interkulturelle kompetenz in frauenunterstützungseinrichtungen · 7 interkulturelle kompetenz –...

49
Betrifft: Häusliche Gewalt Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen Endbericht der Evaluation im Auftrag des Landespräventionsrates Niedersachsen

Upload: phunglien

Post on 14-Aug-2019

230 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation des Modellprojekts

Betrifft: Häusliche Gewalt

Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen

Endbericht der Evaluation im Auftrag des Landespräventionsrates Niedersachsen

Page 2: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

2

Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen

Endbericht der Evaluation des Modellprojekts: „Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“ Projektträger: AWO Kreisverband Schaumburg e.V. Laufzeit des Projektes: März 2006 bis März 2008 Gefördert durch das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit

Evaluation im Auftrag des Niedersächsischen Justizministeriums

Geschäftsstelle des Landespräventionsrates Niedersachsen

Autorin: Prof. Dr. Barbara Kavemann Berlin

Herausgeber: Landespräventionsrat Niedersachsen (LPR) Hannover 2008

Page 3: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

3

Vorwort

Migrantinnen sind von häuslicher Gewalt ebenso betroffen wie viele Frauen ohne

Migrationshintergrund; einige Studien weisen darauf hin, dass der Anteil der Migrantinnen

im Durchschnitt sogar höher liegt. Außerdem hat sich in wissenschaftlichen Untersuchungen

und Beobachtungen aus der Praxis gezeigt, dass Migrantinnen oft hohe Hürden überwinden

müssen, um professionelle Unterstützung zu finden. Hier entstehen spezifische

Anforderungen für die Interventions- und Beratungsarbeit. Vor diesem Hintergrund hat das

Niedersächsische Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit zur

Verbesserung der Arbeit mit von häuslicher Gewalt betroffenen Migrantinnen von 2006 bis

2008 ein Projekt der Arbeiterwohlfahrt, Kreisverband Schaumburg e. V., gefördert, in dem

unterschiedliche Maßnahmen zur Entwicklung interkultureller Kompetenz in der

Beratungsarbeit mit Migrantinnen erprobt und durchgeführt wurden.

Die Inhalte dieses Projekts wurden gemeinsam vom Niedersächsischen Ministerium für

Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit und dem Kooperationsprojekt ‚Häusliche Gewalt’

beim Landespräventionsrat Niedersachsen zusammen gestellt und in einer Broschüre in der

Reihe „Betrifft: Häusliche Gewalt – Interkulturelle Kompetenz in Einrichtungen zur

Unterstützung von Frauen – Hinweise für die Arbeit mit von häuslicher Gewalt betroffenen

Migrantinnen“ - veröffentlicht. Das Projekt wurde während der gesamten Laufzeit von Prof.

Dr. Barbara Kavemann wissenschaftlich begleitet. Auftraggeber der Evaluation war der

Landespräventionsrat Niedersachsen, der mit dieser Broschüre den Evaluationsbericht

veröffentlicht.

Der Bericht enthält einen Überblick über die Zielsetzungen und Aktivitäten des Projekts. Er

dokumentiert darüber hinaus die Projekterfahrungen im Hinblick auf die im Projektzeitraum

registrierten Wirkungen und Konsequenzen der Arbeit und leitet hieraus zahlreiche

Empfehlungen für die weitere Arbeit in diesem Feld ab. Hier ergeben sich interessante

Anknüpfungspunkte für alle Einrichtungen und Fachkräfte, die an der Intervention bei

häuslicher Gewalt beteiligt und / oder in der Migrationsarbeit tätig sind. Die Empfehlungen

der wissenschaftlichen Begleitung helfen, die praktische Interventions- und Beratungsarbeit

bezogen auf den Unterstützungsbedarf von Migrantinnen weiterzuentwickeln. Zudem

enthalten sie einen umfassenden Fundus an Anregungen für die Fortbildungsarbeit zu

diesem Thema.

Zielgruppen dieses Berichts sind deshalb die Fachkräfte in Frauenunterstützungsrichtungen

ebenso wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Beratung von Migrantinnen, aber auch

Fachkräfte in Polizei, Justiz und Jugendhilfe, die mit betroffenen Frauen und ihren Kindern

arbeiten. Wir hoffen, dass der Bericht dazu beiträgt, die Interventions- und Präventionsarbeit

gegen häusliche Gewalt im Hinblick auf die Bedürfnisse und den spezifischen

Unterstützungsbedarf von Migrantinnen weiter zu entwickeln und damit die Folgen häuslicher

Gewalt für die Betroffenen zu mildern.

Andrea Buskotte Erich Marks / Susanne Wolter

Koordinationsprojekt „Häusliche Gewalt“ Landespräventionsrat Niedersachsen

Page 4: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

4

Inhalt:

1. Das Modellprojekt und seine wissenschaftliche Begleitung ...................................................... 6

1.1 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts ............................................ 7

1.2 Forschungsauftrag und Forschungsdesign ....................................................................... 9

1.3 Datenlage ................................................................................................................... 11

2. Zielsetzung der wissenschaftlichen Begleitung .................................................................... 12

3. Zielbestimmung mit dem Projektteam .................................................................................. 14

4. Fachtage zur Sensibilisierung für den Erwerb interkultureller Kompetenzen ........................... 16

4.1 Evaluation der beiden Fachtage aus Sicht der Teilnehmenden ........................................ 16

4.2 Nachgehende Befragung der Teilnehmer/innen der Fachtage ......................................... 21

4.3 Befragung des Projektteams ......................................................................................... 27

4.4 Befragung der Referent/innen ...................................................................................... 28

5. Ein Workshop zur Vermittlung und Erprobung interkultureller Kompetenzen ......................... 33

6. Weiterentwicklung der Kooperation und Vernetzung in der Region ........................................ 38

7. Schlussfolgerungen und Diskussion ..................................................................................... 40

7.1 Konsequenzen für die Unterstützungspraxis .................................................................. 40

7.2 Konsequenzen für zukünftige Fortbildungsangebote ...................................................... 42

8. Literatur ............................................................................................................................. 47

Page 5: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

5

„Lernen ist ein Kreislauf, der immer wieder neu beginnt.“

Page 6: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

6

1. Das Modellprojekt und seine wissenschaftliche Begleitung

Das Modellprojekt „Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“ hat ein

innovatives Konzept für interdisziplinäre Weiterbildung zu interkulturellen Kompetenzen

entwickelt und dieses erprobt sowie die Ergebnisse als Handreichung für die Praxis

verschriftlicht und zur Verfügung gestellt.

Das Modellprojekt wurde im März 2006 vom Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und

Gesundheit des Landes Niedersachsen in Auftrag gegeben. Die Umsetzung übernahmen

zwei erfahrene Sozialpädagoginnen der Beratungs- und Interventionsstelle (BISS)

Stadthagen, dessen Träger die Arbeiterwohlfahrt Kreisverband Schaumburg ist, und des

Frauenzentrums Stadthagen.

Auftrag des Modellprojekts war die Entwicklung eines Fortbildungskonzeptes zur

interkulturellen Kompetenz in Form eines Multiplikatorinnen-Trainings und die Erstellung

eines Handbuchs für die Praxis in Niedersachsen. Vermittelt werden sollten

Wissen über andere Kulturen am Beispiel des Islam und der russischen Kultur;

Auseinandersetzung mit den Themen Urteile versus Vorurteile, Akzeptanz versus

Toleranz und Grenzen;

Outreach – Erreichbarkeit unterversorgter Bevölkerungsgruppen und entsprechende

Modifikation von Konzeption und Praxis;

Entwickeln und erproben von Strategien für stabile und langfristige Kooperation mit

Communities der Migrant/innen;

Aufarbeitung rechtlicher Grundlagen.

Die Umsetzung des Modellprojekts wurde im Auftrag des Landespräventionsrates

Niedersachsen evaluiert.

Es handelte sich um ein regionales Modellprojekt im Landkreis Schaumburg. Das

Modellprojekt legte seinen Schwerpunkt auf die Zielgruppe von Gewalt in intimen

Beziehungen – im Folgenden häusliche Gewalt genannt – betroffener Migrantinnen. Die

Erreichbarkeit von Unterstützungsangeboten, geeignete Ansprache und Information, ein

Abbau von Barrieren und Hindernissen bei der Hilfesuche durch bessere Qualifikation und

Sensibilisierung auf Seiten der Fachleute, waren die Themen, mit denen sich in

unterschiedlichem Kontext auseinandergesetzt wurde.

Im Rahmen des Modells führten die beiden Projektmitarbeiterinnen – im Folgenden das

Projektteam genannt – zwei Fachtage im Abstand von einem Monat durch, den ersten am

1.2.2007, den zweiten am 1.3.2007. Im Anschluss daran wurde am 28.9.2007 ein

ganztägiger Workshop angeboten, um Aspekte der Fachtage zu vertiefen und stärker auf die

Praxis bezogen zu üben.

Das Projektteam suchte den Kontakt mit Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher

Gruppen von Migrantinnen und Migranten – in Folgenden Communities genannt – und rief im

Sommer 2007 eine regionale Expertinnengruppe ins Leben, um den Grundstein für ein

Kooperationsnetz zu legen, Strategien für die Implementation von interkultureller Kompetenz

und von für Migrantinnen geeigneten Informationsstrategien zu häuslicher Gewalt für die

Region Schaumburg zu erarbeiten.

Die Ergebnisse der Modellphase wurden als Handbuch für die Praxis zusammengestellt.

Page 7: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

7

Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts

Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt die Soziale Arbeit und die

Pädagogik seit einigen Jahren und veränderte teilweise eine ausschließlich und oft

polarisierend geführte Diskussion über Rassismus. Seitens der Einrichtungen zu Schutz und

Beratung von Frauen bei Gewalt – den Frauenhäusern, Frauenberatungsstellen,

Frauennotrufen, Mädchenhäusern usw. – wurde diese Auseinandersetzung nicht

durchgängig, aber wenn, dann leidenschaftlich geführt (vgl. Kriechhammer-Yagmur 2003;

Lehmann 2001). Zur Situation von Migrantinnen gibt es Erkenntnisse aus der Forschung

(z.B. Boos-Nünning 2004, und hinsichtlich ihrer Gewaltbelastung Schröttle 2006, UNHCR

2003).

Der Perspektivenwechsel in der Diskussion über Gewalt im Geschlechterverhältnis, der seit

Ende der 1990er Jahre stärker die Rechtsposition der Opfer von Gewalt betonte und die

Diskussion über Gewalt gegen Frauen im Menschenrechtsdiskurs verankerte (Kelly 2005),

trug dazu bei, dass die spezifische Situation von Migrantinnen, die Gewalt erleiden, ebenfalls

stärker mit Blick auf ihre Rechte und Ansprüche diskutiert wurde. An den Runden Tischen

der Interventionsprojekte wurden Fragen des Aufenthaltsrechts und der Härtefallregelungen

bei häuslicher Gewalt bearbeitet und Erleichterungen geschaffen (Kavemann u.a. 2001). Im

Rahmen der Untersuchung von Unterstützungsbedarf und neuen Unterstützungsangeboten

wurden Migrantinnen angemessen einbezogen (Helfferich u.a. 2005; WiBIG 2004 a). Die

Situation von Migrantinnen wurde nicht mehr ausschließlich im politischen Rahmen der

Rassismusdiskussion thematisiert, sondern wurde selbstverständlicher Teil der neueren

Forschung und Praxisentwicklung in Deutschland.

Ein wichtiges neues Ergebnis langjähriger Arbeitserfahrung, das mit dem Beginn des

Modellprojekts zusammenfällt, und eine wichtige Arbeitshilfe sind Aussagen zur Qualität in

der Arbeit mit von Gewalt betroffenen Migrantinnen (Interkulturelle Initiative 2006).

„Das Denken des Interkulturellen macht die Fähigkeit, sich irritieren zu lassen vonnöten. Je

heterogener die Gruppen sind, desto größer ist dabei das mögliche Feld des

Unverständnisses, der Missverständnisse und desto vielfältiger sind die Linien der Macht

und Gewalt, die das gemeinsame Sprechen durchkreuzen. Aus diesem Grunde spielt die

‚gute Intention’ bei interkulturellen Prozessen lediglich eine untergeordnete Rolle. Natürlich

ist es keineswegs unrelevant, ob vorsätzlich, wohl wissend also, Menschen verletzt

gedemütigt, beleidigt werden, doch die Verletzung und die Folgen, die das ‚Opfer’ tragen

muss, sind letztlich mit oder ohne gute Intention erst einmal dieselben. Das Wissen darum,

dass es nicht ausreicht, ‚Gutes tun zu wollen’ verlangt nach einem hohem Grad an

Verantwortlichkeit und professioneller Reife. Erwartet wird ein Wissen über

Dominanzverhältnisse und ein Wissen über die eigene Verletzungsgewalt.“ (Interkulturelle

Initiative 2006:30) Hier wird von der für Frauen engagierten Beraterin ausgegangen und ihre

Position, die Migrantinnen in Fällen von Gewalt unterstützen will, kritisch beleuchtet, ohne

auf die Person zu zielen. Es geht um ein strukturelles Problem, das kritische Selbstreflexion

verlangt, da die „Verletzungsgewalt, die die Mitarbeiterin selbst inne hat“ wahrgenommen

werden muss, „ohne sich lähmen zu lassen.“ Auch die engagierteste Mitarbeiterin kann nicht

Page 8: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

8

die Tatsache außer Kraft setzen, dass sozialarbeiterisches Handeln „machtgesättigt ist und

immer riskiert, andere zu verletzen.“ (ebenda).

Dieser sehr politische Zugang zum Thema interkulturelle Kompetenzen nimmt das gesamte

Geflecht von Macht- und Herrschaftsverhältnisse in den Blick und analysiert die Situation der

Migrantin und der Beraterin in diesem Kontext, beide Frauen, aber in unterschiedlichen

Rollen und Positionen, ausgestattet mit unterschiedlichem Zugang zu Ressourcen und

Privilegien. Neben diesen sehr grundsätzlichen und deshalb etwas schwergewichtigen

Ausführungen zum Verständnis von Interkulturalität ist besonders die Entwicklung eines

Konzepts interkultureller Beratung wertvoll, denn es gibt Orientierung für konkrete Praxis und

regt zur Diskussion an. Als Methoden interkultureller Arbeit werden festgehalten:

Wissen

Netzwerkbildung

Interkulturelle Haltung

Interkulturelle Perspektive

Alle vier Punkte sind auch in der Konzeption des Modellprojekts wiederzufinden und sollen

deshalb kurz ausgeführt werden.

Wissen

o Kenntnisse über spezifische gesetzliche Rahmenbedingungen. Hier geht es

besonders um das Ausländer- und Asylrecht.

o Sprachkompetenzen umfassen nicht nur Mehrsprachigkeit und

muttersprachliche Beratung. Es geht auch um die besondere Kompetenz, mit

Dolmetscherinnen Beratungsgespräche zu führen

o Migrationsspezifisches Wissen und Wissen um Bedeutung und Auswirkungen

der Migration.

o Exilspezifisches Wissen hinsichtlich der Bedeutung und der Auswirkungen

von Flucht und Vertreibung und der Bedrohung durch Abschiebung.

o Wissen um Diskriminierungserfahrungen, Ausgrenzung, Rassismus und auch

strukturelle Diskriminierung (ebenda:32)

Netzwerkbildung

Ziel interkulturellen Netzwerkens ist es, Fachnetzwerke z.B. zur Arbeit gegen Gewalt, zur

Unterstützung von Frauen und Mädchen mit interkulturellen, antirassistischen Netzwerken

und mit Migrant/innenorganisationen zu verknüpfen (ebenda:34).

Interkulturelle Haltung

Diese Haltung hat zum Ziel, soziale Ungerechtigkeit zu vermindern, indem unterschiedliche

Positionen und damit einhergehende Verletzlichkeiten ernst genommen werden. Ein

besonderer Unterstützungsbedarf von Migrantinnen erklärt sich aus ihrer Situation, nicht aus

ihrer Persönlichkeit. Sie haben höhere Hürden zu überwinden (ebenda:35)

Interkulturelle Perspektive

Eine interkulturelle Perspektive sieht die spezifischen Risiken, denen Menschen in der

Migration ausgesetzt sein können, die Vielfältigkeit von Diskriminierung, die möglich ist, und

ihre Widerstandspotentiale, ihre Ressourcen und schaut auf die jeweils individuelle

Kombination beider bei der Klientin. Simplifizierungen und Verallgemeinerungen sollen

Page 9: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

9

vermieden und Differenzierungen bei der Wahrnehmung von Migrantinnen gefördert werden

(ebenda:37).

Im Modellprojekt wurden alle diese Aspekte Thema: Es ging im Rahmen der Fachtage und

des Workshops und Wissensvermittlung und dabei auch um rechtliches Wissen. Auf dem

Weg des interkulturellen Lernens der Teilnehmenden wurde das Ziel interkultureller

Kompetenz verfolgt. Diese kann zukünftig die interkulturelle Öffnung der Einrichtungen und

Institutionen bewirken. Sie befördert den Kontakt zu den Organisationen und Expert/innen

der Migrant/innen und ist Voraussetzung für eine gelingende Kooperation. Im Arbeitskreis

trafen sich Vertreterinnen aus unterschiedlichen Zusammenhängen und bildeten ein neues

Netz, das Verbindungen sowohl zu fachlicher Vernetzung als auch zu den Communities

hatte. Vor allem im Workshop ging es um eine interkulturelle Haltung, das Hinterfragen von

eigenen Positionen und Selbstverständlichkeiten, das während der Fachtage bereits

begonnen wurde. Das Bestreben, Stereotypisierungen und Verallgemeinerungen

entgegenzuwirken, das alle Aktivitäten des Modellprojekts kennzeichnete, greift auf, was mit

interkultureller Perspektive gemeint ist.

Einiges von dem, was in der Diskussion um Qualität in der Arbeit mit Migrantinnen

thematisiert wird, war konzeptionell im Modellprojekt berücksichtigt. Hier ging die Diskussion

über interkulturelle Kompetenzen noch weiter, indem diese nicht ausschließlich auf den

Bereich der Arbeit mit Migrantinnen bezogen wurden, wenn auch hier der Schwerpunkt lag.

Interkulturelle Kompetenz wurde aber auch als Basiskompetenz der Sozialen Arbeit

verstanden. Ambiguitätstoleranz (also die Fähigkeit, Widersprüche und Mehrdeutigkeiten

„auszuhalten“) und Rollendistanz wurden als Schlüsselkompetenzen gesehen, die nicht nur

für die Arbeit im interkulturellen Kontext unverzichtbar sind.

