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PRAKTISCHE FRAKTOGRAPHIE Jarmila Woodtli Brüche an metallischen und keramischen Bauteilen sowie an Objekten aus Glas

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Page 1: EMPA Fraktografie

PRAKTISCHEFRAKTOGRAPHIE

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Jarmila Woodtli

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s

ISBN 3-905594-37-4

Die Autorin

In Prag, an der Chemisch-Technologischen Hochschule, absol-

viert Jarmila Woodtli ihr Studium der Metallurgie, das sie 1967

abschliesst. 1968 nimmt sie als Sachbearbeiterin für metallische

Schadenfälle ihre Tätigkeit an der Empa auf. Durch ihre Arbeit mit

dem Rasterelektronenmikroskop eignet sie sich in kurzer Zeit fun-

diertes Wissen in der Fraktographie der Metalle an. 1983 promo-

viert sie zum Dr. sc. techn. ETH. Das folgende Jahr verbringt sie

an der University of Michigan. Sie beschäftigt sich dort mit frakto-

graphischen Untersuchungen von Ermüdungsversuchen an io-

nenimplantierten Ni-Proben. Bald nach ihrer Rückkehr an die

Empa übernimmt sie die Leitung der Gruppe Schadenanalytik.

Untersuchungen zum Seilbahnunglück auf der Riederalp oder

zum Einsturz der Hallenbad-Decke in Uster gehören zu ihrer

Arbeit.

Als eine der Pionierinnen der Fraktographie in der Schweiz leitet

Jarmila Woodtli Anfang der 1980er-Jahre die Fachgruppe

"Fraktographie" des SVMT (Schweizerischer Verband für die

Materialtechnik). Ab 1992 ist sie Dozentin an der Technischen

Akademie Esslingen, wo sie Vorlesungen über Fraktographie in

Metallen und Keramik hält.

Administrator
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EMPA004027
Page 2: EMPA Fraktografie

Praktische Fraktographie

Page 3: EMPA Fraktografie

Praktische Fraktographie

Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt EMPA, Herausgeberin

ISBN 3-905594-37-4, © 2003 EMPA, 8600 Dübendorf, www.empa.ch

Das Werk einschliesslich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung,

die über die engen Grenzen des Urheberrechts hinausgeht, ist ohne schriftliche

Zustimmung der EMPA unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für

Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Speicherung in elek-

tronischen Systemen. Weder die EMPA noch irgendeine in ihrem Auftrag handelnde

Person kann im Fall einer Verwendung der in diesem Werk enthaltenen Informationen

haftbar gemacht werden.

Konzept/Gestaltung: Design Team EMPA

Lektorat: Sabine Voser

Druck: Stämpfli AG Bern

Verlag und Vertrieb: EMPA-Akademie, Überlandstrasse 129, 8600 Dübendorf

[email protected], www.empa-akademie.ch

Tel. +41 58 765 11 11, Fax +41 58 765 11 22

Page 4: EMPA Fraktografie

Jarmila Woodtli, Dr. sc. techn.

Brüche an metallischen und keramischen Bauteilen sowie an Objekten aus Glas

Wissen und Erfahrungen aus drei Jahrzehnten Tätigkeit

PRAKTISCHEFRAKTOGRAPHIE

Page 5: EMPA Fraktografie

Während mehr als drei Jahrzehnten beschäftigte sich Jarmila Woodtli an der Empa mit

der Fraktographie – und zwar in Zusammenhang mit der Bearbeitung von Schadenfällen,

aber auch mit ihren wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema. In dieser Zeitspanne

hat sie einen reichen Schatz an Erfahrung und Wissen erarbeitet, den sie hier zusammen-

fassend darstellt. Mit dem vorliegenden Buch "Praktische Fraktographie" wendet sie

sich an Fachleute, die sich mit Materialbrüchen befassen, aber auch an StudentInnen und

IngenieurInnen der Fachrichtungen Werkstoffe, Maschinenbau, Verfahrens- und

Fertigungstechnik. Ebenso gehören zu ihrem Publikum TechnikerInnen und LaborantInnen

mit vertieftem Wissen in der Werkstoffkunde.

Jarmila Woodtli behandelt nicht nur Brüche an metallischen und keramischen Bauteilen,

sondern auch an Objekten aus Glas. Sie gibt sehr viele praktische Anleitungen: beispiels-

weise wie Bruchstücke gehandhabt und dokumentiert werden und wie Bruchflächen sich

adäquat reinigen lassen. Sie geht aber auch wissenschaftlich in die Tiefe und beschreibt

unter Einbezug der entsprechenden makro- und mikroskopischen Bruchmerkmale die ver-

schiedenen Brucharten und erklärt, wie Risse entstehen und wie sie wachsen. Auf diese

Weise vermittelt die Autorin den Leserinnen und Lesern die Mechanismen, die beispiels-

weise zur Entstehung von Wallners Linien, Rastlinien und Ermüdungsstreifen führen.

Ebenfalls sehr anschaulich erklärt sie einen weiteren wichtigen Aspekt, den

Zusammenhang zwischen Gefügezustand und Bruchausbildung.

Jarmila Woodtli macht klar, dass die Fraktographie ein ganz wesentlicher Bestandteil der

Schadenanalytik ist, dass sie eingebettet ist in ein methodisches Vorgehen, das umfassen-

de Informationen zur Konstruktion, zur Belastung und zu den Betriebsbedingungen eines

gebrochenen Bauteils beinhaltet. Erst so lassen sich zusätzliche Umgebungseinflüsse,

zum Beispiel korrosiver Art, im Hinblick auf das Bruchgeschehen verstehen und bewerten.

Anhand zahlreicher Schadenbeispiele wird das theoretisch erworbene Wissen direkt um-

gesetzt; es werden ausserdem Beispiele für Fehlinterpretationen sowie Verwechslungen

bei der Beurteilung von Brüchen gegeben.

Die Publikation überzeugt durch eine klare, lebendige Sprache, durch die Menge und

Vielfalt an Beispielen und die dokumentarischen Illustrationen. Jarmila Woodtli verwendet

zum grossen Teil ihr eigenes Bildmaterial, also Bilder, die sie in den langen Jahren ihrer

Tätigkeit selbst unter dem Lichtmikroskop oder am Rasterelektronenmikroskop aufgenom-

men hat.

Der Inhalt dieses wertvollen Buches resultiert auch aus der äusserst effizienten Arbeit im

Team. In ihrer Funktion als Gruppenleiterin hat Jarmila Woodtli mit ihren Mitarbeitenden

und mir unzählige Diskussionen geführt – insbesondere bei der Bearbeitung von

Schadenfällen. Wir alle haben davon jahrelang ausserordentlich profitiert. Dafür möchte ich

mich bei Jarmila Woodtli herzlichst bedanken.

Dübendorf, Juni 2003 Manfred Roth

Abteilungsleiter Oberflächen- und Fügetechnik

VO

RW

OR

T

Page 6: EMPA Fraktografie

Jeder Bruch ist das Resultat eines Prozesses, der in drei

Etappen abläuft: Bruchbeginn, Bruchverlauf, Bruchende mit

seinen Folgen. Nur wenn wir jede dieser Etappen klar defi-

nieren, verstehen wir die Bruchgeschichte und können folg-

lich effektive, vorbeugende Massnahmen ergreifen.

Der Bruchbeginn setzt immer – auch in grossen Bauteilen

oder Systemen – im mikroskopischen Massstab ein, an ei-

ner oder an mehreren singulären Stellen und breitet sich

von dort aus. Der Bruch kann aus nur einem Riss bestehen,

so dass das Bauteil in zwei Bruchstücke zerfällt, oder er er-

folgt durch ein verzweigtes Risswachstum; als Folge davon

bilden sich zahlreiche Bruchstücke. Die Bruchge schwin -

digkeit variiert stark – von Ultraschallgeschwindigkeit in

spröden Werkstoffen bis zu kaum messbaren Rissaus -

breitungsraten bei Korrosion in duktilen Werkstoffen. So

kann ein Bauteil in einem kurzen Moment bersten, in ande-

ren Fällen wechseln sich Bruch wachstum und Stillstand ab

oder der Bruch breitet sich über eine lange Zeitspanne aus.

Die Bruchgeschwindigkeit muss aber nicht konstant blei-

ben. Das Risswachstum kann sich beschleunigen oder bis

zum Stillstand verlangsamen. Der Bruchprozess ist selten

nur durch mechanische Gesetz mässigkeiten bedingt:

Korrosive Beeinflussungen durch die Umgebung sind oft

von grosser Bedeutung für das Entstehen und Fortpflanzen

eines Bruches.

Alle diese Gegebenheiten müssen wir eruieren, um den

Bruch zu verstehen bzw. den Bruchmechanismus beschrei-

ben zu können. Dazu nehmen wir die Beobachtung des

Bruches und der angrenzenden Oberfläche zur Hilfe. Die auf

den Bruch einwirkenden Kräfte bestimmen seine Lage, sei-

nen Verlauf und die Topographie seiner Fläche, so dass die-

se Merkmale die Rekonstruktion des Bruchvorganges er-

möglichen. In diesem Sinn ist die Bruchfläche ein

Daten träger. Wenn wir das richtige Software-Programm be-

herrschen – die Fraktographie –, können wir die Bruchfläche

lesen und interpretieren.

Jarmila Woodtli

Expertin für Schadenfalluntersuchungen an der Empa

EIN

LE

ITU

NGKeramik

Glas

Metalle

Page 7: EMPA Fraktografie

Keramik und Glas

Literatur

EINLEITUNG

Behandlung der Bruchstücke

Methodik der Untersuchung

Makroskopische Untersuchung

• Riss- und Bruchverlauf

BEISPIEL: Zerbrochene Glasflasche

• Rissverzweigung / Rissmündung

BEISPIEL: Statischer Bruch einer Hüftgelenkkugel

• Drucklippen

• Mäanderförmige Risse

Bruchmerkmale

• Rauheit der Bruchfläche

BEISPIEL: Bruchabklärung bei Freileitungsisolatoren

• Spiegel

• Hertzscher Konus

BEISPIEL: Risse in Uhrengläsern

• Wallners Linien

BEISPIEL: Primär oder Sekundärbruch?

Bruchausgangsstelle

• Volumenfehler

• Oberflächenfehler

BEISPIEL: Bruch eines Kugellagerringes

BEISPIEL: Bruch einer Hüftgelenkkugel in vivo

BEISPIEL: Bruch einer Hüftgelenkkugel bei

Ermüdungstest

6/9

9/15

16/27

28/37

39

KE

RA

MIK

UN

DG

LA

S I

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ALT

Page 8: EMPA Fraktografie

Metalle

Literatur

EINLEITUNG

Behandlung der Proben

BEISPIEL: Bruch im Chassis

Methodik der Untersuchung

Makroskopische Untersuchung

BEISPIEL: Schraubverbindung

• Bruchform und Verlauf

BEISPIEL: Drahtbrüche

BEISPIEL: Auslegearm von Kran

• Bruchflächenmarkierungen

Gewaltbrüche

Ermüdungsbrüche

BEISPIEL: Bolzenbruch

• Lage der Bruchausgangsstelle

Bruchausgang an der Oberfläche

Bruchausgang unterhalb der Oberfläche

• Beschaffenheit der Oberfläche im Bruchausgangsbereich

BEISPIEL: Lasche von Seilbahnkabine

BEISPIEL: Turbinenschaufel

BEISPIEL: Spannkabel

Mikroskopische Bruchtopographie

• Gewaltbrüche

BEISPIEL: Rotorwelle eines Helikopters

• Rosettenbruch

• Spaltbruch

BEISPIEL: Kupplungsstück eines Eisenbahnwagens

• Interkristalliner Bruch

BEISPIEL: Leck in Brennstoffdüse

BEISPIEL: Schrauben von Schalldämmplatten

• Wasserstoffversprödung

BEISPIEL: Verminderte Zugfestigkeit

BEISPIEL: Verzinkte Unterlagsscheibe

• Ermüdungsbruch

• Gewalt- oder Ermüdungsbruch?

BEISPIEL: Gehämmerte Bruchfläche

• Verwechslungsmöglichkeiten

• Kriechbrüche

BEISPIEL: Turbinenschaufel

Komplexe fraktographische Untersuchungen

• Makroskopische Untersuchung

BEISPIEL: Betätigungsseil einer Landeklappe

BEISPIEL: Seilbruch nach Unterhaltsarbeit

• Mikroskopische Untersuchung

BEISPIEL: Schrägseil einer Brücke

ME

TA

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40/41

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43/58

59/84

85/91

92/93

Page 9: EMPA Fraktografie

KE

RA

MIK

UN

DG

LA

S

6 7

Während die vielfältige Morphologie der Metallbrüche weit-

gehend beschrieben und verstanden ist, gibt es bei der

Interpretation von keramischen Bruchflächen noch viele

Unsicherheiten. Keramische Werkstoffe gehorchen dem

Hookschen Gesetz und brechen immer spröde, d.h. dem

Bruchvorgang geht keine plastische Deformation voran.

Somit bleibt im mikroskopischen Bereich die Differen -

zierung von Brüchen nur auf inter- oder transkristalline Modi

beschränkt.

Das Hauptziel der fraktographischen Beurteilung besteht

damit in der Bestimmung der Bruchausgangsstelle und ihrer

Charakterisierung. Diese Bruchausgangsstelle ist immer ei-

ne Singularität bzw. Irregularität, die zu einer Spannungs -

über höhung führt. Oft wird von einer Fehlstelle gesprochen.

Diese Stellen dürfen aber nicht automatisch als Indikator für

fehlerhaft hergestelltes Material interpretiert werden. Die

Bezeich nung Herstellungsfehler ist oft unkorrekt. Vielmehr

handelt es sich um intrinsische Gefügestörstellen wie

Poren, Hohl räume, Einschlüsse und Korngrenzen oder um

Ober flächen störstellen wie scharfe Bearbeitungsriefen.

Dennoch stellt eine sorgfältige Bruchuntersuchung, welche

sowohl makroskopische als auch mikroskopische Befunde

berücksichtigt, die einzige Möglichkeit dar, die Bruc h ur -

sache in keramischen Werkstoffen zu eruieren. Denn nicht

nur die Lage der Bruchfläche in einem Bauteil, sondern

auch die Bruchform und das Aussehen liefern wertvolle

Informationen über die Beanspruchungsart, den Werk stoff -

zustand, die Umgebungseinflüsse und den bruch aus lösen -

den Fehler. Mit diesen Informationen lassen sich dann

Verbesserungs massnahmen ergreifen, die meistens in einer

Optimierung des Gefüges oder des Formgebungsprozesses

liegen.

Behandlung der Bruchstücke

Die zu untersuchenden Bruchstücke sind schonend zu be-

handeln, damit sie nicht sekundäre Beschädigungen erleiden.

Durch wiederholtes Zusammenfügen von Bruch und Gegen -

bruch kann sich die Mikrostruktur durch Reibung gelegentlich

derart verändern, dass ihre Beurteilung erschwert wird. Die

keramischen Werkstoffe zeichnen sich durch grosse Härte

und damit verbundene Abriebfestigkeit aus. Trotzdem ist es

möglich, dass sich Bruch und Gegenbruch, d.h. Bruchstücke

von gleicher Härte, durch Reibung verletzen, wie Bild 1 doku-

mentiert. Es ist eine interkristallin verlaufende Bruchfläche in

Al2O3 abgebildet, die leicht mit der Gegenbruchfläche von

Hand gerieben wurde. Die Abriebprodukte füllen die Ver -

tiefungen in der Bruchfläche aus, so dass die ursprüngliche

mikroskopische Bruchtopographie nicht mehr erkennbar ist.

Diese sekundäre Schädigung muss insbesondere bei der

Rekonstruktion des Bauteils aus den einzelnen Bruchstücken

in Betracht gezogen werden.

Ausserdem können an den porösen Zonen wichtige Bruch -

bereiche abbröckeln und somit eine Inkongruenz der Bruch-

und Gegenbruchstelle verursachen. Aus dem gleichen Grund

ist die Reinigung der Bruchstücke im Ultraschall mit Vorsicht

durchzuführen. Deshalb ist es vorteilhaft, den Zustand der

Bruchstücke vor dem Reinigen fotografisch festzuhalten.

Wenn sie nun durch die Reinigung sauberer werden und auch

ihre Form behalten, sind neue Aufnahmen zu machen.

Die einwandfreie Reinheit der Bruchflächen ist eine wichtige

Voraussetzung für die vollständige Interpretation der Bruch -

morphologie. Bruchstücke aus Glas und Keramik müssen oft

für die makroskopische Untersuchung unter dem Licht mikro -

skop bedampft werden, da sie transluzent sind.

Das Aufbringen einer dünnen Gold- oder Kohlenstoffschicht

von 10–20 nm genügt, um die Bruchmarkierungen unter dem

Lichtmikro skop sichtbar zu machen. Da es je-

doch schwie rig ist, die Bruchfläche nach dem

Bedampfen zu reinigen, muss dieser Vorgang

bereits vor dem Aufbringen der Schicht erfol-

gen. Dafür werden die Proben üblicherweise

einige Minuten lang einem Alkohol- oder

Aceton -Ultraschallbad ausgesetzt.

Bild 1:

Al2O3: Durch Reibung

mit der Gegenbruchfläche

entstandene Reibspuren

EINLEITUNG

4 µm

Page 10: EMPA Fraktografie

Eine oft anzutreffende Konta mination, die schwer zu beseitigen ist, stellen

Reste des Klebstoffes eines doppelseitig klebenden Scotch®-Ban des dar. So

wird z.B. ein Kollektiv von Vier punkt-Bie ge proben gerne mit solchen Kleb -

streifen auf einer Unter lage übersichtlich angeordnet. Die Auswahl der Proben

für die Frakto graphie kann erst nach abgeschlossener Prüfung der Biege -

festigkeit erfolgen, denn untersucht wer den jeweils die besten und die

schlechtesten Proben.

Eine übersichtliche Aufbewahrung ermöglicht eine schnelle Auswahl der

Proben für weitere Untersuchungen. Makros kopisch gesehen sind Reste von

Scotch®-Klebstoff in Aceton löslich. Befindet sich aber die Kontamination in

Nähe der Bruchfläche, kommt es während des Reini gungs pro zesses infolge

Oberflächen spannung zur Benetzung der Bruch kante mit dem angelösten

Klebmittel.

Die Bilder 2 und 3 geben Bruchflächen wieder, die mit Klebstoffresten be-

deckt sind. Es ist zu erkennen, dass diese von der Oberfläche her über die

Bruchkante gekrochen sind. Diese Art Kontamination ist sehr schwer zu be-

seitigen, denn sie wird erst nach dem Bedampfen der Proben mit Gold im

REM (Raster elektronenmikroskop) sichtbar.

Das aufgedampfte Gold kann von den keramischen Proben mit Königs -

wasserlösung wieder entfernt und nachträglich der Klebstoff durch Glühen

zersetzt bzw. abgedampft werden. Dies führt aber selten zu einem einwand-

freien Erfolg.

Bild 2:

Klebstoffreste

nach Reinigung

mit Aceton

Bild 3:

Klebstoffreste

am Bruchrand

nach Reinigung

mit Aceton

Behandlung der Bruchstücke

20 µm

100 µm

Page 11: EMPA Fraktografie

8 9

In Bild 4 ist eine Probe aus α-SSiC zu sehen, bei welcher ver-

sucht wurde, die Klebstoffreste thermisch bei 1000°C im

Vakuum zu entfernen. Mangels Sauerstoff konnte Kohlenstoff

nicht vollständig als flüchtige Phase entweichen, so dass stel-

lenweise Reste des verbrannten Materials, d.h. Kohlenstoff,

auf der Bruchfläche geblieben sind (mit RB «Restbelag» be-

zeichnete Zone). Ausserdem fand eine thermische Ätzung des

Gefüges statt, so dass sich der ursprüngliche Bruchcharakter

leicht geändert hat. Auf der geätzten Bruchfläche ist es z.B.

schwierig, zwischen inter- und transkristallinem Bruchverlauf

zu unterscheiden, da kristallographische Ebenen zum Vor -

schein kamen.

Thermisches Reinigen kann auch Gefügeveränderungen in

Form von An schmelz ungen der Glas phase (Bild 5) oder einer

infiltrierten Phase verursachen. Und in oxidierender Atmo -

sphäre ist es möglich, dass es zu Oxid bildung kommt.

KE

RA

MIK

UN

DG

LA

S

Bild 4a:

Probe kontaminiert mit Klebstoffresten.

Rote gestrichelte Linie bezeichnet identische Stelle

Bild 4:

Bruchausgangsbereich einer

Vierpunkt-Biegeprobe in α-SSiC.

Bild 4b:

Nach dem Glühen (1000°C im Vacuum). Rote gestrichelte Linie bezeichnet

identische Stelle. Mangels Sauerstoff verbrannte der Klebstoff zu Kohlenstoff

(Restbelag RB)

Bild 5:

SSiC: Veränderung der Bruchmorpho logie durch

Erhitzen auf 1000°C. Bildung von Glasphase

Bei Bruchflächen, die mit einem dickeren, nicht sehr gut haf-

tenden Materialbelag bedeckt sind, zeitigen Ab ziehabdrücke

eine gute Reinigungs methode. So können z.B. Gewebereste

oder Blutkrusten von reoperierten Implantaten (z.B. Gelenk -

kugeln) entfernt werden. Als Ma te rial eignen sich Acetatfolien,

die in Aceton leicht eingeweicht werden. Die Folie wird mit

dem Finger auf der Bruchfläche positioniert und ca. 30

Sekunden fest angepresst. Dabei ist ein Verrutschen der Folie

zu vermeiden. Nach dem Anpressen muss die Folie vollständig

austrocknen, was ca. zwei Minu ten benötigt. Danach wird sie

vorsichtig abgezogen.

Blutreste lassen sich auch gut in kaltem Wasser auflösen.

Schlecht abzulösende Gewebereste müssen even tuell mit En -

zymen wie Tripsin entfernt werden oder mit starken alkalischen

Lösungen versetzten Tensiden (z.B. Contrad 90®, Deconex®).

RB

Aufgrund des Zuvorgesagten ist es also empfehlenswert,

Bruch stücke einzeln in faserfreien Couverts oder kleinen Plexi -

glas schachteln aufzubewahren, um Kon ta mi nationen zu ver-

meiden.

1µm 1µm

10µm

Page 12: EMPA Fraktografie

Methodik der Untersuchung

Der eigentlichen fraktographischen Untersuchung hat eine

fundierte Bestandesaufnahme vorauszugehen. Es müssen

Da ten und Parameter über das gebrochene Bauteil bzw. die

beschädigte Anlage eingeholt werden. Dazu gehören Infor mati -

onen über Werkstoff, Konstruktion, Fertigung, Bean spruch ung,

Betriebsdauer und Umgebung, aber auch über besondere

Vorkommnisse, insbesondere zur Zeit des Schadens.

Grundsätzlich soll eine eingehende Dokumentation der Frag -

mente bzw. der zur Untersuchung vorliegenden Proben schon

in der Voruntersuchungsphase erfolgen. Zu empfehlen ist die

Aufnahme zahlreicher Fotos, auch wenn von denen eventuell

nur ein Teil benutzt wird. Denn später könnten wichtige Details

fehlen, die in der Voruntersuchungsphase für nicht relevant ge-

halten worden waren. Es ist unbedingt eine eingehende ma-

kroskopische Untersuchung durchzuführen, denn sie bildet

den Schlüssel zur Bestimmung von weiteren Unter suchungen.

Und mit ihr lassen sich die relevanten Bruch stücke bzw.

Rissbereiche eruieren.

Zur mikro frakto grap hischen Unter such ung gelangen dann

nur diese relevanten Bruchstücke. Die mikrofraktographische

Untersuchung hat zum Ziel, die Bruch ausgangsstelle zu cha-

rakterisieren. Dabei steht vor allem die Differenzierung zwi-

schen einem Volumen- und einem Ober flächenfehler im

Vordergrund. Zudem werden Ziele vorgegeben für die keramo -

graphische Unter such ung, welche das Gefüge und die Bruch -

ausgangsstelle charakterisiert. Aufgrund der Resultate der

Fraktographie und Keramographie sind mikroanalytische

Unter suchungen mit EDX oder WDX angezeigt. Die werkstoff-

kundlichen Unter suchungen können mit der Über prüfung der

mechanischen Festigkeit und der chemischen Zusammen -

setz ung ergänzt werden.

Obwohl der Begriff Fraktographie ausschliesslich hier für das

Be schreiben der Bruchfläche steht, gehört zur fraktographi-

schen Untersuchung auch das Beurteilen des bruchnahen

Oberflächenbereiches. Ausserdem ist es hilfreich, zusätzlich

zu dem gebrochenen Bauteil ein einwandfreies zu untersu-

chen, das zeitlich ungefähr gleich lang im Einsatz war. Sogar

ein Vergleich mit einem neuen Bauteil kann wertvolle Infor -

mationen über die Schädigung bringen.

Im Folgenden sind die einzelnen Schritte der Untersuchung er-

läutert. Die Vorgehensweise sowie die Interpretation der Er -

geb nisse werden anhand von Beispielen diskutiert.

Makroskopische Untersuchung

Die makroskopische Untersuchung besteht aus zwei

Schritten:

1. Beurteilung des Riss- und Bruchverlaufs

2. Beurteilung der Bruchmarkierungen an einzelnen

Fragmenten

Riss- und Bruchverlauf

Bei einem komplexen Bruchverlauf ist es sinnvoll, die ur-

sprüngliche Form des Bauteils aus den einzelnen Fragmenten

zu rekonstruieren. Für diese Arbeit dürfen die Bruchstücke

aber nie direkt zusammengeklebt werden, weil das einwand-

freie, vollständige Entfernen der Klebstoffreste von den Bruch -

flächen praktisch unmöglich ist. Die Klebstoffreste könnten

wichtige makroskopische sowie mikroskopische Bruchmerk -

male überdecken.

Die Rekonstruktion einer Probe bzw. eines Bauteils aus allen

Bruchstücken erlaubt es, die Bruchausbreitungsrichtung zu de-

finieren, woraus sich wiederum der zeitliche und örtliche Verlauf

des Bruchs und somit die Bruchausgangsstelle eruieren lassen.

Da der Risspfad sich an den höchsten Spannungen orientiert,

kann die Spannungsverteilung des Bauteils anhand des

Bruchbildes abgeschätzt werden. Daraus ergibt sich die zum

Bruch führende Beanspruchung (Bild 6).

Folgende Merkmale sind von besonderem Interesse:

• Risspfad in Bezug auf die Geometrie

des Bauteils und dessen Beanspruchung

• Symmetrie der Rissbildung

• Verzweigungsgrad der Risse

• Rissform

In Bild 6a ist eine typische sternförmige Anordnung der Risse

wiedergegeben, die durch eine punktuelle Druckbean spru -

chung entsteht. Diese Bruchform bildet sich auch bei schlag-

artiger Beanspruchung aus. Die Risse gehen radial von der

Bruch ausgangsstelle weg und sind weitgehend symmetrisch

und paarweise ausgebildet.

Methodik der Untersuchung

Makroskopische Untersuchung

Page 13: EMPA Fraktografie

Bei einer Biegebean spruchung einer relativ flachen Probe bildet

sich ein typischer doppel-Y-förmiger Bruch, wie es in Bild 6b

schematisch dargestellt ist. Eine ähnliche Bruchausbildung fin-

den wir in einem auf Torsion beanspruchten Zylinder; aller-

dings sind die Risse hier durch Schubspannungen bedingt

und liegen schrägflächig.

In allen Fällen befindet sich die Bruchausgangsstelle im

Symmetrie zentrum des Bruchbildes. Um die Bruchausgangs -

stelle herum sind jeweils die grössten Bruchstücke angeord-

net. Diese Tat sache ist darauf zurückzuführen, dass ein Riss

erst nach Erreichen einer bestimmten Länge bzw. erst dann,

wenn er genug elastische Energie aufweist, sich verzweigen

kann. Somit befindet sich die Bruchausgangsstelle in der

Regel auf einem der grössten Bruchstücke, und das mühsa-

me Zu sam mensetzen der kleinen Bruchstücke ist oft nicht

notwendig.

