freiheit mit vier rädern

3
84 Das Auto. Magazin Ausgabe 03/2012. Sonne satt und Freiheit bis zum Horizont: Mit dem Bus geht es ganz entspannt direkt bis in die Fluten. So muss Urlaub sein! freiheit mit vier rädern . Am Meer stoppen – oder weiter? Das wirkliche Ziel steht eh schon fest: wir selbst. Und das richtige Gefährt, unser Volkswagen Bulli. Symbol für Unabhängigkeit und Sehnsucht nach dem Anderssein. Text Jens Fritzenwalder Fotos Silke Weinsheimer und Georg Bochem 84 Das Auto. Magazin Ausgabe 03/2012. besser leben. freiheit besser leben. freiheit 85 Ausgabe 03/2012. Das Auto. Magazin

Upload: dci-ag

Post on 22-Mar-2016

220 views

Category:

Documents


2 download

DESCRIPTION

 

TRANSCRIPT

Page 1: Freiheit mit vier rädern

84 Das Auto. Magazin Ausgabe 03/2012.

Sonne satt und Freiheit bis zum Horizont: Mit dem Bus geht es ganz entspannt direkt bis in die Fluten. So muss Urlaub sein!

freiheit mit vier rädern .

Am Meer stoppen – oder weiter? Das wirkliche Ziel steht eh schon fest: wir selbst. Und das richtige Gefährt, unser Volkswagen Bulli. Symbol für Unabhängigkeit und Sehnsucht nach dem Anderssein.Text Jens Fritzenwalder Fotos Silke Weinsheimer und Georg Bochem

84 Das Auto. Magazin Ausgabe 03/2012.

besser leben. freiheit besser leben. freiheit

85Ausgabe 03/2012. Das Auto. Magazin

Page 2: Freiheit mit vier rädern

87Ausgabe 03/2012. Das Auto. Magazin86 Das Auto. Magazin Ausgabe 03/2012.

besser leben. freiheit

durchatmen . Ein erster Sonnenstrahl bahnt sich vorsich-tig seinen Weg durch die nicht ganz ge-schlossene Gardine vor der Seitenscheibe. Es liegt etwas in der Luft. Ein Stück Unbe-schwertheit. Ein Hauch Fernweh. Freiheit. Dieses berauschende Gefühl von Sommer. Ein kurzer Dreh und schon dudeln aus den knarzigen Boxen die Beach Boys als flankie-render Soundtrack. Der verschlafene Blick streift ein buntes Chaos aus Matratzen, Schlafsäcken, Neoprenanzügen und Kü-chenutensilien. So langsam werden auch die anderen wach. Und so beginnt er sich mit Leben zu füllen: der Volkswagen Bulli, gebaut irgendwann zwischen 1967 und 1979. Unser zeitloses, dezent untermotori-siertes All-inclusive-Ressort auf vier Rädern.

Sind wir angekommen? Na klar. Schließ-lich ziert die Sonnenblende nicht von unge-fähr der Aufkleber „Home? Is where I park!“ Es ist 2012. On the road mit einem Klassiker. Die knuffige Bus-Ikone bleibt das, was sie

Heckmotor, der Volkswagen T1, flugs Volkswagen Bulli getauft. Vielseitig kam er daher, der kleine Transporter: als Kasten-wagen, Pritschenwagen und – die Luxus-variante – als Samba. Das Sondermodell hatte bis zu 23 (!) Fenster und andere Extras. Einer der ersten T1 ging an den Parfümher-steller 4711 aus Köln, die nächsten knapp elf Millionen in alle Welt.

