hans spemann als mensch und wissenschaftler

40

Upload: o-mangold

Post on 08-Aug-2016

215 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler
Page 2: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

HANS SPEMANN

ALS MENSCH UND WISSENSCHAFTLER.

Von

O. MAnSOOLD.

(Eingegangen am 9. Februar 1942.)

Mit der lebendigen Natur umgehen, beobachten, nachdenken und vor allem lernen, immer lernen, das waren meine stiirksten, angeborenen Triebe.

S PEMANIq, Erinnerungen.

Wi~hrend der Tod fiber die weiten, tobenden Schlachtfelder des Ostens schritt und unter der bliihenden Jugend und dem reifen Mannes- turn seine btutige Ernte hielt, starb H~L-~s S P l n ~ am friihen Morgen des 12. September 1941 im 73. Lebensjahr nach einem arbeitsreiehen, vom Erfolg gesegneten, harmonischen Leben. Eine Krankheit des Herzens hat te schon seit zwei Jahren seine Bewegungsf~higkeit stark gehindert und braehte ihm sehlieBlieh ein schnelles und kampfloses Ende. Aber bis zum letzten Tage geno{~ er in vollen Zfigen, schSnheitsdurstig, die Sehwarzwaldumgebung seines Hauses in Freiburg i. Br. und begrfi]te t~tglich in roller geistiger Frische mit herzlichem Humor die ihn be- suehenden Freunde und Kollegen. Nun ist sein KSrper den Weg alles Irdisehen gegangen, aber sein Geist wird stets bei uns lebendig bleiben.

H ~ s SP]~MAN~ wurde am 27. Juni 1869 in Stut tgart geboren. Er besuchte dort das humanistische Gymnasium und sehloB 1888 seine Sehulzeit mit der Reifeprfifung ab. Anschliel3end war er ein Jahr lang Lehrling in der vs Verlagsbuehhandlung. 1889/90 diente er als Einj~hrig-Freiwilliger bei den Kasseter Husaren. Das Jahr 1891 brachte nach zwei mflit~risehen ~bungen und nach einigen Monaten kaufm~nnischer Lehre in einer Hamburger Buchhandlung den Entschlu{~, Naturwissenschaften zu studieren. 1891--1893 war er dann als Student der Medizin in Heidelberg und schlo{3 mit dem Physikum ab. I m Wintersemester 1893/94 studierte er als cand. med. in Mfinehen. Ansehliel]end zog er zu BOVERI nach Wfirzburg, bei dem er Ende 1894 zum Dr. phil. promovierte und 1898 die Venia legendi ffir Zoologie erwarb. 10 Jahre lang war er dann Privatdozent bzw. ao. Professor in Wfirzburg. 1908 erhielt er seinen ersten Ruf auf ein Ordinariat, n~mlich den zoo- logisehen Lehrstuhl in Rostock. I m Herbst 1914 wurde er als zweiter Direktor des Kaiser Wilhelm-Instituts fiir Biologie naeh Dahlem berufen, und im Frfihjahr 1919 fibernahm er die Direktion des Zoologischen Insti tuts in Freiburg i. Br. Trotz vieler Anffagen und Rule blieb er Freiburg i. Br. treu und lehrte auf dem berfihmten Lehrstuhl W~IS~,IA~s

W. Roux' Arch. f. Entwleklungsmeehanik. Bd. 141. 25

Page 3: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

386 O. Mangold:

allgemeine Zoologie und vergleichende Anatomie bis zu seiner Emeritie- rung am 31. M~rz 1937. Die 4 Jahre Ruhestand, welche ihm das Sehicksal noeh vergSnnte, verlebte er in seinem schSnen Haus am Lorettoberg in Freiburg i. Br.

H ~ s SP~A)r~ war der Sohn yon Wilhelm Spemann in Stuttgart , dem Begriinder und Besitzer des bekannten Verlagshauses. Die schw~bische Heim~tstadt war offenbar nieht ohne betr~chtlichen Ein- fluB auf seine pers6nliche Entwicklung, derm m a n h~tte ihn leicht ffir einen eehten Schwaben halten kSnnen. Seine Familie s tammte aber v~terlieher- und miitterlicherseits zum grSBeren Teil aus West- falen, zum kleineren aus Anhalt. Der Name kommt yon einem west- f~lisehen Bauerngeschleeht , ,Sp~hmann", das bei Schwerte seinen Besitz hatte. Aus diesem entsproB der GroBvater Gustav Adolf Spemann, ein Rechtsanwalt in Dortmund. Der Vater Johann Wilhelm Spemann kam, nach einem l~ngeren Aufenthalt in Italien, zum Verlagsbuch- handler Hoffmann in Stut tgar t in die Lehre und griindete dort sparer seinen eigenen Verlag. Die GroBmutter v~terlieherseits s tammt aus einer westf~lischen Juristenfamilie namens K~r,T,~. Die UrgroBmutter Keller war eine Tochter des Anatomen LOSeHGV. in Erlangen, dessen Name dort heute noch gut bekannt ist, da eine Stral~e und eine Schule naeh ihm benannt sind. Auf tier Mutterseite finden wir die Familie Hoffmann und v. Winkler. Von der Familie v. W r ~ K L ~ ist mir niehts IT~heres bekannt. Die Familie H o r ~ _ A ~ war eine Arztfamflie in Anhult und Braunschweig. Der GroBvater Hoffmann zeichnete sieh durch Strebsamkeit, Unternehmungsgeist und ein besonderes Verh~ltnis zur belebten Natur aus. Er hat sich vom Waisenknaben fiber den Bader zum weithin anerkarmten Arzt emporgearbeitet und war einer der ersten, der das Impfverfahren einfiibrte. Da die Mutter Lisinku Hoffmann eine ~hnliche Verunlagung aufwies, vermute t SPEI~IA_N~, dal~ ihm ,,der st~rkste Trieb seines Lebens, n~mlich das besonders nahe Verh~ltnis zur belebten Natur" , yon der Hoffmannschen SeRe fiber- kommen sei.

Man wird aus dieser kurzen Skizze leieht erkennen, dab das Schieksal mit einem Ffillhorn reicher Gaben an der Wiege yon Hx~s SPE~_~N gestanden hat : geistige Fi~higkeiten versehiedenster Art, sehon dureh mehrere Generutionen in ukademischen Berufen bew~hrt, verbanden sich mit der Unternehmungslust des GroBkaufmanns, der Liebe zur Kunst des Kunstverlegers, der Hinneigung zur Natur des 17aturforschers und Arztes und der schSpferischen Veranlagung des Begriinders eines groBen Verlags. Dazu kamen besonders gliickliche ~uBere Umst~nde.

I m Elternhaus erlebte HA~S SPE~'~I~ in seinen Knaben. und Jugend- jahren das Aufblfihen des groBen v~terlichen Geseh~fts. In seiner frfihen Jugend waren Gesch~ftsraume und Wohnung im gleichen Hause untergebracht, so dal~ der junge Knabe den Puls der vielseitigen Arbeit

Page 4: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler. 387

sehen und spfiren konnte und auch 6fter selbst in ihren Gang ein- greifen durf te . Sp~ter wurde das Wohnhaus der Familie vom Ge- sch~ft getrennt und nach den besonderen Wfinschen des Vaters erbaut. Es trug alien Bedfirfnissen der wohlhabenden und glficklichen Familie Rechnung. Von den W~nden grii]~ten meisterhafte Kopien klassiseher Gem~lde; in den weiten R~umen hallten die Kls guter Musik; eine Bibliothek bester Werke ermutigte zu geistiger Schulung, und eine Werkstat t weckte den Sinn ffir Schreinerei und Buchbinderei, also die handwerkliche Arbeit. Man wird sieh nieht wundern, dal3 der Erst- geborene des Hauses bei der Wahl seines Berufes sich entschloB, Nach- folger seines Vaters zu werden. Aber sehon nach einj~hriger T~tigkeit zeigte es sich, dab der Buchhs seine Veranlagung nicht roll befriedigen konnte. H~a~s S p w ~ interessierte sich mehr f fir den Inhalt der Bficher Ms flit ihre kaufm~nnische Handhabung. Auch zogen ihn die Naturwissenschaften ms an. Daher entschloB er sich, Natur- wissenschaften zu studieren.

Seine Studentenzeit ffihrte ihn in Heidelberg in das geistige Aktions- feld yon G ] ~ B A V R , K i ~ E , Bi~Tscmr.I u. a., yon denen ihn besonders GEGW~BAm~ tier beeindruckte. Im Naturwissensehaftlichen Verein trifft er mit jungen M~nnern zusammen, yon denen manche bekannte Wissenschaftler geworden sind, z. B. M~v~E~, KLaTSCh, F~ITZ Go~P- P~T, OTTO ~ S E , SCHW~.WXKO~F, PAYT. E ~ . ~ , F~TZ S ~ z ~ und GUSTAV WOLY]~. Mit dem letzteren, dem Entdecker der WoLFFschen Linsenregeneration und sp~teren Psychiater in Basel, hat ihn sein Leben lang ein Verh~ltnis herzlicher Freundschaft verbunden. In Mfinchen tr i t t dem Kandidaten der Medizin AVGUST PAVLI entgegen, ,,einer der merkwtirdigsten und bedeutendsten Menschen, die mir begegnet sind" (Erinnerungen). l~ragen der Abstammungslehre, schon durch GEG]~g- ]~AU~ im hSchsten MaBe angeregt, werden mit ihm besproehen und in die Bereiche der Phflosophie vorgetrieben. Lel~ende Kfinstler weiten dutch Lhre Werke oder durch pers6nliche Bekanntschaft den Gesiehtskreis ( K a r l H~ID~R, H ~ S THO~_~, OB~;4~D~g u. a.). In Wfirzburg trifft er dann den Mann, dessen heller Ruf ihn schon in Heidelberg erreicht und angezogen hatte, und den er stets als seinen Lehrer mit vollem Herzen verehren soUte: T~o~)o~ Borzoi , den jungen, 30ji~hrigen Ordinarius fiir Zoologie. Ihm verdankt er seine wissenschaftliehe Erziehung, d .h . im besonderen die Ausbfldung seiner F~higkeit zur mikroskopischen Analyse und zu vergleichend anatomischen Arbeiten und imallgemeinen grunds~tzliche Anschauungen fiber Anlage und Aus~fihrung yon wissen- sehaftliehen Arbeiten. Die Bovv.R~schen Grunds~tze sind von S P ~ X ~ wieder Mle auf seine Schfiler fibergegangen. AuBer Bov]~RI finden wir in Wiirzburg unter seinen Lehrern den Physiker R 6 ~ T ~ g und den Botaniker SACHS. Als junger Assistent des Zoologischen Instituts in Wfirzburg verheiratete sich HA~s S P ~ A ~ mit Clara Binder aus

25*

Page 5: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

388 O. Mangold:

Stuttgart, die ihn sein ganzes sp/~teres Leben als treuer Kamerad be- gleitete.

~ber die Jugend und frfihen Mannesjahre fiel aber zweimal ein be/~ngstigender Sehatten. Eine StSrung des Eiweil~haushalts, falsch diagnostiziert, sehien zu Beginn der Studienzeit die Zukunft sehwer zu bedrohen, und w/~hrend der frfihen Wfirzburger Jahre (1896) zwang ein Lungenspitzenkatarrh zu einem 1/~ngeren Aufenthalt im Sfiden und in Arosa. Die erzwungene Ruhe wurde wider alle Erwartungen zum Segen; denn S P ~ A ~ legte dort den geistigen Grund fiir die wissensehaftliehe Arbeit seines ganzen Lebens.

Die von den Eltern geerbte Veranlagung, die eben kurz skizzierte Umgebung und die st/s Arbeit an der eigenen Person formten eine Pers6nlichkeit eigener Priigung, deren wiehtigste Zfige im folgenden festgehalten werden mSgen.

Das SP~.MANNsche PersSnliehkeitsideal war der klassische Mensch, wie er uns aus der Zeit der Hellenen fiberkommen ist und aueh heute wieder angestrebt wird. Schon in seiner Jugendzeit suchte er KSrper, Seele und Geist zu harmonischem G!eiehmaB zu bflden. Seine Be- mfihungen Um den KSrper fanden freflieh ihre Begrenzung in der etwas sehw/~chlichen Konstitution. Immerhin ist zu bemerken, dal] er seine Milit/s mit Ehren ableisten kolmte. An seinen Freunden seh/~tzte er das Gesunde. Seine seelische I-Ialtung war eharakterisiert durch Sauber- keit und Reinheit, unbedingte Wahrhaftigkeit, persSnlichen ~ u t und innere Unabhs In der Gestaltung seines geistigen Mensehen ist ihm sein Streben geradezu vollendet gelungen. Eine eehte Bildung mit bestem lebendigem Wissen in der Geschichte, der Literatur und in allen wiehtigen Gebieten des Lebens war ihm eigen. ,,Ein Gespr/ieh fiber phflosophisehe Fragen ist ffir mieh immer einer der grSBten Genfisse gewesen, fiber dem ich alles, Zeit, Umgebung und kSrperliehen Zustand vergal~" (Erinnerungen).

Die ,,Hinneigung zur lebendlgen Natur" bezeichnet HANs SPElV~ANN immer wieder als ,,seinen st/irksten angeborenen Trieb". Jeder, der ihn beim Umgang mit Tieren beim wissensehaftliehen Versuch und im Praktikum gesehen hat, wird das Bfld nie vergessen. Sorgsam hegte und pflegte er die Pflanzen seines Gartens. Auch seine p/~dagogischen Neigungen entsprangen wohl diesem Grundzug seines Wesens. Sie ffihrten ihn sehon in seinen Jfinglingsjahren zu Gedanken fiber eine Schulreform und gelangten dann zu aktiver Auswirkung in seiner T/s als Universit/itsprofessor, als Leiter der Freiburger Volks- hochsehule und als Vorstandsmitglied der Lietzsehen Landerziehungs- heime. Uber die Volkshoehschule und die Landerziehungsheime wird unten noch NMmres berichtet. - - Als Universit~tsI~ro]essor stand er vor seinen Sehiilern mit dem Gefiihl des Forschers, der in den werdenden GeschSpfen die geheimdn wirkenden Kr/ifte beobaehtet, und bestrebt ist, die Entfaltung ihrer Gaben zu fSrdern und ihre Entwicldung in

Page 6: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler. 389

die richtigen Bahnen zu lenken. Unanfechtbar war seine Neigung zur Jugend und seine pflegliche Achtung der Individualit/it des einzelnen. Seine Erziehungsmittel waren freilich nicht laut und fiberstrSmend, manche haben sie wohl nicht vernommen; aber wer ein Organ ffir sie hatte, trug gToSen Gewinn davon. SPEMA~ wirkte durch die klassische Harmonie seiner PersSnlichkeit. Er erreichte die hSchste Stufe des Lehrers; denn fiber die Vermitt lung der Kenntnisse und fiber die Er- ziehung zum wissenschaf~liehen Denken und Arbeiten hinaus wirkte er auch beispielhaft auf die privaten Sph/iren seiner Schiller und Freunde.

Eine groSe handwerklich.Traktische Neigun 9 war eine weitere glfick- liche Gabe des Schicksals. Seine Liebe zum Material, sei es Holz, Metall, Stein, Glas, Bienenwachs oder irgend etwas anderes, war am Spiel

se iner geschickten H/inde sofort erkenntlieh. Mit Behagen, das ihm sonst bei der Arbeit fremd war, arbeitete er an neuen Ins t rumenten und Methoden, und gab nieht nach, bis aus dem kleinen Werk ein kleines Kunstwerk geworden war. Oftmals regte er auch seine Schiller zum Probieren an. Dabei hatte ich einmal (im Sommer 1912 oder 1913) eine an einem Ende zugeschmolzene GlasrShre seitlich auf ungef/ihr 1 cm L/inge zum Glfihen erhitzt und am offenen Ende hineingeblasen. Schnell bl/ihte sich die geglfihte Stelle zur Kugel auf und platzte mit betr/ichtlichem Knall. W/ihrend ich gerade verblfifft das Werk besah, t ra t S P ~ r zur Tfire herein. Er betraehtete nachdenklich die GlasrShre und meinte schlieBlich, ,,das kann man vielleicht einmal gebrauchen". Zwei Jahre sp/iter hatte er diese Methode, an einer GlasrShre seitlieh ein Loeh herauszuschmelzen, bei der Herstellung seiner Mikropipette ver- wendet. Man h/itte wfinschen mfgen, dal~ SPEMA~r162 seinem Rat, mSgliehst viel zu probieren, selber 5fter nachgekommen w/ire. Sicher wfirden wir ihm dann noeh manche Methode verdanken. Aber seine Neigung zum handwerldichen Spiel wurde stets dutch die geistige Disziplin seiner Arbeits- weise gezfigelt. So blieb es bei den mikrochirurgischen Instrumenten. Diese sind zweekm/i$ig u n d schSn und yon jedem einigermaBen ge- schickten Menschen ohne Kostenaufwand leicht herzustellen (s. S. 395). Sie sind in jedem experimentell-embryQlogiseh arbeitenden Inst i tut der ganzen Wel~ bekannt. Sie haben es erm6glicht, Operationen an jungen Entwicklungsstadien, besonders an Amphibienkeimen, re_it aller wfinschens- werten Exakthei t anzustellen. Sie haben dadureh unsere Kenntnisse um die Entwicklungsgesetze unermeBlich gefSrdert. Sie haben auch Anregung gegeben andere Objekte mit sinngem/iB abge/inderten Methoden zu behandeln. Jeder experimentell arbeitende Forscher weiB, dab der Fortschrit t seiner Forsehung abh~ngig ist vom st/indigen Verbessern alter und vom st/indigen Erfinden neuer Methoden.

