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Kapitel 6 Martingale

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Kapitel 6Martingale

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Stochastische Prozesse 6.1 Martingale in diskreter Zeit

6.1 Martingale in diskreter Zeit

• Martingale spielen eine große Rolle in der Finanzmathematik, und sind zudem einwichtiges Hilfsmittel fur die statistische Inferenz stochastischer Prozesse, insbesondereauch fur Zahlprozesse (siehe Kapitel 7).

• Sei X = (Ω,A, P, Xt, t ∈ N) ein SP bzw. eine Folge von Zufallsvariablen. Mit

FXt = σ(Xt, Xt−1, . . . , X1) = σ(Xs, s ≤ t)

bezeichnen wir die t-Vergangenheit von X. Ist Zt, t ∈ N ein weiterer SP, etwa eineFolge von Kovariablen zu Xt, t ∈ N, dann bezeichnet

FX,Zt = σ(Xs, Zs, s ≤ t)

die t-Vergangenheit von X und Z. In beiden Fallen bilden die Ft eine aufsteigendeFolge von σ-Algebren

F1 ⊂ . . . ⊂ Ft ⊂ Ft+1 ⊂ . . . ⊂ A

Sommersemester 2010 189

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Stochastische Prozesse 6.1 Martingale in diskreter Zeit

• Definition: Filtration

Eine aufsteigende Folge von σ-Algebren

F1 ⊂ . . . ⊂ Ft ⊂ Ft+1 ⊂ . . . ⊂ A

heißt Filtration. Die t-Vergangenheit von X wird auch als naturliche Filtrationbezeichnet.

• Definition: Adaptiert

Ein stochastischer Prozess X = Xt, t ∈ N mit Werten in (S,S) heißt adaptiert zurFiltration F = Ft, t ∈ N, falls fur jedes t ∈ N gilt

σ(Xt) ⊂ Ft,

d.h. Xt ist Ft-S-messbar.Interpretiert bedeutet dies: Xt tragt nicht mehr Information als Ft.

Der stochastische Prozess X ist stets zur naturlichen Filtration adaptiert.

Sommersemester 2010 190

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Stochastische Prozesse 6.1 Martingale in diskreter Zeit

• Definition: Martingal

X = Xt, t ∈ N heißt Martingal bezuglich einer Filtration F = Ft, t ∈ N :⇔

1. E|Xt| <∞, t ∈ N

2. X ist adaptiert zu F .

3. E(Xt+1|Ft) = Xt

• Oft wird auch ohne direkten Bezug auf F definiert:

X heißt Martingal :⇔ Es existiert eine Filtration F = Ft, t ∈ N, so dass XMartingal bezuglich F ist.

• Bemerkung: Wesentlich ist Eigenschaft 3. Haufig wird diese im Fall der naturlichenFiltration auch geschrieben als

E(Xt+1|Xt, . . . , X1) = Xt.

• Exkurs zu bedingten Erwartungswerten.

Sommersemester 2010 191

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Stochastische Prozesse 6.1 Martingale in diskreter Zeit

• Folgerungen aus der Martingaleigenschaft:

1. E(Xt+k|Ft) = Xt

2. E(X1) = E(X2) = . . . = E(Xt)

• Aquivalente Definition uber Martingaldifferenzen (Zuwachse):

Eine Folge ∆ = ∆t, t ∈ N, fur die

E(∆t+1|Ft) = 0

gilt, heißt Martingaldifferenzfolge. Mit

Xt = ∆1 + . . .+ ∆t

ist dann Xt, t ∈ N ein Martingal. Die naturliche Filtration lasst sich dannaquivalent schreiben als

FXt = σ(∆t,∆t−1, . . . ,∆1).

Sommersemester 2010 192

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Stochastische Prozesse 6.1 Martingale in diskreter Zeit

• Definition: Semimartingale

X = Xt, t ∈ N heißt Sub- bzw. Supermartingal bezuglich der Filtration F :⇔

1. E|Xt| <∞, t ∈ N

2. X ist adaptiert zu F .

3. E(Xt+1|Ft) ≥ Xt (Submartingal) bzw. E(Xt+1|Ft) ≤ Xt (Supermartingal).

X heißt Semimartingal, wenn X entweder ein Sub- oder Supermartingal ist.

