kammerwühlen und adams-stokes scher symptomkomplex

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62 KLINISCt{E WOCHENSCHRIFT. 4. JAHRGANG. Nr. 2 8. JANUAR 1925 Beide Versuchsreihen haben nun unsere Annahme auf das glanzendste bestgtigt. Die nebennierenexstirpierten Tiere zeigten bet geringer Bestrahlung eine ungew6hnlich rasch nach der 13estrahlung einsetzende fiberaus starke Miosis, die jetzt auf der operierten Seite, wo der Widerstand des denervierten Dilatators schwgcher war, weft fiberwog. Ein Beweis, dab der am normalen Tier auf der operierten Seite zur Geltung kommende miosishemmende Stoff tatsachlich Adrenalin war. Bei groBen Dosen trat ebenso wie bei dell oben erwahnten Fallen mit Starkbestrahlung eine Mydriasis ein, die auf der nnoperierten Seite stgrker war. Die pankreasexstirpierten Tiere zeigten umgekehrt bet geringen Dosen eine sehr starke 3/iydriasis auf dem cervical- exstirpierten Auge, eine geringere auf dem normalen, jedoch keine Miosis, ]3esonders interessant gestalteten sich die Insulinversuche am cervicalexstirpierten Tier. Hier hatte ABE unter Leitung TRENDELENBURGS schon vorgearbeitet. Das Insulin, das uns zur Verffigung stand, war dasselbe, das ABE verwendet hatte. Wit verdanken es der Liebenswtirdigkeit Herrn Dr. PIETR- KOWSKIS, der es nach eigenem Verfahren aus Pankreasdispert herstellte*). ABE hatte gefunden, dab jede Insulininjektion vom Organismus beantwortet wird mit einer machtigen kom- pensatorischen Adrenalinaussehfittullg, derzufolge am cervical- operierten Auge eine deutliche Mydriasis entsteht. Am nor- malen Auge land aber schon ABE eine, wenn auch geringe und inkonstante Durchbrechung der Atropillmydriasis im Sinne einer geringen Miosis. Das geht aus seinen Protokollen hervor. Es war uns klar, dab gerade dieser letzte Befund, den ABE offenbar nicht beachtete, und den auch wir erheben konnten, den Schltissel zu unserem Geheimllis barg. Nur muBte der st6rende Einflug des antagonistischen Adrenalins vorher be- seitigt werden. Das Ergebnis der weiteren Versuche war dann v611ig eindeutig. Am nebennierenexstirpierten Tier bewirk.t eine intraven6se Insutillinjektion eine sofortige Durchbrechullg der vorher- gehenden Atropinisierung und eine mit bloBem Auge zu ver- folgende, starke, konzentrische Miosis mit llachfolgendem Wie- dereintritt der Lichtempfindlichkeit**). Ja, sogar intracon- junctivale Applikation durchbricht bei richtiger Dosierung die Atropinmydriasis. Damit ist der t{ing geschlossen. Die Zusammenhange zwischen der Miosis und dem Blutzuckersturz liegen Mar zu- tage. Auch die Illkonstanz der Befunde wird plausibel in ihrer Bedingtheit durch 2 Faktoren, die ill wechselvollem Kr~ftespiel je nach Individualitat, Dosierung und Ort der Bestrahlung ihr Gleichgewicht bald mehr nach dieser, bald mehr nach jener Seite bin verschieben. Des weiteren scheint die gerade zur Zeit so heig umstrittene. Frage der M6glichkeit ether R6ntgenreizwirkung in den vorliegenden Untersuehungen wenigstens ffir den iunktionellen Reiz auf Pankreas und Neben- nieren ihre eindeutige Antwort ill bejahendem Sinne zu linden, um so mehr, als die dadurch bedingte Insulinmehrsekretion sich noch monatelang nachweisen l~13t. Noch nach mehr denn 8o Tagen wird die erneut atropinisierte Pupille innerhalb weni- ger Stnnden wieder eng und lichtempfindlich. Dies is~cauch der Punkt, wo die M6glichkeit ether even• auch therapeutisch wichtigen Dauerumstimmung des Organismus auftaucht, die man sich etwa im Sinne einer Zuckerverarmung des Gewebes und damit Verschlechterung des N/~hrbodens ffir gewisse Krank- heiten denken k6nnte, die, wie z. t3. die Furunculose oder das Carcinom -- die Arbeiten WARBURGS legen das nahe --, auf zuckerreiche N~hrb6den angewiesen sin& Wir glauben jedoch nicht unbescheiden zu seth, wenn wit zum Schlusse bemerken, dab auch fiber den engeren IKreis der Strahlenwissenschaft hinaus nnsere Ergebnisse uns ffir die Gesamtmedizin yon Bedeutung erscheinen. Zum I. Mal, soweit wir die Literatur fibersehen, ist In- sulin im arteriellen Blur nachgewiesen und seine Einwirkung auf die Kaninchenpupille gezeigt wordell. Es wird ein leichtes *) Anmerkung bei dev Korrektu'r: Inzwischenzeigte auch Iloglandol (LA ROCHE) die gleicheWirkung. **) Anmerkung