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med Art basel `16 Fallvorstellung Frau A. B. (53 Jahre) Dr. med. Clemens Winterhalder

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medArt basel ̀ 16

Fallvorstellung Frau A. B. (53 Jahre)

Dr. med. Clemens Winterhalder

medArt basel ̀ 16

•  Am 17.12.15 Schmerzen Fibulaköpfchen rechts und lumbal

•  Am 20.12.15 Fieber bis 38.6° •  Rhinitis, Schluck- und Halsschmerzen,

leichte Kopfschmerzen

•  Am 21.12.15 erstmals Nachtschweiss •  Hausarzt: verkrustete Läsion am Kopf •  Stark erhöhte Entzündungswerte •  Zuweisung Notfallstation externes Spital

Anamnese und Vorgeschichte

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•  Dort weitere Diagnostik bei Fieber: –  Urinstatus, Blutkulturen, Influenza-PCR –  Röntgen Thorax –  Röntgen des rechten Unterschenkels –  MRI Lendenwirbelsäule –  CT Abdomen

•  Allesamt ohne richtungsweisenden Befund

•  Symptomatische Therapie mit Novalgin (selbst) und Ibuprofen

•  Verlegung USB am 26.12.15

Anamnese und Vorgeschichte

medArt basel ̀ 16

Anamnese am 26.12.15

•  Vorher komplett beschwerdefrei

•  Persönliche Anamnese: –  Diabetes mellitus Typ 2 (ohne Sekundärkomplikationen), ED 2007 –  Distale Colitis ulcerosa, ED ca. 1995

•  Familienanamnese: –  Diabetes mellitus Typ 2 bei Vater und Grossvater

•  Medikamente (unverändert seit längerer Zeit): –  Enalapril 20mg 1-0-0, Glimepirid 3mg 1-0-0, Canagliflozin 100mg 1-0-0,

Sitagliptin/Metformin 50/1000mg 1-0-1, Simvastatin 20mg 0-0-1, Mesalazin 500mg 2-0-0

medArt basel ̀ 16

•  Deutlich reduzierter Allgemeinzustand

•  Wach, orientiert, RR 152/76 mmHg, P 97/min, T 39,6°

•  Rhinitis, brennende Augen, starke Klopfdolenz Sinus maxillaris links

•  Schwellung Nasenrücken, diskrete, gerötete Pustel linkes Augenlied und Augenbraue, verkrustete Läsion am behaarten Kopf

•  Starke Druckdolenz Fibulaköpfchen rechts mit Rötung und Überwärmung

Status am 26.12.15

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Pathologische Laborwerte

Leukozyten 14.210 x109/l (3.50-10.00) Hämoglobin 109 g/l (140-180) Neutrophile abs. 12.121 x109/l (1.300-6.700)

CRP 283.7 mg/l (<10.0)

starke Linksverschiebung

angedeutete Linksverschiebung

Normalbefund

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Was würden Sie jetzt tun ?

(A)  Eine Sinusitis <7 Tage ist meist viral bedingt, deshalb rein symptomatische Therapie mit abschwellenden Massnahmen und Analgetika

(B)  Sofortiger Beginn mit einem Breitspektrum-Antibiotikum

(C)  Sampling und dann sofortiger Beginn mit einem Antibiotikum

(D)  Sampling, sofortiger Beginn mit einem Antibiotikum und zusätzlich CT Nasennebenhöhlen

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Beurteilung zu diesem Zeitpunkt

1.  Sepsis mit mehreren möglichen Foci (1)  Klinisch V.a. Sinusitis maxillaris links (2)  Furunkel im Bereich des Gesichts und des Capilitiums (3)  Cellulitis/Osteomyelitis Fibula proximal rechts (4)  Streuung bei anderem Fokus (Endokarditis) - DD autoimmun-entzündliches Geschehen (z.B. granulomatöse Polyangiitis)

2.  Entgleister Diabetes mellitus Typ 2 –  Keine Sekundärkomplikationen bekannt –  HbA1c 12/15: 9,8%

3.  Normochrome, normozytäre Anämie 4.  Distale Colitis ulcerosa, ED ca. 1995

–  Beschwerdefrei unter Mesalazin

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CT Gesichtsschädel

Schleimhautschwellung Sinus maxillaris bds, Cellulae ethmoidales anteriores und Sinus sphenoidalis. Keine ossäre Arrossionen oder Spiegelbildungen. Kollektion im Nasenseptum.