• Beispiele:

(a) Irrfarten: Sei ∆t, t ∈ N eine i.i.d. Folge mit E(∆t) = µ und

Xt = ∆1 + . . .+ ∆t bzw. Xt+1 = Xt + ∆t+1.

⇒ E(Xt+1|X1, . . . , Xt) = E(Xt + ∆t+1|Xt,∆t, . . . ,∆1)

= Xt + E(∆t+1)

= Xt + µ;

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Stochastische Prozesse 6.1 Martingale in diskreter Zeit

⇒ Xt Martingal fur µ = 0Xt Submartingal fur µ ≥ 0Xt Supermartingal fur µ ≤ 0

(b) Score-Funktion im Logit-Modell fur binare Markov-Ketten

Logit-Modell:P (Yt = 1|Xt, Yt−1) = h(X ′tβ + αYt−1) = πt

Score-Funktion fur Beobachtungen Y0, Y1, . . . , Yt:

St(β, α) =t∑

s=1

Zs(Ys − πs)︸ ︷︷ ︸=∆s(β,α)

, Zs = (X ′s, Ys−1)′, s ∈ N.

Es gilt:E(∆s(β, α)|Y1, . . . , Ys−1;Xs, . . . , X1)︸ ︷︷ ︸

Fs−1

= 0,

da E(Ys|Fs−1) = πs.

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Stochastische Prozesse 6.1 Martingale in diskreter Zeit

⇒ ∆t(β, α), t ∈ N bildet Martingaldifferenzfolge,

⇒ St(β, α), t ∈ N Martingal.

Diese Eigenschaft bildet die Grundlage fur asymptotische Likelihoodtheorie beiabhangigen Beobachtungen Y1, . . . , Yt, . . . , da Versionen des starken Gesetzesgroßer Zahlen und zentrale Grenzwertsatze fur Martingale existieren.

• Gesetz der großen Zahl fur Martingaldifferenzfolgen:

Sei ∆t, t ∈ N eine Martingaldifferenzfolge mit

E(∆2t ) <∞ und

∞∑t=1

1t2E(∆2

t |Ft−1) <∞,

dann gilt

limt→∞

1t

t∑s=1

∆s = limt→∞

1tXt = 0 f.s.

Sommersemester 2010 195

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Stochastische Prozesse 6.1 Martingale in diskreter Zeit

• Definition: Stoppzeit

Sei Ft eine Filtration. Eine Zufallsvariable τ mit Werten in 0, 1, 2, . . . ,+∞ heißtStoppzeit :⇔

τ ≤ t = ω : τ(ω) ≤ t ∈ Ft fur alle t

bzw. aquivalentτ = t ∈ Ft bzw. τ ≥ t ∈ Ft.

Damit hangt die Entscheidung, ob das Ereignis τ = t eintritt, nur von derVorgeschichte, aber nicht von der Zukunft ab.

• Definition: Spielsystem

Eine Folge von Zufallsvariablen Xt, t ∈ N heißt Spielsystem, wenn gilt

Xt+1 = Xt +Wt+1∆t+1, X1 = W1∆1.

mit

∆t unabhangige Zufallsvariable mit E(∆t) = 0 (Ergebnis des t-ten Spiels).Xt kumulierter Spielgewinn nach dem t-ten Spiel.Wt Einsatz im t-ten Spiel.

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Stochastische Prozesse 6.1 Martingale in diskreter Zeit

Die Spieleinsatze Wt ≥ 0 konnen in Abhangigkeit vom bisherigen Spielverlauf gewahltwerden, d.h. Wt ist vorhersagbar:

Wt = gt(Xt−1, . . . , X1) ⇔ Wt ist FXt−1-messbar.

Dabei ist gt eine deterministische, messbare Funktion.Es sei E|Ws∆s| <∞ fur alle s.

• Der Prozess X = Xt, t ∈ N der kumulierten Spielgewinne bildet ein Martingal.