bet der Korrektur: Dabei gelingt es, durch intravenSse Trauben- zuckerinfusion die Miosis wieder riickg~ingig zu machen. sein, die Methode auch quantitativ analog der Methode des Adrenalinnachweises auszubauen. Es ist zu vermuten, dab sic sich dabei auch zur pharmakologischen Auswertung der ver- schiedenen Insulinpraparate brauchbar erweisen wird. In demselben Sinne ware vielleicht der Antagonismus gegen die Atropinmydriasis zu verwerten, deren bisher v611ig ungeklartes auffallend langes ]3estehenbleiben jetzt dem Verstandnis we- sentlich nghergerfickt erscheint. Endlich taucht am Horizont erneut die gesamte Parasympathicusfrage auf. Es fragt sicb, wie der Wirkungsmechanismus des Insulins am Auge ist, und weiterhin, falls das Hormon ta• analog dem Adrenalin an dell Parasympathicusendigungen des Sphincters angreifen sollte, ob es in ahnlich elektiver Weise auch an anderen auto- nom innervierten Organen parasympathisch-erregende Wir- kung hat. Eille solche Feststellung wgre naturgem~13 ffir die Lehre vom Parasympathicus yon grundlegender Wichtigkeit. KAMMERWOHLEN UND ADAMS-STOKESSCHER SYMPTOMKOMPLEX. Von Prof. Dr. H. yon HOESSLIN, Berlin. Vor nicht langer Zeit konnte ich fiber kurz dauerndes Kammerwi~hlen des menschliehen Herzens berichten, das nicht zum Tode ffihrte, sondern wieder in extrasystolische UnregelmaBigkeit fiberging, die vorher bestanden hatte. Ich habe damals auch ausffihrlicher die sparlichen Beobachtungen anderer Autoren fiber dies seltene Vorkommnis mitgeteilt. Letzthin war ich nun in der Lage, E.-K.-Kurven bet einer Patientin mit v611iger Dissoziation w~hrend zweier Adams- Stokesschen Anfalle aufzunehmen, die i~ber eine l~ngere Zeitspanne hindurch unzweifelhaftes Kammerwfihlen auf- wiesen, und bet denen die Patientin sich trotz der Schwere der Anfalle wieder v611ig erholte. Die Krankengeschichte set kurz vorangeschickt: E. Z., 31 ]ahre. Frfiher hie erheblich erkrankt, sparer zweimal leichtere Grippe. Etwa vor einem Jahre stellten sich ohne erkenn- bare Ursache t-Ierzbeschwerdell derart ein, dab plStzlich Anf~ille yon aufsteigendem Angstgefflhl, Beklemmung in der Herzgegend, Atemnot und Schwindel auftraten. Sic dauerten zuni~chst nur einige Sekunden und waren verh~ltnism~Big selten. In dell letzten Wochen vor der Krankenhausanfnahme h~uften sic sich zu bestimmten Zeiten, und zwar besonders w~hrend der Periode; sie traten jetzt bis Iomal am Tage auf und waren mit BewuBtlosigkeit verkniipft. Nach Beendigung ffihlte sich die Patientin auBerordentlich schwach und konnte schlieBlich auch in der anfallsfreien Zeit nicht mehr auBer Bette sein. Aufnahmebefnnd 16. VI. 1924: Mittelkr~ftige Patientin, Mus- kulatur und Fettpolster genfigend entwickelt, Hautfarbe auffallend blaB, Lippen dauernd bl~ulich verf~.rbt, keine Odeme. Schon bet der ersten Besichtigung fiel eine eigenartige Pulsation am Halse auf, und zwar konnte man ohne weiteres etwa 36 starke Erhebungen der Carotis z~hlen und yon dieser unabh~ngig sehr viel mehr Meine in regelmgBigem Abstande folgende kurze An- schwellungen der ]ugularis. Zeitenweise folgten auch 2 Erhebungen der Carotis, eine gr613ere und eine kleinere, ziemlich rasch hinter- einander, worauf sich eine etwas l~ngere Pause anschloB. Der Puls an der Radialis entsprach dell groBen Erhebungen. -- Herzgrenzen links ein Querfinger auBerhalb der Brustwarzenlinie ein Querfinger fiber dem rechten Brustbeinrand, 3. Rippe; SpitzenstoB nach unten verlagert, fiber der Spitze deutliches systolisches und priisystolisches Ger~usch. Vorhofst6ne zwischen den Ventrikelt6nen deutlich h6rbar. Blutdruck 12o : 65 mm Hg R.-R. Bet der Durchleuchtung war deutlich das rasche unabh~ngige Schlagen beider Vorh6fe des stark vergrSBerten 7r zu be- obachten. An den fibrigen Organen kein wesentlicher Befulld, auch Nerven- system normal. Wassermann negativ. Einige Tage nach der Aufnahme stellten sich zum ersten Male einige"Sekunden dauernde Anfalle aus heiterem Himmel ein. Das Gesicht wurde blau, die Patientin richtete sich im Bette auf, griff an das Herz und stShnte, atmete tier und wurde unter Auftreten eines leiehten tonischen Krampfzustandes bewuBtlos. Wghrend dieser Zeit setzte der Puls v611ig aus, nm etwa nach io bis 2o Sekunden langsam unter Wiederkehr

