hans-dieter bahr - kritik der politischen technologie

54
Kritische Studien zur Philosophie Herausgeber Karl Heinz Haag Herbert Marcuse Oskar Negt Alfred Schmidt Hans-Dieter Bahr Kritik der >Politischen Technologie< Eine Auseinandersetzung mit Herbert Marcuse und Jiirgen Habermas Europãische Verlagsanstalt Frankfurt Europa Verlag Wien

Upload: vladimir-ferrari-puzone

Post on 14-Aug-2015

83 views

Category:

Documents


8 download

TRANSCRIPT

Page 1: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

Kritische Studien zur Philosophie

Herausgeber Karl Heinz Haag Herbert Marcuse Oskar Negt Alfred Schmidt

Hans-Dieter Bahr

Kritik der >Politischen Technologie< Eine Auseinandersetzung mit Herbert Marcuse und Jiirgen Habermas

Europãische Verlagsanstalt Frankfurt Europa Verlag Wien

Page 2: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

© i->7° by Europãische Verlagsanstalt Frankfurt am Main Druck: Poeschel & Schulz-Schomburgk, Eschwege Best.-Nr. 3068 Printed in Germany

Dadalus E i n Vorwort 1

»Dãdalus aber, indes langdauernden Bannes und Cretas mude geworden und heim nach dem Land der Jugend sich sehnend, War umschlossen vom Meer. >Mag Lãnder er sperren und Wogen, sprach er, der himmlische Raum ist frei. Dort wollen wir ziehen. Sei er von allen der Herr, nicht Herr der Lúfte ist Minos.< -Dadalus sprach's und richtend den Geist auf neue Erfindung, ândert er schlau die Natur.« Doch der Raum war schmal; das begriff Dadalus, ais er seinen Sohn Ikarus vor der Hitze der Sonne warnte und ihm die Weisung gab, die Mitte zu wahren, weder zu tief noch zu hoch zu fliegen. Ikarus, der die wirkliche Erbschaft dieser Erfindung antrat, mufite sturzen in dem Augenblick, »als am verwegenen Flug sich der Knabe begann zu ergõtzen, keck den Fiihrer verliefi und von Lust nach dem Himmel verleitet hõheren Weg einschlug«. Denn die Fliigel hatte Dadalus nur zur Flucht gebaut. »Und er verwiinschte die erfundene Kunst und bestattet den Leichnam. Wãhrend er barg im Hiigel den Leib des bejammer-ten Sohnes, schaute vom schlammigen Graben ihm zu ein schrei-endes Rebhuhn, schlug mit den Schwingen erfreut und bewies Frohlocken mit Krãhen, einzig vorhanden zur Zeit und noch nie ais Vogel gesehen, jiingst zum Gefliigel gesellt, dir, Dadalus, ewig ein Vorwurf.« Dadalus kehrte nach Athen zuriick und lehrte den Sohn seiner Sdrwester, der ihm bald zwei eigene Erfindungen von ganz an­darem Gebrauch vorlegte: ein Arbeitswerkzeug und eine Waffe. «Dadalus sah es mit Neid und warf ihn hinunter von Pallas' Heiliger Burg und log, er wãre gesturzt. Doch Minerva, schaf-

1 Die Zitate stammen aus: Ovid, Metamorphosen, 8. Buch, Verse 183-259, Ubertetzt von Reinhart Sucbier, Miinchen 1959

5

Page 3: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

fenden Geistern geneigt, fing schiitzend ihn auf und verlieh ihm I # £ ) e r Geschichte ins Gesidlt gesdllagen Vogelgestalt und umhúllt' ihn inmitten der Luft mit Gefieder.« Doch dieser Vogel fiel nur flatternd zu Boden; er iiberlebte so, aber: »Hohes vermeidet er bang,des friiherenFallesgedenkend.«

Der Versuch, technische Rationalitát und ihre Konstruktionen so zu begreifen, wie sie sich — scheinbar paradox — unpolitisch ais politische Herrschaft durchsetzen, ist immer wieder selbst dieser Paradoxie erlegen, deren Schein sich somit ais Wirklich-keit zeigt. Es ist offensichtlich geworden, daf? die fortschreitende technische Produktivkraft nicht unmittelbar auch ihren Fort-schritt erzeugt - und darin liegt das Geheimnis des hartnãckigen Scheins; doch das Versãumnis, technische Rationalitát ais beson-deres geschichtliches Produkt zu begreifen, lãfit sich nicht mit zwei Atemziigen aufholen. Dennoch kõnnte nur dieses Aufholen die Magie, mit der sich die Herrschaft der technischen Rationali­tát umgibt, zumindest wieder ais Ideologie verdeutlichen. »Die Arbeit«, hatte Marx 1847 gegen Proudhon eingewandt, »organisiert und teilt sich verschieden, je nach den Werkzeugen, iiber die sie verfiigt. Die Handmiihle setzt eine andere Arbeits-teilung voraus ais die Dampfmuhle. Es heifit somit der Ge­schichte ins Gesidlt schlagen, wenn man mit der Arbeitsteilung im allgemeinen beginnt, um in der Folge zu einem speziellen Pro-duktionsinstrument, den Maschinen, zu gelangen.*1 Die Theorie der Politischen Technologie hat jedoch seit Marx kaum mehr ge-leistet, ais eben der Geschichte ins Gesicht zu schlagen. Erst Marcuse begann, noch abstrakt-widerspriichlich, zu begreifen, was Marx in diesem Bild verstanden hatte: »Bestimmte Zwecke und Interessen der Herrschaft sind nicht erst >nachtrãglich< und von aufien der Technik oktroyiert - sie gehen schon in die Kon-struktion des technischen Apparats selbst ein.«s Doch Marcuses Leistung liegt eher darin, seine Begriffe williger der bezeichneten Paradoxie geõffnet zu haben; denn skeptisch-resignativ bemerkt

1 K. Marx, Das Elend der Philosophie, MEw Bd. 4, S. 149 * H . Marcuse, Industrialisierung und Kapitalismus im Werk Max Webers, in:

Kultur und Gesellscbaft I I , Frankfurt 1965, S. 127

6 7

Page 4: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

er an anderer Stelle: »Eine elektronische Rechenmasdiine kann einem kapitalistisdien wie einem sozialistisdien Regime dienen; ein Zyklotron kann fiir eine Kriegs- wie fiir eine Friedenspartei ein gleich gutes Werkzeug sein.«3 - Diese Bemerkung ist mifi-verstándlich genug, um den Thesen der Technokraten4 entgegen-zukommen, denen zufolge technischer Fortschritt an sich eine klassenlose Gewalt entfalte, durch die sich Klassengegensãtze ebenso nivellierten, wie sie die Bedeutung verschiedenartiger Ge-sellschaftsordnungen uberhaupt zum Verschwinden brãchte. Die Âhnlichkeit von Sachzwángen, die der technische Fortschritt heute in kapitalistischen und sozialistisdien Staaten gleicher-mafien erzeuge, legt diese Schlufifolgerungen um so heftiger nahe, je weniger dieser Sachzwang ais historisches Ergebnis einer im-manent politischen Besonderheit begriffen wurde. So erscheint technische Rationalitát ais politische Herrschaft stets erst in den instrumentellen Verwertungszonen der Technik, nie aber in ihrer Konstruktion begreifbar zu werden; diese selbst wird ais »poli-tisch indifferent* wie eh auch theoretisch der herrschenden Ver-fiigung iiberlassen.5

Versuche, Techniken von ihrer unmittelbaren Gegenstãndlichkeit her zu begreifen, fiihrten auch dann zu keinem Ende, wenn diese formal aufzãhlbar waren, weil solche Versuche immer schon von dem besonderen historischen Verháltnis von Rationalitát und Instrumentalitãt abstrahieren: Eine Unterscheidung technischer Produkte nach ihren inner-technischen Verfahrensweisen - etwa zwischen Masdhine, Appa-rat, Regelungstechnik - geht iiber eine tautologische Beschrei-bung reinen Funktionierens nicht hinaus, weil sie eben von der spezifischen Zwedkmãfíigkeit dieser Funktionen absieht, die sie vom »Funktionieren« bestimmter Naturprozesse erst ais gesell-schaftlich hervorgebrachte unterscheidet. In Begriffen wie Repro-duktionstechnik, Transporttechnik, Mefítechnik wird nicht nur auf deren Verfahrensweisen und allgemeine Zweckzuweisungen

' Marcuse, Der eindimensionale Mensch, Berlin-Neuwied 1967, S. 168 4 Vgl. zur Idee und Geschichte der Technokratie, aus der Sicht des betroffe-

nen Privatunternehmertums: A. Mohler, Der Weg der >Technokratie< von Amerika nach Frankreich, in: Epirrhosis, Festgabe fiir Cal Schmitt, Berlin 1968.

5 Vgl. J . Habermas, Technik und Wissenschaft ais >Ideologie<, Frankfurt 1968

hingewiesen; es ist nicht geklãrt, ob eine unmittelbar vom Sub-jekt ausgehende technisch-rationale Tátigkeit gemeint ist oder der Gegenstandsbereich, auf den sich technische Konstruktionen beziehen, oder aber das technische Produkt selbst. Unauflõslich findet man diese Vermengung in Begriffen wie chemische, nukle-are, biologische Techniken, da in ihnen die naturwissenschaft-lichen Technologien bereits ohne den Forschungsprozefi nicht verstãndlich werden. Begriffe wie Energietechnik, Rohstoff-verarbeitungstechnik, Bautechnik, Maschinenbau- und Textil-technik sind >anschaulicher< nur darin, dafi sie vage Assoziatio-nen an die erfahrene Arbeits- und Kommunikationsspháre wek-ken; besondere Bedurfnisinhalte, Arbeitstãtigkeiten, technische Materialitãten und Strukturen der Rationalitát, die in ihnen gegenstãndlich wurden, vermischen sich in ihren Bezeichnungen. Komplexere Unterscheidungen zwischen Militártechnik, Kom-munikationstechnik, Produktionstechnik, Weltraumtechnik, me-dizinisch-pharmazeutische Technik lassen jedoch ihre Zweck-bereiche nur scheinbar deutlicher werden: ais politisch-technische Rationalitát gesellschaftlicher Bediirfnisse; diese Techniken kõn-nen bestehenden Bedurfnissen zweckmáfiig sein, aber diese Zweckmãfiigkeiten miifiten ihrerseits ais eine besondere Vernunft erklãrt werden, die ais Interesse wirksam ist. Spricht man von Organisationstechnik, Arbeitstechnik, Jagd-, Kampf- oder Sport-technik, Willens- oder Denktechnik, selbst von Pflanzen- und Tierzuchttechniken, so ist zunãchst die unmittelbar tãtige, tech­nische Rationalitát von Subjekten gemeint; aber bereits ais Wissen, das weitervermittelt werden kann, ist diese Rationalitát ein besonderer gegenstãndlicher Bereich, eben: technisch gewor-denes Wissen.

Bestimmte Transformationen von Naturbedingungen und -pro-zessen, naturwissenschaftlich erforscht oder ais geschichtliche Er-fahrung vermittelt, liegen den Bereichen zugrunde, und zwar in einer komplexen Einheit von Momenten aufierer und leiblicher Natur, Zweckbestimmung und historisch gewordener »Natur« ei­ner besonderen Arbeitsteilung. Technik ist in dieser Hinsicht das Resultat eines Stoffwechsels mit der Natur, in das - wenn auch nicht ungebrochen oder nur linear - bis zur Gegenwart der Stoff-wedisel mit der Natur ais »geschichtlich« aufgehoben prasent ge-blieben ist. Ais Resultat ist Technik kein selbsttátiges Mittel, son­dem eine zweckmãfiige Bedingung, auch dann, wenn Natur nicht nur statisch sondem dynamisch in ihr aufgehoben wirkt.

8 9

Page 5: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

Diese Eigenart der Technik ais Produkt von Vermittlungspro-zessen besagt zum einen, dafi sie weder eindeutig nach dem Mo-dell unmittelbarer menschlicher Tàtigkeiten, etwa dem zweck-rationalen Handelns, gedacht werden kann, da sie auch eine Weise von Natur ist; zum andern kann sie nicht nach diesem Naturmodus, etwa dem des menschlich-leiblichen, begriffen wer­den, weil sie sowohl vergegenstándlichte Zwecksetzung ais auch Produkt gesellschaftlicher Arbeit ist. Allerdings ist in dieser Dialektik Technik auch dann Nicht-Arbeit, d. h. aufgehobene, vergegenstándlichte Arbeit, wenn sie zweckmàfiige Bedingung neuer Arbeitsprozesse oder Zwecksetzungen ist. Technik unterscheidet sich von anderen Produkten gesellschaft­licher Zweckrealisation darin, dafí sie ais zweckmàfiige Bedin­gung nicht zugleich realisierter Zweck ist, auch wenn sie in diese Zwecke aufgehoben mit eingeht, wie in der Kunst, in religiõsen Zwecken oder in unmittelbarem Gebrauch. Deshalb ist sie stets mehr ais nur neutrales Instrument, sie ist Erzeugnis einer be-stimmten, arbeitsteiligen Gesellschaftsordnung. Ihre Zweckmãfiigkeit kann formal auf die Angemessenheit ihrer Elemente zu ihrem Funktionieren, oder - zunãchst nicht weniger formal - auf die Angemessenheit ihres Funktionierens hinsicht-lich gesellschaftlicher Zwecke gedacht werden. Sie geht in jedem Fali nur ais zweckmàfiige Bedingung in die Zweckrealisation mit ein.

Genau hier zeigt sich jedoch, dafí in solcher Abstraktion gerade ihr wesentliches Kriterium verlorengeht: der besondere Inhalt gesellschaftlicher Zwecke, durch die sie selbst, ab einer bestimm-ten historischen Stufe, fortschreitend und arbeitsteilig gesetzt wird. Diese historisch besonderen Differenzen zwischen der Struktur technischen Handelns, technischer Rationalitát und dem tech­nischen System, ais einem bewuík erzeugten, funktionierenden Element der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, sind allerdings keine Wechselwirkungen, durch die sich triebhaft-mechanisch die technische Entwicklung ais Fortschritt aus einer naturwuchsig-organischen Geschichte herauskatapultiert. - Das ist wenig be-merkt worden in den Arbeiten iiber Technik, die in diese Unter-suchung mit eingegangen sind. Vor aliem zweierlei wurde ignoriert: zum einen, dafí die Logik eines Handwerkzeugs - ais Logik des gesellschaftlichen Stoff-wechsels mit der Natur - eine andere ist ais die Logik eines

Mechanismus', einer Antriebsmaschine, eines Apparats, einer Datenverarbeitungsmasdiine; dasselbe gilt fiir die Geschichte der Waffentechnik. Die Entwicklung dieser Logik wird - vor aliem in der Theorie Gehlens, die Habermas weiterfiihrte - ge-deutet ais gradlinige, ununterbrochene und damit vor aliem: un-gebrochene Entfaltung eines sich selbst erhaltenden, »zweck-setzenden Organismus'«; Eine Deutung, durch die letztlich er-zwungen wird, die jeweils herrschende technische Rationalitát fatalistisch zu begreifen. Zugleich kann damit die Differenz, dafi jedes technische Produkt nicht nur sowohl Resultat und Voraussetzung gesellschaftlicher Zwecksetzung und -realisation ist, sondern dafí diese Zweckset­zungen ebenso einer »Mitwirkung« sowohl der leiblichen ais auch der áufieren Natur bediirfen, verwischt werden. Ein Motiv tech­nischer Entwicklung wird schematisch reduziert auf die »Organ-mángel« des Menschen; die áufíere Natur wird zur beliebig formbaren Knetmasse, von der man erst Besitz ergreift, um sie dann blofi zu gebrauchen. »Der Gebrauch«, schrieb Hegel, »ist diese Realisierung meines Bediirfnisses durch die Verànderung, Vernichtung, Verzehrung der Sache, deren selbstlose Natur da-durch geoffenbart wird und die so ihre Bestimmung erfullt.«6

Die Theorie der »Organmãngel« verzichtet allerdings mit weit weniger Anstrengung auf eine Erkenntnis der zwecksetzenden, arbeitenden Vernunft, die durch diesen Verzicht ebenso in ihre Selbstlosigkeit entlassen wird, wie sie zuvor die »Selbstlosigkeit« der Natur offenbarte, indem sie diese verzehrend nur in Besitz nahm.7

Engels hatte beziiglich der Kausalitát von Naturgesetzlichkeiten geschrieben: »Wir finden . . . nicht nur, dafi auf eine gewisse Be-wegung eine andere folgt, sondern wir finden auch, dafi wir eine bestimmte Bewegung hervorbringen kõnnen, indem wir die Be-

• G. W. F . Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Hamburg 19'$, S. 67

7 Max Scheler, auf den Gehlen sich beruft, hat die von dem Schopenhauer-Schiiler Alsberg entwickelte Theorie des »Organmangels« zuerst in die An-thropologie eingefiihrt; zugleich hatte Scheler jedoch noch begriffen, was Gehlen spater mit der rechten Hand wegwischte: »Die negative Theorie setzt eben in jeder Form, in der sie auftritt, das, was durch sie erklãrt werden íoll, immer schon voraus: den Geist, die Vernunft, eine eigene selbstandige Gesetzlichkeit des Geistes und die teilweise Identitat seiner Prinzipien mit denen des Seins selbst.» M. Scheler, Die Stellung des Menschen im Kosmos, Bern 1962, S. 62. - Scheler sieht ais Grund dieses Dilemmas nur den Antago-nismus von krãnklichem Geist und feister Materialitat.

10 I I

Page 6: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

dingungen hervorbringen kõnnen, unter denen sie in der Natur vorgeht, ja, dafi wir Bewegungen hervorbringen kõnnen, die in der Natur gar nicht vorkommen (Industrie), wenigstens nicht in dieser Weise, und dafi wir diesen Bewegungen eine vorher bestimmte Richtung und Ausdehnung geben kõnnen. Hier-durch, durch die Tátigkeit des Menschen, begriindet sich die Vorstellung von Kausalitát, die Vorstellung, dafi eine Bewegung die Ursache einer andern ist. . . die Tátigkeit des Menschen macht die Probe auf die Kausalitát. «8 Was ais Prinzip der Na­tur in die Technik eingeht, ist die bereits »verniinftig« gewordene Natur ais Ergebnis einer Tátigkeit, die im Begriff des Natur-gesetzes eine Einheit von Natur und Vernunft denkt. Insofern kõnnen die »Gesetze der Natur« nicht blofi gegenstândlich ge-gèbene Mittel sein; sie sind, wie Lenin schrieb, «Grundlagen der zweckmáfiigen Tátigkeit des Menschen«B, aus welcher sie selbst zugleich erst hervorgingen. Unter diesem Aspekt kõnnte die Geschichte der Technik aller-erst zu dem Begriff finden, der bisher entweder im Aufzáhlen von Erfindungsdaten oder in den Ideologien der Politischen Technologie frõhlich unterging. Ihre Geschichte wáre nicht nur die ihrer praktischen Wissenschaft, sondern die der gesellschaft­lichen Produktionsweise, in der sie wirklich wurde.10

Aber nicht nur die Theorie, sondern die burgerlidie Technik selbst beginnt mehr denn je ihrer Geschichte ins Gesicht zu schlagen - einer Geschichte, die dariiber háufiger in Scham er-rõtete, statt aus Zorn.

8 F. Engels, Dialektik in der Natur - Notizen und Fragmente, MEW Bd. 20, S. 519

* W. I . Lenin, Werke - Nachlafi, Berlin. S. 107 1 0 Der yorliegende Text kann selbstverstandlich diese Geschichte nicht schreiben,

aber er sol! einige ihrer Kriterien angeben.

12

z. Gewalt und List

Lenin wies bereits auf «Ansátze eines historischen Materialis-mus*1 in Hegels »Logik« hin; im Abschnitt »Teleologie« be­griff Hegel, dafi technische Rationalitát, ais besonderes Mittel-Zweck-Verhâltnis, dem »Mechanismus« und »Chemismus« in der Natur nicht einfach ais Idee vorhergehen kõnne. Technische Rationalitát ist erst das Ergebnis mechanischer und chemischer Kausalitát, die sie nun ihrerseits auf den Begriff bringt und »technisch« zu transformieren beginnt. Sie iibernimmt ihre Ar­beit zunáchst noch abstrakt, ais sich unbewufiter, subjektiver Drang. Ihrem Resultat geht nicht die Zwecksetzung eines bewufit reflektierenden Subjekts voraus, sondern der subjektive Begriff eines Zwecks an sich »als wesentliches Streben und Trieb, sich àufierlich zu setzen**. Ohne, wie Hegel, auf einen bereits vorangegangenen »Stoff-wechsel mit der Natur* einzugehen, legt spater Gehlen, in ex­tenso, der Struktur technischer Rationalitát eine Triebbasis zu-grunde: »Gibt es nâmlich so etwas wie eine Tiefenbindung an rhythmische, periodische, selbstláufige Aufienweltprozesse, so wird die in der Technik liegende Triebkomponente versteh-bftrer.»* Habermas kehrt zunáchst zu den Ansátzen Hegels zu-riick, wenn er schreibt, die Logik technischer Entwicklung ent-ipráche »der Struktur zweckrationalen und am Erfolg kontrol-lierten Handelns, und das heifit doch: der Struktur der Ar­beit*4. Offenbar kann Habermas darin jedoch nur einen Zirkel lahen; so setzt auch er - an Gehlen anschliefiend - eine Basis zweckrationalen Handelns, die nicht aus ihr selbst erklárt ist: es ilt die merkwiirdige Basis einer technischen Entwicklung, die sich

1 Lenin, a. a. O., S. 109 ' Hegel, Wissenschaft der Logik Bd. I I I , Leipzig 1963, S. 223/224 • A. Gehlen, Die Seele im technischen Zeitalter, Hamburg 1957, S. 17 4 Habermas, Technik, S. %6

13

Page 7: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

aus triebstrukturellen und physiologischen Elementen zusam-mensetzt: «Jedenfalls fiigt sich die technische Entwicklung dem Interpretationsmuster, ais hatte die Menschengattung die ele-mentaren Bestandteile des Funktionskreises zweckrationalen Handelns, der zunáchst am menschlichen Organismus festsitzt, einen nach den andem auf die Ebene technischer Mittel proji-ziert und sich selbst von den entsprechenden Funktionen ent-lastet.«5 - Dieser Schematismus, so geheimnisvoll vollzogen er hier vorgestellt ist, garantiert wenigstens schlau eine Einheit zwischen menschlichem Organismus und technischem Fortschritt durch die Triebbasis von beiden. Hegel selbst dagegen hatte auf die unmittelbar riickwirkende Veránderung der noch triebhaften Zwecktátigkeit hingewiesen: »Dieses negative Verhalten gegen das Objekt ist ebenso sehr ein negatives gegen sich selbst, ein Aufheben der Subjektivitàt des Zwecks - positiv ist es die Realisation des Zwecks, námlich die Vereinigung des objektiven Seins mit demselben.«s Hegel kann damit sowohl die organische Struktur des «Lebendigen Indivi-duums«, soweit sie sich werkzeughaft-instrumentell ausgebildet hat, ais auch die gesamte arbeitsteilige Organisation der »Men-schengattung« ais das Resultat eines zweckrationalen Handelns begreifen, durch das die Natur, ais verarbeitete, in die Ratio­nalitát ais technische mit eingeht und sie ais jeweils besondere mitkonstituiert. - Dem entspricht die biologische Erkenntnis iiber die Organfunktionen, durch welche die Giiltigkeit der Gehlen-Habermasschen Thesen entscheidend eingeschránkt wird: »Wir werden heute«, schreibt Bertalanffy, »immer mehr zu dem Schlufi gefiihrt, dafi der Organismus primar ais ein einheitlich und dynamisch regierendes System zu betrachten ist; sekundár freilich erfáhrt diese einheitliche Reaktion eine Einschrãnkung durch eine fortschreitende Mechanisierung einzelner Abláufe in ihm. Die Organismen sind keine Maschinen, wohl aber kõnnen einzelne Organe bis zu einem gewissen Grade zu Maschinen werden, zu Maschinen erstarren.«7

Will Habermas, wenn er die These, der Funktionskreis zweck­rationalen Handelns sitze zunáchst am Organismus fest, auf-rechterhált, mehr damit sagen, ais dafi die Entáufierung mensch-licher Bedurfnisse nicht ohne den menschlichen Organismus ge-

« Ebd. * Hegel, Logik, S. 235 7 L . v. Bertalanffy, Das Gefuge des Lebens, 1937, S. 13

schehen kõnne, dann mufi er verzichten, den Prozefi gesell-ichaftlicher Arbeitsteilung, technischer Entwicklung und rationa-ler Zwecksetzung nachvollziehen zu kõnnen. Habermas modifi-ziert aber Gehlens These nur dahingehend, dafi die Struktur zweckrationalen Handelns zwar aus einer psycho-physiologischen Grundstruktur abgeleitet sei, doch wiirde diese im Verlauf der Entwicklung gerade ais Triebkomponente zuriickgelassen und schliefilich umgekehrt, in ihrer Zwecksetzung, von der Technik jelbst bestimmt. Fiir Hegel besteht das Problem einer archaischen Rúckkopp-lung blofi subjektiver Zweckhaftigkeit schon deshalb nicht, weil er sie bereits ais Resultat einer, wenn auch dumpfen, Natur-tStigkeit begreift. Hegel begriff zu gut, wie sehr solche Anfánge technischer Entwicklungen selbst erst durch ihre jeweiligen Ergeb-nisse definierbar werden. Daher geht er unumwunden der táti-gen Zwecksetzung selbst nach: «Der Zweck bedarf eines Mittels ZU seiner Ausfiihrung, weil er endlich ist - eines Mittels, d. h. einer Mitte, welche zugleich die Gestalt eines âufierlidien, gegen den Zweck selbst und dessen Ausfiihrung gleichgultigen, Da-leins hat.«8

Hegel kommt auf ein doppelt ineinandergreifendes Beziehungs-lystem von Mittel und Zweck, innerhalb dessen sich bis heute weitgehend die Auseinandersetzung mit dem Verháltnis von Natur, Technik und Herrschaft bewegt. Er spricht zunáchst von der eigenartigen Zwecklosigkeit reiner Mittel-Zweck-Ketten: »Insofern die Tátigkeit (die Realisation von Zwecken vermittels der Mittel, H.-D. B.) wieder blofi darin bestunde, die unmittelbare Objektivitát zu bestimmen, so wiirde das Produkt wieder nur ein Mittel sein und so fort ins Un-endliche; es káme nur ein zweckmáfiiges Mittel heraus, aber nicht die Objektivitát des Zwecks selbst. «6

Was Hegel begriff - námlich die seltsame Ignoranz der tech­nischen Rationalitát gegen das eigene Produkt, das sie áufierlich gesetzt hat, und die >Gleichgultigkeit< arbeitender Mittel-Zweck-Ketten gegen die auftraggebende Zweckbestimmung - ist inzwi-schen zum emphatischen Element der Ideologie vom «technischen Fortschritt*10 geworden: »Denken kennt keine Grenzen. Das

* Hegel, Logik, S. 239 * Ebd., S. 240

leb ventehe hier allgemein unter Ideologie die Gestalt, durch die technischer Fortschritt nachtraglich interpretiert, hypostasiert und legitimiert wird - im

14 15

Page 8: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

Ziel unserer Denker ist technisches Neuland. Sinnvolle Koopera-tion und multinationale Verzahnung des know how, vermittelt durch die gemeinsame Sprache der Technik, steigern Leistung und Ergebnisse auf allen Gebieten. Vom Einfallsreichtum dieser Den­ker hángt wesentlich unsere industrielle Entwicklung ab.*11

»Wissenschaftlicher« ais in diesem Werbetext kehrt das Hegelsche Und-so-fort-ins-Unendliche in folgender Gestalt, zugleich ais immerwáhrender Trieb an sich, wieder auf: »Zum technischen Fortschritt rechnen wir in den Wirtschaftswissenschaften tech­nische Neuerungen erst dann, wenn durch sie mit einem be-stimmten Einsatz an Mitteln ein grõfierer Produktionsertrag er-zielt werden kann.*1* Die eine Seite des Beziehungssystems, aus dem die Mittel-Zweck-Ketten verstándlich werden, bezeichnet Hegel zum einen ais Gewaltverháltnis, zum andern ais das listige Verhãltnis des subjektiven Zwecks gegenuber seinen Mitteln. Im Gewaltverháltnis liegen Waffe, Jagd- und Arbeitswerkzeug gleichsam noch ineinander verflochten; aber sie bezeichnen be­reits den Bruch zwischen Mensch und áufierer Natur: »In der endlichen Zweckmáfiigkeit ist die Mitte dies, in die zwei ineinan­der áufierlichen Momente, die Tátigkeit und das Objekt, das zum Mittel dient, Gebrochene. Die Beziehung des Zwecks ais Macht auf dies Objekt und die Unterwerfung desselben unter sich ist unmittelbar. « 1 S

Dafi durch diese Macht des Zwecks14 iiber sein Mittel auf das Objekt, das unterworfen werden soll, bereits das Verhãltnis zur Natur und damit das Verhãltnis der Gesellschaft zu sich selbst gebrochen ist - dies meint die These von der ausgebeuteten Na­tur, die nur so mythisch ist wie die unterwerfende Macht selbst: »Die Arbeit«, schrieb Walter Benjamin, »wie sie nunmehr ver-standen wird, láuft auf die Ausbeutung der Natur hinaus, welche man mit naiver Genugtuung der Ausbeutung des Proletariats gegeniiberstellt.«15

Unterschied zur Gestalt der technokratischen Ideologie, durch die vermittels bestimmter Besonderheiten des technischen Fortschritts gesellschaftliche Herr-schaftsinteressen allererst durchgesetzt werden sollen.

1 1 Vgl. Der Spiegel, 2. Juni, 1969 1 2 T. Wessel, in: wissenschaft und Technik, Koln-Opladen 1967, S. 185/186 1 8 Hegel, Enzyklopãdie der phil. wissenschaften, Hamburg 1958, S. 180 1 4 Hier besteht noch, vorkapitalistisch, eine Einheit von Zwecksetzung und

-realisation 1 4 w. Benjamin, Geschichtsphilosophische Thesen, in: Zur Kritik der Gewalt,

Frankfurt 1965, S. 87

16

Habermas kritisiert die angebliche Tendenz in Benjamins, auch Blochs, Adornos und Marcuses Schriften, durch ein Analogie-•fWrfahren der bearbeiteten oder gejagten Natur mythisch ein lei-dendes Subjekt zu unterschieben, und er setzt dieser Tendenz die ajternative Verhaltensstruktur entgegen: »Statt Natur ais Ge-genstand mõglicher Verfugung zu behandeln, kõnnen wir ihr ais Gegenspieler einer mõglichen Interaktion begegnen.«18 Die ais •sich rãchend* vorgestellte ausgebeutete Natur hat fiir Haber­mas damit nur das freundlichere Gehabe eines »Spielers« erhal-ten, wáhrend sie von Benjamin ais die der Arbeitskraft real ge­dacht war. Habermas glaubt mit dieser Unterscheidung eine »Unsicherheit« Marcuses umgehen zu kõnnen, die darin bestehe, Natur ais Pro-duktivkraft entweder in politischer Unsdiuld oder politischer Verderbtheit begreifen zu mussen, wenn Herrschaft ais der tech­nischen Rationalitát immanent verstanden werden soll.17 Dies gelingt Habermas nur dadurch, dafi er das Problem des Natur-lubjekts, das so naiv bereits bei Ovid nicht mehr gedacht war, tus einer Sphare in die andere verlegt. Damit soll sowohl die Technik ais auch der menschliche Organismus, aus dem sie »ent-springe*, dem Bereich der rein ãufieren Natur, die ohne Selbst ist» zugeordnet werden. Habermas besteht auf der Technik-Kon-nption Gehlens, obwohl er andererseits - mit Hegel - daran festhâlt, dafi der Naturbereich uns nie anders ais bereits gesell-schaftlich gebrochen zum Gegenstand werden kann. Die technische Verfugung iiber diese »Naturgegenstãnde« - und dai haben Benjamin und Marcuse deutlicher gespiirt - liegt in einer eigentumlichen Zwischenspháre zwischen »reiner Arbeit« und »reiner Interaktion«, vielmehr: das Postulat solcher Rein-heit ist fiktiv, da beide Bereiche lángst durch das Mittel vermit­telt sind. - Die »Macht« des Zwecks an sich ist - abstrakt ge-lehen - nur die des bewufit zwecksetzenden und zweckrealisie-renden Subjekts in der Natur, auch wenn Hegel zurecht diese Tátigkeit real nicht anders ais gegen die Natur, d. h. ais mili-ttnt herrschende vorfinden konnte.18

" Habermas, Technik, S. 57 » Vgl. Ebd., S. 58 " D M werkzeughafte, noch nicht technische Verhãltnis besteht trotz Arbeits-

Milung noch in der Einheit von Zwecksetzung und Zweckrealisation, die erst mit dem Scheidungsprozefi von Produzent und Produktionsmittel zerbricht. Erit im listigen Verhãltnis wird der Bruch zwischen Bestimmung der Arbeit Und dieser selbst, ais Ausfiihrung dieser Bestimmung, vollzogen, wodurch der

17

Page 9: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

Die andere Seite des Beziehungssystems, aus dem die Mittel-Zweck-Kette verstándlich wird, beschreibt Hegel so: »Dies, dafi der subjektive Zweck, ais die Macht dieser Prozesse, worin das Objektive sich aneinander abreibt und aufhebt, sich aufier ihnen hált und das in ihnen sich Erhaltende ist, ist die List der Ver­nunft.*19 Das Instrument, ais kõrperliches Organ oder ais Werk-zeug, war, von der ersten Seite des Systems her gesehen, die un­mittelbare Arbeit des zwecksetzenden und zweckrealisierenden Subjekts ais gewalttâtige Unterwerfung der eigenen und der ãufieren Natur. Nun erscheint die bearbeitete Natur selbst ais Mittel gegeniiber dem Mittel: das Subjekt lãfit listig die von ihm bereits bearbeitete und unterworfene Natur nun ihrerseits Na­tur bearbeiten. Zugleich entzieht sich damit das Subjekt seiner anfãnglichen Arbeit und produziert auf erweiterter Stufe. -Dafi sich das zwecksetzende Subjekt nun selbst nicht mehr ver-braucht in seiner anfãnglichen Arbeitssphãre, sondern sich durch diese zu erhalten vermag, darin hebt aufierdem das Subjekt nachtrãglich den Werkzeugcharakter der Organe auf, den er fiir den anfãnglichen Zweck ausgebildet hatte. Sobald also das Werk-zeug selbst zur Bedingung geworden ist, vorher nicht bestehende Zwecke bestimmen, realisieren und erzeugen zu kõnnen, hat das Verhãltnis der instrumentellen Entwicklung keinen naturwiich-sigen Bezug mehr zum menschlichen Organismus: das bestehende Werkzeug bedingt und bestimmt die weitere Entwicklung der Werkzeugbildung mit. Erst auf dieser Stufe kann ein Begriff der Selbsterhaltung - ais geschichtliches Resultat einer gesell­schaftlichen Arbeitsteilung - gebildet werden. Aber es liegen noch einige geschichtliche Entwicklungsbriiche zwischen ihm und der Ahnung, »dafi die Vollendung der technischen Vernunft*, wie Marcuse schreibt, »sehr wohl Instrument der Befreiung des Menschen werden kann**0.

