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Argumentrekonstruktion als Diskursanalyse. Ein Werkstattbericht Gregor Betz (Institut für Philosophie & ITAS, KIT) Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung Wissenschaftskommunikation erforschen Karlsruhe, 13. November 2014

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Argumentrekonstruktion als Diskursanalyse.

Ein WerkstattberichtGregor Betz

(Institut für Philosophie & ITAS, KIT)

Vortrag im Rahmen der RingvorlesungWissenschaftskommunikation erforschen

Karlsruhe, 13. November 2014

Argumentrekonstruktion als Diskursanalyse.

Ein WerkstattberichtGregor Betz

(Institut für Philosophie & ITAS, KIT)

Vortrag im Rahmen der RingvorlesungWissenschaftskommunikation erforschen

Karlsruhe, 13. November 2014

Argument Mapping – Theorie, Software undAnwendung

Gregor Betz, Sebastian Cacean, Christian Voigt (DebateLab,Institut fur Philosophie/ITAS, KIT)

Marz 2014

Das Argunet Team

Kernteam:

Gregor Betz, KIT, Institut fur PhilosophieSebastian Cacean, KIT, ITASChristian Voigt, KIT, ITAS

Argunet ‘Alumnis’: David Schneider, Helen Bohse, Bianca Drefahl

Beitrage zum Argunet-Editor von: Christoph Doll, David Hopf

Weitere Informationen: www.argunet.org

Inhalt

1 Theoretischer Hintergrund

1.a Theoretischer Hintergrund der Argumentrekonstruktion

1.b Theoretischer Hintergrund der Argumentevaluation

2 Argumentationssoftware

2.a Umsetzung der Theorie in der Argumentationssoftware Argunet-Editor

2.b Umsetzung der Theorie in der Argumentationssoftware Argunet Browser

3 Anwendungsbeispiele

3.a Einsatz in Lehre und Forschung

3.b Einsatz in Politikanalyse und -beratung

4 Zukunftiger Einsatz

4.a Zukunftiger Einsatz in der empirischen Sozialforschung

4.b Zukunftiger Einsatz in Online-Partizipationsverfahren

4.c Zukunftiger Einsatz in Online-Foren und Diskussionplattformen (z.B. Adhocracy)

5. Team und institutionelle Anbindung

1 Theoretischer Hintergrund

1.a Theoretischer Hintergrund der Argumentrekonstruktion

Ein haufig auftretendes Problem

In Diskussionen und Kontroversen kann vieles schief gehen:

I Die Voraussetzungen eines Arguments bleiben implizit undunklar;

I Anstatt zu begrunden wird nur behauptet und widersprochen;I Einwande greifen eine Position nur scheinbar an;I Eine mutmaßliche Begrundung stutzt gar nicht die zentrale

These;I Der Zusammenhang einer Uberlegung zur Ausgangsfrage ist

unklar;I . . .

Ziele der Argumentationsanalyse

Ziele der Argumentationsanalyse

I Identifikation von Argumenten und zentralen ThesenI Klarung der argumentativen Zusammenhange (implizite

Pramissen, Beweisziele);I Scha↵ung eines neutralen Uberblick;I Strukturierung der weiteren Debatte.

Keine Ziele der Argumentationsanalyse:

I Entscheidung in der Debatte herbeifuhren;I Vorschreiben, was die Proponenten glauben sollten.

Ein einfaches Beispiel

Anna: “Why do you think Mary’s been at the crime scene?”

Ben: “Laura says she’s seen and talked to her. And I take her, Imean Laura, to be a credible witness.”

Bens Argument lasst sich als Pramissen-Konklusion-Strukturrekonstruieren. . .

Rekonstruktion des Beispielarguments

1. Laura says she has seen Mary and talked to her at the crimescene.

2. Laura is a credible source for statements concerning peopleshe has seen and talked to.

3. That Laura has seen Mary and talked to her at the crimescene is a statement concerning people Laura has seen andtalked to.

4. If (i) person A is a credible source for statements of the typeT and if (ii) p is a statement of the type T and if (iii) A saysthat p, then it is true that p.

5. So (from 1-4): Laura has seen Mary and talked to her at thecrime scene.

6. So: Mary has been at the crime scene.

Ein Argument kommt selten allein

I Argumente konnen in verschiedenen dialektischenBeziehungen zueinenader stehen.