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Page 1: Kammerwühlen und Adams-stokes Scher Symptomkomplex

62 K L I N I S C t { E W O C H E N S C H R I F T . 4. J A H R G A N G . N r . 2 8. JANUAR 1925

Beide Versuchsreihen haben nun unsere Annahme auf das glanzendste bestgtigt .

Die nebennierenexst i rp ier ten Tiere zeigten bet geringer Bes t rah lung eine ungew6hnlich rasch nach der 13estrahlung einsetzende fiberaus s tarke Miosis, die j e t z t auf der oper ier ten Seite, wo der Widers tand des denervier ten Di la ta tors schwgcher war, weft fiberwog. E in Beweis, dab der am normalen Tier auf der operier ten Seite zur Gel tung kommende mios ishemmende Stoff ta t sachl ich Adrenal in war. Bei groBen Dosen t r a t ebenso wie bei dell oben e rwahnten Fal len mi t S tarkbes t rah lung eine Mydriasis ein, die auf der nnoper ier ten Seite s tgrker war.

Die pankreasexs t i rp ier ten Tiere zeigten umgekehr t bet geringen Dosen eine sehr s tarke 3/iydriasis auf dem cervical- exs t i rp ier ten Auge, eine geringere auf dem normalen, jedoch keine Miosis,

]3esonders in teressant ges ta l te ten sich die Insul inversuche am cervica lexs t i rp ier ten Tier. Hier ha t t e ABE unter Le i tung TRENDELENBURGS schon vorgearbei te t . Das Insulin, das uns zur Verffigung stand, war dasselbe, das ABE verwende t hat te . Wi t ve rdanken es der Liebenswtirdigkei t Her rn Dr. PIETR- KOWSKIS, der es nach e igenem Verfahren aus Pankreasdisper t herstellte*). ABE ha t te gefunden, dab jede Insul in in jekt ion v o m Organismus bean twor te t wird mi t einer mach t igen kom- pensator ischen Adrenal inaussehfi t tul lg, derzufolge a m cervical- oper ier ten Auge eine deut l iche Mydriasis ents teht . A m nor- malen Auge land aber schon ABE eine, wenn auch geringe und inkons tan te Durchbrechung der Atropi l lmydr ias is im Sinne einer ger ingen Miosis. Das geht aus seinen Protokol len hervor.

Es war uns klar, dab gerade dieser le tz te Befund, den ABE offenbar n ich t beachtete , und den auch wir erheben konnten, den Schltissel zu unserem Geheimllis barg. Nur muBte der s t6rende E inf lug des antagonis t i schen Adrenal ins vorher be- sei t igt werden. Das Ergebnis der wei teren Versuche war dann v611ig eindeutig.

A m nebennierenexst i rp ier ten Tier bewirk.t eine in t raven6se Insut i l l in jekt ion eine sofort ige Durchbrechul lg der vorher- gehenden Atropinis ierung und eine mi t bloBem Auge zu ver- folgende, starke, konzentr ische Miosis mi t l lachfolgendem Wie- dere in t r i t t der Lichtempfindl ichkei t**) . Ja, sogar in t racon- junc t iva le Appl ika t ion durchbr ich t bei r icht iger Dosierung die Atropinmydrias is .