Das Denken SP~MA_W~s war von auBerordentlicher Kl~rheit. Es beruhte auf einer pr/izisen Abstimmung und Abgrenzung der Begriffe und der folgerichtigen Aneinanderreihung der Gedanken. Wie die

Page 7: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

390 O. Mangold:

Glieder einer Kette fiigten sich ihm die einzelnen Gedanken zusammen. Eine begriffliche Ungenauigkeit oder ein unklarer Gedankensprung konnte selbst bei der zwanglosen Unterhaltung, unfehlbar aber bei der Besprechung wissensehaftlicher Probleme oder Arbeiten zu un- angenehmen, ja peinlichen Riickfragen fiihren. In der wissensehaftliehen Diskussion war er yon groBer Treffsieherheit und nicht selten yon vernichtender Seh/irfe. Sehritt fiir Sehritt wurden Vorstellungen und Theorien gedanklich analysiert, bis sie dem experimentellen Zugriff standhielten. Einer solchen gedankliehen Analyse der WEIs~A~scl~en Keimplasmatheorie verdanken wir, wie noch ausgefiihrt wird, die Grund- lage der ganzen experimentellen Forsehungen SPE~A~Ns. Auf der schritt- weisen Analyse beruhte auch der planm/iBige Aufbau der Forschungs- arbeiten seines Instituts und seiner Schiller. Jede Frage wurde durch eine entsprechende Versuchsgruppe angefal]t und gelSst, die neu ent- stehenden Fragen klar erfal]t, ihre experimentelle LSsung entworfen und den Mitarbeitern iibergeben. Kameradschaftliche Zusammenarbeit d~mpfte den wissensehaftlichen Ehrgeiz der einzelnen. ~berraschende Ergebnisse, gleichzeitig yon mehreren gefunden, wurden gemeinsam verOffentlieht.

Von den aufgefiihrten Eigenschaften war SPEMA_WNs wissensehaft- liche Arbeit bestimmt. ,,Nach den Lebenserscheinungen und ihrer Erkenntnis ging mein ganzes Fragen" (Erinnerungen). In Heidelberg und Miinehen zog ihn die Ahstammungslehre in ihren Bann, welehe damals die wissenschaftliehen Ideen beflfigelte. Bei B o v ~ I in Wfirzburg wandte er sich aber allm/~hlich der experimentellen Forschung zu, die zur selben Zeit durch die Arbeiten von Rovx und D~IEsc]t gro$e An- ziehungskraft gewann. Zwei ~uBerungen aus seinen Erinnerungen mSgen hier angefiihrt werden: ,,Vieles hat zu dieser Wandlung zu- sammengewirkt. Ein immer reger, alles in Frage stellender Zweifel und dabei das unabweisbare Bediirfnis nach festem Grund trieben reich in gleicher Weise zur Erweiterung und Vertiefung meiner Erfahrung, wie meine angeborene, sieh immer steigernde Freude am sinnlieh auf- genommenen bunten Leben. Und dazu kam der jahrelang t/igliehe Umgang mit einem Mann, der in unvergleiehlieher Weise sorgf/fltigste Einzelforschung unter den weitesten Gesichtspunkten trieb, mit dem grol~en Forseher THEODOR BOVERI." Und an anderer Stelle sagt er mit Hinblick auf Borzois Arbeit: ,,Diese Verbindung yon allgemeiner Fragestellung mit technischer Erfindung entspraeh meiner st/~rksten eigenen Neigung und Begabung" (s. aueh S. 393).

In seiner experimentellen Forschung beschr~nkt er sich auf ein Objekt, die Amphibienkeime, deren Friihentwicklung studiert wird. Nahezu 40 Jahre lang sitzt er jedes Frfihjahr werktags und sonntags am binokularen Mikroskop, um an den Keimen Schniir- oder Isolations- oder Transplantationsversuche zu machen. In jedem Friihjahr bringt

Page 8: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler. 391

ihn der Blick auf das lebendige Ei wieder zum Entzficken. Im Friihjahr und Sommer wird operiert; im Herbst und Winter werden die operierten F~lle in Schnitte zerlegt und untersucht. Jahr fiir Jahr werden die Methoden verbessert und Jahr fiir Jahr erweitert sich mit der Tiefe des Einblicks auch die Zahl der Probleme, bis sich die Tatsachen zu einem harmonischen Geb~ude zusammenfiigen. 1Y[eisterhaft hat er es verstanden, das Wort wahrzumachen, das ihm GE~I~-BAUR einst ins Stammbuch schrieb: ,,Die Natur gibt uns immer Antwort, wenn wir nur r ichtig zu fragen verstehen." - - Fiir den Erfolg war aber nicht unwesentlich die Gesinnung, mit der geforscht wurde. Mit seinem Lehrer BovEI~I verband ihn die ~3berzeugung, dab der Erforscher der lebendigen Welt aueh bis zu einem gewissen MaI3 Kfinstler sein miisse, um guten Erfolg zu haben. Mehrfach hat er sich zu dieser Frage ge~uBert. In seinen Erinnerungen sagt er einmal: ,,Ein Forscher, welcher neben dem zer- gliedernden Verstand nicht wenigstens eine Ader vom Kiinstler besitzt, ist meiner ~berzeugung nach unf~hig, dem innersten Wesen des Organis- mus n~herzukommen. DaB dem so ist, deutet auf eine tiefgegriindete Verwandtschaft des menschlichen Geistes mit der organischen Natur ." Dieser kiinstlerische Geist gab allen seinen Arbeiten den besonderen Glanz. Kleine Kunstwerke waren seine Instrumente, sch6n seine mikro- skopischen Pr~parate und Liehtbilder, und sch6n in Aufbau, Bebilderung und textlicher Fassung waren seine wissenschaftlichen Arbeiten. Seine Vortrs waren ein hoher geistiger GenuB. Sie gls wohl nieht durch, eleganten FluB der Rede, noch durch sprudelnden Ideenreiehtum; sie waren aber yon edler Fassung, harmonischer Komposition, dureh- siehtiger geistiger Klarheit und getragen yon der inneren Verbundenheit mit dem Objekt. Bei seinen Fragestellungen, seiner Darstellung und Deutung der Ergebnisse verwendete er gerne psychisehe Analogien. Sie entsprangen der ~berzeugung yon der Verwandtschaft des menschlichen Geistes und der organischen Natur und yon der ,,Beseeltheit der lebendigen Zellen" und verliehen im Vortrag dem Dargestellten beim Zuh6rer eine geheime Vertrautheit. Auf einer solehen Analogie beruht der Begriff des Organisators.

Wer SPV~A~II~ ~reundsehaftlich nahestand, der wuflte, dab die Gis den Grund seines Wesens bfldete. Den Reichtum des Lebens sah er, wohl nicht ausschlieBlich aber doch in hohem Mai3e, in den gliickliehen Beziehungen der Menschen zueinander begriindet. Die Hinneigung zum Lebendigen mag hier ihren sch6nsten Ausdruck gefunden haben. Fiir die Predigt bei seiner Ein~scherung bestimmte er in seinem Testament das 13. Kapitel des 1. Korintherbriefs mit den sch6nen Eingangsworten: ,,Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen redete und h~tte der Liebe nicht, so w&re ich ein t6nend Erz, eine klingende Schelle." Der gfitige Grundzug seines Wesens wurde beim Umgang mit Kindern uneingeschr~nkt offenbar. Freundsehaft und Treue waren fiir ihn heilige Worte. - - I m pers6nliehen

Page 9: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

392 O. Mangold:

Umgang war SPEMA~ nicht leicht. Man spfirte seine geistige Kraf t und Uberlegenheit und seine Fs zu durehdringender Beobach- tung. Junge Menschen fiihlten sich leicht bedriiekt. ~hnlich seheint es ihm selbst einst bei seinem Vater ergangen zu sein. Er nahm sich daher in seiner Jugend lest vor, dab es bei ihm einmal anders werden solle, offensichtlich ohne Erfolg. Manehe Menschen revoltierten inner- lich gegen die Pers6nliehkeit und erreichten dann meist nie ein er- spriel~liehes Verh~ltnis. PersSnlichkeiten mit unklarem Charakter stieBen ihn ab. Feigheit, Unwahrhaftigkeit und kleinlicher unlauterer Eigennutz waren ihm in der Seele zuwider. Durch eine einmalige Unwahrhaftigkeit konnte man seine Aehtung fiir immer verlieren. I m privaten Verkehr kam er seinen G/~sten mit einer warmen Herzlichkeit entgegen. Mit viel Geist und meist auch mit viel Witz, der aber in der Regel auf seine eigenen Kosten gehend, keinen Freund verletzte, fiihrte er die Unterhaltung. Allerdings vollkommen loslassen konnte er sieh nicht; so blieb wohl leicht das Gefiihl, dal~ hier mit strengem Ma] ge- messen wiirde. Seine Anspriiche an die Menschen seines Umgangs waren aber nicht iiberspannt; denn er war ein Optimist, der gerne geneigt war, in jedem GeschSpf eine beaehtenswerte gute Gabe zu erkennen und zu sch/~tzen; sie waren anch keineswegs yon Standesvorurteilen be- einfluBt. Ma~gebend war fiir ihn der Charakter. I m Inst i tu t herrsehte eine gute Kameradschaft , bei der stets ein respektvoller Abstand zwischen Fiihrer und Gefolgschaft bestand. Sie griindete sich auf die gemeinsame Arbeit und das gemeinsame Ziel. Jeder gute Arbeiter auch au~erhalb der Insti tutsgrenzen war in sie eingeschlossen, wenn er ]auteren Sinnes war und das gemeinsame Ziel anerkannte. Eine herzliche Arbeitskamerad- schaft verband S P E ~ N mit seinem langj~hrigen teehnischen Sekret~r JOHAN~ MAYER. Als Inst i tutsverwalter w a r SPEI~IAN~ ZU sparsam. Er h~tte wohl mit Reeht auf Grund seines grol]en wissensehaftliehen Rufs eine gro~ziigigere Behandiung des Inst i tuts bei'der Regiernng beanspruchen kSrmen. Aber er scheute sich vor dem groBen Kr~fteaufwand, den ein Inst i tutsaufbau und eine vermehrte Insti tutsorganisation notwendig gemaeht h~tten. Denn yon Jugend an war er gezwungen, mit seinen Kr~ften hauszuhalten, damit fiir die Allgemeinheit das Beste erreicht werde. Als Kaufmann erzogen, war er dabei wohl imstande, seine eigenen Belange sicher, aber gerecht zu wahren. Neugierige wissen- schaftliehe Besucher waren wohl gelegentlich entt~uscht, wie wenig bei ihm zu sehen und zu effahren war. In der wissenschaftlichen Bericht- erstat tung und in der Behandlung yon Priorit~tsfragen war er yon einem peinlich genauen Gerechtigkeitssinn, der ihm und seinen Schiilern das Schreiben sauer machte. I m Reich der Wissensehaft und unter seinen Freunden und Schiilern fiihlte er sich als , ,Kamerad der Arbeit, als ein (]lied in der Reihe derer, welche ihr Leben der reinen, zweckffeien Wissen- schaft widmeten".

Page 10: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

Hans Spemann als Mcnsch und Wissenschaftic~,r. 393

Seine wissenscha/tliche Arbeit begann HANS SP]~MA~ auf Anregung yon TH]~O~)OR Bov~RI mit einer Untersuchung der Frfihentwicklung eines Spulwurms aus der Lunge des Schweins, StromJylus paradoxus. Am fixierten Material wurde das Schicksal der Furehungszellen verfolgt. Die Arbeit ist sehr knapp gefaBt; sie zeigt nur 16 Druckseiten und 2 sehr rein gezeichnete und kolorierte Tafeln. Sl, mViANl~ schreibt am SchluB: ,,Man wird leicht bemerken, dal~ sieh diese Untersuchung in allen Stricken, selbst in technischen Einzelheiten, aufs engste an die Arbeit BOVERIs anschlieBt, ich mSchte sie auch nur als eine Best~tigung seiner Ergebnisse betrachtet wissen. AuBerdem is t mir aber aueh Herr Prof. Bov~.HI so unausgesetzt mit Rat und Tat an die Hand gegangen, dab ieh die Arbeit bloB zum Teil als mein geistiges Erbe betraehten kann." Bov]~HI andererseits beurteilt die Arbeit in einem Brief an den Vater SP~MA)r~s yore 28. Oktober 1894 wie folgt: ,,Ieh kann Ihnen aber wohl einstweilen verraten, da$ wir alle an dem ehrenvollen Ausgang ,summa cure laude' nicht den geringsten Zweifel haben. Die Doktor- arbeit Ihres Sohnes ist nieht nur nach meinem Urteil, sondern auch nach dem des Botanikers SACHS vorziiglieh und steht als wert- volle wissenschaftliehe Leistung hoch fiber dem Niveau der Durch- schnittsdissertation, sie allein wfirde die I. Note sichern." SPEMA~ hat bei dieser Untersuchung seine F~higkeit zu sorgfi~ltigster mikroskopiseher Analyse ausgebildet.

Aueh die zweite Arbeit, die Habilitationsarbeit, verdankt S~v,~A~N noch der Anregung Bov]~HIs. Sie behandelt die erste Entwieklung der Tuba Eustachii und des Kopfskeletts yon Rana temporaria. An Schnitt- serien wurden mit Hilfe yon plastischen l%konstruktionen die Ver- h~Itnisse des Kopfskeletts, der 1. Visceralspalte und des Mittelohrs sorg- f~ltig untersueht, und fragliehe Zusammenh~nge der in frfihen Stadien vorhandenen, sparer aber versehwindenden 1. Visceralspalte mit der EvsTAc~xsehen RShre siehergestellt. Auch die Grfinde ffir das zeitweilige, fast vSllige Verschwinden konnten ermittelt werden. Aueh diese Arbeit beeindruekt durch ihre stra~fe textIiche und dureh ihre schSne bfldliche Darstellung. SP~L~N~ hat sieh bei ihr die Arbeitsweise der Morphologie und der vergleichenden Anatomie angeeignet. Die sorgf~ltige bildliehe Darstellung ist auch seinen sp~teren Arbeiten eigentfimlieh geblieben.

Die Weiterverfolgung des Mittelohrproblems und die Fortsetzung vergleiehend-anatomiseher Arbeiten wurden endgiiltig unterbrochen durch die schon oben erw~hnte Krankheit, die ihn im Winter 1896/97 zu einem liingeren Aufenthalt im Sfiden und in Arosa zwang. Ihre Frage- stellungen traten aber noch l~ngere Zeit in seinen experimentellen Arbeiten auf (s. 1912a). 1915 setzte er sich sehlieBlich in einem theoreti- schen Aufsatz ,,Zur Geschichte und Kritik des Begriffs der Homologie" mit ihren Problemen auseinander. An Hand der Wandlung des Begriffs der Homologie wird die Wandlung der Wissensehaft in der idealistischen

Page 11: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

394 O. Mango~:

Periode, der historisehen Periode und schlieBlieh der kausal-analytischen Periode aufgezeigt; und im letzten Abschnitt werden die Wirkungen der experimentellen Forschung auf die vergleichend-anatomisehe unter- s u c h t . Mit der experimentellen Effassung der prospektiven Potenz und der prospektiven Bedeutung der Keimbezirke und mit der kausal-ana- lytischen Arbeit ,,scheint es Mso, dab der Homologiebegriff in der Fassung der historisehen Periode sich unter unseren H~nden auflOst." Doch wird auch weiterhin die historische Betrachtungsweise die fruchtbarste sein. ,,Nur glauben wit nicht mehr, dab wir erst den Stammbaum der Tiere feststellen k6nnen, um dann aus ihm Entwicklungsgesetze abzuleiten; vielmehr glauben wir zu erkennen, dab wit erst diese Gesetze feststellen mfissen z ehe wi r die Formenreihen, in denen wit die Organismen ordnen, richtig verstehen, ja oft fiberhaupt nur aufstellen k6nnen. Daher werden es nicht die alles umfassenden Abstammungstheorien sein, auf denen weiter zu bauen ist; denn diese sind ebenso unsicher, wie sie dutch ihre Weite und Kfihnheit entzficken; vielmehr werden uns die kleinen, abet sicher begrfindeten Entwicklungsreihen die besten Ausgangspunkte zu vertiefender Forschung werden (S. 82--84)." Mit dieser Erkenntnis stellte Spv, N ~ bei seinen experimentellen Spezialarbeiten seine Aus- flfige in phylogenetische Gedankenginge ein. Seine Gedanken riehteten sich abet bis in seine letzten Tage immer wieder auf die Probleme der Stammesgeschichte. - - Uber das Mittelohrproblem entstand unter seiner Leitung 1923 noch eine Schfilerarbeit ( L I T z E L ~ ) , in der unter anderem das ,,solange und vergeblich gesuchte Hyomandibulare bei Triton" nach- gewiesen wurde.

Seit der Umsiedlung nach Wiirzburg hatte die experimentelle Arbeit gelockt. Neben ihm im Zoologischen Institut experimentierte Bov~.RI, und im benachbarten Anatomischen Institut K6LLIKERS arbeitete OSX~_R SCHULTZE. Nun, bei dem unfreiwi]ligen Kuraufenthalt erhielten die exloerimente]len Pls ihre wissenschaftliche Grundlage und weit- spannende Problematellung dureh das einzige wissensehaftliche Bueh, das SPEMA~N begleitete, dureh AUGUST WEISM~NLVs ,,Keimplasma". ,,Alie meine Arbeiten wurzeln in ihren Anfi~ngen bei WEIS~ANN", sagt er in seinen Erinnerungen. PersSnlich sind die beiden Forscher nicht be- kannt geworden, auch hat SPEMiN~ fiber WEISMANN, den Begriinder des Freiburger Zoologisehen Instituts und seinen Vorvorginger, nur sehr selten gesproehen. Erst 1934, an dessen 100. Geburtstag, hat er sein Lebenswerk in einem Vortrag gewfirdigt.