• Martingal-Transformation: Allgemein bezeichnet man einen basierend auf einerMartingaldifferenzfolge ∆t und einem vorhersagbaren Prozess Wt definierten Prozess

Xt+1 = Xt +Wt+1∆t+1 =t+1∑s=1

Ws∆s

als Martingaltransformation W •∆.

Fur E(∆2t ) <∞ und E(W 2

t ) <∞ ist W •∆ ein Martingal.

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Stochastische Prozesse 6.1 Martingale in diskreter Zeit

• Verdopplungssystem beim Roulette

1. Setze auf Rot. Beginne mit dem Einsatz 1 und verdopple nach jedem Spiel denEinsatz.

2. Verdopple solange, bis zum ersten Mal Rot erscheint.

Dies entspricht dem Spielsystem

∆t =

+1, Rot erscheint ⇔ Gewinn

−1, Schwarz erscheint ⇔ Verlust

In Phase 1 des Verdopplungssystems ist

Wt = 2t−1, t = 1, 2, . . .

Xt = ∆1 + 2∆2 + . . .+ 2t−1∆t.

Die kumulierten Spielgewinne nach einer festen Anzahl von Spielen bilden einMartingal mit E(Xt) = 0.

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Stochastische Prozesse 6.1 Martingale in diskreter Zeit

Einfuhrung der Stoppzeit τ

τ(ω) := mint

(∆t(ω) = 1).

Die Stoppzeit τ ist geometrisch verteilt:

P (τ = t) =12t, t = 1, 2, . . . ⇒ P (τ <∞) = 1

Gewinn im Verdopplungssystem:

Xτ =

∆1 + 2∆2 + . . .+ 2τ−1∆τ , fur τ <∞undefiniert, fur τ =∞ (P (τ =∞) = 0)

Fur ω ∈ ω : τ(ω) <∞ gilt

Xτ(ω)(ω) = −1− 2− . . .− 2τ(ω)−2 + 2τ(ω)−1 = 1

und damitP (Xτ = 1) = 1.

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Stochastische Prozesse 6.1 Martingale in diskreter Zeit

Mit dem Verdopplungssystem kann man also das Spiel so steuern, dass man mitWahrscheinlichkeit 1 den Betrag 1 gewinnt. Casinos begrenzen daher die Anzahl derVerdopplungen.

• Optional Stopping Theorem

Sei Xt ein Martingal und τ eine Stoppzeit. Es gelte eine der folgenden Bedingungen

1. τ ist beschrankt (τ(ω) ≤ k fur alle ω ∈ Ω).

2. Xt ist beschrankt (|Xt(ω)| ≤ k fur alle ω ∈ Ω).

3. E(τ) <∞ und Xt −Xt−1 ist beschrankt.

Dann giltE(Xτ) = E(X1).

• Beim Spielsystem ”Verdoppeln” sind alle drei Bedingungen verletzt:

– τ ist nicht beschrankt.

– Xt und Xt −Xt−1 = ±2t−1 sind nicht beschrankt.

Die moglichen Verluste des Spielers sind jedoch auch unbeschrankt!

Sommersemester 2010 200

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Stochastische Prozesse 6.1 Martingale in diskreter Zeit

• Martingale in der Finanzmarkttheorie: Bt, . . . Sparbuch mit fester Zinsrate r.Sjt , t = 0, 1, 2, . . . , T Aktien mit zufalligem Wert (Preis) Sjt , j = 1, . . . , k.

• Definition: Eine Handelsstrategie ist ein vorhersagbarer (θt ∈ Ft−1) Prozessθ = θt, t = 1, 2, . . . , T mit Komponenten θjt , j = 0, 1, . . . , k.

Eine Handelsstrategie θt heißt selbstfinanzierend :⇔ θ′tSt = θ′t+1St ∀ t.

Eine Handelsstrategie birgt eine Arbitragemoglichkeit, falls es ein θ ∈ Θ gibt, so dassfur den Vermogensprozess Vt(θ) = θ′tSt gilt:V0(θ) = 0 (f.s.), VT (θ) ≥ 0 (f.s.) und PVT (θ) > 0 > 0 (⇒ E(VT (θ)) > 0).