I Die wichtigsten dialektischen Relationen sind Stutzung undAngri↵:

I Ein Argument A stutzt genau dann ein Argument B , wenn A’sKonklusion mit einer Pramisse von B identisch ist.

I Ein Argument A greift ein Argument B genau dann an, wennA’s Konklusion eine Pramisse von B negiert.

I Die Argumente einer Debatte mitsamt der Angri↵s- undStutzungsbeziehungen bilden eine “dialektische Struktur”.

Figure: Formale dialektische Struktur (Pramissen- und Konklusionssatzesind durch Zahlen reprasentiert)

Rekonstruktion als hermeneutische Methode

Die Rekonstruktion eines Arguments oder einer komplexenArgumentation ist eine Interpretation, sie ist in aller Regel

I unterbestimmt,I vorlaufig,I unvollstandig,I und besitzt Alternativen.

Figure: Das hermeneutische Kleeblatt stellt den Prozess derArgumentinterpretation und -rekonstruktion dar.

Rekonstruktionsexpertise

Bei der Analyse komplexer Argumentation unterscheiden wirzwischen der bloßen Skizze (der Argumente und dialektischenStruktur) und deren Detailrekonstruktion.

Die Detailrekonstruktion ist eine Technik, die man erlernen muss.Es gibt Experten fur Argumentationsanalyse, sie zeichnen sich ausdurch Kenntnisse in der:

1. formalen Logik,2. logisch-semantischen Analyse naturlichsprachlicher Satze,3. Topik des Argumentierens.

1.b Theoretischer Hintergrund der Argumentevaluation

Rekonstruktion vs. Evaluation komplexer Debatten

Rekonstruktion:

I Die argumentativen Zusammenhange klaren und die logischeStruktur der Debatte transparent machen.

Evaluation:

I Proponenten-Positionen identifizieren und auf Koharenzprufen;

I Thesen und Argumente bestimmen, bezuglich dererweitestgehend Konsens oder großer Dissens herrscht;

I Unterbelichtete Fragen aufzeigen;I Begrundungsgrade von Thesen berechnen.

Positionen identifizieren: Satz- vs. Argumentebene

Positionen lassen sich relativ zu einer Detailrekonstruktion derDebatte auf verschiedenen Aggregationsebenen bestimmen.

1. Grobauflosend auf Argumentebene. Argumente und imGraphen visualisierte Thesen werden akzeptiert oderabgelehnt.

2. Hochauflosend auf Satzebene. Den Satzen einer Debatte (d.h.den Pramissen und Konklusionen der Argumente) werdenWahrheitswerte zugewiesen.

Proponenten konnen vollstandige oder partielle Positionenvertreten.

Positionen auf Koharenz prufen

Anhand einer Detailrekonstruktion lassen sich Positionen aufKoharenz (minimale Rationalitatsstandards) prufen.

1. Auf Argumentebene. Wird ein Argument A akzeptiert, somussen alle A angreifenden Argumente abgelehnt werden.

2. Auf Satzebene. (i) Werden die Pramissen eines Arguments furwahr gehalten, so muss auch die Konklusion fur wahr gehaltenwerden. (ii) Kontradiktorischen Satzen werden komplementareWahrheitswerte zugewiesen.

Figure: Koharente und inkoharente Position

Figure: Raum der koharenten Positionen

Literatur

2 Argumentationssoftware

2.a Umsetzung der Theorie in der ArgumentationssoftwareArgunet-Editor

Konzept des Argunet-Editors

I Server-Client-Anwendung zur kollaborativen Erstellung vonDetailrekonstruktionen

I Keine Evaluation, bloßer Editor fur ArgumentkartenI Erlaubt sowohl Skizze als auch DetailrekonstruktionI Tendenziell: Ein Tool fur Rekonstruktionsexperten

Figure: Screenshot Argunet Editor

2.b Umsetzung der Theorie in der ArgumentationssoftwareArgunet Browser

Konzept des Argunet Browsers

I WebApp zur interaktiven Visualisierung rekonstruierterDebatten

I Durch eine komplexe Debatte browsen und sich dieseerschließen

I Visualisierung: Nur Ausschnitt, keine DetailrekonstruktionenI Enge Integration in Webseiten moglichI Kern-Anwendung einfach erweiterbar

