grenzenlose solidarität?

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4 DIE FURCHE • 38 | 17. September 2015 DAS THEMA DER WOCHE | Braucht Nächstenliebe Grenzen? | DIE DISKUTANTEN | Die Debatte moderierte Doris Helmberger | Fotos: Costa Konstantinou D ie Flüchtlingskrise hat große Emotionen freigesetzt: Hier tau- sende Freiwillige, die Schutzsu- chende versorgen, dort jene, die betonen, dass Europa nicht al- le Verfolgten dieser Erde aufnehmen kön- ne. Wieviel Solidarität, wieviel Abgrenzung muss es in Europa geben? Der konservative Publizist Hans Winkler und der Grüne Bun- desgeschäftsführer Stefan Wallner haben darüber im „Café Westend“ neben dem Wie- ner Westbahnhof (siehe Fotos) diskutiert. DIE FURCHE: Der Umgang mit Flüchtlingen spaltet die EU. Nach Deutschland hat auch Österreich „vorübergehend“ Grenzkontrol- len eingeführt; auch Tschechien, die Slo- wakei und Polen wollen die Grenzen verstär- ken. Müssen wir den Traum von Europa als Solidargemeinschaft endgültig begraben? Stefan Wallner: Um das zu verhindern, bräuchte es jetzt eine Koalition der Mensch- lichkeit unter jenen Staaten, die gemeinsam für Menschenrechte und ein solidarisches Europa Verantwortung übernehmen – eine Allianz rund um Deutschland, Österreich, die Benelux-Länder, Skandinavien und Frankreich, die sagt: Wir lösen diese He- rausforderung gemeinsam, unabhängig da- von, ob die Ost-Länder sofort einsteigen. Es war in der EU immer so, dass bei wichtigen Entwicklungen einige vorangegangen sind. Hans Winkler: Also ich halte es für illuso- risch zu glauben, dass eine Koalition der Gut- willigen, de facto der Zielländer, das Pro- blem lösen kann ohne die Länder, durch die die Flüchtlinge kommen – von Griechenland über Serbien und Mazedonien bis Ungarn. DIE FURCHE: Deutschlands Innenminister Thomas de Maizière hat angeregt, jene Staaten, die sich gegen eine fixe Flüchtlings- Verteilungsquote wehren, durch weniger Mittel aus dem EU-Strukturfonds zu strafen. Wallner: Das wäre definitiv zu überlegen. Winkler: Ich glaube, dass die Ost-Länder sich auch durch Kürzungen von Subventi- onen nicht in ihrer Position beeinflussen lassen werden – und das ist ihr gutes Recht. Warum sollen sie all diese Menschen bei sich aufnehmen, nur weil Deutschland sie quasi zu sich eingeladen hat? Außerdem befinden sich darunter auch viele, die aus den großen Flüchtlingslagern in Jordanien oder der Türkei kommen. Die Situation dort ist schrecklich, natürlich, aber sie werden nicht mehr verfolgt. Es geht also nicht um Flucht, sondern um Zuwanderung. Wallner: Aber die Leute sitzen ja nicht in ei- ner gemütlichen Wohnung und überlegen sich: Wo gehe ich jetzt hin? Das ist reine Po- lemik und die gleiche Argumentation, die Viktor Orbán verwendet. Winkler: Dass es dort gemütlich sei, habe ich ja nicht behauptet, jetzt sind Sie pole- misch. Aber ich glaube auch nicht, dass Or- bán der Gottseibeiuns ist. DIE FURCHE: Tatsache ist, dass sich Ungarns Premier angesichts des deutschen Schwenks bestätigt fühlt. War Angela Merkels Will- kommenssignal gegenüber syrischen Flücht- lingen rückblickend falsch? Winkler: Ich denke, Merkel hat sich wohl treiben lassen von der öffentlichen Stim- mung – und dann ist sie draufgekommen: Das geht doch zu weit. Wallner: Ich glaube, dass das eine sehr be- wusste Entscheidung war und dass sie auf Druck der CSU nun Zugeständnisse ma- chen musste. Wobei bis