Hegel beschrieb den gesamten Bereich des Beziehungssystems von Mittel-Zweck-Ketten ais den der ãufieren oder endlichen Zweck­máfiigkeit: »Dafi der Zweck sich unmittelbar auf ein Objekt be-zieht und dasselbe zum Mittel macht, wie auch dafi er durch dieses ein anderes bestimmt, kann ais Gewalt betrachtet werden, insofern der Zweck ais von ganz anderer Natur erscheint ais das

Objekt und die beiden Objekte ebenso gegeneinander selbstãn-dige Totalitãten sind. Dafi der Zweck sich aber in die mittelbare Bcziehung mit dem Objekt setzt und zwischen sich und dasselbe ein anderes Objekt einschiebt, kann ais die List der Vernunft angesehen werden.*21

Doch gerade dieses Vermittlungsverhãltnis, in dem sich die List nur ais in sich reflektierte, materielle Gewalt zu erkennen geben «nufi, hat auf vermittelter Ebene - wie Hegel mit objektiver Resignation bemerken mufi - das anfãngliche Verhãltnis wie-derhergestellt: »In der endlichen Zweckmáfiigkeit ist aber auch der ausgefiihrte Zweck ein so in sich Gebrochenes, ais es die Mitte und der anfãngliche Zweck war.**8

Beginn der Akkumulation der »Mittel« nicht mehr nur ais gewalttâtige »ur-ipríingliche Akkumulation* geschieht. - m m — —

" Hegel, Enzyklopãdie, S. 180 II H«|( l , Logik, S. 241 »° Marcuse, Industrialisierung, S. 127 M Hlgfl, Enzyklopãdie, S. 181

18 19

Page 10: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

3. Geschichte der Technik ais Technik der Geschichte

Durch zwei Wendungen versucht Hegel die schlechte Unend-lidikeit des Progresses abzubiegen, ohne den Zwangsdiarakter der endlichen Zweckmáfiigkeit aufheben zu kõnnen. Zum einen durch eine Umkehrung der Bewertung: »Insofern ist das Mittel ein Hõheres ais die endlichen Zwecke der ãufieren Zweckmáfiig-keit; der Pflug ist ehrenvoller, ais unmittelbar die Geniisse sind, welche durch ihn bereitet werden und die Zwecke sind. Das Werkzeug erhãlt sich, wãhrend die unmittelbaren Geniisse ver-gehen und vergessen werden. An seinen Werkzeugen besitzt der Mensch die Macht iiber die áufierliche Natur, wenn er auch nach seinen Zwecken ihr vielmehr unterworfen ist.*1 Auf dieser Stufe erscheint das zwecksetzende Subjekt nicht mehr ais eines, das sich durch die Mittel-Zweck-Kette hindurch erhãlt; vielmehr ist Folge der Entlastung von Arbeit geworden, dafi die Instru­mente nicht nur zur Bedingung der Selbsterhaltung wurden, son­dern dafi sie ihrerseits die Selbsterhaltung dem Subjekt geradezu abzunehmen beginnen und zweckbestimmend werden, d. h. ais Macht einer instrumentell gewordenen Natur dem Menschen die Weise seiner Selbsterhaltung zu diktieren beginnen. - Anders ausdgedriickt: die Bedingungen der Natur, welche das arbeitende Subjekt in seine Zwecke hineinzog und sie gleichsam in der Ar­beit zum zweitenmal realisiert - nãmlich ais Instrument - diese Bedingungen werden zu denen der Selbsterhaltung iiberhaupt. Die Mõglichkeit freier Zwecksetzung in der Arbeit weicht durch die fortschreitende Realisation der endlichen Zwecke dem Sach-zwang eines Bereiches realisierter Mittel, dem sich die selbst-erhaltende Gattung nun zu unterwerfen hat. - Das Werkzeug aber, das sich durch die menschlichen Bedurfnisse hindurch er­hãlt, ist zugleich das in ihm aufgehobene Subjekt der Arbeit, das in ihm ais Idee des »Hõheren« noch geahnt wird.

1 Hegel, Logik, S. 241/142

20

Hegel war in der «Jenenser Realphilosophie« nãher an der Auf-fôsung dieses Mythos' eines scheinbar in der Technik* sich rachenden Natursubjekts, das in der » Logik* nur noch ais »Dik-tat eines Hõheren* erscheint: »In der Maschine hebt der Mensch selbst diese seine formale Tátigkeit auf und láfit sie ganz fiir ihn arbeiten. Aber jener Betrug, den er gegen die Natur ausiibt, () racht sich gegen ihn selbst; was er ihr abgewinnt, je mehr er sie unterjocht, desto niedriger wird er selbst. - Das Arbeiten, das ihm iibrigbleibt, wird selbst masdiinenmáfiiger.«8 Aller­dings lõste erst Marx diese Mystifikation auf, indem er List und Gewalt technischer Rationalitát ais besondere innerhalb der Pro-duktionsverháltnisse begriff, und nicht - wie Hegel - per se das gewalttâtige und listige Verhãltnis der technischen Rationalitát zur ausgebeuteten Natur zu einer absoluten Logik des Stoff-wechsels mit der Natur erklárte: »Die Tátigkeit des Arbeiters, auf eine blofie Abstraktion der Tátigkeit beschránkt, ist nach allen Seiten hin bestimmt und geregelt durch die Bewegung der Maschinerie, nicht umgekehrt. - Durch die Produktion in enor-men Massen, die mit der Maschinerie gesetzt ist, verschwindet ebenso am Produkt jede Beziehung auf das unmittelbare Bediirf-nis des Produzenten und damit auf unmittelbaren Gebrauchs-wert.*4 Das »Ehrenvolle« des Produktionsmittels gegeniiber den Bedurfnissen zergeht hier vor der Erkenntnis der Verstumme-lung und des Abstraktwerdens von Arbeit und Bedurfnis zu-sammen. Die Struktur der technischen Rationalitát - das lehrt der Rekurs auf Hegels Begriff der ãufieren Zweckmáfiigkeit -ilt ohne die geschichtliche Besonderheit der gesellschaftlichen Ar-beitsteilung nur um den Preis einer Ideologie zu begreifen. Die zweite Wendung, mit der Hegel die schlechte Unendlichkeit dtS Mittel-Zweck-Progresses abzubiegen versucht, erscheint nur subjektivistisch konstruiert, gemessen an Hegels eigenem An-iprudi, geschichtliche Vermittlungsprozesse immanent nachzu-yollziehen - námlich in der Form einer Dialektik, die sich leicht-ítrtig iiber ihren Gegenstand erhebt, anstatt aus ihm hervorzu-fflhen: »Der ausgefuhrte Zweck ist auch Mittel, und umgekehrt

' MtA kann, wie noch ausgefuhrt wird, die technische Entwicklung erst mit (ta Trennung von Produzem und Produktionsmittel setzen, denn erst dann wird das Produktionsmittel das »Hõhere« einer Zwecksetzung, die sich ihre Mittel realisieren lâfit durch die Verfugung iiber eine fremde Arbeitskraft.

' Ht l t l , Jenenser Realphilosophie, S. W. Bd. 19, S. 237 ' M i n , Grundrisse der Kritik der polit. Dkonomie, Berlin 19531 S. 584/585

Page 11: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

ist die Wahrheit des Mittels ebenso dies, realer Zweck selbst zu sein.«5 - Die schlechte Unendlichkeit der ãufieren Zweckmáfiig­keit wird ais der Zweck angegeben, den sich das arbeitende Sub­jekt von vornherein gesetzt habe. Sie geht somit ais Idee in die organischen Stufen - »Das lebendige Individuum«, »Der Le-bensprozefi«, »Die Gattung« — mit ein. Hegel verkennt, dafi das Bewufitsein dariiber, welchen Zweck der unendliche Progrefi aufierer Zweckmáfiigkeit habe, gerade nicht aus diesem selbst hervorgehen kann. Der menschliche Or­ganismus, im Resultat seiner Arbeit ais und durch das Werkzeug besonders geformt worden, mufi selbst bereits von der Idee eines Zwecks bestimmt sein, in der mehr gemeint war, ais die ewige Reproduktion des arbeitenden Subjekts auf jeweils zwar hohe-rer und dennoch blofi wiederholter Stufe.6

Bereits Kant hatte diese Dialektik der fortschreitenden Repro­duktion bemerkt, ais er vom »glánzenden Elend«7 einer Kultur sprach, deren ãufiere Zweckmáfiigkeit zu keinem Sinn kommen will: »Die Hervorbringung der Tauglichkeit eines verniinftigen Wesens zu beliebigen Zwecken iiberhaupt (folglich zu seiner Freiheit) ist die Kultur. - Die Plagen aber wachsen im Fort-schritte derselben.*8

5 Hegel, Logik, S. 248 6 Dennoch hat Hegel damit ein wesentliches Merkmal burgerlicher Produktion

getroffen, das Adorno folgendermafien ableitet: »Die Konvergenz totalen Fortschritts in der burgerlichen Gesellschaft, die den Begriff schuf, mit der Negation von Fortschritt entspringt ihrem Prinzip, dem Tausch. Er ist die rationale Gestalt der mythischen Immergleichheit. Im Gleich um Gleich jeden Tauschvorgangs nimmt der eine Akt den andem zuriick; der Saldo geht auf. War der Tausch recht, so soll nichts geschehen sein, es bleibt beim alten. Zugleich aber ist die Behauptung von Fortschritt, die dem Prinzip wider-streitet, so weit wahr, wie die Doktrin des Gleich um Gleich Luge ist. Von je, gar nicht erst bei der kapitalistischen Aneignung des Mehrwerts im Tausch der Ware Arbeitskraft gegen deren Reproduktionskosten, empfangt der eine, gesellschaftlich mãchtigere Kontrahent mehr ais der andere. Durch dies Un-recht geschieht im Tausch ein Neues, wird der Prozefi, der die eigene Statik proklamiert, dynamisch.» Th. W. Adorno, Fortschritt, in: Stichworte, Frank­furt 1969, S. 48. - Habermas dagegen ist der Ansicht, Hegels Schwierig-keiten, aufiere und innere Zweckmáfiigkeit vermitteln zu konnen, entstehe erst aus dem selbstauferlegten Zwang einer durchgangigen «Teleologie des sich realisierenden Geistes*; Habermas glaubt, durch einen Riickgriff auf paral-lelisierende Konstruktionsformen beim jungen Hegel die Schwierigkeit, Ge­schichte ais die ihrer Briiche und herrschenden Vermittlungen verstehen zu miissen, umgehen zu kõnnen. Vgl. Habermas, Arbeit und Interaktion, in: Technik, S. 27, Anm.

7 I . Kant, Kritik der Urteilskraft, Leipzig 1956, S. 382 8 Ebd., S. 381 u. 382

Nachdem Hegel die schlechte Unendlichkeit der ãufieren Zweck-IBSfiigkeit ais deren reales Wesen bestimmte, fãhrt er fort: »Die Bewegung des Zwecks hat nun dies erreicht, dafi das Moment der Xufierlichkeit nicht nur im Begriff gesetzt, er nicht nur ein Sollen and Streben, sondern ais konkrete Totalitát identisch mit der Unmittelbaren Objektivitát ist.«9 Diese Totalitãt ist nach Hegel die Idee. Im Unterschied zu Gehlen, demzufolge die Struktur zweckratio­nalen Handelns nicht nur riickgekoppelt an »selbstlãufige Aufien-W«ltprozesse«, sondern vielmehr - ais dessen Triebkomponente -> an diese gebunden bleibt, Technik demnach naturhaft-instink-thr konstituiert wird, wobei die arbeitende Vernunft in diesen Akt nur hilflos verklammert bleibt - im Unterschied dazu kehrt ikh bei Hegel das Verhãltnis um: Die Struktur zweckrationalen Handelns, samt der erarbeiteten Mittel, erzeugt erst diese be-•oadere Organstruktur des gesellschaftlichen Lebens ais Organi-Mtion ihrer Geschichte.

So berechtigt mir Habermas' Anliegen scheint, den Begriff •Ideologie* ais Schõpfung der burgerlichen Gesellschaft auf de-ren Geschichte auch zu begrenzen - er verwendet bezuglich der •Wrburgerlichen Geschichte den angemesseneren Begriff der »Herrschaftslegitimation durch kosmologische Weltinterpreta-táon«10 - so wenig konnte er damit gerade den vorburgerlichen Zweck in der Praxis fassen, die sich bis heute ais technischer Fortschritt ad infinitum zu vollziehen scheint, und den Hegel ais Idee begriff. Das wird an der historischen Wende deutlich, die den Ubergang von »Weltinterpretationen« zu «Ideologien* bestimmte: Nico-laus von Cues hat diese Metaphysik der technischen Praxis, die Ihren unendlichen Progrefi noch am einzelnen Werkzeug und tchon ais »Wesen der neuzeitlichen Technik* zu interpretieren Vtrsteht, noch ais Weltinterpretation und schon ais Ideologie konstruiert; nãmlich indem er die Unversohntheit aufierer und bnerer Zweckmáfiigkeit bereits ais den Prozefi der Idee be-KBrieb, die bei Hegel dann ais Logik des burgerlichen Interesses •ridieint: Ein Handwerker versucht einem Philosophen zu er-

• Hegel, Logik, S. 2-1 W Habermas, Technik, Vgl. S. 68/69

22 23

Page 12: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

lãutern, auf welche Weise er in seiner Arbeit den Zweck dersel­ben realisiert, ohne ihn wirklich setzen zu kõnnen: »Der Lõffel hat aufier der Idee in unserem Geiste kein weiteres Urbild. -Dabei ahme ich nãmlich nicht die Gestalt irgendeines Naturdings nach. - Meine Kunst besteht deshalb mehr im Zustandebringen ais im Nachahmen geschaffener Gestalten, und darin ist sie der unendlichen Kunst áhnlicher. - Daher bearbeite ich den Stoff, d. h. das Holz, durch die vielfache Bewegung meiner Werkzeuge, die ich verwende, und hõhle ihn aus, bis in ihm das erforderliche Verhãltnis entsteht, in dem die >Form<, die den Lõffel zu einem solchen macht, geziehmend widerstrahlt. So siehst du die einfache und unsichtbare Form des Lõffelseins in dem Gestaltverhãltnis dieses Holzes wie in ihrem Abbild widerstrahlen. Daher kann die wahre Beschaff enheit (veritas) und die Genauigkeit des Lõf­felseins, die nicht vervielfacht und nicht iibertragen werden kann, niemals durch Werkzeuge irgendwelcher Art und durch irgendeinen Menschen in vollkommener Weise sichtbar gemacht werden.«u Nicolaus von Cues begreift hier bereits, dafi auch im einzelnen Werkzeug die Form nur in einem unendlichen Annãherungsprozefi herausgearbeitet werden kann; denn ge-lãnge die vollstándige Angemessenheit an den Zweck, wáre die Form des Werkzeugs oder Gebrauchsgegenstandes bereits iden-tisch mit der ounendlichen Kunst«. Produktion und Antrieb des »Zustandebringens« hàtten sich aufgehoben; der Mensch bliebe der einmal erarbeiteten Stufe seiner Geschichte absolut verhaf-tet. Aber die Tátigkeit garantiert den Fortschritt; die Annãhe-rung ans erahnte »Urbild« ist seine Voraussetzung: Das Wesen dieser Produktion wird zur Metaphysik der Rationalitát tech­nischer Entwicklung, die, im unendlichen Progrefi, ihre antago-nistischen Widerspriiche so wenig zu lõsen vermag wie die herr-schende Warentausch-Gesellschaft ihre kontrahierenden Bediirf-nisse, die das Ferment jener Metaphysik sind. In Hegels Theorie hat sich diese Metaphysik der Rationalitát technischer Entwicklung zum System der gesellschaftlichen Pro-duktionsverhãltnisse verdichtet.

Zunãchst verlãfit Hegel die Ebene des Gewalt- und Listverhãlt-nisses und beschreibt die Eigenart eines Aneignungsprozesses der

1 1 Nicolaus von Cues, Der Laie iiber den Geist, Hamburg 1949, S. 13 ff. -Neu gegenuber Aristóteles ist, dafi die Widerstãndigkeit nicht mehr in der Materialitãt des Stoffes begriffen wird, sondern im Prinzip der causa effi-ciens gegenuber der causa finalis.

*4

ufieren Natur: »Mit der Bemãditigung des Objekts geht daher r mechanische Prozefi in den inneren iiber, iiber welchen das idividuum sich das Objekt so aneignet, dafi es ihm die eigen-mliche Beschaffenheit benimmt, es zu seinem Mittel macht und

'_ine Subjektivitàt ihm zur Substanz macht. Die Assimilation ilitt damit in eins zusammen mit dem oben betrachteten Repro-luktionsprozefi des Individuums.»18 - Was Hegel derart schil-ffert, ist eine von Gewalt und List formal befreit erscheinende «Bchnische Rationalitát, die sich in ihrem Resultat, dem Produkt, jedoch eher zufãllig durchzusetzen scheint. Das technische Pro­dukt ist ais Mittel zugleich Produkt einer Transformation wirk-Mtmer Natur, in die sich das arbeitende Subjekt hineingearbeitet hat. Eigene, d. h. leibliche, und selbstlose, d. h. áufiere Natur bleiben im Produkt aufgehoben wirksam; das, was ihre ver-Snderte Struktur ausmacht, verdankt die Technik nicht nur der *Mitwirksamkeit« der Natur, sondern zugleich dem gesellschaft­lichen Zweck, der in ihr ais substantieller realisiert und auf­gehoben ist. Damit jedoch liegt in der Struktur der Technik selbst real die Idee, námlich ais aufgehobenes Resultat einer ineinander ver-flochtenen, historisch besonderen Vermittlung von Natur und Arbeit. - Damit kann der Charakter der Ideologie von der »ar-|«itenden Maschine* verdeutlicht werden: Durch sie soll verbor-fen bleiben, dafi die Technik wesentlich aufgehobene Arbeit ist. pie Maschine kann aber nicht nach einer Arbeitstátigkeit defi-piert werden, der sie allererst Bedingung geworden ist. wenn das zweckmàfiige Mittel, das in der Form gesellschaftlich •ífgehobener Arbeit erscheint, eine Bedingung anderer, erwei-Sfter Zweckbestimmung geworden ist, dann wird nachtrãglich •lar, dafi der erzeugte Progrefi von Mittel-Zweck-Ketten nicht, pie Hegel letztlich doch annahm, setets auf erhõhter Stufe nur das anfãngliche Verhãltnis erneuern miisse; das heifit aber, dafi es keine meta-historische Logik ist, nach der zwingend stets der ausgefiihrte Zweck sich nachtrãglich blofi ais zweckmãfiiges Mit­tel entpuppen miisse. Die technische Rationalitát schleppt List und Gewalt nicht aus einer absoluten, inneren Notwendigkeit durch die Geschichte hindurch; diese sind vielmehr unter der veranderten Arbeitsteilung ihre eigene, besondere Geschichte. Bilher aber hat die Idee, die den Zweck der ãufieren Zweckmá-

" Hegel, Logik, S. 276

25

Page 13: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

fiigkeit bilden solhe, nur - wie an Nicolaus von Cues sichtbar wurde - die schlechte Unendlichkeit eines âufierlich gebliebenen technischen Fortschritts ais dessen Metaphysik legitimiert.13

Wie angedeutet, ging Hegel dieser Erkenntnis nicht nach; viel­mehr - was zur Bedingung des »absoluten Geistes* wird - er­scheint die ais Gattung realisierte Idee, die innere Zweckmáfiig­keit, nun ais das Gute, das durch die Arbeit nicht erzeugt, son­dern nur ais von Anfang an latent Vorhandenes und naturwiich-sig in ihr Wirksames erkannt wird: »Das ausgefuhrte Gute ist gut durch das, was es schon im subjektiven Zweck, in seiner Idee ist; die Ausfiihrung gibt ihm ein áufierliches Dasein.«14

Hegel kann sich diese Wendung, die die von Lenin bemerkten Ansátze eines historischen Materialismus preisgibt, nur durch einen Antagonismus einhandeln: »Die Tátigkeit des Zwecks ist daher nicht gegen sich gerichtet, um eine gegebene Bestimmung in sich aufzunehmen und sich zu eigen zu machen, sondern viel­mehr die eigene Bestimmung zu setzen und sich vermittels des Aufhebens der Bestimmungen der áufierlichen Welt die Realitát in Form áufierlicher Wirklichkeit zu geben.«16 Die áufierliche Welt bleibt positiv, d. h. bestimmungslos zuriick; zugleich aber beruht in der durch die Technik »selbstlos« gewordenen Natur die Antizipation, dafi die «áufierliche Welt« ais wirkliche Reali­sation der Zwecke ihre, der Gesellschaft zweckmàfiige Bestim­mung nur »jenseits« gewalttátiger und listiger Aneignung der Mittel finden kann. Die von Hegel beschriebene Realisation wird

1 8 Durch die Erkenntnis, dafi uns Technik ais aufgehobene Arbeit entgegen-tritt, kann der Begriff vom ausgebeuteten Natursubjekt zum Teil entmysti-fiziert werden: Was uns in der gesellschaftlichen Arbeit stets schon blofi ais Mittel dient, ist die realisierte Arbeit der bisherigen Menschengeschichte. In diesem Mittel tritt uns das Subjekt aufgehoben und doch prasent gegenuber; und es wird ein Rest von Entfremdung vom aufgehobenen Subjekt der eige-nen Gattung auch dann noch bestehen, wenn die eigene Arbeit ihre unmit­telbare Entfremdung abgestreift hat: námlich ais erinnerndes Erschrecken iiber das Mafi der Ausbeutung des Menschen, das in aufbewahrter Form in diesem Mittel, der Technik, prasent geblieben ist. - Was aber die Ausbeu­tung einer ãufieren Natur betrifft: es mag die Erinnerung an das zerschun-dene Arbeitstier zugrunde liegen, das ais Problem der gequãlten Natur nicht mit einer Handbewegung, wie Habermas es ais »Erbe der Mystik* abtut, beiseite geschoben werden kann. Bloch begriff dies, ais er schrieb: »An Stelle des Technikers ais blofien Oberlisters oder Ausbeuters steht konkret das ge-sellschaftlich mit sich selbst vermittelte Subjekt, das sich mit dem Problem des Natursubjekt» wachsend vermittelt.» E . Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt 1959, S. 787

1 4 Hegel, Logik, S. 344 1 5 Hegel, Logik, S. 342

Mj! selbst ais das Gute, die Erinnerung nicht los, dafi die eigene íàsis die listig-gewalttãtige Einverleibung fremder Mittel, nám-pjh der Arbeitskraft anderer Subjekte, ist. Und Hegel deutet (ten gesamten Geschichtsprozefi danach: »In áhnlicher Weise (wie btim Bau eines Hauses - H.-D. B.) befriedigen sich die Leiden-(dbaften; sie fiihren sich selbst und ihre Zwecke aus nach ihrer ífaturbestimmung und bringen das Gebáude der menschlichen Ge-lellschaft hervor, worin sie dem Recht, der Ordnung die Gewalt gegen sich verschafft haben.«16 - Wird hier die Organisation der Gesellschaft nur nach der technisch gewordenen Gewalt der Pro-ttuktionsverháltnisse verstanden, so wohl deshalb, weil dem tech-nisthen Handeln - zur Zeit Hegels - eine Waffe in die Hand gigeben war, die noch nicht - wie spater - ais Anti-anti-Rakete Itlgleich listig geworden war. Kriegslist hatte ihr Zentrum noch ÍB der unmittelbar subjektiven Generalstãtigkeit: »Das ist die Llit der Vernunft zu nennen, dafi sie die Leidenschaften fiir sich wirken lãfit, wobei das, durch was sie sich in Existenz setzt, ein-bttfit und Schaden erleidet.«17

tn der »Logik« konnte die Tátigkeit aufierer Zweckmáfiigkeit ttlbst zu keinem Zweck kommen; erst das gesellschaftliche Le-ben der Gattung, ais Zweck der Zweckmáfiigkeit, war zur Ein-keit innerer und aufierer Zweckmáfiigkeit geworden, auch wenn diese Einheit durch die Unversõhnbarkeit der áufierlichen Wirk-Uchkeit des guten Zwecks und der áufierlichen Welt gekennzeich-Mt ist. So sehr die Arbeit der Gesellschaft durch Kampf und Kriegslist sich realisiert, setzte sie letztlich - ais »Gegenlist« der •fbeitenden gegen die herrschende Vernunft - auf eine emanzi-pttorische Bestimmung der Zwecke durch sich selbst. IR der Geschichte kehrt sich, nach Hegel, dieses Verhãltnis um: Emanzipation, ais Zweck der Geschichte, wird zum Triumphzug (111 jeweiligen Siegers, der listig und gewalttâtig sowohl Instru­mente und Arbeitskráfte strategisch einsetzt, ais auch taktisch das Zerwurfnis der Besiegten benutzt, um seine Zwecke zu errei-chin. Ais Sieger kann er iiber sich reflektieren: »Diese unermefi-tlehe Masse von Wollen, Interessen und Tátigkeiten sind die Werkzeuge und Mittel des Weltgeistes seinen Zweck zu vollbrin-gtn, ihn zum Bewufitsein zu erheben und zu verwirklichen.«18

H M l l , Philosophie der Geschichte, Stuttgart 1961, S. 71 » IM., S. 78 •» IM., S. 69

z6 27

Page 14: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

|Organismus und technische Rationalitát

T„jW>ld Gehlen leitet die »Notwendigkeit der Technik aus den (fcganmãngeln des Menschen*1 ab, und zwar vollziehe sich diese Ijlfilr in den Formen des Organersatzes, der Organverstárkung K|d: »schliefilich gibt es Entlastungstechniken, die auf Organ-tgtjftstung, Organausschaltung und schliefilich auf Arbeits-Ulparnis iiberhaupt bezogen sind*.* tbnSchst zum rationalsten dieser Begriffe, der Organverstãr-iMlttg: Bereits Aristóteles hatte bemerkt, dafi das Begreifen des tttfteren auf die Erfahrung des eigenen leiblichen Organismus' fftwiesen wird; der leibliche Organismus jedoch immer schon dvrcfa seine instrumentalen Âufierungen erscheint. Die Erklá-flt&g organisch-zweckmãfiiger Prozesse vollzieht sich in einem BÉÀtrãglichen Aufheben von Begriffen, die sich bereits durch dtl úistrumentelle »Hervorbringen« und dessen Produkte ge-hUdet hatten.3 Das heifit: Der gebildete Begriff eines tãtig sich •JHiiufiernden Organismus setzt den eines leiblichen Organismus', Cttkten Organe bereits produktiv und in einem arbeitsteiligen Vffháltnis zueinander stehen, voraus.4

• ©ehlen, Die Seele, S. 8 •BM. I Von den vier Ursadien — causa materialis, formalis, efficiens und finalis -

4li Aristóteles immer wieder am Modell der Baukunst explizierte, miissen drti in Bezug auf den Begriff des Organismus' - causa finalis, formalis und •fficiens - identisch gedacht werden. Die Verhaltnisse von Teil-Ganzem, Mittel-Zweck usf. lassen sich an einem Organismus nur nachweisen, wenn dleter zuvor ais »zerlegt< und dann die sich selbsttãtig organisierenden Ver-hUtnisse ais »zusammengesetzt« und teleologisch gedacht werden. Vgl. Ari-IWteles, Metaphysik, Berlin 1960, u. a. S. 136/137

4 Wenn Marx bemerkt: »Die Bildung der fiinf Sinne ist eine Arbeit der gan-Itn bisherigcn Weltgeschichtc. Der unter dem rohen praktischen Bediirfnis btfangene Sinn hat auch nur einen bornierten Sinn.« - so gilt dies nicht Weniger fiir samtliche in der gesellschaftlichen Arbeit organisierbaren Ele-

-— mente des leiblichen Organismus' - Marx, Nationalõkonomie und Philoso-1 9 Ebd., S. 70/71 í*i«. Stuttgart 1963, S. 242

Der Preis aber, den der Sieger dafiir zu zahlen hat, ist der Substanzverlust seiner eigenen Emanzipation: er besitzt nur das Bewufitsein von ihr, nicht sie selbst. »Die Weltgeschichte ist nicht der Boden des Gliicks. Die Perioden des Gliicks sind leere Blatter in ihr.« 1 8

28 29

Page 15: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

Dafi »Zwedsmáfiigkeiten« der Natur, die nicht durch ein ar-beitendes Subjekt selbst erzeugt wurden, seiner produktiven Tá­tigkeit dennoch analog gedacht werden miissen, ist eine »Ver-legenheit« idealistischen Denkens, auf die Kant bereits - nicht erst die kybernetische Terminologie - aufmerksam machte: »In einem solchen Produkte der Natur wird ein jeder Teil, so, wie er nur durch alie ubrigen da ist, auch ais um der andem und des Ganzen willen existierend, d. i . ais Werkzeug (Organ) ge­dacht.*5 Durch eine ais zweckmãfiig gedachte Natur soll »eine Art Kausalitát der Natur, nach einer Analogie mit der unsrigen im technischen Gebrauche der Vernunft, bezeichnet werden, um die Regei, danach gewissen Produkten der Natur nachgeforscht werden mufi, vor Augen zu haben«.6 Dieses Analogiedenken7

hat eine wesentliche Differenz, die sich mit dem Entstehen der modernen Naturwissenschaften herausbildete, bisher verwischt: die Differenz zwischen jeweils unmittelbar bestimmendem zweck­rationalen Handeln und den Verfahrensweisen technischer Ra­tionalitát, in denen der Zweck nur noch ais realisierter, aufge-hobener, vergegenstándlichter, d. h. selbstloser prasent ist. Das ist zu erkláren: Abgesehen davon, dafi dadurch die Differenz zwischen werkzeughafter und technischer Produktionsweise ver­wischt wird, kann die Organverstãrkungstechnik - Verstárkung der Faust zum Schlagstein, des Auges zum Mikroskop - ais Pro­dukt erst erzeugt werden, wenn das entsprechende Organ selbst bereits instrumental, bzw. ais instrumentell unzulánglich begrif­fen ist - was nur in der Arbeit geschehen kann. Das Organ kann also keine prima causa des Instruments sein, wie Gehlen und Habermas annehmen, wenn das Organ selbst erst instru­mentell werden mufite.

Dafi der Organverstárkung ein gesellschaftliches Interesse, das sich in der Arbeitsteilung und ihren Resultaten zu Bewufitsein bringt, vorausgehen mufi, ist, rein theoretisch, schon von Scho-penhauer beschrieben worden: »Daher wird der Leib ais eigent-liches Objekt, d. h. ais anschauliche Vorstellung im Raum, eben wie alie anderen Objekte, erst mittelbar, durch Anwendung des

5 Kant, Kritik der Urteilskraft, S. 201 • Ebd., S. 314/31$. - Die >Verlegenheit« besteht darin, dafi hier die zweck­

màfiige Beurteilung der Natur ais Apriori einer Zweckmãfiigkeiten erzeu-genden Arbeit dargestellt wird, statt umgekehrt. Dadurch wird der Schein erzeugt, ais ob Natur aus sich selbst heraus zweckmãfiig sei.

7 Vgl. K. W. Deutsch, Politische Kybernetik, Freiburg 1969, S. 12$ ff.

jtktetzes der Kausalitát auf die Einwirkungen eines seiner Teile • P den andern erkannt; also indem das Auge den Leib sieht, •MHand ihn betastet. Folglich wird durch das blofie Gemein-•pifal die Gestalt des eigenen Leibes uns nicht bekannt; sondern | Ír durch die Erkenntnis, nur in der Vorstellung, d. h. nur im Hbirn, stellt auch der eigene Leib allererst sich dar ais Ausge-Éjluites, Gegliedertes, Organisches.*8

mkht Teile des leiblichen Organismus werden demnach »ver-fMÉt«, sondern ihre ais unzureichend geworden interpretier-(•tíiWerkzeugfunktionen, die sich zuvor in der Arbeitsteilung Ijptusgebildet haben und sich nun, im Produkt der Arbeit auf-gtboben, in Form der Befriedigung zugleich ais Bediirftigkeit fjijthren. Ais subjektives verwirklicht sich zweckrationales Han-édo im Werkzeug, aus dem sich eine besondere, námlich zuvor ifarkzeugmáfiig ans Subjekt gebundene Organtâtigkeit zuriick-•kètt. Der Niederschlag zweckrationaler, instrumenteller Tátig-Wt ist im Werkzeug erst subjektlos geworden; subjektiver Xnreck ist nur ais aufgehobener, vergegenstándlichter in ihr.* Habermas vulgarisiert Gehlens Thesen folgendermafien: »Zu-Mtt sind die Funktionen des Bewegungsapparats (Hánde und Béfaie) verstárkt und ersetzt worden, dann die Energieerzeu-fjtttkg (des menschlichen Kõrpers), dann die Funktionen der Sin-BJÉtpparate (Augen, Ohren, Haut) und schliefilich die Funktio-Mades steuernden Zentrums (des Gehirns).«10

Damit wird eine Unsicherheit Gehlens, námlich die Differenz

'•JL Sitopenhauer, Werke Bd. I I , Leipzig 1938, S. 24. - Auf S. 373 entgegnet ^IV Kant, dafi die Zweckmãfiigkeit nicht »wie sie fiir den Intellekt existiert,

|U auch durch den Intellekt zustande gekommen wãre«. I Sthelling hat - in Bezug organischer Zweckmãfiigkeit zum Kunstprodukt -''éwsKn Vorgang von seinem Resultat her begriffen: »Die absolute Identitãt 4tt Zweckbegriffs mit dem Objekt selbst ist nun aber blofi aus einer Pro-

. chtktion *u erklãren, in welcher bewufite und unbewufite Tãtigkeit sich ver-tjnigen, aber eine solche ist wiederum nur in einer Intelligenz moglich.« W,W. J . Schelling, System des transzendentalen Idealismus, Hamburg 1957, & 178

••Habermas, Technik, S. 56. - N. Wiener schrieb: »Es war mir schon lange kUr gewesen, dafi die modernen ultraschnellen Rechenmaschinen . . . sehr gut XoSerungen von kunstlichen Sinnesorganen sein kõnnten.* N . Wiener, Ky­bernetik, Hamburg 1968, S. 49. - Ihm ist klar, dafi die Organe, die hier

f «tzt« werden sollen, nicht nur bereits instrumentell, d. h. »kiinstlich« riffen sind, sondern auch, dafi nicht ihre Tãtigkeiten transformiert wer-, sondern Funktionen derselben, d. h. »Aufierungen«, die eben bereits

ttchnisch an ihnen geworden sind. Habermas mufi verbal ebenso ausdrucken, WM er inhaltlich Ieugnet: dafi nãmlich »Sinnesapparate« technisch transfor-SOiert werden, nicht die Sinne selbst.