Figure: Screenshot Argunet Browser

3 Anwendungsbeispiele

3.a Einsatz in Lehre und Forschung

Figure: Argumentationskurse & Argunet-Seminare (z.B. SommerkursBronnbach)

Figure: Descartes-Buch

Figure: Rekonstruktion wissenschaftlicher Kontroversen

Figure: Rekonstruktion wissenschaftlicher Kontroversen

3.b Einsatz in Politikanalyse und -beratung

Geoengineering (EuTRACE, BMBF)

Figure: Climate Engineering Argumentkarte

Figure: Climate Engineering Assessments

Figure: Climate Engineering Prezi & Movie

Grune Zukunftskonferenz 2011: Live-Rekonstruktion

4 Zukunftiger Einsatz

4.a Zukunftiger Einsatz in der empirischen Sozialforschung

Empirische Diskursanalyse

I Empirische Diskursanalyse auf Basis analytischerDebatten-Rekonstruktion

I Welche Akteure vertreten welche Argumente?I Wie stark ist eine Debatte polarisiert und welche

Akteurscluster lassen sich daraus erkennen?I Wie haben sich die Akteurspositionen im Laufe der Zeit

verandert?I Etc.

4.b Zukunftiger Einsatz in Online-Partizipationsverfahren

Beispiel: Konsultationsverfahren der Bundesnetzagentur

Problem und Diagnose

Probleme:

I Der genaue Gegenstand (! Welche Aspekte desNetzentwicklungsplan stehen zur Diskussion?) wurde nichtklar bestimmt.

I Viele Stellungnahmen bezogen sich in der Folge nicht auf diezur Diskussion stehenden Fragen; sie wurden daher alsirrelevant abgetan und nicht weiter von BNetzAberucksichtigt.

I Die BNetzA besitzt nicht die Kapazitat, regelmaßig tausende(!) von Stellungnahmen auszuwerten.

Losungsansatz

I Einsatz von Argumentkarten, um Partizipationsverfahren zustrukturieren und eine rationale wechselseitige Bezugnahme,einen vernunftigen Dialog sowie eine faire & e�zienteAggregation der Beitrage zu ermoglichen.

1. Erfassung informierter und koharenter Positionen, die inKenntnis des Debattenstands von Teilnehmern artikuliertwerden, und deren Aggregation;

2. Erganzung relevanter Gesichtspunkte (Fakten, Argumente)durch Teilnehmer.

Relevante Gesichtspunkte

Relevante Gesichtspunkte, die beim Einsatz vonArgumentationstechnologien in Konsultationsverfahren zuberucksichtigen sind:

I Teilnehmerzahl, Große;I Expertise der Teilnehmer (Burger/Laien, Fachleute,

Wissenschaftler etc.);I O↵ene Debatte und Meinungsbildung vs. anstehende,

konkrete Entscheidung;I Grad der Kontroversitat und Polarisierung;I Argumentative Dichte;I Qualitative vs. mathematisch-quantitative Argumente (z.B.

Energiemodell).

Vergleiche

I Wahl-O-Mat: Erfolgreiches Vorbild. Setzt aber keineArgumentationstechnologien ein (Festlegungen werden alsunabhangig betrachtet); auch keine Aggregation undErweiterung der Debatte.

I SocialMedia (z.B. Twitter-Nutzung fur Argument-Rating):Dort keine systematische Erfassung umfangreicher Positionen,die auf Koharenz gepruft werden konnen; ferner keineErweiterung der rekonstruierten Debatte.

4.c Zukunftiger Einsatz in Online-Foren undDiskussionplattformen (z.B. Adhocracy)

Szenario 1: Positionen erfassen

Eine Debatten-Rekonstruktion wird von Experten erstellt und inAdhocracy eingebunden. Positionen von Adhocracy-Nutzer konnenanhand der Rekonstruktion erfasst, gepruft, und aggregiert werden.Adhocracy-Nutzer konnen entsprechend Positionen eingeben (!Satz-/Argumentebene), prufen lassen, gezielt modifizieren, mitanderen o↵entlichen Positionen vergleichen (! Raum derkoharenten Positionen) etc.