Aus dem Rissverlauf lassen sich die bruchauslösenden Span -

nungen aber nur dann bestimmen, wenn das Material frei von

Eigenspannungen war. In einem von Eigenspannungen durch-

setzten Material bildet sich ein vielfältig verzweigtes Rissnetz,

10 11

Bild 6d: Bersten duch Innendruck

Bruch-ausgangs-stelle

Bruch-ausgangs-stelle

Bild 6c: TorsionKE

RA

MIK

UN

DG

LA

Sdas durch das Zusammenwirken von Eigen- und bruchverur-

sachenden Spannungen bedingt ist. Zur Demon stration des

Ein flusses der Eigenspannungen auf den Risspfad wurden ein

span nungsarmes und ein vorgespanntes Glas mit einem

Ham mer zerbrochen. Beide Proben hatten die Form einer

Glas schei be. Wie die Fotos in Bild 7 zeigen, ist der Rissverlauf

sehr unterschiedlich. Im spannungsarmen Glas breiten sich

die Risse paarweise in radialer Richtung von der

Hammeraufschlagstelle her aus; sie entsprechen dem sche-

matischen Rissmuster in Bild 6a. Für das Glas mit hohen

Eigenspannungen lässt sich das Rissmuster dagegen keinem

Schema zuordnen.

Bild 7a: Glas mit Eigenspannungen

Bild 7b: Spannungsarmes Glas

Bild 7:

Durch Hammerschlag verursachte Risse in Glasscheiben

Bild 6b: Biegung

Die Intensität der Rissverzweigung ist ein qualitatives Mass für

die Höhe der bruchauslösenden Energie. Diese Energie resul-

tiert aus den Eigenspannungen und der Belastung des Bau -

teils, wobei neben den Betriebslasten auch die Montage -

spannungen zu berücksichtigen sind.

90°

45°Bruch-

ausgangs-stelle

Bild 6:

Aus der Anordnung der Risse lässt sich die bruchauslösende Spannung

beurteilen und die Lage der Bruch ausgangsstelle bestimmen

Bild 6a: Punktuelle Beanspruchung

oder Aufschlagstelle

Bruch-ausgang

180°

5 mm

5 mm

Page 14: EMPA Fraktografie

In Bild 8 sind drei Glasflaschen wiedergegeben, die durch In -

nendruck barsten. Nach deren Rekonstruktion ist der Riss ver -

lauf gut erkennbar, der sich mit dem schematischen Bild 6d

vergleichen lässt. Die Bruchausgangsstelle befindet sich je-

weils auf der axial verlaufenden Bruchfläche, die mit einem

Pfeil bezeichnet ist. Die Länge dieses Bruchpfades ist von der

Höhe des Innendrucks abhängig. Je höher dieser ist, desto

kürzer verläuft die axiale Bruchpartie, denn auf höherem Ener -

gieniveau kann der Riss früher verzweigen. Und je weiter die

Bruchpartie von der Bruchausgangsstelle entfernt ist, desto

kleiner sind die Fragmente. Die grössten Fragmente befinden

sich um die Bruchausgangsstelle.

Wird eine Flasche seitlich im zylindrischen Mantelbereich

punktuell eingeschlagen, so entwickelt sich um die Einschlag -

stelle ein radial angeordnetes Rissnetz, oft durchsetzt mit

kreisförmigen, konzentrisch angeordneten Rissen, ähnlich wie

in den Bildern 6a und 7b. Es entstehen nur scharfwinklige

Frag mente, und kein Bruchstückpaar weist eine spiegelsym-

metrische, polygonale Form auf.

Wird eine Flasche schlagartig auf den Boden aufgesetzt,

dann trennt sich in der Regel der Boden vom zylindrischen

Teil mit einem in Umfangsrichtung verlaufenden Hauptriss. Es

bilden sich ausserdem scharfwinklige Fragmente, die radial zu

einem Punkt am Bodenumfang konvergieren. Dieser Punkt

stellt die Bruchausgangsstelle dar sowohl für den abgetrenn-

ten Boden bereich als auch für den zerbrochenen zylindri-

schen Teil der Flasche (Bild 9).

Bild 8:

Durch Innendruck geborstene Flaschen. Der Innendruck steigt von links

nach rechts. Die Bruchausgangsstelle befindet sich jeweils in der Mitte der

axialen Bruchpartie (siehe Pfeil BA)

BA

BABA

BEISPIEL: Zerbrochene Glasflasche

Zur Untersuchung wurden Glasbruchstücke zur Verfügung ge-

stellt, die von einer ungeöffneten, spontan geborstenen Sauer -

mostflasche stammen sollten. Der Hersteller/ Auftrag geber be-

fürchtete, dass diese Mostcharge durch Weitergären einen

Überdruck erzeugen und damit auch andere Personen gefähr-

den könnte. Der betroffene Kunde des Herstellers gab an,

dass er alle Glassplitter sorgfältig eingesammelt habe.

Im Hinblick auf die fraktographische Untersuchung wurde ver-

sucht, durch Zusammenlegen der Bruchstücke die ursprüngli-

che Gestalt der Flasche zu rekonstruieren. Dabei stellte sich

heraus, dass das gelieferte Glasmaterial nicht artgleich war. Es

enthielt Bestandteile von drei verschiedenen Flaschen. Der

Grossteil des Materials stammte von der grünen Sauer most -

flasche. Zwei braune Glassplitter sowie zwei Splitter mit einer

gelborangen Etikette gehörten mit Sicherheit zu anderen

Flaschen. Ausserdem beinhaltete das Material Bodenbereiche

von grünen Flaschen mit zwei verschiedenen Wandstärken.

Die Bruchstücke der Sauermostflasche wurden sortiert und

gewogen. Es zeigte sich, dass das Gewicht des Materials le-

diglich 80% des Flaschengewichtes ausmachte. Daraufhin

wurden durch Rekonstruktion die Bruchverlaufsrichtungen der

Splitter in Bezug auf die Flaschengeometrie beurteilt. Wäre die

Flasche spontan durch übermässigen Innendruck geborsten,

hätte eine axial verlaufende Bruchzone vorhanden sein müs-

sen, wie sie in den Bildern 6d und 8wiedergegeben ist. Diese

liegt immer zwischen den beiden grössten Fragmenten. Um

einen derartigen Schadenfall zu beurteilen, kann also die

Unter suchung auf die beiden grössten Bruchstücke be-

schränkt werden.

Bild 9:

Rissverlauf in Flasche,

die durch Schlag im

unteren Bereich zerbricht

Riss- und Bruchverlauf

BA

Page 15: EMPA Fraktografie

Rissverzweigung/Rissmündung

Rissverzweigungen sind ein wichtiges Hilfsmittel zur Bestim -

mung der Bruchausgangsstelle. Verzweigt sich ein Riss mit

zunehmender Risslänge, so bilden sich die neuen Rissaus -

läufer unter einem Winkel, der kleiner ist als 90° (Bild 10a).

Der Hauptriss ist immer durchlaufend, bleibt also stets in einer

Ebene. Dagegen stellen querlaufende Risse immer Folgerisse

dar, also Sekundärrisse (Bild 10b). Auf der freigelegten

Bruchfläche bilden diese eine Kante mit dem Hauptriss,

während die Ver zweigungen des Hauptrisses fliessend ausge-

bildet sind.

Riss mün dungen, die auf der Bruchfläche eine scharfe Kante

erken nen lassen, beinhalten manchmal im mikroskopischen

Bereich wertvolle Informationen über die zeitliche Rissfolge.

12 13

Im vorliegenden Fall befanden sich die grössten Splitter am

Übergang zwischen Boden und Wand, und die Risse verliefen

radial in verschiedene Richtungen wie in Bild 9. Dieses Riss -

bild ist charakteristisch für einen Schlag, d.h. für eine lokale

Gewaltein wirkung. Somit widerlegten sowohl die Tatsache,

dass die Glasfragmente von verschiedenen Flaschen stamm-

ten, als auch die fraktographische Untersuchung der fragli-

chen Fla sche die Aussage des Kunden und entlasteten den

Hersteller.

Rissausbreitungs-

richtung

zur Bruch-

ausgangsstelle

Sekundärriss

Bild 10a: Ein Risssystem

Bild 10b: Zwei unabhängige Risse:

Kurzer Querriss = Sekundärriss

BEISPIEL: Statischer Bruch einer Hüftgelenkkugel

In einem Laborversuch wurde eine Hüftgelenkkugel statisch

bis zum Bruch belastet. Die Belastung erfolgte durch Innen -

druck im Konusbereich und axiale Belastung von aussen auf

den Dombereich. Dabei hat sich der Dombereich zirkulär ab-

getrennt und der Konusbereich zerbrach durch axial verlaufen-

de Bruchflächen in mehrere Fragmente. Das grösste Bruch -

stück lässt zwei glatte Spiegelzonen erkennen (Bilder 11a, b):

Spiegelzone 1 auf der zirkulären Bruchfläche im Dom be reich,

Spiegelzone 2 auf der Axialbruchfläche. Der Übergang zwi-

schen den beiden Bruchflächen ist scharfkantig ausgebildet,

was darauf hindeutet, dass es sich um zwei un ab hängige,

nacheinander entstandene Risse handelt. In welcher Reihen -

folge aber waren die Risse entstanden? Hat das Versagen der

Kugel im Dom- oder im Konusbereich angefangen? Um diese

Fragen beantworten zu können, wurden die Übergänge zwi-

schen den einzelnen Bruchflächen mikroskopisch untersucht.

Dabei zeigte sich, dass die Bruchfläche des Dombereiches in

die Bruchfläche des Konus hineinfliesst und die Bruch -

ausgangsstelle für die Axialbruchfläche in diesem Bereich liegt

(Bild 11c). Somit steht fest, dass das Versagen der Kugel im

Dombereich begonnen hat. Bis sich jedoch die Spiegelzone

voll ausgebreitet hatte, wurden die Axialbruch flächen initiiert.

KE

RA

MIK

UN

DG

LA

S

Bild 11a:

Fragment der Hüftgelenkkugel mit zwei Spiegelzonen:

Spiegel 1 im Dombereich, Spiegel 2 auf der Axialbruchfläche

Axialbruch2

1Dom

5 mm

Page 16: EMPA Fraktografie

Rissverzw

eigung/Rissm

ündung

Drucklippen

Drucklippen

Drucklippen entstehen bei Proben oder Bauteilen, die auf

Biegung beansprucht werden. Der Bruch breitet sich von der

auf Zug beanspruchten Oberfläche normalflächig, d.h. senk-

recht zur Oberfläche, ins Materialinnere aus. Hat der Riss die

Druckzone erreicht, biegt er von der Normalfläche ab und bil-

det die sog. Drucklippe (Bild 12a). Diese kann einseitig oder

auf beiden Seiten der Normalebene zu finden sein (Bilder

13a, b). Wird die gleiche Probe oder das gleiche Bauteil nur

auf Zug beansprucht, so bleibt der Riss auf dem normalflächi-

gen Pfad, die Bruchfläche verläuft senkrecht zur Oberfläche

über den ganzen Querschnitt (Bilder 12b, 14). Aufgrund des

Rissverlaufs können auch Aussagen über den Eigen -

spannungszustand gemacht werden. Bild 15 zeigt den Bruch

einer Kerbschlagprobe an einer gelöteten SSiC-Probe. Es

handelt sich um einen Keramik-Keramik-Verbund, hergestellt

durch Aktivhartlöten.

Der Bruch erfolgte in Nähe der Übergangszone zwischen der

keramischen Matrix und der Reaktionszone mit dem Lot und

breitete sich vorwiegend in der Keramik aus, die den niedrige-

ren Wärmeaus deh nungskoeffizienten aufweist.

Der konkav/ konvexe Bruchver lauf folgt der Zone mit den

grössten Zug-Eigenspannungen, die sich aus den thermi-

schen Spannungen aufgrund der hohen Solidustemperatur

ergeben. Die auffallend sehr schmalen Drucklippen weisen

darauf hin, dass der Bruchpfad weitgehend durch Zugspan -

nungen bestimmt war.

Erscheinen Drucklippen auf einer Zugprobe, dann sind sie ein

Indikator für eine sog. Parasit-Biegespannung, die der Zug -

spannung überlagert war. Die Biegemomente sind in Zugpro -

ben schwer zu beseitigen, sie stammen meistens von der

Einspannung und können fraktographisch eindeutig erkannt

werden.

Bild 11c:

Detail des Übergangs zwischen den Bruchflächen

lässt die Reihenfolge der Entstehung erkennen

Bild 11b:

Übergang zwischen den beiden Bruchflächen

ist scharfkantig ausgebildet

Bild 12a:

Schematischer Bruchverlauf bei

Biegebeanspruchung. Normal-

flächiger Verlauf auf der Zugseite,

Drucklippen auf der Druckseite

Bild 12b:

Bruchverlauf bei Zugbeanspruchung.

Normalflächiger Bruchverlauf

1Dom

Axialbruch2

1Dom

Axialbruch2

5 mm

1mm

Page 17: EMPA Fraktografie

14 15

Bild 13:

Einseitige (a) und doppelseitige (b) Drucklippen an Kerbschlagproben aus AI2O3. Bruchausgangsstelle an der Zugseite mit Pfeil bezeichnet

Bild 14:

Zugprobe aus SSiC.

Normalflächiger Bruchverlauf über den ganzen Querschnitt

Bild 15:

Biegeprobe einer Keramik-Keramik-(SSiC) Hartlotverbindung.

Der konkav/konvexe Bruchverlauf entspricht dem Verlauf der Zug-Eigen -

spannungen. Fehlende bzw. undeutlich ausgebildete Drucklippen

a b

KE

RA

MIK

UN

DG

LA

S

2 mm 2 mm

5 mm 5 mm

Page 18: EMPA Fraktografie

Mäanderförmige Risse

Ein mäanderförmiger Rissverlauf ist oft auf eine thermische Be -

einflussung zurückzuführen. Thermisch induzierte Risse ent-

stehen bei schnellen einmaligen oder zyklischen Tempera tur -

ver änderungen, die zu Temperaturgradienten im Werkstoff

füh ren. Da keramische Werkstoffe im Allgemeinen einen niedri-

gen Wärmeausdehnungskoeffizienten und eine geringe Wär -

me leitfähigkeit aufweisen, können bei schnellem Erwär men

oder Abkühlen thermisch induzierte Zugspannungen entste-

hen, die sogar die Festigkeit des Materials übersteigen. Die

ther misch bedingten Risse sind in den Zonen mit den höchsten

Zugspannungen zu finden. Bekanntlich sind Bauteile, die

durch Montage unter Druck stehen (z.B. eingeschrumpfte

Büch sen), weniger empfindlich gegen Thermoschock. Die

Kennt nis über die Spannungsverteilung bzw. über die grössten

Dehnungen ist ein wertvolles Hilfsmittel zur Beurteilung der

Rissursache. Der Spannungszustand der Probe ist von den

Materialeigenschaften, der Geometrie der Probe bzw. des Bau -

teils und den Belastungsbedingungen abhängig.

Die thermisch induzierten Risse widerspiegeln die Lage der

höchsten Zugspannungen im Material, weshalb nicht nur ein

typisches Bruchbild existiert. Trotzdem gibt es einen Anhalts -

punkt, der die Diagnose der thermisch induzierten Risse er-

leichtert: Sie sind gekennzeichnet durch einen bogenförmigen,

mäanderförmigen Rissverlauf mit konkav/konvex ausgebilde-

ten Bruchflächen.

Bei einmaliger lokaler Aufheizung einer dünnwandigen Probe

entstehen mäanderförmige Risse, wie in Bild 16 wiedergege-

ben ist. Ein anderes Beispiel zeigt Bild 17. Es handelt sich um

Al2O3-Proben mit einem Querschnitt von 3x4 mm, die einem

thermischen Abschreckversuch unterworfen wurden. Auch hier

hat sich stellenweise der Risspfad bogenförmig ausgebildet.

Die Diagnose der thermisch induzierten Risse ist oft durch

Anwendungsbedingungen gegeben. So wird automatisch bei

einem heiss laufenden Turbinenrad an Thermoschockrisse ge-

dacht. Die Auswirkungen der thermisch induzierten Zugspan -

nungen können sich auch erst später unter Betrieb bei Raum -

temperaturen manifestieren, wie z.B. bei gelöteten Bauteilen.

Durch die Überlagerung von Betriebsspannungen mit Eigen -

spannungen wächst das Spannungsniveau über einen kriti-

schen Wert an und bringt das Bauteil vorzeitig durch Rissbil-

d ung zum Versagen.

Bild 16:

Mäanderförmiger Thermoriss in einer Steingutplatte

Bild 17:

Thermoschockrisse in Biegeproben aus AI2O3 [1]

Maänderförmige Risse

5 mm

15 mm

Page 19: EMPA Fraktografie

Bruchmerkmale

Rauheit der Bruchfläche

Bei spröden Werkstoffen hilft es, die Bruchflächenrauheit zu

beurteilen, um die Rissausbreitungsrichtung bestimmen zu

können. Die Rauheit nimmt mit wachsender Risstiefe zu. Die

Gründe dafür werden im Folgenden kurz erörtert.

In keramischen Werkstoffen breitet sich eine durch mechani-

sche Beanspruchung hervorgerufene Bruchfläche zunächst in

der Ebene der höchsten Nominalspannung aus. Bei instabiler

Rissausbreitung entsteht mit zunehmender Risstiefe ein immer

grösser werdender Überschuss an elastischer Energie. Die

überschüssige Energie wird in kinetische Energie umgesetzt.

Wie aus Gleichung (1) ersichtlich, ist sie umso grösser, je grös-

ser auch die Bruchspannung σ ist:

Die Zunahme der Bruchenergie äussert sich durch eine zu-

nehmende Bruchflächenrauheit, denn die Rissfront verzweigt

sich mikroskopisch. Ein wachsender Riss verzweigt sich erst

nach Erreichen einer genügenden Energiehöhe. Verzweigtes

Risswachstum bedeutet morphologisch gesehen die Bildung

einer grösseren Rissfläche und äussert sich in der Zunahme

der Rauheit auf der Bruchfläche. Ein Modell der Riss ver -

zweigung in einem homogenen, isotropen Werkstoff ist in

Bild 18 dargestellt. Durch lokale Verdrehung des Spannungs -

vektors bilden sich zwei Rissebenen, die durch Stufen verbun-

den sind.

16 17

KE

RA

MIK

UN

DG

LA

S

�(1–ν2) σ2 c2W = WelO

_ + 4γcE

(1)

Bild 18:

Modell der

Rissverzweigung

Drehung des

Spannungsvektors

Bruchausbreitungs-

richtung

E = Elastizitätsmodul

γ = spezifische Oberflächenenergie

c = Fehlergrösse

σ = Spannung

l = Risslänge

W = potenzielle Energie der rissfreien Probe

WelO = elastische Energie der rissfreien Probe

ν = Poissonsche Konstante

Page 20: EMPA Fraktografie

Bruchmerkm

ale

Rauheit der Bruchfläche

Die auf der Bruchfläche entstandenen Stufen sind ein wichti-

ges Bruchmerkmal, denn sie geben direkt die Richtung der

Bruchausbreitung an. Die Bilder 19 und 20 zeigen zwei Bei -

spiele dafür. Beide Bruchflächen lassen deutlich ausgebildete

Rissausbreitungslinien erkennen, die mit zunehmender Ent -

fernung von der Bruchausgangsstelle gröber ausgebildet sind.

Auch die allgemeine, subjektiv beurteilte Rauheit der Bruch -

flächen nimmt mit wachsender Risstiefe zu.

Die Rauheit der Bruchfläche muss sowohl von blossem Auge

als auch unter einem Makroskop beurteilt werden, wobei die

Richtung des Lichteinfalls zu berücksichtigen ist. In den

Bildern 21a und 21b ist jeweils dieselbe Bruchfläche eines

Portlandzements zu sehen, die für Bild 21a mit diffusem und

für Bild 21b mit schrägem Licht aufgenommen wurde. Das

Schräglicht lässt die Bruchmerkmale, insbesondere die

Rissausbreitungslinien, deutlich erkennen, während unter dif-

fusem Licht die Bruchtopographie nicht zum Vorschein

kommt.

Bild 19:

Zunahme der Bruchflächenrauheit mit der Risstiefe.

Die Pfeile geben die Rissausbreitungsrichtung an

Bild 20:

Die Bruchausgangsstelle lässt sich aufgrund der geringeren

Bruchflächenrauheit bestimmen.

Die Pfeile geben die Bruchausbreitungsrichtung an

Bild 21b:

Dieselbe Bruchfläche wie in Bild 21a.

Die schräge Beleuchtung der Probe lässt

die Rissausbreitungslinien erkennen

Bild 21a:

Bruchfläche im Portland zement. Diffuses Licht,

Probe senkrecht von oben belichtet.

Keine Bruchmerkmale erkennbar

5 mm 5mm

5mm200 µm

Page 21: EMPA Fraktografie

zwischen demjenigen des Gusseisens (12x10-6/K) und des

Porzellans (5-6x10-6/K) zu liegen kommt.

Nach wenigen Ein satzjahren brach einer dieser Iso latoren ent-

zwei und verursachte grösseren Schaden an einer Fahrleitung.

Daraufhin wurden mehrere Isolatoren einer visuellen Prüfung

unterzogen, wobei zahlreiche Längsrisse sowohl im oberen als

auch im unteren Armaturenbereich ge fun den wurden (Bild

23). Die Verkittung aus Portland zement war von zahlreichen

Radial rissen durchsetzt, die auf eine ungenügende Zufuhr von

Feuchtigkeit während der Aushärtung zurückzuführen sind

(Bild 24). Es stellte sich die Frage, ob die Längs risse im

Porzellankörper durch die Radial risse in der Verkit tungs masse

eingeleitet worden waren.

18 19

Bild 23:

Längsrisse in unterem

Armaturenbereich

des Isolators

Bild 22:

Längsschnitt durch

die mit Portlandzement

eingekittete Armatur

KE

RA

MIK

UN

DG

LA

S

Bild 24:

Radial angeordnete

Schwindrisse im

Portlandzement

Metall

Harz Porzellan

Porzellan-körner

Portlandzement

BEISPIEL: Bruchabklärung bei Freileitungsisolatoren

Keramische Isolatoren für Freileitungen haben sich in der

Hoch spannungstechnik seit 100 Jahren bewährt. Obwohl die

Einsatzdauer normalerweise mehrere Dekaden beträgt, treten

ab und zu vorzeitige Schäden in Form von Brüchen auf. Durch

eine eingehende Schadenanalyse ist dann herauszufinden, ob

der Schaden eine ganze Fertigungscharge betrifft, oder ob es

sich um einen Einzelfall handelt.

Isolatoren werden aus Porzellankeramik hergestellt. Im vorlie-

genden Fall waren die Porzellankörper mit Armaturen aus

Gusseisen versehen. Beide Teile waren im oberen und unteren

Bereich mit Portlandzement, dem Quarzkörner beigemischt

wurden, miteinander verbunden (Bild 22). Der Quarzzusatz

erhöht einerseits die Festigkeit und modifiziert andererseits

den Wärmeausdehnungskoeffizienten der art, dass letzterer

26mm

23mm

Page 22: EMPA Fraktografie

Parallel zu den Rissflächen wurden Säge schnitte gelegt, um

die Bruch fläche ohne Verletzung öffnen zu können. Die Bruch -

flächen im Porzellan verliefen makroskopisch beurteilt in der

gleichen Radial ebene wie im Portlandzement. Während die

Riss aus brei tungsrichtung im Porzellan anhand der Bruch mar -

kierungen eindeutig bestimmt werden konnte, zeigte der grob-

körnige Zement keine signifikanten Merkmale eines Riss fort -

schrittes. Im Porzellan liess sich aufgrund der radial

an ge ord neten Riss ausbreitungslinien die Bruchausgangsstelle

an der Grenz fläche zwischen Porzellan und Portlandzement lo-

kalisieren (Bild 25). Ausserdem deuteten die zahlreichen fei-

nen Stufen am Bruchrand auf viele nebeneinander liegende

Bruch aus gangsstellen hin. Auch die Zunahme der Bruch -

flächenrauheit in Richtung der vermutlichen Rissausbreitung

bestätigte diesen Befund. Somit hat sich gezeigt, dass die

Schrumpf risse in der Verkittung keinen kausalen Zusam men -

hang mit den Längs rissen aufweisen.

Die Risseinleitung fand eindeutig im Bereich der verkitteten

Arma turen statt, und zwar an Fehlstellen wie Poren, Hohl -

räumen und verästelten Ris sen. Die risseinleitenden Span nun -

gen sind auf Um ge bungs- bzw. Be -

triebs ein flüsse, z.B.Tempe raturwech sel,

zurück zufüh ren. Sie erreichten vor allem

an den Fehlstellen ihre Maxima. Die

Riss keime sind wegen der unterschied-

lichen Wär me ausdehnungskoeffizienten

von Me tall – Portland zement – Por zel -

lan und der sich daraus ergebenden

Zug-Eigen spannungen durch unterkriti-

sches Riss wachstum zunächst zu

Mikrorissen ange wachsen. Mit Errei -

chen einer kri ti schen Grösse haben die

Risse sich schneller ausgebreitet und

schliesslich zum katastrophalen Bruch

geführt.

Als primäre Ursachen müssen die schlechte Qualität der

Verkittung sowie das Fehlen einer elastischen Zwischen schicht

(z.B. Bitumen) angesehen werden.

Po

PZ

Bild 25:

Freigelegter Längsriss im Porzellan:

Rissausbreitungslinien und

zunehmende Bruchflächen-

rauheit zeigen die

Rissausbreitungsrichtung an.

Der Riss ist an der Grenzfläche

zwischen Portlandzement (PZ)

und dem Porzellan (Po) entstanden

10mm

Page 23: EMPA Fraktografie

20 21

Spiegel

Sowohl bei der Beurteilung von Schadenobjekten als auch bei

der Untersuchung von Laborproben, z.B. Vierpunkt-Biege pro -

ben, ist es von grosser Bedeutung, den primären Riss bzw.

die Bruchausgangsstelle zu identifizieren. Eines der wichtig-

sten Bruchmerkmale, das die Bruchausgangsstelle anzeigt, ist

der sog. Spiegel (engl. mirror). Als Spiegel wird die glatte

Bruch zone um die Bruchausgangsstelle bezeichnet. In hoch-

festen, feinkörnigen Keramiken von hoher Dichte und in Glas

ist die Spiegelzone glatt ausgebildet und durch eine saumför-

mige, feinkörnige Rauheit (engl. mist) abgegrenzt. An schlies -

send liegt eine Rissgabelungszone mit radialen Stufen vor

(Bilder 26b, c). Dagegen bilden weniger feste Keramiken mit

grober, poröser Struktur undeutlich ausgebildete Spiegel -

zonen. Übergangslos findet die Rissgabelung statt (Bild 26a).

Grobe RissgabelungFehler

Der Spiegel entspricht dem Bruchbereich, innerhalb welchem

sich der Bruch beschleunigt, so dass bei einer 3- bis 6-mali-

gen Verlängerung des Anrisses bzw. der Fehlergrösse eine

Bruchgeschwindigkeit von 103m/s erreicht wird [2]. Als Folge

der langsameren Ausbreitung in einer Ebene sind die Anrisse

bei Bruchbeginn immer glatter als in den zuletzt gebrochenen

Partien, wo die Rissfront sich verzweigt und das Wachstum

beschleunigt wird. Da der Riss am Anfang nur durch die Lage

der maximalen Spannung im Bauteil bzw. durch die Proben -

form vorgegeben ist, liegen die Spiegel immer in einer mecha-

nisch definierten Ebene der höchsten Spannung. Sie sind also

stets normalflächig orientiert, d.h. senkrecht zur Oberfläche.

Die Grösse des Spiegels bzw. dessen Radius ist von der

bruchverursachenden Energie abhängig [3]. Aus der Energie -

bilanz eines instabil verlaufenden Risses lassen sich die

Spiegelgrösse und die zum Bruch notwendige Spannung ab-

leiten. Für Glas und feinkörnige, homogene polykristalline ke-

ramische Werkstoffe gilt folgende Beziehung (2):

σB . � r = C

σB = Spannung bei Brucheintritt

r = Radius des Bruchspiegels

C = Materialspezifische Konstante

In der Literatur finden sich z.B. für spannungsfreies Glas

C-Werte von 2.3 MPa m1/2 und für Al2O3 C = 9.1MPa m1/2 [4].