Von dem WEISMANNschen Gedankengeb~ude, das er in seinen Ar- beiten fiber die Vererbung, Entwieklung und Artbildung entwickelt hat, interessieren hier die beiden grunds~tzliehen Fragen: 1. In welcher Weise wird die J~hnlichkeit der aufeinanderfolgenden Genera- ~ionen gesichert, und 2. wie kommt bei der Entwicklung des Individuums die Arbeitsstruktur seiner Teile zustande. Beide Fragen stehen in

Page 12: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler. 395

engstem Zusammenhang. Zur Erkl~rung der ~hnlichkeit der aufeinander- folgenden Generationen nimmt W~IS~A~ bekanntlich ein ,,Keim- plasm'a" an, das in allen Zellen vorhanden ist, im Lauf der Generationen sich nicht vers und auch bei der Gewebedifferenzierung keine Ver~nderung eff~hrt. Es setzt sich aus den ,,Determinanten" zusammen, kleinen selbst~ndigen Lebenseinheiten oder Komplexen von solehen, die im Chromatin des Kerns liegen und im wesentliehen den Erbfaktoren oder Genen unserer heutigen Vorstellung entsprechen. W~hrend der Entwicklung der Individuen aus der Keimzelle kommt die Versehiedenheit der einzelnen Teile dureh eine erbungleiche Teilung der einzelnen Kerne zustande, bei der die Determinanten ffir die versehiedenen Organe und Gewebe in verschiedener Weise verteilt werden. Die Ursaehe ffir die Art der Teilung liegt im Kern selbst und nieht in der Umgebung. Nur die Keimzellen behalten den vollen Bestand der Determinanten. Durch seine Ausfiihrungen und Theorien hat WEIS~A~ das Deter- minationsproblem, d. h. die Frage naeh den Ursaehen der versehiedenen Entwicklung der Teile des Embryos klar gefaBt. Seine LSsung ist zur Lebensaufgabe SP~MAm~s geworden.

Die experimenteUen Arbeiten S ~ s behandeln die fffihe Ent- wieklung der Amphibien, und zwar versehiedener Anuren- nnd Urodelen- arten. An ihren Keimen werden Defektversuehe, Isolationsversuehe und Transplantationsversuehe angestellt. Die Keime sind fiir die experi- mentelle Analyse besonders gfinstig. Sie sind in groSen Mengen zu besehaffen, haben mit etwa 11/2 mm Durehmesser eine geniigende GrSBe, um unter der binokularen Lupe priizise Arbeit zuzulassen; sie sind genfigend widerstandsf/ihig; ihre Zellen enthalten, reichlich Nahrungs- dotter, so dal~ sie liingere Zeit iso|iert leben k0nnen. Mehrere Arten lassen sieh miteinander kombinieren, ohne sieh gegenseitig zu sch/idigen; sie sind auSerdem versehieden pigmentiert, so dai3 die kombinierten Tei!e sich 1/ingere Zeit unterseheiden lassen. Eine grSSere Anzahl yon Forsehern hatte sehon vor S P ~ x mit den Eiern bzw. jungen Embryonen yon Amphibien gearbeitet, aber erst SPEMA~r maehte sie dureh seine mikro- ehirurgisehe Operationsteehnik zum ersten Objekt entwicklungsphysio- logiseher Forsehung und erschlo$ alle ihre Vorztige.

Mikroskopiseh rein ausgezogene Glasnadeln dienen zum Sehneiden, mit Wachs in Capillaren eingegossene Scblingen aus Kinderhaar zum Bewegen und Transportieren der reifen Eier, flach gebogene Glasstreifen zum Einpressen des Transplantats in die Wunde und Sehalen mit Waehs- boden zur Operation und Zueht. Eine besonders konstruierte Mikro- pipette vereinfaeht die Tausehtransplantationen zwisehen zwei Keimen. - - Hand in Hand mit der experimentellen Analyse ging eine sehr exakte gedankliche Analyse, der wit eine Reihe neuer, treffender Begriffe ver- danken: Beiden zusammen verdanken wir ein breites Fundament yon Tatsaehen.

Page 13: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

396 O. Mangold:

Die Ergebnisse geben in erster Linie AufschluB fiber Fragen des Deter- minationsproblems; d. h. fiber die gesamten EntwicklungsmSglichkeiten der einzelnen Keimbezirke in den verschiedenen Entwicklungsstadien (prospektive Potenz, Dl~IESClk), das tatsgchliche Sehieksal der Keim- bezirke in den versehiedenen Stadien (prospektive Bedeutung, DI~IESCH), die gegenseitigen Beziehungen der Keimbezirke (Korrelationen Clyvxm~) und der Gesetze, welche der Harmonie des Organismus zugrunde liegen. AuBerdem ergaben die Arbeiten Resultate zur Kls der Material- bewegung in der friihen Entwicklung (Kinematik, Rot~x), ffir Probleme der Betriebsphysiologie und der Phylogenese. Uber einen groBen Teil der Ergebnisse seiner Arbeit hat S~EMA~r selbst in den Silliman Lectures berichtet, die in deutscher Sprache in seinem Buch: ,,Experimentelle Beitr~ge zu einer Theorie der Entwicklung" im Jahre 1936 erschienen sind. Jeder Leser dieses Buches wird sieher voller Achtung auf das harmonische Geb~ude wissenschaftlicher Tatsaehen blicken, das SPEMAXI~ und seine Schule in 35 Jahren intensiver Arbeit errichteten.

Die experimentelle Arbeit SPSMAI~s verfolgte anfangs zwei Wege, die beide zu besten Ergebnissen f/ihrten. Der eine, etwas frtiher ein- gesehlagene war durch die Schnfirmethode bestimmt (1900--1928). Der andere bestand in Defekt- und Transplantationsversuchen, die der kau- salen Analyse der Entwicklung des Wirbeltierauges und seiner Linse dienten (1901 a--1912 b ). Wir betrachten zuerst die Versuehe am Wirbel- tierauge.

Der Auga1~]el der Wirbeltiere eignet sich, wie kaum ein anderes Organ, zur Analyse der kausalen Beziehungen seiner versehiedenen Teile unter- einander; denn Form, Gr6Be und Struktur bieten die besten Kriterien; auch lassen sich in der frfihen Entwicklung die Anlagen der verschiedenen Tefle gut voneinander trennen. Die wichtigsten Elemente des Augapfels sind der Augenbecher und die Linse. Beide bilden sich aus Bezirken des Keims, die in der 4 Tage alten Neurula an versehiedener Stelle liegen. Der Augenbecher entsteht aus der frfihen, schuhsohlenfSrmigen Anlage des Zentralnervensystems, der Medullarp]atte, aus der er, w/ihrend sich die Platte zum Rohr schlieBt, vorn seitlich als eine kleine Blase ausgesttilpt wird (prim/~re Augenblase), die dann ihre distale Wand zurfickzieht, so dab ein doppelwandiger Becher entsteht. Seine innere Wand wird zur Netzhaut, seine guBere zum Pigmentepithel und sein 8tiel zum Augen- nerv. Die Linse entsteht aus der zweisehichtigen Epidermis. Ihre Anlage liegt in der Neurula auBerhalb der Medullarplatte; sie gelangt w/~hrend deren SehluB fiber die sich ausstfilpende Augenblase. Mit deren Umbildung zum Augenbecher verdickt sich die untere Schicht der fiberlagernden Epidermis zur Linsenplatte, hebt sieh yon der bedeckenden Oberschicht als Linsenbl/~schen ab, schnfirt sich los, dif- ferenziert an dem im Augenbecher liegenden Pol des IAnsenepithels den charakteristischen, durchsichtigen, stark lichtbrechenden, kugeligen

Page 14: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

Hans Spemann als Melmch und Wisscnschaftler. 397

:Faserkern und bildet schliel~lich nach au~en hin ein feines, die ganze Linse umspannendes Linsenh/~utchen. Die R~nder des Augenbechers legen sich distal der Linse an und bilden die Iris. Das umgebende Mesenchym lagert sich dem Augenbecher dicht auf und differenziert sich zu Chorioidea und Sklera. Die distal bedeckende Haut wird zur durchsiehtigen Cornea und bildet, indem sie sich mit der Sklera verbindet, die vordere Kalotte des nun wohlabgerundeten, in sich geschlossenen Augapfels. SchlieBlich bilden sich in der Tiefe der Augenh6hle noch die Augenmuskeln und am Rande derselben die Augenlider.

Das Vv~irbeltierauge hatte schon mehrfach den Gegenstand kausal- analytischer Fragestellungen gebildet, als SP~MA~ (1901 a, b) als erster zur experimentellen L0sung sehritt. Seine grundlegenden Arbeiten haben alle Fragen tells beantwortet, tells angesehnitten, die sich bei der Bfldung eines harmonischen Ganzen aus verschiedenen Teilen ergeben. Sie gehen von tier Frage aus, ob die Linsenbildung abh/ingig oder unabh/ingig yore Augenbecher erfolgt. Bei zwei Froscharten und einer Unkenart (Rarta ]usca, Rana esculenta und Bombinator Tachy- Tus) wurde in Stadien mit oftener Medullarplatte und in solchen mit eben ausgestfilpter, prim/irer Augenblase die An]age des Augenbeehers entfernt und festgestellt, ob trotzdem eine Linse entsteht. AuBerdem wurde in weiteren Versuchsserien fiber der prim/iren Augenblase die normale An]age der Linse entfernt und durch ortsfremde Epidermis der n/ichsten, oder weiteren, oder entfernten Umgebung ersetzt. Diese Versuche zeigten, dab der Augenbecher die darfiberliegende Epidermis zur Linsenbildung veranlaBt, und dab andererseits ortsfremde Epidermis in den verwandten Stadien noch die F/~higkeit besitzt, Linse zu bilden. Sehr erschwerend, aber auch sehr befruehtend war die fiber- raschende Feststellung, dab die verschiedenen Amphibienarten sich etwas verschieden verhalten. Bei Rana /usca haben im Stadium mit prim/~rer Augenblase, Kopf- und Rumpfepidermis noeh die F/ihigkeit eine Linse zu bilden, bei Bombinator kann es nur noch die Kopfepidermis und bei Rana esculenta nur noeh die normale An]age. Eine entsprechende Versehiedenheit ergab sich in dem Verhalten der normalen Linsen- an]age nach der Entfernung der Augenbeeheran]age; bei Rana /usca bildete sie keine Linse, bei Bombinator in seltenen F/~llen eine sehwaeh- entwiekelte und bei Rana esculenta gut differenzierte Linsen. Die Epi- dermis ist also bei den versehiedenen Arten schon in versehieden hohem Grad determin]ert, bei Rana esculenta h6her als bei Bombinator und bei diesem wieder hSher als bei Rana /usca. Die normale An]age benStigt die Wirkung des Augenbechers bei den verschiedenen Arten in verschiedenem Grad; die Wirkung ist aber immer vorhanden. Bei Rana esculenta, wo die Linsenbfldung ohne Augenbeeher erfolgen kann, der Augenbecher aber doch induzierend wirkt, ist sie ,,doppelt gesichert".

Page 15: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

398 O. Mangold:

Auch das Problem der GrSflenharmonle zwischen der Linse und dem Augenbeeher wurde bei diesen Versuchen sehon beleuehtet. Bei der Exstirpation der Augenanlage bzw. der prim~ren Augenblase traten nicht selten, wenn die Entfernung nicht vollst~ndig gelang, kleine Augenbecher verschiedener GrSl]e auf. Hs besal]en sie auch Linsen, und zwa r waren sie klein und yon normaten Gr613enproportionen bei Rana /usca und Bombinator, wo die Linsenentwieklung vom Augen- becher stark abh~ngig ist, und zu groB, d. h. in gestSrter Proportion, bei Rana esculenta, bei der sich die Linse unabh~ngig entwickelt.

Die Beobachtungen fiber die versehiedene Reaktionsf~higkeit der verschiedenen Epidermisbezirke, d.h. die r~umliche Verteilung der Linsenbfldungspotenz, ffihrte SPE~A~ zu einer Vorstellung fiber die potentielle Anlagengestaltung, die er mit dem Begriff ,,Zerstreuungskreis" festlegte. Er nahm n~mlich an, dal~ die F~higkeit zur Linsenbildung in der normalen Anlage am gr61~ten sei, und mit fortschreitendem Abstand yon ihr mehr und mehr abnehme, um schlieBlich auszuklingen. Diese Vorstellung hat sich bei anderen Experimenten bestens bew~hrt, und es ist anzunehmen, dab sie ein verbreitetes Prinzip bei der Determination der Keimbezirke und Organe darstellt.

Aueh die Frage naeh der Art und Wirkungsweise des Induktions. ]a]ctors in dem Augenbeeher wurde besproehen; ob der Augenbecher meehaniseh oder chemisch auf die Linsenanlage wirke, und ob seine Wirkung yon kurzer oder langer Dauer sei.

Diese Fragestellung gab dann die Veranlassung, das Problem der WOLYFSchen Linsenregeneration aufzugreifen und yon Schfilern (WAcHS 1914, SATO 1930) bearbeiten zu lassen. CoLvccI und WOLFf hatten n~mlieh unabh~ngig voneinander festgestellt, da~ bei ausgewaehsenen Urodelen die verlorene Linse yore oberen Irisrand regeneriert wird. Im Hinblick auf die ganz andersartige Linsenentstehung in der Normal- entwieklung machte diese En~deekung grS~tes Aufsehen und regtd zu vielfachen Untersuchungen an. Unter diesen sind die yon S P E ~ veranlaBten yon besonderem Interesse. In ihnen konnte unter anderem der Nachweis geffihrt werden, dab bei der Linsenregeneration die Retina auf den oberen Irisrand einen determinativen Einflul~ ausfibt.

Naeh der Linsenbfldung wirkt der Augenbeeher auf die bedeekende I-Iaut und veranlaltt ihre Aufhellung und I)ifferenzierung zur Cornea.

Der Ein/lufl der Linse au/ den Augenbecher konnte ffir die frfihen Entwieklungsstadien durch die gesehflderten Experimente ebenfalls geprfift werden. Linsenlose Augen bildeten n~mlich einen seh(inen Augenbecher und bewiesen, da~ die Einstfilpung der distalen Wand der prim~ren Augenblase unabh~ngig yon dem Druek der gleiehzeitig wuehernden Linse ist.

Die Untersuchungen fiber das Linsenproblem stellten S p w ~ auf eine sehr harte Probe. Die fiberraschende und kaum zu erwartende

Page 16: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler. 399

Tatsache, dab die verschiedenen Amphibien und Wirbeltierarten ver- schiedene Ergebnisse liefern, verwickelte die ersten VerSffentliehungen in scheinbare Widerspriiehe, die nur durch Hartns iiberwunden werden konnten. Maneher h~tte wohl das undankbare Objekt auf- gegeben; aber SPE~A~ iiberwand die Schwierigkeiten durch peinliehste Sorgfalt. Die Notwendigkeit, die Experimente mSglichst exakt aus- zufiihren, trieb ihn zur Erfindung seiner mikrochirurgischen Operations- teehnik (1906a, b; 1921a) und die intensive Auseinandersetzung mit den Fragestellungen zur Erfassung des gesamten Problems. 1901 ver6ffent- lichte er die erste kurze Mitteflung, und erst 1912 erschien die endgiiltige grebe Arbeit, die man stets als klassische Abhandlung der Entwieklungs- physiologie .betraehten wird. Die Arbeiten hatten den denkbar grSBten Erfolg. Gelehrte der ganzen Welt griffen, direkt oder indirekt yon SP]~- .~A~ angeregt, das Problem auf und experimentierten selbst am Auge. Heute sind die Arbeiten noch in vollem Flul~ und f6rdern immer wieder interessante Tatsachen. Ausr zusammenfassende Darstellungen mit Literaturangaben findet man bei S P E ~ I ~ (1936e) und O. MAn- ,OLD (1933).

Eine zweite grebe Experimentserie fiihrte S P E w e r (1900--1928) an den Keimen vom Streifenmolch (Tr~o~ taeniatus) mittels der yon O. HV,~TWIG in die Wissensehaft eingefiihrten Sehniirmethode dureh. Dabei werden die etwa 5 mm langen und 3 mm breiten, ellipsoiden, festwandigen Gallerthiillen mit einer Sehlinge aus Kinderhaar in der queren Mitte umfaBt, das im Inneren der Hiille frei bewegliehe Ei durch leiehtes Sehaukeln in der gewiinsehten Orientierung in die Sehniirebene gebracht und durch Anziehen der Sehniirung zur regel- m/~Bigen Hantelform eingesehniirt oder vollst~ndig in 2 gleieh grebe H~lften durchgesehniirt .--Der Sehniirversueh war, wie mir aus SPE~_w~s Erinnerungen bekanntgeworden ist, angestellt worden, um den ersten entwieklungsphysiologisehenVersuch W. Rovx ' etwas abzu~ndern. Rotrx hatte an Froscheiern im Zweizellenstadium die eine Zelle durch Anstieh mit einer heil~en Nadel abget6tet hnd aus der lebendgebliebenen anderen, halbkugeligen Zelle halbe Embryonen versehiedener Art erhalten. SPE- ~ beabsiehtigte nun, die eine Zelle nicht abzut6ten, sondern in ihrer Entwieklung durch Abkiihlung zu hemmen und damit Keime mit ver- schieden sehnell sich entwickelnden I-I~lften zu ziiehten. Bei der zweek. entspreehend gew/~hlten Versuehsanordnung bereiteten die Orientierung und das Festhalten der Keime Sehwierigkeiten, die dureh Ansehniiren mit einem Kinderhaar iiberwunden werden sollten. Dabei t raten iiber- raschende Ergebnisse auf, die den Anlal] bfldeten, die urspriingliehe Ab- sicht zuriickzustellen und alas Sehniirexperiment selbst yell auszuarbeiten.

