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Georg Wilhelm Friedrich Hegel Vorlesungen zur Ästhetik

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Georg Wilhelm Friedrich Hegel Vorlesungen zur Ästhetik

HEGELFORUM

QUELLEN

herausgegeben von

ANNEMARIE GETHMANN-SIEFERT ALAIN PATRICK OLIVIER

MICHAEL QUANTE ELISABETH WEISSER-LOHMANN

Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Vorlesungen zur Ästhetik

Vorlesungsmitschrift Adolf Heimann (1828/1829)

Herausgegeben von

Alain Patrick Olivier und Annemarie Gethmann-Siefert

Wilhelm Fink

Die in Bezug auf Orthographie und Interpunktion unbearbeitete Abschrift der Vorlesungen zur Ästhetik von G. W. F. Hegel steht auf der Webseite des

Wilhelm Fink Verlags auf der Detailseite des Titels zum Download zur Verfügung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne

vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig.

© 2017 Wilhelm Fink Verlag, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA;

Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland)

Internet: www.fink.de

Lektorat und Druckvorlage: Dora Tsatoura, Dortmund

Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München

Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn

ISBN 978-3-7705-6187-2

VORWORT

Der hier vorgelegte Text einer Mitschrift zu Hegels letzter Berliner Ästhetik-Vorlesung geht auf ein Forschungsprojekt zur Ästhetik des Deutschen Idea-lismus zurück, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wur-de. Die Herausgeber danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Förderung. Außerdem gilt der Dank der Alexander von Humboldt-Stiftung und der FernUniversität Hagen für die finanzielle Unterstützung mehrerer in-ternationaler wissenschaftlicher Kolloquien zum Umfeld und zur Wirkung der Hegelschen Ästhetik.

Für die Mitarbeit an den Korrekturen der ursprünglichen Transkription des Textes danken wir Frau Anna Johanna Gethmann. Unser besonderer Dank gilt Frau Dora Tsatoura für die Umsetzung der Korrekturen, die Normalisierung des Textes* und die Erstellung der Druckvorlage.

Nicht zuletzt gilt unser Dank Frau Birgit Hommel (Tübingen) für die Er-laubnis der Erforschung des Nachlasses von Hildebrecht Hommel, in dessen Besitz sich die Nachschrift befand, sowie für die Publikationserlaubnis des Heimannschen Manuskripts.

Gewidmet sei der Band dem langjährigen Direktor des ehemaligen Hegel-Archivs der Ruhr-Universität Bochum, Professor Dr. Otto Pöggeler.

* Auf der Homepage des Fink Verlages ist bei der Präsentation des Buches auch ein Link zur

Verfügung gestellt, der zu einer herunterladbaren zusätzlichen Version der Mitschrift führt (PDF-Format). Diese zu Forschungszwecken unentbehrliche Fassung enthält die in bezug auf Orthographie und Interpunktion unbearbeitete Nachschrift.

INHALT

EINLEITUNG: HEGELS VORLESUNGEN ZUR ÄSTHETIK ODER PHILOSOPHIE DER KUNST (Alain Patrick Olivier / Annemarie Gethmann-Siefert) .............................. XIII

ÄSTHETIK

EINLEITUNG .............................................................................................. 1

I. Umfang der Ästhetik. a, Verhältnis dieses Umfanges zur wissen- schaftlichen Ausbildung, und b, Verhältnis der Wissenschaft zur Kunst, und c, über [das] Verhältnis der Phantasie zur Natur ...................... 3

Ästhetik

Einleitung II. Verhältnis der Kunst a, zur Natur und b, zur Moral ............. 4 Einleitung; b, Verhältnis der Kunst zur Moral; c, Verhältnis der Kunst zur Wissenschaft; doppelte Weisen dieses Verhältnisses: α, in der Kunstgelehrsamkeit, β, in der Kunsttheorie durch die Reflexion. – Über Kunstgelehrtheit .............................................. 6

Einleitung. Über die Theorien, die aus der Kunstgelehrsamkeit geflossen, deren Mängel und Abstraktion .................................................. 7

Einleitung. Über die abstrakte Reflexion der Kunst; γ, Verhältnis der beiden Weisen und Aufhebung ihrer Einseitigkeit durch den Begriff. III. a, Über den Begriff der Schönheit ........................................... 9

Einleitung III. b, Über das Sein des Schönen und Fortbildung des Begriffes aus dem Sein; c, über den unwissenschaftlichen Weg, aus der Vorstellung den Begriff des Schönen herzuleiten; d, Kritik der gegebenen Erklärungen .......................................................... 10

INHALT

VIII

Einleitung. d, Kritik der Erklärungen. α, Hirt: Charakteristik; β, Meier[;] γ, Goethe. Bedeutsamkeit des Inhalts. – Was das heißt; δ, Gleichheit der beiden gegebenen Erklärungen ....................................... 12

Einleitung. 2, Kant. Seine vier Kategorien des Schönen. 1, Kunstschönheit zum Naturprodukt; 2, Kunstschönheit zu dem abstrakt Allgemeinen; 3, Schönheit und Zweckmäßigkeit ............. 14

Einleitung. ε, Kant. 3, Schönheit und Zweckmäßigkeit; 4, Schönheit hat keinen Begriff. IV. Unsere Ansicht von der Ästhetik. 1, Ihre Stellung im Kreise des geistigen Lebens und ihre Notwendigkeit ............. 15

Einleitung. 2, Lemmatische Erklärung des Schönen als Schein des Inhaltes; 3, Inhalt und Ausführung des abstrakten Inhaltes = Abstraktion und Konkretes. Einheit und Mannigfaltigkeit = Subjektivität und Objektivität; 4, Über die Aufhebung dieses Gegensatzes ................................................................................................ 17

Einleitung. 4, Über die Aufhebung des Gegensatzes des Subjektiven und Objektiven. α, die Befriedigung; in Kenntnissen und Trieben, deren Charakter und Relativität .................................................................. 19

Einleitung. α, Befriedigung als relative ist mangelhaft; β, Befrie- digung: des höchsten Gegensatzes − Freiheit und Notwendigkeit − durch die höchste Wahrheit a, Religion b, Philosophie ................... 20

Einleitung IV. 5, Verhältnis des Begriffs und dessen Existenz: die Philosophie nach drei verschiedenen Formen und Geistesstufen: Empfindung und Anschauung: Vorstellung: a, des reinen Denkens; b, Stellung der Kunst in diesen Formen ...................................................... 22

Einleitung IV. 6, Über das Verhältnis α, der ersten Stufe zur zweiten: Kunst und Religion; β, der ersten Stufe zur dritten: Kunst und Philosophie ................................................................................ 24

Einleitung IV. 7, Über die Vernichtung der Kunst auf dem Standpunkte der dritten Stufe und Erklärung der Blütezeit der Kunst bei Griechen und in dem 15ten Jahrhundert ............................................... 25

INHALT

IX

ALLGEMEINE EINTEILUNG DER ÄSTHETIK .......................................... 27

I. Allgemeiner Teil; II. Besonderer Teil; III. Individueller Teil ... 29

I. Von dem Idealen; II. Formen des Schönen nach Form und Inhalt, 1, symbolische, 2, klassische, 3, romantische Kunstform. Char[akter] der 1ten und 2ten wegen des Unpassenden: der Form zur Unbestimmtheit des Inhalts und nach Vollendung der Form zur Beliebigkeit des Inhalts ......................................................................... 29