3 ° 31

Page 16: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

zwischen »Organverstârkung« und »Organersatz« erklãren zu kõnnen, vollends verwischt; denn was Gehlen allenfalls ais den »Ablõsungsprozefi« von Organverstárkung zur Organausschal-tung bezeichnet hatte, wird bei Habermas zum »Wesen« tech­nischer Entwicklung iiberhaupt hochstilisiert. Gehlen war sich immerhin noch bewufit, dafi schon das »Rad« keine leiblich-instrumentell korrespondierende Funktion aufweisen kann; er verwandte - der schematischen Einheit wegen - dafttr den Be­griff des Organersatzes, worunter Techniken zu verstehen seien, denen paradoxerweise kein leibliches Organ entspricht: es sind Techniken ais »Ersatz« fiir fehlende Organe. Die Erzeugung von Instrumenten in bezug auf nicht vorhan-dene, leibliche Organe, deren Abwesenheit ais »Organmangel« empfunden wird, denken zu miissen, fúhrt kaum iiber die platte Erkenntnis hinaus, dafi ihre Existenz irgendwie mit gesellschaft­lichen, damit auch leiblichen Bediirfnissen zu tun haben miisse; eine Erzeugung technischer Entwicklung aus der Physiologie des menschlichen Kõrpers lãfit sich damit, selbst und gerade wenn man die Geschichte der arbeitenden Vernunft in diesem Prozefi leugnet, nicht einmal schematisch denken. Dafi sich die leibliche Natur des arbeitenden Subjekts ais Erklá-rungsmodell fiir eine Entwicklung der Technik anbietet, hat sei­nen Grund erst in seinem Resultat: in den vom Werkzeugcha-rakter wieder entlasteten Organen, die sich durch diesen Prozefi nachtrãglich ais zweckmàfiige Teile - nicht nur eines Arbeits-vorgangs, sondern auch des ganzen leiblichen Organismus' - zu er-fahren vermõgen. Die Eigenart des Leibes, seine organisch und neurologisch bedingten physischen Veránderungen unmittelbar ais naturgemãfi und ais verniinftig-zweckmãfiig hinsichtlich von Zielen zu erleben, die aufierhalb seiner leiblichen Sphãre liegen, ist eine der ersten Ergebnisse und noch abstrakten Bedingungen weiterer Differenzierungen der Arbeitsteilung; aber nicht deren erste Ursache, da die begriffene Bedingung erst Resultat einer besonderen, der werkzeughaften Arbeitsteilung ist. Es gibt kein schematisches Zuerst-und-dann, es sei, man nimmt die biblische Schõpfungsgeschichte ais Kriterium der technischen Entwick­lung. Der «stets zunehmende Ersatz des Organischen durch das An-organische«u, den Gehlen ais Geschichte der Technik sieht, lãfit,

1 1 Gehlen, Die Seele, S. 9

32

im Gedanken, umgekehrt die Technik auch ais «anorganisch ge-wordene Organik« erscheinen. In diesem Prozefi ist »Wachstum« ais ein Prinzip verstanden, das die schlechte Unendlichkeit au­fierer Zweckrealisation ais organisch rechtfertigt. Was dennoch in Begriffen wie »Wachstum«, »Fruchtbarkeit«, »Erzeugung«, ielbst »Produktivkraft« mitgemeint ist, námlich die organische Selbsterzeugung des Menschen durch sich selbst, ist nur nach dem Muster dieses schlechten Progresses gedeutet. So ist hier fcum einen die Ideologie aller »Wachstumsmodelle« zu finden: ais »Gefáhrdung« des Organismus durch den Eingriff von aufien in ihn; zum andern ist im Gedanken der organischen Selbsterzeu­gung schlecht zu verdrángen, dafi die Menschengattung sich selbst im Zeugungsakt und in ihrer organischen Fortpflanzung nicht mehr »instinkthaft« begreift. Deshalb sind auch Begriffe wie »Wachstum« und »Fortpflanzung« keine Urbilder technischer Entwicklung, da sie selbst bereits durch das Bewufitsein und die Rationalitát technischen Hervorbringens vermittelt sind. Die »Re-Naturalisierung« der menschlichen Organe durch die Produkte der technischen Rationalitát enthált zwei, erst in der Geschichte entstandene Bilder; das eine beschrieb Gehlen: »Die Veránderung der unmittelbar vorgefundenen Natur zu den «igenen Zwecken ist beim Menschen von vornherein verflochten in den Kampf gegen seinesgleichen.«12 Aber nicht ais »trieb-hafte, unbewufite, vitale Bestimmungsgriinde«13 - wie Gehlen meint - stehen die «konstitutionell menschlichen Merkmale des Handlungskreises und des Entlastungsprinzips . . . ais Determi-nanten hinter der gesamten technischen Entwicklung«14, son­dem konkret ais eine Geschichte, in der das Werkzeug friiher ais Waff e verwendet war, denn ais Bedingung, die Erde technisch zu verándern.

Das andere Bild aber enthált auch befreiende Ztige: noch ab-Itrakte Bedingungen einer »Renaturalisierung«, die so noch nir-gends vorkam, námlich ais Naturalisierung der Organe des Menschen, die bisher nichts ais instrumentelle Arbeitsfunktionen leisten. Es ist die antizipierte Befreiung des menschlichen Leibes Tom Kõrper-Intellekt-Antagonismus, iiber die Befreiung vom Antagonismus zwischen Arbeitszwang und »Freizeit«. Wenn jedoch Habermas und Gehlen meinen: «Ferner kann es im

« Ebd., S. 7 » Ebd., S. 19 M Ebd.

33

Page 17: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

Sinne dieses Gesetzes keine Entwicklung der Technik iiber die Stufe der mõglichst vollstãndigen Automatisierung hinaus ge-ben, denn es sind keine weiteren menschlichen Leistungsbereiche angebbar, die man objektivieren kõnnte.*15 — so ist nicht nur jedes gesellschaftliche Bediirfnis an einen unveranderbar gedach-ten menschlichen Naturleib festgemacht, sondern dieser Leib selbst wird, obendrein ideologisch verbrãmt, nur ais »Leistungs-bereich« vorgestellt, dessen Befreiung damit auch in einer zweck-mãfiigen Bedingung von Technik nicht antizipiert werden kann. Der »stets zunehmende Ersatz des Organischen durch das An-organische«, wie Gehlen und Habermas ihn verstehen, kann in der Tat nur zur Technik der Plastikblumen-Industrie werden, die den Sinn einer Gestalt zerstõrt, indem sie diese unendlich wiederherstellt; und darin verkundet die sinnlose Produktion nur die Sinnlosigkeit bestimmter gesellschaftlicher Arbeiten.

Zweierlei ist vor aliem zu unterscheiden: die werkzeughafte Ar­beitsteilung und die technische in ihrem spezifisch neuzeitlichen Charakter. Solange der Leib - im verãndernden Stoffwedisel mit der Natur - trotz der Werkzeuge im Arbeitsprozefi auch physisch ais subjektiv-rationales Zentrum der Tátigkeit galt, mufite jedes Werkzeug ais Verlãngerung oder Verstárkung seiner werkzeughaft ausgebildeten Organe begriffen werden.16 Von neuzeitlicher Technik aber kann man erst sprechen, wenn der Prozefi der Herstellung von Produkten selbst zur Technik zu werden beginnt: ais technische Rationalitát der technologisch-industriellen Produktionsweise. Dieser Sprung in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung wird von Gehlen und Habermas durch eine archaische Ruckkopplung tech­nischer Entwicklung an eine mystische Leibnatur17 verleugnet.

1 5 Gehlen, Technik im technischen Zeitalter, zit. nach Habermas, Technik, S. $6 1 6 Damit ist nur die Technik einer noch kaum difíerenzierten Arbeitsteilung

erklârbar; bereits das Rad ist ein Resultat komplexer Ideen, Vermittlungs-prozesse, Tãtigkeiten und Produkte, das nicht aus der blofien Zusammen-fugung seiner Elemente bruchlos rekonstruierbar wird, weil die plõtzliche Synthese, die Erfindung, vollstandig nur durch die ganze Geschichte gesell­schaftlicher Arbeit und Intellektualitat deduziert werden kõnnte. - Ein Be­griff des »organischen Werkzeugs* ist in jedem Fali Nonsens.

1 7 Hegel zeigte den Kern dieser »Leib-Mystik«: »Der Kõrper, insofern er un-mittelbares Dasein ist, ist er dem Geist nicht angemessen; um williges Organ und beseeltes Mittel desselben zu sein, mufi er erst von ihm in Besitz ge-nommen werden.« Hegel, Grundlinien, a. a. O., S. 6o, § 48

34

•. »Dieses Gesetz«, so wird Gehlen zustimmend von Habermas zi-tiert, »sagt ein innertechnisches Geschehen aus, einen Verlauf, der vom Menschen ais Ganzes nicht gewollt worden ist, sondern dieses Gesetz greift sozusagen vom Riicken her oder instinktiv durch die gesamte menschliche Kulturgeschichte hindurch.*18 -So geistlos, wie durch ihre herrschende Form proletarische Ar­beit geworden ist, soll hier die technische Entwicklung iiber­haupt verlaufen sein. Wer zu solchen Spengler-Rosenbergschen Technik-im-Nacken-Mythen zuriickkehrt, kann zu sich selbst be-greiflicherweise nur noch sagen: »Die Intellektualitat des Men-flehen bleibt ihm zuletzt allerdings ein Rãtsel.*18

•»In der gewohnlichen materiellen Industrie«, schrieb Marx, »ha-ben wir unter der Form sinnlicher, fremder, niitzlicher Gegen-Kánde, unter der Form der Entfremdung die vergegenstand-lichten Wesenskráfte des Menschen vor uns. - Die Industrie ist das wirkliche geschichtliche Verhãltnis der Natur und daher der Naturwissenschaft zum Menschen; wird sie daher ais exoteri-«che Enthiillung der menschlichen Wesenskrãfte gefafit, so wird auch das menschliche Wesen der Natur oder das naturliche We-aen des Menschen verstanden.*20

Dafi Marx die Technologie - die Technik des Herstellungsver-'ifahrens - nicht erst ais »angewandte Naturwissenschaft*, son­dern bereits die Naturwissenschaft selbst in ihrer technologi-Mchen Methodik begriff, darin liegt das auflõsbare Rãtsel jener «technischen Rationalitát, deren Aufspaltung in Produkt - in die Formen innerer Funktionen und aufierer Funktionsbereiche -íjum unermudlichen Anlafi der Mythen technischer Unheimlich-keit geworden ist. In Francis Bacons Reflexionen kann der Beginn des Technolo-gisierungsprozesses von Naturerkenntnis nachvollzogen werden; et ist die Ubersetzung einer die Natur bestimmenden, techni-ichen Rationalitát in die Technik rationaler Naturerkenntnis:

•» Gehlen, Technik im technischen Zeitalter, S. $6 *• Gehlen, Die Seele, S. 8. - Bereits das Schilíern des Begriffs »Technik« er-; leichtert die Ideologisierung: Undeutlich bleibt, ob unter Technik die Gestal-

tung, das Erschliefien naturlicher Stoffe und Energien verstanden wird, oder der Bereich oder das realisierte Produkt dieser Tãtigkeiten, ob nur die Hand-

'•• habung im Umgang mit Technik oder das Herstellungsverfahren selbst ge-. aieint ist. ** Marx, Nationalõkonomie und Philosophie, S. 244

35

Page 18: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

»Wissen und Kõnnen fállt bei den Menschen in eins, weil die Unkenntnis der Ursache die Wirkung verfehlen lãfit. Die Natur wird nur durch Gehorsam besiegt; was bei der Betrachtung ais Ursache gilt, das gilt bei der Ausfiihrung ais Regei.*21 - Ge-drãngter, durch die Geschichte dieser Tátigkeit selbst vermittelt, heifit es von der technologischen Erkenntnismethodik heute: »Die moderne Naturwissenschaft ist operationell, d. h. sie hãlt jede Aussage der Erhártung durch Experiment oder beobacht-baren Prozefi fiir bediirftig.«22

Die List, die sich in der experimentellen Naturwissenschaft durchsetzt23, beruht darin, dafi das erkennende Subjekt die in­neren Strukturen der Natur »operationell« nach aufien kehrt, in welchem Prozefi sich die Rationalitát ais technische erzeugt und ihre Subjektivitàt, vermittels des Experiments, wieder aus-klammert. Das Subjekt lãfit sich im gelungenen Experiment die Identitát jener technisch-rational begriffenen Struktur mit der »anfánglich« inneren Struktur bestátigen. Dadurch gelingt es dem erkennenden Subjekt, sich vermittels des Experiments aus dem Erkannten zuriickzuziehen: Natur ist vernunftig geworden, Vernunft natiirlich - aber unter der Bedingung, dafi sich das be-stimmende Subjekt der operationellen Vernunft aus dieser Iden­titát zuruckzieht und sich gegenstándlich, d. h. technisch gewor­den ist. In der experimentellen Naturwissenschaft wird dadurch - wie erst nachtrãglich sich erweist - zum einen ein Objekt-Objekt-Ver­hãltnis ermõglicht, das bereits die Industrie antizipiert, d. h. eine innere Rationalitát der Natur, in der das Subjekt nur mehr ais vergegenstándlichtes vorhanden ist, wáhrend es ais bestimmen-des nur von aufien herantreten kann.24 Zum andern liegt in die­sem Prozefi von vornherein die Mõglichkeit, vermittels des veri-fizierten Objekt-Objekt-Verháltnisses die von der bestimmen-den gesellschaftlichen Subjektivitàt entbundene Rationalitát auch ais Verfahren technisch rekonstruieren zu kõnnen: indem der

2 1 F. Bacon, Neues Organon, Berlin 1870, I/3, S. 83 ! ! Wiener, a. a. O., S. 158. - Habermas will die These vertreten, »dafi nach

Kant Wissenschaft philosophisch nicht mehr ernstlich begriffen worden ist«; man kann das nur fiir eine Selbstinterpretation halten. - In: Habermas, Erkenntnis und Interesse, Frankfurt 1968, S. 12

1 3 Seit der Quantenphysik zâhlt auch die mathematisch-theoretische zu ihr. 1 4 Der Charakter einer Entfremdung an sich erscheint nur in der besonderen

Arbeitsteilung, in der der Produzent in der vergegenstandlichten seine eigene bestimmende Vernunft nicht wiedererkennen und verwirklichen kann.

36

naturwissenschaftlichen Erforschung die eigene Methode zum Ob­jekt wird. Die Kybernetik hat die Subjekt-Seite dieses Prozesses auf den technischen Nenner gebracht: durch sie ist die besondere Ratio­nalitát der Technologisierung von Naturerkenntnis ais Technik der Rationalitát selbst auf den vergegenstandlichten Begriff ge-kommen; die Technologie wird zur Automatik durch sie. Gehlen und Habermas aber ideologisieren diesen Vorgang darin, dafi

, sie im Automat das bestimmende Selbst technischer Rationalitát I; »technisch« definieren und damit mõgliche Emanzipation einmal ' dem technischen Sachzwang verschachern und andermal Emanzi-| pation blofi hegelisch ais »zu sich selbst gekommenes Bewufit-; sein« begreifen kõnnen.25 Weder ist das jeweils bestimmende Selbst technischer Entwicklung ais »Automat« technisch gewor­den, noch ist durch Kybernetik die gesamte Natur erklárt; denn

, dies wáre die einzige Prãmisse einer Aufhebung technischer Ra-4 tionalitát iiberhaupt ais fortschreitende. Schon der Bereich einer

am menschlichen Organismus26 orientierten Bio-Technik schliefit ticht aus, die Struktur menschlicher Vernunft vermittels be-Stimmter Operationen selbst zu verãndern. Auch der Leib kann

' zum veránderbaren Objekt werden. Welches »Ende« Gehlen und Habermas durch den Automat gé­

is wittert haben, bringt Norbert Wiener selbst auf den Begriff: »Die moderne industrielle Revolution ist in áhnlicher Weise

, (íazu bestimmt, das menschliche Gehirn zu entwerten, wenig-ttens in seinen einfacheren oder mehr routinemáfiigen Entschei-

, dungen. - Stellt man sich jedoch die zweite industrielle Revolu-1 tJon ais abgeschlossen vor, so wird das durchschnittliche mensch-' liche Wesen mit mittelmáfiigen oder noch geringeren Kenntnissen ' nichts zu verkaufen haben, was fiir irgend jemanden das Geld

•ert wáre. « 2 7

Obwohl bisher von der inhaltlichen Seite der gesellschaftlichen Arbeitsteilung abstrahiert wurde - die ais einzige den Prozefi der technischen Rationalitát zur Technik ihrer selbst, ais Techno­logie, erzeugen konnte - wird schon an Hand der dargelegten Strukturen deutlich, worin technische Rationalitát per definitio-

*• HKtte ich im Apparat ein Selbst gegenuber, hatte dieser sich ais Technik lufgehoben; er trate mir nicht anders ais ein selbstbewufites Wesen entgegen.

** Der kranke Organismus beweist, da8 er nicht einmal physisch abgeschlos-1(11 ilt, geschweige »technisch«.

í " Wiener, Kybernetik, S. J I

37

Page 19: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

nem politisdi wird: in der Weise der Vergegenstándlidiung hi-storisdi gesetzter Zwecke, die ais aufgehobene gesellschaftliche Arbeit auch »in die Konstruktion des Apparats» selbst eingehen, wenn sie auch nicht ais unmittelbar politische geheimnisvoll in ihr wirken. Erst die aufgehobene Zweckhaftigkeit inner-techni-scher Rationalitát verwehrt den Blick auf ihren politisch-histo-rischen Charakter; so wird dieser scheinbar nur da offensichtlich, wo die vergegenstándlichte Zweckmáfiigkeit zum Mittel eines be-stimmenden, herrschenden Subjekts wird: in seinem instrumen-tellen Einsatz zum Zweck der Herrschaftserhaltung. Die poli­tische Zweckhaftigkeit scheint stets aufierhalb der technischen Konstruktion zu liegen, obwohl sie nur durch dieses Produkt re­alisiert werden kann. Der Begriff der Zweckrationalitãt widerspricht seiner Behand-lung ais unpolitisch. Wird in der unmittelbaren technischen Zweckrealisation, oder in ihrem Produkt, vom gesetzten Zweck abstrahiert, erscheint in der Technik mythisch das menschliche Subjekt, das zuvor ais Natursubjekt geleugnet war, ais rein ãufiere Natur, in geheimnisvoller, unheimlicher Absicht, - ais Technik im Nacken, den es zu beugen gilt. Wie jedes technische Produkt kann auch die technisch gewordene Rationalitát nicht ohne die Dialektik von politisch vollzogener, vergegenstándlichter Zweckhaftigkeit und nicht-politisch prã-senter >Natur< technisch transformierter Materialitát begriffen werden. Diese Dialektik verschwimmt nur, wenn man, wie Ha­bermas, vom Begriff des zweckrationalen Handelns ausgeht, der nie anders ais in subjektivistischer und - ais >erfolgsorientiert< - zudem tautologischer Unmittelbarkeit erscheint, weil er selbst nicht ais sein geschichtliches Resultat gesehen wird. Diese Dialektik ist konkret erst aus der besonderen politisch-technologischen Arbeitsteilung der spãtburgerlichen Gesellschaft verstándlich.

38

5. Technologie und Mehrwert

»In dem Mafie aber«, hatte Marx in den »Grundrissen« ge-schrieben, »wie die grofie Industrie sich entwickelt, wird die Schõpfung des wirklichen Reichtums abhángiger weniger von der Arbeitszeit und dem Quantum angewandter Arbeit, ais von der Macht der Agentien, die wáhrend der Arbeitszeit in Bewe­gung gesetzt werden und die selber wieder... in keinem Ver­hãltnis steht zur unmittelbaren Arbeitszeit, die ihre Produktion kostet, sondern vielmehr abhángt vom allgemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der Technologie, oder der An-wendung dieser Wissenschaft auf die Produktion. «x Daraus folge: »Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehort hat, die grofie Quelle des Reichtums zu sein, hõrt und mufi auf-horen die Arbeitszeit sein Mafi zu sein und daher der Tausch-wert (das Mafi) des Gebrauchswerts... Damit bricht die auf dem Tauschwert ruhende Produktion zusammen, und der unmittel­bare materielle Produktionsprozefi erhált selbst die Form der Notdiirftigkeit und Gegensátzlichkeit abgestreift... Die Pro-duktivkráfte und gesellschaftlichen Beziehungen - beide verschie-dene Seiten der Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums — erscheinen dem Kapital nur ais Mittel, und sind fiir es nur Mittel, um von seiner bornierten Grundlage aus zu produzieren. In fact aber sind sie die materiellen Bedingungen, um sie in die Luft zu sprengen.*2

Die technische Rationalitát hat inzwischen bestimmte Bereiche ihrer »Grundlagen« gesprengt; in Form vergegenstándlichter Produktivkrãfte und deren Fortschritt, ais Stand von Wissen-tchaft und Technik in der Produktion, kann es unmittelbar gese­hen nur eine Sprengung bestimmter Strukturen der Arbeitsteilung Innerhalb der Produktionsverháltnisse sein. Wie aber eine explo-' Marx, Grundrisse, S. 592 • Ebd., S. 593/594

39

Page 20: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

sive Veránderung der inneren Struktur der Arbeitsteilung mõg-lich geworden ist und wird, ohne die Basis der »schlechten Un­endlichkeit des Progresses aufierer 2weckmáfiigkeit«, d. h. ohne die Klassenstruktur zu revolutionieren, soll strukturell aufgewie-sen werden.3

Habermas hatte zunáchst noch, in »Theorie und Praxis«, das Problem thematisiert, das Marx in dem noch unklaren Begriff einer »in Bewegung gesetzten Macht von Agentien« fafite; er schrieb: »Mit der Einbeziehung eines entsprechenden Korrektur-faktors hõrte nicht nur die Mehrwertrate auf, ais eine Natur-grõfie vorgegeben zu sein; auch der Wert der Arbeitskraft kõnnte in seinem historischen Charakter erkannt und beriicksichtigt werden. «4 - Nun liegt gerade in den beiden Faktoren, die Ha­bermas nennt, das Problem nicht: Soweit Marx die Mehrwertrate ais konstante Grofie behandelte, geschah dies nicht, um sie ais unhistorische Naturgrõfie hinzu-nehmen, sondern aus einer methodischen Abstraktion vom je-weils historischen Stand der Produktivkráfte, bzw. wurde die­ser in der unmittelbaren Rechnung ais Konstante gesetzt. Das Problem, das inzwischen sich aufdrãngt, liegt darin, dafi diese methodische Vernachlãssigung in dem Mafie auch nur ais metho-dische zweifelhaft geworden ist, wie die fortschreitende wissen-schaftlich-technologische Entwicklung von Produktivkráften -die in die unmittelbare Produktion ais technische Rationalitát in Form Von Verfahrensweisen oder Maschinerien eingeht - nicht mehr nur jeweils ais allgemeine Bedingung erhõhter Mehrwert-raten eingeht, sondern unmittelbar deren planend-bedingende Tátigkeit geworden ist. In bezug auf den Wert der Ware Ar­beitskraft bedeutet das, wie Marx sah, unmittelbar ihre zuneh-mende »Entwertung« vermittels wissenschaftlidi-technologischer Vorrealisierung von bedingenden Werten, zugleich aber - was Habermas nicht beriicksichtigte - mittelbar eben durch den sel-ben Prozefi ihren zunehmenden Wert, ais produktive Exekutive wissenschaftlich-technologischer Order. Wenn Marx schreibt: »Die Werte der Waren sind direkt proportional der auf ihre Produk­tion angewandten Arbeitszeiten und umgekehrt proportional der Produktivkraft der angewandten Arbeit.*5 - so sind beide Pro-

3 Es kõnnen hier nicht die wirklich benõtigten Kriterien zu einer Explikation der Arbeitswerttheorie angegeben werden, aber einige ihrer Bedingungen.

4 Habermas, Theorie und Praxis, Berlin-Neuwied 1963, S. 194 5 Marx, Lohn, Preis und Profit, Berlin 1968, S. 36

40

portionen jeweils auf ihre Verflechtung von wissenschaftlich-technologischer Arbeitszeit und proletarischer Arbeitszeit zu un-tersuchen. - Die «Produktivkraft der angewandten Arbeit« ist ohne die spezifische Verflechtung im gesamten Produktionspro-zefi nicht werttheoretisch zu erfassen. Was der unmittelbaren Ar­beitskraft nur ais jeweils historischer Stand der Produktivkráfte entgegentritt, ist zugleich die wissenschaftlich-technologische Tá­tigkeit ihres fortschreitenden Prozesses, ais Tátigkeit von Wissen-schaftlern, Forschern, Ingenieuren usf. Bei der Berechnung der Mehrwertrate kann deshalb auch methodisch-werttheoretisch von dieser Dialektik nicht abstrahiert werden. Habermas verfolgt jedoch eine unmittelbar politische Absicht, wenn er lakonisch zu den Ansátzen der werttheoretischen Er-gánzungen, die Marx in den »Grundrissen« problematisierte, feststellt: »Diesen >revisionistischen< Gedanken hat Marx dann freilich fallengelassen; er ist in die endgiiltige Fassung der Ar­beitswerttheorie nicht eingegangen.«6 Diese Absicht wird vor al­iem deutlich durch die neue »Version«, die diese Denunziation eines »revisionistischen« Gedankens schliefilich annimmt: »So werden Technik und Wissenschaft zur ersten Produktivkraft, wo-mit die Anwendungsbedingungen fiir Marxens Arbeitswert­theorie entfallen. Es ist nicht lánger sinnvoll, die Kapitalbetráge fiir Investitionen in Forschung und Entwicklung auf der Grund-lage des Werts der unqualifizierten (einfachen) Arbeitskraft zu berechnen, wenn der wissenschaftlich-technische Fortschritt zu einer unabhãngigen Mehrwertquelle geworden ist, gegenuber der die von Marx allein in Betracht gezogene Quelle des Mehrwerts: die Arbeitskraft der unmittelbaren Produzenten, immer weni­ger ins Gewicht fállt.*7

Habermas verwischt hier mehrere Merkmale: Mit Sicherheit sind heute bereits vereinzelte Produktionspro-Zesse soweit automatisiert, dafi die wissenschaftlich-technologische Arbeit, in welcher Produktionsbedingungen ais bestimmte Pro­duktivkráfte erzeugt werden, zur Realisation von Tauschwerten nicht mehr der Vermittlung durch die proletarische Arbeitszeit bedurfen. Damit erscheint die Wertrealisation unmittelbar ais Tátigkeit von Wissenschaftlern, technischer Intelligenz usf. Ab-gesehen davon, dafi es absurd ist, diese Wertrealisation ais •Mehrwertrealisation* hinzustellen, beruht die gesamte Kon-

• Habermas, Theorie und Praxis, S. 192 ' Habermas, Technik, S. 79/80

41

Page 21: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

struktion nur auf einer willkiirlichen Abstraktion von den Be-zugssystemen einer arbeitsteiligen Gesellschaft. Bevor ich auf das spezifische Verhãltnis von wissenschaftlich-technologischer zur proletarischen Arbeitszeit eingehe, ist der Schein nãher zu betrachten, an dem allein die Argumentation Glaubwurdigkeit entfaltet, Technik stelle in ihrem Fortschritt eine »unabhángige Mehrwertquelle« dar. Gemeint ist die indu­strielle Funktion technologischen Wissens. Unter dem Aspekt industrieller Produktion ist »Wissen«8, ais Produkt technischer Rationalitát der Naturerkenntnis, zunáchst eher »gehortet« ais systematisch akkumuliert worden, wodurch der Schein erzeugt wurde, ais ob schliefilich das Kapital die Wis­senschaft »sich grátis aneignet«9. Wenn auch im subjektiven Be-wufitsein Naturerkenntnis - worunter auch die iiber die Natur der menschlichen Vernunft zu záhlen ist - sich ais kontemplatives Weltwissen gebãrdete, das durch eine innere Zweckbestimmung motiviert war, so hatte doch gerade die experimentelle Methodo-logie lángst das Verhãltnis »auf die Fiifie« gestellt, indem sie dieses Wissen unter der Form einer »zweiten« technischen Transformierbarkeit begriff und in der Industrie zu vergegen-stãndlichen begann.10

Eine Gratis-Aneignung technologischer Erkenntnisse, wenn sie iiberhaupt noch stattfindet, ist Zufall. Bereits Marx bemerkte: »So zeigt sich bei der náheren Entwicklung des Kapitals, dafi es einerseits eine bestimmte historische Entwicklung der Produk­tivkráfte voraussetzt - unter diesen Produktivkrãften auch die Wissenschaft - andererseits sie vorantreibt und forciert.*11

Der Stand industrialisierter Rationalitát hat inzwischen ein Sta-dium erreicht, in dem technologisches Wissen betrieblich produ-

8 Vgl. Marx, Grundrisse, S. 586 » Ebd.

1 0 Durch diesen Prozefi wird die Trennung zwischen Geistes- und Naturwis-senschaften in dem Sinne obsolet, ais erstere in den Bereidi naturwissen-schaftlicher Methodik gerãt. Die Krise universitãrer Wissenschaft, d. h. ihr Zerfall in Inhalte, Methodiken und Verwaltung, um sie fungibel zu halten, wird ais »Entjungferung« verinnerlichter durch gewalttâtig erscheinende au-fierliche Zweckmãfiigkeiten erfahren. Den reinen »Theoretikern« wird schon lãngst mit dem aufgebláhten Stolz gelungener Úbertôlpelung zugerufen: »Sind wir bestrebt, alie Erscheinungen des Betriebes womoglich der Messung zuzufiihren, indem das Mefibare immer auch einer Technologie zugãnglich ist, das heifit von menschlichen Willensinstanzen her disponierbar gemacht werden.* A. Adam, Kybernetische Probleme im Industriebetrieb, in: Wis­senschaft und Technik, a. a. O., S. 331

1 1 Marx, Grundrisse, S. 587

42

ziert wird. Zum einen ist die technische Verfahrensweise von Er-kenntnisprozessen - etwa iiber die Informations-, Steuerungs-und Datenverarbeitungstechnik, selbst zur operativen und stra-tegischen Bedingung der gesamten Rationalisierung geworden: sie ist, ais Produkt, eine zur Technik gewordene technische Ver­fahrensweise. In dieser Form ist sie kein unmittelbarer techno­logischer Erkenntnisprozefi mehr und dennoch unmittelbar ais solcher umsetzbar und rezipierbar von gesellschaftlicher Subjek­tivitàt und ihren Interessen. In dieser Dialektik erzeugt sie den »idealistischen« Schein einer technischen Reflexion der Reflexion. Ais Technik jedoch werden in diesem Prozefi keine »Ereignisse« ubertragen oder produziert, sondern — wie es in der kyberne-tischen Terminologie heifit - «Strukturmuster einer Beziehung zwischen Ereignissen«12. - Die technisch-instrumentellen Ver­fahrensweisen von rationalen Erkenntnisprozessen sind, nicht anders ais die Momente aufierer und unmittelbar organisch-leib-licher Natur, zum naturwissenschaftlich-technologischen Gegen-stand geworden, aus dem sich - vermittels experimenteller Be-státigung - der Forscher, ais Subjekt der Erkenntnis von in-strumentalen Funktionen und Strukturen der Erkenntnispro-zesse, im technischen Gelingen der Reproduktion ausklammert, bzw. im Produkt ais gegenstándlich sich aufgehoben hat. l s Erst wenn derart technische Rationalitát nicht nur ais Verfahrens­weise, sondern auch ais materiale Struktur von Informations-funktionen zur technischen Konstruktion geworden ist, kann die formale Tátigkeit von Erkenntnisprozessen, Steuerungsprozessen usf. ais Produktionsverfahren dem »umstándlich« denkenden Subjekt abgenommen werden. Zugleich sind diese Prozesse - ais aufgehobene, vergegenstándlichte subjektive Tãtigkeiten - nicht anders ais die Maschinerie bisher - in zwei Funktionen identisch: sie sind Produktivkraft und sie sind Produktionsmittel unter der Form der herrschenden Aneignung. Die Technik technologischer

" Vgl. u. a. K. W. Deutsch, a. a. O., S. 133 f. ** Das haben die »Kantianer« unter den Kybernetikern mit ihren Analogien

nicht begriffen: >Von aufien kann naturlich nicht festgestellt werden, ob der Lotse die Signale ais Zeichen von oder fiir etwas darin Ausgedriicktes oder sich Ausdriickendes nimmt und die so erhaltene Information verarbeitet, oder ob die Signale nur eine Kausalkette in Gang setzen, so wie der Druck auf den Knopf in einem Fahrstuhl. Deshalb kann man die Funktionen kyber-netischer Systeme ais >bewufitseinsanalog< betrachten, d. h. man kann von ihnen sagen, sie funktionieren, >als ob< sie Zeichen aufnehmen, logisch ver-arbeiten und andere Zeichen vermitteln.« H . Frank, Kybernetik, Frankfurt 19 Í J , S. 17

43

Page 22: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

Erkenntnis- und Steuerungsprozesse ist erst aufgrund der Ele-minierung des unmittelbar zweckbestimmenden Subjekts - ais mõgliche »Fehlerquelle«, ais »launisch«, d. h. mõglicherweise selbstbewufit emanzipatives - zu einem »neutralen« áufierlichen Instrument geworden, das von den jeweils herrschenden Inter-essen beliebig eingesetzt werden kann; denn: »Die Zielsetzung selbst gehõrt nicht zur Kybernetik.*14 - auch wenn ohne sie die Zielsetzung nicht geschehen kõnnte.15

Sofern also die naturwissenschaftlich-technologische Tátigkeit eine technische Konstruktion einsetzt, vermittels der Struktur- und Funktionsmerkmale von Erkenntnisprozessen, Steuerungspro-zessen usf. technisch reproduziert werden kõnnen, kann sich das erkennende, steuernde, arbeitende Subjekt aus eben diesen Ver­fahrensweisen zuruckziehen und sich einer Tátigkeit zuwenden, in der diese Konstruktion bedingende Produktivkraft geworden ist. Formal gesehen ist dies ein Prozefi, der die bestehende Ar­beitsteilung verándert und die Produktion auf eine erweiterte Stufe bringt. Nun erzeugte gerade diese Konstruktion mehr ais die Maschi­nerie bisher den Schein, ais sei sie eine selbsttátig gewordene Produktivkraft, wodurch sich - in der vollstándigen Automati-sierung eines Produktionskomplexes - ihr instrumentaler Cha-rakter aufgehoben hátte. Der Schein beruht in folgendem: Soweit in diesen Konstruktionen Struktur- und Funktionsmerkmale von Erkenntnis-, Steuerungs- und Prozessen physischen Kraft-aufwandes so gekoppelt sind, dafi ein gesamter Komplex der Arbeitsteilung gesellschaftlicher Subjekte in ihnen gegenstándlich aufgehoben wurde, erscheint dieser Komplex ais eine Produktiv­kraft, deren Wesen darin beruht, dafi auf Grund von Zweck-setzungen, etwa sprachlicher Imperative ais Signale, jeweils ihr historischer Stand ais Produktivkraft verándert werden kann. Der Prozefi zwischen Zwecksetzung und »ausgefuhrtem Zweck, der nur Mittel ist«, der in der gesamten Arbeitsteilung durch die proletarische Zweckrealisation vermittelt ist, wurde hier selbst ais Technik vergegenstándlicht: Die »produktive Arbeit« be­steht nur noch in der Zwecksetzung, die damit den Schein rein administrativer Dienstleistung erhált. - Die automatische Kon-

1 4 Frank, ebd., S. n 1 5 Inwiefern gerade in dieser »Neutralitât«, bzw. Beliebigkeit eine politische

Differenz, nicht - wie Marcuse annahm — eine politische Indifferenz er­scheint, wird spater verdeutlicht.