Die Ergebnisse der Befragungen im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung geben

Hinweise darauf, dass bei vielen der Teilnehmenden eine interkulturelle Haltung und eine

interkulturelle Perspektive bereits vorhanden waren bzw. die Bereitschaft vorhanden war, zu

lernen und sich irritieren zu lassen. Bei anderen wurde diese Bereitschaft geweckt.

Aussagen über die Gesamtheit der Teilnehmenden und über die Nachhaltigkeit der

Aktivitäten des Modellprojekts können jedoch nicht gemacht werden. Ebenso kann die

wissenschaftliche Begleitung keine Aussagen über die Rezeption des im Rahmen des

Modellprojekts erarbeiteten Handbuchs, die Akzeptanz, auf die es bei Praktiker/innen trifft

bzw. seine Wirkung machen. Dies müsste zu einem späteren Zeitpunkt erhoben werden.

Forschungsauftrag und Forschungsdesign

Auftrag der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojekts war, mit dem Projektteam die

Ziele des Vorhabens, die durch den Projektauftrag gesetzt waren, zu konkretisieren und

einen Zeitplan der Zielerreichung zu erstellen, persönliche Ziele der Projektmitarbeiterinnen

zu identifizieren, im Laufe der Modellphase die Zielerreichung zu verfolgen und zum

Handbuch, in dem die Erkenntnisse des Modellprojekts der Praxis zur Verfügung gestellt

werden sollen, beizutragen. Darüber hinaus ging es darum, durch Befragungen aller

Beteiligten zu erheben, ob das Modellprojekt aus deren Perspektive sinnvoll und nützlich ist.

Hier wurden die Referentinnen und Referenten der beiden Fachtage und die Leiterin des

Page 10: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

10

Workshops befragt, wie sie die Wirkung und Reichweite solcher Weiterbildungsangebote

einschätzen. Die Teilnehmenden von Fachtagen und Workshop wurden zudem ein- bis

zweimal befragt, was sie aus den Angeboten des Modellprojekts gelernt haben und ob dies

zu Veränderungen in ihrer Praxis geführt hatte.

An den beiden Fachtagen nahm eine Vertreterin der wissenschaftlichen Begleitung

beobachtend teil, eine Teilnahme am Workshop war wegen der geringen

Teilnehmerinnenzahl nicht möglich, ein Rollenwechsel der wissenschaftlichen Begleitung

aus der Beobachtung in die Rolle der Teilnehmerin wäre nicht korrekt und sinnvoll gewesen.

Die begrenzten Ressourcen des Forschungsauftrags erlaubten nur eine begrenzte

Erhebung, die jedoch durchaus interessante, für zukünftige Planung und Durchführung

nutzbare Erkenntnisse und Ergebnisse erbrachte.

Für die jeweiligen Gruppen und Zeitpunkte von Befragungen wurden unterschiedliche

Instrumente erarbeitet. Alle erhoben neben sozialstatistischen Angaben spezifische Themen:

Im Anschluss an den ersten Fachtag „Viele Welten kennen, Kompetenzen lernen“

wurde ein Evaluationsbogen an die Teilnehmenden ausgegeben. Er umfasste

einerseits klassische Fragen der Seminarevaluation wie die nach ihren Erwartungen,

nach der Praxisrelevanz und der Qualität der Beiträge. Andererseits wurden Fragen

gestellt nach der Motivation bzw. Initiative der Teilnehmenden, sich mit dieser

Thematik auseinanderzusetzen, nach ihrem Vorwissen, nach der Bereitschaft, sich

weiter zu interkultureller Kompetenz zu qualifizieren und der angenommenen

Konsequenz für die eigene Praxis bzw. eigene Einrichtung. Es wurde auch nach der

Zusammensetzung der Klientel nach Herkunftsländern und nach dem Anteil an

Migrantinnen bzw. Migranten gefragt.

Der Evaluationsbogen des zweiten Fachtags war identisch aufgebaut. Das war

erforderlich, da davon ausgegangen werden musste, dass Personen teilnehmen, die

nicht beim ersten Fachtag dabei waren. Er enthielt allerdings die Fragen ob am

ersten Fachtag teilgenommen worden war und ob die Ergebnisse ins Team

eingebracht worden waren.

Für die Interviews mit den Referentinnen und Referenten wurde ein Leitfaden erstellt.

Die Interviews wurden telefonisch durchgeführt und protokolliert.

Für die Zielbestimmung und die Zielkontrollen mit dem Projektteam wurden

entsprechende Leitfragen entwickelt, die Ergebnisse dann an der Pinwand visualisiert

und in tabellarischer Übersicht dem Team zur Verfügung gestellt.

Teamdiskussionen wurden teilweise auf Band aufgenommen und transkribiert,

teilweise protokolliert.

Für die 13 Teilnehmerinnen des Workshops wurde ein Online-Fragebogen entwickelt.

Erhoben wurden Aspekte der Unterstützungspraxis für Migrantinnen in den

Einrichtungen der Teilnehmerinnen, Angaben zur Teilnahme an Fachtagen und zum

Vorwissen sowie Angaben zum Erleben und der Einschätzung des Workshops sowie

weiterem Fortbildungsbedarf.

Für die nachgehende Befragung von Teilnehmenden der beiden Fachtage wurde

ebenfalls ein Online-Fragebogen entwickelt. Gefragt wurde nach der

Angebotsstruktur der Einrichtung, der Erinnerung an die Fachtage, der Bedeutung

und Nachhaltigkeit der erhaltenen Informationen und erworbenen Kenntnisse, nach

Veränderungsplänen, die nach dem Besuch der Fachtage gefasst wurden und deren

Realisierung sowie weiterem Fortbildungsbedarf.

Page 11: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

11

Es wurde ein Expertinnen-Gruppeninterview mit sechs Teilnehmerinnen

durchgeführt: neben den beiden Projektkoordinatorinnen waren dies die Leiterin der

Integrationskurse an der Volkshochschule, die Leiterin einer Integrationsgruppe des

Präventionsrates, eine Mitarbeiterin des Frauenhauses und eine Integrationslotsin.

Datenlage

Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung wurden mehrere Befragungen qualitativ und

quantitativ durchgeführt und eine Vielzahl von Beteiligten erreicht:

Zielgruppe quantitativ qualitativ

Tagungsteilnehmer/innen

1. Fachtag (schriftlicher Evaluationsbogen)

55

Tagungsteilnehmer/innen

2. Fachtag (schriftlicher Evaluationsbogen)

37

Tagungsteilnehmer/innen

(nachgehender Online-Fragebogen)

24

Workshopteilnehmerinnen (Online-Fragebogen)

13

Referent/innen (telefonische Interviews)

6

Expertinnenrunde

8 Expertinnen, interdisziplinär (Gruppendiskussion)

1

Projektkoordinatorinnen (Zielbestimmung und

Teamdiskussionen)

6

Page 12: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

12

2. Zielsetzung der wissenschaftlichen Begleitung

Die wissenschaftliche Begleitung hatte das Ziel, Aussagen über die Qualität der Arbeit des

Modellprojekts zu gewinnen.1

Um diese Aspekte zu erheben, wurden die Teilnehmenden an Fachtagen und Workshop

nach ihrer Zufriedenheit befragt und nach dem Nutzen, den diese für sie hatten. Fragen nach

Zufriedenheit und Nutzen sind Fragen nach der Ergebnisqualität der Arbeit, die der

Qualitätssicherung dienen:

Die Zufriedenheit der Teilnehmenden mit dem Weiterbildungsangebot ermöglicht

Aussagen über Struktur- und Prozessqualität der Arbeit.

Der Nutzen, den sie von der Arbeit haben, ist eine Aussage über die Zielerreichung.

Beide gemeinsam vermitteln Erkenntnisse über die Ergebnisqualität (vgl. Landgrebe 2005,

Kavemann, im Druck).

Wird ein Modellprojekt ins Leben gerufen, verbindet sich damit die Erwartung, dass durch die

Entwicklung und Erprobung einer neuen Praxis eine Verbesserung des bereits existierenden

Unterstützungsangebots erreicht werden kann. Dies ist die Frage nach der Wirksamkeit des

Modells, in unserem Fall die Frage nach der verbesserten Erreichbarkeit der Zielgruppe und

der Communities, die Frage nach dem Gelingen der Vermittlung interkultureller

Kompetenzen im Rahmen der geplanten und durchgeführten Veranstaltungen und nach dem

Lernerfolg der Teilnehmenden und dessen Konsequenzen für die Praxis. Die Frage nach der

Wirksamkeit entspricht der nach dem Nutzen. Es geht um die Ziele, die sich ein Team, eine

Einrichtung oder im übertragenen Sinne ein sozialpädagogisches Angebot gesetzt hat.

Werden sie mit der aktuellen Praxis erreicht? Muss die Praxis modifiziert werden, damit sie

erreicht werden können?

Häufig richtet sich die Aufmerksamkeit vor allem auf die Zufriedenheit der Zielgruppe – in

unserem Fall die Teilnehmenden an Fachtagen und Workshop – und die Qualität eines

Weiterbildungsangebots wird daran gemessen. Zufriedenheit bedeutet Akzeptanz des

Angebots und Anerkennung der Leistung derer, die ein Angebot machen. Wir alle haben es

gern, wenn wir von Klientinnen und Klienten der Beratung, von Teilnehmerinnen und

Teilnehmern von Fachtagen, von Kolleginnen und Kollegen gelobt und gemocht werden. Ist

dies nicht der Fall, fällt die Arbeit schwerer, wir fühlen uns angegriffen, möglicherweise zu

Unrecht kritisiert. Die Frage nach der Zufriedenheit ist eine nach einem emotionalen Zustand

und bewegt sich auf der persönlichen Ebene.

Die Unterscheidung von Zufriedenheit und Nutzen hilft, sich von individueller Kritik

unabhängiger zu machen und den Blick auf Strukturen und Ergebnisse zu richten. Es wird

immer Kritik geben, Erwartungen müssen möglicherweise enttäuscht werden, Fachtage und

Workshops können nicht bis ins letzte Detail geplant werden, vor Überraschungen ist man

nie gefeit – in unserem Fall die Erkrankung einer zentral wichtigen Referentin – und

Erwartungen können auch verfehlt oder unrealistisch sein. Auch Enttäuschungen oder Kritik

schließen jedoch nicht aus, dass das Weiterbildungsangebot für die Teilnehmenden von

Nutzen war in dem Sinne, dass das Ziel erreicht wurde, sie zu informieren, anzuregen und

eventuell produktiv zu irritieren.

1 Die wissenschaftliche Begleitung orientierte sich an den Standards der Deutschen Gesellschaft für Evaluation

e.V. von 2002: Nützlichkeit, Durchführbarkeit, Fairness und Genauigkeit.

Page 13: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

13

Das alles bedeutet jedoch nicht, dass die Zufriedenheit der Teilnehmenden die Evaluation

nicht interessieren müsste. Die Ergebnisqualität, die von Modellprojekt angestrebt wird, und

die es durch die Evaluation zu überprüfen gilt, setzt sich zusammen aus Zielerreichung und

Akzeptanz, also aus Nutzen und Zufriedenheit. Findet ein Weiterbildungsangebot wie das

Programm einer Fachtagung oder eines Workshops nicht die Akzeptanz derer, für die es

gedacht ist, dann werden sie es nicht in Anspruch nehmen und von daher nicht in die Lage

versetzt werden, den Nutzen davon zu haben. Der wissenschaftlichen Begleitung ging es

somit um beides.

Zusätzlich zur Perspektive der Teilnehmenden wurde die Erfahrung und Expertise der

Referierenden erhoben. Diese Expert/innen sind häufig im Rahmen von Weiterbildung oder

auch Lehre tätig und ihre Einschätzung, was von Weiterbildungsveranstaltungen für ein

Effekt erwartet werden kann, ist aussagekräftig für die Entwicklung eines regionalen

Weiterbildungskonzepts. Sie machen Aussagen darüber, welches Ziel sie mit ihrem Beitrag

zu erreichen hoffen, wo sie die Grenzen sehen und was sie darüber hinaus für erforderlich

halten, um eine gewisse Nachhaltigkeit zu erreichen.

Page 14: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

14

3. Zielbestimmung mit dem Projektteam

Zu Beginn der wissenschaftlichen Begleitung wurde mit dem Projektteam eine

Zielbestimmung durchgeführt, die im weiteren Verlauf immer wieder angesehen und

überprüft wurde.

Die beiden Sozialpädagoginnen des Projektteams teilten die Vision einer Kultur gewaltfreien

und offenen Miteinanders zwischen allen in Deutschland lebenden Menschen, die es denen,

die zugezogen sind, ermöglicht, sich hier zuhause zu fühlen. Zu dieser Vision gehört der

Wunsch, dass alle voneinander lernen wollen.

Als langfristig zu verstehende Ziele auf einem Weg zu dieser Vision sahen sie

„Geschlechtergerechtigkeit“ und dass Migrantinnen sich gut verstanden und aufgehoben

fühlen können, wenn sie Probleme haben.

Ebenfalls eher langfristig wäre anzustreben, dass Kolleginnen in

Unterstützungseinrichtungen mit Spaß und Neugier in die Arbeit mit Migrantinnen gehen,

dass die Teilnehmenden der Fachtagungen aktiv als Multiplikator/innen wirken und das

Handbuch, das aus dem Projekt entstehen sollte, in der Praxis genutzt wird. Hierfür sollten

Werbematerialien für das Handbuch entwickelt und verbreitet werden. Dieses Ziel konnte

innerhalb der Projektlaufzeit, vor Fertigstellung des Handbuchs noch nicht eingelöst werden.

Als mittelfristige Ziele – also Ziele, die noch innerhalb der Modellphase bzw. in absehbarer

Zeit erreicht werden könnten – wurden folgende festgehalten:

Eine konkrete interdisziplinäre Zusammenarbeit im Sinne von Gewalt betroffener

Migrantinnen. Um dieses Ziel zu erreichen, könne der Runde Tisch als Forum genutzt

und eine spezifische Arbeitsgruppe gegründet werden.

Zugang zu den Communities von Migrant/innen. Auf jeden Fall sollten Türen geöffnet

und geeignete Ideen für einen zielgruppengerechten Zugang entwickelt werden. Hier

wurde auf die Ergebnisse des Workshops beim ersten Fachtag gezählt, der

Strategien zum Erreichen der Communities erarbeiten sollte. Im Anschluss ginge es

dann darum, diese in der Praxis umzusetzen.

Die Beratungsstellen und die rechtlichen Schutzmöglichkeiten für von Gewalt

betroffene Frauen sind in den Communities bekannt. Auch für dieses Ziel wurde auf

die Ergebnisse des ersten Fachtags gesetzt.

Selbstreflexion bei Fachleuten ist nicht nur in Gang gesetzt, sondern es wurden erste

Konsequenzen gezogen. Die beiden Fachtage sollten dies anstoßen, der spätere

Workshop die praktische Umsetzung fördern.

Das Handbuch fertig stellen. Dies ist ein Auftrag des Modellprojekts, denn es

abzuarbeiten gilt.

Kurzfristige Ziele waren solche, die unmittelbar in Angriff zu nehmen waren und auf

mittelfristige Ziele hin wirkten:

Informationsmaterialien über Beratungsstellen und rechtliche Schutzmöglichkeiten

gezielt verbreiten.

Neugier auf interkulturelles Arbeiten bei Kolleg/innen aktiv wecken und sie

motivieren.

Page 15: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

15

Durch erfolgreich verlaufende Fachtage und einen ebensolchen Workshop Prozesse

der Selbstreflexion in Gang setzen.

Im Laufe der Modellphase konnten viele Schritte unternommen und einzelne Ziele erreicht

werden. Die kurzfristigen Ziele wurde alle – zumindest in einem erheblichen Umfang –

erreicht. Auch mittelfristige Ziele wie ein verbesserter Zugang zu Communities, Verbreitung

von Information bei Frauen unterschiedlicher Herkunft, Strategien für die Verbesserung der

Kooperation wurden teilweise erreicht bzw. auf den Weg gebracht: Die Arbeitsgruppe war

gegründet und hatte mehrere Male getagt, sich Aufgaben gesetzt und diese auch bearbeitet;

im Rahmen der interkulturellen Woche hatte es Kontakt zu Vertreter/innen mehrerer

Communities gegeben; über Integrationslotsen und Integrationskurse entstanden neue

Möglichkeiten des Zugangs. Jedoch blieben diese Erfolge erwartungsgemäß im

Anfangsstadium. Es zeigte sich, dass die mittelfristigen Ziele prozesshaft zu sehen sind und

weit in den Bereich des Langfristigen hineinreichen. Das Projektteam war sich bewusst, dass

„nach ein oder zwei Fachtagen nicht die große Reaktion zu erwarten ist.“ (Teamdiskussion 3)

Die begleitende und nachgehende Zielkontrolle zeigt ein Problem, das für Modellprojekte

üblich ist: Für die Entwicklung und Erprobung eines innovativen Vorhabens steht in der

Regel viel zu wenig Zeit zur Verfügung. Selbst ein Projekt, das über üppigere Ressourcen

verfügt als das in Stadthagen, braucht mehr Zeit, um zu Ergebnissen zu kommen, die von

anderen genutzt und auf andere Regionen übertragen werden können. Messbare Resultate

der Aktivität eines Modellprojekts können in der Kürze der Laufzeit keinesfalls dokumentiert

werden. Veränderungen vollziehen sich langsam, Personen und Institutionen brauchen Zeit,

um auf neue Anregungen zu reagieren (vgl. Kavemann u.a. 2001). Um tatsächlich

projektbezogene Veränderungen messen, beurteilen und nutzen zu können, wäre es

optimal, wenn einer Modellphase von zwei Jahren eine Implementierungsphase von zwei

Jahren und danach eine erneute Phase der Evaluation und Überarbeitung der Konzeption

folgte.