Das Vorgehen zur Messung der Spiegelgrösse ist für einige

wenige Materialien genormt [5]. Da die Grenze zwischen der

glatten Spiegelfläche und der aufgerauten Rissgabelungszone

nicht diskret und scharf abgegrenzt, sondern durch eine konti-

nuierliche Zunahme der Bruchflächenrauheit gekennzeichnet

ist, sind für ein korrektes Ausmessen des Radius eine geeig-

nete Lichtquelle und eine angepasste Vergrösserung von

grosser Bedeutung. Jedoch ist der Radius nur mit einem sub-

jektiven Fehler bestimmbar, der bei ca. 5% der gemessenen

Länge liegt.

In isotropen, dichten und feinkörnigen keramischen Werk -

stoffen bildet sich eine «ideale» Spiegelzone um die Bruchaus -

gangsstelle. Da die Spiegelzone dort symmetrisch angeordnet

ist (eine Ausnahme bilden die «mixed-modus» Beanspru-

ch ungen, die zu einer asymmetrischen Form des Spiegels

füh ren), stellt sie ein wichtiges fraktographisches Merkmal für

die Bestimmung der Bruchausgangsstelle dar.

Bild 26a: Grobe Rissgabelung, undeutlicher Spiegel

(2)

Bild 26:

Ausbildung der Spiegelzone

GlatteSpiegelzone

Fehler

Bild 26c: Bruchausgangsstelle im Materialinneren

Bild 26b: Bruchausgangsstelle an der Oberfläche

Rissgabelung

Feinkörnige Rauheit

GlatteSpiegelzone

FehlerRissgabelung

FeinkörnigeRauheit

KE

RA

MIK

UN

DG

LA

S

Page 24: EMPA Fraktografie

Bild 27:

Spiegel in ZrO2.

Bruchausgangsstelle an der Oberfläche

Bild 28:

Spiegel um die Bruch ausgangsstelle unterhalb der Oberfläche

Bild 29:

Undeutlich ausgebildete bzw. unscharf abgegrenzte Spiegelzone.

Bruchausgangsstelle unterhalb der Oberfläche. Nebeneinander gestellter

Bruch und Gegenbruch erleichtern das Erkennen der glatten Spiegelzone

Bild 30:

Undeutlich ausgebildete Spiegelzone in relativ grobkörnigem SiC

Spiegel

In Bild 27 sind Bruch und Gegenbruch einer Probe aus ZrO2

(mittlere Korngrösse ca. 1.7 µm) wiedergegeben. Die Spiegel -

zo ne liegt halbkreisförmig um die Bruchausgangsstelle, die

sich auf der Oberfläche befindet; die Grenze zwischen dem

glat ten Spiegel und der Gabelung ist undeutlich erkennbar. In

Bild 28 ist ein innerer Fehler als Bruchausgangsstelle erkenn-

bar.

In keramischen Werkstoffen mit grobkörniger oder poröser

Struktur bilden sich keine glatten Spiegelzonen oder sie sind

nur mit grosser Unsicherheit zu erkennen (Bilder 29, 30).

Wer den die beiden Bruchflächen nebeneinander gestellt

(Bilder 27, 29), so erhöht sich die Erkennbarkeit der glatten

Zonen und der Bruchausgangsstelle.

In dünnwandigen Bauteilen aus homogenem, feinkörnigem

Werkstoff kann der Radius der Spiegelzone grösser sein als

die Wanddicke des Bauteils und ist somit nicht vollständig

ausgebildet bzw. nicht vollständig zu erkennen.

4mm 1mm

1mm 200 µm

Page 25: EMPA Fraktografie

22 23 Bild 32b: Stufenartig ausgebildeter Hertzscher Konus

Bild 32a: Glatt ausgebildeter Hertzscher Konus

Schlagstelle

Spiegelzonen können auch durch runde Fehlstellen oder

Inhomogenitäten im Mikrogefüge vorgetäuscht werden. Bild

31 zeigt eine hofförmige, glatte Zone, die um eine Porosität an-

geordnet ist. Es handelt sich um die Bruchausgangsstelle einer

Vierpunkt-Biegeprobe aus Si3N4, mit durchschnittlicher Korn -

grösse von ca. 6 µm. Obwohl die Zone um die Bruch aus -

gangsstelle glatt ausgebildet ist, stellt sie keinen Spiegel dar.

Wie die keramographische Untersuchung ergeben hat, be-

steht diese Zone aus Grobkorn mit einem Durchmesser von

bis zu 30 µm. Offensichtlich verläuft die Grenze zwischen der

glatten Zone und der Bruchfläche entlang den Korngrenzen,

ist also im Gegensatz zu einem Spiegel linienförmig und scharf

ausgebildet.

20 µm

Bild 31:

Um eine Pore entstandene hofförmige Zone mit Grobkornbildung. Pfeile

zeigen die Grenze zwischen der grobkörnigen Zone und der Bruchfläche

Hertzscher Konus

Flache, konisch geformte Ausbrüche sind charakteristisch für

eine Schlagbeanspruchung und stellen ein wichtiges Bruch -

mer kmal dar.

Bei Schlagbeanspruchung wird die Oberfläche auf Druck be-

la s tet. Dabei entsteht im angeschlagenen Bauteil ein Span -

nungs maximum unterhalb der Oberfläche. Die Entfernung von

der Oberfläche als auch die Grösse des Spannungs maxi -

mums sind von verschiedenen Parametern wie Normalkraft

und Geometrie des Körpers abhängig. Übersteigt das Span -

nungs maximum die Festigkeit des Materials, so kommt es an

der Schlagstelle zu Riss- bzw. zu Bruchbildung. Ein solcher

Bruch verläuft immer schräg zur Oberfläche und wird als

Hertzscher Konus bezeichnet. Er kann glatt (Bild 32a) oder

stufenartig (Bild 32b) ausgebildet sein. Eine derartig abgestuf-

te, aus mehreren konzentrischen konischen Zonen bestehen-

de Stelle deutet auf eine relativ hohe Schlagenergie hin.

Dagegen sind die flach und einfach ausgebildeten Ausbrüche

typisch für einen Schlag mit niedriger Energie.

Ein Hertzscher Konus, der von einem glatten Spiegel umge-

ben ist, deutet auf die Brucheinleitung durch einen intensiven

Schlag hin.20 µm

5mm

3mm

KE

RA

MIK

UN

DG

LA

S

Page 26: EMPA Fraktografie

Bild 33a:

Uhrengehäuse mit Riss

im Abdeckungsglas

Bild 33b:

Bruchausgangsstelle innerhalb

des linearen Bruchverlaufes

Bild 33c:

Schlagstelle an der

Bruchausgangsstelle

Bild 33d:

Schar von Kratzspuren (Pfeil 2) an der Bruchausgangsstelle.

Pfeil 1: Schlagstelle

Bild 33e:

Geöffneter Riss. Schlagstelle an

der Bruchausgangsstelle (Pfeil)

Bild 33f:

Die freigelegte Rissfläche zeigt eine

glatte Spiegelzone um die Bruch-

ausgangsstelle. Pfeil: Bruch-

ausgangsstelle bei Schlagstelle

1

2

Hertzscher Konus

BEISPIEL: Risse in Uhrengläsern

Bei einem Uhrenhersteller reklamierten Kunden wegen Risse

im Abdeckglas (Bild 33a). Die Rissursache sollte abgeklärt

werden. Mit dem Lichtmikroskop konnte kein Befund erhoben

werden. Wegen ihrer Trans -

parenz und der schlechten

elektrischen Leitfähigkeit

muss ten die Gläser mit Gold

bedampft und anschliessend

im REM untersucht werden. Die Bruch aus gangsstelle be-

fand sich jeweils dort, wo der Riss einen linearen Verlauf

zeigt, wie es in den Bildern 33b, d wiedergegeben ist. Als

Bruchausgangsstelle wurden Anschlagstellen eruiert, die

sich bei höherer Vergrösserung als Hertzsche Koni darstel-

len liessen. Bei einem Glas lag die Bruchausgangsstelle di-

rekt beim konusförmigen Ausbruch (Bilder 33b, c),

während das andere Glas die Rissausgangsstelle bei einer

Kratzspur erkennen liess (Bild 33d). Diese Kratzspur zeigt

einen kausalen Zusammenhang mit der Schlagspur und ist

wahrscheinlich durch denselben Anschlag des Uhren -

gehäuses gegen einen harten Gegenstand entstanden.

Nach Öffnen der Riss fläche zeigten sich glatte Spiegelzonen

um die vermutete Bruch ausgangs stelle (Bilder 33e, f).

Somit steht fest, dass die Uhren gläser durch Schlag be an -

spru ch ung beschädigt wur d en, welche die entstandenen

Risse zur Folge hatte.

20 µm 100 µm

10 µm 20 µm 100 µm

Page 27: EMPA Fraktografie

Wallners Linien

Wallners Linien sind bogenförmige, parallel zueinander verlau-

fende Markierungen auf der Bruchfläche, die durch das Zu -

sammentreffen der Bruchfront mit elastischen Schallwellen

ent stehen. Die Schallwellen können entweder durch Inhomo -

genitäten im Ligament des herannahenden Risses oder durch

Reflexion auf der freien Oberfläche des Prüfkörpers bzw. Bau -

teils entstehen. Allgemein gesagt sind Wallners Linien die

Inter ferenzstellen des Spannungsfeldes eines herannahenden

Risses mit einem anders orientierten Spannungsfeld.

Wallners Linien entstehen sowohl in spröden metallischen als

auch in spröden nichtmetallischen Werkstoffen. Die Sprödig -

keit bezieht sich hier auf die geringe bzw. fehlende plastische

Verformung an der Rissspitze. Die Bilder 34a-c zeigen Bei -

spiele dieses makroskopisch sichtbaren Merk mals in diversen

Materialien. Auch im mikroskopischen Bereich können sich

Wallners Linien bilden, wie Bild 34d zeigt.

24 25

Wallners Linien bilden sich nur bei schnell instabil wachsenden

Rissen. Aus ihrer Form lassen sich wichtige Informati o nen über

die Reihenfolge der Entstehung diverser Bruchberei che able-

sen. Dazu ist es sinnvoll, die Ent steh ungs me cha nis men in drei

Gruppen einzuordnen [6]. Die primären Wallners Linien entste-

hen durch Interferieren der Rissfront mit einem Hin dernis, das

durch eine Inhomogenität in Nähe der Oberfläche verursacht

wurde. Wenn die Rissfront (in Bild 35a blau) den Punkt 0

durchquert, stösst sie auf eine Inhomogenität (rot gezeichnet).

Dabei entstehen elastische Schallwellen, die in Zeitintervallen

folgen (gestrichelte Linien). Wenn die Rissfront die Positionen 1,

2...5 erreicht, interferiert sie mit den einzelnen elastischen

Schallwellen 1...4. An den Schnittpunkten entstehen die leich-

ten Verschiebungen der Rissebene, die als Wallners Linien er-

kennbar sind. Als sekundäre Wallners Linien werden Inter -

ferenzfronten mit Schallwellen bezeichnet, die bei einer

Gabe l ung der Rissfront entstehen, d.h. am grob strukturierten

Rand (Bild 35b). Folglich sind sie relativ dicht ausgebildet. Sie

helfen, den Bereich der Gabelung zu lokalisieren, d.h. den

Bereich, wo der Riss sich beschleunigt hatte. Ausserdem sind

Bild 34a:

Wallners Linien in gehärtetem Stahl

Bild 34b:

Wallners Linien in Al2O3

Bild 34c:

Wallners Linien in natürlichem Mineral (amorphes SiO2) innerhalb von

konischen Einschlagstellen (Hertzsche Koni)

Bild 34d:

Wallners Linien im mikroskopischen Bereich von Al2O3

10 µm

5 mm

8mm

KE

RA

MIK

UN

DG

LA

S

Page 28: EMPA Fraktografie

sie ein Hinweis auf einen starken Spannungs gradienten im Bruchbereich. Die

tertiären Wallners Linien entstehen durch Interferieren mit Schallwellen, die auf

der freien Oberfläche der Probe oder des Bauteils ausserhalb des wachsen-

den Risses aufgetreten sind. Sie bilden sich vor allem bei einem energie-

reichen Aufschlag, einem anderen mechanischen Schock oder bei Vibra tionen

(Bild 35c).

1 2 3 4 5

1 2 3 4 5

1 2 3 4 5

123 0

0 1 2 3 4 5

1

2

3

4

Bild 35b:

Sekundäre Wallners Linien entstehen durch elastische Wellen aus dem

Bereich der Rissgabelung (rot)

Bild 35c:

Interferiert die Rissfront mit Schallwellen, die an der Probenoberfläche aus-

serhalb der Rissfront aufgetreten sind, so entstehen die tertiären Wallners

Linien [6]

Bild 35a:

Entstehung von primären Wallners Linien. Schallwellen sind an einer

Inhomogenität bei Position 0 entstanden. RAR: Rissausbreitungsrichtung

Wallners Linien

RAR

RAR

RAR

Page 29: EMPA Fraktografie

26 27

Obwohl die Wallners Linien nicht immer mit der Bruchfront identisch sind,

kann mit ihrer Hilfe die Rissausbreitung bestimmt werden. Ausserdem ist ihre

Form ein Indiz für die zum Bruch führende Belastung. In Bild 36 sind verschie-

dene Formen der Wallners Linien gezeigt, die die Spannungs ver teilung in der

Probe wiedergeben [7].

Eine besondere Form der primären Wallners Linien sind die kurzen flügelförmi-

gen Linien (gull wings), die bei Begegnung einer Riss front mit einem Hindernis

entstehen. Sind sie um einen Einschlag angeordnet, wie auf der Bruchfläche

des Isolators in Bild 37, dann sind sie ein Beweis dafür, dass der Einschlag

bei Aus breitung der Hauptbruchfläche schon bestanden hat, er also als Ur -

sache bezeichnet werden kann. Um einen nachträglich entstandenen Ein -

schlag würden sich diese Wallners Linien nicht bilden.

Bruchausgangsstelle

Wallners Linien

Wallners Linien

Wallners Linien

Bruchausgangsstelle

Bruchausgangsstelle

Bild 36a:

Symmetrisch ausgebildete Wallners Linien. Gleichmässig verteilte Zug spannung

Bild 36c:

Asymmetrisch ausgebildete Wallners Linien. Zugspannung im oberen,

Druckspannung im unteren Probenbereich

Bild 36b:

Asymmetrisch ausgebildete Wallners Linien deuten auf eine höhere

Zugspannung auf der oberen Oberfläche

Rissverzweigung

KE

RA

MIK

UN

DG

LA

S

Page 30: EMPA Fraktografie

BEISPIEL: Primär- oder Sekundärbruch?

In einer Freiluft-Hochspannungsschaltanlage waren mehrere

Isolatorenkörper aus Porzellan entweder als Stützen- oder

Kammerisolatoren eingesetzt. Bei einem Bruchereignis wur-

den mehrere Isolatoren beschädigt. Es stellte sich die Frage,

welcher Isolator war als Erster gebrochen, und welche waren

durch herunterfallende Bruchstücke sekundär beschädigt

worden.

In einem solchen Fall wird nach Bruchflächen gesucht, die ei-

nen Spiegel aufweisen. Unter anderem wurde auch die in

Bild 37 gezeigte Bruchfläche gefunden. Am Ausgang der

Spie gelzone befindet sich eine konisch ausgebildete Schlag -

stelle. Der Konus liegt im Zentrum des halbkreisförmigen, glat-

ten Spiegels und könnte deswegen als ursächlich für den

Bruch betrachtet werden. Es ist aber auch möglich, dass die

Bruchfläche hier nachträglich einen Schlag zum Beispiel beim

Her unterfallen erhalten hat. In diesem Fall wäre der Konus auf

eine sekundäre Beschädigung zurückzuführen. Schauen wir

uns den Übergang vom Konus zur Spiegelzone genau an. Die

mit roten Pfeilen markierten flügelförmigen Linien (gull wings)

sind ein wichtiger Hinweis darauf, dass zuerst der Einschlag

entstanden war und von ihm ausgehend sich die Bruchfläche

gebildet hatte.

Im Gegensatz dazu zeigt Bild 38 eine Bruchfläche, die

nachträglich durch einen Schlag beschädigt wurde. Die

Bruch ausgangsstelle (BA) befindet sich an der mit Pfeil rechts

unten im Bild markierten Stelle und ist durch eine glatte

Spiegelzone erkennbar. Die konische, abgestufte Ausbruch -

stelle an der unteren Kante der Bruchfläche ist eindeutig als

sekundäre Beschädigung der Probe anzusehen.

Bild 37:

Bruchfläche eines Isolatorenkörpers.

Die Bruchausgangsstelle (BA) ist erkennbar am

glattem Spiegel und den Rissausbreitungslinien (siehe gelbe Pfeile).

Der Einschlag war massgebend für das Entstehen der Bruchfläche

(erkennbar an den flügelförmigen Linien, siehe rote Pfeile)

Bild 38:

Nachträglich beschädigte Bruchfläche

(konische Ausbruchstelle

mit gestrichelter Linie markiert)

BA

BA

20 mm

5mm

Page 31: EMPA Fraktografie

28 29

Bruchausgangsstelle

Die Bruchausgangsstelle ist eine Singularität, an welcher der

Riss bzw. Bruch begonnen hat. Es ist das wichtigste Ziel jeder

fraktographischen Untersuchung, diese Stelle zu charakteri-

sieren. Sie interessiert nicht nur bei Schadenfällen, sondern

auch bei Laborproben oder Proof-Test-Brüchen an Bauteilen,

denn die Kenntnis ihres Charakters macht unmittelbare Ver -

besserungsmassnahmen möglich. Auch ist die Bruchaus -

gangs stelle immer eine Singularität bzw. Irregularität, die zu ei-

ner Spannungskonzentration führte. Oft wird von Fehlstellen

gesprochen. Diese Stellen dürfen aber nicht automatisch als

Indikatoren für ein fehlerhaft hergestelltes Material interpretiert

werden. Die Bezeichnung Herstellungsfehler ist oft unkorrekt.

Vielmehr handelt es sich um intrinsische Gefügestörstellen wie

Poren, Hohlräume, Einschlüsse oder Korngrenzen oder um

extrinsische Oberflächenstörstellen wie scharfe Bearbei tungs -

riefen. Jeder Fall muss dahin gehend abgeklärt werden, ob die

vorhandenen Inhomogenitäten dem Stand der Technik ent-

sprechen oder ob sie verbessert werden können.

Bei der Untersuchung von Bruchausgangsstellen ist es vorteil-

haft, den Bruch und Gegenbruch nebeneinander zu legen und

gemeinsam zu betrachten. Die Bruchausgangsstelle wird da-

durch schneller erkannt, wie die Bilder 27, 40g und 41b de-

monstrieren. Ausserdem kann sie erst nach Auswertung von

beiden Bruchflächen mit Sicherheit beurteilt werden. In Bild

40h sind Bruch und Gegenbruch einer Vierpunkt-Biegeprobe

aus Al2O3 im Bereich der Bruchausgangsstelle wiedergege-

ben, welche bei einem unvollständig versinterten Sprühkorn

liegt. Dieses ist nur in der linken Bruchfläche eindeutig zu er-

kennen, während auf der rechten Bruchhälfte eine Kalotte

sichtbar ist. Wäre nun nur diese rechte Bruchfläche untersucht

worden, hätte die Kalotte irrtümlicherweise als Pore gedeutet

werden können.

Grundsätzlich werden die Bruchsausgangsstellen in zwei

Gruppen unterteilt:

1. Volumenfehler

2. Oberflächenfehler

Diese Gruppierung ist sinnvoll, weil sie zwischen intrinsischen

(von innen her) und extrinsischen (von aussen her) Ursachen

unterscheidet.

Volumenfehler

Volumenfehler sind dem Material inhärente Inhomogenitäten,

die auf den Herstellungsprozess zurückzuführen sind. Sie

können in oberflächennahen Bereichen oder im Material -

inneren vorkommen. In der industriellen Keramik sind folgende

Inhomogenitäten am häufigsten anzutreffen:

• Pore (diskreter Hohlraum) (Bild 39a)

• Poröser Spalt (zusammenhängende Poren, die eine

rissartige Trennung im Material verursachen) (Bilder 39b, f

• Poröser Bereich. Mit zahlreichen Poren durchsetzte

Zone (Bild 39c)

• Agglomerate. Ganze Gruppe von endogenen Ein -

schlüssen oder Reste des Sprühkorns (Bilder 39d, e)

• Exogene Einschlüsse. Fremdartiges, eingesintertes

Material (Bild 39i)

• Grobkornbildung, lokale Gefügeanomalie (Bilder 39g, h)

• Interne Risse, Trennungen

Bild 39a:

Grosse Pore als Bruchaus gangsstelle

Bild 39b:

Poröser Spalt in Al2O3

20 µm

2 µm

KE

RA

MIK

UN

DG

LA

S

Page 32: EMPA Fraktografie

Bild 39e:

Unversinterter Bereich auf einer Bruchfläche.

Typische Merkmale sind das kugelige Sprühkorn (links im Bild)

und die abgerundeten Formen der Kristallite.

Rechts im Bild: trans- und interkristalline Bruchfläche

Bild 39f:

Unversinterte Zone auf einer Bruchfläche.

Typisch sind die abgerundeten

Formen der Kristallite

Bild 39c:

Anhäufung von Porosität

Bild 39d:

Bruch (1 oben) und Gegenbruch (2 unten)

einer Vierpunkt-Biegeprobe.

Bruchausgangsstelle an einem unvollständig

versinterten Agglomerat

Bruchausgangsstelle

Volumenfehler

1

2

100 µm

40 µm

10 µm

10 µm

Page 33: EMPA Fraktografie

30 31

Oberflächenfehler

Die Oberflächenfehler entstehen in der Bearbeitungsphase

des keramischen Bauteils. Es kommen vor:

• Vertiefte Prägung oder gefräste Bezeichnung

(Bilder 40a, b)

• Schleifspuren (Bilder 40c, d)

• Bearbeitungsfehler wie scharfe Riefen, Risse, Aus-

brüche (Bilder 40e, f)

• Beschädigungen der Oberfläche durch falsche

Handhabung: Kratzer, Ausbrüche, Schlagstellen

(Bilder 40i, j)

• Lochfrass- oder rissförmige Narben durch chemische

(Korrosion) oder thermische Reaktionen mit der Um-

gebung (Bild 40k)

Bruchverursachende scharfe Riefen, Kerben oder Reibspuren,

die sich über eine grössere Länge erstrecken, führen in fein-

körnigen, dichten Keramiken zu relativ glatten Bruchflächen,

die keine dominanten Bruchmarkierungen zeigen (Bild 40e).

Eine singuläre Bruchausgangsstelle dagegen lässt sich makro-

skopisch anhand der Rissausbreitungslinien punktuell erken-

nen (Bild 40g).

Licht- oder elektronenoptische Untersuchungen im Bereich

der Bruchausgangsstelle liefern wichtige morphologische Re -

sultate. Bei unversinterten Bereichen oder Kratzspuren und

Schlagstellen genügen diese Befunde oftmals, um geeignete

Verbesserungsmassnahmen zu ergreifen. In den meisten Fällen

jedoch sind weitere Untersuchungen angebracht. Denn die

Bruchausgangsstelle ist eine dreidimensionale Singularität, die

durchaus auch eine andere chemische Zusammen setzung,

ein anderes Gefüge aufweisen kann als die Grundmasse.

Deswegen ist ein keramographischer Schliff durch die Bruch -

ausgangsstelle mit anschliessender mikroanalytischer Unter -

suchung von grosser Bedeutung.

Bild 39i:

Bruchausgangsstelle bei exogenem Einschluss

Bild 40a:

Bruchausgangsstelle bei eingefräster Produktbezeichnung

Bild 39g:

Ansicht einer Bruchfläche im Bereich der Bruchausgangsstelle.

Pore und Grobkornbildung

Bild 39h:

Keramographischer Schliff durch die Bruchausgangsstelle

von Bild 39g. Grobkornbildung

20 µm

10 µm

40 µm

3 mm

KE

RA

MIK

UN

DG

LA

S

Page 34: EMPA Fraktografie

Bild 40d:

Detail aus Bild 38c

Bild 40e:

Scharf gekerbte Biegeprobe zur Bestimmung der Bruchzähigkeit.

Keine singuläre Bruchausgangsstelle erkennbar

Bild 40f:

Detail aus Bild 38e: multiple Bruchausgangsstellen innerhalb einer

Bearbeitungsriefe. Kleine, durch die Bearbeitung verursachte

Ausbruchstellen (siehe Pfeile)

Bild 40g:

Ungekerbte Vierpunkt-Biegeprobe.

Bruch und Gegenbruch nebeneinander gestellt.

Singuläre Bruchausgangsstelle erkennbar

Bild 40b:

Eingefräste Zahl. Detail der Bruch ausgangsstelle aus Bild 38a

Bild 40c:

Bruchausgangsstelle bei einer Schleifspur

Oberflächenfehler

Kerbe

200 µm

20 µm

10 µm

10 µm

2 mm

2mm

Page 35: EMPA Fraktografie

32 33

Bild 40k:

Rissbildung innerhalb angeschmolzener Glasphase

im Korngrenzenbereich (SSiC)

Bild 40l:

Detail aus Bild 40k: angeschmolzene Glasphase

Bild 40j:

Bruchausgangsstelle an einer Schlagstelle

Bild 40h:

Detail der Bruchausgangsstelle aus Bild 40g: unversintertes Sprühkorn.

Bruch und Gegenbruch nebeneinander gestellt

Bild 40i:

Kratzer im Glas als Bruchausgangsstelle

40 µm

10 µm

20 µm

4 µm

KE

RA

MIK

UN

DG

LA

S

Page 36: EMPA Fraktografie

Bild 41a:

Gebrochener Lagerring. Normalflächige Bruchfläche (unten),

Folgebruch-Biegebruch mit ausgeprägten Drucklippen (oben)

Bild 41b:

Ansicht der Bruchflächen.

Mit Pfeil bezeichneter Spiegel

BEISPIEL: Bruch eines Kugellagerringes

Ein Kugellagerring aus gesintertem TiCN-Werkstoff versagte

vorzeitig während eines Ermüdungsversuches. Der Ring wur-

de in Radialrichtung mit schwellender Dehnung belastet. Da

der Hersteller eine längere Lebensdauer erwartet hatte, sollte

die vorzeitige Versagensursache durch eine fraktographische

Untersuchung eruiert werden.

Der Ring zerbrach in zwei symmetrische Bruchstücke, die in

Bild 41a dargestellt sind. Welcher der beiden Brüche war der

Primärbruch und welcher der sekundäre Folgebruch? Diese

Frage kann beantwortet werden, wenn wir den makroskopi-

schen Bruchverlauf der einzelnen Bruchbereiche betrachten.

Die Bruchfläche im unteren Bereich erstreckt sich in

Radialrichtung senkrecht zu den Stirnoberflächen des Ringes,

d.h. normalflächig. Dagegen ist der zweite Bruchbereich (in

Bild 41a oben) zerklüftet. Schon diese «flüchtigen Resultate»

führen zur eindeutigen Bestimmung des Primärbruches: Die

normalflächige Bruchfläche entspricht der Lage der maxima-

len Zugspannungen, die sich aus der Beanspruchung beim

Ermüdungsversuch ergeben. Die zerklüftete Bruchfläche weist

auf dem Aussenumfang deutlich ausgebildete Drucklippen

auf, was eine Biegebeanspruchung und somit den sekun-

dären Folgebruch charakterisiert (Bild 41c). Auch die Rauheit

der beiden Bruchbereiche steht in Übereinstimmung mit die-

sen Überlegungen, denn die glatte, normalflächige Bruchfläche

ist für niedrigere Nennspannung charakteristisch, im Gegen -

satz zur rauen Bruchfläche, die bei höherem Energieniveau

entsteht, was für den Folgebruch zutrifft.

Die normalflächige primäre Bruchfläche zeigt eine deutlich

aus gebildete Spiegelzone an der Stirnoberfläche (Bilder 41b,

d). Die Bruchausgangsstelle befindet sich bei der mit Laser

eingeprägten Bezeichnung «4», die als Kerbe bei der Riss -

initiierung gewirkt hatte. Ausserdem entstand während der

Laser-Beschriftung eine Anschmelzung der Oberfläche, wie

aus den Bildern 41e, f ersichtlich ist. Auch ein keramographi-

scher Schliff durch die Bruchausgangsstelle bestätigt diesen

Befund. Das Mikrogefüge ist bis zu einer Tiefe von 20 µm ther-

misch beeinflusst und mit feinen Poren durchsetzt (Bild 41g).