Der Volkswagen Bulli als Exportschla-ger? Bog der Bus falsch ab? Konzipiert, das deutsche Wirtschaftswunder auf seinen schma len Reifen von A nach B zu transpor-tieren, war irgendwann nur noch der Weg das Ziel. Der bodenständige Malocher der Nachkriegsjahre wandelte sich, wurde zum mobilen Fingerabdruck busfahrender Kleinfamilien, Camper, Globetrotter, Surfer und Hippies. Kommunarden wie Kommu-nalbehörden ließen im T1 bis T5 gleicher-maßen Spuren im Asphalt zurück, bei Anti-Atomkraft-Protesten trafen bunt bemalte T2ler und ihre Besatzung auf die „Bullizei“ – die Ordnungshüter reisten ebenfalls in einem Volkswagen Bus an. Der Volkswagen Bulli: klassenlos und so eine Klasse für sich. Ein automobiler Rundum-Ritterschlag mit anschließender Legendenbildung.

Was steckt dahinter? Zunächst einmal: ganz wenig Hektik. Sehr gemütlich kam der Volkswagen Ur-Bulli daher, gerade einmal 25 Pferdchen weilten in seinem luftgekühl-ten Heck, der Antrieb mutete an wie die Rückseite einer Waschmaschine. Das Aggre-gat beschleunigte – beflügelt mit einer Extra-portion Geduld und ordentlich Rücken -wind – auf eine maximale Reisege schwin - digkeit von 85 Stundenkilometer. Mit mini-malem Speed also in die Erfolgsspur, die Ma-cher in Wolfsburg erkannten sehr schnell das Potenzial und schickten allein bis 1954 dreißig verschiedene Modellvarianten in den Markt. Die erste radikale Überarbeitung erfolgte 1968 – mittenrein in die APO-Zeit, Woodstock lag quasi schon in der Luft: Auf T1 folgte ... der T2. Die inneren Werte blie-ben mehr oder weniger die gleichen – in den Vorjahren war immer mal wieder die Motor-leistung leicht nach oben angepasst wor - den – aber äußerlich wurde aufgehübscht, vor allem die Frontpartie. Schaute der T1 noch einigermaßen grantig aus der Wäsche, so blinzelt sein Nachfolger dank der großen Panorama-Windschutzscheibe eher gemüt-lich-zufrieden in die Runde. Seine Besitzer

Viel mehr als nur ein Transportmittel. Heimat, Reisebegleiter, Familienmitglied, Abenteuerspielplatz – unser Bus kann alles!

schon für Generationen vor uns war – das perfekte Fluchtauto, um eine Zeit lang den Mühlen des Alltags zu entkommen. Ob im Allgäu oder in St. Peter-Ording, in Malibu oder in den Rocky Mountains.

Wäre es seinem Schöpfer vergönnt mit-zuerleben, wie dessen ursprüngliche Idee zweckentfremdet wurde, seine Stirn läge im ersten Moment sicher in Falten. Der Nieder-länder Ben Pon gilt als Bus-Vater. Er war Volkswagen Importeur seines Landes und nach einem Werksbesuch in Wolfsburg zeichnete er mit flinken Strichen einen mo-torisierten Muli, der natürlich keiner Life-style-Idee folgte, sondern vor allem ein-faches und stabiles Transportfahrzeug sein sollte. Inspiriert hatte Ben Pon ein skurriles, von Montage arbeitern selbst montiertes Gefährt, ein „Plattenwagen“ auf Käfer Basis. 1947 war das und kurz danach wurde aus der Skizze ein Prototyp. Vom Band lief 1950 ein kastenförmiger Aufbau mit Frontlenker und

Tür auf, Decke raus, glücklich sein. Mit dem alten Blauen zum Picknick am Wegesrand.

1950T1 – Lastesel des wirtschaftlichen Aufschwungs. Der Volkswagen Ur-Bulli brachte nur um die 1.000 Kilo auf die Waage, konnte aber bis zu einer Tonne Wirtschaftswunder laden. Seine Gemeinsamkeit mit dem Käfer: Beide prägten das Straßenbild der Nachkriegszeit.

1979T3 – mit Ecken und Kanten in eine neue Volkswagen Bulli Dimension. Technisch komplett neu, zudem länger und breiter: Mit dem T3 ging der luftgekühlte Motor in Rente. Servo- lenkung, Sitzheizung und Allrad gab es gegen Aufpreis.