Allgemeine Einteilung der Ästhetik

Allgemeine Einteilung der Ästhetik. Charakter der 2ten Form und der 3ten, die die Form verschmäht als dem Anfang gemäß und deshalb willkürlich das Äußerliche adäquat dem Innern macht. III. Inhalt des individuellen Teils. Einteilung der einzelnen Kunstarten ..................... 31

Allgemeine Einteilung der Ästhetik. III. Individueller Teil: a, Architektur als symbolische Kunst; b, Skulptur als vollendetes Kunstwerk, wo die Ruhe des Geistes gegenüber dem Material durchscheint, die objektive Kunst; c, die subjektive Kunst mit dem Unterschied des Inneren und Äußeren, α, Malerei mit Fläche und Farbe unterschieden ............................................................................. 32

Allgemeine Einteilung der Ästhetik. III, c, β, Musik, Zeichen des Inneren durch den Ton. γ, Zeichen des Innern als bestimmtes Tönen in Vorstellungen, Poesie. Erster Teil. Kenntnisse von dem Ideal. I, Ideal als solches; objektive Bestimmung der Idee. Idee ist die Verbindung von Begriff und Realität, subjektive Wahrheit, erscheint nur die Idee im Leben .................................................................. 34

ERSTER TEIL: KENNTNISSE VON DEM IDEAL ................................................................ 35

1, Ideal als solches und 2, die Bestimmtheit des Ideals als solches sind hierher zu rechnen, und drittens sollen die Bestimmungen der Entfaltung des Ideals besprochen werden: Ideal als solches, Idee als solche ..................................................................................................... 37

INHALT

X

Idee als solche. Idee des Schönen und des Ideals

I. Teil. I, Von dem Ideal und der Idee überhaupt. Rumohrs Polemik gegen die philosophische Idee, daß diese nicht bestimmt sei und der Künstler nur unbestimmte Vorstellungen hat. Idee ist das Leben, die Wahrheit für die Anschauung als Schönheit sowie die Wahrheit als Gedanke für das Denken ist. Rumohrs 3 Kategorien des Schönen verworfen ............................................................................... 38

Vom Ideal als geistigem Inhalt ........................................................... 48 Von der Bestimmtheit des Ideals ........................................................ 52

ZWEITER TEIL: VON DEN BESONDEREN KUNSTFORMEN .............................................. 75

Von der symbolischen Kunstform .............................................................. 77 I. Vom Symbol überhaupt .................................................................. 80

1, Die unmittelbare Einheit der Bedeutung [und] der Darstellung ................................................................................. 81

2, Unterschied und Beziehung eines Innern von dem Natürlichen und Unmittelbaren .................................................. 83

3, Phantastische Symbolik, Symbolik der Erhabenheit .............. 85 Pantheismus ........................................................................ 86 [Judaismus] ......................................................................... 87

4, Vom bestimmteren Symbolischen .......................................... 88 Von der ägyptischen Kunst ................................................ 89

5, Von der bewußten Symbolik, Auseinanderfallen beider Formen, Prosa, künstl[iche] Form .............................................. 93

Äsopische Fabel, Parabel .................................................... 93 Parabel, Apolog .................................................................. 95 Verwandlungen .................................................................. 95 Rätsel .................................................................................. 96 Epigramm ........................................................................... 96 Allegorie ............................................................................. 97 Metapher ............................................................................. 97 Vergleichung ...................................................................... 98 Bild ..................................................................................... 99

Von der klassischen Kunstform .................................................................. 100

[Von der romantischen Kunstform] ............................................................ 113 Vom religiösen Inhalt der romantischen Kunst .................................. 115

INHALT

XI

[Vom weltlichen Inhalt der romantischen Kunst] ............................... 118 Die Ehre ...................................................................................... 119 Die Liebe .................................................................................... 120 Die Treue .................................................................................... 121

[Das Formelle des Charakters] ........................................................... 122 Handlung .................................................................................... 124 Der abstrakte Stoff und äußerliche Gegenstand .......................... 125

DRITTER TEIL: VON DEN BESONDEREN GESTALTUNGEN DER KUNSTWERKE .......... 129

Baukunst ..................................................................................................... 132 [Symbolische Architektur] .................................................................. 133 Klassische Baukunst ........................................................................... 139

Hauses ......................................................................................... 139 Dorische Ordnung ....................................................................... 142 Die Ionische ................................................................................ 142 Die römische Architektur ........................................................... 142

Die romantische Baukunst .................................................................. 143

Skulptur ...................................................................................................... 145 Natur des Skulpturbildes ..................................................................... 146 Von den Formen des Gesichts ............................................................ 149

Ausdruck des idealischen Gesichtes ........................................... 151 Bekleidung der Skulpturbilder ............................................................ 153 Von den Attributen ............................................................................. 155 Gruppen .............................................................................................. 156 Materien der Skulptur ......................................................................... 157 Münzkunst .......................................................................................... 159

Malerei ........................................................................................................ 160 Historienmalerei ................................................................................. 164 Von dem Idealischen der Malerei ....................................................... 166 Die deutsche Malerei .......................................................................... 173 Kolorit ................................................................................................. 175

Musik .......................................................................................................... 177 Macht der Musik ................................................................................. 179 Tönen .................................................................................................. 179 Abstraktere Bestimmungen ................................................................ 180 Die konkrete Musik ............................................................................ 182 Die Kunstkenntnis .............................................................................. 184

INHALT

XII

Von der Poesie ............................................................................................ 187 Einteilung der Poesie .......................................................................... 191

Epos, Lyrik, Drama .................................................................... 192 Epos .................................................................................... 193 Lyrik ................................................................................... 198 Drama ................................................................................. 200

SACHANMERKUNGEN ........................................................................ 209

EINLEITUNG: HEGELS VORLESUNGEN ZUR ÄSTHETIK ODER PHILOSOPHIE DER KUNST

Der vorliegende Band dokumentiert die Vorlesung über „Ästhetik oder Philo-sophie der Kunst“, die G. W. F. Hegel im Wintersemester 1828/29 an der Ber-liner Universität gehalten hat. Hegel hatte seine Vorlesung über Ästhetik zu-nächst im Sommersemester 1818 an der Universität Heidelberg und dann viermal an der Berliner Universität gehalten: im Wintersemester 1820/21, in den Sommersemestern 1823 und 1826 und zuletzt im Wintersemester 1828/29. Der Inhalt dieser vier Berliner Vorlesungen ist durch die Nachschriften der Zuhörer jeweils vollständig bekannt und zusätzlich geben einige Funde zu Hegels Notizen und kleinen Teilen aus seinem Manuskript zur Vorlesung Auf-schluß über einzelne Abschnitte. In exemplarischen Veröffentlichungen liegt zu allen Vorlesungen mindestens eine Textausgabe vor. Bereits 1995 erschien die Vorlesung von 1820/21 nach einer Ausarbeitung von Wilhelm von Asche-berg1, 1998 folgte die Vorlesung von 1823 nach der Mitschrift von Heinrich Gustav Hotho2 und 2005 nach der anonymen Nachschrift aus der Bibliothek Victor-Cousin (mit Varianten aus der Nachschrift von Karl Kromayer)3. In den Jahren 2004 und 2005 folgten zwei Nachschriften der Vorlesung von 1826: Victor von Kehler und P. von der Pfordten.4 Die hier vorgelegte Dokumentati-on der Mitschrift von Adolf Heimann zur Vorlesung von 1828/29 schließt den Zyklus exemplarischer Publikationen der Vorlesungsquellen ab.