Die Schniirversuche waren geeignet, die Zu Beginn der entwieklungs- physiologisehen Forschung im AnschluB an Ro ~x und D~r~scg viel behandelten Fragen nach der Lage des virtuellen Embryo im Keim,

Page 17: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

400 O. Mangold:

nach seinen Beziehungen zur ersten Furehungsebene und nach den Ent- wicklungsm6glichkeiten der ersten Blastomeren zu 16sen. Wurde vor dem Beginn der Gastrnlation ganz durchgeschniirt, so ergab sich ein zweifaehes Ergebnis. In der Mehrzahl der Falle entstand ein vollkommener Embryo halber Gr61]e und ein unregelm~Biges, kugeliges Gebflde, ein ,,Bauchstiick" ohne Achsenorgane, d. h. ohne Neuralrohr und Chorda und ohne Seitenrumpfmuskulatur und Darm; in der kleineren Anzahl der F~lle entstanden zwei vollst~ndige Embryonen halber Gr6Be. I m ersten Fall wurden also zwei Hglften sehr versehiedenen, im zweiten Fall solche gleiehen entwicklungsphysiologischen Verm6gens voneinander getrennt. Die Schniirung verlief im ersten Fall , ,frontal" und trennte die dorsale yon der ventralen H~lfte des Keims, im zweiten Fall ,,median", wobei die rechte und linke Keimli~lfte voneinander getrennt wurden. Die Entwieklungsfs ist also in dorso-ventraler Richtung verschieden. Da bei der Sehnfirung entlang der ersten Furche dasselbe Ergebnis erhalten wurde, ergab sich der durch spgtere Untersuehungen abgeanderte Schlul~, dab die erste Furche entweder median oder frontal im zukfinftigen Embryo liege. Die Entwicklung ganzer Embryonen aus den beiden late- ralen und der dorsalen Hglfte des Keims zeigte weiterhin, dab die ein- zelnen Teile des friihen Keims noeh nieht endgiiltig zu ihrem Schicksal best immt sein k6nnen, und dab die Keimhs bef~higt sind, weit- gehende Regulationen zum harmonischen Ganzen halber Gr6Be dureh- zufiihren. Dies zeigte sich auch besonders eindrueksvoll, wenn nicht ganz durehgeschnfirt, sondern nur in verschiedenem Grad eingeschniirt wurde. Es bfldete sich dann bei frontaler Lage der Schniirungsebene ein Embryo mit ventral anh~ngendem Bauchstfick, bei medianer ein Embryo, dessen Vorderende in verschieden hohem Grad, im H6ehstfall bis zum After, verdoppelt ausgebildet war (,,Duplicitas anterior"). Alle Organe der vorderen Verdoppelung waren in doppelter Anzahl aber in harmo- nisehen GrSBenverhaltnissen vorhanden. Ganz anders war aber das Ergebnis, wenn die Sehniirung nach der Gastruiation vorgenommen wurde, dann ents tanden in best immter Weise defekte Halbembryonen, die keine Regulation mehr aufwiesen. Wahrend der Gastrulation war also eine wichtige Ver~nderung mit dem Keimmaterial vor sieh gegangen, es war zu seinem Schieksal best immt worden. Der , ,Zeitpunkt der Deter- mination" war errant worden; die ,, Ursachen der Determination" mut~ten irgendwie zu den Vorgs bei der Gastrulation in Beziehung stehen. Der Verdaeht fiel auf das Urdarmdach, das sich w~hrend der Gastrulation einstfilpt und unter die prasumptive Medullarplatte legt. Er sollte sich in den spgteren Versuchen in h6ehstem Mal~e bests - - Bei diesen Experimenten ist besonders eindrueksvoll, wie SPEMA~ die sehr viel Geduld und Gesehick beanspruchende Methode zur L6sung der auf- geworfenen Fragen roll auswertete und die besten Ergebnisse erzielte, und wie er im Zuge seiner intensiven und exakten Arbeit zu neuen

Page 18: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler. 401

Problemgruppen geffihrt wurde. Folgende weitere Fragenkomplexe wurden n/~mlich der experimentellen LSsung ersehlossen: 1. Das Problem der erbungleichen Kernteilung; 2. die Probleme der Wechselbeziehung yon Kern und Plasma und der Lokahsation der Erbfaktoren; 3. das Problem der bilateralen Asymmetric und 4. das Problem des Ablaufs der Determination in der frfihen Amphibienentwicklung.

Es soll zuerst fiber die Ergebnisse zur Frage der erbungleichen Kern- teilung beriehtet werden ( S P ~ 1914, 1924b, 1928). Sic betreffen direkt die W~IsMA~schen Vorstellungen fiber die Determination der Gewebedifferenzierung. Das befruchtete, ungefurehte Ei zeigt an seinem oberen Pol einen hellen Fleck in der sonst dunkel pigmentierten, oberen, animalen Eihi~lfte. Dieser bezeichnet die Abschnfirungsstelle der Rich. tungskSrper. In seinem Zentrum, dicht unter der Eioberfl~che hegt der weibtiche Vorkern. AuBerdem lassen frisch befruehtete Eier meist mehrere kleine dunkle Stellen in der Eioberfl/~che, die Einbruchstellen der Spermatozoen erkennen. Bei Urodelen dringen meist mehrere Spermatozoen bei der Befruchtung in das Ei ein. Wird nun das be- fruchtete, abet noch ungefurehte Ei so zur Hantelform eingeschniirt, dab einerseits der Schniirungsebene der RichtungskSrperfleck mit dem weib- lichen Vorkern und mindestens eine Spermaeinschlagstelle mit einem Spermakern liegt, und andererseits nut Spermakerne, so finder in der ersteren Hi~lfte die Verschmelzung des weiblichen Vorkerns mit einem Spermakern start und die fibrigen Spermakerne gehen zugrunde. Die Furchung beginnt nun auf der Seite mit dem kopulierten Kern und greift erst auf die andere Seite fiber, wenn eine Teflungsspindel in das Ver- bindungsstiick der H/ilften zu liegen kommt. Je nach dem Grad der Schnfirung erfolgt dies im 2., 3. oder 4. Teilungsschritt. Ihre Tei- lungsebene liegt dann direkt in der Sehnfirebene. Naehdem damit ein Furehungskern in die kernlose H/~lfte fibergetreten ist (,,verzSgerte Kern- versorgung"), wird vollends durchgesehnfirt. Die beiden getrennten Keimh/ilften besitzen dann sehr versehiedene Kerne, n~mlich je naeh dem Grad der Schnfirung einerseits a/4 , 7/s oder 15/18 Furchungskerne und andererseits 1/4, 1/s oder 1/1 s. Beide H/~lften entwickeln sieh aber im allgemeinen gut weiter und liefern bei medianer Lage der Schnfirungs- ebene, auch wenn die ursprfinglich kernlose nur 1/1 s Furchungskern erhielt, normale harmonisch gebaute Embryonen halber Gr6Be. Dies beweist, dab die 1/4, 1/s und 1/1 ~ Furchungskerne noch die Entwicklungs- f/~higkeit yon ganzen besitzen, und dal~ die ersten 16 Furchungskerne ,,erbgleich" sind. Wenn die Schnfirungsebene frontal liegt, ergibt sich aber eine Besonderheit. Ist n/~mlich die verz6gert bekernte H/~lfte die Dorsalseite des Eies, so kann sic mit 1/16 Furchungskern keinen voll- st/~ndigen Embryo mehr bilden, sondern geht zugrunde; nur wenn sic mindestens 1/s Furchungskern erhalten hat, ist sic ztu" Entwicklung eines vollst/~ndigen Embryos f/~hig. Da die Kerne ursprfinglieh gleichwertig

~V. R o u x ' Arch . f. E n t w i c k l u n g s m e c h a n i k . Bd . 1~1. 26

Page 19: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

402 O. MangoM:

sind, und das dorsale und ventrale Plasma versehieden ist, mul~ an- genommen werden, dab das ventrale Plasma die Furehungskerne beeinfluSt, und zwar im Sinne einer Einsehri~nkung ihrer Entwiek- lungspotenzen. Diese Experimente zeigen klar, da$ die W~is~NNsehe Annahme einer erbungleichen Kernteilung und einer Bestimmung des Plasmas durch den Kern zum mindesten ffir die frfihen Furehungs- stadien der Amphibien nieht aufreehterhalten werden kann. Aueh die welter unten aufgeffihrten Experimente bekr/iftigen diesen Sehlu$.

Die Untersuehung der Frage nach der Zusammenarbeit yon Kern und Plasma und naeh der Lokalisation der Erbfaktoren wurde auf die Anregung SPE~N~cs (1924b) yon BXLTZ~ fibernommen. Ieh be- schr/~nke reich auf die Mitteilung der ersten Ergebnisse. Mehrfach besamte, ungefurehte Eier werden, wie im soeben geschilderten Experi- ment, so gesehnfirt, dab die eine H/ilfte den weibliehen Vorkern und einen Spermakern und die andere einen Spermakern enth/~lt. Es 'wird aber sofort vollst/~ndig durehgeschnfirt. In diesem Fall entwickeln sich beide H/s mit den in ihnen vorhandenen Kernen, und zwar die eine H/~lfte mit einem diploiden Kernbestand, die andere mit einem haploiden. Letztere nennt man mit Bov~EI ,,Merogon". Sind Ei und Sperma yon derselben Tritonart (Triton taeniatus), so entwiekeln sich beide H/flften, mediane Sehnfirung vorausgesetzt, normal mindestens bis fiber die Metamorphose. Befruchtet man aber die Eier von Triton taeniatus vor der Schnfirung kfinstlich mit Sperma yon Triton helveticus oder al- pestris oder cristatus, so entwickeln sich die diploiden H/flften zu ent- spreehenden Bastarden, die haploiden H/~lften aber, die jeweils aus tae. hiatus.Plasma und einem fremden haploiden Kern bestehen, sind zu keiner vollen Entwicklung f/ihig; sie gehen .urn so frfiher zugrunde, je un/s licher die Eltern sind; d. h. der taeniatus.cristatus-Merogon mit dem taeniatus.Plasma und dem cristatus-Kern als Embryo mit prim/~rer Augen- blase, der taeniatus-alpestris-Merogon als Larve mit erstem Pigment und der taeniatus-helveticus-Merogon als junge Larve mit gut entwickelten Kiemen. Die Ergebnisse zeigen, dab der arteigene, haploide Chromo- somensatz zur vollen Entwieklung genfigt, der artfremde ziemlich frfih in die Entwicklung eingreift, die Zusammenarbeit yon Plasma und Kern aber je nach ]hrer Versehiedenheit mehr oder weniger bald versagt. Das Problem wurde yon B~TzE~ und seinen Schfilern unter zweckm~l~iger ~_nderung und Erg~nzung der Methode mit gro$em Erfolg welter be- arbeitet..

Die Schnfirversuehe und wahrseheinlich einige Experimente zur Analyse der Augenentwicklung bfldeten aueh noeh den Ursprung zur Bearbeitung des Problems der bilateralen Asymmetrie. Die meisten tierisehen Organismen, insbesondere die freilebenden, sind zweiseitlg symmetriseh gebaut. Man kann sie entlang einer Ebene, ihrer Median- ebene, in zwei spiegelbildlich gleiche H~lften zerlegen. Bei genauer

Page 20: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler. 403

Betrachtung zeigt sich aber allgemein, dal~ die H~lften nicht genau gleich, sondern in einem oder mehreren Merkmalen etwas verschieden, also asymmetrisch sind. Bei vielen Wirbeltieren und beim Menschen ist bekannt, daft das Herz nicht genau median liegt, sondern etwas nach links verschoben ist, und daft der Darm nieht streng in der Medianebene des KSrpers verli~uft, sondern in bestimmten Windungen durch die LeibeshShle zieht. Man spricht hier yon dem ,,Situs cordis et viseerum". Oieser Situs ist bei den meisten Individuen derselbe. Er wird nicht durch ,,zuf~llige" Umst~nde w~hrend der Entwicklung bestimmt, sonst mfil~te jeweils die H~lfte aller. Individuen das Herz in linker bzw. in rechter Lage haben und die entsprechenden Darmwindungen aufweisen, sondern er wird dutch die erbliche Konstitntion festgelegt. Wahrscheinlich ~ r d die bilaterale Asymmetrie gemeinsam mit der bflateralen Symmetrie sehr frfihzeitig im Ei determiniert. Aber unter der Regel finden sich auch Ausnahmen, d. h. Individuen, die das Herz in reehter Lage und den Darm- traktus in spiegelbildlich verkehrter Windung aufweisen, sie zeigen ,,Situs inversus eordis et viscerum". - - Die jungen Larven von Amphibien haben eine sehr diinne und durehsiehtige Bauchdecke und lassen das Herz und die Darmsehlinge gut verfolgen. Daher ist es der scharfen Beobaehtung SP~ .M~s nicht entgangen, da~ ein Tefl seiner geschniirten Tritonlarven Situs inversus aufwies. Am auffs ist dies bei der vorderen Verdoppelung, wo die beiden KSpfe und Riimpfe gleiehzeitig zur Beobaehtung kommen. Bei ihnen zeigt h~ufig der rechte Embryo einen vollkommenen Situs inversus, d .h . seine Herzschlinge zieht von reehts dorsal cephal (Atrium) naeh links ventral caudal (Ventrikel) und schlieflich nach median cephal (Truncus arteriosus), und sein Darmtraktus im Leberbereich von median cephal naeh reehts caudal (Magen), dann naeh links cephal und median caudal (Duodenumschlinge). Die Leber liegt links ventral neben dem Magen. Bei den dureh Schniirung ent- standenen Zwillingen haben die linken Zwillinge, d. h. die aus tier linken Eih~lfte entstandenen, von versehwindenden Ausnahmen abgesehen, stets einen normalen Situs, bei den rechten besitzt ungef~hr die Hs einen normalen, die andere Hi~lfte einen inversen Situs ( S P : ~ _ ~ und FALKE~- BERG t 1919b; G. RVUD und SPEMA~ 1922). Zur Erkli~rung dieser Befunde werden von SP~MA~ zwei MOgliehkeiten in Erw~gnng gezogen: 1. M_it anderen Forschern nimmt er, wie oben schon erwi~hnt, an, daI~ die Bilateralit~t und die bilaterale Asymmetrie im ungefurchten Ei durch eine , , Int imstruktur" oder ,,Molekularstruktur" des Proto- plasmas festgelegt ist. Diese Struktur soll im Schnfirexperiment durch den Druck der Sehniirung in der rechten Eih~Ifte invertiert werden, i~hnlich wie die Molekularstruktur eines prismatischen Kalkspatkrystalls durch Eindr~ngen der Schneide eines Messers in die stumpfe Kante einseitig invertiert und damit der Krystall zur Zwillingsbildung ver- anlaftt werden kann. 2. Die Zwillinge der geschniirten Keime zeigen

26*

Page 21: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

404 O. Mangold:

h~ufig in friihen Stadien innenst~ndige Defekte verschiedenen Grades, wie schw~chere Ausbildung der Vorderextremit~t, der Seitenrumpf- muskulatur u. a., und zwar der linke Zwilling auf der rechten Seite und der rechte auf der linken. Diese oberfl~chlichen Defekte lassen racist leicht feststellen, aus weleher Eih~lfte sich die Zwillinge entwiekelt haben. !hre Ursache liegt offensichtlich in einem Materialdefekt, der auf der Innenseite der Keimhalften infolge der Einschnilrung entsteht. Es liegt nun nahe, anzunehmen, dab auch die Anlagen der ento- und mesodermalen Organe, des Darmtraktus und des Herzens innenst~ndig geschw~tcht, und d a b dadurch ihre frfihembryonalen Biegungen einzeln oder zu- sammen beeinfluBt werden; und zwar soll beim linken Embryo der Defekt die normale Biegungstendenz verst~rken, so dab stets normaler Situs entsteht, und beim rechten die normale schw~chen, aufhalten oder gar ins Gegenteil verkehren, so dab ein Tell der Larven inversen Situs entwiekelt. Die erste Beeinflussung der Biegung soll dann alle weiteren Schritte der Sehlingenbfldung sinngem~B bewirken. Fiir die Defekthypothese sprieht die Tatsache, dal~ Schnilrungen im Blastula- stadium h~ufiger Situs inversus des reehten Zwillings im Gefolge haben als Schnilrungen im Zweizellenstadium; denn man karm annehmen, dal3 die sp~tgesehnilrten weniger Zeit haben, den symmetrischen Aufbau ihres Keimmaterials wiederherzustellen, als die frilhgesehniirten. Die Deter- mination der Organanlagen erfolgt ja sehon w~hrend der Gastrulation. Weiterhin l~13t sich zugunsten der Defekthypothese geltend machen, dab die Inversion wohl h~ufig, aber nicht stets alle Organe umfaBt, d. h. dal~ das Herz und der Darmtraktus auch allein invers sein kSnnen. Man kann sich aber leicht vorstellen, da~ die Schniirung die meso- und entodermalen Anlagen nieht stets gleicherma~en zu beeintrs tigen braucht, w~hrend es unwahrscheinlieh ist, dab die Int imstruktur des Eies nicht immer alle Anlagen umschlieBt. Experimente, die yon Mitarbeitern SP]~M~rs angestellt wurden, zur Priifung der Intim- struktur hat ten ein negatives Ergebnls (MANGOLD). Dagegen scheinen links an der Neur.ula gesetzte Defekte zu positiven Ergebnissen zu ffihren (WILH~,LMI). Vorl~ufig sprechen also die Tatsachen dafiir, daB der Situs inversus bei den eineiigen Zwillingen des Sehniirexperiments durch Materialdefekte auf der Innenseite des rechten Zwillings seine ein- faehe Erkls finder. Es mul~ aber betont werden, dab dadurch die S P ~ N s c h e Auffassung, die Symmetrie und bilaterale Asymmetric des Keims werde durch eine entsprechende Intimstruktur des Plasmas be- stimmt, nieht berilhrt wird.