2003T5 – der Gigant unter den Trans portern. Die aktuelle Version ist ein Multitalent. Und die Mög lich - keiten zur Individualisierung schier unbegrenzt: Rund 460 verschiedene Varianten gibt es. Die optischen Finessen dieser Generation liegen in den Details.

»Er war das rollende

Hippie-Heim und Kult auf

Rädern.«Pete Townshend Sänger der

britischen Band „The Who“

1967T2 – der Personenwagen unter

den Transportern. Die Entwickler verpassten der Front einen neuen

Look. Außerdem modernisierten sie den Nachfolger technisch, sorgten

mit Einzelradaufhängung und Scheibenbremsen für mehr Sicherheit.

1990T4 – zwischen Großraumlimousine

und Multivan. Eine Ära ging zu Ende, Heckmotor- und Antrieb wurden ausgemustert, die Front runder.

Der Neue war flotter denn je: Der schnellste Serien-T4

beschleunigte auf über 180 km/h.

Multivan: Kraftstoffverbrauch in l/100 km: 14 bis 7,6 (innerorts), 8,8 bis 5,7 (außerorts), 10,6 bis 6,4 (kombiniert), CO2-Emission in g/km: 245 bis 169 (kombiniert)

Illustration KircherBurkhardt Infografik

Page 3: Freiheit mit vier rädern

89Ausgabe 03/2012. Das Auto. Magazin88 Das Auto. Magazin Ausgabe 03/2012.

besser leben. freiheit besser leben. freiheit

Auf dem Weg nach Hause haben wir uns verfahren. Egal. Dann geht das Abenteuer einfach noch ein bisschen weiter.

89Ausgabe 03/2012. Das Auto. Magazin88 Das Auto. Magazin Ausgabe 03/2012.

Die schönsten Plätze zum VerweilenPrerow Sonne, Strand und Ostsee – kein Wunder, dass die Halbinsel Darß mit Prerow und Zingst zu den gran diosesten Reisezielen gehört.Groß Quassow Herrliche, mehrfach ausgezeichnete Anlage mitten in der Mecklenburgischen Seenplatte: der Camping- und Ferienpark Havelberge.Leiwen Direkt über der Mosel liegt der Campingplatz Landal Sonnenberg – der ideale Ausgangsort für Schiff- fahrten oder köstliche Weinproben.Kleinröhrsdorf Perfekte Verbindung zwischen Natur und Kultur: die neu angelegte LuxOase nahe der Säch sischen Schweiz und Dresden.Immenstadt Auf dem Alpsee- Cam ping platz aufwachen, in den See springen und nach dem Frühstück zum Wandern in die Allgäuer Alpen. Freiheit de luxe!Wietzendorf Nach Hochseilgarten und Wildwasser-Canyon entspannt man sich unter Palmen – im Südsee-Camp mitten in der Lüneburger Heide. Gohren Im Frühjahr zwischen Kirsch blüten, im Herbst mit Blick auf leuch tende Rebstöcke. Und das am groß artigsten See Deutschlands, dem Bodensee.

So parken Sie richtig. Stellplatz Neben Campingplätzen gibt es bundesweit immer mehr Reisemobil-Stellplätze. Hier darf man unkompliziert ein paar Nächte stehen. Nachtlager In Deutschland gibt es kein „Jedermannsrecht“. Das heißt, außer - halb von Camping- und Stellplätzen dürfen Reisende zwar auf Raststätten übernachten, allerdings nur eine Nacht. Wildes Campen wird mit Buß geld bestraft.

Stadt, Land, Fluss

waren ganz sicher froh darüber, dass zum neuen Look auch noch 20 Zentimeter Länge hinzukamen. Ebenfalls nun serienmäßig: die seitliche Schiebetür.