Die Quellen zu Hegels Ästhetik-Vorlesung liefern eine signifikante Alter-native zur postum von Heinrich Gustav Hotho herausgegebenen Druckfassung der Ästhetik, die im Rahmen der Freundesvereinsausgabe der Gesammelten Werke nach dem Tode des Philosophen in drei Bänden 1835-1837 publiziert wurde.5 Hotho hat das damals vorhandene Material zu den Berliner Ästhetik-

1 G. W. F. Hegel: Vorlesung über Ästhetik. Berlin 1820/21. Eine Nachschrift. 1. Textband.

Hrsg. von H. Schneider. Frankfurt a.M. 1995; ders.: „Neue Quellen zu Hegels Ästhetik“. In: Hegel-Studien. 19 (1984), 9-44.

2 G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Kunst. Berlin 1823. Nachgeschrieben von Heinrich Gustav Hotho. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert. Hamburg 1998.

3 G. W. F. Hegel: Esthétique. Cahier de notes inédit de Victor Cousin. Hrsg. von A. P. Olivier mit einem Vorwort von A. Gethmann-Siefert. Paris 2005.

4 G. W. F. Hegel: Philosophie der Kunst. Vorlesung von 1826. Mitschrift von P. von der Pfor-ten. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert, J. I. Kwon, K. Berr. Frankfurt a.M. 2005. – G. W. F. Hegel: Philosophie der Kunst oder Ästhetik. Nach Hegel. Im Sommer 1826. Mitschrift von Carl Hermann Victor von Kehler. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert, B. Collenberg-Plotnikov. unter Mitarbeit von F. Iannelli und K. Berr. München 2004.

5 Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Vorlesungen über die Aesthetik. Hrsg. von H. G. Hotho. In: G. W. F. Hegel’s Werke. Vollständige Ausgabe durch einen Verein von Freunden des Ver-ewigten. Berlin 1835-1837. Bd. 10, 3.

ALAIN PATRICK OLIVIER / ANNEMARIE GETHMANN-SIEFERT

XIV

Vorlesungen kombiniert – er hat auch das Heft von Heimann genutzt – und weitere Veröffentlichungen Hegels sowie Gedanken aus seinen eigenen Publi-kationen eingefügt. Diese editorische Arbeit nimmt Hotho in der erklärten Ab-sicht vor, die Hegelsche Ästhetik so zu gestalten, daß der Nachwelt ein Sy-stem an die Hand gegeben werde, das die Konkurrenz zu Schellings Ästhetik ohne weiteres aushalten kann. Hotho selbst nimmt Hegels nun systematisierte Konzeption als Grundlage seiner eigenen spekulativen Kunstgeschichte. Nach Hegels Tod übernahm Hotho dessen Vorlesungen zur Ästhetik. Den Text sei-ner Vorlesung von 1833 dokumentiert die Nachschrift von Immanuel Hegel.6

Der durch die Veröffentlichung der Vorlesungsquellen mögliche Vergleich zwischen dem überlieferten gesprochenen Wort mit der durch die Edition sy-stematisierten Version zeigt, daß die Quellen durch den Herausgeber der Druckfassung stark überformt, ja destrukturiert wurden. So finden sich Extra-polationen, willkürliche Schließungen vermeintlicher Lücken, rhetorische Ef-fekte und durchweg eine stilistische Glättung des überlieferten Wortes. Inhalt-lich zeigt sich in diesen Eingriffen eine erhebliche ideologische Differenz zwi-schen den Vorlesungen Hegels und der Druckfassung. Denn Hotho möchte ei-ne „nationale und religiöse“ Linie durchsetzen, welche zu einer christlich-deutschen Kunstgeschichte und Kunstbeurteilung führen sollte. Dagegen ver-tritt Hegel – im Sinne Goethes – eine „kosmopolitische“ und dadurch „huma-nistische“ Konzeption der Kunst und ihrer philosophischen Durchdringung. Diese fundamentale Differenz blieb unbeachtet, weil Hotho durch die Druck-fassung, insbesondere durch die zweite Auflage die einzige Grundlage aller später folgenden Nachdrucke oder teilweisen Editionen vorgelegt hatte.

Insgesamt führt der Prozeß der Erweiterung der „Hegelschen“ Ästhetik in den Bänden der systematisch abgeschlossenen Druckfassung zu einem Text, der zwar die Informationen der Vorlesungsquellen berücksichtigt, sie aber grundlegend umarbeitet – sei es im Sinne eines Ersatzes des mündlichen Vor-trags durch eine elegantere Darstellung, sei es durch den Ersatz unliebsamer (weil Hotho peinlicher) Kunsturteile Hegels. Die strukturelle und konzeptuelle Übereinstimmung, die sich zwischen den Ausführungen zur Kunst in den von Hegel publizierten, aber auch in der kritischen Edition bereits vorliegenden Werken und den Vorlesungszeugnissen feststellen läßt, geht durch Hothos Editionsarbeit verloren. Zwar hat über lange Jahre hinweg diese Diskrepanz zwischen Drucktext und ursprünglicher Rezeption zu keiner generellen Revi-sion geführt, diese erweist sich aber als unumgänglich.

6 H. G. Hotho: Vorlesungen über Ästhetik oder Philosophie des Schönen und der Kunst. Berlin

1833. Nachgeschrieben von Immanuel Hegel. Hrsg. und eingeleitet von B. Collenberg-Plotnikov. Stuttgart/Bann Cannstatt 2004.

EINLEITUNG: VORLESUNGEN ZUR ÄSTHETIK

XV

Zur Geschichte der Editionen

Nach einer ersten Phase der Hegel-Renaissance um 1900 und der historisch-kritischen Edition der Werke, die in Deutschland durch Wilhelm Dilthey erst-mals für die Kant-Ausgabe eingeführt wurde,7 interessierte man sich erneut für Hegels Berliner Vorlesungen. Als erster hat Georg Lasson 1931 die Authenti-zität der postumen Edition der Ästhetik-Vorlesungen in Frage gestellt und ver-sucht, eine neue kritische Ausgabe vorzulegen. Diese erste kritische Ausgabe der Ästhetik-Vorlesungen wurde jedoch nach dem ersten Band bereits aufge-geben8 und von Hans-Georg Gadamer sogar als „gescheitert“ abgetan.9 In dem von Lasson vorgelegten ersten Band ließ sich aber bereits erkennen, wie die Quellen zur Vorlesung sich von der Druckfassung unterscheiden. Allerdings verfügte Lasson nur über die fünf Hefte der Nachschriften zu den Vorlesungen von 1823 und 1826. Es war zu dieser Zeit keine Quelle zur Vorlesung von 1828/29 greifbar. Lasson orientierte sich daher auch an der Druckfassung und kennzeichnete die Stellen, für die sich in diesen Heften Entsprechungen finden ließen. Er hat auch in seiner Edition die Gliederung von Hothos Druckfassung beibehalten. Hotho konnte sich für seine Edition dagegen auf zehn Hefte, v.a. auch auf die Quellen zur letzten Berliner Vorlesung von 1828/29 stützen. Las-sons Konzept besteht in einer Art von Kompilation der unterschiedlichen Jahrgänge und der verschiedenen Hefte, die sich an den Prinzipien der ersten Ausgabe der Werke orientiert. Dabei konnte die Entwicklung der Vorlesungen wie bei Hotho nicht dokumentiert werden, was Georg Lukács bedauerte: „Hotho selbst kümmerte sich überhaupt nicht um die Entstehungsgeschichte der Hegelschen Ästhetik. Für ihn war nur eines wichtig: Ein glatt lesbares Buch aus Hegels Vorlesungen zusammenzustellen. Dies gelang auch. Die wichtigsten Dokumente für die Entstehung der Hegelschen Ästhetik gingen jedoch verloren.“10

7 A. Gethmann-Siefert: „Hegel Archiv und Hegel Ausgabe“. In: Zeitschrift für philosophische Forschung. Bd. 30, Heft 4, 1976, 609.