zur Stunde nicht feststeht, wie sich die Praxis im Umgang mit den Flüchtlingen tatsächlich ändert. Es gibt eine Verlangsamung, aber keinen Stopp – auch an den österreichischen Grenzen. DIE FURCHE: Apropos: Österreich wird 2200 Soldatinnen und Soldaten dorthin schicken – zur humanitären Hilfe und zur Unterstüt- zung der Grenzkontrolle, wie es heißt. Ein kluger Schritt? Wallner: Wir werden in der Praxis sehen, was tatsächlich getan wird. Klar ist aber, dass es unmöglich ist, die gesamte grü- ne Grenze zu kontrollieren. Ich frage mich überhaupt, wie sich ein Herr Strache oder ein Herr Außenminister Kurz das Grenzen- dichtmachen konkret vorstellt: Geht das mit Schlagstöcken, Pfefferspray und Tränengas – oder mit scharfer Munition und Stachel- drahtzäunen? Die Idee von geschlossenen Grenzen erhöht nur die Zahl der Toten und treibt die Menschen in die Hände von Schleppern, wie wir gesehen haben. Winkler: Aber wenn die Außengren- zen nicht gesichert werden, dann werden zwangsläufig wieder die Innengrenzen auftauchen, das erleben wir ja schon. Es geht einfach um ein geordnetes Regime an den Grenzen. Ungarn hat etwa drei Durch- gangsstationen beim neuen Zaun an der serbischen Grenze vorgesehen, und die Leute werden dort auch nicht eingesperrt, sondern man versucht, sie gemäß EU-Re- geln zu registrieren. Es geht darum, mit den Resten des Dublin-III-Systems, die noch ir- gendwie funktionieren, zu arbeiten … Wallner: Aber Dublin ist doch gescheitert! Und die Leute waren in Ungarn tatsächlich eingesperrt. Im Lager in Röszke waren sie in Käfigen und man hat ihnen Wurstsemmeln zugeschmissen. Winkler: Das ist unsäglich, aber Sie wer- den trotzdem um eine geordnete Registrie- rung an den Außengrenzen nicht herum- kommen. Davon abgesehen wird sich Europa auch in den Nachbarländern von Syrien endlich mehr anstrengen müs- sen, um die Flüchtlinge zu stoppen, in den großen Lagern in der Türkei, Jordanien und Libanon. Wallner: Momentan werden dort die Mit- tel aber gekürzt: Das World Food Program und die UNO fahren gerade die Essensver- sorgung in den Flüchtlingslagern herunter. Auch die österreichische Bundesregierung hätte beschließen können, dass sie sofort zehn Millionen Euro vor Ort zur Verfügung stellt. Die Zeit der schönen Worte ist vorbei. Winkler: Aber jetzt ist auch die Zeit der schönen Gefühle vorbei, Herr Wallner. Wallner: Ich rede nicht über Gefühle, Österreich war die ‚Jausenstation der Völkerwanderung‘ und hat die Men- schen durchgewinkt. Nun muss man sie beherbergen. Publizist Hans Winkler und Politiker Stefan Wallner über Deutschlands Schwenk, Österreichs Willkommenskultur und die Kompetenz des Papstes. Grenzenlose SOLIDARITäT? Ich anerkenne diese große Hilfsbereitschaft. Nur werden die Leute auch sehen, dass wir nicht un- beschränkt Menschen aufnehmen können. Die Politik muss mit offenen Karten spielen. Stefan Wallner Der 44-Jährige hat Politik- wissenschaft und Geschich- te studiert. 1996 kam er durch den Zivildienst zur Caritas, mit 28 Jahren wurde er Gene- ralsekretär. Seit 2009 ist der ausgebildete Organisations- entwickler Bundesgeschäfts- führer der Grünen. Hans Winkler Der 73-jährige Jurist war Lei- ter der Wiener Redaktion der Kleinen Zeitung. Heute ist er Kolumnist der Presse sowie Mitglied des Expertenrats für Integration im Außenminis- terium. Zuletzt erschienen: „Herausforderung Migration“ (Leykam Streitschriften).

