geschichte der lateinischen sprache () || kap. ii. das vorliterarische latein

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68 II. Das vorliterarische Latein 95. Aus dem Punischen haben die Römer die Gruß- formel 86 ave, entlehnt: Im Poenulus des Plautus, der wohl um das Jahr 190 v. Chr. aufgeführt wurde, spricht der Punier Hanno: avö (Vers 998), und der Sklave Milphio erklärt das durch die Bemerkung: salütat (avö kommt auch in den Versen 994 und 1001 vor); avö ist Wieder- gabe eines punischen Imperativs 'viviteV. Der Singular dazu ave (auch have) ist seit Cicero und Catull belegt; später wird dazu weiter ein Verbum (h)avere (nach sol- vere valere zu salve! valel) gebildet 86 . Aus dem Punischen stammt auch mägälia „runde Hütten nomadisierender Berberstämme", während tünica eher aus einer östlichen semitischen Sprache entlehnt ist (wie χιτών). Kapitel II. Das vorliterarische Latein 1. Die Reste der ältesten Sakral- und Gesetzessprache 96. Als älteste Zeugen lateinischer Rede, von denen uns die Literatur die Kenntnis vermittelt, treten uns Reste sakraler Dichtung und liturgischer Formelsprache entgegen. Von der Priesterschaft der Sa Iii wurden bei den feierlichen Aufzügen im März und Oktober die Car- mina Saliäria, begleitet von einem Waffentanz, gesun- gen. Sie fanden in Aelius Stilo (s. §7) einen gelehrten Kommentator, und es sind uns davon einige Reste erhal- ten, aber so mangelhaft und unsicher überliefert (Varro Ling. Lat. VII 26—27, Terentius Scaurus, Gramm. Lat. VII 28), daß wir mit diesen Trümmern altrömischer Götteranrufung nichts Rechtes anzufangen vermögen 1 . 86 Vgl. die Parallelen aus der Neuzeit: das frühere adieu (in Deutschland 1914 abgeschafft), in der deutschen Schweiz volkstümlich salii (französ. ealut) und heute vulgär tschau (aus dem lombardischen ciao, das eine Ent- stellung aus schiavo ,,Sklave" ist, das seinerseits aus dem österreichischen Servusl oder gehorsamer Diener! übersetzt ist). •· S. Ussing, Τ. M. Plauti comoediae IV 2 S. 343 und zuletzt Walde- Hofmann, Lat. et. Wb. I S. 80f. 1 Vgl. Quintilian Inst. orat. I 6, 40: Saliorum carmina viz saeerdotibus suis satis intellecta. Vgl. v. Grienberger, IF. 27 (1910) S.199—132; zuletzt V. Pisani, Manuale storico della lingua latina III (Testi latini arcaici e vol- gari) Nr. A 39. Brought to you by | New York University Bobst Lib Authenticated Download Date | 12/8/14 1:26

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Page 1: Geschichte der lateinischen Sprache () || Kap. II. Das vorliterarische Latein

68 I I . Das vorliterarische Latein

95. Aus dem P u n i s c h e n haben die Römer die Gruß-formel86 ave, entlehnt: Im Poenulus des Plautus, der wohl um das Jahr 190 v. Chr. aufgeführt wurde, spricht der Punier Hanno: avö (Vers 998), und der Sklave Milphio erklärt das durch die Bemerkung: salütat (avö kommt auch in den Versen 994 und 1001 vor); avö ist Wieder-gabe eines punischen Imperativs 'viviteV. Der Singular dazu ave (auch have) ist seit Cicero und Catull belegt; später wird dazu weiter ein Verbum (h)avere (nach sol-vere valere zu salve! valel) gebildet86. Aus dem Punischen stammt auch mägälia „runde Hütten nomadisierender Berberstämme", während tünica eher aus einer östlichen semitischen Sprache entlehnt ist (wie χιτών).