D a m i t is t der t{ing geschlossen. Die Zusammenhange zwischen der Miosis und dem Blutzuckers turz liegen Mar zu- tage. Auch die I l lkonstanz der Befunde wird plausibel in ihrer Bed ing the i t durch 2 Faktoren , die ill wechselvol lem Kr~ftespiel je nach Indiv idua l i ta t , Dosierung und Ort der Bes t rah lung ihr Gleichgewicht bald mehr nach dieser, bald mehr nach jener Seite bin verschieben. Des wei teren scheint die gerade zur Zeit so heig umstr i t tene . Frage der M6glichkeit ether R6ntgenre izwi rkung in den vor l iegenden Unte r suehungen wenigstens ffir den iunkt ionel len Reiz auf Pankreas und Neben- nieren ihre e indeut ige An twor t ill be j ahendem Sinne zu l inden, u m so mehr, als die dadurch bedingte Insul inmehrsekre t ion sich noch mona te l ang nachweisen l~13t. Noch nach mehr denn 8o Tagen wird die e rneut a tropinis ier te Pupil le innerhalb weni- ger S tnnden wieder eng und l ichtempfindl ich. Dies is~c auch der Punkt , wo die M6glichkeit ether even• auch therapeut i sch wicht igen D a u e r u m s t i m m u n g des Organismus auf taucht , die man sich e twa im Sinne einer Zuckerve ra rmung des Gewebes und dami t Verschlechterung des N/~hrbodens ffir gewisse Krank- hei ten denken k6nnte, die, wie z. t3. die Furunculose oder das Carcinom -- die Arbei ten WARBURGS legen das nahe - - , auf zuckerreiche N~hrb6den angewiesen sin&

Wir glauben jedoch nicht unbescheiden zu seth, wenn wit zum Schlusse bemerken, dab auch fiber den engeren IKreis der Strahlenwissenschaf t hinaus nnsere Ergebnisse uns ffir die Gesamtmediz in yon Bedeu tung erscheinen.

Zum I. Mal, soweit wir die L i t e ra tu r fibersehen, is t In- sulin im arteriel len Blur nachgewiesen und seine E inwi rkung auf die Kaninchenpupi l le gezeigt wordell. Es wird ein leichtes

*) Anmerkung bei dev Korrektu'r: Inzwischen zeigte auch Iloglandol (LA ROCHE) die gleiche Wirkung. **) Anmerkung bet der Korrektur: Dabei gelingt es, durch intravenSse Trauben- zuckerinfusion die Miosis wieder riickg~ingig zu machen.

sein, die Methode auch q u a n t i t a t i v analog der Methode des Adrenal innachweises auszubauen. Es ist zu vermuten , dab sic sich dabei auch zur pharmakologischen Auswer tung der ver- schiedenen Insu l inprapara te b rauchbar erweisen wird. In demselben Sinne ware viel leicht der An tagon i smus gegen die At ropinmydr ias i s zu verwerten, deren bisher v611ig ungeklar tes auffal lend langes ]3estehenbleiben j e t z t d e m Verstandnis we- sentl ich nghergerf ickt erscheint. Endl ich t a u c h t am Hor izont erneut die gesamte Parasympath icus f rage auf. Es f ragt sicb, wie der Wirkungsmechan ismus des Insulins am Auge ist, und weiterhin, falls das H o r m o n ta• analog dem Adrenal in an dell Pa rasympath icusend igungen des Sphincters angreifen sollte, ob es in ahnl ich e lekt iver Weise auch an anderen auto- nom innervier ten Organen parasympath i sch-e r regende Wir- kung hat . Eille solche Fes ts te l lung wgre naturgem~13 ffir die Lehre v o m Pa rasympa th i cus yon grundlegender Wicht igkei t .

KAMMERWOHLEN UND ADAMS-STOKESSCHER SYMPTOMKOMPLEX.

Von

Prof . Dr . H . y o n HOESSLIN, Ber l in .

Vor n icht langer Zeit konnte ich fiber k u r z d a u e r n d e s K a m m e r w i ~ h l e n des menschl iehen Herzens berichten, das nicht zum Tode ffihrte, sondern wieder in ext rasys tol ische UnregelmaBigkei t fiberging, die vorher bes tanden hat te . Ich habe damals auch ausffihrlicher die sparl ichen Beobach tungen anderer Autoren fiber dies seltene Vorkommnis mitgetei l t . Le tz th in war ich nun in der Lage, E . - K . - K u r v e n bet einer Pa t ien t in mi t v611iger Dissoziat ion w~hrend zweier Adams- Stokesschen Anfal le aufzunehmen, die i~ber e ine l~ngere Z e i t s p a n n e h i n d u r c h unzweifelhaftes Kammerwf ih len auf- wiesen, und bet denen die Pa t i en t in sich t ro tz der Schwere der Anfal le wieder v611ig erholte.