Szenario 2: Debatte erweitern

Adhocracy-Nutzer fuhren eine Debatte, die vonRekonstruktionsexperten analysiert wird. DieDebatterekonstruktion strukturiert dann die weitereAdhocracy-Diskussion. Adhocracy-Nutzer konnen dierekonstruierten Argumente diskutieren, kommentieren, angreifen,stutzen, Anderungsvorschlage fur rekonstruierte Argumentemachen und ganzlich neue Thesen & Argumente, die die Debatteerweitern, einbringen (etwa in Foreneintragen). Die vonAdhocracy-Nutzern vorgeschlagenen Argumente werden vonRekonstruktionsexperten in die Argumentkarte integriert (ggf.Vorstrukturierung durch Ratings / Evaluationen derAdhocracy-Nutzer).

Szenario 2*: Debatte erweitern (ohneRekonstruktionsexperten)

Argunet-enhanced Adhocracy ermoglicht es den Nutzern, einestrukturierte Debatte zu fuhren, in der sich Argumente sinnvoll undtransparent aufeinander beziehen, ohne dassRekonstruktionsexperten die Beitrage analysieren und strukturieren.

Szenario 3: Rekonstruktionsexperten-Debatte

Eine Debattenrekonstruktion wird von (einem) Experten erstellt.Andere Experten konnen diese (uber Adhocracy) diskutieren,Anderungsvorschlage fur rekonstruierte Argumente machen undneue Rekonstruktionen, die die Debatte erweitern, einbringen.Uber Anderungen und neu vorgeschlagene Rekonstruktionen wirdabgestimmt und gemachte Beschlusse werden automatisch in dieArgunetdebatte integriert.

5. Team und institutionelle Anbindung

Uther: Diskurse des Climate Engineering

Ein Kommentar Gregor Betz

Philosophie, KIT

Forschungsfrage

• Wie unterscheiden sich die Diskurse (Medien, Wissenschaft, Politik) zum Climateengineering in GB und DE?

Methode

• Empirische Diskursanalyse

Methodischer Clou

• Argumentanalyse liefert die Kategorien, die zur Codierung der Quellen verwendet werden.

• D.h.: Rekonstruierte Argumente werden gezählt.

94 3 Theoretisch-methodischer Rahmen

Nr. Argument- muster

Pro Forschung/ Einsatzbereitschaft begünstigend

Contra Forschung & Einsatz

1 Effizienz & technologische Machbarkeit

A11 Geringe Kosten; A18 Technologisch umsetzbar, A9 Hohe Wirksamkeit, A7 Do-it-alone

A16 Hohe Kosten, A18 techno-logisch nicht umsetzbar, A28 Geringe Wirksamkeit

2 Einsatzneben-folgen

A17 Unintendierte Nebenwir-kungen, A19 Alles noch schlim-mer, A23 Termination-Problem, A25 Symptome, nicht Ursache, A24 Komplexität des Erdsystems

3 Ethik- und Wertebezug

A10 Geringeres Übel, A3 Arming the future

A27 Risikotransfer-Argument A26 Hybris, A14 Moral Hazard

4 Einsatzbereit-schaft im Notfall erforderlich

A5 Notfall, A6 Miti-gation scheitert, A4 Zeit erkaufen

5 Soziopolitische Unsicherheiten

A22 Völkerrecht, A21 Sozio-politische Spannungen, A20 Konflikt

6 Forschungs-nebenfolgen

A13 Beeinträchtigung anderer Optionen, A12 Kommerzielle Interessen, A15 Selbstläufer

7 Notwendigkeit der Erforschung

A2 Wissenslücke, A1 Alternativ-losigkeit

Tabelle 3: Argumente und Argumentmuster in den Medien

Um philosophische, ethische und gesellschaftliche bzw. politische Argumente zu bündeln wurden die Muster „Ethik- und Wertebezug“ sowie „soziopolitische Unsicherheiten“ eingesetzt. Die letzten beiden Argumentmuster „Einsatzbereit-schaft im Notfall“ und „Notwendigkeit der Erforschung“ erhalten ausschließliche Begründungsangebote, die für CE vorgebracht werden.