Page 16: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

16

4. Fachtage zur Sensibilisierung für den Erwerb interkultureller

Kompetenzen

Die beiden Fachtage wurden jeweils ganztägig am 1. Februar und 1. März 2007 in

Stadthagen durchgeführt. Die Teilnahme war kostenlos. Die Projektmitarbeiterinnen hatten

dazu breit eingeladen und die Resonanz war erfreulich hoch. Die wissenschaftliche

Begleitung reichte auf den jeweiligen Fachtag zugeschnittenen Evaluationsbögen an die

Teilnehmenden ein mit der Bitte, diese ausgefüllt zurückzugeben. Nach Ablauf von neun

Monaten wurde erneut Kontakt zu den Teilnehmenden aufgenommen, soweit sie erreichbar

waren, und eine nachgehende Befragung zur Wirkung der Fachtage durchgeführt.

Von den Veranstalterinnen des Modellprojekts war eine Teilnahme an beiden Fachtagen

gewünscht worden. Eingeladen wurde über verschiedene Verteiler und über die Presse. Die

Fachtage richteten sich an Praktikerinnen und Praktiker, die als Multiplikator/innen in Frage

kamen.

Die Fachtage gliederten sich jeweils in einen Input-Teil mit Referaten am Vormittag und

einen Workshop am Nachmittag. Am ersten Fachtag gab es ein zusätzliches Referat zum

Abschluss des Tages. Als Referierende eingeladen waren namhafte Fachleute aus

Wissenschaft und Praxis und Fachleute aus der Region, fast alle mit eigenem

Migrationshintergrund. Die Veranstalterinnen stellten ein zweitägiges Programm zusammen,

da die Fülle der Themen und Informationen, die sie vermitteln wollten, den Rahmen einer

eintägigen Fachtagung bei weitem überstieg. Gewünscht war, dass die Teilnehmenden sich

zu beiden Fachtagen anmeldeten, um alle unterschiedlichen Referate und Fachbeiträge, die

ein breites Themenspektrum abdeckten, zu hören und sich an der Diskussion zu beteiligen.

Es gab Beiträge zur Bedeutung von Migration, zum Zuwanderungsgesetz, zum Konzept von

Diversity und spezifische zu türkischen Männern und russischen Frauen. Leider fiel ein

zentraler Beitrag – zu unterschiedlichen Glaubensrichtungen im Islam – wegen Krankheit der

Referentin aus. Die Referate waren von hohem Anspruch gekennzeichnet, die Workshops

wurden unterschiedlich bewertet.

Ein zentrales Problem der Fachtage war die zeitliche Enge. Es gab zu wenig Zeit für Pausen

und Austausch, was sowohl die Veranstalterinnen als auch die Teilnehmenden unter Stress

setzte. Dass trotzdem von allen Seiten die gute Arbeitsatmosphäre gelobt wurde, spricht für

die Qualität der Fachtage ebenso wie die Tatsache, dass nur wenige die Veranstaltungen

vorzeitig verlassen hatten.

Evaluation der beiden Fachtage aus Sicht der Teilnehmenden

Vom ersten Fachtag liegen 55 und vom zweiten Fachtag 37 Bögen vor, insgesamt 92

Rückmeldungen zu den Fachtagen. Der Rücklauf der Fragebögen des ersten Fachtags

betrug 90% und ist somit hervorragend. Für den zweiten Fachtag kann der Rücklauf nicht mit

Genauigkeit bestimmt werden, denn die Anzahl der Anwesenden wurde von den

Veranstalterinnen nicht genau dokumentiert. Der Rücklauf ist jedoch als gut einzuschätzen.

Page 17: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

17

Die Teilnehmenden, die den Fragebogen beantworteten, waren fast ausschließlich Frauen,

insgesamt drei Bögen kamen von Männern. Männer, die in Facharbeitskreisen mitarbeiteten,

die sich mit dem Thema häusliche Gewalt beschäftigten, waren gezielt eingeladen worden,

was jedoch keine Wirkung zeigte. Es nahmen ganz überwiegend Frauen teil. Diese

Verteilung ist nach Ansicht des Projektteams auch darauf zurückzuführen, dass in den

Unterstützungseinrichtungen für Frauen, die zahlreich vertreten waren, fast ausschließlich

Frauen tätig sind.

Die Teilnehmenden waren im Durchschnitt ca. 46 Jahre alt und seit durchschnittlich 11

Jahren im Beruf. Somit handelte es sich überwiegend um erfahrene Fachkräfte.

Erfahrung ist sicherlich ein Gewinn für die Arbeit im interkulturellen Kontext, denn sie

bedeutet Sicherheit im professionellen Agieren. Andererseits fehlen junge Kolleginnen und

Kollegen, die noch wenig Routine, dafür aber mehr Offenheit mitbringen könnten bzw. zu

einer Generation gehören, für die eine interkulturelle Mischung bereits an der Schule bzw.

der Hochschule eher selbstverständlich war. Dass die Mehrheit der Frauen, die Gewalt

erleiden, jung ist (Schröttle u.a. 2004) und dass vor allem junge Frauen aus eingewanderten

Familien in Konfliktlagen zwischen traditionellen Rollenerwartungen und anderen Optionen

im Einwanderungsland geraten, sollte dazu motivieren, junge Kolleginnen für dieses

Arbeitsfeld zu gewinnen.

Die Befragten hatten überwiegend sozialpädagogische Qualifikationen und viele arbeiteten in

Beratungsstellen, einige in Schutz- und Beratungseinrichtungen für von Gewalt betroffene

Frauen. Es waren auch Integrationsmanager/innen, Vertreter/innen der

Flüchtlingssozialarbeit, der Migrationsberatung, sowie der Schule und der Schulsozialarbeit

oder von Gleichstellungsstellen darunter.

Es waren kaum Teilnehmende mit eigenem Migrationshintergrund anwesend. Auch dies lag

nach Einschätzung des Projektteams daran, dass in den Einrichtungen, die präsent waren,

kaum Mitarbeiter/innen mit Migrationshintergrund beschäftigt sind.

Die Zielgruppen, mit denen gearbeitet wird, waren überwiegend (von Gewalt betroffene)

Frauen und Mädchen auf der einen und Migrant/innen bzw. Flüchtlinge auf der anderen

Seite. Somit waren beide für das Modellprojekt zentralen Arbeitsfelder auf den Fachtagen

gut repräsentiert.

Für über 60% war es nicht die erste Fortbildungsveranstaltung zu diesem Thema, es

handelte sich somit in der Mehrzahl um besonders Interessierte.

Der Anteil von Migrant/innen unter den Zielgruppen der vertretenen Einrichtungen lag im

Durchschnitt bei 30%. Einige Einrichtungen arbeiteten ausschließlich mit Migrant/innen,

andere dagegen eher selten.

Als Herkunftsländer wurden vor allem die Türkei und Länder Mittel- und Osteuropas genannt,

aber vereinzelt auch Asien, Afrika und Lateinamerika bzw. andere Länder. Einige Befragte

gaben an, Klient/innen aus 20 bzw. mehr als 30 Nationen zu beraten.

Die Teilnehmernden kamen alle sowohl aus eigener Motivation als auch im Interesse ihrer

Einrichtung, eine sehr vorteilhafte Kombination, die garantieren kann, dass die Kenntnisse

Page 18: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

18

nicht nur individuell bleiben, sondern zu Verbesserungen der Beratung von Migrantinnen in

der ganzen Einrichtung führen. Etwas über die Hälfte derjenigen, die auch am ersten

Fachtag teilgenommen hatten, antwortete am zweiten Fachtag, dass sie die Ergebnisse in

der Zwischenzeit in ihr Team eingebracht hatten.

Die Teilnehmenden gaben insgesamt eine positive Einschätzung der Fachtage. Sowohl zur

Zufriedenheit der Teilnehmenden als auch zum Nutzen, den sie aus den Fachtagen zogen,

kann die Erhebung Aussagen machen. Beides wurde als hoch eingeschätzt.

Die Erwartungen der Teilnehmenden bezogen sich vor allem auf

Anregungen, neue Ideen für die eigene Praxis, Denkanstöße, Impulse

Lösungsmöglichkeiten für Probleme der eigenen Praxis

Wissenszuwachs, theoretischen Input

Erfahrungsaustausch

97% der Befragten erklärten, dass diese Erwartungen erfüllt wurden, für die Hälfte von ihnen

sogar „voll und ganz“. Die Evaluation hinsichtlich ihrer Zufriedenheit mit der Fachtagung fiel

sehr positiv aus.

Bewertung der Fachtage durch die Teilnehmenden (N=92)

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

80%

Th

em

en

inte

ressa

nt

Vo

rträg

e fa

ch

lich

gu

t

Wo

rksh

op

fach

lich

gu

t

Arb

eits

atm

osp

re

gu

t

ja, auf jeden Fall

eher ja

eher nein

nein, auf keinen Fall

Die Themen und die Referate wurden durchweg positiv bewertet. Dabei fiel auf, dass zwei

Vorträge mit sehr unterschiedlichen Positionen, was unter interkulturellen Kompetenzen zu

verstehen sei, von mehreren Teilnehmenden gleichermaßen als besonders interessant

benannt wurden, ein Hinweis darauf, dass Anregung zum Weiterdenken gesucht und

gefunden wurde.

Die Arbeitsatmosphäre wurde sehr geschätzt. Auch in der offenen Frage, was sie besonders

positiv hervorheben wollten, bezogen sich viele Teilnehmende auf die guten

Rahmenbedingungen und die angenehme Atmosphäre der Tagung. Dies lässt vermuten,

Page 19: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

19

dass sie nicht erwartet hatten, einen Fachtag zum Thema interkulturelle Kompetenzen so

anregend und entspannt zu erleben.2

Kritisch gesehen wurde der Workshop des ersten Fachtags. Es gab nur ein Drittel positive

Rückmeldung, die anderen waren negativ. Auch die Projektmitarbeiterinnen äußerten im

Auswertungsinterview Enttäuschung, da der Workshop nicht so konkret und praxisbezogen

verlaufen war wie gewünscht und geplant. Der Workshop des zweiten Fachtags wurde

erheblich besser bewertet, mehr als drei Viertel gaben positive Rückmeldung.

Kritisiert wurde die zeitliche Enge und thematische Überfüllung des ersten Fachtags. Der

zweite Fachtag bot etwas mehr Luft auch für Austausch und Diskussion.

Die beiden Fachtage scheinen den Fortbildungsbedarf der Teilnehmenden weitgehend

gedeckt zu haben, denn nur knapp die Hälfte wünschte sich am Ende weitere Fortbildungen.

Wenn Fortbildung, dann sollte es sich nach Ansicht der Befragten um Austausch zwischen

den Arbeitsfeldern handeln – also interdisziplinär und interinstitutionell – weniger um

Austausch im eigenen Arbeitsfeld, der offenbar ausreichend stattfindet oder zu diesem

Thema weniger Bedeutung hat.

Nutzen der Fachtage aus Sicht der Teilnehmenden (N=92)

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

Neues e

rfahre

n

Inhalte

konkre

t

nutz

bar

neue

Koopera

tionspartn

er

Handlu

ngskonzepte

anw

endbar

ja, auf jeden Fall

eher ja

eher nein

nein, auf keinen Fall

Eine deutliche Mehrheit (81%) gab an, Neues erfahren zu haben, das für ihre Praxis

unmittelbar von Nutzen ist (80%). Insofern haben die Fachtage ihr Ziel erreicht. Obwohl die

Fachtage überwiegend Input in Vortragform boten und der Workshop am ersten Fachtag die

in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllte, haben doch erstaunlich viele für sie anwendbare

Handlungskonzepte mitgenommen (63%). Dass relativ wenige hier neue

Kooperationspartner trafen (32%) mag daran liegen, dass die Teilnehmenden bereits

mehrheitlich miteinander aus Kommune und Landkreis bekannt waren. Dies ist durchaus

positiv zu sehen, da die Kooperation nicht bei Null beginnt, sondern auf bereits existierende

Strukturen aufgebaut werden kann. Andererseits kann die zeitliche Enge der Fachtage, die

2 Die in der Vergangenheit oft sehr polarisierend geführte und belastend erlebte Diskussion über Rassismus

könnte hier der Hintergrund sein.

Page 20: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

20

kaum Austausch erlaubte, dazu beigetragen haben, dass sich wenig Neues entwickeln

konnte.

Für die zukünftige Planung von Fachtagen wäre ein heterogen zusammengesetztes

Publikum wünschenswert. Über eine gezielte Einladestrategie und Referierende, die

unterschiedliche Berufsbereiche ansprechen, kann dies gefördert werden.

Selbsteinschätzung der Teilnehmenden nach 2 Fachtagen (N=92)

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

sicher und gerüstet verunsichert

ja, auf jeden Fall

eher ja

eher nein

nein, auf keinen Fall

Die Teilnehmenden schätzten ihre Kompetenzen positiv aber nicht unkritisch ein.

Mehrheitlich sahen sie sich gut gerüstet für das Thema interkulturelle Kompetenzen in der

Arbeit mit von Gewalt betroffenen Frauen (66%), einige hatten aber ihre Zweifel bzw. sahen

noch Bedarf. Erfreulich war, dass die Fachtage zu mehr Sicherheit beigetragen haben und

kaum – wie durchaus möglich bei Fortbildungen mit geringen Beteiligungsmöglichkeiten und

einem als schwierig erlebten Thema – zur Verunsicherung (12%).

Der Blick der Teilnehmenden auf die eigene Haltung und Professionalität (N=92)

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

70%

ich habe Denkanstöße

bekommen

ich muss eigene Haltung

überdenken

wir brauchen

konzeptionelle

Weiterentwicklung

ja, auf jeden Fall

eher ja

eher nein

nein, auf keinen Fall

Page 21: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

21

Eine zentrale Erwartung der Teilnehmenden – Denkanstöße zu bekommen – hat sich für fast

alle erfüllt (96%). Das, was sie hier an Input und Anregung bekommen haben, führte für

knapp die Hälfte zu der Schlussfolgerung, die eigene Haltung zum Thema Interkulturalität zu

überdenken (46%), etwas mehr sahen sich in ihrer bisherigen Haltung bestätigt. Deutlich

mehr Bedarf an Veränderung wird bei den Konzeptionen der Einrichtungen gesehen. 65%

sehen hier Entwicklungsbedarf und nur eine Person ist überzeugt, dass dies keinesfalls

erforderlich ist.

Somit konnte nach Beendigung der beiden Fachtage davon ausgegangen werden, dass sie

Rückwirkungen auf die Praxis der Einrichtungen im Einzugsgebiet der Fachtage haben

werden. Die nachgehende Befragung sollte diese Annahme überprüfen.

Nachgehende Befragung der Teilnehmer/innen der Fachtage

Die These, die der nachgehenden Befragung zugrunde lag, war, dass Voraussetzung dafür,

dass der hier erkannte Bedarf an Weiterentwicklung auch in die Praxis umgesetzt wird, das

Engagement der Teilnehmenden ist, mit dem sie diese Inhalte in ihre Einrichtungen bzw. ihr

Team einbringen und die Bereitschaft der Einrichtung, die Veränderung einzuleiten. Dazu sei

eine längerfristige Arbeit erforderlich, einzelne Fachtage reichten erfahrungsgemäß nicht

aus.

Im Rahmen der nachgehenden Befragung der Teilnehmenden der beiden Fachtage kamen

nur wenige Antworten. Die Teilnehmerlisten waren unvollständig ausgefüllt, die

Emailadressen und Telefonnummern waren teilweise kaum leserlich. Emailadressen für die

Online-Befragung wurden telefonisch oder im Internet recherchiert. Insgesamt 60 Adressen

konnten ermittelt werden und wurden Anfang November 2007 angeschrieben, sechs davon

wurden nicht erreicht. Es antworteten dann 24 ehemalige Teilnehmende: 23 Frauen und ein

Mann. Die relativ kleine Anzahl vermittelt dennoch einen Einblick und – begrenzte –

Erkenntnisse über die Wirkung der Fachtage.

Das berufliche Spektrum ist breit, der Schwerpunkt liegt jedoch eindeutig auf Frauenhäusern

und Frauenberatungsstellen. Zehn der Antwortenden sind in diesen Einrichtungen

beschäftigt. Weitere zwei Personen arbeiten in Migrantinnenberatungsstellen und drei in

einer Behörde. Weitere zwei arbeiten in anderen Beratungseinrichtungen, zwei in Schulen,

außerdem waren die Kinder- und Jugendhilfe, die Jugendberufshilfe und die Elternarbeit

vertreten.

Der Altersdurchschnitt ist ähnlich hoch wie der der Fachtage, nur zwei sind jünger als 36

Jahre alt, die meisten über 40. Mehrheitlich arbeiten sie in Kreis- und Kleinstädten, sie sind

mehrheitlich erwartungsgemäß Sozialarbeiterinnen bzw. Sozialpädagoginnen und stehen

mehrheitlich über zehn Jahren im Beruf.

In einem Viertel der durch sie vertretenen Einrichtungen sind Kolleg/innen mit

Migrationshintergrund beschäftigt. Neben Deutsch werden hier am häufigsten die

klassischen Schulfächer Englisch und Französisch gesprochen und in Einzelfällen türkisch,

russisch, polnisch, arabisch, spanisch. Über Informationsmaterial in mehreren Sprachen

Page 22: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

22

verfügen die meisten Einrichtungen, allerdings gibt nur eine an, dass diese Sprachen auch in

der Beratung gesprochen werden.

Bei den Antwortenden der nachgehenden Befragung handelte es sich um eine noch stärkere

„Auslese“ als bei den Teilnehmenden der Fachtage. Über die Hälfte hatten bereits früher

Fortbildungen zum Thema interkulturelle Kompetenzen besucht, mehrheitlich öfter als

einmal. Sie verorteten ihre eigene interkulturelle Kompetenz auf einer Skala zwischen 1

(sehr hoch) und 5 (sehr niedrig) überwiegend bei 2 oder 3.

An die Fachtage des Modellprojekts konnten sich 16 von 24 noch gut bis sehr gut und 6

noch leidlich erinnern. Sie schätzten sie im Nachhinein als durchaus praxisrelevant ein, fast

drei Viertel wählten auf der Skala 1 oder 2.

In der nachgehenden Befragung wurde danach gefragt, welche Inhalte sie für die

interkulturell sensible Unterstützungspraxis für Frauen als besonders wichtig erachten.