Der Ermüdungsriss wurde somit durch die Kerbwirkung der

Beschriftung vorzeitig eingeleitet und das frühe Risswachstum

durch das angeschmolzene Gefüge begünstigt. Daraus lässt

sich folgern, dass die Beschriftung des Lagerringes sorgfälti-

ger ausgeführt werden muss, um sowohl die Kerbwirkung als

auch die Gefügeanschmelzung zu vermeiden.

20 mm

20 mm

Page 37: EMPA Fraktografie

34 35

Bild 41f:

Detail der angeschmolzenen Oberfläche

(Detail aus Bild 41e)

Bild 41g:

Keramographischer Schliff durch die Bruchausgangsstelle.

Angeschmolzenes, mit Poren durchsetztes Gefüge

Bild 41e:

Bruchausgangsstelle bei «4».

Angeschmolzene Oberfläche

Bild 41c:

Folgebruch-Biegebruch mit Drucklippen (oben).

Bruchausbreitungsrichtung bezeichnet mit Pfeilen

Bild 41d:

Ansicht der normalflächigen Bruchfläche mit Spiegel.

Bruchausgangsstelle bei Bezeichnung «4»

Bruchfläche

Drucklippen

Ob

erflä

che

Bruchfläche

Ob

erflä

che

0

0 1 2 3 4

12

••

100 µm

20 µm

20 µm

KE

RA

MIK

UN

DG

LA

S

Page 38: EMPA Fraktografie

BEISPIEL: Bruch einer Hüftgelenkkugel in vivo

Untersucht wurde eine Hüftgelenkkugel aus Al2O3, die in vivo

brach. Die eingelieferten Bruchstücke sind in Bild 42a wieder-

gegeben.

Die makroskopische Betrachtung der einzelnen Bruchflächen

ergab, dass der primäre Bruch sich auf Bruchstück Nr. 1 be-

finden muss. Dafür sind einerseits die Grösse des Bruch -

stückes (das grösste Bruchstück) sowie seine geometrisch

axial verlaufende Bruchfläche charakteristisch (Bild 42b). Zum

Vergleich zeigt Bild 42c das Bruchstück Nr. 3, welches die ty-

pischen Merkmale eines Folgebruches aufweist: schräg ver-

laufende, zerklüftete und gewölbte Bruchflächen. Diese Riss -

ausbreitung entspricht keiner Hauptspannungsrichtung in der

belasteten Kugel. Der zerklüftete Bruchverlauf deutet auf einen

Folgebruch hin und die gewölbte Bruchfläche auf eine Biege -

be anspruchung (Drucklippen), die auch bei Folgebrüchen vor -

kommt.

Tatsächlich befindet sich auf dem Bruchstück Nr. 1 eine glatte

Spiegelzone mit gut sichtbaren Rissaus breitungs linien im

Bereich der Rissverzweigungen und zunehmender Rau heit bei

grösserer Entfernung von der Bruchausgangs stelle. In Bild

42d ist diese Stelle mit glattem Spiegel wiedergegeben.

Sie befindet sich im Bodenbereich in der Nähe – aber

ausserhalb – vom Radius. Unter dem Rasterelektronen -

mikroskop kommen an der Bruchausgangskante feine Riss -

ausbreitungslinien zum Vorschein, die darauf hindeuten, dass

der Bruch nicht punktuell, sondern auf einer Länge von

ca. 3.0 mm initiiert wurde. Weitere mikroskopische Unter-

such ungen haben ergeben, dass der Bruch an einer

Schleifspur entstanden ist (Bild 42e). Es konnten sonst keine

Anomalien in der Beschaffenheit der Oberfläche oder

Materialfehler gefunden werden. In diesem Fall müssen noch

weitere Unter suchungen klären, ob der Patient z.B. einen

Sturz erlitten hatte oder ob andere Gegebenheiten eine Über-

lastung der Kugel ermöglichten.

Bild 42a:

Übersicht der einzelnen Fragmente

Bild 42c:

Zum Vergleich Bruchstück Nr. 3: Folgebruch

Bild 42b:

Das grösste Bruchstück mit Primärriss.

Geometrisch axial verlaufende Bruchfläche

1 3

5 mm

5mm

Page 39: EMPA Fraktografie

36 37

BEISPIEL: Bruch einer Hüftgelenkkugel

bei Ermüdungs test

Eine Hüftgelenkkugel aus Al2O3 wurde mit einer Frequenz von

7 Hz und dem Prüfkraftverhältnis R = 0.1 (Verhältnis von

Unter last zu Oberlast) auf Ermüdung geprüft. Nach 2 Mio.

Last wechseln der sinusförmigen Druckbelastung wurde die

Last bei gleich bleibendem R-Wert um 11.7% erhöht. Der

Bruch ereignete sich nach weiteren 8'274 Lastwechseln. Es

bildeten sich fünf grössere und zahlreiche kleinere

Bruchstücke (Bild 43a).

Ziel der fraktographischen Beurteilung war es, die Bruchaus -

gangsstelle zu bestimmen und zu charakterisieren. Zu diesem

Zweck wurde die Kugel rekonstruiert und der Rissverlauf an

den grössten Bruchstücken beurteilt. Dieser lässt auf der inne-

ren Oberfläche im Bodenbereich eine deutlich symmetrische

Ausbildung erkennen (Bild 43b). Die weitere Untersuchung

konzentrierte sich auf den Symmetriepunkt (Pfeil in 43b).

Tatsächlich zeigt die Bruchfläche hier einen normalflächig ver-

laufenden Bruchbereich, in dessen Mitte sich ein Spiegel be-

findet (Bild 43c). Die mikroskopische Untersuchung zeigte,

dass der Bruch an einer Schleifspur initiiert wurde (Bild 43d).

Der leichte Helligkeitskontrast der Spiegelzone gegenüber der

übrigen Bruchfläche begründet sich in der mikroskopischen

Topographie der Bruchfläche. Während ca. 30% der Spiegel -

zone einen transkristallinen Verlauf zeigt, weist die übrige

Bruch fläche fast vollständig interkristallinen Bruchverlauf auf

(Bilder 43e, f). Dieser Unterschied könnte auf das unterkriti-

sche Risswachstum zurückzuführen sein [7].

Bild 42d:

Bruchausgangsstelle (mit Pfeilen bezeichnet) am Bruchstück Nr. 1

Bild 42e:

Die gestrichelte Linie zeigt den Bruchrand an der Bruchausgangsstelle.

Schleifspuren auf der Innenoberfläche (mit Pfeilen bezeichnet)

Bild 43a:

Übersicht der einzelnen Fragmente

Bruchfläche

Innere Kugeloberfläche

1mm

20 µm

KE

RA

MIK

UN

DG

LA

S

Page 40: EMPA Fraktografie

Bild 43c:

Ansicht der Bruchfläche mit Bruchausgangsstelle.

Spiegel (Pfeil)

Bild 43d:

Detail der Bruchausgangszone.

Der Bruch wurde entlang einer Schleifspur initiiert (Pfeile)

Bild 43f:

Interkristalliner Bruchverlauf ausserhalb des Spiegels

Bild 43e:

Teilweise transkristalliner Bruchverlauf in der Spiegelzone

Bild 43b:

Rekonstruierte Kugel nach Ermüdungsbruch.

Ansicht der Bodenzone im Kugelinneren.

Bruchausgangsstelle (Pfeil) liegt beim Symmetriepunkt

5 mm

200 µm

20 µm

2 µm

1µm

Page 41: EMPA Fraktografie

38 39

KE

RA

MIK

UN

DG

LA

S

Page 42: EMPA Fraktografie

[1] Danzer, R.:

Bruch von Struktur- und Funktionskeramiken.

Konferenzband Gefüge und Bruch, Montanuniversität Leoben

(2002)

[2] Rice, R.W.:

Ceramic Fracture Features, Observations, Mechanisms, and

Uses.

P. 5–103 in Fractography of Ceramic and Metal Failures,

ASTM STP 827, Philadelphia Am. Soc. for Testing and

Materials (1984)

[3] Mecholsky Jr., J.J.; Rice, R.W.; Friman, S.W.:

Prediction of Fracture Energyband Flaw Glasses from

Measurements of Mirror Size. J. Am. Ceram. Soc. 57, 10, p.

440–443 (1974)

[4] Kirchner, H.P.; Gruver, R.M.; Sotter, W.A.:

Fracture Stress – Mirror Size Relations for Polycristaline

Ceramics.

Phil Mag 33, 5, p. 775–780 (1976)

[5] Standard Practice for Interpreting Glass Fracture Surface

Features. ASTM C1256-93

[6] Fréchette, V.D.:

Failure Analysis of Brittle Materials. Am. Ceram. Soc. (1990)

[7] ASTM Metals Handbook,

Vol. 11, Analysis of Ceramics (1986)

Literatur

Page 43: EMPA Fraktografie

40 41

ME

TA

LLE

Eine Schadenanalyse besteht gewöhnlich in komplexer

Untersuchungsarbeit. Dabei ist zu berücksichtigen, dass

Schäden meist nicht nur einer Ursache zuzuschreiben sind,

sondern durch das Zusammenwirken mehrerer Faktoren

entstehen. Enden Schäden in einem Bruch, steht im

Mittelpunkt der Untersuchung zweifellos die Frakto graphie,

denn sie liefert Informationen über Bean spruchungs art,

Werkstoffzustand und Umgebungseinflüsse. Daraus lassen

sich dann die Ursachen eines Bruches ableiten.

Es existieren zahlreiche hervorragende Bücher, die sich mit

Schadenanalytik befassen. Ausserdem bietet die Fach -

literatur viele Bruchatlanten, in welchen die typischen

Bruchmerkmale metallischer Werkstoffe abgebildet sind

und ausserdem die Bruchmechanismen beschrieben wer-

den. In der Praxis besteht jedoch oft die Schwierigkeit, die

typischen Merkmale aufzuspüren und sie von den anderen

Begleitmerkmalen zu unterscheiden. Auch die Vorbereitung

der Proben hat einen grossen Einfluss auf die Interpretation

des Bruches. Der Ablauf einer fraktographischen Unter -

suchung und das richtige Vorgehen dabei, begleitet von an-

schaulichen Beispielen, werden in den folgenden Kapiteln

behandelt.

Behandlung der Proben

Das zu untersuchende Bauteil ist schonend zu behandeln,

damit es nicht sekundäre Beschädigungen erleidet. Ins be-

son dere Witterungseinflüsse oder sorglose, unsachgemässe

Be handlung, wie vorzeitiges Reinigen oder wiederholtes Zu -

sam men fügen von Bruch und Gegenbruch, können die Bruch -

merkmale verändern. Ausserdem ist an die Konta mination mit

Schweisssalz durch Fingerabdrücke zu denken, was eine spä-

tere Mikroanalyse verfälschen kann. Ebenso ist Vorsicht beim

Abwischen der Korrosionsprodukte angebracht. Falls für eine

REM-Untersuchung (Rasterelektronen mikro s kopie) der Kor -

rosionsbelag entfernt werden muss, empfiehlt es sich, einen

Teil davon an einer unwichtigen Stelle abzukratzen und für

eventuelle Mikroanalysen aufzubereiten. Eine altbewährte

Reinigungsmethode, die gleichzeitig die Konser vier ung der

Korrosionsprodukte ermöglicht, stellen Abzieh abdrücke dar. Zu

diesem Zweck wird eine Acetatfolie (ca.10 mm x 10 mm) mit

einer Pinzette kurz in Aceton gehalten, bis die Ober fläche auf-

geweicht ist, dann auf die kontaminierte Bruchfläche gelegt

und mit dem Finger leicht angedrückt. Ist die Folie trocken

(nach ca. 2 Minuten), wird sie mit der Pinzette vorsichtig abge-

zogen und mit Doppelklebband auf einen Träger aufgeklebt.

Die darauf haftenden Korrosionsprodukte können gut für die

mikroanalytische Untersuchung genutzt werden. Mehrmaliges

Wiederholen dieses Prozesses führt oft zu einer sehr sauberen

Bruchfläche.

Eine verrostete Bruchfläche lässt sich vorteilhaft mit ca.

5 Gew.-% Ammoniumhydrogenzitrat reinigen. Der Reini -

gungs prozess verläuft schneller und vollständiger im Ultra -

schallbad. Bei stark verrosteten Proben lohnt es sich, die

Probe stundenlang, eventuell über Nacht, in der Lösung liegen

zu lassen. Natürlich ist eine intensiv verrostete Bruchfläche

verändert. Der Korrosionsangriff hat die Feinstruktur oft irre-

EINLEITUNG

100 µm100 µm

Bild 44b:

Eine Stunde in Ammoniumhydrogenzitrat. Anätzungen

Bild 44a:

Halbe Stunde in Ammoniumhydrogenzitrat

Perlit

Martensit

Martensit

Perlit

Martensit

Page 44: EMPA Fraktografie

BEISPIEL: Bruch im Chassis

Ein Lastwagen hatte seine Kippmulde verloren, wodurch ein

grosser Schaden entstanden war. Als Ursache wurde ein

Bruch im Chassis vermutet. Das Chassis war als geschwei ss -

te und verschraubte Struktur aus einem Feinkornbaustahl her-

gestellt worden. Der Bruch erstreckte sich durch mehrere

Profile und war in allen Bereichen stark korrodiert, so dass sich

keine Bruchmarkierungen erkennen liessen. An den vermut -

lichen Bruchausgangsstellen wie Schweissungen und Bo h -

r ungen wurden Proben entnommen und ca. 15 Stunden in ei-

ner 5%igen wässrigen Ammoniumhydrogenzitrat-Lösung im

Ultraschallbad gereinigt. Von Anfang an stand fest, dass der-

artig stark verrostete Bruchflächen nicht mit dem REM unter-

sucht werden. Deshalb konnte der aufgelockerte Rostbelag

von Zeit zu Zeit mit einer Bürste bedenkenlos entfernt werden.

Das Resultat war erstaunlich. Wie Bild 45 erkennen lässt, kam

bei einer Bohrung ein bogenförmig abgegrenzter Ermüdungs -

anriss zum Vorschein, der durch Rastlinien gekennzeichnet

war. Die Restbruchfläche zeigte Chevronmarken, welche auf

die Rissausbreitungsrichtung hindeuten, die mit dem Er -

müdungsanriss übereinstimmt.

Behandlung der Proben

versibel zerstört, so dass derartige Proben, auch wenn sie

nach der Reinigung metallisch blank sind, sich für REM-Unter -

suchung nicht mehr eignen. Gleichwohl kann die vollständige

Reinigung einträglich sein, denn die makroskopischen Mar -

kierungen, wie Rastlinien oder Chevronmarken, bleiben oft

vorhanden.

Ein bei vielen metallischen Werkstoffen wirksamer Reiniger ist

die basische Emulsion Contrad®90. Bei dieser Chemikalie

stellt sich die Frage, ob ausser den Korrosionsprodukten auch

die metallische Substanz angegriffen wird. Um dies zu klären,

wurde je eine metallographisch polierte Probe für eine halbe

bzw. eine Stunde in Ammoniumhydrogenzitrat gelegt sowie für

eine Stunde in Contrad®90. Bei den Proben handelte es sich

um einen niedrig legierten Stahl (100MnCrW4), der ohne

Zusatz mit einem Kohlenstoffstahl (C45) verschweisst worden

war. Die Bilder 44 zeigen die Wirkung der beiden genannten

Reiniger.

Die ursprünglich polierte, nicht geätzte Probe lässt nach einer

halben Stunde Lagerung in Ammoniumhydrogenzitrat das

Mikrogefüge des Martensits gut erkennen. Die perlitische

Struktur ist schwach angeätzt. Nach einstündiger Exposition

sind alle Strukturen stark angeätzt. Im Gegensatz dazu zeigt

der polierte Mikroschliff auch nach einstündiger Lagerung in

Contrad®90 keine Anätzung des Mikrogefüges. Nur die zahl-

reichen nichtmetallischen Einschlüsse werden angegriffen.

Daraus ist zu folgern, dass während kurzer Zeit mit Am mon -

ium hydrogenzitrat durch geführte Reinigungen keinen bedeu-

tenden Einfluss auf Stahlbruchflächen haben. Die Reinigung in

Contrad®90 ist sogar noch schonender, bewirkt sie doch

selbst nach längerer Zeitdauer (bei Stahl nach einer Stunde)

kein Anätzen des Gefüges.

Bild 44c:

Eine Stunde in Contrad®. Das Mikrogefüge ist nicht angeätzt,

lediglich die nichtmetallischen Einschlüsse kommen stark zum Vorschein

Bild 45:

Bruchfläche lässt nach intensiver Reinigung einen Ermüdungsanriss und

Chevronmarken erkennen

100 µm

Bohrung

Bruchausgang

1 cm

Page 45: EMPA Fraktografie

auswertenUntersuchungsergebnisse

Einzeluntersuchungen

Bestandsaufnahme

Schadenbeschreibung

Schadenursachenermitteln

MassnahmenSchadenabhilfe

erarbeiten

Schadenbericht

Untersu

chungsplanzerstörungs- zerstörende

Simulations-über die

Anlagedes Werkstoffs des Bauteils

bedingungenablauf

undPro

benahmefreie Prüfungen Prüfungen

versuche

Info

rmatio

nen

Güteprüfungen FunktionBetriebs-

Schaden-der Anlage

BesonderheitenSchadenbeurteilung Besonderheiten

SchmierstoffresteZustand

konstruktive

makroskopische fertigungstechnischeBeläge, Brandspuren

42 43

Methodik der Untersuchung

Die Schwierigkeit der Methodik zur Ermittlung der Schaden ursache liegt darin, dass das

Vorgehen von Fall zu Fall total unterschiedlich sein kann, und dass ein Erfolg nur bei richtigem

Vorgehen gewährleistet ist. Oft ergeben sich erst während der Untersuchung Fragen, die weitere,

im Voraus nicht geplante Untersuchungen nach sich ziehen.

Notwendige Phasen im Ablauf der Schadenuntersuchung sind in Bild 46 zusammengestellt. In

der Voruntersuchungsphase wird der Schadenbefund erfasst, und Informationen werden über die

beschädigte Komponente, die Gesamtanlage und den Betrieb gesammelt. Weitere Informationen

hinsichtlich Belastungen (mechanisch und korrosiv), Konstruktion, Fertigung und Soll-Werkstoff -

eigen schaften müssen eingeholt werden. Betriebs daten beim Eintritt des Schadens und beson-

dere Vor kommnisse während des Betriebs sind ebenfalls zu eruieren.

Vor der Probenentnahme muss eine umfassende, aussagekräftige Fotodokumentation, vervoll-

ständigt mit Zeichnungen und Skizzen, erstellt werden. Es ist von Vorteil, wenn neben den be-

schädigten Komponenten auch neue oder im gleichen Betrieb eingesetzte, aber noch intakt ge-

bliebene Bauteile in die Untersuchung einbezogen werden.

Bild 46:

Ablauf der Schadenanalyse. Auszug aus

der Richtlinie VDI 3822, Blatt 1 [1]

ME

TA

LLE

Page 46: EMPA Fraktografie

BEISPIEL: Schraubverbindung

Zur Untersuchung gelangte eine Schraubverbindung mit

Gewindegängen auf der Aussen- und Innenoberfläche (Bild

47). Beim Betrachten der Bruchmerkmale fielen die bogenför-

migen Rastlinien auf, die für einen Ermüdungsbruch typisch

sind. Sie sind oft konzentrisch und konkav zur Bruch -

ausgangsstelle angeordnet, und deshalb wurde Stelle 1 als

vermutlicher Bruchausgang für die REM-Untersuchung präpa-

riert. Es zeigten sich feine Waben, typische Merkmale eines

duktilen Gewaltbruches. Wie konnte ein Gewaltriss in einer

verschraubten Verbindung entstehen und zum Ermüdungs -

bruch führen? Erst jetzt wurde die Geometrie der Verbindung

genau angesehen und der Bruchverlauf verstanden: Der

Ermüdungsbruch begann nämlich an Stelle 2, und Stelle 1 ist

der Restbruch. Die Rastlinien sind vom Bruchausgang wegge-

bogen, da der Bruch sowohl aussen als auch innen sich im

Gewindegrund erstreckte und durch die Kerbwirkung entlang

der Oberfläche gegenüber der Wandmitte beschleunigt wur-

de.

Dieses Beispiel führt vor Augen, dass auch eine zutreffende

mikroskopische Bruchbeurteilung zu falschen Schluss folge-

r ungen führen könnte, wenn die Bruchfläche makroskopisch

nicht richtig beurteilt und folglich eine falsche Proben -

entnahme durchgeführt wird.

Makroskopische Untersuchung

Unter einer makroskopischen Untersuchung wird nicht nur die

Begutachtung der Bruchfläche von blossem Auge, mit einer

Lupe oder lichtoptisch mit dem Stereomikroskop (Binokular)

verstanden, sondern auch die REM-Untersuchung mit kleins -

ten Vergrösserungen. Die makroskopische Untersuchung stellt

die Basis für das weitere Vorgehen dar. Nicht selten gibt sie

bereits Aufschluss über die Schadenart. Von grosser Wichtig -

keit ist die Auswahl der Bruchproben. Die Unter such ung darf

sich nie nur mit einem Teil der Bruchfläche zufrieden geben.

Sie muss den gesamten Bruchbereich, wenn möglich beidsei-

tig (d.h. Bruch und Gegenbruch), aber auch die angrenzenden

Oberflächen erfassen.

Die makroskopische Untersuchung soll Aufschluss geben

über folgende Aspekte:

• Bruchform und -verlauf

• Bruchflächenmarkierungen

• Lage der Bruchausgangsstelle

• Beschaffenheit der Oberfläche im

Bruchausgangsbereich

Werden alle diese vier Bruchaspekte sorgfältig beurteilt, ist ei-

ne gute Grundlage für die weitere Vorgehensweise geschaffen.

Dagegen können unvollständige oder voreilige makroskopi-

sche Beurteilungen die richtige Diagnostik erschweren oder

sogar verunmöglichen, wie das folgende Beispiel zeigt.

Während die makroskopische Untersuchung den gesamten

Bruchbereich inkl. angrenzender Materialien abdecken muss,

kann die mikrofraktographische Untersuchung nur an einem

Ausschnitt der Bruchfläche durchgeführt werden. Dies jedoch

unter der Bedingung, dass dafür die relevante Stelle ausge-

schnitten wurde.

Stelle 2

Stelle 1

Methodik der Untersuchung

Makroskopische Untersuchung

Bild 47:

Ansicht der Ermüdungsbruchfläche in einer Schraubverbindung. Von der

Bruchausgangsstelle weggebogene Rastlinien. Stelle 1 Restbruch, Stelle 2

Bruchausgang

Page 47: EMPA Fraktografie

44 45

Bruchform und Verlauf

Bei der Beurteilung des Bruchverlaufes interessiert vor allem

die Lage der Hauptbruchebene in Beziehung zur Bean spru-

ch ungs richtung. Brüche, die senkrecht zur Beanspruchungs -

richtung verlaufen, werden als normalflächig bezeichnet. Diese

Bruchlage ist unter anderem für spröde Trennbrüche und

Ermüdungsbrüche charakteristisch. Liegen die Bruchflächen

dagegen in Richtung der grössten Schubspannungen, wird

von Schub- und Schrägbrüchen gesprochen. Diese Form ist

u.a. bei duktilen Gewaltbrüchen anzutreffen.

Bild 48:

Bruchverlauf in Abhängigkeit der Beanspruchungsart für je

maximale Normal- und Schubspannung [2]

Beanspruchungsart Normalspannung Schubspannung

Richtung der Kraft maximal maximal

Richtung der Bruchverlauf Richtung der Bruchverlauf

Spannung (Trennbruch, Sprödbruch) Spannung (Schub- oder Gleitbruch)

Zug

Druck

Biegung

Torsion

In Bild 48 ist die Zuordnung zwischen der Beanspruchungsart

und dem durch die maximalen Spannungen im gefährdeten

Querschnitt resultierenden Bruchverlauf wiedergegeben. Daraus

geht hervor, dass für das makroskopische Bruchbild neben

Beanspruchungsart und -richtung auch die plastische Ver -

formbarkeit des Werkstoffes von Bedeutung ist. Werkstoffe mit

sehr guter plastischer Verformbarkeit werden als duktil be-

zeichnet, während der spröde Werkstoffzustand durch geringe

plastische Verformung beim Bruch charakterisiert ist. Duktile

Brüche entstehen unter plastischer Verformung infolge Ab -

gleiten entlang den Ebenen der maximalen Schub spann un -

gen. Sprödbrüche erfolgen dagegen verformungsarm durch

Überwinden der Ko häsions kräfte, die den Werkstoff zusam-

menhalten.ME

TA

LLE

Page 48: EMPA Fraktografie

Bruchform und Verlauf

Ob ein Werkstoff duktil oder spröd ist, lässt sich aufgrund ei-

ner vorhandenen Einschnürung bzw. ihres Fehlens alleine nicht

beurteilen. Liegt eine Bruchfläche in einem eingeschnürten

Bereich oder weist sie Scherlippen auf, so handelt es sich

zweifelsfrei um einen duktilen Gewalt- oder Kriechbruch.

Fehlen dagegen makroskopisch beurteilt Einschnürung oder

Scherlippen, so ist die Bezeichnung «spröder Bruch» jedoch

nicht immer angezeigt. Erfolgt nämlich der Bruch innerhalb ei-

nes Bereiches mit dreiachsiger Spannungsverteilung (ebene

Dehnungsverteilung), kann keine plastische Einschnürung ent-

stehen und der Bruch erfolgt ohne visuell sichtbare plastische

Verformung (Bild 49). Diese Situation ist z.B. an scharfkanti-

gen Kerben, bei einer Querpressung oder in dicken Quer -

schnitten anzutreffen. Hingegen ist jeder Bruchvorgang in «ge-

sunden» Metallen von einer plastischen Verformung zumindest

im mikroskopischen Bereich begleitet. So können makrosko-

pisch spröd erscheinende Brüche im mikroskopischen

Bereich Merkmale plastischer Verformung aufweisen.

Bild 49:

Plastische Deformation (schraffierte Bereiche) an der Oberfläche und im Querschnitt eines unter Zugbeanspruchung gebrochenen Materials bei

i) ebenem Spannungszustand und ii) ebenem Dehnungszustand (dreiachsiger Spannungszustand) [3]

B

σ

B

σ

45°

Schnitt B-B

A

A

σ

Schnitt A-A

σ

Die Neigung zu einem duktilen Gewaltbruch bzw. Gleitbruch

wird durch folgende Faktoren begünstigt:

• Zäher Werkstoffzustand

• Ebenener Spannungszustand (entspricht einem

dreiachsigen Dehnungszustand), z.B. glatte

Oberfläche, dünne Wandstärke

• Langsame Belastungsgeschwindigkeit

• Hohe Temperatur

Ein Sprödbruch dagegen entsteht bevorzugt unter folgen-

den Voraussetzungen:

• Spröder Werkstoffzustand

• Mehrachsige Spannungsverteilung (z.B. Kerbwirkung,

dicke Wandstärke)

• Schnelle Beanspruchungsgeschwindigkeit

• Tiefe Temperatur

i) ii)

Page 49: EMPA Fraktografie

46 47

Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Begriffe

Sprödbruch und Sprödigkeit Relativbegriffe sind und in jedem

Fall genauer erklärt werden müssen. Sie charakterisieren

Brüche, die von geringer plastischer Verformung begleitet und

makroskopisch verformungsarm sind. Wird die Dehnung eines

zähen Materials beim Bruch durch mehrachsige Spannungs -

verteilung behindert, so entsteht ein verformungsarmer Bruch,

der aber im mikroskopischen Massstab feine Waben oder

Rosetten aufweisen kann. Diese Brüche sind makroskopisch be-

urteilt spröd, aber mikroskopisch gesehen duktil.