Kapitel II. Das vorliterarische Latein 1. Die Reste der ältesten Sakral- und Gesetzessprache 96. Als älteste Zeugen lateinischer Rede, von denen

uns die L i t e r a t u r die Kenntnis vermittelt, treten uns Reste sakraler Dichtung und liturgischer Formelsprache entgegen. Von der Priesterschaft der Sa Iii wurden bei den feierlichen Aufzügen im März und Oktober die Car-mina Saliäria, begleitet von einem Waffentanz, gesun-gen. Sie fanden in A e l i u s S t i l o (s. §7) einen gelehrten Kommentator, und es sind uns davon einige Reste erhal-ten, aber so mangelhaft und unsicher überliefert (Varro Ling. Lat. VII 26—27, Terentius Scaurus, Gramm. Lat. VII 28), daß wir mit diesen Trümmern altrömischer Götteranrufung nichts Rechtes anzufangen vermögen1.

86 Vgl. die Parallelen aus der Neuzeit: das frühere adieu (in Deutschland 1914 abgeschafft), in der deutschen Schweiz volkstümlich salii (französ. ealut) und heute vulgär tschau (aus dem lombardischen ciao, das eine Ent-stellung aus schiavo ,,Sklave" ist, das seinerseits aus dem österreichischen Servusl oder gehorsamer Diener! übersetzt ist).

•· S. U s s i n g , Τ. M. Plauti comoediae IV 2 S. 343 und zuletzt W a l d e -H o f m a n n , Lat. et. Wb. I S. 80f.

1 Vgl. Q u i n t i l i a n Inst. orat. I 6, 40: Saliorum carmina viz saeerdotibus suis satis intellecta. Vgl. v. Gr ienberger , IF. 27 (1910) S.199—132; zuletzt V. P i s a n i , Manuale storico della lingua latina III (Testi latini arcaici e vol-gari) Nr. A 39.

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1. Die äl teste Sakral- u n d Gesetzessprache 69

Immerhin liegt in der Verbalform tremonti 'tremunt' das einzige Zeugnis für die alte volle Form des Primärsuffixes -nti in der 3. plur. vor (praetexere monti nach Festus p. 222 L. zu prai tet tremonti korrigiert), ein Beleg dafür, in welch hohes Alter diese Carmina Saliäria hinaufreichen.

97. Besser ist es mit der Überlieferung des Carmen ar-väle bestellt, das von den Frätres Arväles, einer Flurbrü-derschaft, im Mai im Hain der ländlichen Dea Dia gesun-gen wurde, und zwar in ihrem Tempel bei geschlossenen Türen, ebenfalls mit Tanzbegleitung. Es ist uns in einem in Stein gegrabenen Protokoll der Arvalbrüder vom Jahre 218 n. Chr. erhalten2. Vieles ist darin sprachlich schwer verständlich; aber die ausführliche Behandlung durch E. N o r d e n hat vieles geklärt (Aus altrömischen Priesterbüchern. Skrifter utgivna av K. Hum. Veten-skapssamfundetiLund 29, 1939, S. 107—280, 286—293). Zweifellos sind am Anfang die Laren (in ihrer ursprüng-lichen lautlichen Gestalt Lases) und dreimal Mars (auch je dreimal in der Form Marmor und Marmar) angerufen3.

98. Von der prosaischen, aber doch feierlich geglieder-ten Sprache der alten religiösen Formeln gibt uns eine Stelle in V a r r o s Schrift De linguä Latinä (V 8) ein gutes Bild. E. N o r d e n , der die Stelle weitgehend erschlossen hat4, rekonstruiert den Vorspruch so:

[i]<em<püa> tescaque m(eae) f(ines) ita sunto, quoad ego easte lingua\m\ nuncupavero

„Der heilige Bezirk und das Brachland, (d. h.) meine Grenzen (davon), sollen so sein, wie weit ich sie mit mei-nem Spruch angebe"; easte ist Akk. Plur. Fem. von iste, das längst von den Linguisten in is-te zerlegt worden ist.

a CIL I s 2. Hr. 2 S. 369, 717; Dessau Nr. 5039; Diehl« Nr. 138; V. P i s a n i , a. a. O. Nr. A 2.

3 In dem je dreimaligen e nos I.ases iumte am Anfang und c nos Marmor iuuato am Schluß ist β mit den Götternamen zu verbinden (vgl. ecatior, ejünö, e Quirine), von denen es dureh das an die zweite Satzstelle drängende enklitische nös getrennt ist.