Das Problem des Situs inversus wurde noeh durch ein zweites Ex- periment angesehnitten (SPEMANN, 1906b, S. 13 und seine Schiller t ~ E s s r , ~ 1911 und ME:z~ 1913). Dreht man n~mlich in der :Neurula yon Bombinator, Rana, Bu]o und Triton das mittlere Drittel der Medullarplatte mit dem unterlagernden Urdarmdaeh um 180 ~ so dal~

Page 22: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler. 405

,vorn mit hinten und rechts mit links vertauscht werden, so k6nnen die Larven vollkommenen Situs inversus entwickeln, der Darm, Leber, Pankreas, Herz und bei den Anuren sogar die lateral liegende 0ffnung tier KiemenhOhle und des Alters betriff~. Der Versuch wirf$ ein Licht auf die kausalen Zusammenh~nge zwischen der Windung des Darm- traktus mit der Leber und dem Pankreas einerseits und der Windung der Herzschlinge andererseits. An und fiir sich ist wahrscheinlich, dab die Anlagen dieser Organe und ihre Biegungstendenzen schon in friihen Stadien festliegen und dab sie primer unabh/~ngig von- einander sind; daneben kSnnten aber auch kausale Beziehungen be- stehen, die bei der normalen Entwicklung im gleichen Sinn wie die Determination der Anlagen wirken k6nnten. Daffir spricht nun das neue Experiment. Bei ihm wird wohl ein Tefl der Darmanlage, und zwar haupts~chlich der dorsale, umgedreht. Die Anlage des Herzens bleibt aber unberiihrt. Das Herz wird aber trotzdem invers; es muB daher vom Darm beeinfluB$ werden, und zwar wahrscheinlich durch die Leberanlage, die schon sehr frith asymmetrisch liegt (M]~u

Die fruchtbarsten Ergebnisse lieferte aber die Verfolgung des 4. Problemkomplexes, der sich aus dem Schnfirexperiment ergeben hatte, die Untersuchung des Ablau]s der Determination in der /ri~hen Entwicklung der Amphibien. Der Sehniirversuch hatte unter anderem gezeigt, .dab 1. in der Blastula die Keimbezirke noeh nieht endgiiltig determiniert sind, da die H/~lften noch ganze Embryonen bflden k6nnen, dab 2. die dorsale und die ventrale Keimh~lfte potentielI sehr verschieden sind, indem nur die dorsale einen vollkommenen Embryo bfldet, die ventrale nicht, und dab 3. w/~hrend der Gastrulation die Bestimmung des Sehicksals der Keimtefle erfolgt. Diese allgemeinen ttinweise auf die Determination muBten nun bis zur Kenntnis genauer Einzelheiten geffrdert werden. Der Beginn der dazu notwendigen Arbeiten f/~llt in die Weltkriegsjahre, die SPE~AW~ am Kaiser Wilhelm- Institut fiir Biologie in Dahlem verbraehte. Eine groBe Arbeit er- scheint im Jahre 1918(a). Sie bringt eine neue Methode der Operation an Gastrulen und Neurulen yon Amphibien, mit der Transplantations- pipette und der Verwendung von Keimen verschiedener F/~rbung und beschreibt die Transplantation kleiner Stfieke zwischen gleieh alten und versehieden alten Keimen, die Umdrehung groBer, besonders animaler Stiicke und die Zusammensetzung bestimmter Gastrulah/~lften.

Der Austausch ldeiner Stiieke der pr/~sumptiven Medullarplatte und der pr/~sumptiven Epidermis in der friihen Gastrula ergab, dab beide sich am neuen Ort ,,ortsgem~B" entwickeln, d.h. dab in der frfihen Gastrula pr/~sumptive Epidermis noeh die F~higkeit besitzt, Gehirn zu bilden und dab umgekehrt prasumptives Gehirn sich noch zu Epidermis entwickeln kann. Wurde aber in der friihen Neurula transplantiert, so entwickeln sich beide ,,herkunftgem/~B", d.h. pr~-

Page 23: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

406 O. Mangold:

sumptives Gehirn zu Gehirn und presumptive Epidermis zu Epidermis. Transplantate aus der sp~ten Gastrula ~erhielten sich verschieden, teils herkunfts- teils ortsgem~tB. Der Zeitpunkt der Determination liegt also, wie schon die Schnfirungsexperimente zeigten, in der Gastrulation. Die Transplantate aus der frfihen Gastrula verhalten sieh aber etwas ver- schieden; stammen sie aus der Nachbarschaft des animalen Pols, so ent- wickeln sie sieh ortsgem~l], waren sie aber in nieht allzu groBer Entfer- hung der Urmundlippe entnommen worden, so entstanden kleine Medullarplatten, die yon Chorda unterlagert waren, was auf eine herkunftsgem~l]e Entwieklung hinwies. Diese Ergebnisse ffihrten zu der Vorstellung, dal] die Determination vom Urmund ausgeht und nach vorn, d .h . in animaler Richtung fortsehreRet. Sie wurden auch yon den Resultaten der Drehung der animalen Keimh~lfte um 90 bzw. 180 ~ unterstfitzt; hierbei entstanden n~mlieh fiber der oberen Urmundlippe normale Medullarplatten, die in ihren vorderen Bezirken teflweise bzw. ganz aus pr~sumptiver Epidermis bestanden. Die Zu- sammensetzung gleichseitiger, linker bzw. rechter Gastrulah~lften zeigte zudem, dab der Einflul] einer halben Urmundlippe sich aueh nach der fehlenden H~lfte zu, in dem infolge der Zusammensetzung angrenzenden ventralen MateriaI ausbreiten kann. Der Bereieh der oberen Urmund- lippe wurde als ,,Organisationszentrum" aufgefaB~, ,,als ein Keimbereich, welcher den fibrigen Teilen in der Determination vorangeeilt ~st und nun selbst determinierende Wirkungen bestimmten Betrages in be- stimmten Richtungen ausgehen l~13t".

Eine weitere Gruppe der Dahlemer Experimente wird 1921(b) mit- geteflt. Sie behandelt die heteroplastische Transplantation kleiner Stiicke zwischen Keimen verschiedener Arten, n~mHeh yon Triton taenia- tus und Triton cristatus. Beim Austauseh yon pr~sumptiver Epidermis und pr~sumptiver Medullarplatte in der frfihen Gastrula entstehen unter ortsgem~l]er Entwieklung des Transplantats. ehim~risehe Organe verschiedenster Art, an denen die Probleme der Heteroplastik aufgerollt und skizziert werden (s. S. 412).

Den ersten genaueren Einblick in die Wirkungsweise der oberen Urmundlippe als Organisationszentrum geben die Experimente yon ttrLD~ MA~GOLD, geb. I~SSCHOLI)T. I'IXLDfl] MA~GOLD (gestorben am 4. September 1924) hat te ~ls Studentin der Biologie in Frankfurt a. M. einen Gastvortr~g yon S P ] ~ A ~ gehSrt und sich daraufhin entsehlossen, ihr Studium bei ihm in Freiburg i. Br. fortzusetzen. Im frfihen Sommer 1921 erhielt sie den Auftrag, den Ablauf der Determination der Medullarplatte dureh die planms Verpflanzu~g kleiner Stfieke der pr/~sumptiven Medullarplatte in die presumptive Epidermis zu untersuehen. Dabei sollten die Transplantate in verschiedener Ent- fernung vom Urmund entnommen und heteroplastisch zwisehen dem braunen Keim yon Triton taeniatus und dem gelblichweiBen yon Triton

Page 24: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler. 407

cristatus getauscht werden. Schon eines der ersten Experimente brachte die sensationelle tdberraschung. Am 8. Mai 1921 vormittags zeigte der taeniatus.Keim Um 8 auf der einen Seite eine sehSne, normale Medullar- platte und ihr gerade gegenfiber, also auf der Bauehseite, eine zweite, sekund~re, wie die normale am Urmund beginnend, und schSn nach vorn gerichtet, aber etwas kfirzer und schm~ler als die normale. Sie war grSBtentefls aus Wirtsmaterial (taeniatus) aufgebaut, nur ein schmaler Streifen der fiber die hinteren zwei Drittel ihrer Mediane hinzog und um den Urmund einbog, bestand aus dem crgstatus-Implantat. Dies war klar und einwandfrei an der Farbe zu erkennen. Der kleine Implantat- streifen hat te eine ganz schSne Medullarplatte induziert (s. SP~.~_~NN und HIL])E MA~GOLD 1924, S. 602). SPEMA~ ergriff sofort mit seiner ganzen geistigen Kraf t das neue Ergebnis und baute es naeh allen Riehtungen aus. Der Forscher wurde zum Kfinstler. Eine frisehe Welle yon Forscher~reude pulste durch das Insti tut und beflfigelte alle Mit- arbeiter. JAuf dem Z0ologen-KongreB in GSttingen an Pfingsten 1921 wurden die neuen Ergebnisse erstmalig mitgeteilt. ,,Ein solches Stfick eines Organisationszentrums kann man kurz einen ,Organlsator' nennen; er schafft sieh in dem indifferenten Material, in dem er liegt oder in welches er kfinstlich verpflanzt wird, ein ,Organisations#ld' yon bestimmter Rich- tung und Ausdehnung" (SPwM~-~ 1921 b, S. 568). Die weiteren Ex- perimente von HIL])~ MANGOLD und die histologische Untersuchung zeigten dann, dab solche Transplantate aus der Nachbarsehaft der oberen Urmundlippe in der pr~sumptiven Bauehepidermis sich un- gef~hr herkunftsgem~B verhalten, d .h . sie stfilpen sich ganz oder teilweise ein, bilden einen sekund/iren Urmund und differenzieren sich zu Chorda, Urwirbeln und, soweit sie an der Oberflitche bleiben, zu Medullarplatte. AuBerdem beeinflussen sie das umgebende Material, und zwar derart, dab um sie herum ein mehr oder weniger vollst~ndiges Achsensystem entsteht. Der Begriff Organisator trifft also die Tatsachen ausgezeichnet: Ein lebendiges System, in seinem eigenen Werden schon bestimmt, beeinfluBt das umgebende lebendige Material, und zwar derart, dab etwas Harmonisches entsteht. Er charakterisiert aber auch die Denk- weise SPuMous, die S. 391 schon betrachtet wurde. - - Im Gefolge dieser drei Abhandlungen wurden folgende Problemkomplexe in Bearbeitung genommen: 1. Die prospektive P6tenz der Keimbezirke der frfihen Gastrula und auch sp/s Stadien; 2. der Organisator und 3. das Zusammenwirken yon Organisations- und Reaktionsmaterial. Bei der LOsung dieser Fragen spielte die Verwendung yon Keimen verschiedener Art eine sehr betr/~chtliche Rolte. Beobachtungen fiber die Material- bewegung im Keim, die die Transplantate ebenfalls ermSglichten, wurden anfangs auch ausgewertet (SPE~A~r 1918 a, 1921 b), sp/iter aber zurfick- gestellt, da VOGT mit seiner lokalen Vitalf/~rbung eine bessere Methode zur Verffigung gestellt hatte. Fortschreitend beteiligten sich mehr und

Page 25: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

408 O. Mangold:

mehr Schiller und Mitarbeiter an den yon S r ~ A ~ erschlossenen Pro- blemen. Ihre Arbeiten sollen in der folgenden Darstellung nur soweit beigezogen werden, ~ls es zur Abrundung des Forschungsbildes not- wendig ist.

Die Untersuchung der prospe~iven Potenz der Keimbezirke der friihen Gastrula wurde durch planm~l~ige Verpfianzung kleiner Stilcke in verschiedene Umgebung yon O. M~GOL~ (1923) fortgefilhrt. Seine Er- gebnisse wurden von anderen Forschern vielfaeh best/~tigt und auch er- weitert. Der PotenzensChatz ist sehr reich am oberen Teil des Keims, im pr~sumptiven Ektoderm, das sich in allen Bereichen des Ektoderms und Mesoderms ,,ortsgem~B" entwickeln kann, also die Potenzen fiir Epi- dermis, Zentralnervensystem, GehSrblasen, Nasen, Mundepithel, Sinnes- knospen, Mesenchym, Chorda, Vorniere, Rumpfmuskulatur u. a. aufweist. Wahrscheinlich kann es auch entodermale Organe bilden. Das vegetative Material des Keims, das presumptive Entoderm, ergab jedoch bei der Transplantation in andere Keimbezirke keine ortsgem~l~e Ent- wicklung; es schien nur Potenzen des Entoderms zu besitzen. Die subs Randzone, die zum pr~sumptiven Mesoderm gehSrt, verh~lt sich in ihrem ventralen Tell bei der Transplantation ~hnlich dem ~nimalen Material, w~hrend ihre dorsalen Bezirke, die die Chorda- und Urwirbelanlagen enthalten, bei der Transplantation sich im wesent- lichen herkunftsgem~13 verhalten und, wie schon oben ausgefilhrt, als Organisator wirken. Aber auch sie kSnnen sich zu ektoderm~len Organen entwickeln, wenn sie an der Einstillpung verhindert werden. Die bei der Ermittlung dieser Ergebnisse racist angewandte Transplantationsmethode gab wohl ein sehr eindrucksvolles Bild yon den reichen Entwicklungs- mSgliehkeiten, die dem verschiedenen Keimmaterial eigentiimlich sind; sie konnte aber nicht darilber entscheiden, ob die verschiedenen Potenzen i n dem Keimmaterial gleichwertig nebeneinanderliegen oder ob be- stimmte vor den anderen bevorzugt sind. Besonders war damit zu rechnen, dab die fiir das normale Schicksal der Keimbereiche not- wendigen Potenzen in erster Linie entwicklungsbereit sind. S~E~A~ stellte schon 1918 (S. 526) diese Frage auf und schlug zu ihrcr L6sung vor, ,,die Keimbezirke sich in indifferenter Umgebung entwickeln zu lassen, an indifferenten Stellen eines anderen Keims, in einer Ns 16sung odor auch in Was~er". ])as dr~ngende Organisatorproblem ver- anlaBte aber die Zurilckstellung der Versuche. Sic wurden dann yon HOLT~R~TEI~ (1931, 1938) am Kaiser Wilhelm-Institut fiir Biologie ausgefilhrt. Er verbesserte zuerst auf der Grundlage der Explan~ations- methode das Zilchtungsverfahren, indem er die sterile Arbeitsweise ein- fiihrte und ein anorganisches Zuchtmedium zusammenstellte. Diese Isolationsversuche kleiner Stficke der ~riihen Gastrula ergaben eine weitgehende Best~tigung und Ergs der Transplantationsversuehe. Hinsichtlich des Determinationszustandes sind an der fffihen Gastrula

Page 26: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

Hans Spemann als Mensch und Wissensch~ftler. 409

in animal-vegetativer Richtung 3 verschiedene Regionen zu unterseheiden. Das animale Feld, die presumptive Medullarplatte und Epidermis um- fassend, liefert nur ein lockeres bewimpertes Epithel, das sich schlieBlich auflsst und zerf~llt. Sein Material kann die, ihm in der Normalentwick- lung eigenen, so sehr mannigfaltigen Leistungen nur nach Einwirkung des l~andzonenmaterials hervorbringen. Die Randzone, also die pre- sumptive Chorda und das presumptive Mesoderm, entwickelt im Isolat haupts~chlich Chorda, Muskulatur, Neuralrohr und Epidermis, even- tuell mit Augen, Nasen u.a. Die Anlagen der Randzone sind materiell nicht endgilltig deteminiert; ihr Schicksal wird durch die Wirkung der in ihnen auch vorhandenen Organisatorpotenzen bestimmt. Das vege- tative Feld, d. h. das presumptive Entoderm und die innere mesodermale l~andzone, bildet die verschiedenen Darmabschnitte, Leber, Lunge, Nierenteile, Gonaden, Extremits Blutgef~Be, Blutze~en u.a. Ihre Anlagen sind weitgehend zu unabh~ngiger Entwieklung fs und poten- tiell auch gut gegeneinander abgegrenzt.

Der Schwerpunkt der Arbeit S P ~ s und seiner Schiller und Mitarbeiter lag, wie schon gesagt, in der Analyse der Organisatorwirkung, die eine sehr groBe Anzahl yon Experimenten in Anspruch nahm. Wichtig ist eine Vereinfachung der Transplantationsmethode (SPE~A~- und O. MA~GOLD), indem weiterhin das Transplantat in die Furchungs- hShle der frfihen Gastrula yon Triton eingestCckt wird. Es ge- langt dann ws der Gastrulation zwischen das Ekto- und Entoderm der Bauchseite und bewirkt im positiven Fall im Ektoderm eine Induk- tion, die meist prims als Medullarplatte in Erseheinung tritt, in der weiteren Entwieklung sich aber in der Regel aus mehreren Organen zusammensetzt. Dieses Verfahren erlaubt, Material auf seine Induktions- f~higkeit zu prfifen, das infolge seiner Versehiedenartigkeit nicht mit dem Wirtsmaterial verwachsen kann (differenziertes Gewebe, totes Material).-- Die Ausdehnung des Organisators in der frilhen Gastrula entspricht der der Anlage der Chorda und Urwirbel (BAuTZM~ 1926). Der Organi- sator wirkt in erster Linie mittelst des sich einstillpenden Urdarm- dachs (M~Rx 1925, GE~-~TZ 1925). Eine Ausbreitung seiner Wirkung im Ektoderm vom Urmund aus, die als zweite Art der Wirkungsweise yon SP~M~_~ in Erws gezogen wurde, ist wohl mSglich, aber noch nicht sichergestellt. Das Urdarmdach und seine haupts~chlichen Ab- kSmmlinge, die Chorda und Urwirbel, behalten l~ngere Zeit ihre Induk- tionswirkung bei (LwH~-~ 1926--1928, BAUTZM~ 1928). Die cephalen Bezirke des Urdarmdachs, welche zu Beginn der Gastrulation eingestillpt werden, induzieren die Organe des Kopfes (,,Kopforganisator"), die sp~ter eingestfilpten, caudale Teile des I~umpfes (,,Rumpforganisator") (Spv.Mx~ 1927e, 1929a, 1931b; MA~GOL]) 1933; Bm~m M~Y~ 1935).