Inhalt interkulturell sensibler Unterstützung

N=24

Bewusstsein für die kulturspezifische Abhängigkeit des Denkens und Handelns 22

Akzeptanz von Unterschiedlichkeit 19

Gute Vernetzung und Kooperation 16

Kommunikative Kompetenz und Beratungskompetenz 14

Politische, soziale, religiöse Kenntnisse über die Herkunftsländer 12

Offenheit gegenüber neuen Ideen und Wertvorstellungen 12

Fähigkeit und Bereitschaft, mein Verhalten zu ändern 8

Gute Kenntnisse des Ausländerrechts 8

Konfliktlösungskompetenzen 3

Toleranz gegenüber einem anderen Verständnis von Gewalt 1

An erster Stelle stand für die Befragten das Bewusstsein von der kulturellen Abhängigkeit

des eigenen Denkens und Handelns. Damit stellten sie einen Dreh- und Angelpunkt der

Diskussion um interkulturelles Verständnis und einen selbstkritischen Ansatz in den

Mittelpunkt. Akzeptanz von Unterschiedlichkeit und Offenheit gegenüber anderen

Wertvorstellungen waren für die meisten wichtig, hatten ihre Grenze allerdings da, wo

Gewalt Thema wird. Hier wollten die Befragten bis auf eine Person keine kulturell begründete

Relativierung zulassen. Dies zeigt eine klare und unbeirrbare Haltung gegenüber Gewalt.

Erfreulich war der hohe Stellenwert, den sie der Vernetzung und Kooperation einräumten. All

das klingt viel versprechend mit Blick auf die Qualität der Unterstützungsangebote und deren

Weiterentwicklung in der Region.

Erstaunlich ist aber, wie gering Konfliktlösungskompetenzen bewertet wurden, angesichts

der Vielfalt von Konflikten, die in den interkulturellen Begegnungen möglich und täglich auf

der Tagesordnung sind. Es ist schwer vorstellbar, dass die befragten Fachkräfte Konflikte im

interkulturellen Kontext nicht erleben. Wenn sie offensiver im Bereich der Arbeit mit

Migrantinnen werden und neue Zielgruppen erreichen, stehen sie wahrscheinlich auch vor

neuen Konflikten.

Page 23: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

23

Wie die Untersuchung zu Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen (Schröttle

u.a. 2004) zeigt, ist Gewalt in Ehen und Beziehungen migrierter Frauen sehr häufig. Zudem

liegen Erkenntnisse vor, dass Gewalt in der Erziehung in vielen eingewanderten Familien in

einem Maße üblich ist, wie es in Deutschland bis vor 20 Jahren der Fall war (Baier/Pfeiffer

2007). Sollen diese Verhaltensweisen in Frage gestellt werden, sind Konflikte in der

Beratung unumgänglich. Und dies nicht nur, wenn es um Arbeit mit gewalttätigen Männern

geht. Auch die mütterlichen Erziehungskompetenzen müssen in den Blick genommen

werden.

Ein Beispiel gibt die Mitarbeiterin eines Frauenhauses:

„Im Frauenhaus müssen wir auf Kindesmisshandlung reagieren,3 und mit dem Satz ‚In

Vietnam wird das aber so gemacht’ kann ich nicht. Ich kann nicht einfach sagen, das ist eine

andere Kultur. Die Kinder sind ein und drei Jahre alt, das war einfach nicht zu ertragen. Aber

ich will auch etwas Positives dazu sagen. Die Frau spricht überhaupt kein Deutsch, das

Intervenieren ist also auch schwierig. Wir haben mit Hilfe einer Dolmetscherin unsere

Position klar gemacht und gesagt, das gibt es bei uns nicht, das sind deutsche Kinder, die

werden in Deutschland leben und wir wollen das hier nicht. Und sie hat es angenommen. Ob

ihr noch mal die Hand ausrutscht, ist eine ganz andere Geschichte, aber sie hat akzeptiert,

dass hier Grenzen sind.“

Auch in der Kooperation unterschiedlicher Institutionen, die verantwortlich oder beteiligt sind,

wenn es um den Schutz von Migrantinnen bei häuslicher Gewalt geht, treten regelhaft

Konflikte auf. Die Perspektive einer parteilich arbeitenden Schutzeinrichtung unterscheidet

sich z.B. in der Mehrheit der Fälle von der des Ausländeramtes. Unter Fachkräften

verschiedener Qualifikation, Zuständigkeit und Entscheidungskompetenz müssen Lösungen

gefunden werden, die möglichst wirksam zum Schutz vor Gewalt führen.

Ebenso gibt es Konflikte zwischen Gruppen von Migrant/innen. Das Projektteam stand z.B.

vor dem Problem, dass eine Veranstaltung im Rahmen der interkulturellen Woche nicht wie

geplant durchgeführt werden konnte, weil die Vertreter/innen der sunnitischen Gemeinde

nicht aufs Podium wollten, wenn dort auch Aleviten vertreten waren.

In diesen Prozessen sind Sozialpädagog/innen auf Verhandlungs- und

Konfliktlösungskompetenzen angewiesen. Die Frage nach Konflikten muss weiter gestellt

werden, über die Beratungsarbeit mit betroffenen Frauen hinaus.

Hier ist eine Anregung für zukünftige Weiterbildung zu sehen: Es gilt, ein Gewicht auf

konkrete Konflikte und entsprechende Lösungsmöglichkeiten zu legen und diese zu üben.

Ein Workshop ist dafür der geeignete Rahmen. Die Motivation dazu kann von Fachtagen

ausgehen.

Anlass zur Sorge gibt die geringe Bedeutung, die guten Kenntnissen des Ausländerrechts

beigemessen wird. Nach Ansicht der befragten Expert/innen (vgl. 4.4) sind gerade diese

Kenntnisse ausschlaggebend für die Qualität der Unterstützung von Migrantinnen. Ihr

Unterstützungsbedarf wird ansonsten eher nicht anders als der deutscher Frauen

eingeschätzt. Ihre unterschiedliche rechtliche Situation – abhängig von der EU-Zugehörigkeit

ihrer Herkunftsländer, ihren legalen Aufenthalts- und Arbeitsmöglichkeiten – stellt die

zentrale Herausforderung an Unterstützung dar. Von ihrer rechtlichen Situation hängt u. a.

3 Zu dieser Diskussion vgl. auch Kavemann/Kreyssig 2006.

Page 24: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

24

ab, welche Konsequenzen ihnen aus dem Verlassen eines gewalttätigen Partners

erwachsen, ob sie sich für die Inanspruchnahme polizeilichen bzw. gerichtlichen

Gewaltschutzes entscheiden und ob sie sich an deutsche Behörden um Hilfe wenden

werden.

Zukünftige Weiterbildung muss den Teilnehmenden diese Aspekte mit großer Deutlichkeit

vermitteln. Alle Kenntnisse fremder Kulturen, Empathiefähigkeit und Selbstreflexion oder

Offenheit gegenüber anderen Werten und Traditionen sind bei der Frage des Schutzes vor

Gewalt sekundär. Wird die rechtliche Situation von Migrantinnen nicht zentral zum Thema

der beteiligten Professionellen und Institutionen gemacht, kann Gewaltschutz nicht gelingen.

Dies bedeutet nicht, dass alle Rechtsexpert/innen werden müssen, dazu gibt es die

Kooperation mit Anwält/innen. Gute Kenntnisse des Ausländerrechts gehören jedoch zu den

Grundvoraussetzungen guter Arbeit in diesem Bereich.

Die Teilnehmenden der Fachtage im Frühjahr wurden gefragt, ob sie sich nach den

Fachtagen ein Ziel gesetzt oder sich etwas Bestimmtes vorgenommen hatten. Das

beantworteten 15 mit ja, neun gaben an, Ziele erreicht zu haben. Was sie sich vorgenommen

und was sie erreicht hatten, war unterschiedlich:

Vorhaben nach den Fachtagen

N=24

vorgenommen erreicht

Die Inhalte und Ergebnisse der Fachtage in einer Teamsitzung

vorstellen und diskutieren

12 10

Die Vorträge der Referierenden nachlesen, mehr Literatur zum Thema

lesen

7 4

Die Konzeption unserer Einrichtung überprüfen und weiterentwickeln

7 3

Mehr mit Einrichtungen kooperieren, die spezifische Angebote für

Migrantinnen machen

7 3

Unsere Öffentlichkeitsmaterialien überprüfen und möglicherweise

überarbeiten

5 2

Kontakt zu Migrant/innenorganisationen aufnehmen

3 2

Zukünftig gezielt Migrantinnen als Kolleginnen werben

3 1

Eine Sprache lernen, um mit meinen Klientinnen besser reden zu

können

2 2

Unsere Beratungsräume anders einrichten, um Migrantinnen

willkommen zu heißen

2 1

Immerhin 15 von 24 nannten mindestens ein Vorhaben, das sie sich nach ihrer Teilnahme an

den Fachtagen als Ziel gesetzt hatten. Das ist eine gute Quote. Sie ist angesichts der

Auswahl besonders interessierter Personen, die sich an der nachgehenden Befragung

beteiligten, aber sicherlich nicht repräsentativ für die Gesamtheit der Aktiven in der Sozialen

Arbeit.

Page 25: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

25

Auch die Einschätzung des eigenen Erfolgs fiel positiv aus. Mehrheitlich hatten die Befragten

mindestens eines ihrer Ziele erreicht. Hier finden sich erste Hinweise auf Wirkung und

Nachhaltigkeit der Fachtage.

1. Am häufigsten gelang die Rückmeldung in das Team ihrer Einrichtung. Fast alle, die

sich das vorgenommen hatten, haben es umgesetzt.

Es könnte der Schluss gezogen werden, dass die Teilnahme besonders engagierter

Mitarbeiter/innen an Fachveranstaltungen oder Fortbildungen eine gute Chance darstellt,

dass alle in der Einrichtung Tätigen über die wesentlichen Inhalte informiert werden.

Förderlich wäre es, am Ende einer Fachtagung Zeit einzuplanen, in der die Teilnehmenden

in Kleingruppen ihre Rückmeldung an ihr Team bzw. in ihre Einrichtung gleich vor Ort

vorbereiten können. Möglich wäre auch, Zeit für ein Resümee einzuplanen, und dieses den

Teilnehmenden zuzuschicken. Es kann dann als Handreichung an das Team und als

Grundlage für einen Bericht in der Teamsitzung genutzt werden.

2. Eine Fortbildungsveranstaltung nachzubereiten, Texte nachzulesen und Literatur zu

lesen sind ganz übliche Reaktionen auf einen als anregend erlebten Input. Weniger

als die Hälfte derer, die sich das vornahmen, hat es auch in die Tat umgesetzt. Auch

das ist nicht überraschend. Angesichts der Arbeitsbelastung im Alltag verlangt es viel

Energie, sich noch an Fachliteratur zu setzen.

3. Eine Überprüfung der Konzeption ihrer Einrichtung haben nur wenige in Angriff

genommen. Dafür ist in der Regel die Unterstützung des ganzen Teams bzw. der

Leitung erforderlich, was nicht sichergestellt ist, wenn nur eine Mitarbeiterin an einer

Fortbildung teilnimmt. Das gleiche gilt für mehr Kooperation oder der Überprüfung

von Öffentlichkeitsmaterialien oder die Umgestaltung der Beratungsräume. Auch hier

sind dem individuellen Engagement Grenzen gesetzt.

Diese Themen könnten in weiteren Weiterbildungen aufgegriffen werden. „Wie weit ist uns

eine interkulturelle Öffnung gelungen und was gibt es noch zu tun?“, „Wie überarbeiten wir

unsere Öffentlichkeitsmaterialien, um Zugangsschwellen zu senken?“, dies sind sinnvolle

Themen für eine interinstitutionelle Arbeit in Workshops.

4. Mehr Kolleginnen mit Migrationshintergrund einzustellen ist ein schwieriges Ziel, das

angesichts der personellen Ausstattung und Absicherung von

Frauenberatungsstellen und Frauenhäusern aber auch von anderen freien Trägern.

Es gibt wenige Stellen und von daher wenig Wechsel. Eine besondere Rolle nehmen

Kolleginnen mit Migrationshintergrund ein, die als „andere Deutsche“ hierzulande

sozialisiert worden sind (vgl. Mecheril 1994).

5. Erfreulich ist, dass die beiden, die sich vornahmen, eine Sprache ihrer Klientel zu

erlernen, dies auch tatsächlich begonnen haben.

Kommunikation ist das Instrument der Beratungsarbeit, meistens ist es Sprache. Sprache

bedeutet bekanntermaßen sehr viel mehr als Worte, wobei die richtigen Worte

ausschlaggebend sein können, Vertrauen in einer Beratungsbeziehung aufbauen zu können.

Dies gilt nicht nur für die Arbeit mit Migrantinnen. Auch deutsche Frauen bzw. Frauen, die

gut Deutsch sprechen haben oft Probleme einzuschätzen, ob die Stelle, deren

Page 26: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

26

Telefonnummer oder Flyer sie bekommen haben, für sie und ihr Problem geeignet ist. Die

Fachsprache der Sozialen Arbeit – und der feministischen Sozialen Arbeit – ist nicht für alle

leicht verständlich. Neben Sprachschwierigkeiten spielt Beratungsferne und die Unkenntnis

des Hilfesystems eine große Rolle (Helfferich u.a. 2005). Für Migrantinnen kommen häufig

alle Probleme zusammen.

Eine Sprache zu erlernen ist ein langfristiges Vorhaben und ein weitreichender Entschluss.

Kurzfristig könnte die Arbeit mit von Gewalt betroffenen Migrantinnen davon profitieren, wenn

kleine Bedarfsanalysen in Schutz- und Beratungseinrichtungen vorgenommen werden. Z.B.

könnten Klientinnen mit Migrationshintergrund gefragt werden, worauf sie Wert legen, wenn

sie in einer Einrichtung ankommen, wie sie in Empfang genommen werden möchten und

was ihnen das Gefühl geben kann, dass sie hier richtig sind und Vertrauen fassen können

(vgl. auch Interkulturelle Initiative 2006).

Abschließend wurde in der nachgehenden Befragung weiterer Fortbildungsbedarf ermittelt.4

Mehrere Monate nach ihrer Teilnahme an den Fachtagen äußern 21 von 24 weiteren

Fortbildungsbedarf. Hier geht es also nicht um die häufig anzutreffende Reaktion nach

Veranstaltungen, dass Bedarf spontan genannt wird, weil der Eindruck des Inputs noch so

frisch ist – ein Bedarf der dann sehr oft nicht Bestand hat und nicht zur Teilnehme an

weiterführenden Veranstaltungen führt – sondern um einen Bedarf, der abgeklärt ist.

Die Befragten wünschen sich mehrheitlich Fortbildungen, die interdisziplinär angelegt sind

und gemeinsam mit Migrantinnen durchgeführt werden. Mehrheitlich sind sie an

Informationen zu spezifischen Kulturkreisen interessiert, was sicherlich mit der

Zusammensetzung ihrer Klientel korrespondiert.

Sowohl theoretischer Input bzw. Hintergrundwissen (17 mal ja) als auch praktische

Kommunikationsübungen (11 mal ja) waren gefragt.

Unklar bleibt, weshalb trotz des Monate später geäußerten Wunsches nach mehr Fortbildung

sich nur zwei Teilnehmerinnen der Fachtage zum Workshop im September anmeldeten. Dies

wäre die Gelegenheit gewesen, die Kenntnis zu vertiefen und an der eigenen Praxis entlang

zu diskutieren und zu üben.

Durch die Befragung konnte nicht geklärt werden, ob der Wunsch nach weiterer Fortbildung

ausschließlich Ausdruck eines Verlangens nach mehr Wissen und Handlungssicherheit ist,

oder ob es sich auch um ein Herausschieben von Entscheidungen über fällige

Veränderungen in Konzeption und Praxis handelt.

Es kann der Schluss gezogen werden, dass für einen engagierten Personenkreis – hier

handelte es sich mehrheitlich um Frauen aus dem Schutz- und Beratungsbereich – die

Fachtage Wirkung gezeigt haben, die über die Teilnahme und damit den Zuwachs an

Wissen und Kompetenz bei Einzelnen hinaus gingen und die Einrichtungen erreichte.

Darüber hinaus besteht bei diesen besonders Engagierten eine Motivation zur weiteren

Beschäftigung mit dem Thema interkulturelle Kompetenzen und es wird spezifischer

Weiterbildungsbedarf geltend gemacht, obwohl sie ihre eigenen Kompetenzen positiv

einschätzen. Wann und wie ausreichende Handlungssicherheit erreicht wäre, kann im

Rahmen dieser Befragung nicht beantwortet werden.

4 Es kann nichts über den Fortbildungsbedarf der Mehrheit der Teilnehmenden, die ja durch die nachgehende

Befragung nicht erreicht wurden, gesagt werden.

Page 27: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

27

Der Wunsch nach Sicherheit in der Arbeit ist verständlich, vor allem, wenn es um das Thema

Gewalt geht. Die Verantwortung für die Sicherheit der Klientinnen ist oft belastend. Es ist

schwierig damit umzugehen, wenn die Klientin ihre Situation anders einschätzt als die

Beraterin oder Wege gehen will, die die Beraterin möglicherweise für riskant oder verfehlt

hält. Diese Sorge und Unsicherheit auf Seiten der Beraterin sollte keinesfalls mittels

kulturalisierender Zuschreibungen an die Klientin entschärft werden. Sozialpädagog/innen

und Sozialarbeiter/innen sind von Berufs wegen darin geübt, auf Verunsicherung zu

reagieren und mit Unwägbarkeiten zu arbeiten. Ergebnisoffenheit ist ein zentrales Prinzip

von Beratungsarbeit. Ein Bewusstsein, dass Beratung von Menschen mit anderem

kulturellen Hintergrund nicht grundlegend andere Fähigkeiten erfordert, ist entlastend.

Unterstützungsbedarf ist immer differenziert zu sehen und individuell zu ermitteln. Bei

Migrantinnen können fehlende Sprachkenntnisse auf beiden Seiten eine Erschwernis

darstellen, für die Abhilfe geschaffen werden muss. Gibt es keine Beraterin, die die

entsprechende Sprache spricht, müssen Dolmetscherinnen zur Verfügung stehen. An

zusätzlichem und spezifischem Wissen erforderlich sind, wenn es um die Beratung von

Migrantinnen geht, spezifische Kenntnisse der (ausländer-)rechtlichen Regelungen, die das

Leben der Klientinnen betreffen.