8 G. W. F. Hegel: Die Idee und das Ideal. Nach den erhaltenden Quellen neu herausgegeben von Georg Lasson, Leipzig 1931. (Sämtliche Werke. Bd. Xa: Vorlesungen über die Ästhetik. 1. Halbband.) Es gibt zwar ein unveröffentlichtes Manuskript für den Band Xb (Erster Teil, 2. Abteilung: Das Ideal und die Formen seiner Gestaltung) als Fortsetzung des o.g. Bandes. Al-lerdings ist dieses Manuskript, wenngleich es für den Druck fertiggestellt worden war, nie er-schienen. Eine Kopie befindet sich an der Université de Nantes. Dieses Manuskript, so neh-men wir an, stammt wohl von Lasson. Dies konnte aber von Otto Pöggeler nicht bestätigt werden.

9 H.-G. Gadamer. „Die Stellung der Poesie im System der Hegelschen Ästhetik und die Frage nach dem Vergangenheitscharakter der Kunst“. In: Welt und Wirkung von Hegels Ästhetik. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert und O. Pöggeler. Bonn 1986, S. 213 (Hegel-Studien. Beiheft, 27).

10 G. Lukács: „Hegels Ästhetik“ [1951]. In: G. W. F. Hegel: Ästhetik. Mit einer Einführung von Georg Lukács. Frankfurt am Main o. J. Bd. 2, 597. Lukács fährt fort: „Georg Lasson, der vor nicht langer Zeit eine neue Auflage der Ästhetik herauszugeben begann, konnte nur so viel er-

ALAIN PATRICK OLIVIER / ANNEMARIE GETHMANN-SIEFERT

XVI

Eine ähnlich kritische Einschätzung findet sich nachfolgend nicht. Johannes Hoffmeister betonte ausdrücklich, daß Hothos Edition als eine zuverlässige und authentische Quelle zu gelten habe. Sie sei zwar nicht buchstabengetreu, aber sie könne den „Geist“ des Hegelschen Denkens widerspiegeln.11 Anders als für die anderen Vorlesungen Hegels, wie etwa die Philosophie der Ge-schichte oder die Rechtsphilosophie, die Eduard Gans damals ohne willkürli-che Eingriffe publiziert hat, blieb für die Ästhetik-Vorlesung bis heute eine hi-storisch-kritische Edition aus.

Erst nach 1968 begann im Umfeld der neuen kritischen Ausgabe der Ge-sammelten Werke durch die Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissen-schaften nach der Eingliederung des Hegel-Archivs in die Ruhr-Universität Bochum die gezielte Sammlung und Bearbeitung der einzelnen Vorlesungs-quellen. 12 Da für die Vorlesung von 1820/21 eine Ausarbeitung sowie für die Vorlesung von 1823 zunächst nur die Mitschrift von Hothos Hand vorlag, ent-stand der Plan, die Vorlesungsnachschriften auch für die folgenden Jahrgänge durch eine Quelle (oder wie für das Sommersemester 1826 durch zwei sich ergänzende Quellen) zugänglich zu machen. Im Rahmen eines Forschungspro-jektes zur „Ästhetik des Deutschen Idealismus“ wurde mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Fernuniversität in Hagen sowie zahl-reicher von der Alexander von Humboldt-Stiftung geförderter Forschungskol-loquien abschließend die exemplarische Dokumentation der wichtigen Vorle-sungsquelle von 1828/29 erarbeitet.

reichen, dass es ihm gelang, Hegels Originaltext von den Hothoschen Ergänzungen zu unter-scheiden; auch wies er auf einige Anordnungsunterschiede zwischen den 1823er und 1826er Vorlesungen hin; all dies bezieht sich bloß auf den ersten Teil der Ästhetik. So bleibt die ent-scheidende Entstehungsphase der Hegelschen Ästhetik eine offene Frage. “

11 J. Hoffmeister: „Vorwort des Herausgebers“. In: System und Geschichte der Philosophie. (G. W. F. Hegel: Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe. Bd. XVa: Vorlesungen über die Geschich-te der Philosophie). Leipzig 1944, VI: „Von den vier großen Vorlesungen gewann nur die über die Philosophie der Kunst eine Gestalt, die auch heute bei bestem Quellenmaterial kaum überbietbar sein dürfte, in ihr ist Geist und Methode Hegels mit dem Verfahren des Bearbei-ters untrennbar eins geworden.“ Die übrigen Herausgeber haben es nicht in dem Maße wie Hotho vermocht, „dem aus so vielartigem Material mühsam zusammengestellten Text die Seele und innere Lebendigkeit wieder einzuhauchen, welche sich durch Alles hindurchzog, was Hegel sagte und schrieb“. Hoffmeister zitiert hier Hotho („alte Ausgabe, Bd. X, S. XIV“). Selbst nach Erscheinen der Quellen 1820/21, 1823 und 1826 blieb diese Einschätzung im wesentlichen erhalten.

12 G. W. F. Hegel: Gesammelte Werke. Hamburg 1968 ff. – Eine Publikation der verschiedenen Jahrgänge der Ästhetik-Vorlesungen ist im Rahmen der Edition der Gesammelten Werke vorgesehen. Ein erster Band von Texten ist inzwischen veröffentlicht worden, aber noch ohne kritischen Apparat. Er enthält die Vorlesung von 1820/21 nach der Nachschrift von W. von Ascheberg (wie bei Helmut Schneider) und die Vorlesung von 1823 nach der Mitschrift von H. G. Hotho (wie bei Annemarie Gethmann-Siefert, mit Varianten aus der nachträglichen Ausarbeitung von Kromayer, ohne Hinweis auf die Nachschrift von Victor Cousin). Siehe: G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Kunst I. Nachschriften zu den Kollegien der Jahre 1820/21 und 1823. Hrsg. von N. Hebing. Hamburg 2015.

EINLEITUNG: VORLESUNGEN ZUR ÄSTHETIK

XVII

Durch die vorliegende Übersicht über die Vorlesungen in Studienausgaben des Meiner Verlags, des J. Vrin Verlags (1823), des Suhrkamp Verlags (1826) und des Fink Verlags (1826, 1828/29) eröffnet sich für Studium und For-schung nun abschließend die Chance, im Spiegel der ursprünglichen Rezepti-on der Vorlesungen eine authentische Information über Hegels Ästhetik zu er-halten.