0.2 mm

0.2 mm

Bild 50a:

Intensiver Korrosionsangriff schwächte den Drahtquerschnitt

Bild 50b:

Durch ein Geschoss deformierter und getrennter Draht

Bild 50c:

Schmelzspur in Trennbereich

Es existieren diverse Bruchformen, die sich unbeachtet der

Ebenen der maximalen Hauptspannungen ausgebildet haben

und sich daher keinem Schema zuordnen lassen. In diesen

Fällen deutet die Bruchmorphologie auf die Ursache des

Bruches bzw. der Trennung hin und ergibt zusammen mit der

Vorgeschichte die wahrscheinliche Beurteilung. So lassen

Brüche, die durch starke Korrosion verursacht wurden, den

Korrosionsangriff eindeutig erkennen (Bild 50a). In Bild 50b

ist ein Drahtbruch abgebildet, der durch ein Geschoss stark

verformt und getrennt wurde. Der Bruchbereich des in Bild

50c wiedergegebenen Drahtes lässt Aufschmelzungen erken-

nen. Derartige Schmelzspuren können durch Blitzschlag oder

elektrischen Kurzschluss verursacht werden.

0.2 mm

ME

TA

LLE

Page 50: EMPA Fraktografie

BEISPIEL: Drahtbrüche

Bild 51 zeigt die Bruchfläche eines patentierten und kalt nach-

gezogenen Drahtes, wie er in Tragseilen zur Anwendung

kommt. Der Bruch entstand durch einachsige Zugbean -

spruchung. Der Bruchbereich ist symmetrisch eingeschnürt,

die Randzone der Bruchfläche zeigt schräg verlaufende

Scherlippen und der mittlere Bruchbereich ist normalflächig

orientiert. Die Scherlippen entsprechen der Zone, in welcher

die zweiachsige Spannungsverteilung vorlag, so dass ein

Fliessen stattfinden konnte. Dieser Bruch wird als Trichter -

bruch bezeichnet. Die Oberfläche im Bruchbereich lässt so

genannte Orangenhaut erkennen, die auf intensive Ab -

gleitungen im Material zurückzuführen ist.

Wird dieser Draht während des Zugversuches an zwei ge-

genüberliegenden Stellen mit anderen Drähten quergepresst,

entsteht eine Bruchform, wie sie in Bild 52 wiedergegeben ist.

Der Drahtbruch erfolgt in der Ebene der maximalen Schub -

spannung ohne sichtbare plastische Verformung, denn das

Fliessen wird durch den dreiachsigen Spannungszustand ver-

hindert. Obwohl keine Einschnürung wahrzunehmen ist, han-

delt es sich aber nicht um einen Sprödbruch, sondern um ei-

nen duktilen Bruch mit Wabenstruktur im Mikrobereich. Die

Oberfläche im Bruchbereich lässt ausser den Druckspuren kei-

ne Verformungsmerkmale erkennen.

In Bild 53 ist ein Torsionsbruch des gleichen Drahtes wieder-

gegeben. Die makroskopische Lage des Bruches entspricht

den maximalen Normalspannungen (vergleiche Bild 48).

Bild 51:

Trichterbruch mit deutlich ausgebildeten Scherlippen.

Einachsige Zugbeanspruchung

Bild 53:

Torsionsbruch

Bild 52:

Scherbruch ohne Einschnürung.

Zugbeanspruchung mit Querpressung

0.3 mm

0.7 mm

0.3 mm

Page 51: EMPA Fraktografie

Bild 54b:

Kerbschlagproben bei –20°C gebrochen

48 49

BEISPIEL: Auslegearm von Kran

Im Januar, bei Temperaturen von –20°C, brach ein Träger des

Auslegearms an einem Kran während des Last transportes.

Der Träger bestand aus Baustahl St 37-1. Der Bruch zeigte

sich kristallin glänzend und der Bruch bereich verformungslos.

Bei Überprüfung der Kerbschlag zähigkeit stellte sich heraus,

dass das vorliegende Material unterhalb seiner Übergangs -

temperatur belastet worden war.

Die Bilder 54 zeigen zwei Bruchflächen an Kerbschlag proben,

wie sie für die Bestimmung der Übergangstemperatur in Stahl

eingesetzt werden. Die Bruchfläche von Bild 54a, die bei

Raumtemperatur entstanden ist, lässt deutlich eine plastische

Verformung im Bruchbereich erkennen. Dafür sind die

Bild 54a:

Kerbschlagproben bei Raumtemperatur gebrochen

Scherlippen und die Einschnürung charakteristisch. Dieser

Bruch zeigt auch mikroskopisch untersucht in allen Bereichen

feine Waben. Die Kerbschlagarbeit betrug 27 J. Der bei –20°C

entstandene Bruch weist dagegen weder eine merkliche

Einschnürung noch Scherlippen auf (Bild 54b). Makro-

sko p isch verläuft der Bruch normalflächig und mikroskopisch

findet sich ein transkristalliner Spaltbruch. Diese Merkmale

kennzeichnen einen Sprödbruch. Die Kerbschlagarbeit betrug

bei der Probe lediglich 7 J. Trotzdem liegen in den Ober flä chen -

randzonen schmale Scherlippen vor, die weniger als 1 mm breit

und nur mikroskopisch feststellbar sind. Diese Struktur ist

durch die sehr schmale Zone mit dreiachsiger Dehnungs -

verteilung an der glatten Oberfläche verursacht worden.

ME

TA

LLE

Page 52: EMPA Fraktografie

Bruchflächenm

arkierung

Gew

altbrüche

Diese im Allgemeinen durch feine Stufen verursachten

Markierungen dürfen nicht mit einer faserigen Bruchstruktur

verwechselt werden (Bild 56), denn Letztere wird einzig durch

eine zeilige Gefügeausbildung verursacht. Sie entsteht z.B. bei

stark kalt verformten oder geseigerten Werkstoffen sowie ent-

lang den zeilenförmigen Anhäufungen von Karbiden oder

nichtmetallischen Einschlüssen.

Beim Beurteilen von Bruchmarkierungen ist die Richtung des

Lichteinfalls massgebend für das Bruchbild. In den Bildern 57a

und 57b ist jeweils dieselbe Bruchfläche zu sehen, obwohl die

dargestellte Topographie sehr unterschiedlich ist. Während dif-

fuses Licht keine Details der Topographie erkennen lässt,

kommen mit schräger Beleuchtung deutlich stufenartige

Markierungen zum Vorschein, welche die Bruchausgangsstelle

und Rissausbreitungsrichtung kennzeichnen.

5 mm

Bruchflächenmarkierungen

Während der Rissentstehung und Rissausbreitung bilden sich

auf den Bruchflächen topographische Markierungen, die als

wichtiges Hilfsmittel für das Beurteilen von Bruchart und

Bruch ausgangsstelle genutzt werden. Aufgrund dieser Mar-

k ierungen ist eine preliminäre Unterscheidung zwischen einem

Gewaltbruch und einem Ermüdungsbruch möglich.

Gewaltbrüche entstehen durch einsinnige mechanische Über-

lastung unter rascher bis schlagartiger Beanspruchung.

Kennzeichnend für Gewaltbrüche sind Rissausbreitungslinien

(auch Fliesslinien genannt), Chevronlinien und bei runden

Quer schnitten radiale Stufen. In Bild 55 sind deutlich ausgebil-

dete Chevronlinien zu sehen, welche die Rissaus brei t ungs -

richtung erkennen lassen.

Bild 55:

Makroskopisch erkennbare Markierung einer Gewaltbruchfläche in Form

von Chevronlinien. Rissausbreitungsrichtung siehe Pfeil

Bild 56:

Faserige Bruchstruktur, verursacht durch zeilenförmige Anordnung von

Sulfiden (Automatenstahl)

1 mm

1 mm

Bild 57a:

Schraubenbruch. Aufnahme mit schräg einfallendem Licht

Bild 57b:

Dieselbe Bruchfläche wie in Bild 57a, aufgenommen mit diffusem Licht

1 mm

Page 53: EMPA Fraktografie

50 51

Ermüdungsbrüche – auch Dauer- oder Schwingbrüche ge-

nannt – entstehen unter wechselhafter oder schwellender

Bean spruchung, die unterhalb der Fliessgrenze des Materials

liegt. Nach einer Inkubationszeit bilden sich mehrere Mikro -

risse, die später zu einer Rissfront zusammenwachsen. Ein

Ermüdungsriss breitet sich also allmählich in die Tiefe des

Querschnittes aus, bis der verbleibende Restquerschnitt die

angelegte Spannung nicht mehr erträgt und durch einen

Gewaltbruch versagt. Die derart entstandene Bruchzone wird

Bild 58a:

Ermüdungsbruch einer Welle. Bruchausgangsstelle oben im Bild. Kleine

Nennspannung

Bild 58b:

Labor-Ermüdungsbruch eines Flugzeug-Hauptholmes. Die breiten

Rastlinien links im Bild deuten auf eine LCF-(Low Cycle Fatigue)-

Rissausbreitung hin

Bild 58d:

Ermüdungsbruch eines Bolzens. Restbruch oben. Gradlinig verlaufende

Rastlinien kennzeichnen eine einseitige Biegung

Restbruch genannt, der in den meisten Fällen als Scherbruch

erfolgt. Ein Ermüdungsbruch verläuft normalerweise senkrecht

zur Richtung der grössten Zug-Normalspannung und damit in

einfachen Bauteilen und gängigen Belastungen (Zug- oder

Torsionskräfte) meist senkrecht zur Bauteiloberfläche. Diese

normalflächige Bruchzone, die als Stadium II der Riss aus -

breitung bezeichnet wird, ist oft durch so genannte Rastlinien

gekennzeichnet.

Bild 58c:

Flächenmässig grosser Ermüdungsbruch einer Lenkstange.

Bruchausgangsstelle unten im Bild. Die Krümmung der Rastlinien ist

typisch für eine umlaufende Biegung

3 cm

6 mm

ME

TA

LLE

Page 54: EMPA Fraktografie

Bruchflächenm

arkierungen

Ermüdungsbrüche

Rastlinien entstehen nicht nur, wenn der Bruch während einer

Betriebspause rastet, sondern auch bei jeder sprunghaften

Änderung der Rissausbreitungsgeschwindigkeit. Dies ist der

Fall bei Wechsel der Lastrichtung oder der Spannungshöhen.

Rastlinien sind Markierungen der jeweiligen Position der

Rissfront.

Sind Belastungsspektrum und Rissausbreitungs geschwindig -

keit in Abhängigkeit von der Schwingbreite des Spannungs -

intensitätsfaktors in einem Bauteil bekannt, kann eventuell mit

Hilfe einer Auszählung der Rastlinien das Alter der Bruchfläche

bestimmt werden. Diese Methode wird z.B. bei Turbinen prak-

tiziert. Das Bestimmen des Rissalters ist jedoch unmöglich,

wenn die erwähnten Daten in einem Schadenfall unbekannt

sind. Selbst wenn es gelänge, stellenweise bestimmte Aus -

schnitte des Belastungsspektrums der Bruchfläche zuzuord-

nen, bliebe noch die Unsicherheit der Länge der Riss initiierungs -

phase und des Wachstums der Mikrorisse be stehen.

Bild 59:

Grundformen von Ermüdungsbrüchen bei rundem Querschnitt

Rastlinien sind in Bauteilen mit glatter Oberfläche konzentrisch

um die Bruchausgangsstelle angeordnet und mit zunehmen-

der Entfernung nimmt deren Dichte ab, d.h. die Abstände zwi-

schen den Rastlinien werden grösser. Auch die Rauheit der

Ermüdungsbruchfläche nimmt mit zunehmender Risstiefe zu.

Die Krümmung der Rastlinien gibt nicht nur einen Hinweis auf

die Bruchausgangsstelle, sondern bei geometrisch einfachen

Querschnitten auch auf die Beanspruchungsart. So sind z.B.

im runden Querschnitt die Rastlinien bei Zug- oder Umlauf -

biegebeanspruchung weitgehend rund ausgebildet, während

bei einseitiger Biegebeanspruchung sich die Rastlinien mit zu-

nehmender Risstiefe strecken (Bild 58d). Grundformen von

Ermüdungsbrüchen bei einem runden Bauteilquerschnitt, wel-

che unter den elementaren Belastungen bei glatten und ge-

kerbten Oberflächen entstehen, sind in Bild 59 wiedergege-

ben.

Hohe Nennspannung Niedrige Nennspannung

lokaler Kerb umlauf. Rundkerb umlauf. Spitzkerb lokaler Kerb umlauf. Rundkerb umlauf. Spitzkerb

Zug

(Zug-Druck)

einseitige

Biegung

doppelseitige

Biegung

umlaufende

Biegung

Torsion Grundform

Page 55: EMPA Fraktografie

Rastlinien sind ein wichtiger, aber nicht notwendiger Hinweis

auf einen Ermüdungsbruch. Sie sind in der Regel nur von blos-

sem Auge oder lichtoptisch wahrnehmbar, im REM dagegen

meistens nicht nachzuweisen. Die Rastlinie ist das Abbild der

jeweiligen Rissfront. Sie ist nur aufgrund von Lichtstreuung an

einer regelmässig geformten Stufe sichtbar. In zahlreichen

Gusslegierungen breiten sich Ermüdungsbrüche ohne Bildung

von Rastlinien aus. Dies lässt sich bei solchen mit inhomoge-

ner Struktur und gröberen Ausscheidungen mit dem Über-

brückungs-Effekt (Bridging) erklären. Nach der Rissinitiierung

kommt es vor der Rissspitze im Ligament an Graphitlamellen

oder gröberen Ausscheidungen zur mikroskopischen Riss -

ausbreitung in diverse Richtungen. So schliesst der heran-

wachsende Ermüdungsriss die vorhandenen kurzen Risse, die

im Ligament entstanden sind, in seinen Pfad ein. Diese Riss -

ausbreitung ergibt stets eine mikroskopisch unregelmässige

Bruchfront, und daher sind keine geometrischen Rastlinien auf

der Bruchfläche sichtbar. Die Bruchflächen in Guss legierun-

g en sind prinzipiell immer rauer als in Knet leg ierungen und

um ge form ten Strukturen. Eine sichere Beurteilung eines

Er müdungs bruches ist nur mit dem REM möglich. Durch Riss -

schliessungseffekte, insbesondere bei Wechsel bean spru -

ch ungen mit Zug-/Druckkomponente oder bei sekundärer

Beschädigung der Bruchfläche, sind die ursprünglich vorhan-

denen Rastlinien oft zerrieben oder gehämmert und somit

nicht auswertbar. Rastlinien sollten nicht mit Reibspuren ver-

wechselt werden, die oft bei nachträglichen Verletzungen der

Bruchflächen entstehen.

52 53

Aus dem flächenmässigen Verhältnis des normalflächigen

Ermüdungsanrisses zum Restbruch lässt sich die relative

Höhe der Nennspannung abschätzen. So deuten ein kleiner

Ermüdungsanriss und ein grosser Restbruch auf eine relativ

hohe Nennspannung hin, während ein ausgedehnter Er -

müdungsanriss und eine geringe Restbruchfläche für eine

niedrige Nennspannung typisch sind (z.B. Bild 58a). Diese

Befunde sind wichtig, um über das weitere Vorgehen in der

Schadenanalyse zu entscheiden. Im ersten Fall werden die

Belastung und die mechanischen Werte des Materials als

Erstes überprüft, während sich im zweiten Fall die Unter -

suchung zunächst auf die Oberflächenqualität konzentriert.

Die Form bzw. Krümmung der Rastlinien ist vom Spannungs -

zustand der Oberfläche abhängig. Im Bereich einer scharfen

Vorkerbung breitet sich der Bruch in oberflächennahen Zonen

schneller aus als im Materialinneren, was sich auf die Art der

Krümmung auswirkt. Steht die Oberfläche unter Druckeigen -

spannung, wird das Risswachstum retardiert und die Rast -

linien krümmen sich entsprechend der Spannung (Bild 60).

Bild 60:

Bruch eines Rotorblattes. Retardiertes Ermüdungsrisswachstum entlang

der Bohrung infolge Druckspannungen (siehe Krümmung der Rastlinien

entlang der Oberfläche)

Primäre Bruchfläche

5 mm

ME

TA

LLE

Page 56: EMPA Fraktografie

BEISPIEL: Bolzenbruch

In der Schadenanalytik sind oft Brüche zu untersuchen, die

unerwartet an Stellen eingetreten sind, an denen keine oder

nur eine sehr geringe Beanspruchung erwartet wurde. Es stellt

sich dann die Frage nach der Beanspruchungsart und der den

vorzeitigen Bruch einleitenden Ursache. Bild 58d zeigt die

Ermüdungsbruchfläche eines unerwartet früh gebrochenen

Bolzens. Tatsächlich ist der flächenmässige Anteil des

Ermüdungsanrisses gross im Vergleich zum kleinen Rest -

bruch, was auf eine sehr niedrige Nennspannung hindeutet.

Die Form der Rastlinien, die sich nach anfänglicher Krümmung

gestreckt haben und fast überall lineare Form aufweisen, ist für

eine Biegebeanspruchung charakteristisch. Der Kunde konnte

das System überprüfen und tatsächlich eine Biege kompo -

nente eruieren. Es stellt sich die Frage, warum überhaupt in

diesem Fall ein Ermüdungsriss entstehen konnte. Welche

Umstände hatten die frühe Rissentstehung auf dem tiefen

Bild 61a:

Durch zahlreiche Stufen gekennzeichneter Bruchausgangsbereich ist

typisch für mehrere initiale Mikrorisse

Bild 61b:

Längsschliff durch Bruchausgangsbereich. Von zahlreichen Rissen durch-

setzte Ni-P-Schicht

200 µm 20 µm

Spannungsniveau verursacht? Der Bruchausgangsbereich

liess bei genauer Betrachtung feine Stufen erkennen, die für

zahlreiche initiale Mikrorisse typisch sind (Bild 61a). Die weite-

re metallographische Untersuchung erbrachte, dass der

Bolzen mit einer Ni-P-Schicht als Korrosionsschutz versehen

war. Diese Schicht erwies sich allerdings als Schwachstelle bei

der mechanischen Beanspruchung des Bauteils. Wie Bild 61b

verdeutlicht, weist die Schicht zahlreiche Risse auf, die sich

zum Teil im Grundwerkstoff fortgesetzt haben und nach

Erreichen einer Tiefe von ca. 0.2 mm zu einer Rissfront zusam-

mengewachsen sind. Bekanntlich ist der Eigenspannungs zu -

stand stromlos abgeschiedener Ni-P-Schichten vom P-Gehalt

abhängig. In vorliegendem Fall wurden ca. 9% P detektiert. Es

lagen demnach in der Schicht Zugeigen spannungen vor, wel-

che die Rissbildung bei überlagerten Betriebs bean spru chun -

gen stark fördern.

Page 57: EMPA Fraktografie

Entstehen durch den Bruch mehrere Stücke, wie das bei sprö-

den Werkstoffen der Fall ist, sollte die Bruchausbreitung ver-

folgt und dadurch der Bruchausgangsort eruiert werden. Es ist

ähnlich wie bei keramischen Materialien und Glas vorzugehen.

Nach der Rekonstruktion des Bauteils wird das Rissmuster

beurteilt und aus Rissgabelung und Risssymme trie die

Bruchausgangsstelle bestimmt (Bild 62a). Die Mar kierungen

auf den Bruchflächen müssen mit der aus dem Rissbild abge-

leiteten Rissausbreitungsrichtung übereinstimmen (Bild 62b).

Des Weiteren wird die Übereinstimmung der Mikro- und

Makrotopographie überprüft (z.B. Orientierung der Waben -

struktur, Bilder 68 bis 71, Seiten 59 – 62).

Bild 62b:

Ausgeprägtes Chevronmuster erlaubt, die Rissausbreitungsrichtung zu

bestimmen (von rechts nach links)

5 mm

2

1

56

73

4

54 55

Lage der Bruchausgangsstelle

Bruchausgang an der Oberfläche

Bei allen Brüchen interessiert immer die Frage nach der

Bruchausgangsstelle. Mit wenigen Ausnahmen befinden sich

die Bruchausgänge jeweils an der Oberfläche, da dort die

höchsten Dehnungen vorliegen.

Bei Gewaltbrüchen helfen die Bruchmarkierungen, die

Bruchausgangsstelle zu lokalisieren. Weil die auf Zug-, Druck-

oder Torsionsbelastung zurückzuführenden duktilen Gewalt -

brüche im ganzen Volumen des Bruchbereiches gleichzeitig

entstehen, muss es nicht einen punktuellen Bruchausgang

geben. War aber die Oberfläche an einem Ort beschädigt, z.B.

durch eine Korrosionsnarbe, kann ein singulärer Bruch aus -

gang gefunden werden. Anders stellt sich die Situation bei

Biegebeanspruchung dar. Hier ist es möglich, aufgrund der

Bruchausbreitungslinien auf die Zugseite der Beanspruchung

zu schliessen und somit den Bruchausgangsbereich zu be-

stimmen. Ergänzend sollten auch die Drucklippen auf der ge-

genüberliegenden Seite gefunden werden.

Ist die vermutliche Bruchausgangszone stufenartig ausgebil-

det (Bild 61a), so ging der Bruch von zahlreichen äquivalen-

ten, benachbarten Stellen aus. Dies ist z.B. anzutreffen bei

Korrosionsnarben, scharfen Bearbeitungsriefen oder Span -

nungs risskorrosion.

Bild 62a:

In mehrere Stücke zerfallener Zylinder nach Rekonstruktion.

Bruchausgangsstelle: roter Pfeil

Bild 63:

Ermüdungsbruch mit wechselhafter Grösse der Schwingbreite des

Intensitätsfaktors ΔKI. Unregelmässig verteilte Rauheit auf der Bruchfläche

LCF

HCF

LCF

HCF

2.5 mm

ME

TA

LLE

Page 58: EMPA Fraktografie

Lage der Bruchausgangsstelle

Da sich Brüche mit zunehmender Tiefe rascher fortpflanzen,

nimmt die Rauheit der Bruchflächen zu und bei Ermüdungs -

brüchen auch der Abstand der Rastlinien (bei gleich bleiben-

der Beanspruchung). Die Veränderung der Rauheit ist somit ei-

ne wichtige Hilfe für das Bestimmen der Bruchausgangs stelle,

jedoch nur an Bauteilen/Proben aus homogenem Werkstoff,

die einer konstanten Beanspruchung unterworfen sind. Steigt

die Schwingbreite des Intensitätsfaktors stark an während der

Beanspruchung und sinkt wieder ab, kommt es zu einer

Beschleunigung mit anschliessender Verlangsamung des

Risswachstums (Bild 63). Auf der Bruchfläche bildet sich zu-

erst ein relativ glatter Bereich, der dem initialen HCF-Bereich

entspricht (High Cycle Fatigue). Auf höherem Spannungs -

niveau breitet sich der Ermüdungsanriss im LCF-Modus aus

(Low Cycle Fatigue), und es entsteht eine relativ grobe, raue

Bruchzone. Anschliessend bildet sich wieder eine glatte

Bruchfläche im HCF-Modus, der kurz vor dem Restbruch

nochmals in LCF übergeht.

Bruchausgang unterhalb der Oberfläche

Der Bruch kann seinen Ausgang unterhalb der Oberfläche ha-

ben, wenn die Spannung dort höher ist als an der Oberfläche.

Einerseits können Fehlstellen in Form von Einschlüssen, Poren

oder Rissen zu Spannungsüberhöhung gegenüber der

Oberfläche führen. Andererseits gibt es Belastungen, die auf-

grund von mechanischen Gesetzmässigkeiten das Maximum

unterhalb der Oberfläche bilden. Zum Beispiel entsteht bei ei-

ner auf Druck beanspruchten Oberfläche das Maximum der

Schubspannung unterhalb der Oberfläche, dessen Tiefenlage

von der Höhe der Normalkraft und der Geometrie der

Bauteilpartner abhängt. Werden zusätzliche Tangentialkräfte

überlagert, verschiebt sich die Tiefe der höchsten Bean -

spruchung in Richtung Oberfläche. Unterhalb der Oberfläche

entstehen Risse, wenn die Beanspruchung so weit erhöht

wird, dass im Mikrobereich plastische Verformungen auftreten,

die das Formänderungsvermögen des Werkstoffes über-

schreiten. So entstehen auf den Zahnflanken eines Zahnrades,

in Kugellagerkugeln oder Lagerzylindern flache muschelförmi-

ge Ausbrüche, von denen sich normalflächige Brüche quer

durch den Querschnitt ausbreiten (Bild 64a).

Auch in runden Querschnitten und in Bauteilen oder Proben

mit glatter Oberfläche kann ein Ermüdungsbruch infolge

Zugschwellbelastung unterhalb der Oberfläche liegen. In Bild

64b ist die Bruchfläche einer Welle wiedergegeben, die einer

Zugschwellbelastung ausgesetzt war. Der Bruch begann bei

einem unterhalb der Oberfläche liegenden Einschluss, der eine

lokale Spannungsüberhöhung verursacht hatte.

Bild 64a:

Ermüdungsbruch eines Zahnrades. Bruchausgangsstelle unterhalb der

Oberfläche einer Zahnflanke (siehe Pfeil)

Bild 64b:

Durch zugschwellende Belastung gebrochene Welle. Bruchausgangsstelle

bei einem nichtmetallischen Einschluss (siehe Pfeil)

Weitere Brucharten, bei denen die Bruchausgangsstelle auch

unterhalb der Oberfläche liegt, sind Kriechbrüche. Diese

Brüche entstehen in duktilen metallischen Werkstoffen, oft bei

erhöhter Temperatur, nach Erreichen der Standzeitgrenze

(Bilder 92 und 93, Seiten 82 und 83).

0.05 mm

3 mm

Page 59: EMPA Fraktografie

BEISPIEL: Lasche von Seilbahnkabine

Nach 15-jährigem Betrieb wurden an einigen Laschen, die als

Verbindung zwischen den Seilbahnkabinen und der

Aufhängung angebracht waren, Risse entdeckt. Diese befan-

den sich am Übergang vom Winkelteil zur flachen Lasche. Die

Laschen waren aus St 37-2 hergestellt und gegen Korrosion

mit einer Cadmium- und Lackschicht geschützt worden. Es fiel

auf, dass die Rissbereiche, wie in Bild 65a ersichtlich, immer

in metallisch blanken Zonen zu liegen kamen, d.h. die Cad -

mium- und Lackschicht waren hier entfernt worden. Die aufge-

brochenen Risse zeigen die für eine Ermüdungs- bzw.

Wechselbiegebeanspruchung typischen Rastlinien. Um die

Ursache der Rissinitiierung zu eruieren, wurde der Bruch -

ausgangsbereich beurteilt. Dabei kam deutlich zum Vorschein,

dass der Bruchausgangsort und auch der Bruchpfad in den

Kratz- bzw. Schleifspuren liegen (Bild 65b). Es ist anzuneh-

men, dass die lokal sichtbare metallisch blanke Oberfläche

durch Abkratzen oder Wegschleifen der Schutz schichten ent-

standen war und dabei scharfkantige Kratz spuren die Ober -

fläche verletzten. In diesen scharfen Kerben wurden die Er -

müdungsrisse eingeleitet und breiteten sich auch in diesen

aus. Korrosive Einflüsse begünstigten den Rissprozess.

Bild 65b:

Bruchausgang bei einer Schar von Kratzern56 57

Beschaffenheit der Oberfläche im

Bruchausgangsbereich

Die Untersuchung der Oberflächenbeschaffenheit im Bereich

der Bruchausgangsstelle stellt einen wichtigen Teil der Frakto -

graphie dar; doch leider wird sie oft unterlassen. Ob ein einzi-

ger Bruchausgang an der Oberfläche vorliegt oder zahlreiche

Bruchausgänge, die Beschaffenheit der Oberfläche muss cha-

rakterisiert werden, damit wertvolle Informationen nicht verlo-

ren gehen. Eine eingehende Untersuchung erleichtert auch die

anschliessende metallographische Zielpräparation. Von gros-

sem Nutzen ist ebenfalls ein Vergleich der Oberfläche im

Bruchausgangsbereich mit der intakten Oberfläche ausser-

halb des besagten Bereiches. Makroskopisch feststellbar

sind: bruchbegünstigende mechanische Verletzungen, z.B.

