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Vertr.-Prof. Dr. Tim. Engartner

Mündige KonsumentenZiel von ökonomischer Bildung und Verbraucherbildung

Berlin, den 11. April 2023

Vortrag im Rahmen der Tagung„Verbraucherbildung vermitteln. Eine gesellschaftliche Herausforderung“

(M1101)

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Was zeichnet eine „Konsumgesellschaft“ aus?

Vertr.-Prof. Dr. Tim Engartner 2

• Menschen konsumieren nicht nur das, was sie zum Überleben benötigen, sondern auch, was ihr Leben aus individueller Perspektive „bereichert“

• Produkte dienen als Sinnvermittler = Konsum als Statussymbol

• informelle Infrastruktur (Werbung), die auf Weckung und Überhöhung von „bedarfslosem“ Konsum abzielt

• Synonyme: „Überfluss-“, „Wohlstands-“ oder „Wegwerfgesellschaft“

• Konsumkritik bzw. Ablehnung übermäßigen Konsums

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Konsumdruck

„Wie stark ist Ihrer Meinung nach der Druck, Dinge zu kaufen, nur um nicht aus der Reihe zu fallen?“ (Angaben in %)

Vertr.-Prof. Dr. Tim Engartner 3

Untersuchungsjahr sehr stark ziemlich stark eher nicht stark überhaupt nicht

2007 25 % 48 % 21 % 6 %

2004 21 % 53 % 21 % 4 %

1992 17 % 40 % 32 % 11 %

1982 13 % 40 % 31 % 14 %

K. Kollmann/K. Simperl (2008)

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Konsumdominanz bei Kindern (6- bis 13-Jahre)

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• 316,- Euro beträgt das Budget für Weihnachtsgeschenke.• 900 Werbespots sieht ein Kind im Monat.• 2,5 Mrd. Euro haben Eltern 2010 für Kinderspielzeug ausgegeben (ohne

Video- und Computerspiele).• 180 Minuten am Tag verbringen Kinder mit Videospielen, Computern,

Internet oder TV• 53 % der Kinder besitzen eine Spielekonsole.• 8 von 10 Kindern besitzen ein Handy.• Jedes dritte Kind hat ein Facebook-Profil.• Jedes vierte Kind ist Einzelkind.

S. Gaschke (2011), S. 47

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Der wirtschaftende Mensch in unterschiedlichen Rollen

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(1) Verbraucher

Konsument

Anleger

Versicherungsnehmer

Prosument

Kreditnehmer

Ausbilder

Berufswähler

AuszubildenderEigentümer

Entrepreneur

Transferempfänger

Spender/Stifter

Beitrags-/Steuerzahler

Wirtschaftsdemokrat

(2) Arbeitnehmer/ Arbeitgeber

(3) Wirtschafts-bürger

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Orientierung der Verbraucherbildung an Konsument als „Black Box“

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Input Konsument als „Black Box“ Konsumentenverhalten

Marketing-instrumente

Umwelt-einflüsse

Konsumenten-verhalten

Entscheidungs-prozess

ProduktpolitikProduktpolitik

Kontrahierungs-politik

Kontrahierungs-politik

DistributionDistribution

Kommuni-kation

Kommuni-kation

ökonomischeökonomische

kulturellekulturelle

politischepolitische

technischetechnische

Einstellungen,Wahrnehmungen

Einstellungen,Wahrnehmungen

PersönlichkeitPersönlichkeit

MotivationMotivation

LebensstilLebensstil

Informations-suche

Informations-suche

Alternativen-bewertung

Alternativen-bewertung

KaufentschlussKaufentschluss

Nachkauf-verhalten

Nachkauf-verhalten

KaufKauf

Wahl des KaufortsWahl des Kauforts

KaufzeitpunktKaufzeitpunkt

KaufmengeKaufmenge

KaufsummeKaufsumme

Stimuli Black Box Response

Weis (2001), S. 43

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Eurobarometer „Consumer Empowerment“

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Frage 1: Der gleiche Flachbildfernseher ist sowohl im Geschäft A als auch im Geschäft B im Angebot. Welcher ist günstiger?

Geschäft A: Der Preis beträgt 500 Euro, mit einem Rabatt von 10 % | Geschäft B: Der Preis beträgt 400 Euro.