Die Ermittlung der Stärken einzelner Argumentmuster orientiert sich methodisch an der statistischen Berechnung von „Argumentationslandkarten“, wie sie in einer inhaltsanalytischen Studie zu liberalen Demokratien und Kriegs-beteiligung angewendet wurde (vgl. Geis et al. 2010). Da die Nutzung der Argu-mente in Großbritannien und Deutschland aufgrund von Unterschieden im Mediensystem (z. B. Erscheinungshäufigkeit einzelner Organe, Eigenheiten jour-nalistischer Presseberichterstattung im nationalen Kontext) variiert, muss zur Er-

204 5 Schlussbetrachtung

Abbildung 7: Relevanzwerte der Argumentmuster im Ländervergleich

Der britische Mediendiskurs spitzt sich damit stärker auf Argumente für eine Einsatzbereitschaft im Notfall zu. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund, dass in der britischen Presse viele wissenschaftliche Akteure aus der nord-amerikanischen Forschungslandschaft in Zitaten zu Wort kommen, die unter Rückbezug auf das Notfallargument verschärft für eine Erforschung zu Einsatz-zwecken werben (z. B. David W. Keith, Ken Caldeira, Lowell Wood). Wesent-lich passiver und zurückhaltender erscheint dagegen die deutsche Presse, in der bereits Argumente des Musters „Notwendigkeit der Erforschung“ seltener vor-kommen. Führende deutsche Klimawissenschaftler kritisieren, entgegen ihren US-amerikanischen oder britischen Kollegen, sowohl die Erforschung als auch die Einsatzbereitschaft insbesondere von SRM-Technologien.

Für die deutsche Debatte ist weiterhin kennzeichnend, dass die Argument-muster „Soziopolitische Unsicherheiten“, „Ethik und Wertbezug“ sowie Über-legungen zu „Effizienz und technologischer Machbarkeit“ stärker ausgeprägt sind. Diese Argumentmuster kommen in Deutschland bereits in den ersten

Anzahl an ArgumentcodierungenGroßbritannien NA = 405; Deutschland NA = 295

(Mediendiskurs)

4.1 Diskursanalytische Fallstudie zu Großbritannien 147

Society). Wissenschaftler machen demnach den Hauptanteil der Mitglieder der Pro-Erforschungs-Koalition aus. Darüber hinaus befürworteten Vertreter der Research Councils (EPSCR, NERC) und auch politische Entscheidungsträger im Rahmen der Anhörungen des IUSSC und des STC (z. B. Lord Drayson) die Erforschung der Technologien, insbesondere im Hinblick auf deren politisch-rechtliche Regulierungsaspekte.

Diskurs-koalitionen

Hauptargumente Handlungs-empfehlungen

Diskursträger

Erforschungs-befürworter

Alternativlosigkeit, Wissenslücke, Not-fall, Mitigation scheitert, Arming the future

Erforschung sozialer, politischer, technischer, und ethischer Aspekte, Forschung als Grundlage politischer Beschlüsse, CE als „Plan B“, sollte Mitigation scheitern, Wissen für den zu-künftigen Einsatzfall notwendig

Royal Society, Tyndall Centre, Met Office, SPICE, IAGP, DECC, DEFRA, UK Govern-ment, BIS, RCUK, HoC STC/ IUSSC, SRMGI, OGP

Befürworter von Experi-menten

Notfall, Geringeres Übel, Mitigation scheitert, techno-logisch umsetzbar

Bemühen um CE- Experimente zur Be-stimmung der Aus-wirkungen und der technischen Machbar-keit, sofortiger Einsatz (nur AMEG)

Royal Society, SPICE, IMechE, AMEG

CE-Gegner Unintendierte Neben-wirkungen, kommer-zielle Interessen, Moral Hazard, Hybris

Kein CE-Einsatz, Ver-hinderung erster Experi-mente, Forschungsmittel in Mitigation investieren

Greenpeace UK, ETC Group, WWF, Friends of the Earth, H.O.M.E.