44

struktion kann - fiir sich gesehen - weder eine geheimnisvolle Mehrwertquelle sein, noch, in solcher Isolation von der gesamt-gesellschaftlichen Arbeitsteilung, iiberhaupt ais Bedingung von Mehrwert erscheinen, so wenig wie - fiir sich gesehen - der Regen. Worin sich der Unterschied zum klassischen Typ der Maschine-rie-Produktivkraft, wie Marx ihn beschreiben konnte, liegt, hat Norbert Wiener, noch vage in diesem Zusammenhang, formu-liert: »Was sie (die Schwachstromtechnik, H.-D. B.) von der Starkstromtechnik unterscheidet, ist, dafi ihr Hauptinteresse nicht die Wirtschaftlichkeit von Energieproblemen, sondern die genaue Reproduktion eines Signals ist.« l a - In diesem Zusam­menhang bedeutet das, dafi ihre Wertabgabe nicht mehr unmit­telbar im Verhãltnis ihrer Kosten ais Produktionsmittel, ihres Verschleifies, der durch sie erhõhten Mehrwertrate und der durch sie produzierten Warentauschwerte berechnet werden kann. Sie unterliegt faktisch nur noch mittelbar einem Verschleifiprozefi, der durch ihre technologische Verbesserung iiberhaupt bedingt ist. Im Produktionsprozefi wird ihre Wertabgabe - durch die Eigenart der Konstruktion, vermittels Signalimpulsen ihren Stand ais Produktivkraft unmittelbar verándern zu kõnnen -stándig von dieser Wertzugabe iiberholt, was in der kyberne-tischen Terminologie mit den hilflosen Begriffen von der »ler-nenden und sich fortpflanzenden« Maschine umschrieben wird. Der Schein, ais setze diese Konstruktion dem Produkt selbst­tátig Wert zu, besteht also auch hier nur in der Verwechslung ihrer funktionellen mit ihrer instrumentellen Struktur. Wiirde man angesichts eines einfachen Antriebsmechanismus' kaum auf den Gedanken kommen zu sagen, es láge in der funktionellen Transformation einer Dreh- in eine Hebelbewegung eine Wert­zugabe der Maschinerie, so erleichtert die Identitát der Struktur technisdier Erkenntnisprozesse des Subjekts mit der Veránde-rung von Beziehungsgefiigen der Signale den falschen Schlufi, diese technischen Funktionen seien selbst identisch mit einer zweckbestimmenden Tátigkeit von Subjekten. Jedoch gilt prin-zipiell auch von der Informations- und Steuerungstechnik: •Gleich jedem anderen Bestandteil des konstanten Kapitals, «chafft die Maschinerie keinen Wert, gibt aber ihren eigenen Wert tn das Produkt ab, zu dessen Erzeugung sie dient.«17

•«• Wiener, a. a. O., S. 6i ff. « Vgl. Marx, Das Kapital, MEW Bd. 23, S. 408

45

Page 23: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

Bisher -wurde von der gesellschaftlichen Arbeitsteilung abstra-hiert - eine Abstraktion, der Marxens Einwand gegen Proud-hon gegolten hatte: »Die Maschinen sind ebensowenig eine õko-nomische Kategorie wie der Ochse, der den Pflug zieht, sie sind nur eine Produktivkraft. Die moderne Fabrik, die auf der An-wendung von Maschinen beruht, ist ein gesellschaftliches Produk-tionsverháltnis, eine õkonomische Kategorie.*18 Erst in dieser Abstraktion námlich kann - wie es bei Habermas geschieht -Wertrealisation mit der Realisation von Mehrwert gleichgesetzt werden. Allgemein kann gesagt werden: Technisch vergegenstándlichte Prozesse von Erkenntnis, Steuerung, Produktrealisation usf. existieren nicht ohne Bediirfnis und Interesse des gesellschaft­lichen Subjekts in der Form zweckmáfiiger Bedingungen; im Ge-brauch erst realisiert sich Technik ais Zweck - da aber der Ge-brauchswert selbst nur Mittel des Tauschwerts ist, ist die tech­nische Konstruktion stets nur áufierliche Zweckmáfiigkeit, die sich in der Produktion nicht aufzuheben vermag: dieser Progrefi ad infinitum ist es, der den Schein erzeugt, ais bestehe schliefi­lich die Rationalitát des Subjekts nur noch in einer ais Technik vergegenstandlichten Form. In fact ist es nach wie vor das ge-sellschaftlich herrschende Subjekt, das vermittels dieser techni­schen Konstruktionen Tauschwerte realisiert, aus denen sich nur ais deren Mittel in ihrer gesellschaftlichen Transformation, im Zirkulationsprozefi des Kapitals, nach und nach jeweils der Ge-brauchswert herausschált, um wiederum ais Bedingung der Re-produktion auf erweiterter Stufe in diese einzugehen - ais Be­dingung der schlechten Unendlichkeit des Progresses áufierlich bleibender Zweckmáfiigkeiten. Habermas verwischt jedoch nicht nur die Differenz zwischen Wert- und Mehrwertrealisation: Er zieht daraus unmittelbar den Schlufi, die wissenschaftlich-technische Tátigkeit sei eine Wertrealisation derart, dafi sie an sich berechnet werden kõnnte, ohne die Form der herrschenden Arbeitsteilung, in der nach wie vor die »unqualifizierte«, proletarische Arbeitskraft eine pro-duktive Exekutive ubernimmt. Das wird verstándlich in der Analyse des Verháltnisses von wis-senschaftlich-technologischer zur proletarischen Arbeitszeit: »Die in der gegebenen Arbeitszeit*, schreibt Marx, »oder mit gegebe-

1 8 Marx, Das Elend der Philosophie, S. 149

>' • nem Arbeitsquantum erzeugte Zahl oder Masse an Waren hángt ab von der Produktivkraft der angewandten Arbeit und nicht

1 von ihrer Dauer oder Lange. « 1 9 Die proletarische Arbeitszeit, die benotigt wird zu einem jeweils bestimmten Moment einer Wertrealisation, besitzt demnach eine doppelte, in sich ungleich-zeitige Zeitstruktur: zum einen die formale - etwa des Acht-stundentags - die der Arbeiter zugleich subjektiv ais »seine«, yerkaufte Arbeitszeit versteht und in der er unmittelbar dem Diktat der jeweils herrschenden Produktionsweise sich zu beu-gen hat. Die historische Form dieser Arbeitszeit liegt ausdruck-baft im Kampf um ihre Verlángerung oder Verkiirzung. - In diese Zeitstruktur geht jedoch eine zweite ein, die beide jeweils

• unter den historischen Bedingungen der Produktionsmittel ais be-^«stimmte Produktivkráfte differieren. Reifit man beide Zeitstruk-

ituren, wie Habermas es allerdings unvermittelt macht, aus-ííjeinander, so láfit sich die letztere ais die wissenschaftlich-techno-(vlogische Zeit des Wissenschaftlers, Ingenieurs usf. begreifen: Sie tjjst der formale Modus des Zwecks einer Tátigkeit, die sich auf |p ie Erweiterung des Stands der Produktivkráfte richtet. Ihr Re-Íj4iultat geht ais Bedingung, d. h. ais Produktionsmittel in die Pro-l||duktionsprozesse mit ein. - Diese technologische Arbeitszeit setzt |lílích ihrerseits zusammen aus der aufgehobenen, vergegenstánd-Í Kchten Zeitstruktur der jeweils historischen, naturwissenschaft-láich-technologischen Resultate, die instrumentell in die unmittel-

'ífcare Arbeitszeit des Wissenschaftlers, Ingenieurs eingehen, wo íijffie in der besonderen Erkenntnis- und technischen Planungs-ístStigkeit benotigt werden, um die Bedingungen des Fortschritts

,!lper Produktivkráfte zu realisieren. »An sich*, d. h. aufierhalb ;'>der Produktionsverháltnisse kann diese Tátigkeit nicht õkono-; misch bewertet werden, weil sie nur Bedingung von Mehrwert-jaten erzeugt. Allerdings kann - wie bemerkt - von dem Faktor, trfafí sie Bedingungen der Vermehrung von Mehrwertraten set-*en, werttheoretisch auch methodisch nicht abgesehen werden. ['Marxens Bemerkung: »Die Verbesserung der Maschinerie, die neue Anwendung von Naturkráften im Dienst der Produktion befáhigen in einer gegebenen Arbeitszeit, mit derselben Summe liron Arbeit und Kapital eine grõfiere Masse von Produkten, kei-Béswegs aber eine grõfiere Masse von Tauschwerten zu schaf-4Íen.«í0 - Diese Bemerkung gilt hinsichtlich der unmittelbaren

i ' / * * Marx, Lohn, Preis und Profit, S. $4 Marx, Lohnarbeit und Kapital, S. 415

Page 24: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

proletarischen Arbeitszeit. Die »Verbesserung«, soweit sie wis-senschaftlidi-technologische Tátigkeit ist, schafft allgemeine Be­dingungen, auch die Hõhe der Mehrwertrate zu bestimmen, je­doch nur, solange diese Arbeitsteilung besteht, námlich in der ver-mittelnden Realisation durch die proletarische Arbeitszeit. Habermas* falsche Interpretation ist erleichtert worden aus der mangelnden Reflexion auf den bestimmenden, bzw. vergegen­standlichten Herrschaftscharakter, durch den diese Arbeitsteilung besteht. Die Kritik der Politischen Okonomie nach Marx hat die Vergegenstãndlichung des Politischen in und ais diese õkono-mischen Verháltnisse Vernachlássigt, so dafi sie hâufig Anlafi zu solchen werttheoretischen Jonglierkunststiicken wie bei Haber­mas wurden, denen dann mit erhobenem Finger die «politischen Konsequenzen* ãufierlich angehãngt werden. Es ist daher - so trivial es erscheinen mag - einfach daran zu erinnern, dafi »Ka-pital«, wie Marx es einmal áufierst verkiirzt ausdriickte, darin besteht, »dafi die lebendige Arbeit der aufgeháuften ais Mit­tel dient, ihren Tauschwert zu erhalten und zu vermehren«21, und dafi eine Summe von Tauschwerten wiederum erst dadurch zu Kapital wird, »dafi sie ais selbstãndige gesellschaftliche Macht, d. h. ais die Macht eines Teils der Gesellschaft sich erhãlt und vermehrt durch den Austausch gegen die unmittelbare, lebendige Arbeit. - Die Herrschaft der aufgeháuften, vergangenen, ver­gegenstandlichten Arbeit iiber die unmittelbare, lebendige Arbeit macht die aufgehãufte Arbeit erst zum Kapital. « 2 2

Mit dieser Erinnerung kann das Verhãltnis von technologischer und proletarischer Arbeitszeit genauer gekennzeichnet werden: Durch die in der Maschinerie ais Produktivkraft vergegenstãnd-lichte, technologische Arbeitszeit wird, von der einen Seite ge­sehen, die proletarische Arbeitszeit stãndig entwertet. Bleibt die formale Arbeitszeit, die Dauer, relativ konstant, so driickt sich diese Entwertung seiner Arbeitszeit zugleich ais »Verlãnge-rung« seiner wertschaffenden Arbeitszeit aus. Diese Verlánge-rung erfãhrt der Arbeiter subjektiv nur ais Strukturveránde-rung seiner Tátigkeit vermittels der neuen Maschinerie oder neuer Verfahrensweisen, nicht aber ais Verãnderung der forma-len Dauer seines Arbeitszeitaufwandes, den er verkauft. Die durch die Maschinerie freigesetzte Zeit wird dem Arbeiter un-

« Ebd., S. 409 " Ebd.

48

unterbrochen ais Mehr-Arbeitszeit wieder angefiigt. Diese Mehr-Arbeitszeit schafft an sich, wie Marx schrieb, nicht mehr Tausch-werte, aber sie erhõht die Mehrwertrate: denn inhaltlich gesehen ist jene Mehr-Arbeitszeit die unmittelbare Transformation der wissenschaftlich-technologischen Zeit, die sich im Produktions­mittel ais Produktivkraft vergegenstãndlicht hat, in eine prole­tarische. Nicht die Dauer der proletarischen Arbeitszeit wird verándert, sondern ihr Inhalt, der nur ais «intensivere* Arbeits­zeit werttheoretisch berechnet werden kann. Der Wissenschaftler, Ingenieur usf. realisiert - wenn man die

t gesamte gesellsdiftliche Arbeitsteilung betrachtet und nicht nur die vereinzelten Phánomene der Automatisierung herauspickt

I n u r die allgemeinen Bedingungen zur Erhõhung der Mehr-j. wertrate; solange in den Prozefi der Tauschwertrealisation die | Lohnarbeit ais Moment derselben eingebaut ist, so lange wird ' die Arbeitsteilung ais diese Klassengesellschaft weiterexistieren, jfo der sich die schlechte Unendlichkeit des Progresses aufierer

).' Zweckmáfiigkeit ais Herrschaft der jeweils angeeigneten, ver-igegenstándlichten Arbeit iiber die lebendige proletarische repro-duziert.

• ;IMe Dialektik beruht demnach darin, dafi zwar in der wissen-jíohaftlich-technologischen Arbeitszeit die Bedingungen zu je-jV*ils hõheren Mehrwertraten gesetzt werden, andrerseits wer-

j'|áen diese Bedingungen erst in der unmittelbaren Arbeit reali-r,ij»Íiert. Wenn die Wertzugabe der proletarischen Arbeit an sich i5«jeringer geworden ist ais in den Produktionsbedingungen, die |;|farx vorfand, so ist, genau umgekehrt wie Habermas annahm, jèiiese Entwertung proletarischer Arbeitszeit zur Bedingung ge-

• worden, von ihr einen zuvor nie geahnten Betrag an Mehrwert '| é/wzuschõpfen, dem gegenuber der Lohn der Ware Arbeitskraft

einem Faktor wird, der volkswirtschaftlich mehr und mehr •ernachlássigt werden kann.

!', tóie These Habermas' besteht demnach darin, dafi in ihr techno->\e und proletarische Arbeitszeit unvermittelt auseinander-

gerissen und getrennt beurteilt werden; dadurch gelingt es, mit tjfoern Schein rationaler Argumentation, die bestehenden Klas-tonverháltnisse erst ais Gegensãtze herabzumindern, um sie

, Ipíiefilich im allgemeinen Nebel eines »Gattungsinteresses ais ;;|§fcitem« verschwinden zu lassen. Habermas begriindet diese Ideo-•^Êmfè unterschwellig mit einer Rechtfertigung der bestehenden

lElassenverhãltnisse, indem mitschwingt, an sich seien es ja die

í .

Page 25: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

Wissenschaftler und Ingenieure, denen jener Wertzuwachs zu verdanken sei - ein Wertzuwachs, den die proletarische Arbeit, ais deren õkonomisch-soziale Exekutive, nur weitertransfor-miere, ohne selbst merklich Wert hinzuzuschaffen. - Die These kann nur bestehen, wenn man von vornherein die Ansicht pro-pagiert, deshalb hatte das Proletariat geringeren Anspruch auf diesen Wertzuwachs. In der Tat: Weil ihm dieser Anspruch ge-nommen wird, realisiert es faktisch nur noch Mehrwert, bzw. besteht seine Arbeitszeit fast nur noch aus unbezahlter.28

Marx hat auf diese Entwicklung hingewiesen, daraus jedoch zu rasch den Schlufi gezogen - weswegen er ihn in der endgiiltigen Fassung des Kapital zu Recht nicht aufgenommen hat - damit breche die auf dem Tauschwert beruhende Produktion zusam-men; seine Prognose hat sich unter andern Bedingungen erfiillt, sofern námlich in der Tat das Kapital, ohne zusammenzu-brechen, die «Arbeitszeit in der Form der notwendigen zu ver-mindern in der Lage ist, um sie zu vermehren in der Form der uberfliissigen«24. »Der Arbeiter erscheint ais iiberflussig, soweit seine Aktion nicht bedingt ist durch das Bediirfnis des Ka-pitals.«26

Das Verhãltnis von Technologie und Mehrwert konnte nur so weit problematisiert werden, ais es nõtig wurde, Habermas' Ideo­logie aufzudecken, derzufolge wissenschaftlich-technischer Fort-

*> Habermas greift mittelbar seine eigene These ideologiekritisch an, wenn er zu Recht kritisch darauf aufmerksam macht, dafi dieser Mehrwert den Mas-sen in Form einer staatlichen Entschadigungspolitik - im Sozial- und Ge-sundheitswesen, sozialem Wohnungsbau, iiber die Verbesserung der Infra-struktur insgesamt wieder »zugute« komme. Was er nicht begriff, ist die Verlagerung der Schwerpunkte des Tauschwertmarktes aus der Offentlichkeit in eine Ebene, die die Herrschaftsideologen unumwundener beschreiben: »In der Tat ist der Forschungswettbewerb in allen expansiven Produktions-weisen weit wichtiger geworden ais etwa die Preiskonkurrenz. Es sind die Laboratorien, die dariiber entscheiden, wer sich den grofiten Umsatzanteil erringt.» A. Mohler, a. a. O., S. 330

1 4 Marx, Grundrisse, S. 593 2 5 Ebd., S. $86. - Wiirde die Relevanz des Tauschaktes zwischen Arbeitskraft

und Lohn bedeutungslos, d. h. verschwande der õffentliche Arbeitsmarkt, so entstiinde keine »Angestelltengesellschaft«; es entstunde nur eine monopole Arbeitsmarkt-Struktur: die jeweils ausgehandelten Tauschwerte hatten sich in Transferakte des Kapitals vergegenstandlicht, auch wenn der Schein durch ein Tarifsystem erhalten bliebe, ais ware in ihm noch der Lohn «ausgehan-delt«. Eine »Angestellten-Entlohnung« des Proletariats kann daher nicht ais Form einer Entproletarisierung aufgefafit werden.

5 °

schritt eine «unabhãngige Mehrwertquelle« sei. - Diese These war fiir ihn ein Kriterium, an Hand friiher Texte Hegels sein Modell von «Arbeit und Interaktion« einzufiihren: Habermas

, ist der Ansicht, Hegel hâtte die Begriffe List und Gewalt nicht aus der arbeitsteiligen Struktur der Verfahrensweise technischer Rationalitát gewonnen, sondern diese áufierlich mit jenen inter-

' pretiert; dabei bemerkt Habermas zu Recht, dafi in Hegels «Lo­gik* ein Zwang bestehe, Entwicklung durchgángig teleologisch zu denken. Doch nicht darin liegt die Apologie der bestehenden Produktionsverháltnisse, sondern in Hegels Rettung des herr­schenden Widerspruchs zwischen áufierlicher und verinnerlichter Zweckmáfiigkeit: indem er diesen Antagonismus in einem onto-logischen Abschlufi der Entwicklung rechtfertigt, ais ob Natur, auch die menschliche, sich im Begriff bereits technisch vollstándig

' abgeschlossen und aufgehoben hátte. Der Zwang beruht in der >' uachtráglichen Konstruktion des Prozesses, ais ob sein Fort-

fMiritt linear, gradlinig verlãuft; erst in diesem Schematismus #ird alie Natur unter der Hand zur Schõpfung des Menschen, *izw. des Absoluten Geistes, nicht nur die bereits industriell fimgesetzte. In dem Mafie aber, wie die Natur in diesem Fort-

|áehritt geleugnet wird, erscheint Fortschritt ais vernunftlose pjNatur.

5 Habermas untersucht dieses Problem nicht ais eines, das in den Ifciemchenden Produktionsverháltnissen lángst seine Realitãt be-ClítZt, sondern er versucht nur subjektivistisch diese reale teleolo-*|ísche Zwangsverflechtung von «Arbeit und Interaktion« zu lo-1 Sen, um sie ais «verschiedene Formen der Konstruktion selber«26, fjâe sie in den friihen Schriften Hegels auftauchen, zu behandeln;

«die idealistische Aufhebung des Unterschieds zwischen. Objekten ais Gegenstánden und Gegenspielern macht demgegen-iber die Gleichschaltung der heterogenen Muster mõglich; wenn ÉSuit Natur ais einem verborgenen Subjekt in der Rolle des an-deren Interaktion moglich ist, decken sich die Prozesse von Ent-Ittfierung und Aneignung formell mit denen der Entfremdung and der Versõhnung.«27 Habermas ist der Meinung, die Ver-léhleierung dieser «heterogenen Muster« fuhre zu einer Ver-

tAung politischer und õkonomischer Kriterien: «Die Befrei-von Hunger und Miihsal konvergiert nicht notwendig mit

rmas, Arbeit und Interaktion, in: Technik, S. 10 I» Ebd., S 39

51

Page 26: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

der Befreiung von Knechtschaft und Erniedrigung; denn ein ent-wicklungsautomatischer Zusammenhang zwischen Arbeit und Interaktion besteht nicht. « 2 8 Daher miisse ein »fundamentaler Unterschied zwischen Arbeit und Interaktion* gesetzt werden. Die Struktur zweckrationalen Handelns, die er unter Einhal-tung dieses alternativen Wertorientierungs-Unterschieds zu de-duzieren versucht, erhált konsequentermafien nur noch die tauto-logischen Merkmale reinen Funktionierens, wobei frõhlich davon abgesehen wird, dafi der Zweck dieses rationalen Handelns im Formalismus der Funktionen schlecht auf geht: »Zweckrationales Handeln verwirklicht definierte Ziele unter gegebenen Bedin­gungen.*28 Da Habermas zugleich nicht davon absehen kann: »Der Besitz ais das Substrat der rechtlichen Anerkennung geht aus dem Arbeitsprozefi hervor. Im anerkannten Produkt der Ar­beit sind mithin instrumentales Handeln und Interaktion ver-knupft.«80 - so mufi er jeden Akt zweckrationalen Handelns un-vermittelt beginnen lassen, um ihn rein zu halten von dem Mo-ment der Interaktion, durch das - iiber den Besitz an Produk-tionsmitteln - Erfolg oder Nicht-Erfolg der Arbeit mitdiktiert wird. So kehrt bei Habermas im Prozefi der Arbeit unmittelbar wieder, was er an Hegel und Marx unzutreffend kritisiert hatte: die »Gewalttãtigkeit« der technischen Rationalitát ais Moment eines verborgenen Natursubjekts: »Die Arbeitsprozesse, durch die wir uns vom Diktat unmittelbarer Naturgewalt befreien, gehen also derart in den Kampf um Anerkennung ein, dafi im Resultat dieses Kampfes, im rechtlich anerkannten Selbstbewufit-sein, auch das Moment der Befreiung durch Arbeit festgehalten ist.*81 - Die »alternative Wertorientierung«82 zwischen Arbeit und Interaktion zeigt sich hier ais das wahrhaft gelungenere Ge-spenst: Je formaler der Zweck zweckrationalen Handelns kon-struiert wird, desto irrationaler kehrt er zunáchst in der Sphãre der Interaktion »symbolisch vermittelt« wieder, um dann schliefilich zum Gewaltdiktat eines Natursubjekts in der Arbeit zu werden.

Der rationale Kern dieser ideologischen Repràsentation einer

2 8 Ebd., S. 46. - Die Alternative zwischen Arbeit und Interaktion erhãlt ins-gesamt noch eine weitere: die »Entwicklungsautomatik«, ais ob es dazwischen keine anderen Vermittlungsmõglichkeiten gabe.

2 8 Habermas, Technik, S. 62 3 0 Habermas, Arbeit und Interaktion, in: Technik, S. 34 « Ebd., S. 35 3 2 Vgl. Habermas, Technik, S. 61 f.

52

Gesellschaft, in der die einen Vertráge schliefien und «interaktio-nieren«, die andern die Arbeit leisten, liegt in einer anderen Ahnung: dafi námlich der technische Sachzwang, ais Form der Herrschaft vergegenstándlichter Arbeit iiber die lebendige, dem Arbeiter in der Konstellation der Produktionsmaschinerie nicht ais verdinglichte Herrschaft, sondern nur ais Produktivkraft er­scheint. Eben diese Vergegenstándlichung politischer inõkono-mische Momente in der Maschinerie - ais technischer Zwang zu einer besonderen Produktionsweise - erlaubt es dem unmittelbar herrschenden Klassensubjekt, sich stándig mit einer Pilatusgeste ideologisch von der Zustándigkeit zuriickzuziehen, durch die es selbst sein Erbe antritt und seine Interessen wahrt. Nun erscheinen der lebendigen Arbeit unbewufit in der Maschi­nerie nicht nur die Zwecke des Produktionsmittel-Besitzers und der Unternehmertriebe, sondern zugleich das vergegenstánd­lichte technologische »Wissen« um diesen Zweck. Hegel hatte es beschworend im Bild des »ehrenvollen Pfluges* festgehalten; Marx stellte niiohterner fest, dafi dieses vergegenstándlichte Wis­sen »durch die Maschine ais fremde Macht - ais Macht der Ma-achine selbst*88 auf den Arbeiter wirke. Dieses technologisch ver­gegenstándlichte Wissen tritt dem Arbeiter in der Maschinerie ais das ununterbrochene »Re« der Produktion entgegen, dem er sich zu fiigen hat.

Unmittelbar ais Ausbeutung erfáhrt der Arbeiter diese õkono-Busch vergegenstandlichten politischen Kategorien einer herr-«henden Produktion nicht; stets aber wird Ausbeutung politisch manifest, wo der Prozefi dieser Vergegenstándlichung noch tá-t»g ist iiber das zweckbestimmende Herrschaftssubjekt; das láfit «ich etwa an den Praktiken der Refa-Systeme und Methods Time Measurement (MTM-Systeme) verfolgen. Zum Zweck, op-timale Arbeitsleistungen zu berechnen, werden Arbeitsbewegun-gen gefilmt: »Im Verlauf dieser Studien iiber die Bewegung bei der Arbeit ging man auf die sogenannten Grundbewegungen zu-fClck, d. h. auf die elementaren Bewegungsvorgánge der Finger, Hande und Arme, der Beine und Fiifie, der Augen und des Kõr-pers, die nicht weiter zerlegbar sind. Nun stellt man die Frage: wieviel Zeit braucht ein Arbeiter unter normalen Umstánden fflr die Grundbewegungen.*84 Damit wird die Arbeitszeit be-

.** Marx, Grundrisse, S. $84 * * H . Wiedemann, Die Rationalisierung aus der Sicht des Arbeiters, Kõln-*•' Opladen 1967, S. 44

Í3

Page 27: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

rechnet, mit der »die optimale Handhabung der Maschine pro Arbeitsauftrag zu erreichen«85 ist. - Im Opferritual dieser Ana-tomie menschlicher Erniedrigung wird in der Tat die Gehlen-Habermassche Organ-Technik zur zynischen Wirklichkeit. Habermas hatte zu Recht bemerkt, dafi Hunger und Knechtschaft keinen »entwicklungsautomatischen« Zusammenhang bilden; er zog den Schlufi, es bediirfe eines fundamentalen Unterschieds zwischen Arbeit und Interaktion - und - die Anwendungsbedin-gungen der Arbeitswerttheorie entfielen. Was ihm diese Ideolo­gie rational erscheinen liefi, war die Beobachtung, dafi Marx -etwa im »Kommunistischen Manifest* - die Begriffe Ausbeutung und Verelendung gleichgesetzt hatte: Habermas aber mifiversteht diese Gleichsetzung aus agitatorischen Griinden ais eine õkono-mische Kategorie: Verelendung, im leiblich-geistigen Sinne, ist der mit dem Stand der Produktivkraft qualitativ sich verãn-dernde Raubbau an der Produktivkraft Arbeit - wie am Bei-spiel der MTM-Systeme deutlich wird. 8 6 Es liegt aber auch in der Notwendigkeit des Fortbestandes kapitalistischer Produk-tionsverhãltnisse, durch nachtrãgliche Pflege die beraubte Ar­beitskraft ais arbeitsfãhige stets wiederherzustellen; und gerade mit der Perfektionierung dieser Pflege steigt objektiv wiederum der Intensitatsgrad mõglicher Ausbeutung, ais immer extremer werdendes Mifiverhãltnis zwischen Mehrwertrate und Arbeits-lohn. Politisch driickt sich diese Ausbeutung durch stetige Ver-stárkung der Verhinderung selbstbestimmender, emanzipato-rischer Zwecksetzungen aus; dem korrespondiert die Verfu­gung der herrschenden Klasse iiber ein Kapital, das sich Marx zu Recht nur ais den Reichtum vorstellen konnte, der dem Pro-duktionsprozefi den Charakter der Notdurftigkeit nimmt.87

Habermas' ziemlich unertrâgliche Wissenschaftsarroganz98 fiihrt

» Ebd., S. J J 3 8 In einigen Betrieben, in denen mittels MTM-Systeme Akkordzeiten berech-

net und gefordert wurden, stieg der Prozentsatz von Arbeitsunfallen un­mittelbar darauf um ;o %>. Den Arbeitern wurden daraufhin von Werk-arzten Psychopharmaka verschrieben, um ihren nervlichen Ruin voriiber-gehend verdecken zu kõnnen.

3 7 Angesichts dieser angeschwollenen Verfiigungsgewalt ist die Idee der bur­gerlichen Parlamente, sich iiber legislative Aktionen wenigstens die Kontrolle iiber diese Verfugungsgewalt anzueignen, geradezu riihrend - vor aliem, wenn man den Prozefi zwischen Haushaltsberechnungen und ihren Verab-schiedungen verfolgt. - Vgl. auch: E . Altvater und Chr. Neususs, Politische Dkonomie und õkonomische Politik in der BRD, 1969.

8 8 Mit dem gleichen Gestus, mit dem er linken Theoretikern »falsche Inter-pretationen« einer Wirklichkeit vorwirft, die er ihnen allererst zurechtkon-

54

ihn zugleich zu einer Selbstiiberschatzung, die ihm - nicht ohne Ironie - Kriterien der Analyse der herrschenden Gesellschaft an die Hand gibt, die selbst nur eine Neuauflage der technokra-tischen Ideologien sind: »Eine Stabilitát und wirtsdiaftliches Wachstum sichernde Politik kann heute nur darum den Schein f achmannischer Erledigung administrativer und technischer Auf-gaben wahren, weil die Dffentlichkeit entpolitisiert ist.«89 - An­gesichts solcher Thesen bleibt einem wenig mehr zu tun ubrig, ais sie mit der Reaktion der »Betroffenen« zu konfrontieren: »Von Veblen iibernommen ist die Uberzeugung, dafi die Mánner der kapitalistischen Wirtschaft die eigentlichen Hindernisse auf dem Weg zum Gliick der Menschheit seien - aber nun nicht mit dem marxistischen Argument der >Ausbeutung<, sondern mit dem technokratischen der >Inkompetenz<.«40

struiert hat, versteigt er sich in das anmafiende Pathos, mit dem er sein eigenes Werk einleitet, dafi »nach Kant Wissenschaft philosophisch nicht mehr ernstlich begriffen worden» sei.. Im selben Werk wird eine Positivismus-Kritik »gewagt«, die von der Wiener Schule nicht einmal Notiz nimmt. Vgl. Habermas, Erkenntnis und Interesse, Frankfurt 1968 (zit. S. 12)

*• Vgl. Habermas, Die Scheinrevolution und ihre Kinder, in: Die Linke ant-wortet Habermas, Frankfurt 1968, S. j/6. - Konkret werden diese techno­kratischen Thesen in seinen Vorschlâgen zur Hochschulreform. Was er u. a. zur «Schwache akademischer Selbstverwaltung« anmerkt, sind die bekannten verdinglichten Leistungskriterien ad infitum: »mangelnde Effizienz der Ver-waltung», .Unproduktivitat des Lehr- und Forschungsbetriebs» usf. Wie sehr er selbst Leistungs- und Konkurrenzverhalten verinnerlichte, spricht aus For-derungen wie folgender: »Der Anschlufi an den sogenannten Stand der For-schung . . . macht bestimmte Disziplinierungen unerlãíSlich.» (In: Habermas, Protestbewegung und Hochschulreform, Frankfurt 1969, S. 22$ u. 248).

r: Dies ist in der Tat nur eine Kopie dessen, was ohnehin herrschende Not-,í wendigkeit geworden ist.

A. Mohler, a. a. O., S. $91

55

Page 28: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

6. Das Orwellsche Technik-Wesen

Um politische Herrschaft auf den Begriff bringen zu kõnnen, ver­sucht Habermas, «zweckrationales Handeln der Menschengat-tung« ohne die besonderen historischen Inhalte der Zwecke, ais an sich »politisch indifferent« zu konstruieren. Die formale »Reinheit« der Zweckrationalitát verweist die politische Herr­schaft auf eine irrationale Interaktionssphãre. Von dieser Konzeption her wirft er Marcuse vor, dieser ziele mit dem Gedanken einer »herrschaftsfreien Technik« auf eine »prinzipiell verschiedene Methodologie der Wissenschaft*1. »Prin-zipiell« verschieden kõnnte allerdings diese Methodologie nur durch eine »prinzipielle« Verãnderung der ãufieren, leiblichen und verniinftigen Natur werden, die sich selbst nicht mehr er-kennen wiirde. Das Attribut »prinzipiell« allerdings ist Marcuse von Habermas unterschoben worden; Marcuse spricht nur von einer «anderen Methode«. Habermas selbst hat vielmehr die besondere Geschichtlichkeit wissenschaftlicher Methodik geleugnet: zum einen mit der These, die Arbeit technischer Rationalitát sei apriori die lineare Trans-formation leiblicher Organstruktur, in die die Vernunft nur ais Mittel zum Zweck des instrumentellen Vollzuges eines instinkt-haften Naturprozesses eingeschaltet wird; zum andern mit der These, Natur sei in diesem Prozefi nur gegebener Gegenstand, also Ding an sich. Und gerade die zweite wird von der ersten These widerlegt. Habermas versucht Marcuses »Unsicherheit« zu uberwinden, in­dem er ihn dahin zuriickdrángt, woher seine Unsicherheit stammt: aus der unkritischen Rezeption des Heideggerschen Technikbegriffs2.