Schlag-, Druck-, und Reibspuren, korrosive Angriffe in Form

von Rissen oder Grübchen, thermische Einflüsse infolge von

Blitzschlag, Schweissen (Zündstelle der Elektrode), Thermo -

schock, Schleifen oder Funkerosion, grobe Bearbeitungs -

riefen, Schmiede- und Walzfehler sowie andere bei der Form -

gebung entstandene Oberflächenfehler.

Je kerbempfindlicher das Material ist, desto wichtiger erweist

sich die Oberflächenbeschaffenheit. Während feine Riefen in

duktilen Materialien den Bruch unter statischer Belastung

nicht begünstigen, können sie in kerbempfindlichen Werk -

stoffen sowohl unter statischer als auch dynamischer Belas-

t ung eine vorzeitige Risseinleitung bewirken.

Die makroskopische Beurteilung der Oberflächenbe schaffen -

heit im Bruchausgangsbereich ist vorteilhafterweise mit einer

REM-Untersuchung zu vervollständigen. Dabei ist auf die rich-

tige Betrachtungsrichtung zu achten. Der Zeitaufwand für

Drehen und Kippen der Probe lohnt sich insofern, als oftmals

erst unter einem bestimmten Betrachtungswinkel die Merk -

male zum Vorschein kommen, die wichtige und wertvolle

Information liefern. Bild 65a:

Ansicht der Aufhängelasche. Der Riss liegt in dem Bereich, wo die

Cadmium- und Lackschicht entfernt wurden

1 cm

1 mm

ME

TA

LLE

Page 60: EMPA Fraktografie

Beschaffenheit der Oberfläche im

Bruchausgangsbereich

BEISPIEL: Turbinenschaufel

An einer Schaufel einer Flugzeugturbine lag ein Ermüdungs bruch vor. Um festzustellen, was den

Bruch eingeleitet hatte, wurde der Bruchausgangsbereich untersucht. Es konnte eine Verletzung

durch einen Aufschlag direkt neben der Bruch ausgangsstelle festgestellt werden (Bild 66a). Da

die übrige Schaufeloberfläche zahlreiche gleichartige Schlag stell en aufwies, lag die Vermutung

nahe, dass der Schlag – wie in Bild 66b wiedergegeben – erst nach dem Schaufelbruch entstan-

den war. Durch Drehen der Probe im REM wurde ein günstiger Blickwinkel geschaffen, der deut-

lich den Verlauf der Bruch kante, weitgehend innerhalb einer scharfen Reibspur der Schlagstelle,

erkennen liess (Bild 66c). Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Anschlagstelle erst nach dem Bruch

entstanden war und die Reibung mikroskopisch genau parallel zur Bruch kante erfolgte, ist äus-

serst gering. Sehr gross hingegen ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Einschlag mit scharfen

Reib spuren an der Eintrittskante einen HCF-Ermüdungsanriss initiieren konnte. Es ist folglich da-

von auszugehen, dass diese Kerbwirkung den Bruch der Schaufel eingeleitet hatte und als

Ursache für den Ermüdungsbruch der Schaufel anzusehen ist.

Bild 66a:

Oberfläche mit zahlreichen Schlagspuren. Mit Pfeil bezeichnete

Bruchausgangsstelle

Bild 66b:

Ansicht der Bruchausgangsstelle. Ungünstiger Blickwinkel

Bild 66c:

Günstiger Blickwinkel zeigt den Zusammenhang der Bruchkante mit den

Reibspuren der Einschlagstelle

200 µm 1 mm

5 mm

Page 61: EMPA Fraktografie

1 mm

58 59

BEISPIEL: Spannkabel

Spannkabel, die in einem Viadukt zur Anwendung kommen, wurden einem Ermüdungstest mit anschliessender

statischer Prüfung auf Restfestigkeit unterworfen. Das Spannkabel besteht aus 37 Litzen, die je aus sieben verzink-

ten Drähten vom Durchmesser 5 mm geflochten sind. Nach 2 x 106 Last wechseln waren zehn Drahtbrüche aufge-

treten. Da diese Anzahl Brüche die von der Spezifikation zugelassene Menge überstieg, musste die Ursache abge-

klärt werden. Alle Draht brüche wiesen eine vergleichbare Topographie auf. Die Bruch ausgänge lagen jeweils bei

einer kegelförmigen Fehlstelle, die in Bild 67a mit einem Pfeil bezeichnet ist. Bei Betrachten der Drahtoberfläche im

Bruchausgangs bereich liessen sich zahlreiche V-förmige Risse feststellen, die auf einer Mantellinie angeordnet sind

(Bild 67b). Derartige Risse charakterisieren einen Ziehfehler. Dieser Befund hat sich auch metallographisch anhand

eines Längsschliffs durch die Risse bestätigt: Die Risse verlaufen schräg ins Drahtinnere und sind mit Zink gefüllt.

Demnach waren sie während des Drahtziehens, vor der Verzinkung, entstanden.

Bild 67b:

Oberfläche mit Ziehfehler in Form von V-förmigen Rissen (siehe Pfeile). BA

= Bruchausgangsstelle

Bild 67a:

Ermüdungsbruch eines Drahtes, von einer Fehlstelle ausgehend

(siehe Pfeil)

BA

2 mm

ME

TA

LLE

Page 62: EMPA Fraktografie

Mikroskopische Bruchtopographie

Gew

altbrüche

Mikroskopische Bruchtopographie

Gewaltbrüche

Duktile Metalle zeigen bei Verformung und Zug- oder

Schubbelastung nicht nur makroskopisch, sondern auch im

Mikrobereich Formen von Einschnürungen. Diese entstehen

durch lokales Einschnüren (Fliessen) zwischen Einschlüss en/

Ausscheidungen und der Matrix sowie an Poren und Mikro -

lunkern und legen nach ihrem Bruch eine Wabenstruktur offen

(Bilder 68). Während der plastischen Verformung bilden sich

an der Grenze zwischen den Partikeln einer zweiten Phase

und der Matrix durch deren unterschiedliche elastoplastische

Eigenschaften Mikrorisse, die sich bei Dehnen der Probe er-

weitern. Zwischen den Hohlräumen schnürt sich die Matrix im

Bereich der späteren Bruchfläche ein und es entsteht eine

Wabenstruktur. Innerhalb der Waben finden sich oft die

Partikel einer Phase wieder, welche die Bildung der Mikro -

hohlräume verursachen. Dies ist in Bild 68a anhand eines

Schliffes (unten im Bild) durch die Wabenstruktur (oben im Bild)

zu erkennen.

Bild 68b:

Die angelegte Spannung bestimmt die Orientierung der Waben

Bild 68a:

Die Hohlräume (Waben) bilden sich um Ausscheidungen oder Einschlüsse

unter Wirkung von Zugspannungen

Bild 68c:

Gerade Waben

4 µm

5 mm

Page 63: EMPA Fraktografie

10 µm10 µm

60 61

Die Duktilität eines Werkstoffes lässt sich an der Tiefe der

Waben messen. Ausserdem gibt deren Struktur Auskunft über

das Werkstoffgefüge. In einem sehr gut plastisch verformbaren

Werkstoff verbinden sich vor Eintreten des Bruches viele

Hohlräume mit ihren benachbarten zu grösseren Hohlräumen.

Dementsprechend sind die auf der Bruchfläche sichtbaren

Waben sehr gross (Bild 69a). Dagegen zeigt Bild 69b feine,

flache Waben, wie sie z.B. in kalt verformtem Stahl oder Al-

Knetlegierungen entstehen. Ein Bruch in Längsrichtung eines

Automatenstahls legt zahlreiche sulfidische Einschlüsse frei

und die Waben sind längs gestreckt. Makroskopisch zeigt die-

ser Bruch ein faseriges, holziges Aussehen (Bild 69c).

Bild 69c:

Faseriges Bruchaussehen infolge längsgezogener Waben. Zahlreiche sulfi-

dische Einschlüsse

Bild 69b:

Flache, feine Waben in kalt verformtem Material

Bild 69a:

Grosse, tiefe Waben in Reinkupfer mit Gleitspuren an der Wand

10 µm

ME

TA

LLE

Page 64: EMPA Fraktografie

Aus der Orientierung der Waben lässt sich die Belastungsart ablesen, die zum Bruch führte.

Zugkräfte verursachen aufrechte, in Kraftrichtung orientierte Waben auf denjenigen Bruchflächen,

die makroskopisch senkrecht zur Kraft wirkungs linie verlaufen (Bilder 68). Durch ungleichmässig

verteilte Zugbeanspruchung entstandene Gewaltbrüche zeigen in Schubrichtung gezogene

Waben, die auch Reisswaben genannt werden (Bild 70a). Die Waben sind auf Bruch und

Gegenbruch spiegelbildlich angeordnet. Entsteht der Bruch jedoch durch äussere Scherkräfte

(Bild 71a), so bilden sich gegensätzlich orientierte Scherwaben (auch Schubwaben genannt), die

ziemlich parallel zur Bruchoberfläche verlaufen und teilweise durch Abgleiten der Bruchstücke

verquetscht sind (Bilder 71b, c). Diese Wabenformen, die auf den ersten Blick sehr einleuchtend

sind, stellen in der Schadenanalytik ein wichtiges Hilfsmittel dar und sollten daher weiter auf der

Bruch- und Gegenbruchfläche untersucht werden.

Bild 70a:

Schematische Zeichnung. Entstehung von Reisswaben durch ungleich-

mässig verteilte Zugbeanspruchung

Bild 70b:

REM Aufnahme. Reisswaben an der Zugseite einer Biegeprobe

Bild 71a:

Entstehung von Scherwaben

10 µm

Page 65: EMPA Fraktografie

62 63

BEISPIEL: Rotorwelle eines Helikopters

Ein Helikopter geriet in Not und musste auf einem leicht abfallenden Gelände landen. Dabei

berührte das Rotorblatt den Boden und die Antriebswelle brach. Es stellte sich die Frage, ob

der diagnostizierte Antriebsschaden die Ursache oder die Folge des Unfalls war. Wäre die

Rotorwelle zum Zeitpunkt des Unfalls vom Motor angetrieben worden, so hätte sich beim

Berühren des Bodens ein Torsionsbruch in der Antriebswelle ergeben. Wäre der Antrieb hin-

gegen vorher ausgefallen, hätte sich ein Biegebruch ergeben. Natürlich ist die makroskopi-

sche Deformation ein wichtiger Hinweis auf die bruchverursachenden Kräfte. Jedoch unterlie-

gen die Bauteile in der Praxis nach dem Bruch einer sekundären Deformation, die von der

pri mären schwer zu unterscheiden ist. Die Mikrostruktur dagegen ändert sich nicht, sie kann

nur verrieben oder verhämmert werden. In den Vertiefungen der Bruchflächen bleibt aber die

ursprüngliche Information stets erhalten. Mit Hilfe der Waben formen lässt sich eindeutig zwi-

schen Torsions- und Biege bruch unterscheiden. Zu diesem Zweck müssen der Bruch und

Gegenbruch an mehreren Umfangsstellen mikroskopisch untersucht werden. Im vorliegenden

Fall war die Waben struktur auf Bruch und Gegenbruch entgegengesetzt orientiert, wie aus

den Bildern 71b, c ersichtlich ist. Demzufolge ereignete sich der Bruch bei rotierender

Antriebswelle.

10 µm

Bild 71c:

Entgegengesetzte Waben auf der Gegenbruchfläche

10 µm

Bild 71b:

Scherwaben auf einer Bruchfläche

ME

TA

LLE

Page 66: EMPA Fraktografie

Rosettenbruch

Rosettenbruch

Ein Wabenbruch ist begleitet von intensiver plastischer De -

formation im gesamten Bruchbereich, der makroskopisch eine

Ein schnürung zeigt. Wird diese Deformation bzw. Dehnung

z.B. durch eine dreiachsige Spannungsverteilung verhindert,

entstehen in duktilen Werkstoffen Rosettenbrüche. Dies sind

duktile Gewaltbrüche, bei denen die mikroskopische Ver -

formung im zweiachsigen Dehnungszustand erfolgt (Bild

72a). Diese Bruchart ist beispielsweise in Vergütungsstählen

mit fein ausgeschiedenen Karbiden anzutreffen oder in mar-

tensitischen Stählen, aber auch in unlegierten Stählen mit

dicken Quer schnitten und bei scharfer Vorkerbung. Früher

wurden sie in Anlehnung an die englische Bezeichnung qua-

sicleavage fracture auch im deutschsprachigen Raum als

Quasi spaltbrüche bezeichnet. Diese Bezeichnung ist zu mei-

den, denn die Rosettenbrüche entstehen durch plastisches

Fliessen und nicht durch Spalten entlang den kristallographi-

schen Ebenen wie die transkristallinen Spaltbrüche. Ein

Rosettenbruch kennzeichnet ein «gesundes» Material mit aus-

reichender Duktilität. Im Gegensatz dazu ist ein transkristalliner

Spaltbruch ein Hinweis auf versprödetes Material mit fehlen-

der Duktilität. Demzufolge ist es sehr wichtig, zwischen

Rosetten bruch und Spaltbruch zu differenzieren. Makro -

skopisch erscheint eine Bruchfläche mit Rosettenbruch eher

matt als kristallin. Die Bruchebene liegt normalflächig, d.h.

senkrecht zur Haupt normal spannung. Mikroskopisch sehen

die Bruchbilder auf den ersten Blick ähnlich aus wie die der

Spaltbrüche (Bilder 72b und 73b).

10 µm

Bild 72b:

Rosettenbruch (Restbruch einer durch Ermüdung gebrochenen Schraube

aus CrNiMo-Vergütungsstahl)

Kämme mit WabenZ = Zentrum

Z ZZ

Bild 72a:

Entstehung eines Rosettenbruchs

Das Verständnis des Entstehungsmechanismus führt zur rich-

tigen Interpretation des Bruchbildes. Wie die schematische

Zeichnung (Bild 72a) zeigt, treten im Inneren des Werkstückes

unter Zugbeanspruchung zahlreiche Hohlräume auf, die sich

linsenförmig erweitern und schliesslich vereinen. Die duktile

Verformung zeigt sich an der gewölbten Form der Rosette so-

wie an den Kämmen und Scherflächen mit Wabenstruktur am

Rand der einzelnen Rosetten. Die leicht gewölbten Böden sind

nicht mit kristallographischen Ebenen identisch. Bei einem

Rosettenbruch breitet sich der Riss ähnlich wie bei einem

Wabenbruch durch Zusammenwachsen von zahllosen Einzel -

rissen aus. Sein Entstehen ist von einer erheblichen örtlichen

plastischen Verformung begleitet.

Page 67: EMPA Fraktografie

Die Entstehung eines Spaltbruchs, auch transkristalliner

Spröd bruch genannt, hängt ab von Probenform, Temperatur,

Art und Geschwindigkeit der Beanspruchung sowie vom

Gefüge des Materials. So kann ihn eine mehrachsige Span -

nungsverteilung z.B. durch Kerbwirkung oder durch eine gros-

se Wanddicke begünstigen. Oft wird aber ein Rosettenbruch

mit einem Spaltbruch verwechselt. Unberuhigte Baustähle nei-

gen unterhalb der Übergangstemperatur zu Spaltbrüchen

(Bilder 54a, b, Seite 48). Ausserdem begünstigt eine hohe Be -

an spruchungs geschwindigkeit die Entstehung eines solchen

Bruchs, da die plastische Verformung durch Versetzungs be -

wegung behindert wird. Grobkornbildung, Widman stätt isches

Gefüge und Alterungsprozesse fördern ebenfalls seine

Entstehung. Und auch korrosive Beeinflussung lässt in aus-

tenitischem Gefüge oder in Kupferlegierungen Spaltbrüche

auftreten. Der Bruch zeigt dabei eine federförmige Mikro -

topographie.

64 65

Spaltbruch

Spaltbrüche sind energiearme transkristalline Sprödbrüche,

die ohne makro- und mikroskopischer Verformung entlang kri-

stallographischen Ebenen verlaufen. In kubisch raumzentrier-

ten Kristallen sind das die (100)-Ebenen und in hexagonalen

Kristallen die (0001)-Ebenen, während ein kubisch flächenzen-

triertes Gitter sich in keiner bevorzugten Richtung spaltet. Nur

auf der submikroskopischen Ebene sind die Spaltbrüche von

plastischen Vorgängen bzw. von Versetzungsbewegungen be-

gleitet [4]. Es resultieren normalflächige, relativ glatte, kristallin

glänzende Bruchflächen ohne Einschnürung im Bruchbereich.

Beim transkristallinen Spaltbruch nimmt die Rauheit der

Bruchfläche mit zunehmender Risstiefe zu, ähnlich wie bei den

keramischen Werkstoffen oder bei Glas. Die zunehmende

Rauheit ist auf die Gabelung des instabil wachsenden Risses

zurückzuführen und durch Erreichen eines kritischen Wertes

des Spannungsintensitätsfaktors gegeben (siehe Seite 16).

Die einzelnen Spaltflächen widerspiegeln die Korngrösse des

Materials, da die Kristallite an den Korngrenzen die kristallo-

graphische Orientierung ändern und die Bruchrichtung entwe-

der durch Kippen oder Drehen geändert wird. Die Spaltflächen

weisen Stufen auf, die auch als Fliesslinien bezeichnet werden.

Sie stellen die Schnittstelle von Schraubenversetzungen mit

der Spaltebene dar. Häufig sind auf den Spaltflächen so ge-

nannte Zungen zu beobachten, die an den Zwillingen im Gitter

entstehen. Dabei verlässt die Spaltfläche die (100)-Ebene und

läuft längs des Zwillings ein Stück auf der (112)-Zwillings -

ebene.

a

{100} {112}

Bild 73a:

Schematische Darstellung der Spaltebenen und eines Zwillings in α-Fe

10 µm

Bild 73b:

Transkristalliner Gewaltbruch: Spaltbruch (Baustahl)ME

TA

LLE

Page 68: EMPA Fraktografie

Spaltbruch

10 µm

Bild 74a:

Spröder transkristalliner Bruch

Bild 74b:

Kalt verformtes Gefüge im Bruchbereich, Nebenrisse

BEISPIEL: Kupplungsstück eines Eisenbahnwagens

Ein gebrochenes Kupplungsstück eines Eisenbahnwagens

wurde zur Untersuchung eingeliefert. Diese Kupplungsstücke

waren in grosser Zahl eingesetzt worden, und nach acht bis

zwölf Monaten traten häufig Sprödbrüche ein. Der Bruch er-

streckte sich jeweils in einem Radius, der durch Kaltver -

formung entstanden war. Die Kupplungsstücke waren aus un-

legiertem Stahl St 37-2 gefertigt und anschliessend einem

Feuerverzinkungsprozess unterzogen worden.

Die verformungslose Bruchfläche wies kristallines Aussehen

auf. Mit dem REM konnten Merkmale eines spröden transkris -

tallinen Gewaltbruchs in Form von Spaltflächen über den ge-

samten Querschnitt festgestellt werden (Bild 74a). Ein metal-

lographischer Schliff durch den Bruchausgang ergab, dass

der Bruch in einem Bereich mit deutlich gestrecktem Korn er-

folgte (Bild 74b) und von mehreren Nebenrissen begleitet war.

Das Mikrogefüge besteht aus feinkörnigem Ferrit mit geringem

Anteil an lamellarem Perlit. Die Werkstoffanalyse ergab einen

Kohlenstoffgehalt von 0.09 Gew.-% und einen Stickstoffgehalt

von 0.017 Gew.-%.

Die Untersuchung zeigte, dass das Kupplungsstück als Folge

einer Werkstoffversprödung gebrochen war. Die Ursache für

diese Versprödung liegt in dem Umstand, dass der im

Bruchbereich liegende Radius durch Kaltbiegen geformt wur-

de und dann ein Feuerverzinkungsprozess folgte. Durch die

mit dem Feuerverzinken verbundene Wärmeeinwirkung tritt in

den kalt umgeformten Zonen ein künstlicher, durch die Wärme

beschleunigter Alterungsprozess (Reckalterung) ein, was sich

insbesondere bei Stählen mit niedrigem Kohlenstoffgehalt gra-

vierend auswirkt. Als Abhilfemassnahme wird empfohlen, ent-

weder die Biegung des Radius durch Warmformgebung

durchzuführen oder nach der Kaltbiegung eine Normali -

sierungsglühung anzuschliessen. Der Alterungsprozess lässt

sich durch geeignete Materialwahl verringern bzw. verhindern.

Zu verwenden sind Stähle, die durch Zugabe von Elementen

mit grosser Affinität zu Stickstoff wie Al, Ti, Nb alterungsbe-

ständig sind. Die Alterung kann selten mikroskopisch nachge-

wiesen werden. Wichtige Merkmale für Reckalterung sind:

transkristalliner Sprödbruch, starker Abfall der Kerb schlag -

arbeit, verminderte Bruchdehnung, erhöhte Zugfestigkeit Rm

und erhöhtes Streckgrenzenverhältnis Re/Rm.

0,1 mm

Page 69: EMPA Fraktografie

66 67

Interkristalliner Bruch

Die Festigkeit der Korngrenzen ist bei homogenen Werk stoffen in der Regel grösser als die

Festigkeit der Matrix; deswegen sind interkristalline Brüche meist ein Zeichen von geschädigten

Korngrenzen. Dieser Zustand wird verursacht durch Anhäufung von Ausscheidungen (z.B.

Karbide im Stahl), Verunreinigungen (z.B. submikroskopische Korngrenzen beläge wie Phosphor

oder Arsen in Vergütungsstählen), Wasserstoff entlang den Korngrenzen (Beizen oder galvanische

Vorgänge) oder durch Einwirkung korrosiver Medien (z.B. Ammoniak auf Messing, Wasserstoff

auf hochfestem Stahl).

Wird bei der fraktographischen Untersuchung ein interkristalliner Bruch festgestellt, ist es wichtig

zu eruieren, ob korrosive Einwirkungen beteiligt waren. Die Beurteilung der Ober flächen be schaf -

fenheit im Bruchausgangsbereich ist dafür ein wichtiges Hilfsmittel. Oft ermöglicht aber erst die

Metallo graphie eine eindeutige Diagnose, da sie die Häufigkeit und den Verlauf der Anrisse dar-

legt.

Eine besondere Form von interkristallinen Brüchen stellen jene mit feinen Waben auf den

Kornflächen dar (Bild 75). Diese Bruchart lässt sich eindeutig auf die Gefügeausbildung

zurückführ en. So kann sich zum Beispiel in aushärtbaren Alu miniumlegierungen entlang den

Korn grenzen eine ausscheidungsfreie Zone bilden, die plastisch verformbar ist und somit eine

Schwachstelle im Gefüge darstellt. Der Bruch erfolgt interkristallin, aber unter Bildung von feinen

Waben in der schmalen ausscheidungsfreien Matrix. Ein ähnliches Bruch bild weisen niedrig le-

gierte Vergütungsstähle mit Zwischen stufengefüge auf [5]. Auch Widmanstättisches Gefüge, das

sich z.B. in Schweissverbindungen bilden kann, neigt zu derartigen Brüchen.

Bild 75:

Interkristalliner Bruch mit Waben auf den Kornflächen

100 µm

ME

TA

LLE

Page 70: EMPA Fraktografie

Interkristalliner Bruch

BEISPIEL: Leck in Brennstoffdüse

Während Revisionsarbeiten an einem Flugzeugtriebwerk wur-

de festgestellt, dass bei einer Düse Brennstoffverlust auftritt.

Es zeigte sich, dass ein Anriss in dieser Düse den Verlust be-

wirkte. Die Düse war aus Stahl X15Cr13 hergestellt. Der frei

gelegte Anriss wies einen rostfarbenen Belag auf und erstreck-

te sich über ca. drei Viertel des Umfangs. Die bei Öffnen des

Anrisses freigelegte Bruchfläche ist in allen Bereichen verfor-

mungslos und verläuft interkristallin (Bilder 76a, b, c). An ei-

nem Längsschliff wurde festgestellt, dass die Innenwände in-

terkristalline Nebenrisse zeigen (Bild 76d). Das Mikrogefüge

besteht aus Ferrit und angelassenem Martensit. Die Korn -

grenzen sind mit feinen Karbiden belegt, welche auf eine

Sensibilisierung des Werkstoffes hinweisen (Bild 76e). Der

verwendete Stahl war zugunsten einer erhöhten Festigkeit nur

auf 540°C (statt 700–750°C) angelassen worden. Er befand

Bild 76a:

Frei gelegter Anriss einer Brennstoffdüse. Matt-körniges Aussehen

20 µm

Bild 76c:

Interkristalliner Bruch. Detailaufnahme

Bild 76d:

Interkristalline Korrosion

Bild 76e:

Angelassener Martensit mit Karbidausscheidungen an den Korngrenzen

100 µm

Bild 76b:

Interkristalliner Bruchverlauf

sich somit wegen der Chromverarmung im Bereich der vor-

zugsweise an den Korngrenzen ausgeschiedenen Karbiden in

korrosionsanfälligem Zustand.

20 µm

20 µm

1.5 mm

Page 71: EMPA Fraktografie

68 69

BEISPIEL: Schrauben von Schalldämmplatten

In einem Hallenbad stürzten nach ca. zwei Jahren ihrer Montage die Schalldämmplatten von

der Deckenkonstruktion herunter. Als auslösender Faktor wurden gebrochene 40 mm lange

M6-Schrauben eruiert, die aus einer AlMgSi-Legierung gefertigt waren. Die rechnerische

Überprüfung ihrer Betriebs tragfähigkeit ergab, dass sie auf einem extrem niedrigen Niveau be-

lastet worden waren. Der visuelle Befund zeigte, dass die Mehrheit der Schrauben Merkmale

von Gewalt brüchen aufwies, die auf Torsion- oder Scherbeanspruchung zurückzuführen und

somit als Folgebrüche infolge mangelnder Redundanz im System zu bezeichnen sind. Nach

intensivem Suchen wurden einzelne Schrauben gefunden, die ein facettenförmiges Bruchbild

aufweisen (Bild 77a). Die einzelnen Facetten entsprechen singulären Anrissen, die mit Pfeilen

bezeichnet sind. Ein solches Bruchbild lässt immer an Vor schädigung durch Korrosion oder

Wasserstoff denken. Im vorliegenden Fall konnte mit dem REM ein vollständig interkristalliner

Verlauf innerhalb der Facetten festgestellt werden (Bild 77b), während der Restbruch

Merkmale eines duktilen Gewaltbruches in Form von Waben aufweist (Bild 77d).

1 mm

Bild 77a:

Facettenförmiger Bruch. Fünf Anrisse (siehe Pfeile)

100 µm

Bild 77b:

Interkristalliner Bruchverlauf

0.1 mm

Bild 77c:

Interkristalline Nebenrisse im Bruchbereich

ME

TA

LLE

Page 72: EMPA Fraktografie

Ein Längsschliff durch das Schadenobjekt zeigt zahlreiche in-

terkristallin verlaufende Korrosionsrisse im Bruchbereich (Bild

77c). Die Korngrenzen sind mit perlschnurartig angeordneten

Ausscheidungen belegt (Bild 77e). Diese Gefügeausbildung

ist für den vorliegenden Werkstoff nach Lösungsglühung mit

anschliessender Warmaushärtung als Anomalie anzusehen

und führt zu erhöhter Korrosionsempfindlichkeit. Eine derartige

Entmischung im Bereich der Korngrenzen tritt zum Beispiel

während langsamer Abkühlung nach dem Schmiedepressen

auf oder nach Überhärtung (Aushärtung über 180°C). Im

Gegensatz dazu zeigt richtig ausgebildetes Mikrogefüge

gleich mässig verteilte Ausscheidungen (Bild 77f).

Die Nebenrisse im Bruchbereich wurden einer mikroanalyti-

schen Prüfung mit der Elektronenstrahlmikrosonde (EMS)

unterzogen. Dabei liess sich Chlor in Lokalgehalten bis zu

1.5 Masse-% nachweisen. Als primäre Bruchursache muss

der anomale Gefügezustand der Schrauben angesehen wer-

den, der zu einer markanten Korrosionsempfindlichkeit des

Werk stoffes führte.

20 µm

10 µm

Bild 77e:

Mit Ausscheidungen besetzte Korngrenzen (Antikorodal 100)

10 µm

Bild 77f:

Gleichmässig verteilte Ausscheidungen entsprechen einer normalen

Gefügeausbildung

Bild 77d:

Wabenbildung als duktiles Bruchmerkmal im schräg verlaufenden

Restbruchbereich

Page 73: EMPA Fraktografie

Korrosion ist eine weitere, häufig vorkommende Quelle.