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Verlauf

Amoxicillin/Clavulansäure (Augmentin) 3x2,2g/Tag i.v.

Biopsie Nasenschleimhaut

Drainage Nasenseptum

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Wichtige Befunde –  Blutkulturen: 8/8 ohne Wachstum –  Nasenabstrich: S. aureus, Oxacillin-sensibel (PVL-PCR negativ) –  Kultur Punktat Nasenseptum: Ohne Wachstum –  Kultur Punktat Nacken: Ohne Wachstum –  Transthorakale Echokardiographie: Kein Hinweis auf eine Endokarditis –  Serologien: u.a. HIV-Test negativ

–  Biopsie Nasenschleimhaut: Floride Entzündung, keine Granulome –  «Rheuma-Labor»: ANCA negativ, ANA negativ, Immunglobuline quantitativ

und Immunglobulin Subklassen im Normbereich, Komplement normal –  Urinsediment: Unauffällig –  Ophtalmologie: Konjunktivitis, kein Hinweis auf eine systemische

Vaskulitis, keine Roth-Spots

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MRI Knie rechts

Entzündliche Veränderungen des Fibulaköpfchens, formal noch keine Osteomyelitis. Begleitende Myositis der peronealen Muskulatur. Cellulitis des lateralen Unterschenkels.

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Was würden Sie jetzt tun ?

(A)  Umstellung der antibiotischen Therapie, um mögliche resistente Erreger besser zu erfassen

(B)  Umstellung der antibiotischen Therapie und Punktion der Fibula rechts zur Erregersuche

(C)  Umstellung der antibiotischen Therapie und nochmalige klinische Beurteilung der Patientin

(D)  Stopp der antibiotischen Therapie, da offensichtlich kein bakterieller Infekt vorliegt

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Hautläsionen

Mit Genehmigung der Patientin und mit herzlichem Dank an Richard Kühl und Christian Theilacker (Infektiologie)

medArt basel ̀ 16

Weitere Diagnostik ?

(A)  Zusätzliche Erregersuche

(B)  Nochmalige Medikamentenanamnese

(C)  Hautbiopsie

(D)  Coloskopie

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Histologie Hautbiopsie (1)

Mit herzlichem Dank an Peter Häusermann, Dermatologie

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Histologie Hautbiopsie (2)

Mit herzlichem Dank an Peter Häusermann, Dermatologie

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Histologie Hautbiopsie (3)

Mit herzlichem Dank an Peter Häusermann, Dermatologie

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Sweet-Syndrom (1) •  Hauptkriterien (Beide müssen erfüllt sein)

1.  Rasches Auftreten von sukkulenten, schmerzhaften, erythematösen Plaques oder Knoten (√)

2.  Vorwiegend neutrophile Infiltration der Haut ohne leukozytoklastische Vaskulitis (√)

•  Nebenkriterien (2 von 4 müssen erfüllt sein) 1.  Vorgeschichte mit unspezifischem Infekt der Atemwege oder des

Gastointestinaltrakts oder Impfung, oder Assoziation mit inflammatorischer Erkrankung (infektiös/autoimmun), Malignom oder Schwangerschaft (√)

2.  Abgeschlagenheit und/oder Fieber (√) 3.  BSR >20, erhöhtes CRP, Leukozytose >8000, über 70% Neutrophile (3/4

Kriterien erforderlich) (√) 4.  Gutes Ansprechen auf systemische Kortikosteroide oder Kaliumjodid (√)