Spätestens seit Woodstock ist der Volkswagen Bulli global ein Phänomen. Und ähnlich wie in seiner Heimat wurden ihm auch in den USA eine Reihe von Spitznamen verpasst: In der Keimzelle der Hippiekultur, in Kalifornien, spricht man vom Microbus, Combie, Magic Bus oder Vee-Dub. In Portu-gal und Dänemark fühlt man sich anschei-nend an einen Brotlaib erinnert, dort kennt man ihn als Pão-de-Forma und Rugbrød.

wohl nur allzu gern an die Hommage und bat 2007 – die Feierlichkeiten zum 60. Ge-burtstag des Volkswagen Bullis standen an – die Band zu einem kleinen Ständchen: Vor 71.000 Fans und über 5.000 Volkswagen Bullis heizten die Altrocker ordentlich ein.

Inzwischen blickt der Bus auf 65 Jahre Geschichte zurück – 1979 ging die des T2 zu Ende. Der T3 rückte nach und mit ihm erst-mals ein völlig neu entwickelter Transpor-ter-Typ. Geräumiger kam er daher, er war länger als der Vorgänger, aber auch eckiger. 112 PS brachte der stärkste T3 auf die Straße, es gab ihn als Diesel und – wie schon Usus – wieder in zahlreichen Sondermodellen. Volkswagen verlor seine vielseitig interes-sierte Klientel nie aus den Augen. Ein bei den Sammlern von heute sehr beliebtes Mo-dell aus der T3-Ära war die Wohnmobil-Vari ante „Atlantic“, mit Isofenstern und Standheizung. 1990, kurz nach der Deut-schen Wiedervereinigung, kam der T4 auf den Markt: Der Heckmotor wurde endgültig verabschiedet, das Aggregat saß vorne und

Und die Peruaner prägten den nicht ganz schmeichelhaften Begriff Combi Asesina, Mörder-Kombi. Denn eingesetzt im öffentli-chen Nahverkehr verursachte der durchaus etwas ruppigere, rasante bis rasende Fahrstil der lokalen Volkswagen Bulli Lenker immer wieder Unfälle.

sanfte gangart . Insgesamt aber ist und bleibt der Kultbus ein Fahrzeug für die sanfte Gangart – und damit trifft er den richtigen Nerv generationsüber-greifend und weltweit. Sein Triumphzug führte ihn nicht nur in die Herzen seiner Lenker, er brauste publikumswirksam durch die Medien, machte halt in der Popliteratur, in Hollywood-Schmonzetten und Rock-Ever greens, stahl in Werbespots dem eigent-

lichen Produkt die Show und ist rechtzeitig im Rentenalter (60 plus) auch in der digita-len Welt angekommen – zum Beispiel in der virtuellen 3D-Welt „Second Life“. Der bezau-berndste Auftritt aber gelang ihm 2006 in der Komödie „Little Miss Sunshine“: In der Hauptrolle ein quietschgelber T2, der eine liebenswert-schräge Familie durch den Süd-westen der USA chauffiert. Ein cineastisches Denkmal der unnachahmlichen Art. Akus-tisch setzte vor über 40 Jahren Pete Town-shend dem Volkswagen Bulli ein Denkmal. In „Going Mobile“ räsoniert der The-Who-Frontman darüber, wie cool es doch sei, in einem Hippie-Mobil unterwegs sein zu dür-fen. Bei Volkswagen erinnerte man sich

wurde wassergekühlt, es gab den T4 mit Ser-volenkung und Automatik. Jüngstes Famili-enmitglied ist der T5, seit 2003 unterwegs.

Jede Volkswagen Bulli Generation hat seine besondere Fangemeinde. Jüngere be-vorzugen die älteren Typen, zeigen sich fas-ziniert vom Retrokulturellen: Sie fahren das, was einst ihre Eltern fuhren. Die wiederum setzen sich heute vorzugsweise hinter das Lenkrad der neueren Varianten – man mag es gern einen Hauch komfortabler. Unter-wegs in einem automobilen Klischee ist trotzdem niemand. Denn egal, wohin die Tour führen mag, ein Trip im Volkswagen Bulli, das ist immer auch so ein wenig eine Reise zu sich selbst. Magic Bus eben.

Prerow

LeiwenLeiwen

ImmenstadtImmenstadtGohrenGohren

WietzendorfWietzendorf

KleinröhrsdorfKleinröhrsdorf

Groß QuassowGroß Quassow