1 Habermas, Technik, S. JJ 1 Es ist daher kein Zufall, dafi Bergmann in seiner Kritik an Marcuses

Technikbegriff zu fast gleichen Ergebnissen kommt wie Rolshausen in seiner

56

Heidegger bemerkt zunáchst richtig, dafi das Verstándnis von Technik, ais eines nur unmittelbar gegenstándlich gegebenen Mit­tels zum Zweck oder ais reines »Tun« des Menschen, nur die Ideologie ist, die die technische Entwicklung selbst erzeugt: «Dadurch macht sich der Anschein breit, alies was begegne, be-stehe nur, insofern es ein Gemáchte des Menschen sei... Nach ihm sieht es so aus, ais begegne der Mensch iiberall nur noch sich selbst. «* Dem setzt Heidegger entgegen: «Sie (die Technik, H.-D. B.) entbirgt solches, was sich nicht selber her-vor-bringt und noch nicht vorliegt.«4 Er zieht daraus den Schlufi: «So ist denn auch das Wesen der Technik ganz und gar nichts Technisches.*8

Zwar kõnne der Mensch «am Bestellen ais einer Weise des Ent-bergens teilnehmen«6; allein, «iiber die Unverborgenheit, worin sich jeweils das Wirkliche zeigt oder entzieht, verfiigt der Mensch nicht«7. Durch die Verselbstândigung dessen, was sich in der Technik dem blofien Verfugen entzieht, wird andererseits das erzeugende Subjekt zur Schaltstelle in der «Konstellation des Seins«8. «Zum Technischen«, schreibt Heidegger, «gehõrt da-gegen alies, was wir ais Gestánge und Geschiebe und Geriiste ken-nen und was Bestandteil dessen ist, was man Montage nennt.«*

1 Indem Heidegger «Technisches* und «Wesen der Technik« aus-|, «inanderreifit, fãllt das Technische wieder der ideologischen Pra­

xis zu, die er zunáchst mit den Worten denunzierte: «Indessen i, spreizt sich gerade der so bedrohte Mensch in die Gestalt des '. .Herrn der Erde auf.«10 Heidegger »vergifit« dariiber, dafi das 111 jfcedrohende der Herr selbst ist, der die »Montage« seiner Ar-•» beiter iiberwacht. Ideologisch kehrt das Klassenverháltnis ais ' Patriarchie des Seins wieder. Zugleich zerschlãgt Heidegger den

| Wmáchst geahnten Kern mõglicher Emanzipation, indem er ihren Versuch dem Gestus des Erdbeherrschers gleichsetzt: «Solange

1 wir die Technik ais Instrument vorstellen, bleiben wir im Willen

; •' Kritik an Habermas. (Vgl. J . Bergmann, Technische Rationalitát und spãt-kapitalistische Dkonomie, in: Antworten auf Marcuse, Frankfurt 1968, S.

í 89 ff. und: C . Rolshausen, Neue Probleme, in: Die Linke antwortet Haber­mas, S. 143/144)

»'• M. Heidegger, Die Technik und die Kehre, Pfullingen 1962, S. 26 «Ebd., S. 13 » Ebd., S. 5

,! • Ebd., S. 18 * Ebd., S. 17

( < âiHeidegger, a. a. O., S. 46 » Ebd., S. 20

|\#» Ebd., S. 16

57

Page 29: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

hãngen, sie zu meistern.*11 Dafi Technik ais Instrument der Be-herrschung auch gegenstãndlich geworden ist, kann Heidegger, âhnlich wie Schelling, letztlich nur ahnend und verschleiernd zugleich, in dem der Technik antipoden Wesen der Kunst be­greifen. Wie Habermas bannt auch Heidegger die herrschende Gewalt der Technik nur idealistisch; zwar nicht mit dem Gedanken einer sich aufklárenden Offentlichkeit, aber vermittels philoso-phischer Verinnerlichung: »Doch menschliche Besinnung kann bedenken, dafi alies Rettende hõheren aber zugleich verwandten Wesens sein mufi wie das Gefáhrdete.«12; und damit verharrt der kritische Apologet in Staunen »vor der Mõglichkeit, dafi iiberall das Rasende der Technik sich einrichtet, bis eines Tages durch alies Technische hindurch das Wesen der Technik west im Ereignis der Wahrheit« l s. Das Merkmal Orwellschen Technik-Wesens liegt nicht in seiner Widerspruchslosigkeit, sondern darin, dafi seine Widerspriiche eine Integration durch Spannung bewirken. Es ist nicht zufãllig, dafi das Bewufitsein totalitãrer Technik gerade bei entpolitisier-ten Teilen der Arbeiterschaft wiederzufinden ist. Popitz, Bahrdt u. a. weisen darauf hin, »dafi sich auch fiir eine Reihe von Ar-beitern . . . die Technisierung der Produktion, des Verkehrs, des Nachrichtenwesens, der Versorgung, der Verwaltung usw. zu einer Einheit verbinden, die ais die >Technik< bezeichnet wird*. 1 4

»Technik« deckt sich hier genausowenig mit dem Technischen, mit dem der Arbeiter unmittelbar umzugehen hat. Âhnlich wie fiir Heidegger wird fiir die entpolitisierten Teile der Arbeiter­schaft das «Wesen der Technik* zur »heimlichen Unheimlichkeit« technischer Entwicklung iiberhaupt, durch das drohend und vã-terlich ermahnend das Sein uns »zuspricht«. Die Idee technischer Totalitât ist der angeschwollenenHerrschafts-gewalt derart entnommen, dafi ihr Grund verdeckt wird. Mar­cuse bemerkte das, ais er schrieb, Herrschaft gehe nicht »erst von aufien«, sondern schon »in der Konstruktion des Apparats« mit ein. Aber er verbirgt sich, was er zu erkennen begann, durch seine Heidegger-Rezeption.15 Durch sie fãllt er in die These zurúck,

1 1 Ebd., S. 32 1 2 Ebd., S. 34 1 2 Ebd., S. 3J 1 4 H . Popitz, H . P. Bahrdt u. a., Das Gesellschaftsbild des Arbeiters, Tiibin-

gen 1961, S. 59 1 8 »Denn iiberhaupt ist die Benutzung von Maschinerien und die Fabrikation

58

í 1

I Í i

I ti

i

i •Si

die Habermas dann herausdestilliert, námlich, »dafi die Maschi­nerie des technologischen Universums >als solche< politischen Zwecken gegenuber indifferent«18 sei. Aber Marcuses Vorsicht ist hier seine Ahnung, dafi die Maschinerie »als solche« in der Tat erst dann politisch indifferent wird, wenn das politische Mo-tiv, sie »als solche« zu beurteilen, im selben Urteil verschwiegen wird. Die Ideologen einer totalitáren Technik sind nie mude geworden, »konkrete« Belege zu finden; eines dieser Erklárungsmodelle ist die Automatisierung. Bereits ihre Definition erzeugt diesen Schein totalitãrer »Objektivitãt«. So heifit es in einem Fachlexikon iiber »Automatisierung«: »Selbsttãtig arbeitet eine Maschine nur dann, wenn sie durch eine Einrichtung einen Auftrag ent-gegennimmt, die Bearbeitung einleitet, die Aufienbereichssitua-tion berucksichtigt, ihre Wirkung optimiert und sich in Grenzzu-stãnden (Katastrophenfall usw.) richtig verhãlt. Eine in diesem Sinn selbstátig arbeitende Maschine benotigt keine Beaufsichti-gung durch den Menschen.«17 - Âhnlich Gehlen: »Diese moder­nen technischen Regelungsapparate mit Riickmeldung beruhen alie auf dem Prinzip, dafi das System nicht, wie ein Auto, seine Tãtigkeit nach Befehlen variiert, die von aufien gegeben wer­den: das ist Steuerung. Sondern es variiert seine Leistung unter dem Einflufi des Ergebnisses eben der selben. « 1 8 Der Mythos von der «selbstãtigen Arbeit« der Maschine hat, wie gesagt, die Funktion, zu verschleiern, dafi die Automation eine Aufhebung bestimmter Arbeitstãtigkeiten ist. Der Automat wird in der Ideologie auf dieselbe Weise beseelt, wie die Zweckrealisation der unmittelbaren Arbeit »entseelt« wird. Dieser Ideologie scheint die Automatisierung auf zweierlei Weise entgegenzukommen: Wãhrend eine Waffe, auch wenn ihr geg-nerisches Objekt wechselt, stets in ihrer politischen Zweckmáfiig­keit beurteilt wird, und wãhrend ein Pflug ohne den sozialen Charakter der Arbeit, in die er einging, selten definiert wird -ist die kapitalistische Technik von vornherein durch das Prinzip des wirtschaftlichen Wachstums konzipiert: Ihre instrumentelle

Von Maschinen nicht schon die Technik selbst, sondern nur ein ihr gemafies Instrument der Einrichtung ihres Wesens im Gegenstandlichen ihrer Roh-

jlfS ' stoffe.« (Heidegger-Zitat in: Marcuse, Der eindimensionale Mensch, S. 168) iil!* llarcuse, ebd. \;'/M Technik-Lexikon, Hrsg. v. T. Boveri u. a., Bd. IV, Erankfurt 1963, »Auto-

, matisierung« [ f i Gehlen, a. a. O., S. 20

$9

Page 30: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

Anwendung mufi eine bestimmte Breite haben, wenn das Instru­ment nicht mit jedem Grad veránderter Produktivkraft anwen-dungsunfáhig werden soll; dieses notwendige Prinzip einer rela-tiv off enen und dadurch abstrakt bleibenden instrumentellen An-wendungsbreite mufi ais technische Rationalitát im Instrument selbst verwirklicht sein. Die relative Abstraktheit der kapita-listischen Technik ist nichts weiter ais das Tribut der prázisen Zweckmáfiigkeit an das Wachstum der Produktivkráfte, das sie wiederum dadurch allererst bedingt und ermõglicht. Diese Dialektik ist z. B. an einem Kraftwagen ohne weiteres ein-sichtig: Die Notwendigkeit, ein Fahrzeug einmal gegenuber ver-schiedenartigen Zwecken »offen« zu konstruieren (es etwa zum Lastentragen ebenso verwenden zu kõnnen wie zum Lasten-ziehen) und zugleich widersprechende áufiere Bedingungen be-riicksichtgien zu miissen (etwa Hõhenunterschiede, Unebenhei-ten, urbanische Verháltnisse etc.) - diese Notwendigkeiten zwin-gen zu einer technischen Konstruktion, die bestimmte sich wider­sprechende Funktionen nur ausgleichen kann, wenn der Apparat ihnen gegenuber eine relative Mobilitát und jeweils bestimmbare Anpassungsmõglichkeit besitzt. Das gelingt in diesem Fali etwa in Form einer beliebig modifizierbaren Beschleunigung. Durch diese Beliebigkeit aber gehen bestimmte, an sich nicht geplante Mõglichkeiten in die Konstruktion selbst ein: Die Beschleunigung des Fahrzeugs kann auch zu bestimmten Aggressionsentlastun-gen benutzt werden. - Nur darin kann der Mythos sogenannter »Tiefenbindung an Aufienweltprozesse* seinen rationalen Kern haben.-

Mag bisher ein bestimmtes sozialpsychologisches Verhalten weit-gehend nur im Kampf oder Sport und deren Techniken Aus-druck gefunden haben, dringt nun eine durch Arbeitsdisziplin er-zeugte Triebstruktur ais Motiv auch in scheinbar »neutrale« Apparate ein, deren technische Rationalitát doch gerade darin be-stand, diese instrumentelle Breite bewufit zu konstruieren. Der Automat trágt dieser wirtschaftlichen Notwendigkeit maxi-mal Rechnung; dies erleichtert die ideologisch bedingte »Ver-wechslung* seiner unmittelbar instrumentellen Zweckmáfiigkeit mit der Zweckmáfiigkeit seiner innertechnischen Struktur. Nur durch eine technische Konstruktion, die den raschen Fortschritt der Produktivkráfte - den sie eben durch diese Konstruktion ermõglicht - ais Veránderung unmittelbarer Zwecksetzungen »iiberlebt«, kann den Schein endgiiltig erzeugter Methoden tech-

6o

nischer Rationalitát wecken.18 Die »Verbesserung der Maschine­rie* driickt diese Dialektik sprachlich aus, indem sie die Endgiil-tigkeit ebenso leugnet wie sie das relative »Beharren« ihrer Brauchbarkeit dokumentiert. Marx hat diese Dialektik, in bezug auf die proletarische Arbeitskraft, háufig dargelegt, vor aliem auch die »emanzipatorische Gegenlist«, die das Kapital durch seine eigenen bornierten Grundlagen in der Maschinerie mitproduzie-ren mufi: »Die erste Seite ist wichtig, weil das Kapital hier -ganz unabsichtlich - die menschliche Arbeit auf ein Minimum reduziert, die Kraftausgabe. Dies wird der emanzipierten Arbeit

; zugute kommen und ist die Bedingung ihrer Emanzipation.«20

Diese Erkenntnis ist selbst von marxistischen Theoretikern háu­fig eher verdeckt ais aufgegriffen worden; allerdings ist die To-talitát faschistischer Mordtechnik hier auch selbst zum zynischen Korrektiv eines blofi vulgármarxistischen Optimismus' ge-•worden. ;i'8o ist Marcuses »Unsicherheit« nicht weniger bei Ernst Bloch («ofgetreten: »Die Technik ist, sofern sie Lebensmittel-, nicht ';Todesmittel-Technik darstellt, cum grano salis selber schon so-'kfttalistische.*21 Beziiglich der »Lebensmitteltechnik« ist hier zwar ííler politische Impetus technischer Rationalitát begriffen, aber Jjfeicht anders ais bei Habermas in dessen These von der »an sich« ipireits klassenlos, námlich abstrakt-gattungsmáfiig sich voll-tiehenden technischen Entwicklung. Bloch bemerkt zugleich, dafi

jipe Kriegstechnik - die »geradezu den Unfall (des anderen) ra-fllooalisiert, ais hõchst bewufite Katastrophentechnik«22 - in der tpAombombe einen »schándlich pervertierten Vorláufer subato-

«•er Produktivkráfte«23 darstelle. Um beide Pole verbinden kõnnen, mufi Bloch, wie Habermas und Marcuse, wieder zu Idee einer politisch indifferenten Produktivkraft zuruckkeh-

»So zeigt die gelungene Praxis der Atombombe... die che Grundenergie, die das Weltall baut, in Gang hãlt und zer-

n kann.«2 4 Ebenso wie Marcuse greift Bloch wider seine

biesen Prozefi kann man augenblicklidi verfolgen an der Weltraumtechnik: * 'Dáf technisch zu losende Problem ist, den » Verschleifi» so zu mindern, dai!

1 4ie Instrumente wiederholt brauchbar werden, ohne dafi damit iiber ihre »Endgiiltigkeit« etwas ausgesagt wurde. M*rx, Grundrisse, S. $89 MbCB, Das Prinzip Hoffnung, S. 769 Ibd., S. 811 EM-, s. 774 I M .

61

Page 31: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

bessere Erkenntnis einer immer schon mit dem Subjekt vermit-telten natura naturans auf die Idee einer »an sich« unpolitischen Produktivkraft zuriidk. Eine metaphysisch-keimhaft gedachte Grundenergie, aus deren Schofi Produktion und Destruktion gleichermafien sinnreich »entlassen« werden, widerspricht in sich selbst einer metaphysisch-urgrundhaft »fertig« gedachten Natur. Die nicht nur gegenstãndliche Natur ist auch in der Technik, in der Einheit mit technischer Rationalitát, zugleich »mitwirkend«; denn »ohne solche Vermittlung ist das Physische in der Tat nur der Leichnam des abstrakten Verstandes«25. Das heifit aber, dafi Natur, die innerhalb des Stoffwechsels der menschlichen Subjekte mit ihr zugleich aufierhalb desselben ist und nicht nur in diesem aufgeht, nicht ais magische Produktivkraft gelten kann, die ihr Verhãltnis zu jeweils verschiedenen Produktionsverháltnissen absichtsreich, aber undurchschaubar selbst stiftet. Horkheimer versucht, wie Habermas, den Kern der politischen Technologie aus einer scheinbar nur politischen »Uberlagerung« zweckrationaler Vernunft zu begreifen: »Als die Idee der Ver­nunft konzipiert wurde, sollte sie mehr zustande bringen, ais blofi das 'Verhãltnis von Mitteln und Zwecken zu regeln; sie wurde ais Instrument betrachtet, die Zwecke zu verstehen, sie zu bestimmen.«2* Horkheimer verkennt, dafi es gerade dieses instrumentelle Verstãndnis der Vernunft ist, durch welches, unter herrschenden Bedingungen, stets das »Verstandene« wieder ais blofies Mittel verwendet wird; so gelangt Horkheimer nur zu einer abstrakten Konfrontation von Idee und Wirklichkeit: »Der Gedanke, dafi ein Ziel um seiner selbst willen verniinftig sein kann... ist der subjektiven (d. h. der formalistischen, ma-nipulierbaren, H.-D. B.) Vernunft zutiefst fremd.«27 Bereits Kant hatte allerdings begriffen, dafi diese Konfrontation eine der herrschenden Gesellschaft immanente Funktion ist: »Es bleibt also von allen seinen (des Menschen, H.-D. B.) Zwecken in der Natur nur die formale, subjektive Bedingung, námlich die Taug-lichkeit.«28 Und: »Der Zweck der Existenz eines solchen Natur-wesens ist in ihm selbst, d. i . er ist nicht blofi Zweck, sondern auch Endzweck, oder dieser ist aufier ihm in anderen Natur-

" Ebd., S. 80$. " M. Horkheimer, Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, Frankfurt 1967,

S. 21 2 7 Ebd., S. I J 2 8 Kant, Kritik der Urteilskraft, a. a. O., S. 380

62

| Í wesen, d. i . es existiert zweckmáfiig nicht ais Endzweck, sondern notwendig zugleich ais Mittel. « 2 0 Ebenso hatte Hegel diese schiefe Einheit von Zweck ais Endzweck und Mittel bemerkt. Und wenn Marx schreibt, jedes Element im Produktionsprozefi sei »nur Produktionsmittel fiir das Kapital, fiir das nur der Wert ais Selbstzweck existiert«30, so taucht hier der von Hork­heimer verloren gewáhnte Selbstzweck, ais Identitát von End-

| | ttweck und Mittel, gerade im Kern der instrumentellen Vernunft fals Herrschaft, ais herrschender Unternehmertrieb, wieder auf. IfÕPamit schliefit sich ein Kreis: Das Verstãndnis von Technik

rird stándig auf das der gesellschaftlichen Zwecksetzung verwie-||en und umgekehrt.

)ieser Zirkel ist nicht einer blofi logischer Unzulãnglichkeit, son-ern die Existenzweise wissenschaftlich-technologischen Fort-íiritts ad infinitum. Er kann, ais praktisch wirksamer, unter ftderem unmittelbar an der Weltraumforschung beobachtet wer-en. Diese bietet sich schon deshalb ais Ideologie an, weil mit èm Hinweis auf ihre »Selbstzweckhaftigkeit« ihre technologisch ientable Funktion ais »wissenschaftlicher Ethos« ausgegeben wer-en kann. Die Mõglichkeit, den Erdball verlassen zu kõnnen,

Iftann an sich ais beginnende Zerstõrung von Herrschaftslegitima-ionen gelten, die sich ais kosmologische Metaphysik einer »wel-

ílenweiten Ausgeliefertheit« rechtfertigen konnte. Zugleich ist, Con anderen Gestirnen aus, die absolut gegenstãndliche Basis,

absolute Verhaftetsein an den Erdglobus aufgelõst worden. tót)er Globus, ais ganzer, ist damit »an sich« im Begriff, Objekt Mtt Prozefi gesellschaftlich emanzipatorischer Zweckbestimmung | | | b Werden. De facto ist er jedoch nicht erst seit der Mondlandung

»als ganzer« stets nur zweckmáfiiges Mittel der instrumen-ell herrschenden Vernunft, deren Tátigkeit gerade in der Ver-

MWgenstándlichung des Ausgeliefertseins besteht. Die Weltraum-piotfschung erzeugt unter herrschenden Bedingungen unmittelbar IAM* - von Marcuse bemerkte - «Doppelfunktion des wissen-KlÉhaftlich-technischen Fortschritts ais Produktivkraft und Ideolo-Fgie«. Die ideologische Funktion ist wenig kaschiert: Die Welt-

í' J*'Ebd., S. 373. - Âhnlich Marcuse: »In dem Mafie, wie der Operationalismus ins Zentrum des wissenschaftlichen Unternehmens tritt, nimmt die Ratio-Mlitãt die Form methodischer Konstitition, Organisation und Handhabung

•**' der Materie ais bloSen Stoff der Kontrolle an, ais Mittel, das sich fiir alie íiílíjjiele und Zwecke eignet - Mittel per se, >an sich<.« Marcuse, Der eindimen-

ilonale Mensch, S. 170 >M*rx, Grundrisse, S. $82

63

Page 32: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

raumforschung liefert Bilder eines Abenteurertums, in denen die Sprengung der bestehenden Produktionsverháltnisse phan-tasiereich vordemonstriert wird, ohne dafi damit ihre «bornier-ten Grundlagen* mit in die Luft gehen. Die Basis dieser Ideolo­gie ist ebensowenig undurchsichtig: Die Mõglichkeit, tenden-ziell das dem Kosmos blofi ausgelieferte menschliche Verhãltnis abzubrechen, wird vereitelt durch die Macht der vergegenstand­lichten und unmittelbar herrschenden Zwecke. Auf dieser Basis kann aber auch die Weltraumtechnik nur eine An-sich-Technik, eine «Maschinerie an sich«si sein und zwar ais an sich der in ihr sich realisierenden Herrschaft, deren Repression standig dazu tendiert, das gesellschaftliche Fur-sich iiberhaupt in Asche zu

Marx, Grundrisse, S. 587

64

anisation und Sachzwang

'die menschliche Arbeitskraft in die Anordnung der gesamten ischen Einrichtungen eines Betriebes eingebaut ist, kann -

.logisch ausgedriickt - nicht ohne die Entwicklung dieser lischen Bedingungen verstanden werden; dennoch kann der íbau« der Arbeitskraft nicht ais logisch notwendige Konse-az aus dem rein instrumentellen Charakter der technischen

"ingungen begriffen werden. Sie ist mit der kapitalistischen eitsteilung entstanden. »Durch die Teilung der Arbeit ist

von vornherein die Teilung auch der Arbeitsbedingungen, "kzeuge und Materialien gegeben und damit die Zersplitte-g des akkumulierten Kapitals an verschiedene Eigentiimer . damit die Zersplitterung zwischen Kapital und Arbeit und

1 verschiedenen Formen des Eigentums selbst.*1 Dafi dement-echend die Arbeiter »selbst nur bewufite Glieder des automa-ben Systems der Maschinerie«2 werden, ist weder auf einen

>rein« politischen noch »rein« natiirlichen «technischen Sach-|gwang« zuriickzufuhren. In der Sprache der Unternehmer-|í|wecke heifit dieses »Einbauen« der Arbeitskraft: »Das umfafit Hilfestellungen fiir den Arbeiter; das umfafit, mit ihm gemein-

'lam die Arbeitsmethoden zu finden, mit denen einmal jede un-produktive Anstrengung in produktive Energie umgesetzt wer­den kann, mit denen zum andern jeder iiberflussige Kráfteauf-wand vermieden wird.«8 Der Einbau geschieht bewufit, sein Zweck ist Maximierung der Mehrwertrate. Durch den organisatorischen Einbau der Arbeitskraft in den tech-nisierten Produktionsprozefi mufi sich das Selbstverstândnis des

' Arbeiters vollstándig andern, weil die leibliche Subjektivitàt

* Marx, Deutsche Ideologie: Feuerbach, S. 40J s Marx, Grundrisse, S. 589 * Wiedemann, a. a. O., S. 46

65

Page 33: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

nicht mehr nur durch unmittelbare Herrschaftsakte komman-diert wird, sondern iiberhaupt instrumentell werden soll. Marx hatte das Stadium beschrieben, in dem sich der Arbeiter nicht mehr ais Produzent von Giitern, sondern ais Teil der »warenproduzierenden« Maschinerie erfáhrt; im weiteren er­scheint Arbeit »nicht mehr so sehr ais in den Produktionsprozefi eingeschlossen, ais sich der Mensch vielmehr ais Wãchter und Re-gulator zum Produktionsprozefi selbst verhãlt. (Was von der Maschinerie, gilt ebenso von der Kombination der menschlichen Tãtigkeiten und der Entwicklung des menschlichen Verkehrs).«4

Die industrielle Produktionsweise ist nicht mehr, wie die hand-werkliche und manufakturelle, im Begriff der »Bearbeitung« zu fassen.5 Das Bewufitsein der Bearbeitung setzt zumindest noch voraus, dafi der Arbeiter in der arbeitsteiligen Kombination die Zwecksetzung der Produktion, auch wenn sie nicht durch ihn geschieht, bewufit nachvollziehen kann. - Unter dem Aspekt be-ginnender Industrialisierung werden Kants Erkenntnisse iiber das technische Bewufitsein verstándlich: Das »Als-ob«, durch welches Natur ais zweckmàfiige beurteilt wird, bringt u. a. auch zum Ausdruck, dafi ein vergegenstándlichter Produktionsprozefi vom Produzenten nur noch formal auf sein Beurteilungsver-mõgen bezogen werden kann; der Produzent mufi seine Arbeit beurteilen, ais ob er die Zweckmãfiigkeit der Produkte hervor-bringe, die er in Wirklichkeit nur exekutiv realisiert. Das von seinen Zwecken vollstãndig entfremdete Produkt erscheint ais ge­genstãndliche Natur, iiber die der Arbeiter nur noch das Be­wufitsein ihrer Zweckmãfiigkeit besitzt.

Was die Auflõsung der Ideologie von der »arbeitenden Ma­schine* so hartnãckig verhindert, ist die versteinerte Dialektik technisierter Arbeitsteilung, in der »an sich* der Arbeiter seine Tãtigkeit ais »zweckrealisierendes Mittel« versteht, konkret je­doch nur ais innertechnische Funktion erfãhrt. Im Bewufit­sein der durch Herrschaft abgeschnittenen Zwecke erscheint »Ar-beit« ais reine Tãtigkeit, auf welche die Kategorien von Mittel und Zweck nicht mehr zutreffen: Der Arbeiter beurteilt seine Tãtigkeit nur so, ais ob er durch sie Zwecke realisiere; und

* Marx, Grundrisse, S. $92 s Dafi fiir den Arbeiter die These von der «arbeitenden Maschine* nicht nur

ais Ideologie besteht, beweist die Erfahrung mit der Automatisierung, die zu Entlasungen fiihrt. Bereits in der Maschinensturmerei war geahnt, dafi nicht gegen die Maschine Sturm gelaufen wird, sondern gegen die in ihr ver-kõrperte Produktionsweise.

66

dieses Als-ob, dieser Schein von Zweckmãfiigkeit, wird im Lohn eingelõst. Der Arbeiter ahnt diesen ideologischen Zirkel, in wel-chem seine Tãtigkeit erscheint, ais ob er durch sie das Wesen des gesellschaftlichen Lebens zweckmãfiig erzeuge. Es ist der Zir­kel, den Hegel ais «unendlichen Progrefi ãufierlicher Zweckreali­sation* beschrieben hatte, der zu keinem Zweck komme. Im Kern dieses Zirkels liegt die abgekapselte Spháre rein innerlicher Zwecksetzung, die in der Tat alies, was sie zur ãufieren Reali­sation bringt, »an sich* schon enthãlt: die biirgerliche Moral des unendlichen Tausches ais unendliche Austauschbarkeit. Die zwangvolle Reproduktion des Lebens hat zur Basis den Zwang, der ihr in der Arbeit ais eine in der Maschinerie und ihrer Organisation vergegenstándlichte Verhinderung eigener, emanzipativer Zwecksetzung entgegentritt, und darin liegt das Geheimnis des technischen Sachzwangs. Marx hat diesen Prozefi in einem Satz - der idealistisch verkehrt hãufig gegen ihn selbst zitiert wird - nachvollzogen: »Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht dafi er nur eine Formverãnderung des Natiirlichen be-wirkt; er verwirklicht im Natiirlichen zugleich seinen Zweck, den er weifi, der die Art und Weise seines Tuns ais Gesetz bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen mufi.« - Aber Marx fãhrt fort: »Und diese Unterordnung ist kein vereinzelter Akt. Aufier der Anstrengung der Organe, die arbeiten, ist der zweckmàfiige Wille, der sich ais Aufmerksamkeit ãufiert, fiir die ganze Dauer der Arbeit erheischt, und um so mehr, je weniger sie durch eige­nen Inhalt und die Art und Weise ihrer Ausfiihrung den Ar­beiter mit sich fortreifit, je weniger er sie daher ais Spiel seiner eigenen kõrperlichen und geistigen Krãfte geniefit.«6 - Dieses »Spiel« wurde aus dem Sachzwang, nur negativ zu ihm selbst, ais »Freizeit« lángst entlassen.

Die betriebliche Rationalisierung, »die ein Unternehmen ergreift, um den Unternehmenszweck kostengiinstiger und in kiirzerer Zeit zu erreichen«7, hat im Sachzwang der Konstellationen von Produktionstechniken ihre unmittelbare Apologie erhalten. Er­scheint sie - zu Marx' Zeit - teilweise noch in enger Affinitãt zur militãrischen Befehlsstruktur, ist die Rationalisierung in-

* Marx, Das Kapital, S. 193 7 Wiedemann, a. a. O., S. 3

67

Page 34: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

zwischen selbst dem Modus vergegenstándlichter Technologie an-gepafit: ihre Kommandostruktur erscheint nicht mehr ais unmit-telbarer Herrschaftsakt, sondern ais Sachzwang der Produk­tion. Die Organisationstechnik8, ais Ergebnis der Rationalisierung von Betriebsorganen, des Materialílusses, der Lagerhaltung, der Arbeitsvorbereitung, auch des Rechnungswesens, der Verein-fachung von Arbeitsmethoden usf., ist generell eine Form der Erhaltung und das Resultat verbesserter und gesteigerter Koor-dinatensysteme des Betriebs. Ais Dkonomisierung von Raum-, Zeit- und Materialfaktoren geschieht sie in Rucksicht auf die Lei-stungssteigerung der unmittelbaren Arbeitskraft. Wenn Habermas schreibt: »Dann kõnnte allerdings jener Typus von Arbeit werttheoretisch nicht lãnger ignoriert werden, der, obwohl nicht selber produktiv, darauf verwandt wird, den Pro-duktivitãtsgrad der Arbeit zu steigern.«* - so liegt in dieser »Ent-deckung* weder werttheoretisch ein Novum, noch kann Marx mit der These, Wissenschaft und Technik seien eine Mehrwertquelle, »korrigiert« werden. Habermas kann die Verflechtung von Or-ganisation und Maschinerie, unmittelbare Arbeit und wissen-schaftlich-technologische Tãtigkeit schon deshalb nicht exakt be-schreiben, weil er den Faktor »Arbeitszeit« nur ais den der me-chanischen Uhrzeit auffafit und vollstãndig von der Arbeits­teilung abstrahiert, um diesen Unsinn nachtrãglich Marx so zu unterschieben, dafi Habermas sich an Marx selbst kritisieren kann. - Nicht anders ais die Maschinerie ist die Organisations­technik eine Produktivkraft in der Form vergegenstãndlichter Herrschaft; aber auch ais unmittelbare Tátigkeit der Burokratien und betrieblichen Kommandozentralen ist sie keine Mehrwert­quelle, sondern nur eine Bedingung wertrealisierender Arbeits­kraft. Es wird nur die eine Seite an ihr verstanden, wenn die Rationalisierung nur ais eine Art Úberbauarbeit interpretiert wird - eine These, die Habermas und Marcuse von Max Weber ubernahmen. Ihr Resultat ist vielmehr die arbeitsteilige Ver­flechtung von herrschender Zwecksetzung und Mehrwertrealisa-tion, wobei die herrschende Zwecksetzung, wo sie selbst den Charakter einer »Arbeit« erhielt, sich wiederum durch ein Heer von Administratoren entlastet.