Fachtage können auf den Bedarf an rechtlichen Kenntnissen nachdrücklich hinweisen, diese

aber nicht im Detail vermitteln, sondern in Grundzügen verdeutlichen, wo die Probleme und

die Lösungsmöglichkeiten liegen. Für die Anwendung in der Praxis ist die Rezeption von

Fachliteratur und die enge Kooperation mit Rechtsexpert/innen von Nöten. Fachtage sollten

im Interesse der Qualität der Arbeit und der Sicherheit der Klientinnen nicht vorgeben, mehr

als das leisten zu können. Sie sollten die Kooperation mit entsprechenden Fachkräften vor

Ort fördern, indem diese sich sichtbar und ansprechbar machen.

Befragung des Projektteams

Bevor der erste Fachtag stattfand, hatte sich das Projektteam bereits mehrere Monate in die

Thematik interkulturelle Kompetenz in der Beratungs- und Unterstützungsarbeit

eingearbeitet. Beide Mitarbeiterinnen waren hoch motiviert und voller Begeisterung

angesichts der Vorstellung, dass möglicherweise durch das Modellprojekt ein Impuls für eine

Verbesserung der Situation von Migrantinnen ausgehen könnte.5

Das Projektteam nahm im Teaminterview eine sehr sorgfältige und eher kritische Prüfung

der Fachtage vor. Sie waren insgesamt zufrieden. Trotz Kritik im Einzelnen sowohl an ihrer

Planung als auch am Verlauf der Tagungen und einzelnen Beiträgen, die nicht nach Wunsch

geraten waren, sahen sie ein Ziel der Fachtage erreicht:

„Mir geht immer wieder so das Wort ‚Boden’ durch den Kopf, also ich denke,

dass wir unser Ziel ein Stück weit geschafft haben, so was wie einen Boden zu

bereiten. Ich könnte nicht sagen, das und das aus dem und dem Vortrag hat den

und den Einfluss auf die Praxis, sondern ich denke eher, das ist so ein, ja, so ein

5 Sie hatten zudem das Konzept für die beiden Fachtage entwickelt, passende Referent/innen ausgewählt und

verpflichtet, Einladungen verschickt und die gesamte Tagungsorganisation übernommen.

Page 28: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

28

Neugierigmachen, so eine Information erst mal, um den einen oder anderen

eigenen Gedankengang zu hinterfragen, neu anzugucken, um dann darauf

aufzubauen.“ (Teaminterview 1)

Aus Sicht des Projektteams gab es viele Rückmeldungen, die die Anregung betonten, die

von den Fachtagen ausging. Weniger erkennbar war eine Veränderungsbereitschaft. Es

wäre jedoch auch unrealistisch, diesen Effekt unmittelbar beobachten zu wollen. Sie

erhielten aber auch Rückmeldungen, die auf die chronisch hohe Belastung der

Mitarbeiterinnen von Schutz- und Unterstützungseinrichtungen für Frauen und deren

unabgesicherten Status hinwiesen und beklagten, dass immer wieder die Kraft für

Veränderung von ihnen verlangt werde:

„Dieses ‚Was-sollen-wir-denn-noch-machen?’ Ja. ‚Gut, gebt uns Zeit und gebt

uns Geld, und dann machen wir.’ Das gab’s schon auch, und ich denke, die

Rahmenbedingungen müssen ja schon auch berücksichtigt werden. Es gab auch

ein paar ironische Sprücheklopfereien in Richtung: ‚Was können wir konkret tun

für eine interkulturelle Öffnung, man kann ja schon mal eine türkische Zeitung ins

Wartezimmer legen. Na gut, dann legen wir jetzt alle eine türkische Zeitung ins

Wartezimmer.’ Dann: ‚Wir haben gar kein Wartezimmer.’ Also es gab auch

manchmal ein bisschen spöttische Auseinandersetzungen damit, aber nicht nur

abwertend, sondern wirklich auch auf der Ebene sich damit auseinandersetzend.

Ich hab schon den Eindruck, dass da insgesamt sehr engagierte Menschen

saßen, bei denen ich davon ausgehe, dass viele offen für Veränderung sind.

Ansonsten kann ich mich an ein paar zuckende Augenbrauen erinnern und ein

paar kritische Stirnfalten, ja, und an ein bisschen eigene Nervosität.“

(Teamdiskussion 1)

Das Projektteam – selbst als Sozialpädagoginnen in der Beratungspraxis tätig – sah sich von

den teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen kritisch betrachtet. Das Modellprojekt verlieh

ihnen einen Sonderstatus, dem sie gerecht werden mussten.

Für die Zukunft wäre zu überlegen, welche Stelle oder Institution die Organisation von

Fachtagen und Fortbildungen zum Thema interkulturelle Kompetenz übernehmen sollte, um

bestmöglichen Zugang zu Fachleuten unterschiedlicher Einrichtungen zu gewährleisten. Es

wäre zu überlegen, ob ein interdisziplinäres Team, das sich aus Vertreter/innen mehrerer

Institutionen zusammensetzt, besonders geeignet ist. Ein Runder Tisch oder bereits

existierender Arbeitskreis könnte die Aufgabe übernehmen.

Befragung der Referent/innen

Die Referent/innen, die an den Fachtagen mitgewirkt hatten, wurden kontaktiert und gefragt,

ob sie im Interview Auskunft über die Fachtagung und ihre Einschätzung dazu geben

würden. Fast alle waren zum Interview bereit. Die Interviews waren ergiebig und

konzentriert. Deshalb wurden alle erreichbaren Referent/innen interviewt, mehr als

Page 29: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

29

ursprünglich geplant waren. Es liegen sechs telefonische Interviews6 von einer Dauer

zwischen 40 und 70 Minuten vor. Die Gespräche wurden in einen standardisierten

Protokollbogen übertragen und nach inhaltlichen Schwerpunkten ausgewertet.

Was ist unter interkulturellen Kompetenzen zu verstehen?

Die befragten Expertinnen und Experten definieren interkulturelle Kompetenzen

unterschiedlich auf ihrem jeweiligen beruflichen Hintergrund. Sie wurden verstanden als:

(1) Spezifische Kompetenzen für die Arbeit mit Migrantinnen und Migranten z.B. gute

Kenntnisse der eigenen Kultur und der Kultur der Zielgruppen, Kenntnisse über Migration

und Flucht (Expertin 1), umgehen können mit Menschen aus verschiedenen Kulturen und die

Fähigkeit zum Dialog und zum Zusammenleben entwickeln (Expertin 4). Betont wird, wie

wichtig das Vermeiden von Kulturalisierung und von Verallgemeinerungen ist (Experte 2).

Die Unterschiedlichkeit und Individualität von Migrant/innen muss gesehen werden.

Erworben werden können diese „Skills“ und Fähigkeiten in Workshops und Fortbildungen.

(2) Eine andere Position geht davon aus, dass interkulturelle Kompetenzen im Grunde nichts

als Professionalität in der Arbeit mit Klientinnen und Klienten bedeuten. Sie sieht die üblichen

Konzepte von Interkulturalität kritisch und fordert Basiskompetenzen der Reflexionsfähigkeit,

die nichts mit Migration zu tun haben. Ihr geht es um Handlungsfähigkeit trotz der

Unsicherheiten, um die Vermittlung von angemessener Reflexionsfähigkeit und

Fehlerfreundlichkeit durch Konzepte der interkulturellen Pädagogik.

Die beiden Positionen sind nicht „pur“ anzutreffen, sondern es zeigen sich Mischungen aus

Elementen beider in einigen Interviews.

Wie können interkulturelle Kompetenzen vermittelt werden?

Alle Referent/innen sehen die Potentiale, die Fortbildung in Form von Fachtagen hat, ebenso

wie die Grenzen, die ihr in diesem Format gesetzt sind.

Fachtage bieten eine Möglichkeit, den Wissenstand der Teilnehmenden zu erhöhen. Auf

diesem Weg können in kurzer Zeit „kompakt Wissen vermittelt und Grundlagen gelegt

werden“ (Expertin 3). Fachtage werden als „möglicher Rahmen“ (Experte 1) gesehen, die

Auseinandersetzung mit dem Thema interkulturelle Kompetenzen zu beginnen.

Die Vermittlung von Wissen und die Ansprache auf der kognitiven Ebene können nach

Ansicht der Expert/innen jedoch nicht für sich stehen. Sie sind in jedem Fall zu ergänzen

durch Angebote intensiverer Auseinandersetzung mit bisherigen Sicht- und

Verhaltensweisen. Geschieht dies nicht, besteht die Gefahr, dass sich bei den

Teilnehmenden ein falsches, weil reduziertes, Verständnis von interkulturellen Kompetenzen

verfestigt. Es müsse darum gehen, „den Diskurs über interkulturelle Kompetenzen zu

problematisieren und das herkömmliche Verständnis davon in Frage zu stellen.“ (Experte 1)

„Institutionen und ihre Vertreter und Vertreterinnen verstehen sich als defizitär, weil sie

bestimmte Gruppen kaum oder gar nicht erreichen und die Kommunikation nicht gelingt. Es

besteht ein Bedarf an Kenntnissen und Kompetenzen, das zu ändern. Also wird eine

‚technologische’ Lösung angestrebt. ‚Ich mache mich fit, damit ich die Zielgruppe richtig

6 Ursprünglich waren persönliche Interviews geplant. Es erwies sich jedoch als unlösbares Terminproblem, da

die Interviews nicht in zeitlicher Nähe planbar waren und der Zeit- und Reiseaufwand deshalb unangemessen

gewesen wäre.

Page 30: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

30

anspreche.’ Durch diese Art der Weiterbildung können aber Probleme nicht gelöst werden,

auch wenn das eine verbreitete Ansicht im psychosozialen Sektor ist.“ (Experte 1)

Sind interkulturelle Kompetenzen etwas, das man erlernen / erwerben kann?

Diese Kompetenzen können wie alle Kompetenzen erworben werden. Da sind sich die

Expert/innen einig. Allerdings bestehen Unterschiede, wo die Schwerpunkte des Lernens

liegen sollten. Es geht nicht nur um Lernen, sondern auch um Hinterfragen von als

selbstverständlich geltenden Haltungen und Einstellungen.

„In einer Dominanzkultur müssen Prozesse des Verlernens stattfinden, es muss zuerste

Abstand genommen werden von Selbstverständlichkeiten und Privilegien. Die Frage lautet,

wie können wir angemessen mit den Verhältnissen umgehen?“ (Experte 1)

Auch in den großen Gruppen eines Fachtags können Stereotype aufgebrochen werden, das

ist methodisch machbar. Es darf dann nur nicht vorher ein Wissensinput in Form eines

Referats erfolgt sein, denn dann orientieren sich alle an der gewünschten Haltung und

niemand äußert sich mehr gegenteilig (Expertin 3).

„Mit unseren Seminaren erreichen wir immer die Gutmenschen.“ (Expertin 3)

Bestimmte Bereitschaften und Fähigkeiten erleichtern den Erwerb interkultureller

Kompetenzen. Bereitschaft ist ein Voraussetzung, die alle mitbringen müssen. Fähigkeiten

können im Laufe von Fachtagen, Seminaren, Workshops erlernt werden. „Eine hohe

Fähigkeit zur Empathie erleichtert den Erwerb interkultureller Kompetenz genauso wie die

Auseinandersetzung mit anderen Themen wie z.B. Gender. Eine rigide Persönlichkeit ohne

Ambiguitätstoleranz und Rollendistanz erschwert es und kann es sogar unmöglich machen.

Erleichternd ist es, wenn Menschen kulturrelativistisch denken können, dann muss die

eigene und die fremde Kultur nicht gemessen und bewertet werden, ein Über- oder

Unterordnung bleibt erspart.“ (Expertin 3) Diese Expertin begrüßt verpflichtende Fortbildung

zu diesem Thema denn „jeder Mensch in öffentlichen Diensten und Einrichtungen, Lehrer,

Polizei, Richter, Ämter usw. braucht interkulturelle Kompetenzen, weil die Zahl der

Menschen mit Migrationshintergrund ansteigt.“

Eine andere Position stellt die hier genannten Ansprüche an Beratung nicht in Frage, geht

aber davon aus, dass die „eigentlich von Sozialpädagog/innen nicht extra gelernt werden

müssen, denn zu deren Kompetenzen sollte bereits durch die Ausbildung Empathiefähigkeit

und Rollendistanz gehören. Man muss auch die kulturellen Hintergründe kennen, aber

Lebensweltorientierung gehört zu den klassischen sozialarbeiterischen

Handlungskonzepten. Die Übertragung auf Migration fällt vielen schwer, sie denken immer,

bei Migrant/innen müsste es etwas ganz Besonderes sein. Dabei reichen die

Basiskompetenzen durchaus.“ (Experte 2) Das gilt nicht nur für Frauenunterstützung,

sondern auch für Täterarbeit. Hier gelten die gleichen Konzepte und Methoden, es braucht

aber muttersprachliche Trainings und ein starkes Eingehen auf traditionelle

Männlichkeitskonzepte als Anlass für Gewalt in Partnerschaften.

Expertinnen und Experten sprechen sich gegen ein migrationsspezifisch oder rezepthaft

verstandenes Lernen aus. Interkulturelle Kompetenzen sollten als „allgemeine Kompetenz

oder vielmehr Performanz diskutiert werden. Eine Gesellschaft kennt nicht nur die

Differenzierung durch Migration. Es geht im psychosozialen und pädagogischen Bereich

immer um vielfältige Lebenslagen. Durch Migration erscheinen diese Unterschiede wie unter

Page 31: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

31

einer Lupe.“ (Experte 1) Beim Erwerb der „Basiskompetenz Reflexionsfähigkeit“ sollte –

wenn interkulturelle Kompetenzen ernst genommen werden – immer vom Nicht-Wissen, von

der Nicht-Sicherheit ausgegangen werden. Es gibt keine Sicherheit und man kann die

gewünschte Sicherheit nicht erwerben. Eine Pseudo-Sicherheit verstärkt nur die Klischees.“

(Experte 1)

Diese Reduzierung von Dominanz und das Nicht-Wissen als Ausgangspunkt stärkt die

Position der migrierten Klientinnen und Klienten und schafft eine Ausgangsbasis der

Gegenseitigkeit: „Es geht nicht darum, dass Migrantinnen lernen müssen, wie hier die Uhr

tickt.“ (Expertin 2) „Es geht nicht darum, dass Mehrheitsangehörige sich fit machen, wie sie

mit Minderheiten umgehen.“ (Experte 1) „Interkulturelle Kompetenzen sind nicht als

Gebrauchsanweisung für bestimmte Gruppen zu verstehen, es geht darum, Menschen zu

verstehen und verstehen zu wollen.“ (Expertin 1)

Der Experte sieht dann spezifische Probleme bei einzelnen Gruppen von Migrant/innen z.B.

dass das Unrechtsbewusstsein bei gewalttätigen Männern oder Eltern nicht sehr ausgeprägt

ist und die Vorstellung, dass Gewalt legitim sein kann, weiter verbreitet ist, als bei

Deutschen. Er fordert „muttersprachliche Elternarbeit, weil auch Eltern, die ihre Kinder

wirklich lieben, sie oft schlagen, damit aus ihnen etwas Anständiges wird. Hier ist

Sensibilisierung gefordert.“ (Experte 2)

Es werden Anforderungen an die inhaltliche Konzeption der Weiterbildungsveranstaltungen

formuliert und Ausführungen über die Reichweite solcher Angebote gemacht: Gelingen kann

nur die Verzahnung von Input und Übungen. In dieser Kombination kann die Reflexion von

Erfahrung angeregt und unterstützt werden. Anhand von Fallbeispielen kann darüber

nachgedacht werden, wann, von wem und mit welcher Absicht der Kultur- Relevanz

eingeräumt wird. Welche Bedeutung hat das für diejenigen, die es tun?

Haben Migrantinnen einen anderen, einen spezifischen Unterstützungsbedarf?

„Migrantinnen haben keinen grundlegend anderen Bedarf: Auch sie wollen verstanden

werden. Sie haben einen gleichen Unterstützungsbedarf aber teilweise spezifische

ausländerrechtliche Probleme.“ (Expertin 1)

Die Befragten sprechen sich vor allem für eine solide Professionalität und eine gute Kenntnis

ausländerrechtlicher Fragen aus. Darüber hinaus ist ein Wissen über die Bedeutung von

Migration und über die Bedeutung von Zusammenhalt in der Migration erforderlich.

„Oft kommen Frauen sehr spät in Beratung, in Russland hätten sie nie so lange gewartet.

Trennung und Scheidung werden von den Einrichtungen zu schnell zum Thema gemacht.

Ich kenne Fälle, in denen Scheidung empfohlen wurde, obwohl der Aufenthaltsstatus nicht

abgeklärt war, den Mitarbeiterinnen fehlten die Kenntnisse. Die Frau war zwar vor Gewalt

geschützt aber die Ausweisung stand an. Da sie bleiben wollte, hing alles von ihrem Mann

ab, ob er sie wieder aufnimmt. Das gibt ihm noch mehr Macht. Beratung muss an erster

Stelle informieren und Wege aufzeigen, Information über Rechte und Pflichten steht ganz

oben, um Handlungsspielraum zu eröffnen.“ (Expertin 4)

Die hier ausgeführten Ansprüche an Beratung gelten in gleichem Maße auch für deutsche

Frauen, bis auf die Problematik drohender Ausweisung. Auch sie brauchen gute Aufklärung

und rechtliche Orientierung, ohne dass ihnen als erstes zu Trennung und Scheidung geraten

Page 32: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

32

wird (vgl. Helfferich u. a. 2005). Frauen, deren Lebensmodell Ehe und Familie sind – ganz

unabhängig davon, woher sie stammen – wünschen sich eine Beratung, die diesen

Lebensplan respektiert und sie darin unterstützt, ihn gewaltfrei zu realisieren. Sie wünschen

oft die Beratung des Partners, der sein Verhalten ändern soll. „Mit den Männern in der Krise

zu reden, kann bewirken, dass sie ihr Verhalten ändern. Umsiedelung, Migration ist eine

Krise der ganzen Familie.“ (Expertin 4)

Kulturelle Aspekte wie die Betonung von Individualität oder von Interdependency spielen

eine Rolle in der Unterstützungsarbeit. In der nord- und westeuropäischen Frauenhausarbeit

und den hier entwickelten Interventionskonzepten wird vorrangig darauf gesetzt, Schutz und

Sicherheit durch eine Trennung vom gewalttätigen Partner zu erreichen und Frauen dabei zu

unterstützen. Die rechtlichen Möglichkeiten, eine Trennung herbeizuführen, wurden in den

vergangenen Jahren deutlich verbessert. Eine möglichst schnelle und entschlossene

Trennung wird als kompetente Entscheidung einer von Gewalt betroffenen Frau gesehen,

der Wunsch, die Beziehung aufrecht zu erhalten, gilt eher als problematisch und

unentschlossen. Eine schnelle Trennung entspricht jedoch einem Lebenskonzept, das auf

Unabhängigkeit und Individualität basiert. Frauen, die stark in Gemeinschaften denken und

gelernt haben, so zu leben, sind mit der Anforderung einer schnellen Trennung meist

überfordert. Wenn sie sich nicht entschließen können, wird ihnen das oft als Schwäche

ausgelegt, sich und die Kinder nicht schützen zu können. Obwohl bei weitem nicht nur

Migrantinnen den erklärten Wunsch haben, dabei unterstützt zu werden, die Beziehung und

Familie aufrecht zu erhalten – jedoch gewaltfrei (vgl. Helfferich u.a. 2005) – gibt es zwar viel

Beratungspraxis aber noch wenig explizit für diesen Lebensentwurf angelegte Konzepte, vor

allem nicht in der Frauenhausarbeit, die ja eine zumindest temporäre Trennung voraussetzt.