Korrodiert ein Bauteil unter Wasserstoffentwicklung, kann der

kathodisch abgeschiedene Wasserstoff ins Material diffundie-

ren und lokale Versprödung hervorrufen. Wasserstoff entsteht

entweder in sauerstofffreien Medien durch Reduktion des

Wassermoleküls oder als Folge der Hydrolyse von Korrosions -

produkten in Lochfrassstellen, engen Spalten usw. Die Wasser -

stoffatome konzentrieren sich dort, wo die höchste Schädigung

bzw. Spannung vorliegt, nämlich an Kerben, Rissen und ande-

ren spannungsüberhöhend wirkenden Material defekten. Ein be-

vorzugter Ort sind die Korngrenzen.

Der Bruch tritt nicht sofort nach der Wasserstoffbeladung auf,

weil es erst eine Anreicherung bis zu einem kritischen Gehalt

an den Störstellen braucht. In Verbindung mit äusseren Zug -

spannungen kommt es zu verformungsarmen Brüchen, die

vorwiegend interkristallin verlaufen. Charakteristisch für einen

durch Wasserstoff ausgelösten interkristallinen Bruch sind klaf-

fende Korngrenzen und duktile Markierungen an den

Korngrenzen in Form von Haarlinien und «Krähenfüssen» (Bild

78).

Diese Bruchmerkmale sind zwar notwendig, aber nicht ausrei-

chend, um eine eindeutige Diagnose der Wasserstoff ver -

sprödung zu stellen. Einen direkten Nachweis liefert die chemi-

sche Analyse des Wasserstoffs.

70 71

Wasserstoffversprödung

Unter Wasserstoffversprödung wird im Allgemeinen eine uner-

wünschte verzögerte Sprödigkeit des Werkstoffs verstanden,

die auf Anwesenheit von Wasserstoff im Materialinneren

zurückzuführen ist. Praktisch alle metallischen Werkstoffe kön-

nen durch ihn geschädigt werden, wenn er in genügend gros-

ser Menge einzudringen vermag. Die Quellen des Wasser -

stoffs, die Wege, auf welchen er in das Material gelangt, sowie

die Versprödungsmechanismen sind vielfältig. Die Vorgänge

müssen bei jedem Schadenfall nachvollzogen und verstanden

werden [6]. Drei Schädigungsmodi, die häufig anzutreffen und

fraktographisch eruierbar sind, werden hier erörtert.

Wasserstoff gelangt immer als exogene, d.h. von aussen ein-

gebrachte Kontamination ins Metall. Ein Bauteil oder eine

Anlage kann in verschiedenen Lebensphasen mit Wasserstoff

in Berührung kommen. Dies beginnt möglicherweise bereits

im metallurgischen Prozess, bei dem die Löslichkeit des

Wasserstoffs in der Schmelze grösser ist als im festen Zu -

stand. Sammelt er sich als Gas an Störstellen an, kann er bei

der Abkühlung nicht effundieren. Als Folge davon verringern

sich die Zugfestigkeit und Verformbarkeit des Materials. Diese

Art der Wasserstoffversprödung äussert sich durch Bildung so

genannter Fischaugen oder Unternahtrisse und ist für die

Giesserei- und Schweisstechnik von grosser Bedeutung.

Eine weitere Wasserstoffquelle innerhalb der Herstellungs -

prozesse stellt die galvanische Behandlung oder das

Säurebeizen dar. Der Wasserstoff entsteht dabei durch eine

kathodische Teilreaktion des elektrochemischen Prozesses

und diffundiert in atomarer Form in das Material, um dann in

Senken wie Korngrenzen, Leerstellen oder Zwischengitter -

plätzen gefangen zu werden. Bei relativ weichen Stählen oder

in Aluminiumlegierungen kann er an inneren Fehlstellen wie

nichtmetallischen Einschlüssen oder an der Grenze zwischen

der Matrix und der galvanischen Schicht zu Gasmolekülen re-

kombinieren. Im letzten Fall entstehen durch den hohen

Gasdruck Trennungen parallel zur Oberfläche, die mit

Wasserstoff gefüllt sind und Blasenbildung zur Folge haben.

Besonders gefährdet sind die hochfesten und kalt verformten

Stähle mit Streck grenzen über 650 N/mm2. Die Anfälligkeit zur

Versprödung nimmt mit der Härte und der Grösse des

Diffusions koeffizienten für Wasserstoff zu. So wirken sich schon

0.3 ppm Wasserstoff in Stählen mit einer Zugfestigkeit von

1'200 N/mm2 schädlich aus [7].

20 µm

Bild 78:

Duktile Markierungen an den Korngrenzen (Haarlinien und

«Krähenfüsse»)

ME

TA

LLE

Page 74: EMPA Fraktografie

Wasserstoffversprödung

Zur kritischen Wasserstoffkonzentration finden sich unter-

schiedliche Angaben. In einem hochfesten Stahl sind bereits

wenige ppm Wasserstoff zu viel, wenn dieser an kritischen

Stellen vorliegt, zum Beispiel in Bereichen hoher Spannungs -

konzentration. Als Grenzwert für die schädliche Wirkung von

Wasserstoff in Stählen mit einer Streckgrenze > 1'000 N/mm2

ist in [8, 9] eine Konzentration von mehr als 0.3 ppm angege-

ben. Es wird heute davon ausgegangen, dass der maximale

Normalverunreinigungsgrad an Wasserstoff 0.2 ppm beträgt.

Zum Zeitpunkt der Schadenanalyse ist jedoch ein Grossteil

wieder effundiert. In weichen Stählen hingegen haben 20 ppm

und mehr Wasserstoff nur einen geringen Einfluss auf die me-

chanischen Eigenschaften, wenn er nicht lokal aufkonzentriert

ist.

1 mm

Bild 79b:

Hochfester Spannstahl. Korrodierte Oberfläche mit Rissen, die parallel zur

Bruchkante verlaufen

Korrosiver Wasserstoff lässt sich analytisch nicht erfassen, da

er nur lokal unterhalb der Korrosionszone angereichert wird.

Deshalb müssen neben dem fraktographischen Befund (inter-

kristalline Zone am Bruchausgang, oft korrodiert, Bild 79a)

noch Korrosionsnarben mit Nebenrissen vorliegen, die parallel

zur normalflächigen Bruchkante verlaufen (Bild 79b). Auch bei

dieser Schädigung, die als wasserstoffinduzierte Spannungs -

risskorrosion bezeichnet wird, ist die Kenntnis der Bau teil -

konstruktion und ihrer Umgebungseinflüsse zwingend. Wasser -

stoff entwickelt sich durch eine kathodische Teilreaktion bei

Korrosion in einem Spalt oder Loch ohne Zutritt von Sauerstoff

oder eine genügend hohe H+-Konzentration (pH tief). Das ge-

schädigte Bauteil muss einer statischen oder dynamischen

Belastung mit Zugkomponente unterworfen gewesen sein und

die Oberfläche im Bruchbereich weist Korrosionsnarben auf.

Dieser Schädigung unterliegen aber nur hochfeste Stähle mit

einer Härte > 22 HRC (ca. 245 HV5) [10].

20 µm

Bild 79a:

Leicht korrodierter interkristalliner Anriss, verursacht durch korrosiven

Wasserstoff

Page 75: EMPA Fraktografie

BEISPIEL: Verminderte Zugfestigkeit

In einer Giesserei wurden bei Prüfung der Zugfestigkeit einer Charge von GS30Mn5 die genorm-

ten Mindestwerte von 540 N/mm2 nicht erreicht. Es konnten lediglich Zugfestigkeiten von 487 bis

529 N/mm2 festgestellt werden, wobei die Streck grenze höher lag als vorgeschrieben (322 an-

statt 250 N/mm2). Der Bruch erfolgte verformungslos und die Bruch fläche weist deutlich ausge-

bildete, glänzende Fischaugen auf, die für eine Wasserstoffaufnahme charakteristisch sind (Bild

80a). Die Fischaugen bilden sich um Inhomogenitäten im Gefüge wie nichtmetallische Ein -

schlüsse, Schlacken oder Poren, und die glänzende, hofförmige Zone ist auf einen Spaltbruch

zurückzuführen (Bild 80b). Die übrigen Bruch bereiche zeigen eine den duktilen Gewaltbruch cha-

rakterisierende Wabenstruktur (Bild 80c). Im vorliegenden Fall gelangte der Wasserstoff offenbar

aus feuchten Zuschlägen oder einer schlecht getrockneten Ofenauskleidung ins Metall.

72 73

20 µm

Bild 80c:

Wabenbruch des Grundmaterials

Bild 80a:

Hofförmige Fischaugen auf der verformungsarmen Bruchfläche

40 µm

Bild 80b:

Spaltbruchcharakter des Hofes eines Fischauges

2.5 mm

ME

TA

LLE

Page 76: EMPA Fraktografie

BEISPIEL: Verzinkte Unterlagsscheibe

In einem Transformator kamen verzinkte Unterlagsscheiben

mit Aussendurchmesser 30 mm zum Einsatz. Die Scheiben

waren aus einem niedrig legierten Vergütungsstahl gefertigt,

auf Zugfestigkeit von 1'150N/mm2 vergütet und hatten eine

verzinkte Oberfläche. Die Belastung dieser Scheiben war rela-

tiv gering, d.h. das Anzugsmoment bei der Montage betrug

7 mkg. Trotzdem entstanden nach relativ kurzer Betriebszeit

zahlreiche Risse, die zu Kurzschlüssen in der Anlage und zu

erheblichen Folgeschäden führten. Bild 81a zeigt eine der de-

fekten Scheiben. Die zahlreichen verformungslosen Risse las-

sen vermuten, dass Werkstoffversprödung die Ursache für ih-

re Entstehung war. Ausserdem fällt auf, dass der metallische

Überzug mit feinsten Bläschen durchsetzt ist (Bild 81b). Die

Blasen liessen sich mit einem leichten Fingerdruck öffnen, wo-

bei die locker aufsitzende Schicht abblätterte und der Grund -

werkstoff freigelegt wurde. Diese Erscheinung ist nur so zu

deuten, dass der Austritt eines Gases aus dem Werkstoff

nach der Beschichtung ein lokales Abheben der Zinkschicht

bewirkte. Die Bruchfläche lässt einen interkristallinen Verlauf

erkennen. Sie zeigt zahlreiche klaffende Korngrenzen und duk-

tile Markierungen (Krähenfüsse) auf den Kornflächen (Bild

81c). Dieses Bruchbild ist für eine Wasserstoffversprödung

charakteristisch. Um die Hypothese zu bekräftigen, wurde das

Material einer Analyse unterzogen. Die gefundenen Wasser -

stoffgehalte bis zu 1.5 ppm überschreiten massiv die kritische

Grenze. Der schädigende Wasserstoff kann in erster Linie

beim Beizen, aber auch beim Galvanisieren in den Stahl ein-

dringen. Eine optimale Einstellung der Bäder als auch eine

Aus gasung nach oder während der Beschichtung wirken da-

bei vorbeugend. In diesem Zusammenhang sei auf die ISO-

Norm 4042, Annex A (Hydrogen embrittlement relief after

elec troplating), verwiesen.

Bild 81a:

Verzinkte Unterlagsscheibe mit Rissen

Bild 81b:

Blasen auf der Oberfläche

Bild 81c:

Interkristalliner Bruch mit klaffenden Korngrenzen und «Krähenfüssen» auf

den Kornflächen

20 µm

1 mm

3 mm

Page 77: EMPA Fraktografie

Bei der mikroskopischen Betrachtung von Ermüdungsbrüchen

ist es notwendig, die in Bild 83 dargestellten drei Stadien der

Rissausbreitung zu unterscheiden. Ein Ermüdungsbruch ent-

wickelt sich an Stellen mit lokaler Spannungskonzentration,

die entweder durch die Konstruktion (Kerbwirkung, Steifig -

keitssprung) oder eine Verletzung der Oberfläche (Korrosion,

mechanische Verletzung) verursacht wurde.

Nach einer Inkubation entstehen mehrere Mikrorisse, von de-

nen nur wenige zu einem Riss zusammenwachsen. Die

Kleinrisse breiten sich entlang den entfestigten Gleitbändern

oder Korngrenzen aus, und zwar über eine Strecke, die eini-

gen Korndurchmessern entspricht. Dieses Stadium I der Riss -

ausbreitung verläuft in der Ebene der höchsten Schub span -

nungen (45° zur Oberfläche) und bildet eine facetten artige

Bruchstruktur. Bei Schadenfällen in der Praxis ist diese

Bruchausgangszone durch Reibung sehr oft beschädigt, und

daher ist Stadium I schlecht wahrnehmbar. In zahlreichen Al-

Legierungen sowie auch in Ni- und Co-Basis-Legierungen ist

es dagegen sehr gut zu erkennen, weil es ausgedehnter ver-

läuft.

Bild 82:

Intrusionen und Extrusionen innerhalb der Ermüdungsgleitbänder

Bild 83:

Mikroskopische Ausbildung der Ermüdungsbrüche in Abhängigkeit der

Rissausbreitungsgeschwindigkeit dl/dN [11]. l = Risslänge, N = Last spiel -

zahl, K = Spannungsintensitätsfaktor, LW = Lastwechsel

100 µm

74 75

Ermüdungsbruch

Ein Ermüdungsbruch – auch Dauer- oder Schwingbruch ge-

nannt – entsteht bei schwellender oder wechselnder Bean -

spruchung, die unterhalb der Streckgrenze des Materials liegt.

Bei Ermüdung tritt in gleicher Weise wie bei statischer

Beanspruchung ein Verformungsvorgang auf, den man als

Gleiten bezeichnet. Durch die Konzentration der irreversiblen

Abgleitungen in schmalen Zonen einzelner Kristallite entstehen

Ermüdungsgleitbänder, die ein mikroskopisches Aufrauen der

ursprünglich glatten Oberfläche zur Folge haben. Charak -

teristische Oberflächenerscheinungen, die vor allem bei höhe-

ren Schwingbreiten des Spannungsintensitätsfaktors ΔK auf-

treten, stellen die sog. Intrusionen (Materialeinstülpungen) und

Extrusionen (Materialauspressungen) dar. Damit werden die

dünnen Lamellen bezeichnet, die sich während der zyklischen

Beanspruchung aus den Gleitbändern heraus- bzw. in diese

hineinschieben. Bild 82 zeigt die Oberfläche einer ermüdeten

Probe aus Reinnickel. Diese Probe wurde metallographisch

poliert und anschliessend während 10'000 Zyklen mit einer

Dehnungsamplitude von ΔεP = 7 x 10-3 belastet. Bei der Beur -

teilung einer stark zerriebenen oder gehämmerten Bruchfläche

können Ermüdungsgleitbänder, d.h. Intrusionen und Extru -

sionen auf der Oberfläche ein Hilfsmittel sein, um zwischen

Gewaltbruch und Ermüdungsbruch zu unterscheiden. Diese

Möglichkeit besteht lediglich bei einer ursprünglich gut polier-

ten Oberfläche. Bei den technisch üblichen Ober flächen -

qualitäten sind diese Merkmale nicht sichtbar, da sie von der

Rauheit überdeckt sind.

III

II

I

Elemente desGewaltbruches

Ermüdungsstreifen

glatte Flächen

10 -10-3 -2

10 -10-5 -4

dl /

dN [m

m/LW]

ΔKth

ME

TA

LLE

Page 78: EMPA Fraktografie

Ermüdungsbruch

Legierte ferritische Stähle mit einem Vergütungsgefüge neigen

innerhalb des Schwellbereiches (in der Nähe von ΔKth) zu teil-

weise interkristallinem Bruchverlauf, wie es als Beispiel in Bild

84b gezeigt wird. Es handelt sich um einen 34CrMoNi6-Stahl,

vergütet auf eine Härte von 280HV1. In einem Ermüdungs -

versuch zur Bestimmung der Rissausbreitungsrate mit einer

Spannungsamplitude von ± 118 N/mm2 bildeten sich auf der

normalflächigen Ermüdungsbruchfläche unregelmässig ausge-

bildete Ermüdungsstreifen, wie sie in Bild 84a wiedergegeben

sind.

Wird die Lage des Ermüdungsbruchs durch Normalspannung

bestimmt, so verläuft der Hauptriss makroskopisch senkrecht

zur Beanspruchungsrichtung (Stadium II). Im mikroskopischen

Bereich können jedoch Abweichungen auftreten, die durch die

Gefügeausbildung bedingt sind. Charakteristisch für Stadium II

sind feine Streifen auf der Bruchfläche, die als Schwingungs -

streifen, Ermüdungsstreifen oder «striations» bezeichnet wer-

4 µm

Bild 84a:

Unregelmässig ausgebildete Ermüdungsstreifen

Bild 85a:

Relativ regelmässig ausgebildete Ermüdungsstreifen, angeordnet auf paral-

lelen Bahnen

100 µm

Bild 84b:

Vereinzelt interkristalliner Bruchverlauf in der Nähe des Bruchausgangs

20 µm

20 µm

Bild 85b:

Unregelmässig ausgebildete Bahnen mit Ermüdungsstreifen. Ferritischer

Stahl 1.4510

den (Bilder 84a, 85a, b). Sie entstehen bei Rissaus brei tungs -

geschwindigkeiten ab 0.1 µm/LW und lassen sich mit dem

REM erkennen. Sie sind auf parallelen, stufenartig ausgebilde-

ten Bahnen angeordnet und von Nebenrissen durchsetzt.

Diese Risse entstehen dann, wenn der Hauptriss lokale

Abweichungen von der generellen Rissausbreitungsrichtung

aufweist. Sie sind ein wichtiges Erkennungsmerkmal.

Page 79: EMPA Fraktografie

76 77

In Gusslegierungen kann die Orientierung der Ermüdungs -

streifen von der makroskopischen Rissausbreitungsrichtung

stark abweichen (Bild 86).

Es wird allgemein angenommen, dass der Abstand zwischen

zwei Ermüdungsstreifen jener Rissstrecke entspricht, die

während eines Lastwechsels entstanden ist. Verschiedene

Untersuchungen haben ergeben, dass bei aushärtbaren Al-

Knetlegierungen sowie bei verschiedenen Stählen eine gute

Übereinstimmung zwischen Abstand und Risslängenzunahme

pro Lastwechsel besteht. Diese Korrelation gilt aber nur im

Bereich von 0.1 µm/LW bis 1 µm/LW. Bei kleineren Riss aus -

brei tungsgeschwindigkeiten ist der Abstand der Streifen grös-

ser als die effektive Länge des Rissfortschrittes, was bedeutet,

dass nicht jeder Lastwechsel einen Ermüdungsstreifen hinter-

lässt. Rückschlüsse aus der Dichte der Ermüdungs streifen auf

die Ausbreitungsgeschwindigkeit sollten daher mit äusserster

Vorsicht gezogen werden. In der Praxis sind die Belastungs -

spektren oft heterogen und nicht homogen periodisch ausge-

bildet. Es kommen Amplitudenspitzen unbekannter Höhe vor,

die nicht nur zu einem schnelleren Riss wachstum, sondern

auch zu einer Verfestigung des Materials im Rissligament mit

nachfolgender Retardierung (Verlang samung) des Risswachs -

tums führen können [12]. Alle diese Änderungen der Vorgänge

hinterlassen deutliche Rastlinien (siehe Seiten 50–53), sind

aber aus der Dichte der Ermüdungsstreifen nicht abzuleiten.

Die Form der Ermüdungsstreifen gibt unter Umständen auch

einen Hinweis auf chemische bzw. korrosive Beeinflussung

beim Ermüdungsprozess. Während duktile Ermüdungsstreifen

nur durch mechanische Beanspruchung entstehen, sind sprö-

de Ermüdungsstreifen ein Zeichen für die Anwesenheit von

korrosiven Mitteln beim Bruchvorgang [13]. Bild 87a zeigt den

Ermüdungsbruch eines aus austenitischem Cr-Ni-Stahl herge-

stellten Heizrohres, welches von Warmwasser durchflossen

wurde. Die spröden Ermüdungsstreifen sind für Schwingungs -

risskorrosion charakteristisch. Auch der in Bild 87b ersichtli-

che Bruch ist durch Schwingungsrisskorrosion entstanden. Es

handelt sich um ein aus der Al-Legierung 7075 angefertigtes

Ven ti latorblatt einer Tunnelbelüftungsanlage. Rissinitiierung und

-ausbreitung wurden durch aggressive Chloride beschleunigt.

100 µm

Bild 86:

Ermüdungsbruch in AlMgSi 0.5.

Makroskopische Rissausbreitungsrichtung siehe Pfeil

40 µm

Bild 87a:

Spröde Ermüdungsstreifen an einem gebrochenen Heizrohr

8.6 µm

Bild 87b:

Spröde Ermüdungsstreifen an einem Ventilatorblatt

ME

TA

LLE

Page 80: EMPA Fraktografie

Gew

alt- oder Ermüdungsbruch

?

Bei Risswachstumsraten grösser als 10 µm/LW entstehen

Brüche, die als Low Cycle Fatigue (LCF), Plastoermüdung

oder Kurzzeitermüdung bezeichnet werden. Auf der Bruch -

fläche liegen neben den Ermüdungsstreifen auch Gewalt -

bruchmerkmale vor in Form von Waben oder Rosetten (Bilder

88a, b). Eine Zone mit LCF-Bruchstruktur lässt sich auch bei

HFC-Brüchen (High Cycle Fatigue) am Übergang zum

Restbruch finden.

20 µm

Bild 88a:

LCF in Al-Legierung 2014. Bahnen mit Ermüdungsstreifen wechseln ab mit

Wabenstruktur

5 µm

Bild 88b:

LCF in Stahl Ck45. Zonen mit Ermüdungsstreifen durchsetzt von Waben

Gewalt- oder Ermüdungsbruch?

Viele Brüche lassen sich auf den ersten Blick einer Bruchart

zuordnen, und die mikroskopische Untersuchung mit dem

REM dient nur zur Bestätigung der makroskopischen Bruch -

diagnose. Bei Ermüdungsbrüchen jedoch stellt die Mikro -

fraktographie oft die ausschlaggebende Untersuchung dar,

und dennoch ist sie manchmal mit Unsicherheiten verbunden.

Werden echte Ermüdungsstreifen gefunden, sind diese der

eindeutige Beweis für eine Ermüdungsbeanspruchung. Es gibt

aber Strukturen mit verschiedenen Streifen, welche Er müdungs -

linien vortäuschen können. Ausserdem werden während der

Risswachstumsphase bei Lasten mit R<0 (R= σmin/σmax) und

bei Mischmodus I+II (d.h. bei Wechselbiege- und Zug-Druck-

Beanspruchung oder bei Torsion) durch Rissschliessungs -

effekte Teile der Ermüdungsanrisszone nach träglich verrieben.

Die ursprüngliche Bruchstruktur liegt dann nur noch stellen-

weise vor. Im Folgenden werden einige Verwechslungs -

möglichkeiten erläutert und Tipps gegeben, die für die frakto-

graphische Untersuchung hilfreich sein können.

Page 81: EMPA Fraktografie

78 79

BEISPIEL: Gehämmerte Bruchfläche

Es war die Ursache zu ermitteln, die zum Bruch einer Zentrifugalpumpenwelle führte. Die aus

Stahl X30Cr13 gefertigte Welle sollte in vergütetem Zustand vorliegen. Die metallographische

Untersuchung ergab jedoch, dass sie in normalgeglühtem Zustand (257 HV10) verwendet

worden war. Der vorzeitige Bruch wies makroskopisch beurteilt einen normalflächigen Verlauf

auf, wie es ein Ermüdungsbruch erwarten lassen würde. Die Topographie der Bruchfläche war

durch eine starke sekundäre Verformung gekennzeichnet, die umso intensiver ausgebildet

war, je näher sie zum Bruchausgang lag. Die mikroskopische Untersuchung einer derartigen

Bruch fläche konzentriert sich auf die vertieften Bereiche, weil dort die Wahrscheinlichkeit einer

sekundären Beschädigung geringer ist. Bei mittlerer Vergrösserung (Bild 89a) wird eine ver-

tiefte Stelle gesucht, die von der nachträglichen Reibung verschont geblieben sein könnte. Die

Bilder 89b, c belegen diese An nahme. Nur die höher liegenden Bereiche lassen Reib spuren

erkennen, während in der vertieften Zone die für einen Er müdung sbruch typischen Bahnen mit

Ermüdungsstreifen sowie Nebenrissen deutlich zum Vorschein kommen. Somit konnte die

Vermutung des Ermüdungsbruches bestätigt werden.

2 µm

Bild 89b:

In der vertieften Zone kommt die ursprüngliche Struktur zum Vorschein

1 µm

Bild 89c:

Deutlich ausgebildete Ermüdungsstreifen, umgeben von Druck- und

Reibspuren

10 µm

Bild 89a:

Bei mittlerer Vergrösserung wird nach einer vertieften Zone gesucht, die

durch Reibung nicht zerstört wurde

ME

TA

LLE

Page 82: EMPA Fraktografie

Verwechslungsm

öglichkeiten

Verwechslungsmöglichkeiten

Reibspuren (Bilder 90a, b, c)

Bei einer Schar von parallel zueinander verlaufenden

Reibspuren fehlen die parallel zu den Streifen verlaufenden

Nebenrisse. Auch sind die Streifen nicht auf einzelnen Bahnen

angeordnet. Während die Bahnen bei Ermüdungsbrüchen ei-

ne gewisse Regelmässigkeit zeigen, sind die einzelnen durch

Reibung entstandenen Zonen durch Materialverschiebung

und -überlappungen am Rand gekennzeichnet.

10 µm

Bild 90a:

Reibspuren auf einer Zahnradbruchfläche

10 µm

Bild 90b:

Geriebene und korrodierte Bruchfläche

Falten bzw. aufgestauchtes Material durch wiederholtes

Reiben unter Druck (Bilder 90d, e)

Stauchfalten sind immer von ausgeprägten Druck- und

Reibspuren begleitet. Sie zeigen sich gleichmässig wellenför-

mig ausgebildet. Hinterlässt eine Bruchfläche auf der Gegen -

bruchfläche regelmässig verteilte Abdrücke, werden sie als

«tire tracks» bezeichnet.

5 µm

Bild 90c:

Reibspuren gut erkennbar an Überlappungen

4 µm

Bild 90d:

Durch Stauchung entstandene Struktur

Page 83: EMPA Fraktografie

Ermüdungsgleitbänder (Bild 90g)

Ihre Orientierung wechselt von Korn zu Korn und ist von der

Rissausbreitungsrichtung unabhängig. Sie sind relativ streng

linear ausgebildet und auf gut polierter Oberfläche sichtbar.

Sie entstehen nicht durch Risswachstum, sondern durch

Versetzungswanderung in der rissfreien Ermüdungsphase.

Beeinflussung der Bruchausbildung durch das Mikrogefüge

(Bilder 90h, i)

Die Gefügeausbildung beeinflusst immer das Bruchbild. Um

die Korrelation zwischen Bruchverlauf und Gefüge während

der fraktographischen Untersuchung herzustellen, ist es not-

wendig, das Gefügebild des Bruchstückes vorher untersucht

80 81

Gleitbänder (Bild 90f)

Gleitbänder entstehen bei Gewaltbrüchen duktiler Werkstoffe.

Im Prinzip sind sie an den Wänden von grossen Waben ange-

ordnet. Die Wabenstruktur ist jedoch nur bei relativ geringer

Vergrösserung gut erkennbar. Auf den Wabenwänden können

sich auch weitere kleine Waben bilden. Diese Brüche weisen

eine Einschnürung und eine Orangenhaut auf der Oberfläche

im Bruchbereich auf.

20 µm

Bild 90e:

Durch wiederholte Druck- und Schubbeanspruchung entstandene Falten

2 µm

Bild 90f:

Deutlich ausgebildete Gleitbänder an der Wand einer grossen Wabe.

Gewaltbruch (Zugbeanspruchung) in reinem Kupfer

10 µm

Bild 90g:

Zusammenhängende Ermüdungsgleitbänder auf der Bruch- und

Oberfläche

3 µm

Bild 90h:

Bruchverlauf in einem Perlitkorn widerspiegelt die Zementitlamellen (Pfeile).