Die Ergebnisse dieser Versuche lehnten sich noch an das normale Geschehen an und entsprachen daher einigerma~en den Erwartungen.

Page 27: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

410 o. Mangold:

Bald ergaben sich aber auch sensationelle Befunde. So konnte GEINITZ (1925) feststellen, da~ die obere Urmundlippe yon Anurengastrulen in Urodelengastrulen seh5ne, sekundi~re Embryonen induziert, die Organisatorwirkung also nicht artspezifiseh ist. Ferner zeigten SPEMAN~ und GE~ITZ (1927 a), daiS die presumptive Epidermis der friihen Gastrula die F~higkeit zur Induktion erwerben kann, wenn sie in die obere Urmund- lippe transportiert wird. O. MA:blGOLD und H. SPEMANI~. (1927d) fanden weiterhin bei Experimenten mit verschiedener Fragestellung, die un- abhi~ngig voneinander ausgeffihrt wurden, daiS auch die Medullarplatte die F~higkeit zur I~duktion von Medullarplatte besitzt; eine F~hig- keit, die sie, wie in dem soeben erw~hnten Experiment die Epidermis, w~hrend der Gastrulation erworben haben muBte und die in der normalen Entwieklung kaum eine Rolle spielen kann. Der Befund gab Veranlassung zur Pr~gung der Begriffe ,,hom6ogenetische InduIction" und ,,heterogenetische Induktion", wobei der erste die Induktion von etwas Gleichartigem, also Medullarplatte durch Meduliarplatte, der letztere die Induktion yon etwas Fremdartigem, also etwa Medullarplatte dureh Chorda oder Linse dureh Augenbecher bezeiehnet. Und bei der Untersuchung der Frage, warm die Medullarplatte die Induktionsf~higkeit erwirbt und wie lange sie sie behs erhielt M_ANGOLD (1928) das iiber- rasehende Ergebnis, dab volldifferenziertes, funktionstiichtiges Gehirn einer sehwimmenden Triton-Larve in der pr~sumptiven Epidermis der ffiihen Gastrula eine Medullarplatte induzieren kann. Und als er dann die Versuehe auf andere differenzierte Gewebe ausdehnte, konnte er sogar die Induktionsf~higkeit der Extremit~tenknospe der Larven wahr- scheinlieh machen (1928). Diese Ergebnisse lieBen sich zur Not noch dureh die Annahme erkl~ren, dais die Meduliarplatte und das Mesoderm der Extremit~tenknospe, als ein AbkSmmling des Urdarmdachs, ihre Induktionsf~higkeit bis in das geprfifte Stadium beibehalten h~tten. Sie legten aber c~oeh den Gedanken nahe, dais der Induktionsfaktor ganz aUgemeiner Natur sei und dais eventuell Bezirke mit starker Wachs- tumsrate oder chemiseh stark aktive Gewebe zur Induktion befi~higt seien. Daraus ergab sieh die Aufgabe mSgliehst viele differenzierte Gewebe yon verschiedenen Tieren einer Prfifung zu unterziehen, ttOLTF~ETER (1933) iibernahm sie und stellte fiir die meisten eine mehr oder weniger starke Induktionsleistung lest. Oft entstanden komplexe Induktionen, KSpfe oder Sehw~nze oder Riimpfe mit den entsprechenden Teflen der Aehsenorgane, also Gehirn, Augen, l~lasen, GehSrblasen, Riiekenmark, Urwirbel, Pigment usw. SchlieiSlich konnte nachgewiesen werden, daiS die Induktionsf~higkeit nieht ans Leben und nicht an eine bestimmte Struktur gebunden ist, und daiS das Induktionsmittel wahrseheinlich aus der Medullarplatte in Agar diffundieren kann (H. BAVTZMA~Z~, J. HOr,T- ~Rv, TwR, H. Spv,~_A~r und 0. MANGOLD 1932C). Differenzierte Gewebe zeigen in abgetStetem Zustand vielfach besonders gute Wirkung, und

Page 28: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

I-Ians Spemann als Mensch und Wissenschaf~ler. 41i

Keimteile, die im Leben nieht induzieren, kSnnen es nach der Ab- tStung (BAuTZMANN, HOLTFRETEtr

Die Frage nach der Natur des Induktionsmittels war yon SPEZVtANN schon bei der Linseninduktion gestellt und auch bei der Orga~fisator- wirkung Stets im Auge behalten worden. Nun schien ihre LSsung zum Greifen nahe, gestatteten die differenzierten Gewebe doeh eine Unter- suchung nach den in der Chemie iibliehen exakten Methoden. GOTTWALI) FISCHER, der organische Chemiker, der im Naehbarinstitut arbeitete, wurde herangezogen und erklitrte sich bereit, den ehemischen Tell der Untersuchung zu ffihren (FIscHER, WEHMEIER, LEHMAN)r, JttHLINO, HVLTZSCH, S. SI'EMAX~ 1936 C, S. 149). Die Ergebnisse waren wohl inter- essant, aber im Grunde doch recht entts Es zeigte sich ns dab eine Anzahl yon Stoffen, tierischer oder pflanzlieher Herkunft und auch synthetisehen Ursprungs, Induktionsfahigkeit aufweisen, z.B. 01s~ture, Linolensaure, Nucleinpraparate aus Thymus und Pankreas, Muskeladenylsiture u.a. Auch englische und holl/~ndische Forseher griffen die Frage mit i~hnlichem Ergebnis auf. Anstatt ins Spezielle hatten die Versuche ins Allgemeine gefiihrt: Eine bestimmte spezielle Differenzierung braucht nicht notwendig dureh eine bestimmte spezielle Ursache ausgelSst werden, sondern li~8t sich dureh mehrere unter sieh sehr un/~hnliche Ursachen erreichen. Dieses Ergebnis maeht die yon SPE- ~ANX stets vertretene Auffassung, dal~ die Induktionsmittel nur aus- 15send wirken, sehr wahrscheinlich. Ahnliehe Effahrungen machte die Wissensehaft bei der Bestimmung des Gesehlechts bei Bonellia-Marmehen, bei der kfinstlichen Parthenogenese und bei der Erregung b6sartiger Geschwiilste.

Wahrend die LSsung der Frage naeh dem Organisationsmittel immer schneller vor~neilte, verzSgerte sich die Bearbeitung der Frage nach der Leistung des Wirts- bzw Reaktionsmaterials bei der Induktion. SPEMAN~r hatte sie sehon bei der Beschreibung seiner ersten Chimaren aus taeniatus. und cristatus-Keimen und bei der ersten Ver6ffentlichung der Organisator- experimente klar gestellt (1921b, 1924a). Bei den durch Organisatoren induzierten, sekund/~ren Embryonen fiel auf, dal3 sie meist ungefahr parallel zur Hauptachse des Wirtsembryos orientiert waren, und dab Or- gane wie die Geh6rblasen usw. etwa auf gleicher H6he lagen wie die ent- spreehenden des Wirts. Dies deutete auf eine Beeinflussung der sekun- daren Anlage dureh den Wirt hin. Eine mehrjahrige, genaue Unter- suchung klarte ,,den Anteil yon Implantat und Wirtskeim an der Orien- tierung und Beschaffenheit der induzierten Embryonalanlage" (1929a, 1931 b). Stiicke der oberen Urmundlippe der ffiihen und spaten Gastrula und versehiedene Urdarmdachbezirke der beendeten Gastrula wurden in verschiedener Orientierung und in verschiedener H6he auf der Ventral- seite der Gastrula implantiert. Dabei ergab sich, dab die Riehtung der sekundaren Anlage vom Implantat und veto Wirt bestimmt wird, denn

Page 29: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

412 O. Mangold:

einerseits ist dem Urmundtransplantat eine geriehtete Einstiilpungs- bewegung eigen, und andererseits bestehen im Wirt Faktoren, die das sekund~re Urdarmdaeh in die normale L~ngsaehse einzuordnen suehen. Auch bei der Bestimmung der Art der Induktion, d . h . ob ein Kopf mit Gehirn, Augen, GehSrblasen, Nasen usw. oder ein Rumpf mit Rfickenmark und Sehw~nzehen entsteht, sind Implantat und Wirt betefligt. KSpfe werden im allgemeinen yon der oberen Urmund- lippe der frfihen und vom mittleren Bereieh des Urdarmdaehs der be- endeten Gastrula (,,Kopforganisator"), Rfimpfe yon der oberen Urmund- lippe der sp~ten und dem hinteren Urdarmdaeh der beendeten Gastrula induziert (,,l~umpforganisator"). Der Kopforganisator kann in der Kopf- und in der Rumpfregion KSpfe induzieren. Der l~umpforganisator induziert im allgemeinen nur l~iimpfe, in der Kopfregion des Wirts aber aueh KSpfe. In diesem Fall hat sich offenbar ein WirtseinfluB geltend gemacht, der die Kopfbfldung bestimmte. Der induzierte, sekund~re Embryo verdankt also seine regionale Gliederung einerseits regionalen Differenzen im Org~nisator (Urdarmdaeh), andererseits solehen im Wirts- ektoderm. Die Ursaehen fiir die regionale Gliederung des Wirtsektoderms kSnnen versehiedener Art sein. Wahrscheinlieh ist n~mlich, dab sehon im jungen Keim, d. h. sp~testens naeh der Befruchtung, prim~re Diffe- renzen in animal-vegetativer l~ichtung bestehen, die durch eine Intim- struktur (DRI~so~) oder eine Sehichtung (BoV~RI) oder eine Abstufung physiologiseher Aktivit~t (GI~AnI~T, CHILD) bedingt sein kSnnten. Daffir spreehen aueh die Potenzprfifungen am Material der friihen Gastrula, fiber die schon oben beriehtet wurde (s. S. 408). Ferner ist damit zu reehnen, dab das normale Achsensystem des Wirtsembryos die Ventralseite beeinfluBt und damit sekund~r seine eigene Querschnitts- bestimmung auf die der induzierten Anlage fibertr~gt, l~ierffir l~Bt sich die Tatsache geltend machen, dab die Urwirbel im normalen und induzier- ten Aehsensystem gleiche HShenordnung aufweisen.

Bei der heteroplastischen Transplantation zwisehen den versehiedenen Triton.Arten und bei der xenoplastisehen zwisehen Triton- und Anuren- keimen konnte festgestellt werden, dab das Material stets artgemgB reagiert. So entwickelte sich taeniatus-Epidermis in der Kiemenregion ,,ortsgemgB" zu Kiemen; aber der Formbildungsvorgang entspraeh hin- sichtlieh Geschwindigkeit und Anlage der GrSBenverh~ltnisse dem taeniatus-Material ( S P ~ A ~ 1921b, ROTMA~, 1935). Cristatus-Epi- dermis entwiekelt sich auf dem taeniatus.Augenbecher nach Trans- plantation in der frfihen Gastrula ,,ortsgem~B" zu Linse. Sie wird aber ,,artgem~B" in der ffir cristatus-Material typischen GrSBe und Ge- schwindigkeit angelegt (RoT~AW~ 1940). Das Organ wird ,,als Ganzes in Auftrag gegeben" und yon dem Reaktionsmaterial in den ihm eigenen MaBen ausgefiihrt. Nocb charakteristiseher sind die Ergebnisse bei der xenoplastisehen Transplantation von pr~sumptiver Rumpfepidermis yon

Page 30: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler. 413

Triton ins Gesicht eines Anurefi~eims und umgekehrt am Ende der Gastrulation oder zu Beginn der Neurulation. Das Transplantat entwiekelt sich am fremden Ort wohl ,,ortsgem~B" zu Gesiehtepidermis, es differen- ziert aber die Gesichtsorgane, die seiner Art entspreehen, ns hei Triton Haftfaden und echte Z~hne, bei Anuren Saugn~pfe und Horn- kiefer (SP]~AN~ und SCHOTT~, 1932b). Das Implantat erhielt von der Gesichtsumgebung das ,,Stichwort Gesichtsorgane" und antwortete dann seiner Art entsprechend. Die Potenzen, die zur Bfldung der ffemden Organe notwendig sind, reagieren auf den in der Gesichtsregion wirkenden Induktionsreiz.

Diese Tatsachen wurden von SP]~A~ auch unter dem Gesichts- punkt des ,,Ganzheitsproblems" betrachtet. Das Bestreben des embryo- nalen Materials, etwas Ganzes zu bilden, konnte immer wieder fest- gestellt werden: Halbe Keime lieferten ganze Embryonen, vollkommene Aehsensysteme wurden von Teilen der oberen Urmundlippe induziert (Bv, R~H. MAu 1935), ganzseitige Medullarplatten entstanden unter der Induktionswirkung halbseitiger Medullarplattenstiicke (M~wGOLD 1932) und die obenerw~hnten Transplantate verhalten sieh hinsiehtlieh der Gr6Benordnung der angelegten Organe und der Geschwindigkeit ihrer Entwicklung, wie wenn sie Kenntnis vom Gesamtplan eines normalen Embryos ihrer Art h~tten. Dieses Streben nach der Ganzheit wird auch besonders eindrucksvoll beleuehtet dureh die Experimente SPE- ~ A ~ s , in denen in bestimmter Richtung getrennte Gastrulahs in bestimmter Kombination zus~mmengesetzt wurden. Die Experi- mente gehSren zu den elegantesten, die wir SPEMA~ verdanken. Es entstanden einfache normale Larven, Larven mit regelm~Biger hinterer oder vorderer Verdoppelung und kreuzweise Verdoppelungen. Dabei wird im allgemeinen das Zuviel an/~mlage, und zwar besonders des Organisators, nicht zum Einfachen, sondern zur Doppelbildung reguliert, und das Zuwenig an Anlage zum Ganzen ausgeglichen ( S P ~ A ~ 1919a, W~SS~L 1926, KO~THV,~ 1927, SPEM~N und E. BA~TZ~A~, geb. W~,SS~L 1927b, W~,BER 1928, Sm CHE~G WAnG 1933). Auch die Ver- schmelzung ganzer Keime im Zweizellenstadium gehSrt hierher. Sie lieferte gesetzm~Big Embryonen mit 2, 3 und 4 Achsensystemen, da- neben aber auch einfache, normale Embryonen doppelter GrSBe (MANGOLD 1920, O. M ~ O L D und FR. SEI~L 1927). ,,Der Tefl muB noeh irgendwie das Ganze enthalten, sei es als Idee des Ganzen" (Vorstellung der idealistischen Zeit) oder als ,,Entelechie" (D~IESCH) oder als ,,Reserveidioplasma" (W]~Is~x~lv, Roux). SPE~A~I~ wurde durch seine Ergebnisse zum Begriff des ,,Organisations]eldez" gefiihrt (1921b, S. 568; 1936e, S. 224).

Die Frage, wie lange solche Organisationsfelder im Organismus vor- handen sind, wurde mehrfaeh gepriift. HO~,T~aV.T~R (1929) konnte durch Implantation yon animalem Material der friihen Gastrula in die dorso-

Page 31: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

414 O. Mangold:

laterale Epidermis der Neurula nachwiesen, da$ in dieser eine betr/~cht- lithe Anzahl yon Determinationsfeldern vorhanden ist. Ferner zeigten die Versuche fiber die Linsenregeneration, da$ im Augapfel der erwach- senen Molehe wahrseheinlieh noeh ein Linsenfeld besteht (WACHS 1914). Auch Regenerationsversuche, die yon einem Assistenten (TAvBE 1921) und einem Gast (MILoJEwd 1924) des Sr~MA~cschen Instituts an den Extremit/~ten yon Triton ausgeffihrt wurden, deuten auf das Vorhanden- sein yon Determinationsfeldern im erwachsenen Organismen hin. SPr- ~ r widmete diesem Problem seine letzten Experimente, die als naeh- gelassene Arbeit in diesem Band des Arehivs verSffentlieht werden. Nit einer eleganten Methode wurde embryonales Material bekannter prospektiver Potenz, meist animales Material der fffihen Gastrula, einem ausgewachsenen Molch zwisehen die Leber und die ventrale Somato- pleura gesteckt und die Implantatregion nach 4 Wochen fixiert und histologiseh untersucht. Die Erwartung, dab das Implantat durdh ein ,,Leberfeld" zur Bildung yon Lebergewebe veranlal~t werde, hat sich nicht erffillt. Das Implantat verursachte die Bildung yon ,, Gew~ehsen ", deren weitere Aufkl/~rung yon hSehstem Interesse ist. Die Frage des Leberfeldes blieb infolge des negativen Ergebnisses ungel5st. - - Aueh der EinfluB des Nervensystems auf die Entwicklungsvorg/~nge wurde durch einen Schiller (H~MB~RGW~ 1925) untersueht und festgestellt, da$ nervenlose Extremit~tenanlagen yon Anuren sieh wohl vollst/~ndig entwickeln und differenzieren kSnnen, bei Ausfall der Funktion aber schlieBlich der Atrophie verfallen.