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Seite 1 der "Furche"-Debatte zwischen Hans Winkler und Stefan Wallner

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Page 1: Grenzenlose Solidarität?

4 DIE FURCHE • 38 | 17. September 2015Das Thema Der Woche | Braucht Nächstenliebe Grenzen? |

Die DiskutaNteN

| Die Debatte moderierte Doris Helmberger| Fotos: Costa Konstantinou

Die Flüchtlingskrise hat große Emotionen freigesetzt: Hier tau-sende Freiwillige, die Schutzsu-chende versorgen, dort jene, die betonen, dass Europa nicht al-

le Verfolgten dieser Erde aufnehmen kön-ne. Wieviel Solidarität, wieviel Abgrenzung muss es in Europa geben? Der konservative Publizist Hans Winkler und der Grüne Bun-desgeschäftsführer Stefan Wallner haben darüber im „Café Westend“ neben dem Wie-ner Westbahnhof (siehe Fotos) diskutiert.

Die Furche: Der Umgang mit Flüchtlingen spaltet die EU. Nach Deutschland hat auch Österreich „vorübergehend“ Grenzkontrol-len eingeführt; auch Tschechien, die Slo-wakei und Polen wollen die Grenzen verstär-ken. Müssen wir den Traum von Europa als Solidargemeinschaft endgültig begraben? Stefan Wallner: Um das zu verhindern, bräuchte es jetzt eine Koalition der Mensch-lichkeit unter jenen Staaten, die gemeinsam für Menschenrechte und ein solidarisches Europa Verantwortung übernehmen – eine Allianz rund um Deutschland, Österreich, die Benelux-Länder, Skandinavien und Frankreich, die sagt: Wir lösen diese He-rausforderung gemeinsam, unabhängig da-

von, ob die Ost-Länder sofort einsteigen. Es war in der EU immer so, dass bei wichtigen Entwicklungen einige vorangegangen sind. hans Winkler: Also ich halte es für illuso-risch zu glauben, dass eine Koalition der Gut-willigen, de facto der Zielländer, das Pro-blem lösen kann ohne die Länder, durch die die Flüchtlinge kommen – von Griechenland über Serbien und Mazedonien bis Ungarn. Die Furche: Deutschlands Innenminister Thomas de Maizière hat angeregt, jene Staaten, die sich gegen eine fixe Flüchtlings-Verteilungsquote wehren, durch weniger Mittel aus dem EU-Strukturfonds zu strafen.

Wallner: Das wäre definitiv zu überlegen. Winkler: Ich glaube, dass die Ost-Länder sich auch durch Kürzungen von Subventi-onen nicht in ihrer Position beeinflussen lassen werden – und das ist ihr gutes Recht. Warum sollen sie all diese Menschen bei sich aufnehmen, nur weil Deutschland sie quasi zu sich eingeladen hat? Außerdem befinden sich darunter auch viele, die aus den großen Flüchtlingslagern in Jordanien oder der Türkei kommen. Die Situation dort ist schrecklich, natürlich, aber sie werden nicht mehr verfolgt. Es geht also nicht um Flucht, sondern um Zuwanderung. Wallner: Aber die Leute sitzen ja nicht in ei-ner gemütlichen Wohnung und überlegen sich: Wo gehe ich jetzt hin? Das ist reine Po-lemik und die gleiche Argumentation, die Viktor Orbán verwendet.Winkler: Dass es dort gemütlich sei, habe ich ja nicht behauptet, jetzt sind Sie pole-misch. Aber ich glaube auch nicht, dass Or-bán der Gottseibeiuns ist. Die Furche: Tatsache ist, dass sich Ungarns Premier angesichts des deutschen Schwenks bestätigt fühlt. War Angela Merkels Will-kommenssignal gegenüber syrischen Flücht-lingen rückblickend falsch? Winkler: Ich denke, Merkel hat sich wohl treiben lassen von der öffentlichen Stim-mung – und dann ist sie draufgekommen: Das geht doch zu weit.Wallner: Ich glaube, dass das eine sehr be-wusste Entscheidung war und dass sie auf Druck der CSU nun Zugeständnisse ma-chen musste. Wobei bis zur Stunde nicht