„Es ist eine große Herausforderung. Wie unterstütze ich eine Person, die in Deutschland

lebt, aber ganz andere Werte hat? In Indien oder in der Türkei geht es viel mehr um

Interdependency, Harmonie, Kompromisse, Gemeinschaft. Dafür wird viel getan. Es ist keine

Schwäche, es braucht auch Stärke, in einer Gruppe zu leben und Kompromisse zu

schließen. Darauf muss Beratung eingehen. Trennung ist nicht immer eine Option, das

Gesicht zu verlieren spielt eine große Rolle. Es muss darum gehen, Frauen, die in Familie

und Gruppe bleiben, zu bestärken und nicht zu sagen: Wenn du noch nicht so weit bist, kann

ich dir nicht helfen.“ (Expertin 2)

Gute Unterstützung bedeutet für eine Expertin Folgendes: „Eine feministische Haltung,

Qualitätssicherung der Beratung, Vernetzung und interkulturelle Kompetenz – alles fließt

zusammen.“ (Expertin 1)

Die Interviews zeigen, dass unterschiedliche Konzepte von dem, was unter interkulturellen

Kompetenzen verstanden wird, im Rahmen der Fachtagungen Thema wurden. Die

Referent/innen setzten unterschiedliche Schwerpunkte, abhängig von ihrer eigenen

beruflichen Perspektive, ob aus Sicht der Sozialen Arbeit allgemein, der

Migrationsforschung, der interkulturellen Pädagogik, der Frauenunterstützung, der

Weiterbildung usw. Bei allen Unterschieden im Detail gab es jedoch grundsätzliche

Übereinstimmungen in den Positionen der Expert/innen: Fachtage werden als Möglichkeit

der Wissensvermittlung geschätzt, Workshops und Training als notwendige Ergänzung

gesehen.

Page 33: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

33

5. Ein Workshop zur Vermittlung und Erprobung interkultureller

Kompetenzen

Der Workshop fand ein halbes Jahr nach den Fachtagen statt. Er wurde in das Programm

der Volkshochschule aufgenommen und war Teil der „interkulturellen Woche“. Noch während

der Fachtage konnten sich Interessierte für den Workshop eintragen, das Interesse war aber

gering. Die erreichbaren Teilnehmenden wurden zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal

eingeladen.

Ziel des Workshops war, „für Kulturunterschiede zu sensibilisieren und aufzuzeigen, wie

diese die alltägliche Beratungspraxis mit Migrantinnen beeinflussen“ (Ausschreibung).

Der Workshop orientierte sich an den Fragestellungen und Bedürfnissen der Teilnehmenden,

die deshalb aufgefordert wurden, Fragen aus ihrem Berufsalltag, die sie bearbeiten wollten,

vorab einzureichen. Zur Vorbereitung worden folgenden Fragen zugeschickt:

Welche Bilder haben wir von den Lebenszuschnitten der Frauen? Kennen wir ihre

Werte?

Welche (deutschen) Werte haben wir in unseren Köpfen, wenn wir die Frauen

beraten?

Nehme ich wahr, dass ich als Beraterin in einer privilegierten Situation bin? Wie wirkt

sich das auf die Beratungspraxis aus?

Was bedeutet es, interkulturell kompetent zu sein? Wie wird man es?

Wenn ich im Alltag mit den Frauen Situationen erlebe, die mir gänzlich unverständlich

sind, wie gehe ich damit um? (Einladungsschreiben vom 16.7.07)

Der Workshop war gedacht als eine Vertiefung der Inhalte der Fachtage mit starkem

Praxisbezug. Aus Sicht des Projektteams „ein Muss“, wenn die einführende Information

durch die Fachtage sinnvoll gewesen sein sollte (Teamdiskussion 3). Es wurde überlegt,

einen zweiten Workshop anzubieten, da im Laufe einer eintägigen Veranstaltung zu wenig

Zeit für praktische Vertiefung und Rollenspiele sei. Die Anmeldungen kamen jedoch spärlich

und es stand zeitweilig nicht fest, ob der Workshop stattfinden könne. Schließlich kam mit 13

Teilnehmerinnen eine ausreichend große Gruppe für den Workshop zustande, allerdings

hatten nur eine an beiden und zwei an einem Fachtag teilgenommen.

Es ist festzuhalten, dass durchaus Interesse an einem eher praktisch ausgerichteten

Weiterbildungsangebot besteht, dass aber das Angebot an die Tagungsteilnehmer/innen im

Anschluss an die Fachtagungen eine Vertiefung der erhaltenen Informationen durch einen

praktisch ausgerichteten Workshop zu erhalten, nicht wahrgenommen wurde.

Am Workshop nahmen ausschließlich Frauen – meist aus eigener Initiative und nur in einem

Fall auf Initiative ihrer Einrichtung – teil. Acht Teilnehmerinnen waren im Frauenhaus bzw. in

BISS-Stellen oder Frauenberatungsstellen tätig, außerdem waren Schule, andere

Beratungseinrichtungen und psychosomatische Klinik vertreten. Der Altersdurchschnitt lag

noch etwas höher als bei den Fachtagen, neun von 13 waren über 46 Jahre alt. Die Angaben

zur Qualifikation und beruflichen Situation entsprachen denen der

Fachtagungsteilnehmenden. Die Hälfte hatte bereits Fortbildungen zum Thema

interkulturelle Kompetenzen besucht. In den Einrichtungen, aus denen die

Page 34: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

34

Workshopteilnehmerinnen kamen, gab es nur in zwei Fällen Mitarbeiterinnen mit

Migrationshintergrund und es wurden auch kaum die Sprachen der größeren

Migrationsgruppen gesprochen. Gefragt nach dem, was sie am Workshop positiv erlebt

hatten, ergab sich folgendes Bild:

Was war positiv am Workshop?

N=137

Die Vermittlung von Wissen über unterschiedliche Kulturen

11

Die Vermittlung durch die Workshopleiterin

10

Die praktischen Übungen zum Umgang mit Unterschiedlichkeit von

Klientinnen

8

Der Austausch mit der Gruppe

7

Die Vermittlung theoretischer Grundlagen

1

Negative Rückmeldung gab es nur von einer Teilnehmerin, die den Austausch in der Gruppe

nicht gelungen fand und vier Teilnehmerinnen, die die Vermittlung theoretischer Grundlagen

vermissten. Es kann festgehalten werden, dass die Zufriedenheit der Teilnehmerinnen des

Workshops groß war und erwartungsgemäß die Person der Workshopleiterin und ihre

Kompetenz dafür ausschlaggebend waren.

Zusätzlich wurde nach einzelnen Aspekten der Workshopinhalte gefragt, um genauere

Rückmeldungen zu erhalten.

Wie wurden folgende Aspekte bewertet?

N=13

nein, auf

keinen Fall

Eher

nein

Eher ja ja, auf

jeden

Fall

War das Arbeitsklima dem Lernen förderlich?

--- --- 2 11

Stand genug Zeit für die Vermittlung der Inhalte zur

Verfügung?

--- 3 8 2

Stand genug Zeit für Übungen zur Verfügung?

--- 2 4 7

Stand genug Zeit für Diskussionen zur Verfügung?

--- --- 7 6

Konnten Sie Ihre eigenen Erfahrungen einbringen?

--- --- 8 5

Konnten Sie die Inhalte auf Ihre Arbeitspraxis

beziehen?

--- 1 4 8

Wurden Sie mit Ihrer Sicht akzeptiert?

--- --- 3 10

Gesamtbewertung

--- 6 36 49

7 Wegen der kleinen Gesamtheit ist es nicht sinnvoll, Prozentangaben zu rechnen.

Page 35: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

35

Die Bewertung des Workshops fällt sehr positiv aus. Es gibt wenig kritische und keine

negative Rückmeldung, es konnte gut und ertragreich gearbeitet werden.

Von besonderem Interesse war für die Befragung, worin der Nutzen für die Teilnehmerinnen

bestand. Bereits bei der Frage nach einzelnen Aspekten zeichnen sich Hinweise auf den

Nutzen ab, z.B. wenn sich die Inhalte des Workshops auf die eigene Arbeitspraxis beziehen

ließen bzw. eigene Erfahrungen thematisiert werden konnten.

Eine weitere Frage richtete sich auf erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten.

Haben Sie sich im Workshop

Kenntnisse und Fähigkeiten erworben?

nein, auf

keinen Fall

Eher nein Eher ja ja, auf

jeden Fall

Ich habe Hintergrundwissen über Migration

erworben.

--- 3 6 4

Ich habe erfahren, worin die Probleme

interkultureller Kommunikation liegen.

--- 2 3 8

Ich habe mehr über den sozialen, kulturellen

und politischen Hintergrund meiner Zielgruppe

erfahren.

--- 4 6 3

Ich konnte praktisch üben, wie ich

interkulturelle Kommunikation besser gestalte.

--- 4 5 4

Ich habe unterschiedliche und kontroverse

Sichtweisen kennen gelernt.

--- 2 5 6

Ich kann interkulturelle Kompetenz jetzt

definieren.

--- 2 8 3

Gesamteinschätzung

--- 17 33 28

Die Frage nach dem Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten fällt positiv aber verhaltener

aus, als die allgemeine Bewertung des Workshops. Hier geht es nicht nur um eine

Stellungnahme zur Gruppe oder zur Workshopleiterin bzw. zur Konzeption, sondern es geht

auch konkret um eigene Kompetenzen. Den höchsten Wert erreicht die Aussage „Ich habe

erfahren, wo die Probleme interkultureller Kommunikation liegen“. Klarheit über die

Problematik ist sicherlich der Beginn der Veränderung, jedoch noch keine

Handlungssicherheit.

Dass die Teilnehmerinnen bei der Einschätzung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten

selbstbewusst aber nicht illusionär sind, zeigen auch die Antworten auf die nächste Frage,

bei der es darum ging, was der Workshop für sie persönlich bedeutet hat.

Page 36: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

36

Was hat der Workshop bei Ihnen

persönlich bewirkt?

nein, auf

keinen Fall

Eher nein Eher ja ja, auf

jeden Fall

Ich fühle mich sicher mit dem Thema

Interkulturalität

--- 2 11 ---

Ich fühle mich in meiner bisherigen Sicht der

Dinge bestätigt

--- 3 10 ---

Ich fühle mich in meiner bisherigen

Arbeitspraxis bestätigt

--- 5 8 ---

Ich fühle meine bisherige Sichtweise in Frage

gestellt

2 5 6 ---

Ich merke, dass ich meine bisherige

Arbeitspraxis verändern sollte

--- 6 7 ---

Ich fühle mich unangenehm verunsichert

9 4 --- ---

Ich fühle mich produktiv verunsichert

2 4 3 3

Wenn die persönliche Sichtweise und der persönliche Gewinn aus dem Workshop

angesprochen werden, werden die Antworten noch vorsichtiger. Es überwiegen aber auch

hier deutlich die positiven Rückmeldungen. Die Teilnehmerinnen haben mehrheitlich auch

persönlich von dem Workshop profitiert, sie fühlen sich sicher mit ihrer Sichtweise der

Thematik und ihrer Arbeitspraxis und haben eventuelle Verunsicherung eher produktiv als

verunsichernd erlebt. Das Ziel eines Workshops zum Thema interkulturelle Kommunikation

und Kompetenz muss auch sein, herkömmliche Sichtweisen in Frage zu stellen und

Teilnehmende herauszufordern, was ihre Arbeitsroutinen betrifft. Dies scheint gelungen und

zwar in einem Maß, das hilfreich und anregend war und nicht entmutigend.

Die Teilnehmerinnen waren mit dem Workshop sehr zufrieden und empfanden ihre

Teilnahme als lohnend, für alle wurden ihre Erwartungen erfüllt und bis auf eine geben alle

an, ihre Befürchtungen hätten sich nicht bestätigt. Das ist ein sehr erfreuliches Ergebnis,

denn gerade einem Workshop zu einem schwierigen Thema und mit dem Anspruch an die

Teilnehmenden, sich aktiv einzubringen und mit ihrer Sichtweise und Praxis zu zeigen, wird

oft mit Befürchtungen begegnet, sich exponieren zu müssen oder bloßgestellt zu werden,

was viele an der Teilnahme hindert. Die positiven Rückmeldungen zeigen, dass Workshops

nach diesem Konzept von den Teilnehmenden als bereichernd erlebt werden.

Alle 13 Teilnehmerinnen äußern in der Evaluation, dass sie noch mehr Bedarf an Information

und Fortbildung haben. Alle vorgegebenen Antwortmöglichkeiten – theoretischer Input,

Hintergrundwissen und interdisziplinäre Fortbildung – werden als Bedarf genannt. Vor allem

aber würden die Teilnehmerinnen ihrer Ansicht nach von Fortbildung zu spezifischen

Kulturkreisen, mehr praktische Kommunikationsübungen und Fortbildung gemeinsam mit

Migrantinnen profitieren.

Dieser Wunsch nach mehr Wissen kann bedeuten, dass sie richtig „auf den Geschmack“

gekommen sind und ein Thema entdeckt haben, dass viele spannende Facetten hat.

Interessant ist der Wunsch nach Workshops gemeinsam mit Migrantinnen. Einerseits macht

Page 37: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

37

dieser Wunsch Sinn, weil auch Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund nicht

automatisch über Interkulturelle Kompetenzen verfügen. Sie sind zwar aufgrund ihrer

Lebenssituation in der Migration viel stärker gefordert – geradezu genötigt – diese zu

erwerben, können aber durchaus auch ihrerseits von Weiterbildung und Austausch zu

diesem Thema profitieren (Interkulturelle Initiative 2006). Problematisch wird es, wenn der

Wunsch nach ihrer Teilnahme dazu führt, dass sie für Lernprozesse funktionalisiert werden.

Es kann immer nur um ein gegenseitiges, gleichberechtigtes Lernen gehen. Davon könnten

dann alle Beteiligten sehr profitieren. Die befragten Expertinnen und Experten äußern sich

auch zu diesem Aspekt. Sie weisen darauf hin, dass „auch Kolleginnen und Kollegen mit

Migrationshintergrund interkulturelle Kompetenzen erlernen müssen“ und es auch

Hierarchisierungen zwischen Migrant/innen gibt (Experte 2). Andererseits können ihrer

Meinung nach „Grundkenntnisse nicht ohne Kontakt erworben werden.“ (Expertin 3).

Nicht nur inter-disziplinäre und inter-institutionelle, sondern auch inter-kulturelle Workshops

sind das zukünftige Modell.

Page 38: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

38

6. Weiterentwicklung der Kooperation und Vernetzung in der Region

Um das Ziel eines verbesserten Zugangs zu den Communities zu erreichen und die

Zugangsschwellen für von Gewalt betroffene Migrantinnen zu senken, luden die

Koordinatorinnen Vertreterinnen mehrerer Einrichtungen, die mit Migrantinnen arbeiten, zu

einem Arbeitskreis ein. Der Arbeitskreis traf sich während der Zeit der wissenschaftlichen

Begleitung vier Mal.

Von den Teilnehmerinnen des Arbeitskreises hatten nur wenige an den Fachtagen im

Frühjahr bzw. am Workshop im Herbst teilgenommen. Sie waren gezielt für die Mitarbeit im

Arbeitskreis eingeladen worden. Diejenigen, die teilgenommen hatten, konnten sich zum Teil

an einzelne Aspekte von Referaten noch gut erinnern, anderes war nicht mehr unmittelbar

abrufbar:„Die Inhalte könnte ich jetzt hier nicht aufsagen, aber sie sind im Hinterkopf bei

Gelegenheit da.“

Der Workshop war intensiver im Gedächtnis geblieben, nicht nur weil er noch nicht so lange

zurück lag. „Der Workshop war für mich so was auf einer ganz anderen Ebene, also so ein

Spüren, so ein Nachfühlen, ja, nicht so ein rationales Lernen.“

Im Arbeitskreis waren vor allem Fachfrauen mit Migrationshintergrund vertreten, die in

unterschiedlichen Einrichtungen arbeiten. Das Thema interkulturelle Kompetenzen wurde

aus mehreren Perspektiven aufgegriffen und diskutiert. Es geht ihnen vor allem um

„Brücken“, um Verbindendes, nicht vorrangig um die Unterschiede.

„Ich höre manches von früher, was hier (in Deutschland) jetzt nicht mehr so aktuell ist, ein

paar Jahre zurück, dann sehe ich viele Ähnlichkeiten in der Kultur, die bei uns gelebt wird.

Da sehe ich doch viele Gemeinsamkeiten, nicht nur für die einen oder anderen typisch. Im

Grunde genommen ist es von den Werten her gleich.“

Sie koordinierten in ihrer Runde die Erstellung eines mehrsprachigen Informationsblattes,

das an Migrantinnen für ihre Region gerichtet sein sollte. Dieser Flyer sollte zukünftig in allen

Integrationskursen und –Gruppen verteilt werden und den Zugang zu Unterstützung

erleichtern.