1 Aus altröm. Priesterbüchern (s. § 97) S. 1—106 ('Die Spruchformel der Augurn auf der Burg'). S. auch K. L a t t e , Pliilolosus 97 (194S) S. 143—159; E. F r a e n k e l , IF 60 (1950) S. 153—155; F. M e n t z , KZ. 70 (1952) S. 209ff.; G. Ferr i , Latomus 13 (1954) S. 390ff.; Studi classici e orientali(Pisa 1955) S. 87ff.; V. P i s a n i , Testi latini arcaici Nr. A 2.

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Page 3: Geschichte der lateinischen Sprache () || Kap. II. Das vorliterarische Latein

70 I I . Das vorliterarische Latein

Andere derartige Formeln sind durch die Überlieferung der Autoren und der Handschriften mehr oder weniger modernisiert worden, wie ζ. B. die Gebete bei der Aus-lichtung eines Hains und bei dem Sühneumgang um ein Grundstück (Cäto de agr. 139. 141); ζ. B. 141, 2:

uti tu morbos visos invisosque viduertatem5 vastitudinemque calamitates intemperiasque6

prohibessis defendas averruncesque7

utique tu fruges frumenta vineta virgultaque grandire beneque eveniri siris8

99. Als Überreste prosaischer juristischer Rede ragen in die Überlieferung der späteren Zeiten noch die Bruch-, stücke der 'Leges XII tabulärum' herein, die noch in Cicero's Jugend auswendig gelernt wurden. Sie lehren uns die syntaktische Struktur der alten Fassung dieser Gesetze kennen, haben aber in der Lautgestalt viele Mo-dernisierungen erfahren. So erscheinen die zahlreichen Imperative des Futurs, deren Verwendung gerade in Ge-setzesformeln besonders charakteristisch ist, stets in der Form auf -to, und doch kann zur Zeit der Aufstellung der 12 Tafeln (449 v. Chr.) der Ausgang dieser Endung sicher nur -töd gewesen sein, wie wir aus der inschriftlichen Überlieferung späterer Zeit mit aller Bestimmtheit wis-sen. Doch schimmert die alte Sprache noch oft durch, ζ. B. im und em (= eum) als alter Akk. zu is (vgl. turrim und hostern zu turris und hostis); sum Akk. zu grund-sprachlichem *so ( = 0); syndetische und asyndetische Nebeneinanderstellung synonymer Begriffe9; die Nicht-bezeichnung des Subjektwechsels in Satzgefügen zeigt ζ. B. die Bestimmung (tab. VI I I 12): si nox furtum faxit (A), si im occisit (B den A), iure caesus esto (A) ( M a c r o -

6 „Mißwachs". * „Stürmisches Wetter". ' „abwenden". 8 Vgl. E. N o r d e n , Die Antike Kunstprosa I. δ. Aufl. (Darmstadt 1958)

S. 157f. • Vgl. die Formel in § 9S. Sakrale und juristisch-politische Sprache ge-

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2. Die ältesten lateinischen Inschriften 71

b i u s Saturnalia I 4, 19). Auch diese Gesetze sind keines-wegs von griechischem Einfluß unberührt, sondern zei-gen sowohl durch die Lehnwörter (poina, dolus) als auch in Stil und Inhalt eine gewisse Abhängigkeit von grie-chischen Vorbildern10. Die antike Überlieferung, daß die Zwölftafelgesetze nach dem Vorbild griechischer Gesetze abgefaßt wurden, wird damit auch vom Sprachlichen her bestätigt.

2. Die ältesten lateinischen Inschriften

100. In welcher Weise ergänzt nun die i n s c h r i f t l i e h e Ü b e r l i e f e r u n g das Bild des ältesten Latein? Die äl-teste bis jetzt bekanntgewordene stadtrömische Inschrift in lateinischer Sprache11 ist bei den Ausgrabungen auf dem Forum im Jahre 1899 gefunden worden und steht βουστροφηδόν (s. § 22) eingegraben auf einer oben mit Gewalt verstümmelten Spitzsäule (eippus)12. Die In-schrift ist leider infolgedessen ebenfalls verstümmelt, was die Deutung (nach J . Stroux handelt es sich um eine Verfassungsurkunde) sehr erschwert13. Sicher ist der Da-tiv reeei — regi, was wohl trotz dem Alter der Inschrift besser auf einen rix sacrorum (oder sacriftculus) als auf einen der alten Könige bezogen wird. An sonstigen zweifellos verständlichen Wörtern bietet die Inschrift quoi = qui, <syakros Nom. Sing. = sacer, esed = esset, iouxrnenta = iümenta, iouestod = iüstö, Jcapia = capiat,