In vier Jahrzehnten mfihsamer und planvoller Arbeit hat SPEMA~r162 Tatsache um Tatsache erforscht und sie bei Vortr/~gen, fiir die sieh h/~ufig Gelegenheit bot, zu einem Gesamtbild zusammengeffigt. Besonders hingewiesen sei dabei auf die in seinem Buch zusammengefaBten Silliman- Lectures, die in deutscher und englischer Spraehe erschienen sind (1936 c). ,,Als Vorbild sehwebte mir dabei die Arbeitsweise des Areh/~ologen vor, der aus den Bruehstfieken, die allein er in H/~nden h/~it, ein GStterbild wieder zusammenffigt. Er muB an das Ganze glauben, das er nicht kennt; aber er daft nichts naeh eigenem Gedanken gestalten. Er muB so weir Kfinstler sein, dal~ er den Plan des hohen Meisters sehrittweise n a c h - sehaffen kann; aber sein oberstes Gebot ist, die Bruchfl/s heilig zu halten. Nur so daft er hoffen, neue Funde an ihrem richtigen Ort einsetzen zu kSnnen" (1936e, S. 274). - - Kurz zusammengefal~t er- gab sieh ungef/~hr folgendes Gesamtbild der Amphibienentwicklung. Der Amphibienkeim zeigt sp/~testens nach der Befruchtung schon eine Dif- ferenzierung, durch die die prospektive Bedeutung eines Teils der Keim- bezirke andeutungsweise festgelegt und ein zart und unseharf gezeichnetes Muster der Organanlagen gegeben ist. In diesem Keim wirken nach- einander ,,Organisatoren 1., 2., 3 , 4. Ordnung" usw., die sich jeweils ihr ,,Organisationsfeld", ,,embryonales Feld" oder ,,Determinationsfeld" sehaffen. Der Organisator 1. Ordnung ist die fiber der oberen Urmund-

Page 32: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

Hans Spem~nn als Mensch und Wissenschaftler. 415

lippe liegende Randzone. Er ist, wie das soeben erw~hnte prim~re Anlagenmuster, sehr friih, wahrscheinlich schon im unbefruchteten Ei als besonders befghigter Plasmabezirk festgelegt. Im Zuge seiner Wirkung entstehen die Organisatoren 2. Ordnung, die wohl ihren Sitz in den Bezirken des Urdarmdaehs und der Medullarplatte haben. Zu ihnen geh6rt die prim~re Augenblase, die sich als Augenbeeher eine Linse induziert. Neben dem ,,Linsenfeld" liegen in der Neurula noeh eine gr6Bere Reihe von ,,Determinationsfeldern", z. B. ein Nasenfeld, Kie- menfeld, Geh6rblasenfeld, Muskelfeld, Flossensaumfeld usw. Sie bilden dabei ein Muster, in dem die einzelnen Determinationsfelder sieh weit- gehend fiberdecken und nur unscharf abgegrenzt sind. Solche Deter- minationsfelder sind wahrscheinlich auch noeh im ausgebildeten Organis- mus vorhanden. Die Determinationsfelder haben, allgemein gesagt, ihren Ursprung in den ,,Akti0nssystemen" (HA~BV~GE~). Sie wirken auf bestimmte lebendige Materialien, die ,,Reaktionssysteme" (MAwGOLD) ein. Aktionssystem und Reaktionssystem bilden zusammen das ,,In- duktionssystem" ( S P ~ A ~ 1936e, S. 49). Im Induktionssystem erfolgt die Determination nach Art eines ,,Zerstreuungskreises" (SPlS~AN)r 1912a, S. 90), indem die Fghigkeit das betreffende Organ zu bilden, vom Zentrum nach der Peripherie abnimmt. Die Aktionssysteme wirken, indem sie im Reaktionssystem die Realisation einer oder aucti mehrerer der vorhandenen Entwieklungsm6gliehkeiten ausl6sen. Ihre Mittel sind offensiehtlich allgemeiner Natur und l~ngere Zeit vorhanden. Die Reaktionssysteme k6nnen nur mit arteigenen Organen und Geweben antworten, und bestimmte embryonale Organe aueh nur in einem be- stimmten, zeitlieh eng begrenzten Entwieklungszustand bilden. Die Entwieklungsvorgange k6nnen ,,doppelt gesiehert" sein (R~UMBLER, BtCAWS), indem z.B. das Reaktionssystem schon in gleicher Richtung determiniert ist, in der aueh ein hinzukommendes Aktionssystem wirkt, oder allgemein gesagt, indem ,,dureh zwei Prozesse gemeinsam etwas geleistet wird, was auch jeder fiir sieh allein leisten k6nnte". Gewisse Entwick]ungsvorg~nge k6nnen sogar ,,mehrfach gesiehert" sein. Die be- stimmenden Entwieklungsfaktoren brauehen nur teilweise gleiehsinnig zu wirken (,,Kombinative Einheitsleistung" teilweise gleiehsinniger Faktoren, L~HMA~V~ 1928). Im ganzen betrachtet dr~ngt eine groBe Zahl von Ent- wicklungsfaktoren auf die Harmonie der Entwieldung hin, und bildet das ,,synergetische Prinzip der Entwic/dung" ( S P ~ A ~ 1931b, S. 509).

Die Arbeit yon HANS SP:S~A~N ist in seltenem Mal3e yon Erfolg ge- krSnt worden. Bovs.~I hatte SPEMA~s auBerordentliehe Begabung schon sehr frfih erkannt, denn in dem obenerw~hnten Brief an den Vater schrieb er am 28. Oktober 1894 zur Einstellung des jungen Assistenten: ,,Als Dr. HA~s S P ~ A ~ , Assistent am Zoologisehen Institut der Uni- versits gehSrt er dann schon der wissensehaftlichen Welt an." - - ,,A]les iibrige kommt dann yon selbst". - - ,,Ich kenne viele Zoologen,

Page 33: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

416 O. Mangold:

und habe auch manche als Schiller unter den H/~nden gehabt, abcr ich wilSte .keinen, dem man ein so gilnstiges Prognostikon filr die Zukunft stellen kSnnte." Aber die zoologische Welt Deutschlands lies sich ungef/~hr 15 Jahre lang Zeit mit der Anerkennung. Die meisten Kollegen standen wohl auch noch im Banne der Stammesgeschichte und ihrer Hflfswissenschaften, der vergleichenden :Anatomie und Ent- wicklungsgeschichte, und batten wenig Sinn filr die neue kausal- analytische Wissenschaft; die sich jahrzehntelang mit einem Objekt und sogar mit einigen wenigen Entwicklungsstadien und Vorg~ngen abqu~lte. Ja, es fehlte nicht an bSsartigen Witzen, d ieder erfolgreiche SP~MA~r h~ufig mit zynischem Humor erz~hlte. Dabei wird man freflich in Rechnung stellen milssen, dab die entwickiungsmechanische Forschung in den ersten zwei Jahrzehnten wohl viele grundlegende Tatsachen er- mittelt hat, aber auch ilberreich an sich widersprechenden Resultaten gewesen ist, was sowohl in der Schwierigkeit der in Angriff genommenen Probleme als auch in den ungenilgenden Methoden seine Grilnde hatte. W. Rovx und Hx~s Dx~i~sc~ waren wohl geistige Analytiker ersten Ranges, aber keine erstklassigen Methodiker. Aus dieser unklaren Lage hat S P r ~ selbst die experimentell-embryologische Forschung befreit. SeLn Erfolg brachte zugleich dem ju.ngen Wissenschaftszweig die An- erkennung. Durchschlagend in der ganzen Welt waren die Transplanta- tionsversuche ander Gastrula und Neurula, die w/~hrend des Weltkriegs in Dahlem durchgefilhrt wurden, 1918 und 1921 erschienen, und eines der grol~en kulturellen Geschenke waren, das unser geschlagenes und entehrtes Volk nach Versailles der wissenschaftlichen Welt darbringen konnte. Nun folgte Ehrung auf Ehrung. 1923 wurde er zum Rector magnificus der Universit/~t Freiburg gew/~hlt. Viele deutsche Uni- versit/~ten, darunter Milnchen, Berlin und Wien, suchten S~MA~r zu gewinnen. Viele deutsche und ausl/s Gesellschaften und Akademien ernannten ihn zu ihrem Mitglied bzw. Ehrenmitglied. 1930 erhielt er die goldene Swammerdam-Medaille, 1934 die Rudolf Fick- Medaille und 1935 die Cothenius-Medaille. Ehrenvolle Einladungen ffihrten ihn in viele deutsche St/~dte und mehrere Male nach England, Holland, in die skandinavischen und b~ltischen Staaten, besonders Finnland, und nach den Vereinigten Staaten von Amerika. 1927 las er die Cronian Lectures bei der Royal Society in Oxford, 1933 die Silliman Lectures an der Yale Universit/s in New Haven, und 1936 wurde er zum Ehrendoktor der Havard-Universit/s in Cambridge (USA.) promoviert. Einer Einladung nach Japan, die 1937 an ihn erging, konnte er wegen seines unsicher gewordenen Gesundheits- zustandes leider nicht mehr Folge leisten. Im Jahr 1935 wurde er mit dem Nobelpreis filr Medizin ausgezeichnet. Sein Weltruf als Wissen- schaftler filhrte ihm auch eine grol~e Anzah] yon jungen und /~lteren Gelehrten zu, die in seinem Institut als G/~ste arbeiteten. Sie kamen aus allen Staaten Europas und vielen der anderen Kontinente. In ihre

Page 34: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

Hans Si)(.nmmt sis Mensch und Wissc, Lsch~fftler. 417

Heimat zuriickgekehrt, gaben sie (lie gelernte Wissenschaft weiter, so dag sie heute an zahlreichen Insti tuten der ganzen Welt gepflegt wird. Das Freiburger Zoologische Institut, schon beriihmt durch seinen Begrilnder AtrGVST WEIS~ANN, erhielt-durch SPECtAtor den Rang eines geistigen Zentrums der entwieklungsmechanischen Forschung.

Naeh der Betrachtung der wissenschaftlichen Arbeit SPEMASrXs soll noch ein Blick auf seine T~tigkeit und Haltung auBerhalb seines eigent- lichen Berufs geworfen werden. S P E ~ . ~ als Kenner der wissenschaft- lichen Arbeit aus eigener Erfahrung vertrat selbstverst/tndlich den Standpunkt, dab man dem Wissenschaftler besonders dem werdenden, Zeit und Mufte lassen milsse, sieh auf seine Arbeit zu konzentrieren und sieh zum erfolgreichen Forscher durchzuringen. Er hegte diese Auffassung in dem sieheren Bew. uBtsein, dag damit unserem Volke am besten gedient sei. Es lag ihm aber vollsts fern, eigenniltzige Eigen- br6dler, die sich gerne derselben Argumente bedienen, um ihren Indi- vidualismus zu reehtfertigen, z u unterstiltzen. I m Gegenteil, er riet seinen Sehillern und Freunden, neben ihrem wissenschaftlichen Beruf nach M6glichkeit noch etwas zu treiben, was eine direkte Verbindung mit dem Volke gew/ihrleiste. Diesem Zweck diente seine Mitarbeit an den Landerziehungsheimen yon Hermann Lietz und seine Arbeit an der Freiburger Volkshoehschule.

An die Landerziehungsheime yon Hermann Lietz band ihn in erster Linie die sehon obenerw/ihnte p/~dagogische Neigung und sein Streben um die Besserung des Schulunterriehts. I m Frilhjahr 1907 lernte er t t e rmann Lietz bei der .Einweihung eines L~nderziehungs- heims kennen, und im folgenden Sp/~tjahr besuchte er ihn zum ersten Male auf SchloB Bieberstein in der RhSn. Nach seinen stets begeisterten Schilderungen war Hermann LI~TZ eine heroische und sehSpferisehe PersSnlichkeit, die eine starke F6rderung seines inneren Menschen bewirkte. Der Aufbau und der Betrieb der Lietzschen Landerziehungs- heime entsprach weitgehend seinem Erziehungsideal. Das Leben in der Gemeinschaft, die besondere Art des Unterrichts, die FSrderung des Spiels und die Ausilbung landwirtschaftlicher und handwerklicher Arbeiten unterschieden diese Heime weitgehend yon den damaligen biirger- lichen Schulen unserer St/~dte. Sie schufen im Heim ,,ein kleines Abbild unseres Volkes" und lehrten die Schiller theoretische und praktisehe Arbeit harmonisch miteinander zu vereinigen und beide richtig zu sch/~tzen. Nach dem Tode yon Hermarm Lietz t ra t SPEMAN~r in den Vorstand der ,,Stiftung Landerziehungsbeime Hermann Lietz" ein, und iibernahm sehlieglich dessen Vorsitz, den er mit groger, innerer Anteil- nahme bis zu seinem Lebensende innehatte.

1920--1933 war Slm~n_w~r Vorsitzender der Volkshochschule in Frei- burg i. Br. Schon in Berlin hatte er sich 1918 an den Vortr/~gen be- teiligt, die filr die vom Felde heimkehrenden, arbeitslosen Soldaten

~V. Roux' Arch. f. Entwicklungslnechanik. Bd. 141. 27

Page 35: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

418 O. M~ngo|d:

abgehalten wurden. Nach seiner Ubersiedlung nach Freiburg i. Br. stellte er sich der Freiburger Volkshochschule zur Verfiigung, um bald deren Vorsitz zu fibernehmen. In der ungeheueren Not und der inneren Rat- losigkeit, die dem Zusammenbruch des Kaiserreichs folgten, wollte er dem Volke mit dem dienen, was ibm zur Verffigung stand, mit Wissen- schaft und allgemeinen Kulturwerten. ,,Wir wollten das arbeitende Volk an den Schgtzen der in Jahrhunder ten erarbeiteten Kultur teil- nehmen lassen, dem Ungebildeten die ,echte Bildung' vermitteln. Also nicht einen gr61~eren oder kleineren Haufen yon Kenntnissen, die zur Bildung gehSren, sondern die Ausbildung und Verfeinerung der Sinne, die Kl~rung der Begriffe, die Schulung des Urteils, die ~bung in Selbstbeherrschung und geistiger Sammlung, welche uns zugleich weltoffen und weltiiberlegen macht. Dieses Gut - - wollten wir unseren yore Schicksal weniger begiinstigten Volksgenossen erschliei~en, soweit sie danach verlangten. Das 1Ai~t sich aber nicht durch ein paar allgemein- verst~ndliche Vortr~ge oder kfinstlerische Darbietungen erreichen, so wertvoll und anregend diese sein m6gen, sondern durch eine viel tiefer gehende pers6nliche :Berfihrung zwischen Mensch und Mensch." Die lautere Pers6nHchkeit und die organisatorisch-p~dagogische Begabung SPanIArds verfehlten nicht ihre Wirkung. Die Freiburger Volkshochschule konnte, im Gegensatz zu vielen anderen des Reiches, einen guten Erfolg verzeichnen. Der Boden fiir die idealen Bestrebungen war freilich nicht giinstig; denn in einem Parteienstaat s to len al]e auf die Bildung einer Volksgemeinschaft gerichteten Bestrebungen sehnell auf harte und unfiberwindliche Grenzen. Die Volksgemeinschaft braucht einen breiteren Grund, in dem die Vermittlung der Kulturwerte an die Allgemeinheit nur einen unter vielen Steinen darstellt. Die yon S I ~ A ~ N geleistete Arbeit bleibt aber auch im neuen Staat als Aufgabe erhalten. An ihrer L6sung haben unsere Hochschulen in erster Linie mitzuwirken. Eine grol~e, umfassende Organisation ist im Volksbildungswerk ge- schaffen worden, deren Arbeit stets das lebendige Interesse SPEMA~s gefunden hat. Nach 1933 hat er noch auf manchem Lager gesprochen. Gerne h~tten wir uns seine vielseitige Erfahrung weiter zunutze ge- macht.

In Zeiten grol~er Umws werden alle Werte neu gewogen und jeder verantwortungsbewul~te Mensch unterwirft sein Tun und seine Arbeit einer ernsten Kritik. Viele Jahrzehnte hat te die Wissenschaft, yon den meisten unbeachtet, im Stillen rastlos gearbeitet, und die Friiehte ihrer Mfihen fielen dem Volke und der Menschheit zu. Da erhob sich gegen die deutsche Wissenschaft ernste Krit ik; Vorwiirfe tells richtig, tells falsch wurden gegen sie erhoben. In den ersten Jahren der national- sozialistisehen Revolution unterwarf S P ~ A ~ die Stellung der deutschen Wissenscha]t einer sorgf~iltigen, scharfsichtigen und unbestechliehen 1)rfifung, deren Ergebnis in zwei Aufs~tzen bzw. ]~eden verSffentlicht wurde (1937c, 1938a). Zwei groBe Fragen wurden beantwortet : 1. Der

Page 36: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

Hans Spem~mu als Mc.nsch uml Wissc, uschaftlev. 419

nationale und internationale Charakter der Wissensehaft und 2. die Be- deutung der Wissenschaft fiir unsere Nation.

Bei der Untersuehung der Frage, ob die Wissensehaft national, d. h. yolks- und rassegebunden oder international sei, werden der ,,Ver- s tand" und das ,,Gemfit" als die beiden aktiven Faktoren wissen- sehaftlieher Arbeit erkannt. Der reine Verstand sehafft allgemein- gfiltige Gesetze und ist, wie diese, international. Das Gemfit in seiner hSheren Ausgestaltung ist yolks- und rassegebunden; es ist mit seinen Leistungen national. Verstand und Gemfit sind bei den versehiedenen Wissenschaftszweigen in versehieden hohem Mal~e beteiligt. Wissen- sehaftsgebiete, die haupts/~ehlieh vom Verstand bearbeitet werden, haben stark internationalen Charakter, z. B. die Mathematik, die Physik und die Chemie; andere sind um so mehr national, je mehr neben dem Verstand das Gemfit , ,verstehend" und ,,wertend" beteiligt ist, z. B. die Wissensehaften des t~eehts, der Geschiehte, der Spraehe, der Kunst usw. Das Gesamtbild der wissensehaftliehen Arbeit der VSlker wird aul~erdem noeh dadureh stark beeinfluBt, dab diese f fir gewisse Verstandesgebiete und Gemfitsleistungen versehiedene Vorliebe und Be- gabung aufweisen. Die Wissensehaft bildet zwisehen den VSlkern ein starkes, verbindendes Element. Dabei sind ihre rasse- und volksgebundenen Zweige mindestens ebenso wiehtig wie die rein verstandesm~gigen. ,,Die zwisehen den VSlkern seh~-ingenden und dem Gemfit entspringenden Geffihle ,Liebe und Hag ' werden dureh die wissensehaftliehe Be- sinnung gem/~Bigt zu den gesunden Spannungen, welehe das Leben in Gang halten. Selbstbehauptung ohne Rfieksieht mSehte die organisehe Form erstarren, 8elbstausweitung ohne Grenzen sie zerfliegen lassen. Zwisehen beiden, sehmal wie ein Berggrat, geht der Weg' der Hoehkultur, des Einzelnen, des Volkes, der Mensehheit" (1937e, 8. 127).