Stolpersteine des Hegel-Verständnisses

Mehrere zum Teil noch heute virulente Annahmen und Vorurteile hinderten bereits zur Zeit des Erscheinens der Druckfassung der „Ästhetik“ eine unvor-eingenommene Prüfung des Textes, und sie spielen auch für die gegenwärtige Rezeption noch eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Hotho selbst hat durch seinen Kommentar zur Druckfassung in der ersten Auflage Spuren gelegt, die das Mißverständnis der unübertrefflichen Authen-tizität seiner Edition vorbereiteten. Seiner Behauptung folgend wird ange-nommen, daß er neben den heute greifbaren Quellen über weitere Texte ver-fügte, die den „sichersten Stoff lieferten“,13 gegenwärtig aber nicht mehr ver-fügbar sind. Zwar besaß Hotho das Heft, das Hegel für die Berliner Vorlesun-gen nutzte, hat sich aber nur teilweise darauf gestützt. So verzichtet er auf das Heft zur Heidelberger Vorlesung von 1818, ebenso liegen ihm keine Notizen zur ersten Berliner Vorlesung von 1820/21 vor. Er stützte sich auf die Vorle-sungen von 1823, 1826 und 1828/29.14 Da Hegel selbst die Hefte seiner Stu-denten in der Vorbereitung der folgenden Vorlesungen genutzt hat, scheint dies zunächst unproblematisch. Schwerwiegender ist schon, daß die Vorlesung von 1820/21 kaum in Anspruch genommen wurde und daß auch die Vorlesung von 1823, für die Hotho sein eigenes Heft als Vorlage nutzte, in der Druckfas-sung kaum Spuren hinterlassen hat. Die Unverzichtbarkeit der Druckfassung der Ästhetik wird häufig dadurch argumentativ gestützt, daß Hotho eine Reihe heute verschollener Materialien hat nutzen können, die womöglich wertvolle Informationen enthalten. Bei näherer Überprüfung zeigt sich allerdings, daß sich von diesen anscheinend verschollenen Materialien zahlreiche Informatio-nen in den von Hotho selbst publizierten Abhandlungen und insbesondere in seinen eigenen Ästhetik-Vorlesungen finden lassen.15

13 H. G. Hotho, „Vorrede des Herausgebers“. In: Georg Wilhelm Friedrich Hegel’s Vorlesungen über die Aesthetik. Bd. 10, 1. Berlin 1835. S. VII.

14 Ebd. 15 Vgl. A. Gethmann-Siefert: „Einleitung. Gestalt und Wirkung von Hegels Ästhetik“. In: G. W.

F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Kunst. Berlin 1823. Nachgeschrieben von H. G. Hotho. Hamburg 1998, XV-CCXXIV. Weitere „Dubletten“ zur Druckfassung der Ästhetik

ALAIN PATRICK OLIVIER / ANNEMARIE GETHMANN-SIEFERT

XVIII

Zwei weitere Argumente erweisen sich zwar als wirksam in der Einschät-zung der Druckfassung der Ästhetik, letztlich verhindern aber auch sie eine genauere Auseinandersetzung. Da Hotho seine Arbeit in „unmittelbarer Nähe zu Hegels Denken und Wirken“ (so R. Bubner) entwickelt hat, konnte er – wie er es selbst beansprucht – den „Geist“ der Hegelschen Philosophie authentisch wiedergeben. Obwohl Hotho Hegels Geschmacksurteile nicht teilte und hier verbessernd eingegriffen hatte, wurde die Druckfassung der Ästhetik nach ih-rem Erscheinen kaum je kritisiert.16 In der ersten Auflage der Druckfassung hat Hotho sich selbst doch den Einwand gemacht: „Es könnte sich nämlich leicht ereignen, daß Zuhörer Hegels, wenn sie die abgedruckten Vorlesungen mit ih-rem eigenen Hefte aus diesem oder jenem Jahr in Vergleich bringen, und nun oft genug einen veränderten Gang und eine bedeutend verschiedene Ausfüh-rung finden, sich veranlaßt sähen, diesen Unterscheid dem willkürlichen Bes-serwissenwollen des Herausgebers aufzubürden“.17 Diesem Einwand gegen seine eigene Edition begegnet Hotho mit dem Versprechen, für eine zweite Auflage sämtliche Quellen genau nachzuweisen. Der Aufgabe kam er aller-dings nicht nach, und es scheint, daß in der Zwischenzeit keine gravierende Kritik Hotho dazu genötigt hat, sein Versprechen einzulösen. Karl Rosenkranz hatte zwar Hegels Vorlesungen nicht gehört, bestätigt aber, daß Hegels Manu-skripte kaum verständlich waren, so daß die Edition auf den Zugriff zu den Heften angewiesen war.18 Letztlich läuft diese Überlegung darauf hinaus, daß Lasson sich auf die Vorlesungsnachschriften als die sicherste Quelle der Äs-thetik-Vorlesungen stützt.

Dennoch entwickelt sich daraus keine Skepsis gegen die Druckfassung. Im Gegenteil: Da die von Hotho herausgegebene Hegelsche Ästhetik in einer äs-thetisch ansprechenderen Sprache verfaßt wurde – laut Hotho fehlte Hegel „Leichtigkeit, Glätte und Eleganz“ in seinem Vortrag –, wird das Argument der stilistischen Eleganz und der Vollständigkeit im Sinne einer systemati-schen Geschlossenheit zu einem letztlich unüberwindbaren Vorurteil in der Rezeption der Hegelschen Ästhetik. Hotho selbst versteht sich in seiner Edi-tionarbeit als „ein treugesinnter Restaurator alter Gemälde“.19 Bedenkt man,

verdeutlichen die Studien zu seinen Schriften. Vgl. dies.: „H. G. Hotho: Kunst als Bildungser-lebnis und Kunsthistorie in systematischer Absicht. Die entpolitisierte Version der ästheti-schen Erziehung“. In: Kunsterfahrung und Kulturpolitik im Berlin Hegels. Hrsg. von O. Pög-geler und A. Gethmann-Siefert. Bonn 1983, 229-261, sowie auch dies.: „Das „moderne“ Ge-samtkunstwerk: die Oper“. In: Phänomen versus System. Zum Verhältnis von philosophischer Systematik und Kunsturteil in Hegels Berliner Vorlesungen über Ästhetik oder Philosophie der Kunst. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert. Bonn 1992, 165-230 (Hegel-Studien. Beiheft, 34). Letztlich liefert auch die Edition der Hothoschen Vorlesung zur Ästhetik von 1833 wertvolles Material, um angeblich „verschollene Quellen“ zu verifizieren.

16 J.-P. Lefebvre: „Présentation“. In: Hegel, Cours d’esthétique. I (Edition Hotho). Paris: 1995, XIII.

17 H. G. Hotho, „Vorrede des Herausgebers“, S. IX. 18 Karl Rosenkranz: „G. W. Fr. Hegel’s Vorlesungen über die Aesthetik.“ Hrsg. von D. H. G.

Hotho (Schluß). In: Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik. Nr. 3. Januar 1836, 19 f. 19 H. G. Hotho, „Vorrede des Herausgebers“, S. VI.

EINLEITUNG: VORLESUNGEN ZUR ÄSTHETIK

XIX

daß auch die Konzeption der Restaurationsarbeit heute nicht mehr wie in der Zeit Hothos als Verschönerung, sondern als Rekonstruktion der authentischen Vorlagen und Quellen gesehen wird, so erweist auch dieser Anspruch Hothos, wie unumgänglich eine kritische Überlieferung der Quellen ist.