Im Ferritkorn bilden sich Ermüdungsstreifen

Bruch

1

2

Schliff

Bruch

Bruchausbreitungsrichtung

Oberfläche

Bruchausbreitungsrichtung

Oberfläche

Bruch

ME

TA

LLE

Page 84: EMPA Fraktografie

zu haben. Kalt verformtes, zeiliges Gefüge kann Ermüdungs -

streifen vortäuschen. In lamellarem Perlit verläuft der Bruch

entlang den Lamellen, wie die Kante zwischen metallographi-

schem Schliff und Ermüdungsbruchfläche zeigt.

Korrosionsbelag oder andere Kontamination (Bild 90j)

Ein Korrosionsbelag oder eine andere Kontaminationsschicht

kann ebenfalls eine streifenartige Struktur aufweisen. Diese

Schichten zeigen oft unregelmässig verteilte Risse und die

Oberfläche hat ein glattes, zum Teil abgerundetes Aussehen.

Ein Bruch darf nicht anhand eines Fotos einer Bruchart zuge-

ordnet werden, denn seine Strukturen können zwar morpholo-

gische Ähnlichkeiten aufweisen, aber durch unterschiedliche

Mechanismen entstanden sein. Ein Beispiel ist in den Bildern

91a, b wiedergegeben. Auf den ersten Blick ist eine gewisse

Ähnlichkeit in der Topographie wahrnehmbar. Aber es handelt

sich um zwei sehr unterschiedliche Materialien und um zwei

unterschiedliche Bruchvorgänge. Bild 91a zeigt einen Gewalt -

bruch eines Saphir-Monokristalls. Der Bruch verläuft entlang

den Spaltebenen und die feinen Stufen bilden Streifen in der

Struktur. Bild 91b stammt dagegen von einem Ermüdungs -

versuch mit reinem Nickel, und die duktilen Ermüdungsstreifen

sind auf parallel zueinander verlaufenden Bahnen angeordnet.

5 µm

Bild 90i:

Zum Vergleich Ermüdungsstreifen im Ferritkorn (Pfeil)

10 µm

Bild 90j:

Korrosionsbelag mit unregelmässig verteilten Rissen.

10 µm

Bild 91a:

Gewaltbruch eines Saphir-Monokristalls

5 µm

Bild 91b:

Ermüdungsbruch in reinem Ni

Bruchfläche

MikroschliffMikroschliff

Page 85: EMPA Fraktografie

82 83

Kriechbrüche

Als Kriechbrüche werden Trennungen bezeichnet, die unter

Lang zeitbelastung bei Temperaturen oberhalb von 0.5 TS(Schmelz temperatur in Kelvin) entstehen. Die Zeitstand- oder

Relaxationsbrüche ereignen sich in einem Bereich, der durch

Porenbildung gekennzeichnet ist. Die Poren entstehen durch

thermisch aktivierte, diffusionsgesteuerte Vorgänge [14] und

sind auf zusammengewachsene Hohlräume, Versetzungs -

häufung und Abgleitungen im Bereich der Korngrenzen

zurück zuführen. Sind die Korngrenzen mit Ausscheidungen

belegt, blockieren diese die Versetzungen in ihrer Bewegung

und es entstehen Hohlräume. Die Zeitstandschädigung ist

nicht nur auf der Bruchfläche erkennbar, sondern bei grösse-

rem Volumen der Probe auch metallographisch entweder als

keilförmige Anrisse an Tripelpunkten oder als Poren an den

Korngrenzenflächen (Bild 92a). Bild 92b zeigt eine freigelegte

Korngrenze in Weicheisen, das bei 600°C mit einer Zug -

spannung von 25.9 MN/mm2 während acht Stunden belastet

worden war. Diese Probe wurde in flüssigem Stickstoff ab-

gekühlt und dann gebrochen. Das Anfangsstadium der

Kriech schädigung in Form von Poren ist an der freigelegten

Korngrenze gut sichtbar. Wird das Reineisen auf die vorge-

nannte Art bis zum Bruch belastet, so tritt ein interkristalliner

Bruch ein, der von hoher Porendichte gekennzeichnet ist (Bild

92c) [15].

Bild 92a:

Schematische Darstellung der Entstehung von Keilporen und

Korngrenzenporen

10 µm

Bild 92b:

Porenbildung in Weicheisen bei 600°C (Anfangsstadium)

25 µm

Bild 92c:

Kriechbruch. Freigelegte Poren im Bereich der Korngrenze

ME

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Page 86: EMPA Fraktografie

Kriechbrüche

BEISPIEL: Turbinenschaufel

Während eines Horizontalfluges einer Mirage brach beim Be -

schleunigen eine Schaufel im Turbinenrotor, was zu einem be-

trächtlichen Schaden am Triebwerk führte. Die letzte Inspek -

tion der Turbinenschaufeln lag nur 16 Betriebsstunden zurück.

Sie war nach insgesamt 1'680 Betriebsstunden vorgenom-

men worden und hatte auch eine zerstörungsfreie Eindring -

prüfung beinhaltet, die jedoch an der nun gebrochenen

Schaufel keinen Befund ergeben hatte. Die Schaufeln waren

aus Nimonic 100, einer NiCrCo-Legierung, hergestellt.

Der Bruch befindet sich auf halber Höhe der Schaufel und ver-

läuft normalflächig ohne Einschnürung. Die Bruchfläche lässt

weder Bruchfrontlinien noch Rissausbreitungsspuren erken-

nen (Bild 93a). Im mikroskopischen Bereich ist sie relativ zer-

klüftet und weitgehend interkristallin (Bild 93b). Die Korn -

grenzen sind mit feinen Waben bedeckt, was für einen Kriech -

schaden charakteristisch ist (Bild 93d). Die sporadischen

transkristallinen Bereiche weisen Ermüdungsstreifen auf (Bild

93c). Diese kleinen Ermüdungsbruchflächen erstrecken sich

nur auf wenige Zehntel Millimeter. Sie haben ihren Ursprung in

den Poren im Schaufelinneren. Es konnten keine Ermüdungs -

bereiche mit Rissausgang an der Schaufel ober fläche gefun-

den werden.

0.3 mm

Bild 93a:

Verformungsarme Bruchfläche ohne Rissausbreitungsspuren

400µm

Bild 93b:

Interkristalliner Bruchverlauf

50µm

Bild 93c:

Von Kriechbruch ausgehende Ermüdungsbrüche

10µm

Bild 93d:

Flache, eckig ausgebildete Waben, gebildet durch Kriechporen auf den

Korngrenzen

Page 87: EMPA Fraktografie

84 85

Der Kriechschaden liess sich metallographisch eindeutig nachweisen. Bild 93e zeigt die

Häufig keit und Anordnung der interkristallin verlaufenden und normalflächig angeordneten

Risse. Bild 93f lässt Poren bildung an den Ausscheidungen erkennen, welche an den

Korngrenzen vorliegen. Es fällt auf, dass die stark ausgeprägten Risse mit einer Ausbreitung

bis an die Schaufeloberfläche mit Oxidations produkten ausgefüllt waren.

Die primäre Ursache für den Schaufelbruch ist ein Kriech schaden. Die Ermüdung war durch

Kriechrisse im Material inneren aufgetreten und ist somit als sekundärer Schaden zu betrach-

ten. Eine Eindringprüfung, wie sie bei der letzten Inspektion der Turbinenschaufeln durchge-

führt worden war, kann durch Oxidationsprodukte verschlossene Risse nicht nachweisen.

0.2 mm

Bild 93e:

Längsschliff durch die Schaufel. Trennungen durch Kriechschaden

0.02µm

Bild 93f:

Poren an Korngrenzen, die senkrecht zur Beanspruchung liegen

ME

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Page 88: EMPA Fraktografie

Bruchschäden in einem redundanten System führen zu einer

grossen Anzahl von Brüchen in zahlreichen Einzelteilen. Der

Ausgangsschaden in Form von mikroskopischen Rissen be-

ginnt immer nur in einem Teil des Systems, die übrigen Teile

werden durch Folgebrüche beschädigt. Um die primäre

Schaden ursache ermitteln zu können, muss die fraktographi-

sche Untersuchung systematisch durchgeführt werden. Diese

Systematik wird im Folgenden anhand der Untersuchung von

Drahtseilbrüchen veranschaulicht.

Makroskopische Untersuchung

Für die Ursachenklärung von Seilbrüchen ist es erforderlich,

möglichst alle Drahtbrüche zu untersuchen. Denn oft lässt sich

die Bruchursache erst aus der Quantifizierung der einzelnen

Brucharten ableiten. Dazu muss das aus Sicherheitsgründen

an abgebundener Stelle durchtrennte Seil schrittweise zerlegt

werden, und die Lage der einzelnen Drahtbrüche ist in einem

Schema festzuhalten. Die Bezeichnung der Einzeldrähte er-

möglicht eine spätere Rekonstruktion des Seiles, insbesonde-

re der Umgebung der Drahtbrüche. Es geht vor allem um die

Charakterisierung der Bruchausgangsstellen und gleichzeitig

um deren Lokalisierung, ob sie an einer Berührungsstelle mit

benachbartem Draht liegen oder auf der Seiloberfläche. Über

jedes Seil müssen Konstruktion und Funktion bekannt sein,

damit die wirklich relevanten Drähte untersucht werden. Bei

Drahtseilen konzentriert sich die fraktographische Unter -

suchung ausschliesslich auf die Umfangsdrähte in den Einzel -

litzen, da diese die Hauptlast tragen. Die Kerndrähte sind hier

am wenigsten aussagekräftig, denn sie haben nur eine sin-

guläre stützende Funktion [16]. Bei vollverschlossenen

Tragseilen hingegen ist die 2. Lage von Interesse, weil sie zu-

erst bricht und somit die primäre Bruchursache am besten er-

kennen lässt [17].

Wird ein Seil durch Korrosion oder Ermüdung geschädigt, so

tritt ein Bruch in dem Moment ein, wenn der verbleibende

Querschnitt die angelegte Betriebslast nicht mehr tragen

kann. Dabei brechen zahlreiche Einzeldrähte infolge Überlas -

tung als Gewaltbrüche.

Bevor ein Seil auseinander genommen wird, muss der

Bruchbereich beurteilt werden. Es ist festzuhalten, ob der

Seilbruch in einem Querschnitt erfolgte (Bild 94a), oder ob

sich die Litzenbrüche bzw. Drahtbrüche auf unterschiedlichen

Längen befinden.

Die laterale Ausdehnung des Bruchbereichs ist von grosser

Bedeutung. Zum Beispiel erstreckt sich der Seilbruch von Bild

94b über eine Länge von 35 cm. Die Aus dehnung des

Seilbruchs gibt Auskunft über die Bruch ursache. Ein auf en-

gem Bereich lokalisierter Seilbruch tritt durch intensive

Querpressung ein, wie sie zum Beispiel beim Herausspringen

des Seils aus einer Führungsrolle und beim Einquetschen vor-

kommen kann. Ein ausgefranster Seilbruch hingegen, der sich

über eine längere Strecke erstreckt, entsteht auf einer freien

Länge unter reiner Zugkraft. Je mehr elastische Energie ein

Seil vor dem Bruch speichert, desto zerklüfteter ist der Bruch -

bereich. Ausserdem ziehen sich die zuletzt gebrochenen

Litzen zurück und bilden Schleifen (Bild 94c).

Bild 94a:

Seilbruch mit eng lokalisiertem Bruchbereich

Bild 94b:

Bruchbereich erstreckt sich auf 35 cm Länge

100 µm

Komplexe fraktographische Untersuchungen

Komplexe fraktographische Untersuchungen

Makroskopische Untersuchung

Page 89: EMPA Fraktografie

Im Weiteren interessiert die Seilumgebung, insbesondere im

Bereich der Bruchstelle. Seilbrüche treten bevorzugt in Zonen

mit Biegewechselbeanspruchung auf wie bei Umlenk- und Aus -

gleichsrollen, Trommeln oder Endbefestigungen. Die Flanke der

Rille, die das Seil stützt, lässt das Tragbild erkennen. Daraus

lassen sich Schlussfolgerungen über den Seil zustand ziehen.

Zur makroskopischen Untersuchung gehört auch die Be -

urteilung von Schmierung, Korrosion, Anschmelzungen sowie

von Verletzungen durch Abrieb oder Quetschungen auf der

Seil oberfläche. Einzeldrahtbrüche kommen besser zum Vor -

schein, wenn das Seil leicht gebogen wird. Sie müssen hinsicht-

lich ihrer Verteilung und ihres Ausmasses beurteilt werden. In

den Bildern 95a, b, c sind die häufigsten Fälle wieder gegeben.

Das in Bild 95a gezeigte Seil weist auf seiner ganzen

Oberfläche (in Bezug auf seinen Umfang) unregelmässig ver-

teilte Drahtbrüche auf. Diese befinden sich jedoch nur auf je-

ner Strecke, die über eine Umlenkrolle auf Biegung bean-

sprucht wird. Die Drahtbrüche in Bild 95b sind auffallend auf

einer Mantellinie der Seiloberfläche verteilt und liegen innerhalb

ellipsenförmiger Verletzungen. Im Gegensatz dazu zeigt die

Seiloberfläche in Bild 95c keine nennenswerten Verletzungen.

Die zahlreichen Drahtbrüche liegen dort im Seilinnern.

86 87

Bild 95a:

Unregelmässig verteilte Drahtbrüche

Bild 94c:

Zurückgezogene Litzen bilden Schleife

Bild 95b:

Verteilung der Drahtbrüche auf einer Mantellinie der Seiloberfläche. Die

Drahtbrüche liegen innerhalb ellipsenförmiger Verletzungen

Bild 95c:

Drahtbrüche im Seilinnern

5 mm

200µm

Bild 95d:

Korrosionsnarbe am Bruchausgang. Ermüdungsbruch

Beim Seil von Bild 95a fielen die schlechte Schmierung und

seine korrodierte Oberfläche auf. Die Untersuchung am

Einzeldraht zeigte, dass die Ermüdungsbrüche tatsächlich

durch Reibung in Kombination mit Korrosion eingeleitet wor-

den waren (Bild 95d).

1 cm

2 mm

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Page 90: EMPA Fraktografie

Bild 96a:

Bruchstelle des Betätigungsseils einer Landeklappe. Seildurchmesser 3.5 mm

Bild 96b:

Relativ regelmässiges, einwandfreies Tragbild auf der Flanke einer Rille

Bild 96c:

Unregelmässiges Tragbild einer Rille, typisch für ein vorbeschädigtes Seil

BEISPIEL: Betätigungsseil einer Landeklappe

Bild 96a zeigt einen Riss am Betätigungsseil der Landeklappe

eines Flugzeugs. Ziel der fraktographischen Untersuchung war

es zu klären, ob es sich bei diesem Seilbruch um die Ursache

für den Flugzeugabsturz handelte oder um die Folge davon.

Das Seil hatte einen Durchmesser von 3.5 mm und bestand

aus sieben Litzen mit je 19 Drähten. Die verzinkten Einzel -

drähte wiesen einen Durchmesser von 0.18 mm auf. Es wurde

festgestellt, dass der Bruch am Übergang von dem in der Rille

einer Umlenkrolle liegenden Seilabschnitt zur freien Seillänge

eintrat. Dafür sind der gut erhaltene (Bild 96a, links) sowie

der ausgefranste Seilverbund (Bild 96a, rechts) des Bruch -

stücks charakteristisch. Untersucht wurde auch das Tragbild

dieser genannten Rille. Wie Bild 96b zeigt, hinterliess das Seil

auf den Flanken der Rille ein regelmässiges Tragbild, was auf

ein weitgehend intaktes Seil hindeutet. Wären in dem Seil

schon vor dem Seilbruch Litzen- und Drahtbrüche vorhanden

gewesen, so hätten deren abstehende Drähte unregelmässig

verteilte Abdrücke in der Rille verursacht, wie von einem ande-

rem Fall in Bild 96c zu sehen ist. Für die fraktographische

Untersuchung wurden die einzelnen Litzen abgebunden, der

Bruchbereich abgeschnitten und im REM untersucht. Die

Mehr heit der Drahtbrüche waren auf duktile Gewaltbrüche

zurückzuführen. Sie zeigten Trichterbrüche mit Einschnürung

im Bruchbereich und mit Wabenstruktur.

In dem aus 133 Drähten bestehenden Seil wurden an 33 Dräh -

ten normalflächige Ermüdungsanrisse festgestellt, die flächen -

mässig jeweils weniger als 1/3 des Drahtquerschnittes einnah-

men. Die Risse waren an den Berührungsstellen des Seiles mit

Umlenkrolle entstanden, und die meisten wurden erst beim

Seilriss freigelegt. Ausserdem waren die einzelnen Ermü -

dungs risse über eine Länge von 70 mm verteilt, was etwa der

5fachen Schlaglänge entspricht. Die Wirkung der Drahtbrüche

beschränkt sich wegen der inneren Reibung im Seilverbund

auf wenige Schlaglängen. Folglich ist die Rest bruchfestigkeit

des Seiles höher, als wenn die Brüche eng beieinander lägen,

z.B. in einem Querschnitt. Daraus ergab sich als fraktographi-

sches Resultat, dass es sich beim Seilbruch um eine Folge -

schädigung durch den Unfall gehandelt haben müsste.

Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass bei einem Seil mit

Drahtbrüchen die Beurteilung allein von Einzeldrähten kein zu-

verlässiges Resultat erbringen kann. Auch wenn Einzeldrähte

Ermüdungsbrüche aufweisen, heisst das nicht, dass der

Seilbruch auf Ermüdung zurückzuführen ist.

20 mm

1.5 cm

1 cm

Page 91: EMPA Fraktografie

88 89

BEISPIEL: Seilbruch nach Unterhaltsarbeit

Das Seil von Bild 95b musste während Unterhaltsarbeiten an

den Umlenkrollen entlastet werden, was durch eine Klemm -

vor richtung gewährleistet wurde. Die Verteilung der Draht -

brüche und die Quetschspuren entsprechen den Be rüh -

rungsstellen mit der Vierkant-Klemme. Das Seil rutschte

offensichtlich ruckartig in der Klemme, was die Ratterspuren in

den elliptischen Druckstellen belegen (Bild 97a). Ausserdem

führte die Reib- und Druckbeanspruchung zur Bildung von

Reibmartensit (Bild 97b), der durch seine Sprödigkeit die

Ermüdungsrissbildung begünstigte.

Ebenfalls auf Ermüdung lassen sich die im Seil von Bild 95c

entstandenen Brüche zurückführen (Bild 97c). Sie sind von in-

tensiven Druckstellen ausgegangen, die sich durch wiederhol-

te hohe Querpressung der benachbarten Drähte bildeten (Bild

97e). Eine derartige Bruchbildung ist für die Überbeanspru-

chung des Seiles charakteristisch. Im vorliegenden Fall haben

die Berechnungen der Betriebslast den fraktographischen

Befund bestätigt. Auch die unter der Druckstelle verlaufenden

Neben risse sind für hohe Querpressung charakteris tisch.

1 mm

Bild 97a:

Ratterspuren innerhalb einer Oberflächenverletzung (Druckspur) mit

Rissbildung (Pfeil)

200µm

Bild 97c:

Ermüdungsbruch, ausgehend von einer Druckspur mit benachbartem

Draht

100µm

Bild 97b:

Längsschliff durch eine Druckstelle mit Ratterspuren. Reibmartensitbildung

ME

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Page 92: EMPA Fraktografie

Mikroskopische Untersuchungen

5 mm

Bild 97e:

Intensive Druckspuren im Seilinnern auf einer Litzenoberfläche, verursacht

durch benachbarte Litzen

100µm

Bild 97 d:

Querschnitt durch eine Druckstelle. Nebenrisse

Mikroskopische Untersuchungen

Für die Beurteilung der Schadenursache liefert die fraktogra-

phische Untersuchung der Einzeldrahtbrüche sehr wichtige

Resultate. Dabei lassen sich alleine aus Bruchverlauf und

Bruch form oft die dominierenden bruchverursachenden Be -

lastungen festlegen. Entsprechend wie das Seil konstruiert ist,

resultiert in jedem Draht eine kombinierte Beanspruchung, die

aus Zug-, Biege-, Druck- und Torsionslast besteht. Dazu kom-

men noch die korrosiven Einwirkungen der Umgebung und die

Reibung. Im Fall eines Seilbruches gilt es, die dominierende

Beanspruchung zu eruieren. Die Bilder 50a, b, c, 51, 52, 53

(Seiten 46/47) zeigen Beispiele dazu. Werden Er müdungs -

brüche in den Drähten festgestellt, so lässt die Form des

Anrisses bzw. der Übergang zum Restbruch die Art der dyna-

mischen Beanspruchung erkennen. Der Drahtbruch in Bild

98a wurde durch schwellende Zugbeanspruchung hervorge-

rufen, wie es schematisch in Bild 98b dargestellt ist. Für den

Drahtbruch in Bild 98c lässt sich dagegen Biegung als domi-

nierende Beanspruchung gemäss schematischem Bild 98d

eruieren.

Bild 98b:

Zugbeanspruchnung

40µm

Bild 98a:

Ermüdungsbruch (E), Restbruch (R)

E

R

E

R

Page 93: EMPA Fraktografie

In vielen Fällen ist eine komplementäre metallographische

Untersuchung unentbehrlich, um zusätzliche Aussagen zu er-

halten. Diese Untersuchung ermöglicht es vor allem, Material -

fehler oder Verletzungen zu charakterisieren.

90 91

Bild 98d:

Einseitige Biegung

50µm

Bild 98c:

Ermüdungsbruch (E), Restbruch (R)

E

R

E

R

10µm

Bild 99

Regellos ausgebildete Ermüdungsstreifen. Charakteristisch für patentiertes

und kalt nachgezogenes Drahtmaterial

Der Ermüdungsbruch zeigt im mikroskopischen Be reich feine

Ermüdungsstreifen, die entsprechend dem stark kalt verform-

ten Drahtgefüge ziemlich unregelmässig ausgebildet sind

(Bild 99). Vor allem bilden sich keine einsinnig orientierten

Bahnen, sondern die Richtung der Ermüdungsstreifen ist re -

gel los. Ein wichtiges Erkennungsmerkmal sind Neben risse,

die parallel zu den Ermüdungsstreifen verlaufen. Besteht keine

Möglichkeit für eine quantimetrische Ausmessung, kann die

quantitative Ausdehnung der Ermüdungsbruchfläche mit gra-

vimetrischer Methode einfach und sehr genau ermittelt wer-

den. Aufnahmen der Einzeldrähte sind dabei hilfreich. Die

Fläche der Ermüdungsanrisse und die der Restbrüche werden

ausgeschnitten. Durch Wägen lässt sich der relative Anteil be-

stimmen.

ME

TA

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Page 94: EMPA Fraktografie

BEISPIEL: Schrägseil einer Brücke

Sicherheitsrelevante Tragelemente müssen vor ihrem Einsatz

auf Ermüdungs- und Restfestigkeit geprüft werden. Während

einer derartigen Prüfung eines Kabels, das als Schrägseil in ei-

nem Hauptlängsträger einer Brücke verwendet werden sollte,

kamen mehr Drahtbrüche zum Vorschein, als von der Prüf -

norm erlaubt ist. Auch ergab die anschliessende statische

Zugprüfung eine niedrigere Restfestigkeit als erwartet. Die

Drähte waren aus hochfestem Stahl gefertigt und die Ober -

fläche galvanisch verzinkt.

Die einzelnen Drahtbrüche zeigen Ermüdungsanrisse, die ca.

50% des Drahtquerschnittes einnehmen. Der kreisförmige

Übergang zwischen Ermüdungsanriss und Restbruch ent-

spricht der zugschwellenden Beanspruchung während des

dynamischen Versuches. Die Bruchausgänge befinden sich

bei markant kegelförmig ausgebildeten, zum Teil dunkel ver-

färbten Inhomogenitäten (Bild 100a). Die benachbarte Draht -

oberfläche lässt eine Schar von v-förmigen Rissen erkennen,

die auf einer Mantellinie angeordnet sind (Bild 100b). Der -

artige Risse sind für einen Ziehfehler charakteristisch. Die me-

tallographische Prüfung ergab, dass diese Fehler tatsächlich

vor dem letzten Herstellungsgang, d.h. vor der Verzinkung, in

den Drähten vorhanden waren, denn sie verlaufen schräg und

sind mit Zink gefüllt (Bild 100c). Diese Ziehfehler haben die

Ermüdungsbrüche eingeleitet. Die niedrige Restfestigkeit lässt

sich einerseits mit der relativ hohen Zahl der Ermüdungs -

brüche begründen, andererseits ist sie aber auch auf das mit

Seigerungen durchsetzte Material zurückzuführen. Ein Draht,

der mit v-förmig angeordneten Seigerungen durchsetzt ist,

weist bei Zugbeanspruchung keine Einschnürung auf und bil-

det einen kegelförmigen Bruch (Bild 100d).

1 mm

Bild 100a:

Ermüdungsbruch, ausgehend von einer Inhomogenität

2 mm

Bild 100b:

Ansicht der Oberfläche im Bereich des Bruchausgangs: Ziehfehler (Pfeile)

10µm

Bild 100c:

Längsschliff durch den Bruchausgang (Pfeil 1):

Schräg verlaufende, mit Zink gefüllte Risse (Pfeil 2)

2 mm

Bild 100d:

Kegelförmiger Bruch, der für intensive Seigerungen im Material

charakteristisch ist

21

Page 95: EMPA Fraktografie

[1] Richtlinie VDI 3822, Blatt 1.

Schadensanalyse. Hrsg. Verein Deutscher Ingenieure.

Ausgabe Februar 1984

[2] Das Gesicht des Bruches metallischer Werkstoffe.

Allianz Versicherungs-AG, München und Berlin (1961)

[3] Hahn, G.T.; Rosenfield, A.R.:

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[4] Beachem, C.D.; Pelloux, R.M.N.:

Electron Fractography – A Tool for the Study of

Micromechanismus of Fracturing Processes. American

Society for Testing and Materials, Special Technical

Publication No. 381, Philadelphia (1965)

[5] Nürnberger, U.; Sauter, H.M.:

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Materialkundliche Technische Reihe 3. Gefüge und Bruch.

Hrsg. K.L.Maurer, H. Fischmeister (1977)

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[7] Muster, W.J.:

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[8] Raymond, L.:

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92 93

ME

TA

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Page 96: EMPA Fraktografie

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Kinetik der H-induzierten Spannungsrisskorrosion. Werkstoffe

und Korrosion 33, p. 274-280 (1982)

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[15] Roth, M.:

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Steel Wire Ropes. OIPEEC Bulletin No. 69, June 1995

[17] Woodtli, J.; Kopanakis, G.:

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Insurance. Elsevier Amsterdam, London, New York, Tokyo

(1993)

Page 97: EMPA Fraktografie

PRAKTISCHEFRAKTOGRAPHIE

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Jarmila Woodtli

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ISBN 3-905594-37-4

Die Autorin

In Prag, an der Chemisch-Technologischen Hochschule, absol-

viert Jarmila Woodtli ihr Studium der Metallurgie, das sie 1967

abschliesst. 1968 nimmt sie als Sachbearbeiterin für metallische

Schadenfälle ihre Tätigkeit an der Empa auf. Durch ihre Arbeit mit

dem Rasterelektronenmikroskop eignet sie sich in kurzer Zeit fun-

diertes Wissen in der Fraktographie der Metalle an. 1983 promo-

viert sie zum Dr. sc. techn. ETH. Das folgende Jahr verbringt sie

an der University of Michigan. Sie beschäftigt sich dort mit frakto-

graphischen Untersuchungen von Ermüdungsversuchen an io-

nenimplantierten Ni-Proben. Bald nach ihrer Rückkehr an die

Empa übernimmt sie die Leitung der Gruppe Schadenanalytik.

Untersuchungen zum Seilbahnunglück auf der Riederalp oder

zum Einsturz der Hallenbad-Decke in Uster gehören zu ihrer

Arbeit.

Als eine der Pionierinnen der Fraktographie in der Schweiz leitet

Jarmila Woodtli Anfang der 1980er-Jahre die Fachgruppe

"Fraktographie" des SVMT (Schweizerischer Verband für die

Materialtechnik). Ab 1992 ist sie Dozentin an der Technischen

Akademie Esslingen, wo sie Vorlesungen über Fraktographie in

Metallen und Keramik hält.