Tabelle 5: Diskurskoalitionen des britischen CE-Diskurses

Die Koalition der Erforschungsbefürworter stützt sich besonders auf das Notfall-argument, womit auch die potentzielle Einsatzbereitschaft in der Zukunft ver-bunden ist. Durch eine Erforschung von CE sollte möglichst sichergestellt werden, dass alle „routes“ und „options“ identifiziert werden, um gegen die globale Erwärmung im Falle eins klimatischen Notfalls vorgehen zu können. Zur Legitimation und Rechtfertigung der Forderungen werden überwiegend die Argumente „Mitigation scheitert“, Alternativlosigkeit und das Argument der Wissenslücke herangezogen. Wie empirisch gezeigt wurde, können sich die Argumente sowohl auf die Untersuchung und Einschätzung der Technologien in Laborstudien und Computermodellen als auch auf erste Tests im Rahmen kleinerer Feldexperimente beziehen. Besonders zu Beginn der Debatte stützte sich die Diskurskoalition auf die kontinuierlich reproduzierte Plan-B-Storyline, die in den Medien vor allem durch Vertreter der Royal Society verbreitete

4.2 Diskursanalytische Fallstudie zu Deutschland 197

achtete es das UBA als sinnvoll, verschiedene CE-Konzepte für den Fall einer Notfallsituation weiter zu untersuchen (UBA 2011c: 43).

Diskurs-koalitionen

Hauptargumente Handlungsempfehlungen Diskursträger

vorsichtige Erforschungs-befürworter

Wissenslücke, Alternativlosigkeit, Forschungsfreiheit, Forschungsstandort Deutschland*

Erforschung von Risiken und Nebenwirkungen (besonders von SRM), CE ist Aufgabe der Grundlagenforschung, unabhängige Forschung, Erforschung für eine An-wendung im Notfall oder durch Dritte, Beginn eines öffentlichen Diskurses zur Aufklärung, Forschung nach Maßgabe des Vorsorge-prinzips, Forschung zur Ächtung kommerzieller Eisendüngung*

DFG, BMBF, SPD UBA, NKGCF, KEI, KIT/ITAS, IFM-GEOMAR, AWI*, CDU/CSU*, FDP*, Linke*

CE-Kritiker und Einsatzgegner

Unintendierte Nebenwirkungen, Moral Hazard, Hybris, Risikotrans-fer, Beein-trächtigung anderer Optionen, Völker-recht*

SRM-Erforschung ist Ver-schwendung von Forschungsmitteln, Moratorium für CE-Einsatz, CE kein Mittel zum Klima-schutz, CE keine Alternative zu Mitigation und Adaptation, Verhinderung eines Vor-stoßes gegen CBD-Abkommen*

UBA, PIK, ETC Group, Bürger-initiativen (z. B. Sauberer Himmel), Grüne*, AKN*, WWF*, Bürger-initiativen*, BMU*, Green-peace*

Tabelle 7: Diskurskoalitionen des deutschen CE-Diskurses (*= Diskurs- träger, Argumente und Handlungsempfehlungen, die sich aus- schließlich auf den Diskurs zu LOHAFEX beziehen)

Die zweite Diskurskoalition setzt sich aus Kritikern der Technologien zu-sammen, die sich bereits gegenüber einer Erforschung der Maßnahmen skeptisch – teilweise auch ablehnend – positionieren. Zu den kontinuierlich auf allen drei Diskursebenen reproduzierten Begründungen gegen eine Erforschung und eine Einsatzbereitschaft zählen die Argumente Hybris und Moral Hazard, das Risiko-transferargument sowie Begründungen des Musters „soziopolitische Unsicher-heiten“. Der Diskurskoalition gehören generell kritische Journalisten, Wissen-schaftler (z. B. Konrad Ott, Ulrike Potzel, Joachim Schellnhuber, Stefan Rahm-storf), Umweltverbände sowie Bürgerinitiativen. Besonders hervorzuheben ist auch das UBA, das sich in Deutschland unter den Einsatzgegnern mit der Forderung eines Moratoriums zentral positioniert hat. Von Seiten der Techno-

1. Argumentationstheoretische Unterscheidungen für die

Diskursanalyse nutzen

Statt Vorkommnisse zählen:

a) Propositionale Einstellungen bezüglich der Argumente und Prämissen unterscheiden (Akzeptanz, Ablehnung, kein Urteil)

b) Differenziert bestimmte Positionen evaluieren und Evaluation zur Interpretation nutzen

G. Betz, S. Cacean Climate Engineering: Ethische Aspekte

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Argumentkarte Z: Vierte Position

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Kern- Position

Logisch- argumentative Hypotheken

Akzeptanz

Ablehnung !

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2. Argumentrekonstruktion und Diskursanalyse verschränken