Die Krankengeschichte set kurz vorangeschickt: E. Z., 31 ]ahre. Frfiher hie erheblich erkrankt, sparer zweimal

leichtere Grippe. Etwa vor einem Jahre stellten sich ohne erkenn- bare Ursache t-Ierzbeschwerdell derart ein, dab plStzlich Anf~ille yon aufsteigendem Angstgefflhl, Beklemmung in der Herzgegend, Atemnot und Schwindel auftraten. Sic dauerten zuni~chst nur einige Sekunden und waren verh~ltnism~Big selten. In dell letzten Wochen vor der Krankenhausanfnahme h~uften sic sich zu bestimmten Zeiten, und zwar besonders w~hrend der Periode; sie traten jetzt bis Iomal am Tage auf und waren mit BewuBtlosigkeit verkniipft. Nach Beendigung ffihlte sich die Patientin auBerordentlich schwach und konnte schlieBlich auch in der anfallsfreien Zeit nicht mehr auBer Bette sein.

Aufnahmebefnnd 16. VI. 1924: Mittelkr~ftige Patientin, Mus- kulatur und Fettpolster genfigend entwickelt, Hautfarbe auffallend blaB, Lippen dauernd bl~ulich verf~.rbt, keine Odeme.

Schon bet der ersten Besichtigung fiel eine eigenartige Pulsation am Halse auf, und zwar konnte man ohne weiteres etwa 36 starke Erhebungen der Carotis z~hlen und yon dieser unabh~ngig sehr viel mehr Meine in regelmgBigem Abstande folgende kurze An- schwellungen der ]ugularis. Zeitenweise folgten auch 2 Erhebungen der Carotis, eine gr613ere und eine kleinere, ziemlich rasch hinter- einander, worauf sich eine etwas l~ngere Pause anschloB. Der Puls an der Radialis entsprach dell groBen Erhebungen. -- Herzgrenzen links ein Querfinger auBerhalb der Brustwarzenlinie ein Querfinger fiber dem rechten Brustbeinrand, 3. Rippe; SpitzenstoB nach unten verlagert, fiber der Spitze deutliches systolisches und priisystolisches Ger~usch. Vorhofst6ne zwischen den Ventrikelt6nen deutlich h6rbar. Blutdruck 12o : 65 mm Hg R.-R.

Bet der Durchleuchtung war deutlich das rasche unabh~ngige Schlagen beider Vorh6fe des stark vergrSBerten 7r zu be- obachten.

An den fibrigen Organen kein wesentlicher Befulld, auch Nerven- system normal. Wassermann negativ.

Einige Tage nach der Aufnahme stel l ten sich zum ersten Male einige"Sekunden dauernde Anfal le aus he i t e rem H i m m e l ein. Das Gesicht wurde blau, die Pa t ien t in r ich te te sich im Be t t e auf, griff an das Herz und stShnte, a tme te tier und wurde unter Auf t re ten eines le iehten tonischen Krampfzus tandes bewuBtlos. Wghrend dieser Zeit se tz te der Puls v611ig aus, nm e twa nach io bis 2o Sekunden langsam unter Wiederkehr

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8. JANUAR 1925 K L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . 4. J A H R G A N G . Nr. 2

der frtiheren Gesichtsfarbe und Erwachen der Patientin wieder einzusetzen. Dann wurde er fiir kurze Zeit auffallend rasch, ging bis auf 96 Schl~ge hinauf und erst nach i - - 2 Mi- nuten schlug das Herz den alten langsamen Rhythmus weiter; man sah auch wieder die regelm~il3igen kurzen Erhebungen

Abb. i. Ende des Kammerwiihlens, vonst~indiger Ventrikelstillstand bei fortschlagendem Vorhof.

an der ]ugularls, die w~hrend des Anfalles einer starken Stauung Platz gemacht batten.

Es handelie sich also um einwandfreie Adams-Stokessche AnJi~lle, bei vfUiger dauernder Dissoziation yon Vorho] und Kammer, die sich im Laufe der ngchsten Tage wiederholten und an Heftigkeit zunahmen. Wghrend der ganzen Zeit yore 15. bis 20. hat te die Periode gedauert, dann setzten die Anfglle fiir 3 Wochen aus, ohne dab in dem Verhalten des Pulses sich etwas gnderte.

Am 14. VII. setzten die Menses yon neuem ein, und am 16. ereignete sich ein Anfall yon groBer Heftigkeit, ebenso in den folgendeu Tagen, doch nahm ihre St~irke dann wieder ab. Die niichsten Wochen waren anfallsfrei, und ebenso blieb es nun die Zeit w~hrend der n~chsten Men- struation.