8 Gemeint ist damit das Produkt der Rationalisierung im Unterschied zur un­mittelbar sich durchsetzenden Tátigkeit.

9 Habermas, Theorie und Praxis, S. 191

68

Eines jedoch zeichnet die Organisationstechnik vor anderen Tech­niken aus: Sie wird, ais vergegenstândlicht, nicht zugleich ding-lich-materiell erfahren wie die Maschinerie, sondern sie wird -da der »Naturgegenstand«, den sie zur Produktionstechnik trans-formieren will, die lebendige Arbeitskraft selbst ist - ais ununter-brochene Disziplinierung auch subjektiv auf die eigene Natur des Arbeitenden bezogen; sie holt sich nur die Legitimation ihres disziplinãren Zwangs aus dem Bereich der Maschinerie. Im En-semble mit dieser stellt sie sich ais technischer Sachzwang dar, obwohl sie nur die unmittelbar vergegenstándlichte Herrschaft ist, identisch mit dem unmittelbar herrschenden Interesse selbst. Wenn aber, wie Marx schreibt, »die einzelne Arbeit ais solche iiberhaupt aufhõrt ais produktiv zu erscheinen, vielmehr nur produktiv ist in der gemeinsamen, die Naturgewalten sich unter-ordnenden Arbeiten und diese Erhebung der unmittelbaren Ar­beit in gesellschaftliche ais Reduktion der einzelnen Arbeit auf Hilflosigkeit gegen die im Kapital reprãsentierte, konzentrierte Gemeinsamkeit«10 wirksam wird - dann wird Hegels »Zwang zur Logik« technischer Produktion vollends durchsichtig ais Lo­gik des Zwangs herrschender Arbeitsteilung: »Der Schlufisatz oder das Produkt des zweckmáfiigen Tuns ist nichts ais ein durch einen ihm áufierlichen Zweck bestimmtes Objekt; es ist somit dasselbe, was das Mittel ist. Es ist daher in solchem Produkt selbst nur ein Mittel, nicht ein ausgefiihrter Zweck herausgekom-men.«" »Die Tátigkeit des Zwecks ist daher eigentlich nur Darstellen dieses Scheins und Aufheben desselben.*18 - Der »Unternehmertrieb« des subjektiven Zwecks an sich, mit dem Hegel den Prozefi der technischen Entwicklung beginnen liefi, zeigt sich in der Produktion ais die Wirklichkeit eines stándig er-zeugten, permanenten Scheins zweckmáfiiger Tátigkeit. Durch die lebendige Arbeitskraft realisiert sich listig unentwegt der-selbe Unternehmenszweck - listig, weil er nicht mehr subjektiv tátig wird und doch subjektiv stándig das Erbe seiner ais Sach­zwang vergegenstandlichten Herrschaft antritt. Das wahre Pro­dukt des Arbeiters - das nicht weniger stets nur Mittel, nie aus­gefiihrter Zweck ist - ist das Geldmittel: »Und nur weil das Kapital sich seine Arbeit aneignet, kann es ihm (dem Arbeiter, H.-D. B.) im Geld Anweisungen auf fremde Arbeit geben. Die-

1 0 Marx, Grundrisse, S. $88 1 1 Hegel, Logik, S. 24$ " Ebd., S. 247

69

Page 35: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

ser Austausch der eigenen mit der fremden Arbeit erscheint hier nicht durch die gleichzeitige Koexistenz der Arbeit der andern vermittelt und bedingt, sondern durch die Avance, die das Ka­pital macht.« ls

Die »Hilflosigkeit der unmittelbaren Arbeit«, ais logische Schlufi-folgerung der Produktionsverhâltnisse, erklárt, warum - trotz Aufhebung physischen Arbeitsaufwandes vermittels Maschinerie und Organisationstechnik - die Resultate der Rationalisierung nie ais subjektive Arbeitserleichterung erfahrbar werden kõn­nen: Das Abstraktwerden der produktiven Arbeit geschieht nicht nur ais Zersplitterung ihres Prozesses in einzelne Momente, son­dern die produktive Arbeit entzieht sich ais ganze der Mit-tâtigkeit und Erfahrbarkeit durch die menschlichen Sinne. Die Entlastung von leiblicher Mittâtigkeit setzt gerade den Leib nicht frei, weil sich diese Entlastung nur durch die Zerstõrung der gei-stigen Tátigkeit des Leibes realisiert. Die Leib-Intellekt-Spaltung, wie Max Scheler sie beschrieb, ist das Resultat technisierter Pro­duktionsverhâltnisse: Je mehr die leibliche Mitwirkung im Pro­duktionsprozefi ais unrentabel ausgeschaltet wurde, desto forma-lisierter blieb der Intellekt zuriick. Dieser abstrakt gewordene Verstand wird erfahren ais Stumpfsinn und Zwang zu jener Konzentration und Aufmerksamkeit, der nirgends ein intellek-tuelles Objekt entspricht. Und darin liegt die Erniedrigung und Entwiirdigung, dafi der technisierte Produktionsprozefi eine in-tellektuelle Anspannung erfordert, ohne dafi ihm ein wirklicher Zweck zugrunde liegt, ohne dafi der Konzentration ein Objekt entspricht, das auch nur irgendeinen Lernprozefi ermõglicht. -Neben dem Antagonismus von Zwangsarbeit und »Freizeit« er­zeugt dieser Prozefi den von Ausbildungszeit und Arbeitszeit. Begann die gesellschaftliche Bewufitseinsspaltung eher ais Folge ihrer Produktionsweise, so ist ihre systematische Planung und Institutionalisierung lãngst zur Bedingung weiterer Intensivie-rung von Mehrwertquellen geworden. Die herrschende Zweck­setzung ist in diesem Prozefi, wie Marcuse und Adorno be­schrieben, selbst zur Funktion der vergegenstandlichten Herr­schaft geworden, in der sie sich wohlgefállig wiedererkennt; námlich zur Funktion einer Konzentration der Zweckbestim-mungen auf einige private Verfugungs- und Schaltstationen. Der tõdliche Perfektionismus der Faschisten war der erste vollstãn-

1 3 Marx, Grundrisse, S. $88

7 °

e Beweis auf diese Tendenz; der zweite Beweis geschieht mit iger plebiszitárer Legitimation; ér will »legislativer« aus-

en. der Organisationstechnik sind nicht nur Leib und Intellekt rumente geworden, sondern im Versuch, sich zu erhal-und auszudehnen, wird nicht weniger unternommen ais

*e Technisierung der leiblich-geistigen Subjektivitàt des Men-en iiberhaupt; ihr Gelingen wãre der technisch erzeugte Tier-tand eines Teils der menschlichen Gesellschaft - aber an die-Gelingen wiirde sie selbst zugleich scheitern. - Realisiert das

pitai in der Maschinerie jedoch abstrakt die Bedingungen, !~e eigenen bornierten Grundlagen in die Luft zu jagen, so tritt in der Organisationstechnik nur ais herrschende áufiere Zweck-âfiigkeit auf. Es ist das Ziel jeder Rationalisierung, das Selbst ~ellschaftlicher Subjektivitàt technisch zu verplanen und zur

|»|£egenstândlich gegebenen« Natur zu machen; denn erst ais '«diese Natur kõnnte die gesellschaftliche Subjektivitàt zu jener íèorganisierbaren Knetmasse« werden, ais die das herrschende In-

I' teresse Natur immer schon behandelte. Aber die Vernichtung j!|der Selbsthaftigkeit von gesellschaftlicher Subjektivitàt - und 'darin sind alie Orwellschen Visionen noch »optimistisch« -f wiirde zuletzt die Verfugung iiber gesellschaftliche Subjekte selbst

''. Xum Unding machen. ; Allgemein gesehen hat die Organisationstechnik mit der Techno-

y logie folgendes gemeinsam: Erst im gesetzten und bestimmbar •f, gewordenen Arbeitsprozefi kann das Bedurfnis entstehen, nicht |> Wttr die Produktionsmittel zu verbessern, um bestimmte Zwecke jj. »einfacher« zu realisieren, die aufierhalb der Arbeitstãtigkeit

liegen; sondern auch das Bedurfnis, den unmittelbaren Arbeits­prozefi so zu verãndern, dafi er in dieser Verãnderung nicht

i mehr nur ais Selbstzweck, ais irdische Entsiihnung des siindigen Lebens etwa, sondern ais notwendiges, aber verãnderbares Mit-

,, tel erscheint. Erst die auf den Arbeitsprozefi selbst gerichtete Ver-J. ànderung erlaubt, Bediirftigkeit in der Befriedigung unmittelbar . , ais neues Bedurfnis mit zu produzieren. Der Unternehmerzweok, . dem die Arbeit anderer nur Mittel ist, wird durch seine Produk­

tionsweise gezwungen, die Zeit zwischen Zweckbestimmung, Zweckrealisation und Aufhebung des Zwecks im Gebraudh des

; Produkts stándig zu verkurzen. Diese Verkiirzung geschieht ais jjjj zunehmende Ersetzung der von der ãufieren und leiblichen Na-

tur vorgegebenen Zeitstruktur durch eine in der Arbeitsteilung

Page 36: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

manipulierbar werdende Arbeitszeit, und schliefilich ais zuneh-mende Ersetzung dieser Arbeitszeit durdi eine technisch trans-formierte Naturzeit, deren Ablauf permanent manipulierbar ge-halten werden kann. Damit wird deutlich, dafi eine ais Technik transformierte «Na­turzeit* letztlich nur ais Maschinerie, nicht ais Organisations­technik, denkbar ist: Die Naturzeit des menschlichen Subjekts technisch am Subjekt selbst zu verândern, kõnnte allenfalls die Medizin leisten, nicht aber die Rationalisierung der Produk-tionsverháltnisse. Auch das MTM-System leistet unmittelbar nur die optimale Anpassung subjektiver Naturzeit an die Maschine, ohne diese Naturzeit ihrer inneren Struktur nach technisch selbst transformieren zu kõnnen. Dennoch besteht die Rationali­sierung in dem Versuch, das leiblich-verniinftige Selbst der ge­sellschaftlichen Subjektivitàt ais blofien Naturstoff technisch zu modellieren und selbst zur Technik zu machen. Dieser Antagonis-mus ist der õkonomisch-materialistische Kern, an dem sich die Repolitisierung der Massen entzunden mufi, es sei denn, das Ka­pital kommt seiner Vernichtung in Form der Selbstvernich-tung durch seine militàrische Technik zuvor. Die Repolitisierung - und darin liegt mehr ais nur eine subjektive Schwierigkeit -ist keine logisch-õkonomische Notwendigkeit technischer Ver­gegenstándlichung der Produktion, auch wenn diese die abstrakte Bedingung, die unabdingbare Voraussetzung der politischen Notwendigkeit des vollstándigen Gelingens der Emanzipation ist. Die Rationalisierung ist der technische Versuch der Herr­schaft, die Subjektivitàt der Gesellschaft ais noch untechnisches Relikt auszurotten; in diesem Versuch tritt die õkonomische, vergegenstándlichte Macht stets auch ais unmittelbare politische Macht auf - daher mufi dieser Versuch des herrschenden Inter­esses politisch getroffen werden, um ihn õkonomisch zu zer-schlagen.14

Es erklãrt die hier verwandte Terminologie, in der õkonomische Kategorien von Marx teilweise wieder mit denen der Hegelschen Logik konfrontiert wer­den oder sogar »ruckiibersetzt«, um ihren politischen Gehalt, den sie bei Marx stets zugleich hatten, wieder zu verdeutlichen. Vgl. auch: A. Schmidt, Zum Erkenntnisbegriff der Kritik der politischen Dkonomie, in: 100 Jahre >Kapital<, Frankfurt 1968, S. 30 ff.

72

8. Das Politische der technischen Konstruktion

Die spâtkapitalistische Technik - so wurde bereits angedeutet -konnte, selbst ais Waffentechnik, den Schein erzeugen, ais sei die in ihr technisch realisierte Rationalitát von vornherein poli­tisch indifferent; ihre politische Differenz erhielte sie erst im unmittelbaren instrumentellen Einsatz fiir politische Zwecke. Seine Grunde bezog dieser Schein aus der Politischen Tedinolo-gie, die zwar zu Recht darauf hinwies, dafi die Materialitát einer technischen Konstruktion - sofern sie unmittelbar ais «Natur* betrachtet wird - nicht in der gesellschaftlichen Zweckmáfiigkeit derselben bruchlos aufgehe; die jedoch daraus den ideologischen Schlufi zog, ais sei die vermittels und durch diese Materialitát vergegenstándlichte technische Rationalitát selbst so unpolitisch wie jene. Dieser syllogistische Schein ist jedoch erst durch das Resultat einer bestimmten industriellen Technik iiberhaupt mõg-lich geworden: Die industrielle Technik unterliegt - vermittelt durch den Druck zur stándigen Erweiterung des Stands der Pro­duktivkráfte - dem Zwang, der Zersplitterung gesellschaftlicher Subjekte in der Arbeitsteilung eine objektive Tendenz entgegen-zusetzen: in der Maschinerie wird fortschreitend ein zerfáchertes System lebendiger Arbeitskraft gegenstándlich aufgehoben; dar­in bildet sie aufierdem eine Gegentendenz gegen die zentrifu-galen Krâfte subjektiver Zersplitterung der Produktionsweisen, die zu einer Anarchisierung fiihren kõnnten. - Erst in diesem Resultat erscheint die Zweckmáfiigkeit der einzelnen Maschine, auch ais vergegenstándlichter, aufgehobener Arbeitskomplex, un­mittelbar so unpolitisch wie die einzelne Handbewegung des Ar-beiters, der sie in Gang hált.

Aber bevor auf die ideologische Reprásentation dieses Scheins eingegangen wird, mufi nochmals genauer die Struktur jener technischen Rationalitát untersucht werden, die gegenstándlich durch die Maschinerie aufbewahrt ist.

73

Page 37: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

Von Anbeginn der Industrialisierung geschah die Zwecksetzung durch den Zweck der Produktionsmittel-Eigentiimer, »der sich durch sich selbst in der objektiven Welt Objektivitát geben und sich ausfuhren will* 1 , und durch den Unternehmerzweck, »der wesentlich Streben und Trieb (ist), sich ãufierlich zu setzen«2. Mit der Verflechtung beider Zwecksetzungen ist nicht nur der Scheidungsprozefi zwischen Produzenten und Produktionsmittel gesetzt, sondern auch notwendig damit die schlechte Unendlich­keit eines Progresses, dessen ausgefuhrte Zwecke stets nur Mit­tel sein kõnnen. Weder kann der Produzent in der Zweck­realisation seinen Zweck ausfuhren, noch kann die herrschende Zwecksetzung mehr ais nur Mittel erzeugen, wenn sie sich durch ihr Prinzip erhalten will . 8

Technik ist auch ais unmittelbares Produkt ohne dieses Wesen des technischen Fortschritts nicht erklárbar.4 Wenn aber Technik ais Produkt einer herrschenden Zwecksetzung und einer proleta­rischen Zweckrealisation verstanden werden mufi, so mufi auch in ihrer Konstruktion diese Dialektik gegenstándlich begreifbar werden. - Marcuse hat dies - wie bemerkt - widerspriichlich begriffen, wenn er zum einen politische Herrschaft nur auf die áufierlich-instrumentelle Funktion von Technik beschránken wollte, zum andern ahnte, dafi Herrschaft auch »in die Konstruk­tion selbst« eingehen miisse. Was Marcuse nicht bemerkte, war, dafi er zwei Momente verwechselte: das unmittelbare Funktio-nieren der technischen Konstruktion und die vergegenstándlichte gesellschaftliche Rationalitát, die sie ais Produkt ist. Unmittel­bar Herrschaft iibt in der Tat die technische Konstruktion nie-

1 Hegel, Logik, S. 341 * Ebd., S. 233 s Die in der technischen Konstellation versteinerte Herrschaft zwingt die

Emanzipation - wie an ihrem Versagen in der UdSSR bisher sichtbar wird -nicht nur die subjektive Herrschaftsgewalt des Kapitals zu zerschlagen, son­dern auch ihr »technisches« Erbe.

4 Auch die technischen Konstruktionen sind davon nicht ausgenommen, die der wissenschaftlichen Erforschung dienen oder administrative Tãtigkeiten auf-heben oder in der militãrischen Konkurrenz stehen. Nur ist hier das Mo­ment des Tauschwerts ihrer Produkthaftigkeit weit mittelbarer ais in der unmittelbaren Warenproduktion, wo sich durch die Zirkulation der Ware deren Tauschwert gleichsam stiickweise verbraucht, um ihren Gebrauchswert zu realisieren. - Inwieweit technische Konstruktionen im Bereich der Kom-munikationssphãre, d. h. in der »Freizeitbeschãftigung«, im Sport usf. Nega­tiva der Technik in der Produktion sind, miifite im einzelnen untersucht werden. Es wãre denkbar, dafi hier teilweise die abstrakte Zweckmãfiigkeit bereits kristallisierter auch ais Bedingungen der Emanzipation erscheinen.

74

mais selbst aus; sie ist dieser unmittelbar politischen Herrschaft Bets nur Instrument. In diesem unmittelbaren Herrschaftsvollzug ist die technische Konstruktion gar nicht anders ais gegenstándlich

í gegeben, weil sie durch die Herrschaft zum gegebenen Gegenstand gemacht wird, námlich in der Form einer zweckmáfiigen Bedin-

| 'f ung, ihr Ziel zu erreichen. - Nur lãfit sich in dieser Abstraktion ífticht einmal ein Unterschied zwischen einem technischen und ei-

Naturgegenstand begreifen: ein »gegebener« Stein kann die-Zwecken nicht weniger instrumentell dienen. Die Frage nach verschiedenen Wirksamkeit beider jedoch ist bereits die Frage

idi der fortgeschrittenen technischen Rationalitát. In ihrem n instrumentellen Verstãndnis ist, wie anhand der Gehlen-abermasschen Thesen deutlich wurde, Technik ais besonders irgegenstándlichte Rationalitát nicht greifbar, und die technische tionalitát wiederum entzieht sich der Erklárung, wenn sie t ais Vergegenstándlichung herrschender Arbeitsteilung ge-,t wird.8 Die Rationalitát des Mechanismus' eines Uhrwerks

fcals spezifisches Verhãltnis von Teilen zum Ganzen, von Span-Nhuig und festem Gefiige, von starrer Anordnung und reversibler (Bewegungsstruktur usf. - ist schon in der vollstándigen Abstrak-pon vom Inhalt seines Zwecks eine ganz andere Rationalitát ge-

niiber der Energietechnik, in der bestimmte technische Funk-uen, etwa das Herausbrennen von Stoffen, um dann Wárme kinetische Energie zu transformieren, keine linearen oder

[Vflfrkulativen Mechanismen mehr sind. Bereits diese unmittelbare aische Differenz zwischen Reversibilitát und Irreversibilitãt

atv Bewegungsfunktionen mufi ais Kristallisation verschieden-tiger technischer Rationalitáten verstanden werden, die selbst

jeweiligen Organisation der Produktionsverháltnisse kor-pondieren, ohne platt sich in ihr blofi abbildhaft zu reflek-

íren.

labermas hat die immanente Dialektik technischer Rationalitát

1 Wo, wie in der kybernetischen Technik, der instrumentelle Akt mit dem J j P ilprachlich-imperativen Zeichen zusammenfallt und dieser Akt unmittelbar F> Us Technik vergegenstãndlicht wird, fallt die Differenz von unmittelbarer und y vergegenstándlichter Herrschaft fast zusammen. N. Wiener beschrieb das

[g, iolgendermafien: .Wieder und wieder habe ich die Behauptung gehort, dafi lernende Maschinen uns nicht irgendwelchen neuen Gefahren auszusetzen ,*|ennõgen, da wir sie abschalten konnen, wenn wir es geme mõchten. Aber

| ; fcfinnen wir es wirklich? Um eine Maschine wirkungsvoll abzuschalten, miis-•tn wir im Besitz der Information sein, bis zu welchem Punkt die Gefahr

P, «ngetreten ist.« Wiener, a. a. O., S. 211

75

Page 38: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

nur insoweit begriffen, ais er ihre Momente formalisierend aus-einanderreifit; damit nistet sich unmittelbar eine Ideologie in seine Unterscheidung zwei verschiedener Handlungsstrukturen ein: »Unter >Arbeit< oder zweckrationalem Handeln verstehe ich entweder instrumentales Handeln oder rationale Wahl oder eine Kombination von beidem.*6 Bereits dieser Ansatz láfit sich nur verstehen, wenn Habermas der militãrischen Auseinander-setzung entweder die zweckrationale Immanenz von instrumen-talem oder strategischem Handeln abspricht oder sie insgesamt ais »Arbeit« versteht. - »Instrumetales Handeln«, fiihrt Habermas weiter aus, »richtet sich nach technischen Regeln, die auf empi-rischem Wissen beruhen.«7 Wenn Habermas damit nicht be-haupten will, technische Regeln allein garantierten, unter gegebe­nen zweckmãfiigen Bedingungen, den Erfolg instrumentalen Handelns, kõnnen sie nicht nur auf empirischem Wissen be-ruhen. Bereits Descartes hatte das beobachtet, ais er schrieb, dafi »eine aus Rádern und Gewichten zusammengesetzte Uhr nicht weniger genau alie Naturgesetze beobachtet, wenn sie schlecht angefertigt und die Stunden nicht richtig anzeigt, ais wenn sie in jeder Hinsicht dem Wunsch ihres Konstrukteurs geniigt«.8

Die Tautologie des blofien Funktionierens, wie Habermas sie konstruiert, erscheint dann in der Tat so »unpolitisch« wie die reine Zerstõrung einer Stadt, einerlei ob durch Erdbeben oder durch Bomben. Zweckrationales Handeln - konsequent nach dem Muster instinkthafter Entfaltung von technischer Entwick­lung - wie ein subjektloses Naturereignis darzustellen, verrãt sich durch diese Ideologie unmittelbar selbst ais politische Absicht. -Habermas schreibt ferner, dafi das »instrumentale Handeln Mit­tel organisiert, die angemessen oder unangemessen sind nach Kri-terien einer wirksamen Kontrolle der Wirklichkeit*.9 »Mittel organisierendes Handeln« kann, wenn die Unterscheidung ais mõglich gelten soll, demnach auch ohne »rationale Wahl« vor-sichgehen. Wenn strategisches Handeln »nur von einer korrek-ten Bewertung mõglicher Verhaltensalternativen«10 abhãngt, kann instrumentales Handeln eben nur ais die geistlose Arbeit verstanden werden, die die Zwecksetzung und Bewertung der

6 Habermas, Technik, S. 61 •> Ebd. 8 R. Descartes, Meditationen, Hamburg 1960, S. 7$ 8 Habermas, Technik, S. 61

»» Ebd.

76

realisation stets schon der herrschenden Verfugung iiber-*t*n mufi te.

Habermas die beiden Handlungsstrukturen nachdriicklich Bereidi der politischen Herrschaft, die sich in den Produk-erhãltnissen selbst durchsetzt, entziehen will, reproduziert

Unkritisch eben ihre Merkmale: die Produktionsweise einer isengesellschaft, in der ein Teil - ohne die Mõglichkeit der ~ertung« ihres Tuns - instrumentale, d. h. ausfuhrende Ar-leistet und der andere Teil, der den Wert bestimmt, strate-, d. h. planend tãtig wird. - Die Tautologie aber erfiillt den logischen Zweck, die Kommandostruktur unmittelbar herr-der Arbeitsteilung per definitionem ais »zweckrational«,

h. ais sinnvoll auszugeben.11 Es ist deshalb nicht verwunder-, dafi Habermas seinen Gegenbegriff zu »Arbeit«, den Be-

ff der Interaktion, analog definiert zu dem im burgerlichen "rag »anerkannten« Ergebnis der Arbeit: »Sie (die Interak-a, H.-D. B.) richtet sich nach obligatorisch geltenden Nor-

" "n, die reziproke Verhaltenserwartungen definieren und von idestens zwei handelnden Subjekten verstanden und an-

Ikrkannt werden miissen.«12

bermas' metaphysische Intention ist, konstitutive Kriterien eckrationalen Handelns zu finden, ohne die historisdie Zweck-

{tetzung mitzudenken, um eine prima causa technischen Handelns J)M postulieren. Die Ironie will es, dafi solche constitutiva ab­soluta sich nie anders ais rein subjektivistisch begreifen lassen.

af einer entschieden platteren Weise wiederholt sich bei Ha-rmas, was bereits bei Hegel aufgefallen war: Galt der náchst-ende Versuch, die Geschichte der technischen Rationalitát zu

iflrstehen, endet er schliefilich darin, Geschichte ais ungebrochen Mrrschende technische Rationalitát vorzustellen. ffabermas hat mit seinem Einwand gegen Marcuse nur darin fècht, dafi politische Herrschaft unter dem Aspekt unmittelbarer Materialitát technischer Verfahrensweisen nie begreifbar wird,

T-_ Habermas verwischt die Herkunft der Begriffe, die er z. T. von Parsons flbernahm, aus der Kybernetik und Spieltheorie; es ist auffallend, dafi die

k.meisten seiner Kardinalkategorien - wie interaction, sub-system, strategic U ^sf. - aus dem Bereidi militãrischer Planspiele stammen: Sie erlauben einen r Schein exakter Methodik, deren Wissenschaftlichkeit aus einer Mischung von jkííewegungsmathematik und Militanz besteht. Da Habermas seine Kategorien

nicht ausweist, fállt es schwer, diese Formalismen nicht unter diesen Aspek-i ten zu beurteilen.

Habermas, Technik, S. 6z

77

Page 39: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

weil man abstrahiert von dem, was man begreifen will. Wie stets aber wird in solchen Unmittelbarkeiten nicht mehr ver­standen ais der Gestus des eigenen Zeigefingers. Gerade Marcuse hat diesen ideologischen Zirkel eher ais Haber­mas geahnt, ais er davon sprach, die Maschinerie sei »als solche* politischen Zwecken gegenuber indifferent; denn »als solche« ist sie es in der Tat soviel oder sowenig, wie es ihr jeweiliger Inter-pret will. - Betrachtet man die unmittelbare, abstrakte Materia­litát ihres reinen Funktionierens - (in der von Marcuse angefuhr-ten Rechenmaschine etwa treffen u. a. zwei Magnetstrome in einem waagrechten und einem senkrechten Draht so zusammen, dafi der Kern am Kreuzpunkt ais einziger magnetisiert wird; oder in einem Zyklotron werden elektrische Teilchen ab einer bestimmten Beschleunigung durch ein starkes Magnetfeld ge-zwungen, sich in kreisfõrmige Bahnen zu bewegen usf.), so wãre es in der Tat absurd, diese Vorgánge auf den Aspekt unmittel-barer Herrsdiaftsausiibung zu reduzieren; sie kõnnen in die­ser Abstraktion nicht einmal ais zweckmàfiige Vorgánge erschei-nen. Was an Politischem in die Beschreibung dieser Vorgánge eingeht - in Begriffen wie »Zusammentreffen« oder »Gezwun-genwerden« - ist jedoch bereits der Ausdruck der beschriebenen Dialektik technologischer Naturerkenntnis: »Alle Verháltnisse kõnnen in der Sprache nur ais Begriffe ausgedriickt werden. Dafi diese Allgemeinheiten und Begriffe ais mysteriõse Máchte gelten, ist eine notwendige Folge der Verselbstãndigung der realen Ver­háltnisse, deren Ausdruck sie sind.« l s Zwángt man dem reinen Funktionieren, von dem zuvor jede Zweckrationalitát abgezogen wurde, diese nachtrãglich von aufien ais áufiere politische Herr­schaft auf, so kann allerdings nur der Mythos entstehen, ais be-treibe ein Rostprozefi, durch den der Einsatz militárischer Waf-fen vereitelt wird, einen politischen Sabotageakt. Dafi die Maschinerie »an sich* verschiedenen Zwecken zugleich dienen kann, ist jedoch ein ganz anderes Phánomen. Es ist erst das Resultat der technischen Entwicklung der Produktionsver-háltnisse, denn diese erzwingen, vermittelt iiber den Fortschritt der Entwicklung ihrer Produktivkráfte, eine besondere techni­sche Konstruktionsweise, die den Fortschritt selbst »iiberleben« kann. Da ihre, zum Zeitmodus des linear vorgestellten Fortschritts ungleichzeitige Entwicklung zugleich die Bedingung dieses Fort-

1 8 Marx, Deutsche Ideologie: Sankt Max, Stuttgart 1963, S. 436

78

schritts ist, wiirde eine Produktion, die ihre Maschinerie nur fiir ihre unmittelbaren Zwecke erzeugte und deren Konstruktions­weise auf diese spezifische, unmittelbare Anwendung beschrãnkte, sich selbst ais Fortschritt in Frage stellen. Das Prinzip der techni­schen Rationalitát liegt deshalb in einer Konstruktionsweise, durch die zum einen eine generelle, weiter gestreute Anwendungs-breite ermõglicht wird, die zum andern jedoch jeweils spezifísch fiir verschiedenartige, besondere Zwecke instrumentell eingesetzt werden kann. Nur aus dieser Dialektik ist erklárbar, warum eine elektronische Rechenmaschine »an sich«, d. h. abstrakt betrachtet sowohl einem kapitalistischen wie einem sozialistisdien Land dienen kõnnte. Genau darin jedoch liegt ihre politische Differenz, nicht ihre Indifferenz. Dieses Prinzip erklárt zugleich die histori-sche Ablõsung der vereinzelten technischen Erfindung durch ein System geplanter technischer Verbesserung, aus dem Erfindungen mit einer bestimmten Notwendigkeit hervorgehen mússen. Die Technik des Spátkapitalismus wird nicht verstándlich ohne ihre Dialektik ais relativ beharrlich gegenuber unmittelbaren Ver-anderungen in den Produktionsverháltnissen und ais permanent iiberholbar nach dem modus desselben Fortschritts. Es entsteht aus dieser Dialektik das technische Prinzip mõglichst genereller Austauschbarkeit der einzelnen Elemente und eine Konstruktion, die sich ais Konstruktion technisch auf den Begriff bringt, indem sie selbst am gegenstãndlichen Objekt ein Prinzip relativer Aus­tauschbarkeit ihrer Strukturelemente und Funktionsweisen kon-struiert.14

Diese relative Offenheit technischer Konstruktion beziiglich einer jeweils bestimmbaren Zweckfunktion erzeugte allererst den Schein abstrakter und rein formaler Zweckmáfiigkeit: der Pflug, den Hegel beschrieb, konnte die kapitalistische Gesellschaft nicht einmal von Hunger und Feudalismus befreien, geschweige den sozialen Stand einer Arbeit aufheben, die nicht einmal physisch den »aufrechten Gang* zuliefi.

1 4 Das gilt fiir die Fertigbauweise oder fiir einen Mehrzweckkran nicht weni­ger ais fiir die Rechenmaschine. Dagegen bilden die Techniken, die zur staatlich gesteuerten Investitionsbasis geworden sind - Strom- und Wasser-versorgung, Verkehrsbedingungen usf. - eine andere Art «relativer Beliebig-keit«, sie sind seit je abstrakte Bedingungen spezifischer Produktion gewe-sen; »abstrakt«, weil sie ais Grundbedingungen des liberalen Konkurrenz-kapitalismus von der unmittelbaren Konkurrenz ausgenommen wurden, da ein privatkapitalistisches Monopol an Energieversorger das gesamte System auf die Dauer zu stark gefahrdet hatte.

79

Page 40: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

Der Zwang zur Verallgemeinerung technischer Konstruktions-prinzipien entpuppt sich so gerade ais die politische Vernunft, durch die auf dieselbe Weise die abstrakte Bedingung der Eman­zipation geschaffen wird, wie diese Technik fiir konkrete und beliebige Herrschaftszwecke konstruiert werden mufi. Habermas und Marcuse tãuschten sich allerdings, ais sie in dieser «Beliebigkeit* gleich das Wesen von Technik iiberhaupt sahen: Ein Atomkraftwerk liefert zwar konkret nur der herrschenden Produktionsweise Energie, auch wenn die emanzipierte Gesell­schaft gewifi keine >andere« Materialitát der Elektronen fiir ihre Zwecke benõtigen wird; dagegen besitzt eine nuklear be-stiidkte Interkontinental-Rakete auch dann keine emanzipatori-sche Zweckmáfiigkeit, wenn sie nur ais Abschreckungsinstrument gegenuber moglichen Aggressoren dient. Doch anhand einzelner historischer Konstruktionen diese Dia­lektik aufzuweisen, wáre die Aufgabe einer konkreten historisch-materialistischen Geschichtsanalyse der Technik. Hier mufi ge-niigen, transparent zu halten, dafi die allgemein gewordene Dia­lektik zwischen »zweckmãfiiger Bedingung«, »aufgehobener Ar­beit*, » vergegenstándlichter, herrschender Zwecksetzung « usf. erst das Resultat der Notwendigkeit ist, unter immer gunstigeren Bedingungen die schlechte Unendlichkeit der ãufieren Zweckmá­fiigkeit zu reproduzieren.15 Es geniigt nicht, nur die unmittelbar herrschende Zwecksetzung aufzuheben, um die Technik ais In­strument der Emanzipation zu verwenden. Das kõnnte anná-hernd nur bei der Militártechnik gelingen: Fiele der Zweck, die Maximierung von Mehrwertraten durch Bedrohung oder durch imperialistische Expansion zu garantieren, »einfach« weg, bliebe das Waffenarsenal ais vollkommen sinnloses Produkt gesell­schaftlicher Arbeit zuriick, ais Miill herrschender Zwecke, der nicht selbst wiederum nur die verwertbare Bedingung seiner ewigen Reproduktion wáre. Aber eine in der Technik vergegen­stándlichte, herrschende Arbeitsteilung láfit sich nicht abschalten und nur vernichten; weder hátte es Sinn, die Technik nur zu verschrotten, noch fiele ihr Sachzwang unmittelbar mit der herr­schenden Zwecksetzung »selbsttátig« weg. Vielmehr mufite die in der Konstellation von Techniken versteinert bewahrte Arbeits-

Das Postulat ungebrochener Durchgangigkeit technischer Rationalitát kann nur besagen, dafi die Rationalitát des Pflugs zum aufgehobenen Moment der Rationalitát eines Mâhdreschers geworden ist, worin dieser sich nicht erschõpfen kann.

80

teilung zugleich aufgelõst und zur Bedingung emanzipativer Zwecke selbst umstrukturiert werden. Die technische Konstel­lation z. B. eines Huttenwerkes erzwingt nicht nur formal eine bestimmte Arbeitsteilung, die iiber jede Gesellschaftsordnung an-geblich erhaben wáre, sie erzwingt sie der konkreten Intensitãt nach. Um den Einbau der Arbeitskraft ruckgângig zu machen und der lebendigen Arbeit die Produktion und ihre Maschinerie ihren Zwecken nach instrumentell an die Hand zu geben, reichte es nicht aus, nur das Management zu vertreiben oder nur die Ma­schinen »anders« aufzustellen: abgesehen davon, dafi die Um-

.Strukturierung nur iiber die Zerschlagung der kapitalistischen !Produktionsverháltnisse mõglich wáre, mufite, wo die abstrakte ,lBedingung der Emanzipation in ihr noch nicht besteht, zum Teil eine võllig andere Maschinerie erst konstruiert werden, die zu­gleich den Zweck der Produktion erfiillt und die Bedingung freier assoziativer Arbeit einhált, in der sie dem zwecksetzen-den, freien Subjekt auch in der Arbeit nur beliebiges Instrument bleibt.16

Technik - und soviel sollte verdeutlicht werden - ist ais beson­dere technische Rationalitát auch in ihrer unmittelbaren Funk­tion nicht aufierhalb ihrer Konstellation in der herrschenden Arbeitsteilung verstehbar. Technik kann weder mythisch ais »Wesen« ihrer instrumentellen «Einrichtung im Gegenstándli-chen ihrer Rohstoffe« verstanden werden noch ais «geschicht­liche Totalitát einer Lebenswelt*17. Wenn die Vergegenstánd­lichung technischer Rationalitát, ais technische Konstruktion, be-Ziiglich herrschender Zwecksetzungen geschieht, geniigt es nicht, das Instrument den Herrschenden aus der Hand und sie - wie Habermas meint - nur »bewufit in Regie« zu nehmen. Verge­genstándlichte Herrschaft láfit sich genausowenig »abschalten« wie die Maschinerie, durch die sie sich erhált und unendlich re-produziert. Habermas' Intention fiihrt in der von ihm unter-driickten Konsequenz zu eben jenem Putschismus, den er der Studentenbewegung zuschrieb. - Gewaltig dagegen, auch ais Ge-gengewalt, wird die emanzipatorische Kraft sein miissen, die

*• So auch im Stadtebau: Eine Stadt, die der unmenschlichen Funktion, ais Arbeiter nur noch Transportmittel zu sein, ein Ende bereitet, kõnnte nicht morgen auf der Asche der heutigen StSdte errichtet werden. D i e Unter-driickung von Generationen racht sich darin, dafi Emanzipation hier zur A r ­beit werden mufi, um menschenwiirdiger wohnen zu kõnnen. A n den Stadten wird manifest, was «vergegenstándlichte Herrschaft « heifit.