• Satz: Fur einen (endlichen) Markt, d.h. eine Menge von Aktien undselbstfinanzierenden Handelsstrategien, gilt:

M(S,Θ) ist arbitragefrei (es gibt keine Handelsstrategie mit Arbitragemoglichkeit)⇔ Es existiert ein zu P aquivalentes W-Maß Q, so dass der deflationierteVermogensprozess

Vt(θ) = θ′t ·StBt

ein Martingal bezuglich Q ist.

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Stochastische Prozesse 6.1 Martingale in diskreter Zeit

• Doob-Meyer-Zerlegung fur Submartingale

Sei X = Xt, t ∈ N ein Submartingal, d.h. E(Xt+1|Ft) ≥ Xt.

Ziel ist die Zerlegung von Xt in einen vorhersagbaren, wachsenden Trend At und”Rauschen” ( = Martingal Mt).

Setze:M1 = X1, A1 = 0,

und definiere dann rekursiv

At = At−1 + E(Xt|Ft−1)−Xt−1

=t∑

s=2

E(Xs −Xs−1|Fs−1),

Mt = Xt −At.

Sommersemester 2010 202

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Stochastische Prozesse 6.1 Martingale in diskreter Zeit

Dann gilt die Doob-Meyer-Zerlegung

Xt = At +Mt,

wobei Mt ein Martingal und der Kompensatorprozess At wachsend undvorhersagbar ist, d.h. At ist Ft−1-messbar fur alle t.

• Beispiel: Diskrete Irrfahrt mit p > q.

Fur die Zuwachse gilt

E(Zt) = p− q = E(Xt −Xt−1|Ft−1).

Damit ergeben sich

At =t∑

s=2

E(Xs −Xs−1|Fs−1) = (t− 1)(p− q)

Mt = Xt − (t− 1)(p− q).

Sommersemester 2010 203

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Stochastische Prozesse 6.2 Martingale in stetiger Zeit

6.2 Martingale in stetiger Zeit

• Die Menge von σ-Algebren F = Ft, t ≥ 0 heißt Filtration, falls gilt

Fs ⊂ Ft, fur 0 ≤ s ≤ t.

X = Xt, t ≥ 0 heißt adaptiert zur Filtration Ft, t ≥ 0, falls gilt

σ(Xt) ⊂ Ft, t ≥ 0.

• Definition: Martingal

X = Xt, t ≥ 0 heißt Martingal bezuglich der Filtration F = Ft, t ≥ 0 :⇔

1. E|Xt| <∞ fur t ≥ 0.

2. X ist adaptiert zur Filtration F .

3. E(Xt|Fs) = Xs fur 0 ≤ s < t.

Sommersemester 2010 204

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Stochastische Prozesse 6.2 Martingale in stetiger Zeit

• X heißt Sub- bzw. Supermartingal, wenn anstelle von 3.

E(Xt|Fs) ≥ Xs bzw. E(Xt|Fs) ≤ Xs

gelten.

• Bemerkungen:

– Die naturliche Filtration ergibt sich wieder als die von Xs, s ≤ t erzeugteσ-Algebra.

– Falls zusatzlich ein Kovariablen-Prozess Zt, t ∈ R+ vorliegt, wird dieser in dieDefinition der Filtration einbezogen.

– Im Fall der naturlichen Filtration schreibt man 3. auch als

E(Xtn | Xtn−1, . . . , Xt1) = Xtn−1

fur alle t1 < . . . < tn, n ≥ 2.

Sommersemester 2010 205

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Stochastische Prozesse 6.2 Martingale in stetiger Zeit

• Beispiele:

– Der Wiener-Prozess ist ein Martingal (bzgl. der naturlichen Filtration FW ):

E(Wtn |Wtn−1, . . . ,Wt1)

= E(Wtn −Wtn−1 | . . .) + E(Wtn−1 |Wtn−1, . . . ,Wt1)

= E(Wtn −Wtn−1 |Wtn−1 −Wtn−2, . . . ,Wt2 −Wt1,Wt1) +Wtn−1

unabh. Zuwachse= E(Wtn −Wtn−1) +Wtn−1 = Wtn−1 fur 0 < t1 < · · · < tn.