An der Herzt~tigkeit ~nderte sich in der Zwischenzeit nichts, der Puls blieb dauernd auf 3 ~ bis 36 Schl~gen re- gelm~Big stehen, nut zeitenweise war ein Bigeminus mit etwa 3 ~ Doppelschl~igen eingeschaltet. Carotisdruck blieb ohne den geringsten EinfluB, ebenso Atropin in Mengen bis I mg intravenSs gegeben. Einmal ereignete sich ein Anfall, als die Patientin gerade im Elektrokardiographenzimmer Atropin erhalten hatte. W~ihrend der letzten Menstruationsperiode erhielt sie 3mal t~glich o,25 mg. Nach den friiheren Erfahrungen ist abet nicht anzunehmen, dab die AnfXlle dadurch ausblieben. Digitalis in Form yon 3mal IO Tropfen Digipurat ~nderte nichts, ebensowenig o,2 Coffein intraven6s; o,24 Euphyllin intraven6s blieb ohne EinfluB. L~ngere Zeit hindurch wurden 4mal 2o Tropfen 5 proz. J K-LSsung gegeben (trotz.einwandfreier Vorgeschichte und negativen Wassermanns). Ob durch diese

63 aufgesetzt sind. Dann folgen einige SchlXge anderer Form und diesen eine Periode von 4 ~ Sekunden, w/ihrend welcher im ganzen 9 Ventrikelausschl~ge verschiedener Form, die meisten gegen Schlul3 dieser Periode einsetzen. Das liingste Intervall zwischen 2 Kammerschl~igen betrug 17 Sekunden.

Die Vorh6fe schlugen dauernd welter, I34mal a. d. Min. berechnet, nicht immer in ganz gleichem Abstande. Nach dieser Periode setzten einige Doppelschl~ge ein, dann wechselnd einfache und Doppel- schl~ge und schlieBlich 6o~ groBe Ventrikel- schwankungen (a. d. Min.) bei 156 Vorhofs. wellen, mehr yon der Form rechtsseitiger Kammerextrasystolen. An diese schlossen

sich wieder mehrere Erhebungen mehr yon der linksseitigen Form an, und wechselten mit ersteren ab (Abb. 2), und zwar fiir die Dauer einer Minute in beschleunigter Schlagfolge (bis 96 Schl~ge i. d. Min.) ; zuweilen schien es beinahe, als ob die Kammern wieder in Wiihlen fibergehen wollten. Zuletzt kam es zu einer Periode von ann~hernd normalen Ventrikel- ausschl~igen (64 a. d. Min.) bei lO8 Vorhofserhebungen, die in keiner Beziehung zum Ventrikel stehen find zuweilen auch negativ sind. Die ganze Zeitspannung yon der Erholung der Ventrikelt~it~gkeit bis zum Einsetzen der alten Schlagfolge yon 36 betrug etwa i Min.

Abb. 2. VSllige Dissoziation mit Kammersystolen yon verschiedenem Typ und a-v Schl/igen

Drei Tage sparer gelang uns, dann einen erneuten Anfall am E.-K. zu beobachten. Ibm voran gingen einige Zeit ein Bigeminus yon 25 Doppelschl~igen (Abb. 3); gelegentlich war auch eine Trigeminusperiode eingeschaltet bei 96 Vorhofsschl~- gen. Die E.-K.-Kurve des nun folgenden Anfalles zeigte noch gr6Bere Unregelm~Bigkeit als die des vorangehenden (Abb. 4) : wieder Wiihlen mit gr6geren ungleich geformten Schl~igen (29o i. d. Min.), denen kleinere Wellen aufgesetzt waren, deren Zahl auf etwa 126o i. d. Min. berechnet wurde. Die Periode des Wiihlens dauerte eine gute halbe Minute. Die letzten Ausschl~ge waren erheblich grSBer und breiter als die voran-

Abb. 3. Kammerbigeminie

beiden letzten Mittel das t-Ierz beeinfluBt wurde, l~igt sich nicht sagen, die Schlagfolge jedenfalls nicht. Am meisten schien die v611ige Ruhe und w~hrend der Anfallszeit eine Eisblase auf das Herz zu helfen. Am Schlusse fiihlte sich die Patientin leidlich wohl und stand auf; an der Herzt~tigkeit hat te sich bis auf das Ausbleiben der Anf~ille nichts ge~indert.