Weitere Aktivitäten des Arbeitskreises, die überwiegend von den Projektkoordinatorinnen

umgesetzt wurden, waren die Planung von zwei Veranstaltungen im Rahmen der

interkulturellen Woche in Stadthagen im September 2007. Zum einen sollte hier der Vortrag

einer Islamwissenschaftlerin nachgeholt werden, der am ersten Fachtag wegen Erkrankung

der Referentin ausfallen musste. Zum zweiten hatte sich der Arbeitskreis das Thema Fasten

in unterschiedlichen Religionsgemeinschaften als Diskussionsthema gewählt. Hier gab es

jedoch ein Problem: Wegen eines Konflikts zwischen dem türkischen Kulturverein

sunnitischer Ausrichtung und den Aleviten will der Kulturverein nicht aufs Podium, wenn die

Aleviten auch vertreten sind. Der Zugang zu beiden Gruppen war gelungen, eine

Zusammenarbeit scheiterte nun an Konflikten, die nichts mit dem Verhältnis Deutsche –

Migranten zu tun hatten.

Der Zugang zur Gemeinde der Russlanddeutschen gelang während der wissenschaftlichen

Begleitung trotz intensiver Versuche und auch der guten Kontakte zum Integrationsrat nicht.

Page 39: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

39

Im Rahmen des Arbeitskreises wurden Besuche von Vertreterinnen von

Unterstützungseinrichtungen in Integrationskursen organisiert. Dies sollte demnächst feste

Praxis sein.

Auch die Durchführung eines weiteren Workshops wurde geplant, da der erste gut

aufgenommen worden war und es inzwischen bei mehreren Fachkräften Interesse daran

gab.

Die Teilnehmerinnen des Arbeitskreises schätzten die ganz konkrete Kooperation. „Ich habe

das Gefühl, da ist ein neues Netz entstanden.“ Und sie sahen bereits Auswirkungen ihres

Engagements. Eine Teilnehmerin stellte fest, dass mehr Klientinnen mit

Migrationshintergrund inzwischen in ihrer Einrichtung ankommen.

Eine andere führte eine ähnliche Entwicklung vor allem auf ihre eigenen Lernprozesse

zurück:

„Die Beratungen von ausländischen Frauen sind schon vorher ( vor Gründung des

Arbeitskreises) gestiegen, wir haben tatsächlich mal gezählt. Wir haben seit Anfang des

Jahres Migrationshintergrund in der Statistik, das hatten wir vorher nicht. Also nach

Migrationshintergrund, ich sag mal nach Selbsteinschätzung, wir fragen die Frauen nicht

nach dem Pass. Und das lag bei 30 Prozent, das hatte ich gar nicht so gefühlt. In der

Trennungs- und Scheidungsberatung sind ganz viele Frauen aus Polen und

Russlanddeutsche und türkischstämmige Frauen. Ich habe seit Beginn des Projekts, auf

einer anderen Ebene eine Tür aufgemacht. Da ist einfach innerlich eine Tür aufgegangen

und ich habe ganz spannende Begegnungen gehabt.“

Die Weiterführung eines solchen Arbeitskreises wäre sinnvoll, andererseits waren alle

Teilnehmenden zeitlich sehr belastet und eine regelmäßige Teilnahme war nicht immer

möglich. Von daher war es eine gute Entscheidung des Projektteams, zu einer begrenzten

Anzahl von Sitzungen und einem konkreten Vorhaben einzuladen. Möglicherweise gelingt

es, Gruppen in wechselnder Zusammensetzung für unterschiedliche Ziele und Aufgaben

zusammenzustellen und mehr Fachkräfte aktiv einzubinden, nicht immer die gleiche Zahl

derjenigen, die sich immer engagieren.

Page 40: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

40

7. Schlussfolgerungen und Diskussion

Das Modellprojekt entwickelte und erprobte ein Konzept zur Verbesserung des Zugangs und

der Unterstützung von Gewalt betroffener Migrantinnen im Landkreis Schaumburg. Zwei

aufeinander aufbauende Fachtagungen und ein Workshop, ein Arbeitskreis und eine

Handreichung für die Praxis waren die Bausteine des Modells. Die Befragungen aller

Beteiligter zeigen, dass das Modell erfolgreich umgesetzt wurde, viele Ziele erreicht werden

konnten und es Anzeichen für nachhaltige Wirkung gibt. Gleichzeitig können aus dem Modell

eine Vielzahl von Hinweisen für verbesserte Planung, Umsetzung und Implementierung von

Weiterbildung zum Thema interkulturelle Kompetenzen in der Unterstützung von

Migrantinnen gezogen werden.

Dem Modell waren durch die Ausstattung und den zeitlichen Rahmen Grenzen gesteckt. Die

begleitende und nachgehende Zielkontrolle zeigt ein Problem, das für Modellprojekte üblich

ist: Für die Entwicklung und Erprobung eines innovativen Vorhabens steht in der Regel viel

zu wenig Zeit zur Verfügung. Selbst ein Projekt, das über üppigere Ressourcen verfügt als

das in Stadthagen, braucht mehr Zeit, um zu Ergebnissen zu kommen, die so ausgereift

sind, dass sie von anderen genutzt und auf andere Regionen übertragen werden können.

Messbare Resultate der Aktivität eines Modellprojekts können in der Kürze der Laufzeit

keinesfalls dokumentiert werden. Veränderungen vollziehen sich langsam, Personen und

Institutionen brauchen Zeit, um auf neue Anregungen zu reagieren. Um tatsächlich

projektbezogene Veränderungen messen, beurteilen und nutzen zu können, wäre es

optimal, wenn einer Modellphase von zwei Jahren eine Implementierungsphase von zwei

Jahren und danach eine erneute Phase der Evaluation und Überarbeitung der Konzeption

folgte.

Konsequenzen für die Unterstützungspraxis

Die Ergebnisse des Modellprojekts und der Befragung der Beteiligten geben einige Hinweise

darauf, wie Unterstützungspraxis für Migrantinnen in Fällen häuslicher Gewalt verbessert

werden kann. Sie sollen hier in Kürze benannt werden.

Fast alle Einrichtungen verteilen mehrsprachige Informationen über ihr Angebot.

Zukünftig sollte mehr darauf geachtet werden, dass deutlich wird, ob die Sprachen, in

denen Druckerzeugnisse oder Internetinformation vorgelegt werden, auch in der

Beratung gesprochen werden. Es sollte sehr klar ausgewiesen werden, welche

Sprache am Telefon oder im Beratungsgespräch gesprochen wird, dass für andere

Sprachen eine Dolmetscherin hinzugezogen werden kann. Von unschätzbarem Wert

sind mehrsprachige / muttersprachliche Mitarbeiterinnen im Team.

Einrichtungen sollten prüfen, ob Modelle ehrenamtlicher Patenschaften durch bereits

mit deutschen Gesetzen, Behörden und Strukturen erfahrene Migrantinnen

ergänzend zur professionellen Beratung genutzt werden können.

Kenntnisse der spezifischen Probleme von Migrantinnen sollten intensiv in den

eigenen Einrichtungen bzw. eigenen Teams und auch in der Vernetzung

Page 41: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

41

kommuniziert werden, um die Wissensvermittlung weiterzutragen und für Fortbildung

zu motivieren.

Viele Probleme von Klientinnen, die vor allem an Migrantinnen beobachtet werden,

sollten nicht kulturalisiert werden, sondern am als generelles Thema diskutiert

werden. Lesen und Schreiben können manche deutsche Frauen nicht gut und

Öffentlichkeitsarbeit verständlich in einfacher Sprache zu gestalten ist nicht nur ein

Entgegenkommen an Migrantinnen mit Sprachschwierigkeiten. Bedrohung durch

einen gewalttätigen Partner nach einer Trennung ist für Frauen jeder Herkunft ein

Thema. Gewalt gegen Frauen und Gewalt gegen Kinder – auch Gewalt von Müttern –

ist kein kulturelles, sondern ein soziales Problem. Es braucht themenbezogene

Kompetenzen und Kenntnisse und das Wissen, welche Probleme aus welchen

Gründen in der Migrationssituation und hinsichtlich der Situation in den

Herkunftsländern von Migrantinnen eine besondere Rolle spielen.

Die hauptsächliche Aufgabe für den Unterstützungsbereich besteht nach wie vor

darin, im Kontext der Vernetzung, in der fallbezogenen Kooperation mit anderen

Einrichtungen, in der Arbeit mit Gruppen von Klientinnen und im eigenen Team

kulturelle Vorurteile zu bekämpfen und einen erweiterten und kritischen Begriff von

Interkulturalität zu entwickeln.

Viele Aktivitäten, die bereits in Unterstützungseinrichtungen üblich geworden sind,

sind wertvoll für die Gestaltung von Gemeinschaft, reichen allerdings nicht aus. Es

wird oft schon von interkultureller Öffnung gesprochen, wenn gemeinsam Rezepte

aus den Herkunftsländern gekocht oder Fest bzw. Konzerte mit entsprechendem

Programm organisiert werden. Das ist gut für die Annäherung und in einer

Einrichtung oder im Stadtteil, jedoch noch keine gelungene Interkulturalität, wenn es

dabei stehen bleibt.

Die Frage des Zugangs zu existierenden Unterstützungsangeboten ist

ausschlaggebend, wenn diese Frauen in den Genuss hierzulande erkämpfter

Möglichkeiten eines gewaltfreien Lebens kommen sollen. Die meisten Angebote wie

Frauenhäuser und Beratungsstellen erweisen sich auch für deutsche Frauen als sehr

hochschwellig, denn sie setzten voraus, das eigene Zuhause zu verlassen bzw. einen

Beratungsbedarf formulieren zu können (Helfferich u. a. 2005, WiBIG 2004). Ein

großer Schritt zum Senken der Schwellen ist in der pro-aktiven und der

aufsuchenden Beratung zu sehen, die die herkömmliche Komm-Struktur ergänzt.

Auch ein Abrücken von der zeitweilig dominierenden und als fortschrittlich

empfundenen Haltung, die in Klientinnen eher Kundinnen und in Schutz- und

Unterstützungseinrichtungen eine Dienstleistungsangebot sieht, trägt dazu bei, die

reale Hilfsbedürftigkeit vieler von Gewalt betroffener Frauen ernst zu nehmen. Die

Ausdifferenzierung des Unterstützungsangebots und ein differenzierender Blick auf

die Unterschiedlichkeit von Gewalterleben und Gewaltverhältnissen erleichtert es,

Fragen des Zugangs und der Zugangsschwellen zu diskutieren und über „Türöffner

und Stolpersteine“ (Aktion Jugendschutz 2004) nachzudenken. Diese Entwicklung ist

erfreulich, nicht nur für Migrantinnen hilfreich und trägt zur Qualitätsentwicklung der

Arbeit gegen Gewalt im Geschlechterverhältnis entscheidend bei.

Das Problem der Ausgrenzung in der Mehrheitsgesellschaft ist nicht nur eine Frage

des Geburtslandes und der Muttersprache, sondern eine soziale Frage.

Zugehörigkeit und ausgegrenzt werden sind Themen, die weit über Migration hinaus

reichen. Zudem haben wir es zunehmend mit einer inländischen Migration zu tun, aus

Page 42: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

42

den verarmenden Regionen in den neuen Bundesländern in die eher wohlhabenden

unter den alten Bundsländern.

Konsequenzen für zukünftige Fortbildungsangebote

Wer sollte erreicht werden, wie sollte Fortbildung gestaltet und organisiert werden?

Die Teilnehmenden an Fachtagen und Workshop waren Fachkräfte mit vielen Jahren

Berufspraxis.

Erfahrung ist sicherlich ein Gewinn für die Arbeit im interkulturellen Kontext, denn sie

bedeutet Sicherheit im professionellen Agieren. Andererseits fehlen junge Kolleginnen und

Kollegen, die noch wenig Routine, dafür aber mehr Offenheit mitbringen könnten bzw. zu

einer Generation gehören, für die eine interkulturelle Mischung bereits an der Schule bzw.

der Hochschule eher selbstverständlich war. Dass die Mehrheit der Frauen, die Gewalt

erleiden, jung ist (Schröttle u.a. 2004) und dass vor allem junge Frauen aus eingewanderten

Familien in Konfliktlagen zwischen traditionellen Rollenerwartungen und anderen Optionen

im Einwanderungsland geraten, sollte dazu motivieren, junge Kolleginnen für dieses

Arbeitsfeld zu gewinnen. Z.B. könnten junge Kolleginnen und Kollegen aus der Jugendarbeit

angesprochen werden.

Damit wäre neben der Intervention auch die Prävention zum Thema gemacht. Angesichts

der Tatsache, dass Migrantinnen, die häusliche Gewalt erleiden, überwiegend „in der

Endversorgung landen“ (Expertin 3) und alle Angebote im Vorfeld – Prävention und Beratung

– kaum greifen, wäre der Einbezug der Jugendarbeit, Schule und Berufsbildung ein wichtiger

nächster Schritt.

Konfliktlösungskompetenzen werden in ihrer Bedeutung für interkulturelles Arbeiten

unterschätzt.

Hier ist eine Anregung für zukünftige Weiterbildung zu sehen: Es gilt, ein Gewicht auf

konkrete Konflikte und entsprechende Lösungsmöglichkeiten zu legen und diese zu üben.

Ein Workshop ist dafür der geeignete Rahmen. Die Motivation dazu kann von Fachtagen

ausgehen, wenn deutlich gemacht wird, dass Konflikte in der Arbeit unvermeidlich sind,

ebenso wie Konflikte zwischen Klientinnen in stationären Einrichtungen. Migrantinnen sind

keine homogene Gruppe, sondern gespalten durch politisch und religiös bedingte Konflikte

und sehr unterschiedliche Traditionen. In Schutzeinrichtungen müssen sie unter dem selben

Dach leben, in Integrationskursen gemeinsam lernen. Konfliktlösungskompetenzen sind

unverzichtbarer Bestandteil der Arbeit.

Kenntnisse des Ausländerrechts werden in ihrer Bedeutung für die schützende und

unterstützende Arbeit mit Migrantinnen unterschätzt.

Rechtliche Kenntnisse wurden als ein wenig wichtiger Aspekt interkultureller Kompetenzen

bewertet. Dies ist jedoch nach Ansicht von Expert/innen ein großer Irrtum. Zukünftige

Fortbildungsarbeit sollte verdeutlichen, das dies einer der ganz zentralen Aspekte ist, dass

ein gutes Basiswissen dringend erforderlich ist und durch Spezialkenntnisse in der

regionalen Vernetzung ergänzt werden aber nicht ersetzt werden kann. Dazu müssen nicht

spezielle Referate gehalten werden, sondern den Teilnehmenden gut begründet werden,

Page 43: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

43

weshalb die rechtliche Situation von Migrantinnen und ihre Risiken meist der

ausschlaggebende Faktor bei Entscheidungen für oder gegen Hilfesuche bei Gewalt sind.

Es nahmen fast ausschließlich Frauen aus der Sozialen Arbeit an den Fachtagen teil.

Für die zukünftige Planung von Fachtagen wäre ein heterogener zusammengesetztes

Publikum wünschenswert. Über eine gezielte Einladestrategie und Referierende, die

unterschiedliche Berufsbereiche ansprechen, kann dies gefördert werden. Es wäre günstig

für weitere Vernetzungen in der Region und verbesserten Schutz von Migrantinnen, auch

Vertreterinnen und Vertreter der Ausländerämter, der Polizei und der Justiz anzusprechen

und für eine Teilnahme zu gewinnen. Alle Expert/innen heben hervor, dass die

unterschiedliche rechtliche Situation von Migrantinnen den entscheidenden Unterscheid bei

ihrer Unterstützung und Versorgung ausmacht. Die Professionellen, die verantwortlich in

diesem Bereich tätig sind, sollten bewusst einbezogen werden, nicht nur als einzelne

Referierende, sondern als Teilnehmende. Dazu wird wahrscheinlich gezielte persönliche

Ansprache und Einladung erforderlich sein.

Um eine breitere Beteiligung zu fördern, wäre für die Zukunft zu überlegen, an welche Stelle

oder Institution die Organisation von Fachtagen und Fortbildungen zum Thema interkulturelle

Kompetenz gegeben werden solle, um bestmöglichen Zugang zu Fachleuten

unterschiedlicher Einrichtungen zu gewährleisten. Existierende Runde Tische oder

Arbeitskreise sind hierfür sehr geeignet. Gibt es sie nicht, könnte sich ein Gremium bilden, in

dem neben der Unterstützungsarbeit für Frauen z.B. auch Polizei und Justiz bzw.

Ausländerbehörde oder auch Männerarbeit und Jugendarbeit vertreten sind und die

gemeinsam einladen. Hat ein regionaler Arbeitskreis oder Runder Tisch es sich zum Ziel

gesetzt, Interkulturalität in der Arbeit mit von Gewalt betroffenen Frauen zum Thema zu

machen, kann es besonders motivierend für Kooperationspartner/innen aus beteiligten und

assoziierten Einrichtungen, Institutionen und Behörden sein, an der „eigenen“ Veranstaltung

teilzunehmen. Davon profitieren sowohl der gute Ruf und die Intensität der örtlichen

Vernetzung als auch alle Teilnehmenden.

Die konkrete Planung sollte allerdings nicht in allzu vielen Händen liegen, damit die Prozesse

von Vorbereitung und Umsetzung nicht zu schwerfällig verlaufen.

Viele der Teilnehmer/innen tragen die Informationen aus den Fachtagen in ihr Team bzw.

ihre Einrichtung.

Hier ist eine gute Chance zu sehen, dass alle in der Einrichtung Tätigen über die

wesentlichen Inhalte informiert werden. Förderlich wäre es, am Ende einer Fachtagung Zeit

einzuplanen, in der die Teilnehmenden in Kleingruppen ihre Rückmeldung an ihr Team bzw.

in ihre Einrichtung gleich vor Ort vorbereiten können. Möglich wäre auch, Zeit für ein

Resümee einzuplanen, und dieses den Teilnehmenden zuzuschicken. Es kann dann als

Handreichung an das Team und als Grundlage für einen Bericht in der Teamsitzung genutzt

werden. Dafür ist allerdings ausreichend Zeit erforderlich und Zeit war bereits das große

Problem der Fachtage. Das Programm war übervoll, obwohl auf zwei ganztägige

Veranstaltungen verteilt, und es blieb kaum Raum für Austausch, Vernetzung, Nachfragen

und Diskussion. Konsequenz daraus kann nur sein, zukünftig weniger Inhalte in Form von

Referaten anzubieten und mehr Zeit für Beteiligung der Teilnehmenden in Arbeitsgruppen

oder Diskussionsforen einzuräumen. Möglich wäre eine Veranstaltungsreihe, die für die

Region gedacht ist, also keine langen Fahrtzeiten berücksichtigen muss, und die nach und

nach unterschiedliche Facetten des Themas interkulturelle Kompetenzen bearbeitet. Wenn

Page 44: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

44

die Rückmeldungen in die Einrichtungen gut vorbereitet sind, könnte darauf vertraut werden,

dass das angebotene Wissen sich verbreitet, auch wenn nicht immer die gleichen Personen

die Fortbildungen besuchen.