Hegels Bestimmung der Kunst im Spiegel seiner Berliner Vorlesungen

Auf der Basis der Transkriptionen der bisher bekannten Quellen zu Hegels Äs-thetik-Vorlesungen entstand eine Reihe von Studien zur systematischen Kon-zeption, zur Gewichtung der Kunstformen sowie zu zahlreichen Kunsturteilen Hegels.20 Der Vergleich des von den Hörern Hegels überlieferten und gespro-chenen Wortes mit Hegels eigenen in anderen Schriften publizierten Überle-gungen zur Philosophie der Kunst bzw. zur Bedeutung der Kunst in der mo-dernen Welt beweist eine konsequente Entwicklung der Hegelschen Gedan-ken. Die systematische Konsequenz sowie die Modifikationen, die Hegel ab-schließend in den Überarbeitungen der Enzyklopädie 1827 (sowie 1830 im Anschluß an die letzte Vorlesung) entwickelt, findet ihren Niederschlag in der Vorlesung von 1828/29. In der Vorlesung von 1826 werden diese Gedanken durch die stark erweiterte Auseinandersetzung mit einzelnen Kunstwerken vorbereitet. Seine systematische Neufassung in der Enzyklopädie motiviert Hegel – neben der Erweiterung der Kollegstunden – womöglich auch zur Dreigliederung der Vorlesung von 1828/29.21

Die philologische Erschließung von Hegels Berliner Ästhetik-Vorlesungen verdankt sich dem systematischen Interesse, aus seiner Philosophie der Kunst eine noch gegenwärtig aktuelle Form philosophischer Reflexion auf die Kün-ste und ihre Geschichte zu gewinnen. So hat man zunächst gehofft, die „Ak-tualität von Hegels Ästhetik“ durch den Hinweis zu retten, daß Hegel offen-sichtlich – so D. Henrich22 – in seiner letzten Vorlesung auf die These vom 20 Vgl. dazu einen Überblick mit der Perspektive auf die systematische Konsequenzen: A.

Gethmann-Siefert: Einführung in Hegels Ästhetik. München 2005. 21 A. Gethmann-Siefert: „Die Kunst (§§ 556-563)“. In: Hegels ’Enzyklopädie der philosophi-

schen Wissenschaften’ 1830. Ein Kommentar zum Systemgrundriß von H. Drüe, A. Gethmann-Siefert, C. Hackenesch, W. Jaeschke, W. Neuser und H. Schnädelbach. Frankfurt a.M. 2000 (Hegels Philosophie. Kommentare zu den Hauptwerken. 3), 317-374.

22 D. Henrich: „Zur Aktualität von Hegels Ästhetik“. Stuttgarter Hegel-Tage 1970. Hrsg. von H. G. Gadamer. Bonn 1974 (Hegel-Studien. Beiheft 11). Siehe auch: „Zerfall und Zukunft. He-gels Theorem über das Ende der Kunst“. Wiederabgedruckt in: Fixpunkte. Abhandlungen und Essays zur Theorie der Kunst. Frankfurt 2003, 156-162. – „Kunst und Kunstphilosophie der Gegenwart. Überlegungen mit Rücksicht auf Hegel“. In: Immanente Ästhetik. Ästhetische Re-flexion. Hrsg. von W. Iser. München 1966. Wiederabgedruckt in: ebd., 126-155.

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XX

Ende der Kunst verzichtet habe. In der Vorlesung von 1828/29 entwickelt er eine Konzeption des „objektiven Humors“ als letzte Stufe und Überwindung der romantischen Kunst. Das scheint sich zu bestätigen, weil Hegel auch in seiner Hamann-Rezension aus dem gleichen Jahr auf die Bedeutung des Hu-mors eingeht. Allerdings geht Hegel bereits in seiner Vorlesung von 1820/21 auf den „objektiven Humor“ ein und modifiziert auch dessen Bedeutung im Laufe der Entwicklung der Vorlesungen. Zudem überliefern die Quellen zur Vorlesung von 1828/29 eine an der Überarbeitung der Enzyklopädie orientier-te Verschärfung der These, daß die Kunst ihre „Blütezeit“ im klassischen Griechentum – bzw. in der „christlichen Welt“23 – gefunden habe, „für uns“ ein „Nach“ habe, weil sie gegenwärtig nur in Verbindung mit der Reflexion auf ihre geschichtliche Bedeutung wirksam werde.24

Auch die in der Hegeldeutung übliche Kritik, Hegel sei vordringlich nur an der schönen klassischen Kunst interessiert gewesen, wird durch die Entwick-lung der Berliner Vorlesungen falsifiziert. Zwar nimmt Hegel in der Einlei-tung der Vorlesung von 1828/29 die angeblich „klassizistische“ Bestimmung des Schönen von Aloys Hirt, Meyer und Goethe als Ausgangspunkt seiner Auffassung an. Doch widmet er ab 1826 der Symbolischen Kunstform große Aufmerksamkeit, so daß man Hegels Ästhetik in der letzten Phase ihrer Ent-wicklung eventuell eher als eine „symbolische“ denn als eine „klassizistische“ oder „romantische“ Ästhetik bezeichnen dürfte.25 Sogar die Bestimmung des Schönen als das Bedeutende bei Goethe und Meyer läßt sich letztendlich bei Hegel im Bezug auf eine Symbolik verstehen26. In Übereinstimmung mit sei-nen Vorlesungen zur Religionsphilosophie wird die symbolische Kunst in ih-ren Ausprägungen erheblich differenzierter dargestellt; und Hegel ist vor al-lem an der Frage interessiert, wieweit diese Form der Kunst auch in den Wer-ken seiner Gegenwart ihren Niederschlag findet. In den Kollegen von 1826 und 1828/29 diskutiert Hegel Elemente der Shakespearschen Dichtung und v.a. Goethes West-östlichen Divan als Versionen der symbolischen Kunst un-ter den Bedingungen der modernen Welt. Insbesondere der Divan genügt den Anforderungen, die Goethe an eine kosmopolitische Orientierung der Kunst stellt.27 Es geht um die Vermittlung fremder Weltanschauungs- und Lebens-

23 Heimann, Ms. 15 : „ Die Malerei vornehmlich im 15en und 16en Jahrhundert hat deßhalb die-se Höhe erreicht wie die Kunst zu Perikles Zeit.“

24 Ebd.: „Sie hat auch ein Nach, zu dem sie übergeht, als zu ihrer Wahrhaftigkeit, so daß sie selbst in ein Höheres übergeht. Sie ist ein Beschränktes selbst in ihrer Sphäre, und dieses be-stimmt die Stellung der Kunst für uns, indem wir über die Kunst hinaus sind, indem das Sub-stanzielle sich herausarbeitete sich sinnlich zeigt für Bild, Vorstellung.“ Diese Überlegung findet sich auch am Ende der Vorlesung. Die Vorlesung endet nämlich am 2. April 1829 mit dem Satz: „Für uns ist die Kunstphilosophie eine Notwendigkeit, da wir über die Kunst hin-aus sind“.

25 Vgl. A. P. Olivier: Hegel, la genèse de l’esthétique. Rennes 2008, 159-225. 26 Vgl. Heimann, Ms. 7. 27 A. Gethmann-Siefert, B. Stemmrich-Köhler: „Faust: Die ’absolute philosophische Tragödie’

– und die ’gesellschaftliche Artigkeit’ des West-östlichen Divan“. In: Hegel-Studien. 18

EINLEITUNG: VORLESUNGEN ZUR ÄSTHETIK

XXI

formen für die eigene Welt, um die Versöhnung unterschiedlicher Kulturen durch die Kunst: „Goethe hat einen west[-öst]lichen Divan geschrieben, weil er ein westlicher Mensch, ein Europäer ist, und Östliches aufgenommen hatte, wesentlicher Charakter und Ton ist Anklang an Orient darin. Später bildete er sich mehr darin heraus, indem die höchste Freiheit des Geistes darin herrscht, sich auf sich allein zu beziehen, Freiheit des Geistes in der Empfindung selbst. Aber das Substanzielle ist ebenso allgemein für uns gegenwärtig.“28