Wie gesagt, konnten zweimal w~hrend der Anf~lle E.-K.- Kurven aufgenommen werden; diese zeigten zu unserem Er- staunen dutch l~ngere Zeit einwandfreies Ventrikelwtihlen, ein Vorkommnis, welches bisher weder im Verlaufe Adams- Stokesscher Anf~ille noch iiberhaupt in soIcher Dauer mit v611iger Resti tution am Menschen beobachtet worden ist. Die erste Aufnahme (Abb. i) setzte ein, nachdem der Anfall etwa 3 ~ Sekunden gedauert hatte. Sie zeigt uns noch w~ihrend 22 weiterer Sekunden Ausschl~ige, die auch in Tierversuchen dem Wtihlen entsprechen. Es sind 210 (a. d. M.) m~iBig grol3e, gleichm~iBige Erhebungen, denen nicht z~hlbare kleine

bei vSlliger Dissoziation.

gehenden, und dann folgte nach einem einzelnen Kammer- schlag eine ;e611ige Pause in den Kammerkontraktionen yon etwa IO--15 Sek. bei stark verlangsamten und v611ig unregel- m~Bigen Vorhofschl~gen (Abb. 5). Nach dieser setzten wieder Ventrikelschl~ge ein, mehr in Form der linksseitigen Extra- systolen und nun eine rasche Ventrikelschlagfolge yon 132 bis 144 Schl~gen i. d. Min. bei 204 Vorhofschl~gen. Auf eine weitere kurze Periode ungleicher und unregelm~tBiger Kammer- erhebungen (9o i. d. Min. bei 174 P.-Zacken) kam es wieder zur alten Schlagfolge yon 34--36 Pulsen. Nie, auch nicht w~hrend der beschleunigten Kammert~tigkeit, bestand eine Abh~ngigkeit der Kammern vom Vorhof.

Wit haben hier also eine Kranke mit v611iger und dauernder Dissoziation yon Vorhof und Kammer vor uns, bei der in bestimmten Perioden die als Adams-Stokes sehr bekannten Anf~lle mit zunehmender St~rke auftreten. Das AuBer- gewShnliche und Neue daran ist, dab die Anf~lle mit einer

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Periode yon Kammerwiihlen beginnen, worauI erst ein 1Anger dauernder Ventrikelstillstand eintritt. Die Dissoziation allein wird, wie auch in anderen F~llen, ohne schwerere St6rungen vertragen, nur befindet sich die Patientin dauernd in einem Zustand verminderter Leistungsf~higkeit. Erst mit dem Beginn des Kammerwfihlells stellen sich jedesmM die bedroh- lichen Erscheinungell ein, genau so wie in denjenigen F~llen, bei denen nach unvollkommener Dissoziation eine p16tzliche Blockierung der Kammer einsetzt. Der ~)bergang vom Kammerwfihlen zum vollst~ndigen Ventrikelstillstand ~ul3ert sich nicht in besonderen klinischen Erscheinullgen, abgesehen natfirlich yon den in der E.-K.-Kurve sich widerspiegelnden.

Welches diese Einflfisse sind, l~[3t sich schwer sagen. Nach dem negativen Ausfall des Carotis-Druckversuches und der zum mindesten momentanen Wirkungslosigkeit des Atropins w~re ein Vagusreiz wohl auszuschliel3en; meistens reagiert ja auch die isoliert bleibende Kammer nicht auf einen solchen, wenn auch gelegentlich ein sotcher Einflul3 zu beobachten ist. So sah VOLHARD einen knrzdauernden Einflul3 auf die isoliert schlagende Kammer beim Druck- versuch, es t rat Halbierung der Kammerschl~ge ein, abet nut ffir kfirzeste Zeit (2 Pausen yon der doppelten L~nge des Kammerrhythmus). VOLHARD nimmt einen ,,Block im Block" an, es soll also auch im automatisch schlagenden Ventrikel

Abb. 4. Kammerwfihlen, zeitweilige vStlige Unregelm~Bigkeit der Aussehlgge.

iV[an mul3 annehmen, dab die Kammer sich dauernd in einem erh6hten Reizzustand befunden hat, so dab das Wfihlen nur eine Verst~rkung desselben bedeutet. Daffir spricht ein- real die h~ufig vorhandene Bigeminie mit Kammerschl~gen yon verschiedenstem Ursprungsort, wie das E.-K. zeigt; zweitens die Erscheinung, dab naqh l~Lngerem Kammerstill- stand eine auffallende Beschleunigung der I<ammerschl~ge -- einmal waren es 132--I34 -- einsetzt, die erst nach einiger Zeit und nach und nach in die ursprfingliche Zahl yon 34 bis 36 Schl~gen fibergeht. Die meisten der E.-I<.-Ausschl~ge haben ffir diese Periode die gleiche Form, die einen Reiz- nrsprung zum mindesten in tier N~he des nach der Kammer zu gelegenen Teiles des Aschoff-Tawaraschen Knotens bzw. im Stamm des Itisschen Bfindels annehmen l~St. Es sind j a:'auch frfiher schon F~lle vom Kammerautomatie mit m~Big erh6hter Schlagzahl beschrieben worden, bei denen der Aus- gangspunkt in der genannten Gegend vermutet wurde.