10 Vgl. E. N o r d e n , Aus altrömischen Priesterbüchern S. 254—258; E. D ü l l , Das Zwölftafelgesetz. 3. Aufl. (München 1959).

11 Wohl noch etwas älter sind einige etruskische Inschriften, die am Fuß des Kapitals und auf dem Palatin gefunden wurden. Dazu vgl. zuletzt JI. P a l l o t t i n o , Die Etrusker S. 82 (mit Lit.); F. A l t h e i m , Geschichte der lat. Sprache S. 245f.

12 CIL I s 2, Nr. 1 S. 367, 717; D e s s a u Nr. 4913; D ieh l 1 Xr. 254; De-grassiI 3.

13 Die förderlichste und aussichtsreichste neuere Erklärung der Inschrift ist die von J. S t r o u x , Philologus 86 (1931) S. 460—491. Letzter Bericht über spätere Behandlungen bei j . B. H o f m a n n , Bursians Jahresb. (s. S. 6) 270, S. 105—108; E. N o r d e n , Aus altrömischen Priesterbüchern S. 258bis 260; F. A l t h e i m , Gesch. d. lat. Sprache 246f.; G. D u m 6 z i l , B.EL. 36 (1958) S. 109—111.

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72 II . Das vorliterarische Latein

kalatorem „einen Ausrufer, Amtsdiener". Von diesen ist sprachgeschichtlich von besondrer Bedeutung die Form sakros, da durch sie der Beweis erbracht wird, daß der Verlust des ο der Schlußsilbe erst in der Zeit der l a t e i n i -schen S o n d e r e n t w i c k l u n g stattgefunden hat und nicht, wie früher vermutet worden war, in gemeinita-lischer Zeit, was man insbesondre wegen umbr. ager u. dgl. behauptet hatte. Diese Foruminschrift stammt etwa aus dem 6. Jahrhundert v. Chr.

101. Etwas älter wird die Aufschrift einer in Praeneste gefundenen Spange (fibula) sein, die so lautet:

Manios med vhevhaked Numasioi = Manius me fecit Numeriöu.

An dieser Inschrift ist in orthographischer Hinsicht die Schreibung vh für späteres / bemerkenswert, eine Schreibweise, die aus den älteren etruskischen und den venetischen Inschriften bekannt ist. Ferner lehrt die Goldfibel, daß das Praenestinische (im Gegensatz zum stadtrömischen Latein) ein redupliziertes Perfekt von der Wurzel fac- besaß und in diesem Punkt mit dem Os-kischen (fefacid, fefacust, Bantia) zusammengeht. Der Dativ Numasioi zeigt wie vhevhaked noch unverändertes α in der Mittelsilbe und -oi aus *-öi. Die alten Dativ-endungen *-δΐ, *-äi erscheinen in den italischen Sprachen bald als -oi, -ai, bald als -δ, -ä. Die lateinische Schrift-sprache hat davon merkwürdigerweise -ö und -ai > -ae ausgewählt und kanonisiert (-ä ist vulgärsprachlich ver-breitet).

' 102. Endlich als dritte Probe des ältesten uns bekann-ten Latein die sogenannte Duenos-Inschrift aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts v. Chr., die um den Bauch eines aus drei Töpfchen zusammengeklebten Tongefäßes herumläuft. Die Inschrift lautet15:

" CIL J ! 2, Kr. 3 S. 370, 717; D e s s a u Nr. 8561; D i e b l * Nr. 719; I ) e -g r a s s i I 1. Zur Inschrift vgl. W. P. S c h m i d , I F . 70 (1965) S. 200—208.