Cohen R, Orphanet Journal of Rare Diseases 2007, 2:34

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Sweet Syndrom (2) •  Akute febrile neutrophile Dermatose (Erstbeschreibung 1964) •  Seltene inflammatorische Erkrankung mit plötzlichem Auftreten von

schmerzhaften ödematösen Plaques, Papeln oder Knoten •  Beteiligung innerer Organe, der Augen und des muskuloskelettalen

Systems möglich (z.B. Arthritis, Myositis, sterile Osteomyelitis) •  Typisches Alter 30-60 Jahre, Frauen bevorzugt betroffen (bis 80%)

•  Unterteilung in –  Klassisches Sweet-Syndrom (assoziiert mit Atemwegsinfekten,

chronisch-entzüdlichen Darmerkrankungen, Schwangerschaft u.a.) –  Paraneoplastisches Sweet-Syndrom (bis 20%, häufig

hämatologische Neoplasien, aber auch solide Tumoren) –  Medikamenteninduziertes Sweet-Syndrom (häufig: G-CSF)

Cohen R, Orphanet Journal of Rare Diseases 2007, 2:34 Marie I et al., Br J Dermatol 1998, 139:744-745.

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Sweet-Syndrom (3)

•  Hypothesen zur Pathogenese –  Hypersensitivitätsreaktion auf bakterielle, virale oder maligne Antigene –  Gestörte Zytokinregulation (G-CSF, IL-1) –  Genetische Veranlagung (Frauen bevorzugt)

•  Therapie –  Suche nach behandelbaren Ursachen –  Topische+ systemische Kortikosteroide

•  Prognose –  Unter Therapie Abheilung ohne Narben in wenigen Wochen –  Rezidive bis 30%, gehäuft bei hämatologischen Neoplasien (bis 69%)

Cohen R, Orphanet Journal of Rare Diseases 2007, 2:34 Wallach D et al., British Journal of Dermatology (2015)

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Weiterer Verlauf

Augmentin 3x2,2g/Tag i.v.

Prednison 80mg/Tag p.o.

Cefepim 3x1g/Tag i.v.

Unter Prednison massive klinische Besserung, keine Schmerzen mehr im Bereich der Hautläsionen und im Bereich der Fibula

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Hautläsionen

Mit Genehmigung der Patientin und mit herzlichem Dank an Fabio Stallone

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Weitere Diagnostik

–  Calprotectin im Stuhl: >1500 yg/g –  Histologie Rektum/Sigma: Geringgradig aktive Colitis ulcerosa.

Herzlichen Dank an Simon Brunner, Gastroenterologie

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Austritt nach Hause am 16.1.16

•  Prednison Tbl 50mg-0-0 •  Mesalazin Tbl 500 mg 2-0-2

Verlauf ambulant

•  Weiterbetreuung durch Hausarzt und Kollegen der Dermatologie und Gastroenterologie

•  Erfreulicher Verlauf unter langsamer Reduktion der Steroiddosis •  Relapse nach Reduktion der Prednison-Dosis <20 mg/Tag •  Beginn immunsupressive Therapie mit Azathioprin durch die

Kollegen der Gastroenterologie 03/16

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Pathergie-Effekt

Petrig C et al., Am J Med Sci 2006;331(3):159–161.

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Vielen Dank für die Aufmerksamkeit

[email protected]

Herzlichen Dank an

die Patientin und Hausarzt Dr. Stäubli (Magden)

Simon Brunner, Gastroenterologie Peter Häusermann, Dermatologie

Dorothee Harder, Radiologie Jens Jakscha, HNO

Richard Kühl, Infektiologie Fabio Stallone, Innere Medizin

Christian Theilacker, Infektiologie

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Clinical features in patients with Sweet Syndrom

Cohen R, Orphanet Journal of Rare Diseases 2007, 2:34