Frage 2: Welcher der folgenden Zinssätze wäre für Ersparnisse oder Sparkonten am besten?

- 1 % | 2 % | 3 % | 4 %

Frage 3: Eine Familie muss für eine Hypothek auf ihr Haus in Höhe von 50.000 Euro jährlich 6% Zinsen zahlen. Wie hoch sind die Zinsen für das erste Jahr?

300 Euro | 3000 Euro | 5000 Euro | 6000 Euro.

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„Einkaufsfalle“ Supermarkt

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KäseFrischfleischObstMilchSüßigkeitenZahnstocherEisZuckerSpaghettiZeitungen/ZeitschriftenTiefkühlkostGemüseZigarettenGetränke

Sie sind die Filialleiter dieses Supermarktes. Ordnen Sie die folgenden Produkte so ein, dass sie sich möglichst gut verkaufen.

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Rationalisierung von Käufen durch Umwelt- und Sozialsiegel

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1 5

2 6

3 7

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Skala von Güterarten nach Asymmetrie des Informationsgrades

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neoklassi-sches Gut

PotemkingutErfahrungsgut Vertrauensgut

PlaceboSuchgut

Darby/Karni (1973); Spiller (1976)

→ Auflösung von Informationsasymmetrien durch „Screening“ oder „Signalling“

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Welche ökonomische Bildung wollen wir?

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Ökonomische Bildung definiert sich nicht über den Gegenstandsbereich „Wirtschaft“, sondern leitet sich aus der spezifisch ökonomischen Perspektive und deren sozialwissenschaftlicher Vernetzung ab:•Denken in Kategorien der ökonomischen Verhaltenstheorie,•Phänomen der Knappheit,•Denken in ökonomischen Wirkungszusammenhängen, •Denken in ordnungspolitischen Zusammenhängen,•Denken in politischen Strukturen und Prozessen,•Kontextualisierung entlang soziologischer Theorien und Modelle,•ethische Werten (z. B. Leitbilder von Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit).

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Kernkompetenzen ökonomischer Bildung

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Handlungssituationen ökonomisch analysieren

Entscheidungen ökonomischbegründen

Ökonomische Systemzusammenhänge

erklären

Rahmenbedingungen der Wirtschaft verstehen

und mitgestalten

Konflikte perspektivischund ethisch beurteilen

1

2

3

4

5

DEGÖB (2004, 2006, 2009)

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Dimensionen der Lebenssituation „Kauf an Märkten“

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Kategorien: Bedürfnisse, Knappheit, Risiko, Kosten etc.

Lernziele: -Kennenlernen verschiedener Einkaufsstätten/Märkte (Groß-, Einzelhandel, Fachgeschäft, Discounter, Internet, Versandhaus, Flohmarkt, Haustürgeschäfte)-Abgrenzung verschiedener Märkte : Fachgeschäft vs. Discounter, Flohmarkt vs. Internet…

Level I: Der Lernende kann unterschiedlichen Einkaufsmöglichkeiten ihre charakteristi-schen Eigenschaften zuordnen (Erwerb von Fach-/Sachkompetenz).Level 2: Der Lernende kann situationsgerecht die geeignete Einkaufsstätte identifizieren (Erwerb von Urteilskompetenz).Level 3: Der Lernende kann sich situations- und bedürfnisgerecht für eine Einkaufsstätte entscheiden (Erwerb von Entscheidungskompetenz).

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Konsumkritische Grundhaltung

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„Die Verbraucher verwechseln in wachsendem Maße den Kaufakt mit dem Konsumtionsakt (…). Sie kaufen immer mehr Bücher, aber sie kommen nicht mehr dazu, sie zu lesen; sie kaufen Schuhe und Kleider, die sie kaum je tragen; sie kaufen Keyboards, Tennisschläger und Teleskope, die sie nie benutzen; sie kaufen technische Geräte, die so komplex sind, dass sie Monate oder Jahre brauchten, um ihre Funktionen wirklich auszuschöp-fen. Wäre der Sonntag verkaufsoffen, würde er nicht dem Realkonsum geopfert, sondern dem Kaufakt: Anstatt das Gekaufte zu konsumieren, würden wir erneut shoppen, und wer shoppt, konsumiert nicht.“

H.