In S ~ M A ~ s Rede an die Freiburger Studentensehaft fiber ,,die Wissensehaft im Dienste der Nat ion" werden an den Naturwissen- sehaften die Entstehung der Wissensehaft dargestellt und die 8tellung yon Grundlagenforsehung und Zweekforsehung eharakterisiert. Indem er ausffihrt, wie aus der praktisehen Arbeit frf iherer nnd frfihester Zeiten die Wissensehaft sieh allm~hlieh entwiekelte, kommt er zu folgenden Fassungen: ,,Erhebung fiber den n~ehsten. Zweek erseheint uns fiberall der erste Sehritt auf dem Wege, an dessen Ende die reine Wissensehaft steht." ,,Ihr Ziel ist es, die Dinge in ihrem Eigenreeht und in ihrer inneren Notwendigkeit zu begreifen, ohne Absehen auf den Mensehen in seiner zeitliehen Erseheinung." ,Es war ein Wagnis, sieh ~ber die ~Totdurft des Angenblieks zu erheben und naeh Wahrheit zu suehen um der Wahrheit willen; aber w~hrend der Menseh vertrauensvo]l der inneren Stimme folgte, fiel ibm die Herrsehaft der Welt zu. Er wurde ein K6nig, weil er den Mut hatte, es zu sein." Der Dienst der Wissensehaft ffir die ~Tation besteht in ihrem praktisehen Nutzen und ihren ideellen Werten. Der praktisehe Nutzen t r i t t besonders bei

2"i*

Page 37: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

420 O. Mangold:

den Naturwissenschaften in den bekannten, unermeglichen Erfolgen der Teehnik und der Medizin in Erseheinung; er ist abet auch den Geistes- wissenschaften in versehieden hohem Mage eigen. Die ideellen Werte werden wie folgt erfagt. ,,Die Naturwissenschaften helfen dem Menschen nicht nur sieh in der Welt zurechtzufinden und sich in ihr zu behanpten, sie machen auch seinen Geist in der Welt heimiseh. Sie lehren ihn, dag sein Leben ein Teil des grogen Weltgesehehens ist, und sie lassen ihn ahnen, dab er in der Natur keiner ihm vSllig fremden Macht gegcn- iibersteht. So machen sie ihn aueh in einem hSheren Sinn frei yon der Angst vor der Welt, und seine Stellung in ihr erkennend, lernt er auch yon ihnen gleiehermaBen frohes Selbstgeftihl und demiitige Beseheiden- heit ." Dutch die Geisteswissenschaften ,,wird das, was aus den geheimnis- vollen Tiefen des Volksgeistes aufgestiegen ist, erst zu seinem bewul3ten und damit unersehfitterlichen Besitz. Mah nennt das geistige Bildung." Echte Bildung ist fiir den einzelnen und fiir die V61ker wertvollster Besitz. Denn ,,sie lehrt sie ihre Stellung unter den anderen erkennen, sich der Bedeutung des Augenblicks und seiner Aufgaben bewuBt werden; sie befS, higt sie, im reehten Selbstgeftihl und in der reehten Bescheiden- heir ihrer selbst ms und sieher ihren ~reg gehen". Indem ein Volk Wissenschaft betreibt, erftillt es eine hohe Verpfliehtung; es ,,dient den h6chsten Werten, seinen GSttern, welche leuehtend seinem Weg voransehreiten undes iiberschwenglich seg~qen mit ihren Gaben" (1938a).

In den Stiirmen, die unser Volk umbrausten und die es innerlich bis zum Grunde aufwiihlten, stand S~MA~Sr stets aufrecht, als deut- seher Mann, heroisch in seiner Gesinnung und unbesteehlich in seinem Urteil. In seiner Jugendzeit erstand das deutsche Kaiserreich, dessen Begriinder. Bismarck und Kaiser Wilhelm der Erste im Elternhaus lebhafte Verehrung genossen. Den Kanzler Bismarck hat er in seiner Studentenzeit selbst noch gesehen und sprechen hSren (Juli 1892, Bad Kissingen). W/~hrend des Weltkriegs hielt er die durch die Hunger- blockade notwendigen Ern/~hrungseinschrgnkungen so genau ein, dag er nur durch eine l/~ngere Kur in einem Sanatorium vor den toddrohenden Entbehrungserscheinungen gerettet werden konnte. 1923, im Jahre der tiefsten deutschen Not und des Beginnes des deutschen Freiheits- kampfes, zog er als Rektor der Universitgt Freiburg i. Br. an der Spitze des Lehrk6rpers und der Studentenschaft an den Bahnhof, um dem auf der Reise nach seiner Heimat SchSnau durchgefiihrten Leichnam Albert Leo Schlageters die schuldige Ehre zu erweisen. 1924 lehnte er eine Einladung zu Vortr/~gen nach England ab, weft er es fiir unwiirdig hielt, Gast einer der Versailler M/tehte zu sein, solange deren Truppen das Rheinland besetzt hielten. Trotzdem seine wissenschaftliche Arbeit und seine allgemeinen kulturellen Interessen ihn in hohem 3]IaBe ausfiillten, gchOrte sein Herz seinem deutschen Volke. Unermfidlich besprach er die Vorg/~nge der inneren und /~uBeren Politik mit seinen Freunden und Sehiilern. Manehe yon den politischen Stiirmen sind ihm freilich nur

Page 38: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler. 421

1895. 1898.

1900.

:1901a. 1901 b.

1901 c.

1902.

1903a.

1903b. 1904a. 1904b.

1905.

1906a.

1906b.

1906e.

1907a.

1907b. 1907 e. 1908a.

1908b. 1910.

schwer verst/~ndlich geworden, da ihn das Schicksal von deren m/~chtigen Triebfedern, der Not der Materialsehlachten, der Bedr/~ngnis des Wohnungs- mangels, dem sozialen Elend der Arbeitslosigkeit versehont hatte und die Grundlagen des kulturellen bfirgerliehen Wohlstandes seiner Familie rile ernstlich erschfittert worden sind. Er stand aber fern jedem verkn6cherten Konservatismus und hatte ein offenes, ja begeistertes Versti~ndnis ffir grol~e, seh6pferische Leistungen. Gerne hi~tte er sieh mit friseher Kraft in die Reihen der Sehaffenden gestellt. ,,Welch ein Jammer, heute am Ende des Lebens zu stehen, wo doeh alas Leben erst anf~ngt", sagte er bei unserem letzten Zusammensein auf seiner sehfnen Terrasse, w/~hrend seine Blieke fiber die Tiirme Freiburgs und die Berge des Sehwarzwaldes sehweiften und seine Gedanken im Osten weilten.

So starb H ~ s S P r ~ in einer Zeit gr6$ter gesehiehtlicher Ent- seheidungen mit dem Blick roller Hoffnung auf eine glfiekliche Zukunft seines Volkes.

Von H. SPEMANN verSffentliehte Arbeiten. Zur Entwicklung des Strongylus Ixtradoxus. Zool. Jb., Anat. u. Ontog. 8. Uber die erste Entwieklung der Tuba Eustachii und des Kopfskeletts yon Rana temporaria. Zool. Jb., Anat. n. Ontog. 11. Experimente]le Erzeugung zweikSpfiger Embryonen. Sitzgsber.physik.-med. Ges. Wfirzburg. l~ber Korrelationen in der Entwieklung des Auges. Verb. anat. Ges. 15. Demonstration einiger Pr/~parate yon Experimenten fiber Korrelationen bei der Entwicklung des Auges. Sitzgsber. physik.-med. Ges. Wiirzburg. Entwieklungsphysiologisehe Studien am T~itonei. I. Arch. Entw.meehan, 12, H. 2. Entwicklungsphysiologisehe Studien am Trittmei. IL Arch. Entw.meehan. 15, H. 3. Entwicklungsphysiologische Studien am Tritonei. HI. Arch. Entw.meehan. 16, H. 4. l~ber Linsenbildung bei defekter Augenblase. Anat. Ariz. 28. l~ber neue Linsenversuehe. Sitzgsber. physik.-med. Ges. Wfirzburg. l~ber experimentell erzeugte Doppelbildungen mit zyklopisehem Defekt. Zool. Jb. 7 (Suppl.). t~ber Linsenbildung naeh experimenteller Entfernung der prim/~ren Linsen- bildungszellen. Zool. Anz. 28, Nr 11. ~ber eine neue Methode der embryonalen Transplantationen. Verb. dtsch. zoo1. Ges. 16. l~ber embryonale Transplantation. Dtsch. reed. Wsehr. Nr 41 u. Verb. d. Ges. dtsch. Naturforseher u. ~rzte. ~Tber Transplantationsversuehe an Amphibienembryonen. Sitzgsber. phy- sik.-med. Ges. Wfirzburg. Zum Problem der Korrelation in der tierischen Entwieklung. Verb. dtseh. zooL Ges. Nr 17. Neue Tatsachen zum Linsenproblem. Zool. Anz. 31, Nr 11/12. Die zoologisehe Station zu ~Teapel. Sfiddtsch. Mh. 4, H. 2. Neue Versuche zur Entwieklung des Wirbeltierauges. Verb. dtseh, zool. Ges. Nr 18. Neue Versuehe am Wirbeltierauge. Sitzgsber. physik.-med. Ges. Wfir~.burg. Die Entwieklung des invertierten H{irgrfibehens zum Labyrinth. Ein kriti- seher Beitrag zur Strakturlehre der Organanlagen. Arch. Entw.mephan. 80.

Page 39: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

422 O. Mangold:

1912a.

1912b.

1914.

1915.

1916a. 1916b.

]916c.

1918a.

1918b. 1919a.

1919b.

1920. 1921a.

1921b.

1922.

1923.

1924a.

1924b.

1924c. 1925a.

1925b. 1925c. 1927a.

1927b.

1927c. 1927d.

1927e.

Zur Entwicklung des Wirbeltierauges. Zool. Jb., Allg. Zool. u. Physiol. 32, H. 1. (~ber die Entwicklung umgedrehter Hirnteile bei Amphibienembryonen. Zool. Jb., Allg. Zool. u. Physiol. Suppl. 15, 3. Uber verz5gerte Kernversorgung yon Keimteilen. Verh. dtsch, zool. Ges. 24. Jahresverslg Freiburg i. Br. Zur Geschichte und Kritik des Begriffs der Homologie. Die Kultur der Gegenwart 8, IV, I. THEODOR BOVERI (Nekrolog). Arch. Entw.mechan. 42, H. 2. Ged~chtnisrede auf THEODOR BOVERI. Verb. physik.-med. Ges. Wiirzburg 44, Nr 4, 1--25. (~ber Transplantationen an Amphibienembryonen im Gastrulastadium. Sitzgsber. Ges. naturforsch. Frennde Berl. Nr 9. Uber die Determination der ersten Organanlagen des Amphibienembryos. I - -VI. Arch. Entw.mechan. 43, It. 4. Erinnerungen an T~EODOR BOV]~RL Tiibingen: J. C. B. Mohr. Experimentelle Forschungen zum Determinations- und Individualit~ts- problem. Naturwiss. 7, It. 32. Se~MANN U. FALK~BERG: tiber asymmetrische Entwieklung und Situs inversus viscerum bei Zwillingen und Doppelbildungen. Arch. Entw.mechan. 45, H. 3. Ein wissenschaftliches Bildarchiv. Arch. Entw.mechan. 47. Mikrochirurgisehe Operationstechnik. ABDERm~LDENS Handbuch der bio- logischen Arbeitsmethoden, Abt. V, Teil 13. Die Erzeugung tieriseher Chim~ren durch heteroplastische embryonale Transplantation zwischen Triton cristatus und taeniatus. Arch. Entw.mechan. 48, H. 4. RUUD, GUDRUN U. H. SPEMANN: Die Entwieklung isolierter dorsaler und lateraler Gastrulahalften yon Triton taeniatu8 und alpestris, ihre Regulation und Postgeneration. Arch. Entw.mechan. 52. Zur Theorie der tierischen Entwieklung. Rektoratsrede, S~'~YE~ u. KAERNV.~, Freiburg. SPEM-~N u. I-L MANOOLD: ~ber Induktion von Embryonalanlagen durch Implantation artfremder Organisatoren. Arch. mikrosk. Anat. u. Entw.: mechan. 100, H. 3/4. Vererbnng und Entwicklungsmechanik. Naturwiss. 12, H. 4 u. Z. Ab- stammgslehre 38. ~ber Organisatoren in der tierischen Entwieklung. Naturwiss. 12, H. 48. Nachruf anf HERMANN B~AUS. Verh. physik.-med. Ges. Wiirzburg, N. F. 50, H. 3 und Naturwiss. 18, H. 13. I-I~RMANN BRAYS. Arch. Entw.mechan. 106. Some Factors of animal Development. Brit. J. exper. Biol. 2. SP~AN~ u. B. GE~ITZ: T.~ber Wecknng organlsatorischer Fahigkeiten durch Verpflanzung in organisatorisehe Umgebung. Rovx ' Arch. 109, H. 2. S~EMANN u. ELSE BAUTZMANN geb. WESSEL: ~ber Regulation yon Triton- keimen mit tibersehiissigem und fehlendem medianem Material. Roux' Arch. llO. HANS DmESC~ zum 60. Geburtstag. Roux' Arch. 111. MANGOLD, O. U. H. SrEMAN~: Uber Induktion yon Medullarplatte dutch Mednllarplatte im jiingeren Keim, ein Beispiel homSogenetiseher oder assimflatorischer Induktion. Roux' Arch. 111. Neue Arbeiten fiber Organisatoren in der tierischen Entwicklung. Naturwiss. 15, H. 48/49.

Page 40: Hans Spemann als Mensch und Wissenschaftler

I-[ans Spemann als Mcnsch und Wissenschaftler. 423

1927f.

1927g.

1928.

1929a.

1929b. 1931a.

1931b.

1932a.

1932b.

1932c.

1932d.

1933a.

1933b.

1934a.

1934b.

1936a.

1936b.

1936c. 1937a.

1937b.

1937c.

1938a.

1938b.

1941. ]942.

Cronian lecture : Organizers in animal development. Proc. roy. Soc. Lond., Ser. B, 102, Nr B 716. ~ber Organisatoren in der tierischen Entwicklung. Forsehgn u. Fortsehr. 3, Nr 32. Die Entwicklung seitlicher und dorso-ventraler Keimh~lften bei verzSgerte~ Kernversorgung. Z. Zool. 132. Ubcr den Anteil yon Organisator und Wirtskeim am Zustandekommen der Induktion. Naturwiss. 17, H. 18/19. Organisatoren in der tierischen Entwieklung. Forsehgn u. Fortschr. ~, 33. Das Verhalten yon Organisatoren nach Zerst6rung ihrer Struktur. Verh. dtsch, zool. Ges., S. 129--132. Uber den Anteil von Implantat und Wirtskeim an der 0rientierung und Besehaffenheit der induzierten Embryonalanlage. Roux' Arch. 123, H. 3/4, 389--517. Theorien der Entwicktung im Lichte neuer Experimentalergebnisse. Verh. sehweiz, naturforsch. Ges. Thun, S. 208--219. (~ber xenoplastische Transplantation als Mittel zur Analyse der embryo- nalen Induktion. Naturwiss. 20, H. 25, 463--467. BAUTZMANN, H., JOH. HOLTFRETER, H. SPEMANI~ U. O. M.ANGOLD : Versuehe zur Analyse der Induktionsmittel in der Embryonalentwicklung. Naturwiss. 20, H. 51, 971--974, Xenoplastische Transplantation als Mittel zur Analyse der embryonalen Induktion. Rev. Suisse Zool. Gen~ve 89, 307. SPEMAN~, ~I., F. G. FISCHER U. E. WEHYIEIER: Zur Kenntn is der Induk- tionsmittet in der Embryonalentwicklung, Naturwiss. 21, H. 27, 518. SPEMANN, H., F. G. FISCHER n. ELSE WEHMEI]~R: Fortgesetzte Versuche zur Analyse der Induktionsmittel in der Embryonalentwicklung. Naturwiss. 21, H. 27, 505--506. ])as Lebenswerk yon AUGUST WEISMANI~. Bet. naturforsch. Ges. Freiburg i. Br. ~4, 81--94. Neueste Ergebnisse entwicklungsphysiologischer Forschung. Freiburger wiss. Ges. 1933, H. 23. Nobelvortrag (gehalten am 12. 12. 35 in Stockholm). Stockholm: Kungl. Boktryckeriet. P. A. Norstedt & Soner. Ansprache bei der ErSffnung der Versammlung der deutschen Zoologischen Gesellschaft in Freiburg i. Br. Verh. dtsch, zool. Ges. Experimente!le Beitr~ge zu einer Theorie der Entwicklung. Berlin: Springer. Neue Erkenntnisse fiber das Wesen der tierischen Entwieklung. Festgabe der Kaiserl.Leopold. Carolin. Deutsehen Akadmie der Natufforscher Halle, S. 50--62. Neue Einsichten in das Wesen der tierisehen Entwicklung. Schweiz. reed. Wschr. 67, Nr 36, 849. Die iibernationale Bedeutung der Wissenschaft. Jahrbueh der Stadt Freiburg i. Br., Bd. 1 : ,,Alemannenland", S. 124---127. Die Wissenschaft im ])ienste der Nation. (Anspraehe beim Studententag Freiburg, Juni 1938.) Jahrbueh der Stadt Freiburg i. Br., Bd. 2: ,,Volkstum und Reich", S. 79--84. Embryonic Development and Induction. Silliman Lectures. Yale Univ. Press. New Haven. (1936c in engliseher Spraehe.) Walter Vogt zum Gedachtnis. Ronx Arch. 141, 1--14. Aus dem NachlaI3 Spemanns: ~ber das Verhalten emhryonalen Gewebes im erwachsenen Organismus. Erscheint ni~chstens in Roux' Arch. 141, H. 4. Arbeiten yon Schiilern und Mitarbeitern s. 1936c.