Ebenfalls im Anschluß an die Enzyklopädie von 1827 findet sich eine inter-essante Beurteilung der nicht mehr schönen Kunst, die beweist, daß die Kritik am „Klassizismus“ der Ästhetik nicht triftig ist. Hegel geht auf Beispiele nicht mehr schöner Kunst ein, die er in der Malerei noch für problematisch, in der Dichtung aber für gerechtfertigt hält. Hier weist er beispielsweise in der Beur-teilung der Gottesdarstellungen darauf hin, daß eine schöne Darstellung des Gekreuzigten den Sinn verfehle; in Schillers Dramen sieht er Beispiele des Häßlichen, die gleichwohl die Bedeutung der Kunst in der modernen Welt un-terstreichen. Nicht die schönen Künste, sondern die häßlichen sind dem auf-geklärten Bürger adäquat, sie motivieren über die Anschauung zur Reflexion.29 In solchen Urteilen zeigt sich letztgültig, daß Hegel seine These vom Ende der Kunst nicht aufgegeben, wohl aber – kompatibel mit seiner eigenen frühen Formulierung in der Vorlesung von 1823 – differenziert hat. Es gilt: Die Kunst hat in der modernen Welt ein „Nach“, eine durch die seit der Aufklärung ver-änderte Bedeutung der Vernunft und Philosophie zwar eingeschränkte, aber keineswegs überflüssige Funktion. Sie übernimmt die Rolle einer „formellen Bildung“,30 d.h. einer anschaulichen Vermittlung alternativer und darum kriti-scher Möglichkeiten menschlicher Selbstverwirklichung.

Letztlich gewinnt die Kunst trotz der These vom „Vergangenheitscharak-ter“ ihrer höchsten Möglichkeit nach – i.e. von der Einschränkung einer inhalt-lich letztgültigen Orientierung in Form von Gottesbildern und Vorstellungen – eine unverzichtbare Rolle im modernen aufgeklärten Staat. Hegel weist darauf unmißverständlich auch in den Vorlesungen über Rechtsphilosophie hin.

Eine neuerlich publizierte philologische Information über den Urheber der These vom Ende oder Tod der Kunst fügt sich in das Gesamtbild der bisheri-

(1983), 23-64. – Siehe auch: A. P. Olivier: „Hegel und der Geist des Islamismus“. In: Kunst – Religion – Politik. Hrsg. von A. P. Olivier und E. Weisser-Lohmann. München 2013, 309-318.

28 Heimann, Ms. 37. 29 Zur Bedeutung des Häßlichen in Hegels Ästhetik siehe F. Iannelli: Die Bestimmung des Häß-

lichen in Hegels Vorlesungen zur Ästhetik und ihre Rezeption bei den Hegelianern. München 2005.

30 Dazu J.-I. Kwon: Hegels Bestimmung der Kunst. Die Bedeutung der symbolischen Kunstform in Hegels Ästhetik. München 2001; dies.: „Die Metamorphosen der symbolischen Kunst-form“. In: Phänomen versus System (s.o. Anm. 15, 41-89). E. Weisser-Lohmann: „Sittlich-keit, Epos und Tragödie. Hegel und die Rolle der Kunst im modernen Staat“. In: Hegels Äs-thetik als Theorie der Moderne. Hrsg. von A. Gethmann-Siefert et al. Berlin 2013 (Wiener Reihe), 165-177.

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gen Ergebnisse ein. Zwar wurde Hegel das Diktum zugeschrieben, die Kunst sei „mausetot“31. Nachweislich bezieht sich diese Äußerung und die damit ver-bundene Kritik von Felix Mendelssohn Bartholdy aber nicht auf Hegel, son-dern auf Hotho.32 Für Hotho sind nämlich Kunstwerke der Gegenwart, insbe-sondere Werke mit „prosaischem Inhalt“ wie die Genrebilder, aber auch sämt-liche nicht mehr schönen Künste, etwa auch die Werke der symbolischen Kunstform, Beispiele, gegen die es die schönen christlichen Werke der Ver-gangenheit zu verteidigen gilt. Dieses Konzept entwickelt er in seiner eigenen Vorlesung zur Ästhetik, aber auch in zahlreichen Einzelkritiken von Kunst-werken. Die von Hotho selbst publizierten Kunsturteile finden sich nachweis-lich häufig in der Druckfassung der Ästhetik wieder als Korrektur – und meist Verunklärung – der Hegelschen Kunstbeurteilungen, die Hotho als dürftig und daher ergänzungsbedürftig ansieht.

Alain Patrick Olivier, Nantes Annemarie Gethmann-Siefert, Hagen

31 F. Mendelssohn Bartholdy: Reisebriefe, zitiert in: Hegel in Berichten seiner Zeitgenossen.

Hrsg. von G. Nicolin. Meiner 1970, 430. 32 F. Mendelssohn Bartholdy: Sämtliche Briefe. Bd. 2. Juli 1830 bis Juli 1832. Hrsg. von A.

Morgenstern und U. Wald. Kassel/Basel/London 2009, 264: „Aber toll ist es, dass Goethe und Thorwaldsen leben, dass Beethoven erst vor ein Paar Jahren gestorben ist, und daß Hotho behauptet, die deutsche Kunst sey mausetodt.“ Vgl. A. P. Olivier: „Hegel et la famille Men-delssohn“. In: Musique nationale. Philosophes et musiciens dans l’Europe du XIXe siècle. Hrsg. von P. Grosos. Rennes 2016, 50.

EINLEITUNG: ZUR VORLESUNG VON 1828/29

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Zur Vorlesung von 1828/29

Hegel hat seine letzte Vorlesung über „Ästhetik oder Philosophie der Kunst“ an der Universität Berlin zwischen dem 27. Oktober 1828 und dem 2. April 1829 wöchentlich fünfstündig (zwischen 12 und 13 Uhr) gehalten. Da das Wintersemester länger ist als das Sommersemester, enthält diese Vorlesung mehr Material als die Vorlesungen von 1823 und 1826. Nach Hoffmeister be-läuft sich die Zahl der Studenten für diese Vorlesung auf 86.33 Die hier publi-zierte Nachschrift von Heimann verzeichnet das Datum der Sitzungen am En-de der jeweiligen Vorlesungsstunde und ermöglicht es dadurch, einen genauen Kalender der Vorlesung zu rekonstruieren. Nach diesem Kalender umfaßt die Vorlesung ca. 94 Stunden.

Mo Di Mi Do Fr

1828 Oktober 27 28 29 30 31 November 3 4 5 6 7 10 11 12 13 14 17 18 19 20 21 24 25 26 27 28 Dezember 1 2 3 4 5 8 9 10 11 12 15 16 17 18 19 1829 Januar 5 6 7 8 9 12 13 14 15 16 19 20 21 22 23 26 27 28 29 30 Februar 2 3 4 5 6 9 10 11 12 13 16 17 18 19 20 23 24 25 26 27 März 16 17 18 19 20 23 24 25 26 27 30 31 April 1 2

33 G. W. F. Hegel: Berliner Schriften. 1818-1831. Hrsg. von Johannes Hoffmeister. Hamburg

1956, 747.