1. Erfordernis interkultureller Kompetenz, in Frage stellen von Stereotypen und

Zuschreibungen, Vermeiden von Kulturalisierung und Ethnisierung

2. Informationen über die wichtigsten Gruppen von Einwanderern in der Region,

ihre Strukturen und Organisationen und Zugang zu ihnen

3. Rechtliche Probleme von Migrantinnen, Flüchtlingen, Asylsuchenden

4. Zugang unterschiedlicher Gruppen von Migrantinnen zu Schutz- und

Unterstützungsangeboten und Verbesserungsmöglichkeiten

5. Grundlegende Fragen interkultureller Kompetenz: Geht es nur um Migration

oder geht es generell um Probleme von Dominanz in der

Mehrheitsgesellschaft?

6. Basiskompetenzen Sozialer Arbeit und pädagogischer Arbeit – was braucht

es zusätzlich im interkulturellen Kontext?

Eine solche Reihe von kürzeren Veranstaltungen – ausreichend wäre ein einführendes

Referat und daran anschließende gut vorbereitete und von Moderator/innen mit

unterschiedlichem Hintergrund begleiteten Arbeitsgruppen – böte neben der kompakten

Wissensvermittlung bereits Elemente der persönlichen und fallbezogenen

Auseinandersetzung und könnte dann durch Workshops ergänzt werden, die eine

zusätzliche intensive Möglichkeit des Lernens darstellen.

In spezifischen Veranstaltungen für Mitarbeiterinnen von Schutz- und

Unterstützungseinrichtungen könnten Themen der Öffentlichkeitsarbeit und

Außendarstellung sowie der Zugangsschwellen aufgegriffen werden. „Wie führen wir eine

kleine Bedarfsanalyse durch, um zu erfahren, was unsere – potentiellen – Klientinnen sich

von uns erwarten?“; „Wie weit ist uns eine interkulturelle Öffnung gelungen und was gibt es

noch zu tun?“; „Wie überarbeiten wir unsere Öffentlichkeitsmaterialien, um

Zugangsschwellen zu senken?“; „Wie richten wie eine regelmäßige Selbstevaluation8 ein, um

die Zufriedenheit unserer Klientinnen mit unserer Arbeit und den Nutzen, den sie davon

haben, zu erheben?“. Dies sind sinnvolle Themen für eine interinstitutionelle Arbeit in

kürzeren Fachtagen und Workshops.

Das Thema Interkulturalität sollte nicht ausschließlich mit Blick auf die Situation von

Migrant/innen bearbeitet werden. Die Problematik von Dominanz in der

Mehrheitsgesellschaft betrifft eine Vielzahl sozialer Gruppen, die zur Klientel der Sozialen

Arbeit gehören. Angesichts der Diskussion um zunehmende Armut und um eine größer

werdende Anzahl von Personen und Gruppen, die aus den sozialen Strukturen herausfallen

oder an den Rand der Gesellschaft geraten ist es zunehmend wichtig, andere „Kulturen“

bestimmter gesellschaftlicher Gruppen in den Blick zu nehmen, zu denen aufgrund starken

ökonomischen und sozialen Gefälles große Unterschiede zur Mehrheitsgesellschaft

bestehen. Die Erkenntnis, dass es hinsichtlich der Werten und Lebensgewohnheiten der

Beraterin mehr Ähnlichkeiten mit einer Angehörigen der türkeistämmigen Mittelschicht geben

kann als mit einer Deutschen, die in der dritten Generation von Sozialhilfe lebt und kaum

8 Selbstevaluation sollte zur Routine der Einrichtungen gehören und ist ohne unverträglichen Aufwand

einzurichten. Vgl. Beywl/Bestvater 1998 und Kähler 2008 sowie Kavemann im Druck.

Page 45: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

45

lesen und schrieben kann, hilft, den Begriff der Kultur weiter zu fassen. Dies trägt dazu bei,

interkulturelle Kompetenz nicht zu ethnisieren und nur als Thema von Migration, sondern als

ein zentrales Thema von Schutz- und Beratungsangeboten zu sehen und auf

Basiskompetenzen in der Sozialen Arbeit zu bauen.

Sicherheit versus Unsicherheit

Die Befragungen an den Fachtagen und am Workshop gaben Hinweise, dass die

Teilnehmenden sich um mehr Sicherheit in der täglichen Arbeit mit Migrantinnen bemühen.

Vom Erwerb von Wissen über andere Kulturen und von interkulturellen Kompetenzen wird

erhofft, sicherer im Kontakt und in der Arbeit mit Angehörigen anderer Kulturen zu werden.

Sicherheit wird in der Regel mit Handlungsleitlinien, Checklisten oder zumindest dem

Wissen, „was muss ich tun?“, „was ist richtig?“ verbunden.

Die Befragung der Expertinnen und Experten, die an den Fachtagen mitwirkten, weist in eine

andere Richtung: Es kann nicht um Sicherheit gehen. Eine wichtige „Botschaft“ im Rahmen

weiterer Fortbildungsarbeit wäre zu vermitteln, dass es um die Bereitschaft und Fähigkeit,

Unsicherheit zu ertragen, gehen muss.

Bereitschaft, sich auf unsichere Situationen einzulassen, kann im Rahmen von

Fachtagen geweckt werden. Hier wird auf der kognitiven Ebene Information vermittelt

und aufgeklärt. Es erschließt sich den Teilnehmenden auf diesem Weg, weshalb es

sinnvoll ist zu lernen, kompetent mit Verunsicherung umzugehen. Dass die Hälfte der

Befragten die eigene Haltung und deutlich mehr die Konzeption ihrer Einrichtung

überdenken wollten, ergibt kein einheitliches Bild. Klarer sind die Ergebnisse der

Befragung der Workshopteilnehmerinnen. Sie fühlen sich positiv verunsichert, jedoch

nicht unangenehm, haben also erfahren, dass Verunsicherung im produktiven Sinn

nicht Handlungsunfähigkeit bedeutet.

Die Fähigkeit, mit Unsicherheiten in der Arbeit umzugehen, kann in Workshops

erfahrbar und praktisch erprobt werden. Fachtage sollten demnach – so auch

einhellig die Ansicht der befragten Expertinnen und Experten – von Arbeitsgruppen

und Workshops flankiert werden. Gemeinsam ergeben sie ein sinnvolles Ganzes an

Fortbildung.

Fachtage sind ein gutes Mittel zur Wissensvermittlung und zum Wecken von

Interesse und Motivation. Da sie aber verhältnismäßig aufwändig zu organisieren

sind, können sie nicht in jeder Gemeinde durchgeführt werden. Das Handbuch des

Modellprojekts wird zukünftig einen Teil der Wissensvermittlung übernehmen können,

sie aber nie ganz ersetzen. Im Unterschied zur privaten Lektüre bedeutet ein Fachtag

immer auch Begegnung und aktive Vernetzung. Deshalb wäre eine wenig

aufwändige, gestaffelte Veranstaltungsreihe eine mögliche Lösung.

Arbeitsgruppen und Workshops sind ein unverzichtbares Element von Fortbildung.

Hier können Fragestellungen der eigenen Praxis bearbeitet und neue

Verhaltensweisen im Rollenspiel erprobt werden. Es wird erfahrbar, dass es keine

perfekte oder „technologische“ Lösung gibt, Kommunikation immer dadurch bestimmt

ist, dass es Missverständnisse und Fehler geben kann, und „Fehlerfreundlichkeit“ ein

wichtiger Bestandteil interkultureller Kompetenz ist.

Page 46: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

46

Der Wunsch nach mehr Sicherheit ist gut nachvollziehbar, weil zum einen Unsicherheit und

Professionalität sich entgegenstehen, zum anderen Unsicherheit in der Sozialen Arbeit die

Berater/innen belastet und für die Klient/innen unerwünschte Folgen haben kann. Es geht bei

Beratung in Fällen von Gewalt in besonderer Weise um das Thema Sicherheit. Einmal die

Sicherheit von Leib und Leben der Betroffenen und ihrer Kinder, aber auch die professionelle

Sicherheit der Berater/innen, die über Unterstützungsmöglichkeiten informieren,

Empfehlungen aussprechen und über rechtliche Fragen aufklären. Berater/innen müssen

über ausreichend Beratungskompetenz und eine gute Kenntnis der rechtlichen

Rahmenbedingungen verfügen, die für ihre Zielgruppe relevant sind. Dies schafft eine

sichere Grundlage, auf der dann im persönlichen Kontakt eine Unsicherheit zugelassen

werden kann, ohne dass die Professionalität leidet. Das Grundprinzip von Beratungsarbeit

heißt Ergebnisoffenheit (Helfferich u.a. 2004). Nicht zu wissen, wohin die Klientin gehen will

und wird, bedeutet Unsicherheit, Entscheidungsprozesse müssen unterstützend begleitet

werden, ohne dass Ergebnisse vorweg genommen werden, die die Klientin selbst dann nicht

auf Dauer mittragen und leben kann.

In Workshops kann geübt bzw. erprobt werden, wie eigene Beratungskompetenz im

interkulturellen Kontext eingesetzt ist, wo sie sich bewährt hat und wo Kompetenzen

verbesserungsbedürftig sind, Lücken an Wissen und Strategien sichtbar und fühlbar werden.

Diese können dann in der Gruppenarbeit abgeklärt und verbessert werden, auf jeden Fall

Wege gezeigt werden, wie sie sich verbessern lassen. Insofern kann Fortbildungsarbeit zum

Thema interkulturelle Kompetenz auch immer ein Auffrischen grundlegender Elemente guter

Sozialer Arbeit oder pädagogischer Arbeit bedeuten, was angesichts der Altersgruppe, die

an den Veranstaltungen des Modellprojekts teilnahm, wichtig und für alle motivierend sein

kann.

Erforderlich sind Fortbildungsmodelle, die wiederholt bestimmte Inhalte anbieten bzw.

bestimmte Übungen ermöglichen, damit der Zuwachs an Kenntnissen und Fähigkeiten nicht

auf eine kleine Anzahl bereits Interessierter beschränkt bleibt, sondern eine Vielzahl von

Praktiker/innen im Laufe der Zeit erreicht.

Fachtage und Workshops sollten interdisziplinär, interinstitutionell und interkulturell

angeboten werden.

Die Fortbildung ist ein Schritt, interkulturelle Kompetenzen in der Unterstützung von Gewalt

betroffener Migrantinnen zum Thema zu machen und so zur Verbesserung beizutragen. Der

zweite Schritt – und auch hier hat das Modellprojekt den Weg gezeigt – besteht darin, das

Thema Gewalt im Geschlechterverhältnis und die Kenntnis der Schutz- und

Unterstützungsmöglichkeiten Migrantinnen verfügbarer zu machen. Die begonnenen

Strategien gilt es weiterzuentwickeln: Kontakt zu den Communities und Organisationen

unterschiedlicher Migrantengruppen aufzunehmen, Information in Integrationskurse und

Sprachkurse an Volkshochschulen und anderen Trägern hineinzutragen und sich als

kompetente Unterstützerinnen in der Region sichtbar zu machen. Diese Arbeit muss auf eine

gute Vernetzung aufbauen können und erfordert mehr Zeit als eine Modellphase. Das

Modellprojekt lud zu einem Arbeitskreis ein, um die zukünftigen Aufgaben auf mehrere

Schultern zu verteilen. Ein regionaler Runder Tisch mit Beteiligung der verantwortlichen

Institutionen kann für eine Implementierung dieser Initiative sorgen.

Page 47: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

47

8. Literatur

Aktion Jugendschutz Landesarbeitsstelle Bayern e.V. (2004) Türöffner und Stolpersteine –

Elternarbeit mit türkischen Familien als Beitrag zur Gewaltprävention, München

Baier, D. & Pfeiffer, C. (2005) Gewalttätigkeit bei deutschen und nichtdeutschen

Jugendlichen - Befunde der Schülerbefragung 2005 und Folgerungen für die

Prävention (KFN-Forschungsbericht; Nr.: 100). Hannover: KFN.

Beywl, W., Bestvater, H.,: Selbst-Evaluation in pädagogischen und sozialen Arbeitsfeldern.

Ergänzung und Alternative zur Fremdevaluation. In: Bundesvereinigung Kulturelle

Jugendbildung (Hrsg.): Qualitätssicherung durch Evaluation. Remscheid, 1998, S. 33-

43

Boos-Nünning / Karagasoglu, Yasemin et al. (2004): Viele Welten leben. Lebenslagen von

Mädchen und jungen Frauen mit griechischem, italienischem, jugoslawischem,

türkischem und Aussiedlerhintergrund. Eine Untersuchung im Auftrag des BMFSFJ.

Im Internet unter:

http://www.bmfsfj.de/Kategorien/Forschungsnetz/forschungsberichte,did=22566.html

Deutsche Gesellschaft für Evaluation: Empfehlungen zur Anwendung der Standards für

Evaluation im Handlungsfeld der Selbstevaluation, Alfter, 2004, www.degeval.de

gelesen 24.3.07

Helfferich, Cornelia. (2006). Muster von Gewaltbeziehungen, in: Hoffmann, Jens und

Wondrak, Isabel (Hg.) Häusliche Gewalt und Tötung des Intimpartners. Prävention

und Fallmanagement, Frankfurt/Main, Verlag für Polizeiwissenschaft

Helfferich, Cornelia; Kavemann, Barbara; Lehmann, Katrin (2005) Wissenschaftliche

Untersuchung zur Situation von Frauen und zum Beratungsbedarf nach einem

Platzverweis bei häuslicher Gewalt. Freiburg: SoFFI K, http://www.efh-freiburg.de

/personal /helfferich _material.htm, 09.06.2006

Interkulturelle Initiative e.V. (2006) Qualität in der Arbeit mit von Gewalt betroffenen

Migraninnen. Ein Projekt der Interkulturellen Initiative e.V. Berlin im Rahmen des

entimon-Programms „Qualitätsmanagement in der Arbeit mit von Gewalt betroffenen

Migrantinnen“, Berlin

Kähler, Harro Dietrich: Selbstevaluation – Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement in

der Sozialen Arbeit, Social Net, http://www.selbstevaluation.de/fachbeitraege.html

gelesen 1.2.08

Kavemann, Barbara (im Druck) Was haben Klientinnen und Klienten von Prozessbegleitung?

Die Frage nach Zufriedenheit und Nutzen, in: Fastie, Friesa (Hg.) Opferschutz im

Strafverfahren, Leverkusen

Kavemann, Barbara u.a.: Modelle der Kooperation gegen häusliche Gewalt, BMFSFJ (Hg.)

Schriftenreihe Band 193, Kohlhammer, Stuttgart, 2001

Kelly, Liz: Mainstreaming Violence against women into Human Rights Discourse and

Practice, in: International Feminist Journal of Politica (2005), 472-496

Kriechhammer-Yagmur, Sabine (2003) Interkulturelle Arbeit im Frauenhaus, in:

Frauenhauskoordinierung e.V. (Hg.) Frauenhäuser im Mainstream. Dokumentation

des 5. Fachforums vom 6. bis 8 Mai 2003, Frankfurt/Main, S. 36-41

Page 48: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

Endbericht der Evaluation

48

Landgrebe, Gitte: Der Nutzen des Frauenhauses aus Klientinnensicht – Konzepte und

Erfahrungen, 2005, http://www.frauenhauskoordinierung.de/ gelesen 14.1.08

Lehmann, Nadja (2001) Migrantinnen in Misshandlungssituationen, in: Quer – denken, lesen

schreiben. Gender/geschlechterfragen update. Frauenrat und Frauenbeauftragte der

Alice-Salomon-Fachhochschule Berlin (Hg.) Berlin, S. 116 - 121

Mecheril, Paul (2004) Einführung in die Migrationspädagogik, Weinheim

Mecheril, Paul and Thomas Teo (1994, Hrsg.), Andere Deutsche. Zur Lebenssituation von

Menschen multiethnischer und multikultureller Herkunft, Berlin.

Patton, Michael Quinn: Die Entdeckung des Prozessnutzens in: Heiner, Maja:

Experimentierende Evaluation. Ansätze zur Entwicklung lernender Organisationen,

Juventa Verlag Weinheim 1998

Schröttle, Monika (2006): Gewalt gegen Migrantinnen und Nicht-Migrantinnen in

Deutschland: Mythos und Realität kultureller Unterschiede. In : IFF-Info, 23. Jg., Nr.

23/2006, Bielefeld. S. 105-115. Im Internet unter: http://www.uni-

bielefeld.de/IFF/aktuelles/IffInfoWS0607.pdf

Schröttle, Monika; Müller, Ursula. (2004). Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit im

Leben von Frauen in Deutschland, BMFSFJ (Hg.), http://www.wibig.uni-

osnabrueck.de

UNHCR (2003): Sexual and Gender-Based Violence against Refugees, Returnees and

Internally Displaced Persons. Guidelines for Prevention and Response. May 2003;

http://www.rhrc.org/pdf/gl_sgbv03_00.pdf, 09.06.2006

WiBIG (2004): Von regionalen Innovationen zu Maßstäben guter Praxis – Die Arbeit von

Interventionsprojekten gegen häusliche Gewalt, BMFSFJ (Hg.) www.bmfsfj.de

Stichwort → Forschungsnetz → Forschungsberichte

WiBIG. (2004). Neue Unterstützungspraxis bei häuslicher Gewalt, BMFSFJ, (4 Bände)

http://www.wibig.uni-osnabrueck.de

Page 49: Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen · 7 Interkulturelle Kompetenz – das Thema des Modellprojekts Die Frage nach interkulturellen Kompetenzen beschäftigt

„Interkulturelle Kompetenz in Frauenunterstützungseinrichtungen“

49

Impressum Herausgeber: Landespräventionsrat Niedersachsen (LPR) – Nds. Justizministerium – Am Waterlooplatz 5A 30169 Hannover Fax: 0511- 120-5272 E-mail: [email protected] www.lpr.niedersachsen.de

Hannover 2008