15 CIL I s 2, Nr. i S. 371, 717; D e s s a u Nr. 8743; Die l i l 4 Nr. 720 ; D e g r a s s i I 2.

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2. Die ältesten lateinischen Inschriften 73

Iouesat deiuos qoi med mitat, nei ted endo cosmis uirco sied, astednoisiopetoitesiai pakari uois: duenos med feced en manom einom dzenoine med rnalos (s)tatod16.

In den Formen der klassischen Sprache ausgedrückt: Iürat deös, qui memittit, nl in te cömis virgö sit, ast . . .

ütens( ?), ei päcäri vis: bonus me fecit in bonum . . . die nönö me, malus statö( ?)

„Es schwört bei den Göttern, der mich sendet, falls dir ein Mädchen nicht hold ist, du aber, dich . . . bedienend, mit ihr vereinigt (verlobt) werden willst: ein Braver hat mich zu gutem Zweck verfertigt . . . am neunten Tag ein Schlechter soll mich aufstellen( ?)"

103. In orthographischer Beziehung ist virco = virgo be-achtenswert (vgl. recei — regi der Foruminschrift), qoi wahrscheinlich fehlerhaft für quoi, das wir auf der Forum-inschrift gefunden haben. Hinsichtlich der Form fallen auf iouesat = iürat, vgl. iouestod = iüstö der Foruminschrift , deiuos — deös, mitat17 = mittit, cosmis = cömis, uois — vis, duenos = bonus. Unsicher sind oites — ütens, vgl. altlat. oitile, iai (Fem.) = ei, einom — et, vgl. oskisch εινειμ (oben § 61), der Dativ duenoi (wie s ta t t dze not vermutet wird) = bono, vgl. Numasioi, ted endo — inte und die Satzverbindung nei . . . ast.

104. Zu diesen Inschriften kommen zwei ebenfalls recht alte von einigem Umfang, die aber noch schwerer verständlich sind: Eine Steininschrift aus Tibur18 aus dem 5. oder 4. Jahrhundert (?) enthält ebenfalls das Wort mitat (s. § 103), und in einer neunzeiligen, βουστρο-φηδόν geschriebenen auf einem Bronzetäfelchen aus dem Fucinersee (Ende des 4. Jh.s)19 ist verständlich apur

" Über die vielen unter sich s tark abweichenden Deutungen s. die auf S. β angeführten Jahresberichte. Dazu W. K r o g m a n n , Die Duenos-In-schrift, Berlin 1938 (nebst M. L e u m a n n , IF . 57, 1939, S. 154f.). Die jüngsten Deutungsversuche von V. P i s a n i (vgl. Testi Arcaici A 4), R. G o d e l und E. P e r u z z i sind von M. L e u m a n n , Glotta 42 (1964) S. 84, angezeigt. Die Inschri f t ha t keine Wortabt rennung; auch ist im einzelnen die Lesung mehrfach unsicher. Ziemlich sicher ist der Zaubercharakter der Inschrif t (Liebeszauber? Defixio?).

17 "Über wahrscheinliches mitäre neben mittere s. Wa 1 de - Π of m a n n , Lat . et. Wb. I I S. 99. 4

" Dieh l« Nr. 7201 (S. 86); V e t t e r , Handbuch I Xr. 512: M. L e u m a n n , Glotta 18 (1930) S. 246.

" CIL I s 2, Xr. 5 S. 372, 717; D i e h i 4 Xr. 224; V e t t e r . Handbuch I Nr . 228 a.

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74 I I . Das vorliterarische Latein