Rosa (2009)

Lernziel: aufgeklärte Haltung gegenüber maßlosem Konsum

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Wunsch nach Konsumkritik

Untersuchungsjahr 2000 2007 2008

1(Ja, stimme voll zu) 30

6433

7343

772 34 40 34

3 27 19 20

4 6 5 2

5 (Nein, stimme überhaupt

nicht zu)2 2 2

weiß nicht 1 1 0

K. Kollmann/I. Kautsch (2008)

„Sind Sie der Meinung, dass zu Konsumfragen in der Öffentlichkeit weitaus kritischer Stellung genommen werden sollte?“

Vertr.-Prof. Dr. Tim Engartner 15

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Notwendige Perspektiven auf die „Geldgesellschaft“

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Geld/Vermögen wird als Maßstab für (beruflichen) Erfolg gewertet, verleiht Ansehen und gewährt gesellschaftlichen Einfluss.

Wer der Meinung ist, dass man für Geld alles haben kann, gerät leicht in den Verdacht, dass er für Geld alles zu tun bereit ist. | Benjamin Franklin

Das Geld gleicht dem Seewasser. Je mehr davon getrunken wird, desto durstiger wird man. | Arthur Schopenhauer

Es kommt nicht so sehr darauf an, wieviel man hat, sondern wieviel Freude man daran hat. | anonym

Immer mehr Leute geben immer mehr Geld aus, das sie eigentlich gar nicht haben, um sich Dinge anzuschaffen, die sie eigentlich gar nicht brauchen, um denen zu imponieren, die sie eigentlich gar nicht mögen. | Franz Kern

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Verbraucherorientierte Bildung am Beispiel „Konsum“

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Politische Bildung

Ökonomische Bildung

SoziologischeBildung

(2) Konsumentenmacht

Themenfeld „Konsum“

(3) Ethischer Konsum

(1) Schwächen der Theorie der Konsumentensouveränität

(4) Konsumverzicht

+ - +

+ + +

+ - +

- - +

- + -(5) staatlicher Konsum „Politisierung des Konsum

s“

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Vom Feld in den Müll: Wo in Europa die Verluste entstehen

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Illenberger (2011), S. 48

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Weizenpreise im Finanzmarktfieber

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Foodwatch (2011)

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Schlussfolgerungen

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1. Die Schnittmengen zwischen ökonomischer Bildung und Verbraucherbildung sind noch unzureichend ausgelotet.

2. Die meisten Vertreter/innen ökonomischer Bildung vernachlässigen in Forschung und Lehre (zentrale) Themen der Verbraucherbildung.

3. Ziel der Konsumentenbildung muss es nicht nur sein, eine aufgeklärte Haltung gegenüber Konsum (Rationalität statt Irrationalität) zu entwickeln, sondern auch eine Erziehung zu Konsumverzicht.

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„Büchertisch“: Empfehlungen unterhaltsamer Literatur

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Kontaktdaten

Vertr.-Prof. Dr. Tim Engartner 22

Vertr.-Prof. Dr. Tim EngartnerProfessur für Ökonomie und ihre DidaktikInstitut für Gesellschaftswissenschaften

Pädagogische Hochschule Schwäbisch GmündOberbettringer Straße 20073525 Schwäbisch Gmünd

E-Mail: [email protected]

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Reflektierter Konsum? Eine kurze Typologie von Kaufentscheidungen

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• Echte (oder extensive) Entscheidungen liegen vor, wenn z. B. ein neues Gut auf den Markt kommt oder ein Bedürfnis erstmalig artikuliert wird. Sie sind mit großem Informationsbedarf und starkem kognitiven Engagement verbunden.

• Bei habituellen Kaufentscheidungen erfolgt eine gewohnheitsmäßige Wahl, ohne dass nach Alternativen gesucht wird.

• Von limitierten Entscheidungen wird gesprochen, wenn zwar Alternativen (von Produkten) verglichen werden, dieser Prozess aber zügig und anhand erprobter Kriterien abläuft.

• Impulskäufe verlaufen vor dem Hintergrund kaufstimulierender Reize und sind stark emotional geprägt.

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Eine Frage der Relation – oder: Der Teufel steckt im Detail

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