eine St6rung der l~lberleitung der Kammerreize der Kammer- muskulatur bei rhythmischer Fortdauer der Reizerzeugung geben. SCHMOLL schlieBt sich dieser Ansicht an*). Trotzdem ist bier eine Vaguswirkung nicht ganz ausznschlieBen. Auf- fallend ist zum mindesten, dab die Anf~lle v o r u n d w~hrend der Menstruation geh~uft auftraten. Man k6nnte also cere- brale An~mie w~hrend dieser Zeit annehmen, die das Vagus- zentrum beeinfluBte. Selbstverst~ndlich liege sich abet auch eine schlechte Blutversorgung des Herzens selbst als Ursache des Kammerwfihlens ansehen, hervorgerulen durch das Ab- str6men des BIutes nach den Unterleibsorganen oder auch dutch nerv6se Momente. Allerdings sprechen auch die epi- leptiformen Allf~lle ffir einen zentralen Vorgang, fiber Ver- mutungen kommt man jedenfalls nicht hinans. Im Experi- ment wird nach Kammerflimmern kfirzerer oder l~ngerer Stillstand des Ventrikels beobachtet, falls tiberhaupt wieder eine Erholung eintritt. Je niedriger die Tierklasse, desto

Abb. 5. Ende des Kammerwfihlens, Obergang in Ventrikelstillstand bei unregelm~tBig vorschlagendem Vorhof.

Wie weir der Vorhoi in den abnormen Zustand mit hinein- bezogen wu~de, l~13t sich nicht sagen. In der einen aufge- nommenen Kurve schl~gt er sofort nach Aufh6ren des Flim- merns etwas beschleunigt, aber regelm~Big welter. In der anderen Kurve sehen wir seine Erhebungen nur in gr6Serem Abstande und unregelm~13ig und erst nach einiger Zeit wieder in gleichm~U3iger Folge. Ob auch er in Wfihlen versetzt war, l~Bt sich daraus natfirlich nicht erkennen. Ein ~7bergang dieses Zustandes yon einem auf den anderen Herzteil findet bekanntermaBen nut in Ausnahmef~llen und im Tierexperi- ment statt.

Von einem ~hnlichell Zustand, wie bei unserer Patientin, wird meines Wissens nut ill einem Falle berlchtet. LEwis und COHN beobachteten bei einem Patienten mit Vorhofs- flimmern und regelm~Biger VentrikeltAtigkeit (woraus auI kompletten Kammerblock geschtossen wird), h~ufige Syn- kopen. Kurz vor dem Tode kam es zu !~ngeren Reihen yon ventrikul~ren Extrasystolen, nach deren Beendigung der Ventrikelstillstand nnd ein epileptiformer Anfal] folgte. Einen ~hnlichen Fall hat HECHT beschrieben. Also auch hier erh6hte Reizbarkeit des Ventrikels, .die aber nicht bis zum Wfihlen reichte, nachfolgender Ventrikelstillstand und dann wieder alte Schlagfolge. LEwis und COHI~ nehmen auch Einflfisse auf den Schrittmacher des Ventrikels an, vielleicht dutch eine L~sion des Bfindels beelnflnBt, da er in unmittelbarer Nachbarschaft desselben liegt.

eher kommt es bekanntHch zur Erholung. Aber auch schon nach einfacher Beschleunigung des isoliert schiagenden Ven- trikels nach kfinstlicher Reizung beobachteten ERLANGER und HIRSCHFELDER einen ktirzeren Stillstand, der ,,intrinsic rhythm schlafe einige Zeit".

]edenfalls zeigt unser Fall, dal3 anch, wenn wir vom absterbenden Herzen absehen, nach l~ngere Zeit dauern- d e n Kammerwfihlen das menschliche H. erz nach einer Er- holnngszeit wieder zur fr~heren Schlagfolge zurfickkehren kann.

X i t e r a t u r: ERL&NGER und I~IRSCHICELDER, Americ. journ. of physiol. 15, 153. 19o6. -- I-IABERLAND, l)as Herzflimmern. J e n a I 9 1 4 . - L E w i s u n d COHN, H e a r t 4, 15. 1913- - - L E W I S , The Mechanism of the Heart Beat 2. Aufi. 192o. - - SCHELLONG, Zeitschr. f. Biol. 82, 174. 1924. - - SCHMOLL, Dtsch. Arch. f. inn. Med. 87, 554. 19 ~ - - VOLHARD, Dtsch. Arch. f. inn. Med. 97, 348. 19o9.

*) Neuerdings besch~iftigte sich SCHELLONG ausfiihrlicher mlt dieser Fxage des partiellen Blocks innerhalb des Ventrikels bzw. des hypodynamen Zustandes ge- schlidigter Teile.