Stroms als MaB fur die Zu- oder Abnahme der Dicke des C-Fadens.

Auf diese Weise wurden zahlreiche Versuche durchgefuhrt. Fur eine Fadentemperatur von 1500 & 25" C wurde gefunden, daB die Dicke des C-Fadens bei Pcs, = 127 mm zunahm, bei P,,* = 41 mm aber abnahm. Beide Effekte waren leicht meBbar. Eine weitere An- naherung an den Umkehrpunkt war im Hinblicli auf andere Fehler- quellen uberflussig. Wir setzen bei 1500" C fur den Umkehrpunkt Pcsl(AnfRnp) = 100 mm Hg = 0,13 a t ein. Im Gleichgewicht am C-Faden entspricht dies dem Gesamtdruck E P = Pc,, + P,, + P,, = 0,13 at.

') Diese Versuchsbedingung ist mit den Umkehrpunkten beim Bodenkorpertransport vergleichbar. Siehe den Si-Transport [H. SCHAFER u. B. MORCHER, Z. anorg. allg. Chem. 290, 279 (1957)J und den Cu,O-Transport [H. SCHAFER u. K. ETZEL, Z. anorg. allg. Chem. 191, 294 (1957)] mit heterogenen Gleichgewichten im Temperaturgefalle.

lG*

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244 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 296. 1958

Die thermodynamischen Zahlenwerte sind fur die Reaktion (1) gut bekannts). Fur 1500" C berechnet man P,*/PCs8 = 0,24. Damit und fur L'P = 0,13 a t erhalt man P,, = 0,018 at9), Pcy, = 0,076 a t und mit (1 + 2) schlieBlich P,, = 0,036 at. Fur das Reaktionsgleichgewicht (2)

- 1,7. 10-2. gewinnt man so Kp15000C = - -

rnit Ausnahme von AH (CS, g, 298) ; diese GroBe kann somit berechnet werden. Es ergibt sich fur C (f) + S ( f ) = CS (g):

P;,S pcs*

Ferner sind dafur alle thermodynamischen GroBen k k a n n t

AH (CS, g, 298) = 58 kcal.

Die Unsicherheit des Wertes durfte nicht, mehr als &- 5 kcal betragen.

2. Reaktionen vom Typ MeS (f) + c' ( f ) =Me (g) + CS (g)

Verdampft man Sulfide aus Kohletiegeln oder aus MeS + C-Ge- mengen bei Temperaturen iiber 1000" C, so wird in einigen Fallen Kohlen- stoff in bedeutender Menge mit verfluchtigt. Solche Beobachtungen wurden von PICON und FLAHAUT~~) und auch von K O H L M E Y E R ~ ~ ) ~ ~ ) beschrieben. Aus den Experimenten beider Gruppen geht hervor, daB mit manchen Sulfiden die Verfliichtigung des Kohlenstoffs angenahert im molekularen Verhaltnis C : MeS = 1 : 1 erfolgt. Dennoch unterblieb eine klare Interpretation und Auswertung im Sinne der Reaktion

MeS (f) + C ( f ) = Me ( g ) + CS (g).

v. ALLWORDEN und K O H L M E Y E R ~ ~ ) deuten zwar eine CS-Bildung an, spater12) spricht KOHLMEYER jedoch von MeCS-Molekeln. R. S C H E N C K ~ ~ ) fuhrt die Ergebnisse von V. ALLWORDEN und KOHLMEYER auf CS,- Bildung zuruck. PICON und FLAIIAUT lo) schlieBlich erklaren ihre Ver- suclisergebnisse durch ,,aFeotrope Verfluchtigung" von MnS und C2).

Die eigenen Experimente mit Gemengen von C mit MnS, MgS oder Cu,S (Graphittiegel), die bei 1300-1400" C irn Hochvakuum durch- gefuhrt wurden, bestatigten, ,,daB das Sulfid beim Verdampfen Kohlen- stoff mitnimmt" Dabei war die verfluchtigte C-Menge erheblich grol3er.

8) AH,,, nach F. D. ROSSINI, D. D. WAGMAN u. Mitarh., Selected Values of Chemical Thermodynamic Properties, Washington 1952; s,,, nach KELLEY 3, : c p nach KELLEY~).

9) P,, kann hier gegen PSz noch vernachlassigt werden. 10) M. PICON u. J. FLAHAUT, Bull. SOC. chin]. France [5], 17, 1070 (1950). I*) H. v. ALLWORDEN u. E. J. KOHLMEYER, Metal1 u. Erz 36, 578 (1939). 12) E. J. KOHLDIEYER, Erzhergbau u. RIetallhuttenwes. 3, 202 (1950); E. J. KOHL-

13) R. SCHENCK, Naturforsch. Med. Dtschl. 1939-1946 (FIAT-Ber.) 27, Anorg. AIEYER U. H. vc'. rtETZLAFF, z. anorg. Chell1. 261, 248, 256 (19.50).

C'tirtn. V. 81.

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SCHAF~R u. WIEDEMEIER, Kohlmstoffmonosulfid im therinischen Gleichgewicht 245

als fur die Bildung von CS, a l le in berechnet werden konnte. Daraus schliehn wir, daB ein erheblicher Teil des Kohlenstoffs unter CS-Bildung verbraucht wurde. Zur quantitativen Auswertung setzte man voraus, daB sich Reaktionsgleichgewichte einstellten und dal3 das Gleich- gewichtsgas Me, S, S,, CS, und CS nebeneinander enthielt. Mit thermochemischen Literaturwerten, der experimentell ermittelten Kohlenstoffverflucht,igung C/MeS und der Bedingung14) PMe =

P, + 2 PSz + P,, + 2 P,,, konnte man alle Gleichgewichtsdrucke berechnen. Der so gewonnene CS-Druck lieferte wie friiher AH,,. Fur die 3 untersuchten Sulfide ergab sich so AH,, = 60 f 6 kcal, was mit den Ergebnissen der Versuche am Kohlenstoff-Faden iiber- einst immt.

Von einer ausfuhrlichen Wiedergabe der Experimente und ihrer Auswertung sehen wir ab, weil zur Zeit genauere Gleichgewichtsmessun- gen im Gange sind.

AbschlieBend sei das BouDoUARD-Gleichgewicht mit der ent- sprechenden Reaktion der Schwefelverbindungen verglichen :

CO, + C = 2 C O ; AH,,, = 41,2 kcal;

CS, (g) + C = 2 CS (g); AH,,, = 90 kcal.

Der Unterschied in den AH-Werten macht verstandlich, daB CO bei Temperaturen um 500" C, CS aber erst bei Temperaturen urn 1400" C als Bestandteil des Gleichgewichtsgases Bedeutung gewinnt.

la) Diese Bedingung gilt fur MgS und MnS, wo das Metal1 vollstandig verfltchtigt murde. Mit Cu,S + C hinterblieb ein Cu-Ruckstand. Dadurch vereinfachte sich die Rechnung etwas.

Mulister, Anorganisch-Chemisches Institut der Universitat.

Bei der Redaktion eingegangen am 2. Jnni 1958.