feststeht, wie sich die Praxis im Umgang mit den Flüchtlingen tatsächlich ändert. Es gibt eine Verlangsamung, aber keinen Stopp – auch an den österreichischen Grenzen. Die Furche: Apropos: Österreich wird 2200 Soldatinnen und Soldaten dorthin schicken – zur humanitären Hilfe und zur Unterstüt-

zung der Grenzkontrolle, wie es heißt. Ein kluger Schritt? Wallner: Wir werden in der Praxis sehen, was tatsächlich getan wird. Klar ist aber, dass es unmöglich ist, die gesamte grü-ne Grenze zu kontrollieren. Ich frage mich überhaupt, wie sich ein Herr Strache oder ein Herr Außenminister Kurz das Grenzen-dichtmachen konkret vorstellt: Geht das mit Schlagstöcken, Pfefferspray und Tränengas – oder mit scharfer Munition und Stachel-drahtzäunen? Die Idee von geschlossenen Grenzen erhöht nur die Zahl der Toten und treibt die Menschen in die Hände von Schleppern, wie wir gesehen haben.Winkler: Aber wenn die Außengren-zen nicht gesichert werden, dann werden zwangsläufig wieder die Innengrenzen auftauchen, das erleben wir ja schon. Es geht einfach um ein geordnetes Regime an

den Grenzen. Ungarn hat etwa drei Durch-gangsstationen beim neuen Zaun an der serbischen Grenze vorgesehen, und die Leute werden dort auch nicht eingesperrt, sondern man versucht, sie gemäß EU-Re-geln zu registrieren. Es geht darum, mit den Resten des Dublin-III-Systems, die noch ir-gendwie funktionieren, zu arbeiten … Wallner: Aber Dublin ist doch gescheitert! Und die Leute waren in Ungarn tatsächlich eingesperrt. Im Lager in Röszke waren sie in Käfigen und man hat ihnen Wurstsemmeln zugeschmissen. Winkler: Das ist unsäglich, aber Sie wer-den trotzdem um eine geordnete Registrie-rung an den Außengrenzen nicht herum- kommen. Davon abgesehen wird sich Europa auch in den Nachbarländern von Syrien endlich mehr anstrengen müs-sen, um die Flüchtlinge zu stoppen, in den großen Lagern in der Türkei, Jordanien und Libanon. Wallner: Momentan werden dort die Mit-tel aber gekürzt: Das World Food Program und die UNO fahren gerade die Essensver-sorgung in den Flüchtlingslagern herunter. Auch die österreichische Bundesregierung hätte beschließen können, dass sie sofort zehn Millionen Euro vor Ort zur Verfügung stellt. Die Zeit der schönen Worte ist vorbei. Winkler: Aber jetzt ist auch die Zeit der schönen Gefühle vorbei, Herr Wallner. Wallner: Ich rede nicht über Gefühle,

„ Österreich war die ‚Jausenstation der Völkerwanderung‘ und hat die Men-schen durchgewinkt. Nun muss man sie beherbergen. “

Publizist Hans Winkler und Politiker Stefan Wallner über Deutschlands Schwenk, Österreichs Willkommenskultur und die Kompetenz des Papstes.

GrenzenloseSolidarität?

„ Ich anerkenne diese große Hilfsbereitschaft. Nur werden die Leute auch sehen, dass wir nicht un- beschränkt Menschen aufnehmen können. Die Politik muss mit offenen Karten spielen.“

Stefan Wallner

Der 44-Jährige hat Politik-wissenschaft und Geschich-te studiert. 1996 kam er durch den Zivildienst zur Caritas, mit 28 Jahren wurde er Gene-ralsekretär. Seit 2009 ist der ausgebildete Organisations-entwickler Bundesgeschäfts-führer der Grünen.

Hans Winkler

Der 73-jährige Jurist war Lei-ter der Wiener Redaktion der Kleinen Zeitung. Heute ist er Kolumnist der Presse sowie Mitglied des Expertenrats für Integration im Außenminis-terium. Zuletzt erschienen: „Herausforderung Migration“ (Leykam Streitschriften).