' « V g l . Habermas, Technik, S. 59/60

81

Page 41: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

eine in der Konstellation technisierter Arbeitsteilung verstei-nerte Herrschaft von einigen Jahrhunderten aufzuheben hat; ihre Arbeit wird nicht nur die einer frõhlich sich aufklàrenden Offentlichkeit, sondern vor aliem negative Arbeit sein ais Um-strukturierung der herrschenden Konstellationen technischer Ra­tionalitát.

82

9. Disziplin und Erbe

|;Es ist bisher von der unmittelbaren Weise der Vergegenstánd-|Íichung von herrschender und technischer Rationalitát gespro-phen worden. Sie mufi jedoch selbst ais historisches Produkt ihres

Hsigenen Prozesses begriffen werden. >Sie (die Entwicklung der KProduktionsweise, H.-D. B.) geht ferner nur sehr langsam vor Ifich, die verschiedenen Stufen der Interessen werden nie voll-pftándig iiberwunden, sondern nur dem siegenden Interesse un-Ijtergeordnet und schleppen sich noch jahrhundertelang neben die-

pien fort.*1 Der Gedanke dieses »Erbes« ist im Begriff der »ver-íigegenstãndlichten Arbeit ais Kapital« bei Marx aufbewahrt ge-feWieben; aber, soweit mir bekannt ist, hat erst Walter Benjamin Jtfrieder nadidriicklich auf den Charakter der Herrschaft ais p»Erbe« aufmerksam gemacht: »Die jeweils Herrschenden sind plber die Erben aller, die je gesiegt haben . . . Wer immer bis zu fijBiesem Tage den Sieg davontrug, der marschiert mit in dem PTriumphzug, der die heute Herrschenden iiber die dahinfiihrt, •ffliie heute am Boden liegen. Die Beute wird, wie das immer íl|6 iiblich war, im Triumphzug mitgefiihrt. Man bezeichnet sie Wãs Kulturgiiter.«2 Was aber dariiber hinaus nicht einmal ais *^eute mitgeschleift wurde, war die am Boden liegende Vernunft: (jiDie Beute ist nur, wie Horkheimer das Relikt bezeichnete, die !'èntleerte Vernunft ais »abstraktes Funktionieren des Denkme-;,;dlanismus«,,.

'(Was jedoch gerade bei Horkheimer und Benjamin auffállt, ist 'jeine leise Ohnmacht, in der dieses Erbe nur ais »Kulturerbe« testimmt wird. Direkter und weit griindlicher ais iiber die Kul-•turgiiter ist vergegenstándlichte Herrschaft durch die technische ||Lationalitát vererbt worden.*

' fe '^rf Marx, Deutsche Ideologie: Feuerbach, S. 401 {Er W. Benjamin, a. a. O., S. 83 J j l M. Horkheimer, a. a. O., S. 15 $w* Habermas hat das Problem dieses Erbes ais »mystische Verheifiung einer

t

ft 83

f .

Page 42: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

Dieses Erbe taucht in der Ideologie des technischen Sachzwangs selbst dámonisch-unheimlich auf. Die Legitimation geschieht da­durch, dafi man der technischen Konstellation ein selbsttátig-sub-jektives Vermõgen unterschiebt, durch das sie die Gesellschaft diszipliniert und uniformiert: »Die technischen Anforderungen bewirken eine aufierordentliche, stándig wachsende Disziplinie-rung des Menschen; die zunehmende Ausstattung auch der per-sõnlichen Umwelt mit Apparaten und Maschinen vereinheitlicht das technische Verhalten und die Formen des gesellschaftlichen Lebens. «5 Widerspriichlich hierzu wird Technik vorgestellt ais blofie »Hilfsmittel und Mafinahmen, mit denen der Mensch auf Grund genauer Kenntnisse der Naturgesetzlichkeit die Natur umgestaltet und in seinen Dienst stellt«6. Unbewufit gesteht hier bereits die Sprache die Klassenfunktion einer Technik ein, unter der die einen dienen und die andern Anforderungen stellen und Verhaltensweisen disziplinieren. - Der Grund, warum die tech-nisierte Arbeitsteilung sich so leicht den Ideologien darbietet, liegt in der richtigen Ahnung, dafi in ihrer Konstellation, wenn auch nicht bruchlos, Herrschaft, vergegenstãndlicht aufgehoben, zugleich prasent geblieben ist. Aber gerade weil in dieser Ver­gegenstándlichung kein Subjekt mit unmittelbarer Herrschafts-absicht wirkt, kann das jeweilige Herrschaftsinteresse mit schuldloser Miene auf die von ihm nicht installierten Sachzwánge und Disziplinierungen verweisen, die dennoch die zweckmáfii-gen Bedingungen seiner Durchsetzungskraft sind. Technik erscheint nur in der Form eines anonymen Erbes von Herrschaft in der Geschichte; ihr Sachzwang ist das Erbe einer Unterdriickung von Generationen, die bedriickend prasent ge­blieben ist. Aus dem eigenartigen Verhãltnis, in welchem diese vergegenstándlichte Herrschaft nicht zwingend logisch-õkono-misch mit den herrschenden Interessen ubereinstimmen mufi, be-

Resurrektion der gefallenen Natur« denunziert; (Vgl. Habermas, Technik, S. 54) es liige in einer solchen Konzeption, Befreiung zu erhoífen, der Glaube an eine »prinzipiell andere Methodologie« von Zweckrationalitãt. Marcuse hat jedoch die Antwort fiir diese Fehlinterpretation in dem Aufsatz ge-geben, auf den Habermas sich dazu beruft: «Aber wenn die technische V e r ­nunft so sich ais politische Vernunft enthiillt, so nur, weil sie von Anbeginn diese technische und diese politische Vernunft war: durch das bestimmte Interesse der Herrschaft eingegrenzt. Ais politische Vernunft ist die tech­nische Vernunft geschichtlich.« Marcuse, Industrialisierung, S. 123

5 D t v - L e x i k o n , Munchen 1968, Stichwort »Technik« « E b d .

84

zog Marcuse seine vage These von der herrschenden Verwal-tung, die ihre Verwalter zu verschlingen drohe. Bereits Kant bemerkte den merkwiirdig unauflõsbar scheinen-den Rest in dem Erbe, das selbst das Herrschaftsinteresse in dessen Absichten entfremden kann, ais er schrieb: »Befremdend bleibt es immer hiebei, dafi die álteren Generationen nur schei-nen um der spáteren willen ihr miihseliges Gescháft zu treiben . . .

\e doch selbst an dem Gliick, das sie vorbereiteten, Anteil H toehmen zu kõnnen. «7 Damit bezeichnete Kant zugleich ein Pro-/, blem, das sich fiir die Emanzipation dann stellen wird, wenn es •, .Ihr gelingt, an diesem Gliick wirklich Anteil nehmen zu í kõnnen. 'jAuch Habermas gelingt es letztlich nicht, dieses Erbe zu leugnen; i !*r mufi die Spháre der Arbeit nicht weniger ais die der Inter-|'»aktion dem «institutionellen Rahmen« unterordnen8: »Eine Ga-f rantie, dafi sie (die Sub-Systeme zweckrationalen Handelns, H.-

D. B.) mit hinlánglicher Wahrscheinlidikeit bestimmten techni­schen Regeln und erwarteten Strategien folgen, kann freilich immer nur durch Institutionalisierung erreicht werden.«9 Der geleugnete Inhalt der Zwecksetzung technischer Rationalitát kehrt hier wieder ais die Weise ihrer herrschenden Etablie-rung.10 - Im Unterschied zu Habermas hatte Kant diesen Ant-«gonismus, ais Widerspruch der burgerlichen Gesellschaft, ohne

' diese ideologisch gewordene Verblendung lángst beschrieben: ,»Das Mittel, dessen sich die Natur bedient, die Entwicklung aller

• ihrer Anlagen zustande zu bringen, ist der Antagonismus der-• telben in der Gesellschaft, sofern dieser doch am Ende die Ur-('tiache einer gesetzmáfiigen Ordnung derselben wird.« u Kant

juíverstand deshalb die Verfassung der burgerlichen Gesellschaft tticht nur ais jeweils legitimierten Status quo des burgerlichen

f f W

p

Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbiirgerlicher Absicht, i n : Kleine philosophische Schriften, Leipzig 1962, S. 222 Habermas benennt diese Unterordnung mit dem vornehmeren Begriff der »Einbettung«. Habermas, Technik, S. 6$ D a der technische Erfolg «immer nur« durch Institutionalisierung erreichbar sei, akzeptiert Habermas von vornherein die Gewalt, die in aufgehobener Form das Wesen der Institution ausmacht. D i e Emanzipation setzt aber der Institution die offene, permanente Organisation entgegen. Eine vom Problem der Gewalt befreite Institution wurde sich selbst aufheben und zweckmàfiige Bedingung der emanzipierten Gesellschaft werden, mit der die «obligatorisch geltende Norm« verschwande. K a n t , Idee, S. 222

8$

Page 43: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

Vertrags oder Ergebnis ihrer Etablierung, sondern ais die un-unterbrochene Arbeit dieser Gesellschaft an sich selbst. Haber­mas, der die Gesellschaftsordnung nach hegelianischem Muster denkt, kann daher - wenn er am Gedanken der Emanzipation festhalten will - die Befreiung letztlich nur ais eine des õffent-lichen Bewufitseins fassen; er setzt - ohne Erinnerung an die antagonistische Einheit von Vertrag und Gesellschaftsverfassung - alies in einen Strukturwandel der burgerlichen Offentlichkeit, der daruber entscheiden soll, »ob der Vollzug von Herrschaft und Gewalt ais eine gleichsam negative Konstante der Ge­schichte beharrt«12. - Zu einem hierzu nicht unverwandten Im-plikat in solchen Theorien, denen Praxis so leicht zur Anweisung wird, wie sie von der vorhandenen Praxis schon lãngst geschluckt sind, hat Kant beretis gewitzt festgestellt: «Wie aber eine Ge­schichte a priori mõglich? - Antwort: wenn der Wahrsager die Begebenheiten selber macht und veranstaltet, die er zum voraus verkiindet.*1*

Mit dem Begriff des vergegenstandlichten Erbes von Herrschaft in der Arbeitsteilung wird nun der Schein auflõsbar, der besagt, technische Entwicklung vollziehe sich a priori in klassenloser Ge­stalt. Der Schein hatte seine Argumentation bewáhrt an der strukturáhnlichen Entwicklung von Technik und technischen Sachzwângen in kapitalistischen und sozialistisdien Gesellschafts-ordnungen: gerade in diesem Erbe einer versteinerten Arbeits­teilung — durch stalinistische Burokratien aufrechterhalten - ist letztere Gesellschaftsordnung bisher am wenigsten sozia-listisch.14

Ein Moment dieses Erbes ist, wie Habermas zu Recht bemerkt, die blinde Prioritát der Produktionssteigerung gegenuber der Produktionsbestimmung; in ihr hat sich in der Tat der «blofi subjektive Zweck an sich ais Streben und Trieb* nach dem Un­endlichen ais »interesselos« und subjektlos bewahrt. Habermas

1 1 Habermas, Strukturwandel der Offentlichkeit, Berlin-Neuwied 19Í5, S. 271 1 3 Kant, Ob das menschliche Geschlecht im bestãndigen Fortschreiten zum Bes-

seren sei, in: Kleine phil. Schriften, a. a. O., S. 242 1 4 Signifikant ist eine Entgegnung Ulbrichts auf die chincsische Losung »Lafit

tausendBlumen bliihen», mit der die Versteinerung angegriffen war: Er erwi-derte auf dem 30. ZK-Plenum (30.1.- 1.2.1957), es sei nicht Aufgabe, alie Blumen bliihen zu lassen, sondern die »ricbtige Zuchtwahl der Blumen « zu treffen.

86"

•dirieb hierzu: «Nicht wie wir ein verfiigbares oder zu entwik-kelndes Potential ausschõpfen, sondern ob wir dasjenige wãhlen, das wir zum Zweck der Befriedigung und der Befriedigung der Existenz wollen kõnnen, ist die Frage.*15 Diese Frage wird je­doch - angesichts der ausgebeuteten Lánder der Dritten Welt -ais prásentierte Alternative ebenso falsch, wie ihr Implikat, nach dem es geniige, existentiell verniinftig zu wáhlen, um der Herr-<diaft unendlicher zweckloser Zweckmáfiigkeiten Einhalt zu ge-faieten. Notwendigerweise aber wird diese Dialektik von ab-

•«trakter Entfaltung der Produktivkráfte und Regulation ihres jPotentials nach unmittelbaren Bedurfnissen in einem sich von 'kolonialer Ausbeutung erst befreienden Land anders ausfallen «ls in hochindustrialisierten Staaten. Nur in letzteren fállt das

•íifetischhafte Primat der Steigerung von Produktivkrãften mit finer Biirokratisierung und Formalisierung gesellschaftlicher

1 .Vernunft unmittelbar zusammen, indem sie sich wechselseitig Voraussetzung und Folge werden. Joachim Bergmann verkennt •den Kern des Problems, wenn er schreibt: «Das im technischen Fortschritt akkumulierte Potential an Befreiung bleibt unge-nutzt.«16 Nicht weniger Rolshausen: Der Monopolkapitalismus ermõgliche «weder die volle Ausnutzung der Ressourcen . . . noch den hõchstmõglichen volkswirtschaftlichen Uberschufi«17. Auch Bloch spricht in diesem Zusammenhang vom «latenten Maschi-aensturm des Spátkapitals*18, nicht anders ais die meisten Kri-tiker der Politischen Dkonomie nach Marx. In solchen Vorwiir-fen ist nicht mehr enthalten ais ein ohnehin bestehender Selbst-TOrwurf des sich organisierenden Verwaltungskapitalismus* ge-ffeniiber Relikten des liberalen Konkurrenzkapitalismus; in die-lem Vorwurf wird die falsche Hoffnung gehegt, ais kõnne Herr-

' tchaft bei vollster Ausnutzung der Produktivkráfte nicht bestehen. Daher ist in diesen Gedanken so viel ideologische Rechtfertigung der herrschenden Produktionsverháltnisse zu finden, wie ein sich lelbst unklarer Begriff «systemsprengender Produktivkráfte«

•* Habermas, Technik, S. 99. - Der existentialistische Charakter seines Be-griffs von Offentlichkeit wird mittelbar deutlich an der Kritik Adornos an

" «iner falschen Offentlichkeit der Studentenbewegung, die nichts ais die falsche Wahrheit des Habermasschen Begriffs enthielt: der biirgerliche Antagonismus

' von herrschaftsfreier Diskussion und wissenschaftsdisziplin. Der implizierte Putschismus wendet sich bei Habermas ãngstlich in seinen technokratischen

., Hochschulreformvorschlãgen auf sich zuriick. ij** J . Bergmann, a. a. O., S. 99 : W C. Rolshausen, a. a. O., S. 148

Bloch, a. a. O., S. 771

Page 44: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

Kapital begreift, ais fessele dieses sich in einer Art Selbstver-schwõrung gegen sich. Fesselung und Destruktion von Produk-tivkráften stellen keine absolute Logik kapitalistischer Produk-tionsverháltnisse dar; wo sie notwendig sind, werden sie ais un-umgángliche Mittel, nicht ais absolute zweckmàfiige Bedingungen ihrer Selbsterhaltung begriffen.19

Adorno hat - auch wenn er damit der n . Feuerbach-These nur eine technizistische Intention unterstellt - die Dialektik von »Fesselung« und »Entfesselung«, mit einem eindeutigen Primat der Entfesselung, geradezu von ihrer Riickseite her ais Problem aufgeworfen: »Seitdem jedes avancierte wirtschaftspolitische Gremium es fiir selbstverstándlich hãlt, dafi es darauf ankomme, die Welt zu verãndern, und es fiir Allotria erachtet, sie zu inter-pretieren, fãllt es schwer, die These gegen Feuerbach schlicht zu unterstellen.«20 Adorno, obwohl er die Kritik der Politischen Dkonomie nach Marx nur in der Vulgaritãt vernachlássigte, in der er sie vorfand, hat immerhin geahnt, dafi es das unentwegte, versteinerte und immer von neuem sich kristallisierende Erbe der vergegenstandlichten iiber die lebendige Arbeit ist, das sich ais »Fortschritt« ausgibt; darin liegt kein Novum des «organi-sierten« Kapitalismus', aber durch den erreichten Grad dieses Erbes werden die bornierten Grundlagen der Produktionsver-háltnisse geradezu zum Paradox einer gegenstándlichen Meta­physik: In der Tat ist die Logik technischer Entwicklung - die Habermas formal von Hegel ubernahm - nichts weiter ais der Zustimmungszwang, den jeder Syllogismus fordert, wenn we-nigstens eine Pràmisse unbegriffen anerkannt wird.

D i e These von der notwendigen Fesselung von Produktivkrãften im K a p i ­talismus rechtfertigt diesen immerhin bereits darin, dafi in ihr eine planende und nicht mehr anarchisch konkurrierende Tátigkeit gedacht wird. - I n die­ser Ideologie liegt der Schellingsche Romantizismus einer natura naturans, die sich, ais eine A r t Trieb zur Selbstproduktion, dem sichbefreienden Genie in seiner Kunst ais Natur anbietet. - Weiter ware wichtig zu untersuchen, in wieweit selbst Begriffe von der «revolutionãren Masse* teils mystifiziert unterm Aspekt der blofi asthetisch-erhabenen Erscheinung einer sich in «ge­sellschaftlicher Kunstproduktion« entfesselnden Natur nur ideologisiert wer­den; ebenso ware der Begriff «Produktivkraft» zu beleuchten: Der Begriff sagt selbst aus, dafi er den Widerspruch nicht von aufien an die Produktions-verhaltnisse nur herantragt, um sie mystisch zu »sprengen«. Dieser marchen-hafte Sinn weicht einer Prazisierung politisch-emanzipativer Strategien w i l l -kommen aus; «produktiv» wird durch diesen Mythos genialer Eruption eine ãsthetische »Kraft«, die ihre Utopie ohne politische Anstrengung verwirk-lichen w i l l .

Adorno, K u l t u r , K r i t i k und Gesellschaft, i n : Prismen, Miinchen 1963, S. 20

88

10. Natursubjekt - eine praktische Frage

Gedanken wie »versteinertes Erbe« oder «vergegenstándlichte Natur ais vergegenstándlichte Herrschaft« weisen aus sich her-aus auf eine Affinitát von «Natur ais Gegenstand« und «Herr­schaft ais erblindete Natur«. Werden nicht beide Momente im Begriff des Erbes gedacht, erscheint Geschichte wie eh ideologisch ais blofier Stoff, iiber den verfiigt werden kann nach Mafigabe der jeweils herrschenden Interessen. Dafi die antagonistische Einheit von geblendeter Natur und naturalisierter Herrschaft selbst zum konstitutiven Merkmal gesellschaftlicher Subjektivitàt ais Bewufitsein wird, darauf hat wohl niemand radikaler reflek-tiert ais Fichte.1 Der Prozefi von Vergegenstándlichung und Selbstvergegenstándlichung gesellschaftlicher Subjektivitàt láfit es nicht zu, den Begriff der in der Natur vergegenstandlichten Herrschaft selbst blofi subjektiv zu deuten. Das «Primat des Seins vor dem Bewufitsein«, wie Marx es verstand, ist dabei nicht die platte Tatsache, ais ob hier Natur und Dkonomie gleich-sam den Vorzug besáfien, Bewufitsein áufierlich bestimmen und bedingen zu durfen; es ist vielmehr dieses Primat im Bewufit­sein selbst gemeint. Und unter dieser Beobachtung wird der Uberlegung von Marx, dafi eine wirklich sozialistisch-kommu-nistische Gesellschaftsordnung nur auf der Basis des fortge-schrittensten Standes entwickelter Produktivkráfte mõglich wird,

1 Denkt man Fichtes Erkenntnisse in der «Grundlage der gesamten Wissen-schaftslehre« (Hamburg 1961), dafi námlich das Nicht-Ich nicht blofi ais Tatsache des Bewufitseins verstanden werden kann, sondern ais Vollzug jener Subjektivitàt, ais die sie selbst erst ihre Geschichte ais Bewufitsein erzeugt -und die Erkenntnisse in der «Bestimmung des Menschen« (Stuttgart 1962), zusammen, wo Fichte das Wissen ohne voluntatives »Ich-will-wissen« fiir keiner Erklârung moglich hâlt - so zeigt sich die Tathandlung in ihrer Konkretion ais unentwegter Versuch, den Antagonismus aufzulõsen, durch dessen A k t sie allein besteht. - D i e historische Untersuchung ist bisher durch Hegels Sache Fichte-Kritik verdeckt geblieben.

89

Page 45: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

der Charakter einer Verlegenheit abgestreift, die noch in Lenins These anláfilich der Novemberrevolution vom »Reifien der Kette in ihrem schwãchsten Glied« mitschwingt.2 Die schon zu Marx' Lebzeiten auftretende Zerfãcherung von õkonomischer, organi-satorischer und Kulturrevolution ist selbst das Produkt der Kri-sis revolutionãrer Emanzipation, die spater an dem schlechten Modell gerechtfertigt wurde, demzufolge die Befreiung in einem Aufwasch mit der politischen Zerschlagung von Herrschaft instal-liert werden kõnnte. Marx hatte oft vor dem Irrtum gewarnt, ais káme es nicht darauf an, dafi der fortgeschrittenste Stand der Produktivkráfte innerhalb der Produktionsverhãltnisse not-wendig auch in einem Bewufitsein bestehen mufi, das zu sei­ner Wirklichkeit nicht nur quer steht oder hinterherhinkt, wie es augenblicklich der Fali ist. Die technisch gewordene Rationali­tát fãllt aber darin hinter ihrer eigenen Praxis stándig zuriick, dafi sie das Bewufitsein, welches sie technisch ubersteigt, zugleich konserviert. Die vergegenstándlichte Herrschaft in der verstei-nerten Arbeitsteilung existiert unmittelbar zugleich ais dieses konservierte Bewufitsein und in diesem ist alie Natur bisher so­wohl Subjekt wie Nicht-Subjekt. Der Begriff einer Technik gewordenen Rationalitát, ais Prozefi »anorganisch gewordener Organik« verbirgt, dafi die zweckmà­fiige Bedingung an sich, námlich ais unentfaltete Mõglichkeit, in der aufgehobenen Arbeit und Herrschaft liegt. Er will aufier-dem weismachen, Technik sei nur die Fortsetzung einer durch den menschlichen Organismus definierten Arbeitsweise »mit an­deren Mitteln». In der These von der »ausgebeuteten Natur» liegt dagegen das ideologisch kaum brauchbare Bild einer Re-signation, die zu friih vor der praktischen Ausbeutung der Men­schen kapitulierte. Die Trauer aber enthált mehr Befreiendes ais die traurige Wahrheit einer Technik, die iiber die Natur - die sie selbst hervorbringen half - nur wie iiber einen Gegenstand verfiigt. Die unbewufite Erinnerung der Gesellschaft, námlich ihr tech­nisch konserviertes Bewufitsein dariiber, dafi ihre eigene Basis

2 Damit kann nicht gesagt sein, dafi die Entfaltung der Produktivkráfte not-wendig die Misere des Kapitalismus da wiederholen miisse, wo noch vor-kapitalistische Produktionsweisen bestehen. - Kulturrevolutionen sind eben nicht nur Anhãngsel oder reine Uberbaurevolutionen; sie sind Momente õkonomischer Veranderungen, ohne die jene nicht einmal ais »revolutionãre« Veranderungen bezeichnet werden kõnnten.

90

nur die aufbewahrte Form entfremdeter Arbeit ist, hilft jedoch «elbst mit, diese Basis zu erhalten, und dennoch ist sie die un-

jtntfaltete Mõglichkeit, die bornierten Grundlagen in die Luft tu sprengen. Die Idee des technisch arbeitenden, unterdriickten Natursubjekts ist das Bewufitsein ihrer eigenen technisch kon-

1 tervierten Vergangenheit, das sie in der Technik losgeworden ist, . ohne sich bisher daran befreien zu kõnnen.* •ÍWean Habermas gegen die Idee eines Natursubjekts vorbringt: ' #Natur fiigt sich den Kategorien, unter denen das Subjekt sie befafit, nicht in widerstandsloser Weise. «* - so ist daran richtig, dafi dieser Widerstand - unter dem Aspekt von Herrschaft -nur begriffen werden kann ais Moment des aufgehobenen Ar-

,' beitssubjekts, das aber zugleich bestimmte Formen von Herr-idiaft ais Natur seines Bewufitseins und ais Konstellation von Techniken gegenstándlich aufbewahrt uberliefert. Kant hatte -

. wie bemerkt - das Problem eines Zwecke hervorbringenden Na­tursubjekts von der einen Seite, der des konservierten Bewufit-

i aeins ais »Beurteilungsvermõgen«, beschrieben: »Ein Ding seiner innern Funktion halber ais Naturzweck beurteilen, ist etwas

l( ganz anderes, ais die Existenz dieses Dinges fiir Zweck der Na-|, |wr halten.»5 Kant begreift das Dilemma, dafi sich die biirger-| liche Gesellschaft nur dann auch ais Zweck der Natur begreifen | feann, wenn sie das nicht nur mechanisch-blinde Moment der

Entfaltung ihrer zweckmáfiigen Anlagen ais Naturprozefi ver-steht. - Es ist in jedem Fali die Fremdheit gegen sich selbst, die

, ais widerstándige Natur erfahren wird. Und in die Natur hat | iich das gesellschaftliche Subjekt ebenso immer schon hinein-I gearbeitet und -vermittelt, wie es weder in der Natur noch in I feiner eigenen Arbeit und Vermittlung aufgeht. - Habermas l',#ber verdoppelt diese Fremdheit auch ideologisch ais Entfrem-I dung, wenn er dieser Natur eine alternative Handlungsstruktur |v entgegensetzt, in der sie entweder ais »Gegenstand« oder «Ge­li genspieler» behandelt werden kann. Wie im Spiel die Fremd-. heit nicht praktisch aufgehoben werden kann, so wird sie ver-, gegenstándlicht ais Entfremdung auch noch legitimiert. Die 1 blofie Verfugung iiber die Natur ist stets schon die Geste ihres

j,1 '* Unter diesem Aspekt ware der magische Bezug friiher Gesellschaftsordnun-A gen zur Natur nicht »vorrational«, sondern bereits durch Instrument ali tat f gebrochen. Is * Habermas, Erkenntnis und Interesse, S. 4$ I' * Kant, Kritik der Urteilskraft, S. 307

91

Page 46: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

Privatbesitzers, der am Feierabend mit seinem Hundchen spielt. Es ist auf die - Entfremdung setzende — Dialektik operationeller und experimenteller Naturwissenschaft bereits aufmerksam ge-macht worden: Durch Experiment wird das entsprechende Mo­ment der Natur so bestátigt, ais ob das Subjekt nie mittels sei­ner instrumentellen Operationsmittel einen Eingriff getan hatte; ais sei das erkennende Subjekt von vornherein in der Natur, die es sich zum Erkenntnisobjekt machte, mit dieser identisch. Hier entsteht der Schein des selbsttãtigen Natursubjekts. Diese Identi-tát technischer Rationalitát mit der erkannten Natur ist objektiv ebensosehr Schein wie Wirklichkeit der gesamten technischen Entwicklung. So sehr diese Dialektik Bedingung der Herrschaft ist, ist die Entfremdung, die in der technologischen Natur­erkenntnis gesetzt wird, dennoch nicht mit der Entfremdung durch die herrschenden Zwecke nur identisch — sonst mufite man annehmen, es gabe notwendig Herrschaft, solange Natur nicht restlos erkannt ist. Wenn die Natur nur durch die Vergegen­stándlichung des erkennenden Subjekts vernunftig werden kann, so kann ebenso das Subjekt nur durch die Aufhebung der Ver­gegenstándlichung der Natur diese Entfremdung selbst wieder aufheben. Doch die wirkliche Realisierung dieser Mõglichkeit wird erst recht bisher durch die Herrschaft iiber die Natur des Menschen vereitelt: Stets wird vom herrschenden Subjekt der Prozefi die­ses In-die-Natur-Hineinarbeitens in seinem Resultat geleugnet, um die notwendige Scheinhaftigkeit seiner Identitát ais absolute Wirklichkeit ausgeben zu kõnnen. Darin ist die gesamte positive Naturwissenschaft bisher metaphysisch geblieben, auch wenn ihre Tãtigkeit, ais Fortschritt, ununterbrochen dazu beitrãgt, diese Metaphysik wieder zu zerschlagen. — Bloch hat dieses Problem ais das einer »Verbindung mit Vorgewaltetem in der Natur«6

bezeichnet, aber teilweise den Zirkel, der in diesem Terminus liegt, verdeckt: das »Vorgewaltete« ist selbst nur innerhalb der Vermittlung denkbar. Nur vermittelt iiber die leiblich-geistige Natur erscheint - wie Schopenhauer ahnte - das Rátsel eines sich entfremdenden Objekt-Objekt-Verháltnisses, das dennoch ohne dasjenige wollende Subjekt nicht bestehen kõnnte, das an sich die Entfremdung aufzuheben vermag. Die - nicht nur theo-

« Vgl . Bloch, a. a. O . , S. 779

92

>; retische - Methode der Herrschaft besteht darin, gerade dieses < nicht mehr rein technisch-naturwissenschaftlich begreifbare Ob-

jekt-Objekt-Subjekt-Verhãltnis nur ais noch nicht der herr-{ schenden technischen Rationalitát angepafite Natur zu denken Í und zu behandeln, worin sie unentwegt wieder zu dem Gegen-1 stand wird, durch den sich Vernunft ewig und ewig nur ent-• fremdet ais vergegenstándlichte wiedererkennt.

Wenn Habermas vorwurfsvoll gegen Marx einwendet: »Freilich |!, - wie wir die Geschichte ais eine Fortsetzung der Naturgeschichte !• begreifen kõnnen, sagt Marx nicht.«7 - so verlangt er insgeheim í von Marx, was er ihm zuvor vorwarf: Seine »Philosophie der t Gesellschaft ais Krise« hátte sich eben von dieser Krise selbst

ausgenommen. Habermas verlangt, Theorie in der Geschichte mõge identisch sein mit Theorie der Geschichte iiberhaupt; wáre sie es, kõnnte sie stets nur auf einen absoluten Geist zuriickkom-men. Hinter dieser Forderung verbirgt sich wieder Habermas' theoretischer Putschismus. Hatte er der Studentenbewegung vor-geworfen: »Ich halte die Illusion fiir gefáhrlich: dafi es nicht nur bestimmte Traditionen sind, die immer wieder aufgesprengt werden miissen, sondern die Kontinuitát der Geschichte ais solche.«8 - so fordert er theoretisch eben dies: Geschichte ais Fortsetzung von Naturgeschichte kõnnte allerdings, unter dem Aspekt ihrer Veránderung durch bewufite Subjekte, nur »putschi-stisch« verstanden werden, námlich ais total mystische Sprengung von Naturgeschichte iiberhaupt —, ais sei diese in ihrem Fortsatz <- der menschlichen Geschichte - vollkommen ad acta gelegt.

| Genau dies jedoch war ais der Antagonismus einer zur Technik ' gewordenen herrschenden Rationalitát erschienen. Selbst der f1 Vorwurf gegen Theorie ist von ihrer Praxis bereits iiberholt. -

Natur aber beginnt - paradox - ais Geschichte erst im mõglichen Bewufitsein ihrer selbst, ais praktisch mõgliche Veránderung; aber, was Hegel verkannte, dieses Bewufitsein erweist sich so weit immer ais Natur, ais es von sich weifi, was es zugleich auch nicht selbstwissend ist: seine eigene Geschichte ais Natur­geschichte.

Anders ausgedruckt: ohne metaphysische Hintergedanken kann die Frage bisher nur gestellt werden: Wie kann aus der blofi technisch-instrumentell gehandhabten, ãufieren, leiblichen und verniinftigen Natur die Bestimmung derselben ais das Paradox

7 Habermas, Erkenntnis und Interesse, S. 57 8 Habermas, Protestbewegung und Hochschulreform, S. 27

93

Page 47: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

einer emanzipatorischen Selbstbestimmung von Natur praktisch in Gang gesetzt werden? Diese theoretische Frage, die sidi ais historisch begrenzt begrei­fen mufi, weil sie nicht aufierhalb der gegenwãrtigen Produk-tionsverhãltnisse gestellt werden kann, auch wenn sie nicht nur in ihr »Innerhalb« bruchlos aufgeht, - diese Frage ist bisher nur ais «abstrakte Bedingung der Emanzipation vermittels des tech­nischen Produkts« vor-theoretisch antizipiert worden, ohne von der herrschenden Praxis eingeholt zu sein, die sich gerade in der Beantwortung dieser Frage auflõsen wiirde. Habermas leugnet letztlich, dafi das technisch gebrochene Ver­hãltnis von aufierer Natur zu leiblicher Natur und ihrer sich widersprechenden Subjektivitàt schon lángst die abstrakte Idee ais schmerzhafte Vermittlung enthãlt: ganz gewifi nicht ais anti-zipierte Versõhnung, sondern mafiloser und sinnreicher, beschei-dener, ais »Hoffnung« auf den Widerspruch, der noch nicht praktisch geworden ist, aber tendenziell lángst - nicht nur ais Geschichte der Medizin - wirksam ist; also auch ais Auflõsung der schlecht geratenen, versteinerten Identitát von Schein, Wirk­lichkeit des Scheins und Wirklichkeit der technischen Entwick­lung. Erst ais riihrige Alternative zwischen Arbeit und Inter­aktion wird die Unvermitteltheit von «technischer Verfugung» und »Hege und Pflege» von Natur* zum blofien Fetisch dessen, was ohnehin ist. Dafi aber diese Alternative nicht einmal posi-tivistisch denkbar ist, wird durch eine Bemerkung Jaspers' deut-lich: »Zwischen dem technischen Beherrschen der Dinge und der freien Kommunikation von Existenzen liegt noch das Feld des Pflegens und Erziehens: das andere wird zwar noch ais Ob­jekt behandelt, aber zugleich in seinem Eigenwesen erkannt.»10

- In dieser Vermittlung wird jedoch nur ihr Mifilingen verdeut-licht: Das Problem einer Kommunikation mit »Tieren und Pflanzen, selbst Steinen»11, das Habermas bei Marcuse nur ver-áchtlich anmerkt, besitzt allerdings seine Wirklichkeit darin, dafi in ihr nur eine durch den Arbeitszwang negativ gestempelte ãsthetische Sinnlichkeit erscheint, in der die Schõnheit lángst in sich zerrissen ist und ais Beschõnigung der verleugneten Ntitz-lichkeit dient.