– Der Poisson-Prozess ist ein Submartingal (bzgl. der naturlichen Filtration FN):

E(Nt | FNs ) = E(Nt −Ns | FNs ) + E(Ns | FNs )

= E(Nt −Ns) +Ns

= λ (t− s)︸ ︷︷ ︸>0

+Ns ≥ Ns fur s < t.

Der kompensierte Poisson-Prozess Nt − λt ist ein Martingal.

Sommersemester 2010 206

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Stochastische Prozesse 6.2 Martingale in stetiger Zeit

• Martingaltransformation bzgl. eines Wiener Prozesses W :

Fur eine Partition 0 = t0 < t1 < t2 < . . . < tn−1 < tn bildet

∆iW = Wti −Wti−1, i = 1, . . . , n

eine Martingaldifferenzfolge bzgl FWt .

Die Martingaltransformation W •∆W mit W = (Wti, i = 1, . . . , n)

(W •∆W )k =k∑i=1

Wti−1(Wti −Wti−1

)

ergibt ein Martingal.

Sommersemester 2010 207

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Stochastische Prozesse 6.2 Martingale in stetiger Zeit

• Sei Ft eine Filtration. Die σ–Algebra

F+t = σ

(⋂s>t

Fs

)

erlaubt einen ”infinitesimalen” Blick in die Zukunft, und

F−t = σ

(⋃s<t

Fs

)

umfasst alle Ereignisse bis unmittelbar vor t.

• Ubliche Bedingungen an eine Filtration:

1. Ft ist rechtsstetig :⇔ Ft = F+t fur alle t

2. F ist vollstandig :⇔ Fur C ⊂ B ∈ A mit P (B) = 0 folgt C ∈ F0 ⊂ A (undP (C) = 0).

Im weiteren werden die ublichen Bedingungen vorausgesetzt.

Sommersemester 2010 208

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Stochastische Prozesse 6.2 Martingale in stetiger Zeit

• Die naturliche Filtration Ft = σ(Xs, s ≤ t) ist rechtsstetig, wenn die Pfade von Xrechtsstetig sind.

• Definition: Vorhersagbar

Ein Prozess A = At, t ≥ 0 heißt vorhersagbar (bezuglich der Filtration Ft) :⇔fur alle t ≥ 0 gilt

1. At ist Ft-messbar, und

2. At ist F−t -messbar.

• Bedingung 2. ist erfullt, falls gilt At = gt(As, s < t) mit einer messbaren, determi-nistischen Funktion gt. Hinreichend fur die Vorhersagbarkeit ist, dass A linksseitigstetige Pfade besitzt.

Sommersemester 2010 209

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Stochastische Prozesse 6.2 Martingale in stetiger Zeit

• Doob-Meyer-Zerlegung:

Sei Nt, t ∈ R+ ein rechtsstetiges, nichtnegatives Submartingal oder ein beschrank-tes Submartingal, und Ft eine Filtration, die die ”ublichen Bedingungen” erfullt.Dann existieren ein vorhersagbarer Prozess At, t ∈ R+ und ein Martingal Mt, t ∈R+, so dass

Nt = At +Mt

fur alle t gilt. Der Prozess A = At heißt Kompensator von N .

• Beispiele:

(a) Homogener Poisson-Prozess:

Mt = Nt − λt ist ein Martingal.

Der Kompensator At = λt ist in diesem Fall sogar deterministisch.

Sommersemester 2010 210

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Stochastische Prozesse 6.2 Martingale in stetiger Zeit

(b) Inhomogener Poisson-Prozess:

Mit Λ(t) =∫ t

0λ(u)du gilt

E(N(t)− Λ(t)|Fs) = E(N(t)−N(s) +N(s)− Λ(t)|Fs)= Λ(t)− Λ(s) +N(s)− Λ(t)

= N(s)− Λ(s),

d.h. M(t) = N(t) − Λ(t) ist ein Martingal. Somit ergibt sich die Doob-Meyer-Zerlegung

N(t) = Λ(t) +M(t),

und die kumulierte Rate Λ(t) ist der Kompensator.

Sommersemester 2010 211