finem = apud finem (zu rf für df vgl. § 64) und pro l[ecio]nibus Martses = pro legiönibus Märsls (Märsl = Märtil „die Marsleute" mit Wandel von tj zu (i).s; vgl. § 62). Im ganzen lassen diese ältesten Inschriften mehr nur ahnen, wie stark das älteste Latein von dem der klassischen Zeit abwich, aber wir erkennen wenigstens im Phonem- und Formeninventar ein sehr altertümliches Gepräge, das in nicht wenigen Fällen kaum merklich vom Gemeinitalischen (§ 39ff.) abweicht. So sind ζ. B. die' Kurzdiphthonge (mit Ausnahme von eu) noch sämtlich vorhanden, die kurzen Vokale im Inlaut noch nicht ver-ändert, das intervokalische s ist noch nicht zu r gewor-den, Konsonantengruppen wie sm, xm sind noch nicht, vereinfacht. In der o/ä-Deklination sind Dat. (-oi, -δ, -ai, -ä) und Ablativ {-öd, -öd) deutlich unterschieden. Das Verbum kennt noch den ererbten Gegensatz der Primar-und Sekundärendungen (mitatlsied). Syntaktisch bemer-kenswert sind natürlich die ältesten Gesetzestexte und die Gebetsformeln, vielleicht auch das sakros esed (=es-set) der Foruminschrift. Eine schriftsprachliche Tradi-tion und Reglementierung ist noch nicht vorhanden, so daß dialektische (später als rustik angesehene) Laute und Formen auch in gehobenem Kontext zum Ausdruck kommen können. Leider ist eine große Inschrift, die sich als alt ausgibt, nämlich die auf der sog. Columna rösträ-ta20, die den Seesieg des C. D u i l i u s über die Punier bei Mylae (260 v. Chr.) verherrlicht, sicher erst in der Kaiser-zeit eingegraben worden. J . W a c k e r n a g e l 2 1 vertrat im Anschluß an E. L o m m a t z s c h (CIL) die Ansicht, die Inschrift sei „eine von achtungswerter Gelehrsamkeit zeugende Arbeit der beginnenden Kaiserzeit" (S. 170). Demgegenüber suchte M. N i e d e r m a n n 2 2 die von

20 CIL Ρ 2 , Nr. 25 S. 384, 718 (E. L o m m a t z s c h ) ; D e s s a u Nr. 65; Diehl« ΛΤΓ. 271.

21 46. Jahrbuch des Vereins Schweizerischer Gymnasiallehrer (Aarau 1919) S. 162—170.

22 Eevue des Stüdes lafcines 14 (1936) S. 276—287 = Kecueil M. Nieder-mann (Neuchätel 1954) S. 209—220.

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1 a. Die Anfänge der römischen Literatur 75

Wackernagel beanstandeten Fehler und Pseudoarchais-men23 (abgesehen von orthographischen Modernisierun-gen) als in der Mitte des dritten Jahrhunderts mögliche Schreibungen zu erklären und damit die Inschrift als eine getreue Abschrift des Originals zu erweisen.

Kapitel III. Das Altlateinische

1. Die Normalisierung der Sprache a) Die Anfänge der römischen Literatur

105. Von einer römischen Literatur kann man vor der Mitte des dritten vorchristlichen Jahrhunderts nicht gut sprechen. Zwar sind schon vorher Ansätze zur Ko-difizierung des Rechts gemacht und somit der Grund zu einer juridischen Literatur gelegt worden. Als Keime ge-schichtlicher Darstellung mögen neben den öffentlichen Amtsbüchern (annales, commentarii) die Leichenreden und die Aufschriften unter den Ahnenbildern (tituli) an-gesehen werden. J a sogar eine festumrissene Schriftstel-lergestalt wird uns in der Persönlichkeit des berühmten A p p i u s C l a u d i u s Caecus, Zensor 312 v. Chr., genannt. E r hat sich im Altertum vor allem durch seine erfolg-reiche Rede im Senat gegen den Frieden mit Pyrrhus, bis heute durch den Bau der Via Appia einen Namen gemacht. Eine Spruchsammlung in Saturniern („jeder ist seines Glückes Schmied"), die Einführung der Schrei-bung -r- für intervokalisches -s-, die orthographische Scheidung von C und G und die Behandlung von Rechts-fragen werden ihm zugeschrieben. Aus diesen einheimi-schen Ansätzen hat sich aber erst durch die Berührung mit den Hellenen Großgriechenlands eine national-römische Literatur entwickelt.

106. An der Spitze der poetischen Literatur der Römer stehen der Grieche L i v i u s A n d r o n i c u s und der graezi-

33 Ζ. B. claseis naveis mit ei s tatt Ϊ, dictatored und navaled statt -e und -id, triTesmos s tatt -is, Carthaciniensis (dreimal) statt Karth-,

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