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XXIV

Hegel nimmt in der Vorlesung Stellung zu mehreren ästhetischen und wis-senschaftlichen Debatten, und die Datierung der Vorlesungen ermöglicht auch die Datierung dieser Stellungnahmen in bezug auf die entsprechenden Zeiter-eignisse, wie etwa die Gründung des von Karl Friedrich Schinkel erbauten Museums, die Malereiausstellung der Schadow-Schule, die Wiederaufnahme der Bachschen Matthäuspassion durch Mendelssohn Bartholdy, den Berliner Auftritt von Niccoló Paganini, die Erscheinung von Friedrich Rückerts Dich-tungen und Übersetzungen, die Kunstgeschichte Italiens von Carl Friedrich von Rumohr, die Archäologie-Vorlesungen von Désiré Raoul-Rochette, die postume Publikation der Schriften von Karl Wilhelm Ferdinand Solger durch Ludwig Tieck. Die Kommentare zu diesen Ereignissen stellen gegenüber den vorhergehenden Vorlesungen ein Sondergut dar.

Man kann beobachten, daß die Ästhetik-Vorlesung Hegels nicht nur mit den Grundlagen seines philosophischen Systems und der Kunstgeschichte, sondern auch mit der Kunstkritik und dem kritischen Journalismus in Bezug steht. Hegel selbst trägt während seiner Berliner Tätigkeit durch die Aufsätze in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik und durch seine Beiträge über Schiller und Raupach in der Schnellpost zu diesem Journalismus bei. Elemente seiner Solger-Rezension werden in der Vorlesung von 1828/29 übernommen, was dazu führt, daß über die Kritik der Romantik hinaus (wie sie sich bereits in der Vorlesung von 1826 findet) das Prinzip der Ironie als Bestandteil des Ideals in den allgemeinen Teil integriert wird. Außerdem bezieht sich Hegel in der Vorlesung auf zwei theoretische Fragen über den Pantheismus einerseits, das Schöne bei Kant anderseits – zwei Preisfragen, die von der Berliner Aka-demie der Wissenschaft ausgeschrieben wurden. Diesen Preis haben zwei Stu-denten Hegels, die die Ästhetik-Vorlesung von 1828/29 gehört haben, nämlich Karol Libelt und Bruno Bauer, gewonnen. Die Abhandlung von Bruno Bauer, ob Kants Ästhetik mit seiner Philosophie im Widerspruch stehe, wurde auf Vorschlag Hegels für den Preis ausgewählt.34 Hegel selbst geht in der Einlei-tung seiner letzten Vorlesung auf diese Fragen ein, während er in den vorigen Vorlesungen – nach dem Zeugnis der Quellen – nur knapp und sehr indirekt auf die Kantische Ästhetik hinweist.35 Die Auseinandersetzung mit dem Pan-theismus ist bezeichnend für Hegels Enzyklopädie, die Religionsphilosophie und überhaupt sein gesamtes philosophisches System.36 Die Angriffe der

34 „Über das Prinzip des Schönen nach der Kantischen Philosophie. Ut doctrinae de pulchro principia a Kantio in ea philosophiae parte, quam Crisin facultatis animi judicatoriae esse vo-luit, prolata exponantur et cum fundamentis, quibus universa auctoris hujus philosophia niti-tur, comparata dijudicentur “. Siehe: G. W. F. Hegel: „Preissfragen“. In: Berliner Schriften, 670.

35 B. Bauer: Über die Prinzipien des Schönen [De pulchri principiis] : eine Preisschrift. Hrsg. von D. Moggach und W. Schultze. Mit einem Vorwort von V. Gerhardt. Berlin 1996.

36 „Questio philosophica: In Pantheismi naturam ita inquiratur, ut si qua vel inter ipsum et Spi-nozismum intercedat diversitas, indicetur, in primis vero qua sua ipsius, non ex religione lem-matice (ad lemmatis modum) desumta ratione, philosophia sibi a pantheismi periculo vel cri-minatione caveat, explicetur. Prof. Hegel 22. Juli 1826.“ In: Berliner Schriften, 668 f.: „Der

EINLEITUNG: ZUR VORLESUNG VON 1828/29

XXV

Theologen (etwa Tholucks) richten sich insbesondere gegen die Ästhetik. He-gel behandelt hier die Polemik um den Pantheismus in seinen Vorlesungen von 1826 und 1828/29 im Rahmen der Charakteristik der orientalischen Poe-sie. Diese ist auch Gegenstand der Schriften Tholucks, und Hegel geht es dar-um zu zeigen, daß der wahrhafte Pantheismus mit der wahren Philosophie und der freien Poesie vereinbar, ja von ihr untrennbar ist – was Tholuck mißver-standen habe.

Hegels Vorlesungen waren jeweils für ein sehr gemischtes Publikum be-stimmt. So findet man unter seinen Hörern Offiziere, Theologen und insbe-sondere in der letzten Vorlesung zusätzlich auch Künstler, Dichter, Historiker und Philosophen, und hierzu gehörten beispielweise Karol Libelt aus Polen, Hippolyte Rolin aus Belgien, so daß es vielleicht kein Zufall ist, daß beide an den politischen Bewegungen der Juli-Revolution von 1830 beteiligt sind. Ebenso gehörten zu den Hörern der letzten Vorlesung Felix Mendelssohn Bar-tholdy, Bruno Bauer, Johann Gustav Droysen, Franz Kugler, Wilhelm Vatke und Heinrich Heine. Über diese Hörer wirkte die Vorlesung auf Bereiche der Ästhetik, der Musik, der Kunstgeschichte, der Dichtung, der Geschichte und der Theologie. Über Heimann (den Mitschreiber dieser Vorlesung) beeinflußte sie die Germanistik in Großbritannien und die englische Literatur. Von dem Kontakt der genannten Hörer zu Hegels Ästhetik zeugt ein berühmtes Bild von Kugler, das er 1828 – wahrscheinlich „nach der Natur“ – während der Ästhe-tik-Vorlesung skizziert hat.37

Hotho berichtet, daß Hegel für seine Ästhetik-Vorlesung zunächst sein Heft aus der Heidelberger Zeit von 1818 genutzt, im Oktober 1820 eine neue Fas-sung konzipiert und ein entsprechendes Heft eingerichtet habe. Dieses Heft diente als Basis für die weiteren Vorlesungen. Die Erweiterungen und Ände-rungen in den Vorlesungen bis 1828/29 seien – so Hotho – auf „einzelne Blät-ter und Bogen aufgeschrieben“ und dann in das Heft von 1820 „als Beilagen eingeschoben“38 worden. So ist es auch für Hotho offensichtlich, daß Hegel während der „zehnjährigen Bemühungen“ in der Berliner Zeit seine Vorlesung erweitert und geändert hat. Entstehende Unstimmigkeiten wollte er aber in seiner Edition des Textes reduzieren. Nach eigenem Zeugnis bilden für Hotho die Jahrgänge von 1823 bis 1826 den Kulminationspunkt der Hegelschen Äs-thetik. Wörtlich heißt es: „In den späteren Jahren scheint ihn manche bittere Erfahrung zu immer populäreren Darstellungen veranlaßt zu haben, welche zwar ihren eigentümlichen Zweck erreicht haben mögen, indem sie oft die schwierigsten Punkte mit meisterhafter Deutlichkeit entwickeln, in der Strenge jedoch der wissenschaftlichen Methode merklich nachlassen.“ Dennoch hat

Preis wurde im Sinne des Hegelschen Gutachtens in der Fakultätssitzung am 12. Juli 1828 dem stud. phil. Carl Libelt aus Posen zuerkannt“. Über die Promotion Libelts zum Thema De Pantheismo, siehe 664 f.

37 „Hegel am Katheder / Nach der Natur gezeichnet 1828 und lithographiert von F. Kugler“. In: F. Nicolin: Hegel. Schiller-National-Museum Marbach, 64.

38 H. G. Hotho: „Vorrede des Herausgebers“, VII.