• Habermas, Technik, S. $5 1 0 K. Jaspers, Philosophie I , Berlin 1956, S. 118 1 1 Vgl. Habermas, Technik, S. 57

94

»Marxismus der Technik», so hatte Bloch auch Habermas ent-gegenwerfen kõnnen, «wenn er einmal durchdacht sein wird, ist keine Philanthropie fiir mifihandelte Metalle, wohl aber das Ende der naiven Ubertragung des Ausbeuter- und Tierbãndi-gerstandpunkts auf die Natur.» 1 2

1 2 Bloch, a. a. O., S. 813

95

Page 48: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

11 . Die Krisis der Ideologiekritik

Habermas hat sich durch seine formalisiert-subjektiv verwende-ten Begriffe von Arbeit, Wissenschaft und Technik die Kritik der merkwurdigen Einheit von Ideologie und Wirklichkeit des technischen Fortschritts verstellt; aber er spiirte die eigentiim-liche Hartnâckigkeit, durch die sich die Praxis der Technik der kritischen Reflexion widersetzt. Schon Adorno hat auf den Funktionswandel der Ideologie auf-merksam gemacht, die Marx noch ais «herrschende geistige Macht*1 beschreiben kõnnte: »Der materielle Produktionspro­zefi ais solcher offenbart sich am Ende ais das, was er in seinem Ursprung im Tauschverhãltnis, ais einem falschen Bewufitsein der Kontrahenten voneinander, neben dem Mittel zur Erhaltung des Lebens zugleich immer schon war: Ideologie. Umgekehrt aber wird zugleich das Bewufitsein mehr stets zu einem blofien Durchgangsmoment in der Schaltung des Ganzen. Ideologie heifit heute: die Gesellschaft ais Erscheinung.«2 Âhnlich bemerkt Mar­cuse: »Diese Ideologie gehõrt zum bestehenden Gesellschafts-apparat; sie ist fiir sein bestándiges Funktionieren erforderlich und ein Teil seiner Rationalitát.«3 - Dafi die Idee ais nicht er-scheinendes Urbild technischer Produktion, die sich ihr unendlich anzunáhern versucht, in eben dieser Entwicklung gegenstándlich wird - die Paradoxie dieses Prozesses ist von der Theorie zwi­schen Nicolaus von Cues und Hegel begriffen worden. Aber da, wo Theorie ais Kritik praktisch werden will, bleibt - wie bei Adorno, so auch bei Bloch - Kritik ais Krisis zuriick: »Sicher ist die ideologische Komponente nur die eine an der entmensch-ten Physik, und die andere, durch Ideologie-Analyse unangreif-bare, ist das Diktat beobachteter Natur, ihr theoretisch gerecht zu werden. Doch weder sind beide Komponenten bereits scharf

1 Marx, Deutsche Ideologie, MEW Bd. 3, S. 46 1 Adorno, Prismen, S. 21 s Marcuse, Der eindimensionale Mensch, S. 160

06

mbar, noch ist in dem gesamten pointierten Abstraktwesen * auch real drohende Vermittlungslosigkeit iibersehbar.*4 -.bermas versucht, diese Krisis dadurch aufzulõsen, dafi er en sozialen Funktionswandel nachzuvollziehen versucht:

iDarurn (aus dem Wandel staatlicher Funktion, H.-D. B.) tritt ||f) die Stelle der Ideologie des freien Tausches eine Ersatzpro-

Sammatik, die an den sozialen Folgen nicht der Institution des arktes, sondern einer die Dysfunktionalitãt des freien Tausch-

|»*erkehrs kompensierenden Staatstãtigkeit orientiert ist. Sie ver-í jándet das Moment der burgerlichen Leistungsideologie (die frei-íích die Statuszuweisung nach Mafigabe individueller Leistung l om Markt auf das Schulsystem verschiebt) mit der Garantie Jiron Wohlf ahrtsminima, der Aussicht auf Sicherheit des Arbeits-Ijplatzes sowie Stabilitãt des Einkommens.«5 Der Zirkel, dafi jfjlsimlich die »Ersatzprogrammatik« die erst durch »Garantien« Iwrzeugte, angebliche Staatsloyalitat der Massen bereits voraus-íStetzen mufi, ist von Habermas selbst bemerkt worden: »Die

'ffiherrsAaftslegitimierende Ersatzprogrammatik lãfit ein ent-||ècheidendes Legitimationsbediirfnis offen: wie wird die Entpoli-

.Sásierung der Massen diesen selbst plausibel gemacht?*8 Haber-ÉBas' Antwort beschreibt jedoch eher die Phãnomenologie dieser Jífdeologie nochmals: Das Bewufitsein, in dem ein »quasi-auto-nomer Fortschritt von Wissenschaft und Technik ais unabding-

pare Variable erscheint«7, kann »als Hintergrundsideologie auch pín das Bewufitsein der entpolitisierten Masse der Bevõlkerung •indringen und legitimierende Kraft entfalten*8. Damit ist je-

fjjidoch nur ein merkwiirdig dámonisch sich vollziehender Prozefi í;gekennzeichnet, durch den die Ideologie des technischen Fort­schritts, sich selbst versteinernd, sich in den »Hintergrund« eines bereits anderswoher ideologisierten Bewufitseins setzt. Um den Mythos aufzulõsen, mufi Habermas wieder zum Ausgangs-punkt zuriickkehren: »Die ideologische Kraft des technokrati-íchen Bewufitseins bewâhrt sich an der Verschleierung dieser Differenz. «• - nãmlich der zwischen Arbeit und Interaktion. Wenn aber diese Ideologie nur die verschleiernde Funktion einer

4 Bloch, a. a. O., S. 777 * Habermas, Technik, S. 76/77 • Ebd., S. 79 T Ebd., S. 80 e Ebd., S. 81 ' Ebd., S. 84. - Habermas verwendet den Begriff »technokratisch« im Sinn

von «Herrschaft durch Technik« - anders ais Veblen, der meinte: «Herr­schaft der Techniker«.

97

Page 49: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

»geistigen Macht* besáfie, mufite Habermas die These riickgángig machen, derzufolge Politik »nicht mehr nur Úberbaupháno-men«10 sei. - So kehrt Habermas wieder zum Hegelschen Ge-schichtsmodell zuriick, auch wenn er den «Absoluten Geist« nicht nennt, den er voraussetzen mufi: »Das technokratische Bewufit­sein ist einerseits >weniger ideologisch< ais alie vorangegangenen Ideologien; denn es hat nicht die opake Gewalt einer Verblen-dung, welche Erfullung von Interessen nur vorspiegelt. Andrer-seits ist die heute dominante, eher glãserne Hintergrundsideo-logie, welche die Wissenschaft zum Fetisch macht, unwidersteh-licher und weitreichender ais Ideologien alten Typs, weil sie mit der Verschleierung praktischer Fragen nicht nur das partielle Herrschaftsinteresse einer bestimmten Klasse rechtfertigt und das partielle Bedurfnis der Emanzipation auf seiten einer ande­ren Klasse unterdriickt, sondern das emanzipatorische Gattungs-interesse ais solches trifft.*1 1 Fiir Habermas hat damit die Ge­schichte einen áhnlichen Abschlufi gefunden wie bei Hegel, indem sie sich ais »Gattungsinteresse uberhaupt« auf den absoluten Be­griff bringt. Das Erbe vergegenstándlichter Herrschaft ist hier so wenig begriffen, dafi zu seiner Erklãrung gleich die gesamten Gattungsinteressen beschwõrt werden miissen. Das geschieht zu-dem wider besseres Wissen: »Das Interesse an Selbsterhaltung kann nicht unversehens auf die Reproduktion des Lebens der Gattung abzielen, weil diese Gattung unter den Existenzbedin-gungen der Kultur das, was ihr ais Leben gilt, selbst erst inter-pretieren mufi.*12 Es fállt bei Habermas insgesamt auf - wor-auf Kant und Fichte hãufig hinwiesen - welch intime Affinitãt Skeptizismus und Dogmatismus zueinander haben: Hatte Ha­bermas zu Recht im Adverb »unversehens« die Mõglichkeit mit-telbarer Erkenntnis nicht ausgeschlossen, wird daraus heimlich die skeptische Frage, ob denn Geschichte iiberhaupt von Anbe-ginn von Subjekten »gemacht« worden sei: »Wenn zudem die gesellschaftlichen Verhãltnisse erst auf einer verhâltnismáfiig spãten Stufe ihrer geschichtlichen Entwicklung der rationalen Planung der Menschen zugãnglich werden, darf auch Machbar-keit nicht von der Geschichte im ganzen behauptet werden.«18

So richtig diese Erkenntnis ist, so dogmatisch ist der Schlufi, den

»»Ebd., S. 75 1 1 Ebd., S. 88/89 1 2 Habermas, Erkenntnis und Interesse, S. 350 1 3 Habermas, Theorie und Praxis, S. 214

98

IBabermas aus ihr zieht: «Die Tatsache, dafi das Vermõgen der Rationalisierung selbst erst geschichtlich geworden ist, wider-spricht einer Betrachtungsweise, die von Anbeginn der Ge­schichte ein Subjekt unterstellt.«14 Abgesehen davon, dafi Ha­bermas hier die »Machbarkeit von Geschichte* gleichsetzt mit technischer Rationalitát und das Subjekt der gesellschaftlichen Rationalisierung mit »Subjekt« iiberhaupt gleichsetzt und damit die vorkapitalistische Gesellschaft dem Tierreich zuordnet, so wird dieses Subjekt obendrein zum Beweis der theoretischen und praktischen Undurchdringlichkeit von Geschichte iiberhaupt. So skeptisch dieses Subjekt der mõglichen Erkenntnis seiner Ge­schichte gegenuber wird, so dogmatisch erklârt es sich zum abso­luten Mafistab der Beurteilung. Damit wird der Entwicklungs-gang des zweckrationalen Handelns zur blinden Weise aktiver Anpassung: Etappenweise lõst sich der Funktionskreis zweck­rationalen Handelns aus der Umklammerung durch den insti-tutionellen Rahmen, den er schliefilich zu verschlingen droht. -Nur durch einen solchen «Weltgeist am Werk«, der gegenuber dem Hegelschen an objektivem Zynismus kaum nachsteht, kann Habermas letztlich erklaren, warum «Technik und Wissenschaft selber ideologisch*15 geworden sind. Doch selbst wenn Habermas dieses »Gattungsinteresse ais sol­ches* weniger metaphysisch begriffe - etwa ais spãtes historisches Ergebnis der Furcht vor atomarer Selbstvernichtung - , wáre die­ses Emanzipationsinteresse ais Ganzes nur »wahr«, weil es gánz-lich nichtssagend ist. Die Thesen vom «friedlichen Wettbewerb* und «friedlicher Koexistenz«, in denen scheinbar ein solches Gat-tungsinteresse zum Ausdruck kommt, da sie Prinzipien kapita-listischer und sozialistischer Politik sind, sie sind selbst sprach-lich unter kapitalistischen Bedingungen erzwungen worden: ais Prinzipien internationaler Konkurrenz. Die genannten Momente der Ideologie vom technischen Fort­schritt sind zunáchst festzuhalten: Ideologie ist nicht mehr nur eine herrschende geistige Macht, weil das Bewufitsein, das sie prágt, zugleich das durch die technische Rationalitát vergegen­stándlichte und konservierte ist. Diese Ideologie ist noch darin verschleiernd, dafi sie die Scheinhaftigkeit des technischen Fort­schritts ad infinitum zur Wirklichkeit erhob; sie ist zugleich dar­in nicht mehr nur verschleiernd, weil das Illusionãre selbst zu

" Ebd. 1 5 Habermas, Technik, S. 92 f.

99

Page 50: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

der Wirklichkeit geworden ist, die ihr hatte zum kritischen Kor-rektiv werden kõnnen: Ihr utopisches Moment hinkt hinter ihrer Praxis her, ihre Antizipation kommt dauernd zu spãt.16 Ihr «Programm* wáre bezeichnet durch das, was Marcuse ais »Mani-pulierbarkeit* eines nicht mehr durchs kontrollierende Bewufit­sein gehenden gesellschaftlichen Verhaltens verstand. Bewufitsein ist zum »Durchgangsmoment in derSchaltung* dieses Verhaltens geworden. Das »Gláserne«, durch das diese Ideologie offensichtlich ist und sich dennoch der Ideologiekritik zu entziehen scheint, mufite dann aber mehr sein, ais nur die Verhinderung oder das Nicht-Zulassen kritischer Realitãtsbeurteilung. Die Krisis der Ideologiekritik - abgesehen von ihren Orwell-schen totalitáren Selbstdarstellungen - scheint mir darin zu be­stehen, dafi sie auf das im technischen Fortschritt konserviert gehaltene Bewufitsein nur »total« reagieren kann, ais »Kritik des Ganzen«, ais Hinweis auf ein betroffenes »Gattungsinter-esse ais solches«, ais »verhángnisvoll in Herrschaft verstrickte Vernunft*, ais «Diktat beobachteter Natur« und so fort. Sub­jektiv ist die Krisis der Ideologiekritik eine Totalisierung ihres Objekts unter Abstraktion seiner besonderen historischen Wi-derspriiche. Objektiv besteht die Krisis der Ideologiekritik, nega-tiv ausgedriidkt, darin, dafi ihr kein bruchloses Kriterium der Wirklichkeit mehr zur Verfugung steht. Aber sie darf dieses Kriterium sich auch nicht nur spekulativ konstruieren, wenn sie ais ihre Krisis die der Wirklichkeit treffen will. Soweit mir be-kannt ist, hat nur Adorno explizit darauf hingewiesen: »Keine kritische Theorie ist im einzelnen auszufiihren, die nicht das ein-zelne iiberschátzte; aber ohne die Einzelheit ware sie nichtig. Der Zusatz des Wahnhaften dabei indessen warnt vor Uberschrei-tungen, in denen es unaufhaltsam sich vergrõfiert.«17

Die ais Technik der Rationalitát erhártete herrschende Arbeits­teilung ist indessen auch ais anonymes Erbe von Herrschaft in der Geschichte kein totum, denn ihr Prinzip ist nach wie vor der »Trieb, der Zweok an sich ais reines Streben« in jene Unend­lichkeit des Progresses aufierer Zweckmáfiigkeiten, auch wenn dieser Trieb im organisierten Verwaltungskapitalismus ais Weise der Technik technischen Fortschritts sich »subjektlos« vergegen-

1 4 So wird vermutlich selbst das Erreichen anderer Gestirne noch Jahrzehnte ein rein ideologischer Traum bleiben, der sich lángst - in der Form dieses Traumes - realisiert hat.

1 7 Adorno, Marginalien zu Theorie und Praxis, in: Stichworte, S. 191

100

stándlicht. So geronnen auch immer ihre Widerspriiche ais ver-steinerte Identitãten den Niederschlag der herrschenden Ge­schichte bilden, so ist Technik doch gerade deshalb abstrakte Be­dingung mõglicher Emanzipation, weil sie durch den Mythos, ais sei sie nur die Fortsetzung der Arbeit mit anderen Mitteln, verschámt ihre gewordene Funktion ais zweckmàfiige Bedingung fiir Nicht-Arbeit verstecken mufi. Dafi diese Bedingungen der Emanzipation abstrakt sind, liegt notwendig im Wesen ihres besonderen subjekthaften Niederschlags in der Geschichte. «Ab­strakt* kann hier also nicht heifien »Irgendwann - einmal -konkret*; »abstrakt« ist diese zweckmàfiige Bedingung ais die erzeugte Offenheit, in der gegen die List der herrschenden Ver­nunft auch eine List der Klugheit arbeitender Vernunft ver-wirklicht ist, die es selbst erst von ihrer reflektiert-verdrángten Gewalt zu befreien gilt. Wer auf eine Emanzipation durch die technische Entwicklung allein setzt, verkennt die Verklamme-rung von herrschender Zwecksetzung und proletarischer Zweck­realisation in der technischen Konstruktion: Aus dem abstrakten technischen Gehirn von List und Gegenlist entspringt nicht ais absolute Logik - wie Hegel annahm - die innere Zweckmáfiig­keit der Technik, in der sie sich aufheben solL Denn gerade die von Marx beschriebene »Reduktion der einzelnen Arbeit auf Hilflosigkeit«18 ist es, die dem Gedanken an die Emanzipation - wie Habermas ihn formuliert - nur einen romantisch-már-chenhaften Zug »Es-war-einmal« verleiht: »Einst kõnnte Theo­rie durch Bildung zur praktischen Gewalt werden; heute haben wir es mit Theorien zu tun, die sich unpraktisch, námlich ohne auf das Handeln zusammenlebender Menschen untereinander ausdriicklich bezogen zu sein, zur technischen Gewalt entfalten kõnnen.*19 Die Theorie, die »damals« praktische Gewalt wer­den kõnnte, war auch »damals« nur technische Rationalitát, und ihre Ideologie stand im Dienst der Herrschaft. Wo sie mehr war, war sie stets emanzipative Praxis, nicht anders ais heute. Es solhe deutlich werden, dafi die Krisis der Ideologiekritik vor aliem darin besteht, dafi sie eine Ideologie sucht und kritisieren will, die lángst von der Wirklichkeit des technischen Fortschritts eingeholt ist und von der vergegenstandlichten technischen Ra­tionalitát konserviert wurde wie ein Andenken an ihre eigene

1 8 Marx, Grundrisse, S. $88 1 9 Habermas, Technischer Fortschritt und soziale Lebenswelt, in: Technik,

S. i n

101

Page 51: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

Praxis. Kritik verfehlt heute ais Ideologiekritik weitgehend das-jenige, was das objekthafte Kriterium der Ideologie ist: das in der technisierten Arbeitsteilung vergegenstándlichte Erbe von Herrschaft - eine Herrschaft, die von den jeweils Herrschenden selbst listig ais obsolet propagiert wird, um ihr Erbe desto unge-stõrter erneut antreten zu kõnnen. Ideologiekritik mufi daher so praktisch werden, wie es die Ideologie, die sie kritisieren will, selbst geworden ist. Und wenn Adorno stets erkannte, dafi die »Kritik der reinen technischen Vernunft* sich selbst nicht rein erhalten kann, wenn sie den Staub aufwirbeln will, um das me-taphysische »Dahinter« ais Herrschaft aufzuweisen, - so ist zu fragen, warum dies fiir eine emanzipatorisch-revolutionáre Praxis weniger gelten solle ais fiir die Kritische Theorie? Die Ideologie vom technischen Fortschritt ist keine herrschende Erfindung, durch die verschleiert werden soll, dafi es ja an sich keinen technischen Fortschritt gebe: Im Gegenteil - es gibt nur noch technischen Fortschritt, stets auf dem Grund des eigenen Erbes. Und in diesem mufi Ideologiekritik scheitern, weil das reine Belassen der bewufiten Arbeitskraft in diesem technisier­ten Produktionsprozefi bereits »Ideologie« ist; sie wird nicht erst Ideologie durch kiinstliche Uberlagerung und Ausmalung eines Zustands, der an sich nicht bestiinde. Der sozialistische Teil der Studentenbewegung begann diese neue Form der «Ideologiekritik* zu praktizieren, bevor er sich von ihr den Begriff schuf: Die Praxis scheute sich zu Recht nicht we­niger ais die Kritische Theorie, einen »Zusatz an Wahnhaftem* zu riskieren, ais in ihr versucht wurde, wissenschaftliche Er­kenntnis in der Agitation ais nicht glatt aufgehende, sondern in sich gebrochene und dennoch versuchte Vermittlung zur Praxis zu begreifen. Man begriff, dafi die Reinheit wissenschaftlicher Erkenntnis nichts ais ihre Káuflichkeit ist; daher war man ge-zwungen, die eigenen Erkenntnisse auf einen Markt zu bringen, der mit Sicherheit ihren Verschleifi bedeutete; aber in der emanzipatorischen Agitation, ais objektiv paradoxem Versuch, kann nicht davon ausgegangen werden, dafi die Offentlichkeit, die gemeint ist, bereits selbst diesen Verschleifi aufheben kann; der Verschleifi von Theorie in der Agitation ist das notwendige Tribut, das sie zahlen mufi, wenn sie das im Produktionsprozefi verlassene proletarische Subjekt erreichen will. Theorie bezwei-felt damit nicht nur selbstgeniifilich das vergniigliche Selbstver-stãndnis des burgerlichen Ideenmarktes: Sie mufi sich vielmehr

102

J erniedrigen - nicht vor der Herrschaft, sondern vor der Sub-) jektivitát, die durch die Herrschaft bisher niedriggehalten wird. í Erst in diesem bewufit riskierten Verschleifi kann Theorie das ( verlassene Subjekt der Arbeit lernend zur praktischen emanzi-i patorischen Gewalt erheben. [' Der reine Wissenschaftler, der mit schlechtem Gewissen seine í Feierabendpolitik mit »wissenschaftlichem Ethos« betreibt, um 5 sich noch reinlicher zu halten, kann in der Tat diesen Verschleifi | von Theorie, in der Weise ihrer agitatorischen Umsetzung, nur ; ais dem Faschismus zugehõrig deuten, dem lángst diese Reinlich-! keit zugute gekommen war.80

| Doch eine Reflexion, die sich, wie hier, darauf beschránken mufi, '•! nicht diese Umsetzung unmittelbar selbst einzuleiten, sondern

nur einige Bedingungen zu verdeutlichen, mufi in der Lage sein, den Widerspruch auszuhalten, keine praktischen, anleitenden

; Antizipationen zu artikulieren und doch ohne diese nicht aus-kommen zu kõnnen; sonst verfállt sie Spekulationen, die im Ansatz pure Ideologie sind, wie die folgende von Habermas: »Die Stufe, die uns bevorsteht, ist durch die selbstregulative

í Steuerung von Systemen zweckrationalen Handelns gekennzeich-net; und es ist ungewifi, ob nicht das listige Bewufitsein von Maschinen, die Leistungen des Bewufitseins simulieren, eines Ta-

: ges selbst uberlistet wird . . . Arbeit selbst obsolet wiirde.«21

s Jedoch nur listig, ais in sich reflektierte Gewalt, besteht - wie • • Hegel zeigte - die schlechte Unendlichkeit des herrschenden tech-

8 0 Auffallend in Habermas' Theorie ist, dafi sie durch die Erfahrung des Faschismus unberuhrt hindurchzugehen vermag. Aufier unterm Titel von «reaktionãren oder regressiven Phasen der burgerlichen Gesellschaft* existiert bei Habermas keine Reflexion auf den Faschismus, mit Ausnahme im Vor-wurf des Linksfaschismus gegen die Neue Linke. An ihrer Praxis definiert er «Agitation* rein faschistisch: «Agitation ist die Durchsetzung des eigenen Willens mit Mitteln >einseitiger Kommunikation», d. h. unter Ausschaltung sachbezogener Informationsverarbeitung und eigener Lernprozesse.* (in: Ha­bermas, Protestbewegung, S. 147) Dagegen ist Adornos Kritik an der Stu­dentenbewegung ein in sich gelungenes, notwendiges Korrektiv von der Seite der Theorie her; denn der Prozefi des Theorieverschleifies in der Agitation mufi ununterbrochen von der Kritischen Theorie her wieder aufgeholt und bewufit gehalten werden. Der «Zusatz von Wahnhaftem* gilt fiir diese wiederspriichliche Erganzung von Theorie und Praxis gleichermafien. Theo­rie ist hier «nachtrâgliche* Kontrolle der Praxis im Sinn von «nicht-verzei-hend* und «hinterhertragend*. Dagegen versteht Habermas Theorie nur ais eine negative Handlungsanweisung: was nicht zu tun sei. Seine Affinitat zum Falschen in der Praxis der Neuen Linken liegt in der fatalen Rolle eines «Wolfgang MenzeU, die er zu spielen begonnen hat.

8 1 Habermas, Arbeit und Interaktion, in: Technik, S. 29

103

Page 52: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

nisierten Produktionsprozesses ohnehin; durch List erhãlt er sich und kann klug fiir und von sich behaupten, dafi ihm die proletarische Arbeit obsolet sei. Nur scheinbar gegensátzlich dazu lautet die vulgármarxistische Apologie des gegenstándlich herrschend gebliebenen Erbes ver-steinerter Arbeitsteilung; mit protestantischem Arbeitsethos wird verkiindet: »Die Arbeit gehõrt dergestalt zum Wesen des Menschen und ist diesem unverlierbar.«22 Die Spekulation um ein Ende von Arbeit oder um ihre ewige Unverlierbarkeit sind Ideologie, bevor sie ausgebriitet werden; denn in ihnen spiegelt sich nicht weniger eine herrschende Alternative ais in der alter-nativen Behandlung von Arbeit und Interaktion. Marx selbst hatte sie bereits mit einem Argument zuruckgewiesen, das mir heute weit mehr Gewicht zu haben scheint: «Allerdings erscheint das Mafi der Arbeit selbst áufierlich gegeben, durch den zu er-reichenden Zweck und die Hindernisse, die zu seiner Erreichung durch die Arbeit zu uberwinden (sind). Dafi aber die Uberwin-dung an sich Betátigung der Freiheit - und dafi ferner die ãufie­ren Zwecke den Schein blofi aufierer Naturnotwendigkeit abge-streift erhalten und ais Zwecke, die das Individuum selbst erst setzt, gesetzt werden - also die Selbstverwirklichung, Vergegen­stándlichung des Subjekts, daher reale Freiheit, deren Aktion eben die Arbeit, ahnt A. Smith ebensowenig. Allerdings hat er recht, dafi in den historischen Formen der Arbeit ais Sklaven-, Fronde-, Lohnarbeit die Arbeit stets repulsiv, stets ais áufiere Zwangsarbeit erscheint und ihr gegenuber die Nicht-Arbeit ais >Freizeit und Gluck<.«23 Zu ergánzen sind diese historischen Formen der Arbeit um diejenige, die sidi aufgrund des tech­nischen Sachzwangs erst vollstándig zu realisieren beginnt: ais anonymes Erbe einer in der Technik vergegenstandlichten, herr­schenden Arbeitsteilung. Erst die revolutionãre Auflosung und der Abbau dieses Erbes kõnnte die Negation der herrschenden Alternative zwischen »Arbeit« und »Interaktion« einleiten und zugleich verhindern, dafi die gesellschaftliche Produktion, die sich listig durch ihre »Opfer«24 realisiert und erhãlt, stets wiederum nur zum »Sieg« iiber sich selbst wird.

2 2 Philosophisches Wõrterbudi, Hrsg. T . G. Klaus u. M. Buhr, Leipzig 1964, siehe: SticWort »Arbeit*

2 3 Marx, Grundrisse, S. 50$ 2 4 Ebd.

104

' Literaturverzeichnis

Es sind nur die Werke angegeben, die unmittelbar in der Arbeit ge-nannt werden. In der Literatur zum Problem der Technik war eines kaum zu finden: Analysen der historischen Strukturen und Funktionen technischer Rationalitát selbst. Das erklart diesen Versuch, Marxens Rezeption des Deutschen Idealismus, zum einen mit Theorien der Poli­tischen Technologie (Habermas, Gehlen, Marcuse usf.), zum andern mit der Empirie technischer Konstruktionen im Spatkapitalismus selbst zu konfrontieren. Zusatzlich wurde nur die Literatur angegeben, in der bestimmte Merkmale des Technikverstándnisses prágnant verdeutlicht waren.

Adam, Adolf, Kybernetische Probleme im Industriebetrieb, in : Wis­senschaft und Technik, Kõln-Opladen 1967

Adorno, Theodor W. 1. Stichworte - Kritische Modelle I I , Frankfurt 1969

a. Fortschritt b. Marginalien zu Theorie und Praxis

2. Kulturkritik und Gesellschaft, in : Prismen, Miinchen 1963 Altvater, Elmar und Neusiiss, Christel, Politische Okonomie und õko­

nomische Politik in der B R D , 1969 Aristóteles, Metaphysik, iibers. v. F . Bassenge, Berlin 1960 Bacon, Francis, Neues Organon, iibers. v. H . J . v. Kirchmann, Berlin

1870

Benjamin, Walter, Geschichtsphilosophische Thesen, in: Krit ik der Ge­walt, Frankfurt 1965

Bergmann, Joachim, Technische Rationalitát und spatkapitalistische Dkonomie, in : Antworten auf H . Marcuse, Frankfurt 1968

Bertalanffy, L . v., Das Gefuge des Lebens, 1937 Bloch, Ernst, Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt 1959 Descartes, René, Meditation, hrsg. v. L . Gabe, Hamburg 1960 Deutsch, K a r l W., Politische Kybernetik, Freiburg 1969 Engels, Friedrich, Dialektik der N a t u r - N o t i z e n und Fragmente, M E W

Bd. 20

Page 53: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

Fichte, Joh. G. 1. Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794), hrsg. v. F.

Medicus, Hamburg 1961 2. Die Bestimmung des Menschen, hrsg. v. T h . Ballauff und I . Klein,

Stuttgart 1962 Frank, Helmar, Kybernetik, Frankfurt 1965 Gehlen, Arnold

1. Anthropologische Ansicht der Technik, in : Technik im technischen Zeitalter (zit. nach J . Habermas), 1965

2. Die Seele im technischen Zeitalter, Hamburg 1957 Habermas, Jíirgen

1. Strukturwandel der Offentlichkeit, Berlin-Neuwied 196$ 2. Theorie und Praxis, Berlin-Neuwied 1963 3. Erkenntnis und Interesse, Frankfurt 1968 4. Technik und Wissenschaft ais >Ideologie<, Frankfurt 1968

a. Arbeit und Interaktion b. Technik und Wissensdiaft ais >Ideologie< c. Technischer Fortschritt und soziale Lebenswelt

5. Die Scheinrevolution entlãfit ihre Kinder, in : Die Linke antwortet Habermas, Frankfurt 1968

6. Protestbewegung und Hochschulreform, Frankfurt 1968

Hegel, G . Wilh. F. 1. Jenenser Realphilosophie, S. W. Bd. 19 (zit. nach Habermas) 2. Grundlinien der Philosophie des Rechts, hrsg. v. J . Hoffmeister,

Hamburg 195 j 3. Wissenschaft der Logik ( I I I ) , nach: G . Lasson, Leipzig 1963 4. Enzyklopãdie der philosophischen Wissensdiaften, hrsg. v. F. N i ­

colis und O. Põggeler, Hamburg 1958 5. Philosophie der Geschichte, nach: F. Brunstad, Stuttgart 1961

Heidegger, Martin, Die Technik und die Kehre, Pfullingen 1962 Horkheimer, Max, Zur Krit ik der instrumentellen Vernunft, Frank­

furt 1967 Jaspers, K a r l , Philosophie I , Berlin 1956 Kant, Immanuel

1. Kritik der Urteilskraft, ehm. Kehrbachsdie Ausgabe, Leipzig 1956 2. Kleine Philosophische Schriften, hrsg. v. D . Bergner, Leipzig 1962

a. Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltburgerlicher Ab­sicht b. O b das menschliche Geschlecht aus bestándigen Fortschreiten zum Besseren sei (aus: Der Streit der Fakultâten)

Lenin, W. I., Werke, Nadilafi, Berlin (nach: 1945) Marcuse, Herbert

1. Industrialisierung und Kapitalismus im Werk Max Webers, in : Kultur und Gesellschaft I I , Frankfurt 1965

2. Der eindimensionale Mensch, Berlin-Neuwied 1967

106"

Marx, K a r l 1. Deutsche Ideologie, M E W Bd. 3, Berlin 2. Das Elend der Philosophie, M E W Bd. 4 3. Lohnarbeit und Kapital, M E W Bd. 6 4. Das Kapital, M E W Bd. 23 5. Die Friihsdiriften, hrsg. v. S. Landshut, Stuttgart 1953

a. Deutsche Ideologie: Feuerbach b. Deutsche Ideologie: Sankt Max c. Nationalkõkonomie und Philosophie

6. Lohn, Preis und Profit, Berlin 1968 7. Grundrisse der Krit ik der politischen Okonomie, Berlin 1953

Mohler, Arnim, Der Weg der >Technokratie von Amerika nach Frankreich<, i n : Epirrhosis, Festgabe fiir C a r l Schmitt, Berlin 1968

Nicolaus von Cues, Der Laie iiber den Geist, hrsg. v. E . Hoffmann, Hamburg 1949

Philosophisches Wõrterbuch, hrsg. v. G . Klaus und M. Buhr, Leip­zig 1964

Popitz, H . und Bahrdt, H . P., Das Gesellschaftsbild des Arbeiters, T i i -bingen 1961

Rolshausen, Claus, Neue Probleme und alter Kapitalismus, in: Die Linke antwortet Habermas, Frankfurt 1968

Scheler, Max, Die Stellung des Menschen im Kosmos, Berlin 1962 Schelling, F. W. J. , System des transzendentalen Idealismus, hrsg. v.

R. E . Schulz, Hamburg 1957 Schmidt, Alfred, Zum Erkenntnisbegriff der Krit ik der politischen

Okonomie, i n : Kritik der Politischen Okonomie heute - 100 Jahre >Kapital<, Frankfurt 1968

Schopenhauer, Arthur, Sãmtliche Werke, hrsg. v. A . Hubscher, Leip­zig 1938

Technik Lexikon in vier Bânden, hrsg. v. T . Boveri u. a., Frankfurt 1963

Wiedemann, Herbert, Die Rationalisierung aus der Sicht des Arbeiters, Koln-Opladen 1967

Wiener, Norbert, Kybernetik, Hamburg 1968

107

Page 54: Hans-Dieter Bahr - Kritik Der Politischen Technologie

Inhalt

Dadalus - Ein Vorwort 5

1. Der Geschichte ins Gesicht geschlagen 7 2. Gewalt und List 13 3. Geschichte der Technik ais Technik der Geschichte 20 4. Organismus und technische Rationalitát 29 5. Technologie und Mehrwert 39 6. Das Orwellsche Technik-Wesen 56 7. Organisation und Sachzwang 6$ 8. Das Politische der technischen Konstruktion 73 9. Disziplin und Erbe 83

10. Natursubjekt - eine praktische Frage 89 11. Die Krisis der Ideologiekritik 96

Literaturverzeichnis 10 j