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168 Zeitschrift fur anorgariische und allgemeiiie C'hemie. Band 340. 1965

Silbersulfidbromid Ag,SBr und Silbersulfidjodid Ag,SJ. I1

Die Kristallstrukturen von Ag3SBr, p- und a-AgBSJ

Von BERTOLD REUTER und KURT HARDEL

Mit 6 Ahbildungeii

Inhaltsiibersicht Ag,SBr kristaliisiert kubisch-priniitiv mit dcr Gitterkoiistante a = 4,801; A. Die Ele-

inentarzelle enthlilt eine Formeleinheit. Die Struktur wurde nach dem ,,trial-and-error"- Verfahren fur eine Anordnung in der Raumgruppe 0k-Pm3ni bestimmt, die sich aus der jdealen An t,iperowskitstruktur durch Verschiebung der Silberionen aus den Flachenmitten in Richtung der Kanten der Elenientarzelle ableiten lafit.

Die Gitterkonstante des mit Ag,SBr isotypen P-Ag,SJ hetragt a = 4,903 8. a-Ag,SJ kristallisiert kubisch-raumzentriert mit der Gitterkonstante a = 4,993 8. Die Elementar- zelle enthalt ebenfalls eine Formeleinheit. Die Strukturbestimmung ergab, daIJ a-Ag,SJ mit s-AgJ bzw. a-Ag,S homootyp ist, und zwar besetzen die Anionen statistisch die Ecken und das Zentrum der Elementarzelle, wahrend die Kationcn auf 42 Lucken der Anionenpackung statistisch verteilt sind.

Ag,SBr und #l-Ag,SJ gehoren nicht zur Klasse der BIctallo-Komplexe des Silbers, sie sind vielmehr als Koordinationsverbindungen aufzufassen.

Summary Ag,SBr crystallizes in a simple cubic lattice with a = 4.806 .& and Z = 1. The structure

has been determined by trial and error as an arrangement of the space group Ok-Pm3m derived from the ideal antiperovpkite structure by displacement of thc silver ions from the face centers in direction t o the edges of the unit cell.

4.903 8). a-Ag,SJ crystallizes b. c. c . with a = 4.903 d and Z = 1. It is honioeotypic with a-SgJ and a-Ag,S; the anions randomly occupy the corners and the center of the unit cell, while thecations are randomly distributed into 42 holes of the anion arrangement. -4g,SBr and p-Ag,SJ are interpreted to be coordina- tion compounds; they do not belong to the class of .,metallo"-complexes of silver.

#l-Ag.,SJ is isotypic with Ag,SBr (a

I n der ersten Mitteilungl) wurde iiber die Darstellung des Ag,SBr, der Tieftemperaturmodifikation p-Ag,SJ und der Hochtemperaturmodifikation a-Ag,SJ berichtet. Mit Hilfe der Strukturanalyse wird gepriift, ob Ag,SBr und Ag,SJ als Koordinationsverbindungen anzusprechen sind oder als

l) B. REUTER u. K. HARDEL, Z. a,norg. allg. Chern. 340, 158 (1965).

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B. REUTER u. K. HARDEL, Die Kristallstrukturen VOII Sg,SBr, B- und ,z-Ag,SJ 169

- 3,466 2,831 2,452

2,002 1,733 1,634 1,551 1,478 1,415 1,360 1,310 1,226

1,156

-

-

-

Metallo-Komplexe mit Schwefel bzw. Halogen als Zentralatom und Silber als Ligand des komplexcn Kations [Ag,S]+ bzw. [Ag,BrI2+ oder [Ag,JI2+.

1. Kristallographische Daten von Ag,SBr und P-Ag,SJ Fur die Strukturanalysen des Ag,SBr und des P-Ag,SJ standen ausschlieB-

lich pulverformige Praparate zur Verfugung. Zur Bestimmung der Gitter- konstanten wurden asymmetrische GurNIER-Aufnahmen mit NaCl als Eich- substanz und Cu -K,-Strahlung von 35 kV angefertigt. Die Gitterkonstante von Ag3SBr wurde zu 4,806 & 0,005 A und die von b-Ag,SJ zu 4,903 f 0,005 A bestimmt. Messungen der Dichte mit Toluol als Sperrflussigkeit er-

- 3

stst stst -

111

ni S ss 111

S

S

S

S -

S -

gaben bei Zimmertem- peratur fur Ag3SBr 6,46 und fur p-Ag,SJ 6,64 g/cm3. Die Zahl der Formeleinheiten pro Elernentarzelle er- rechnet sich dann beim Ag,SBr zu 0,99 und beim P-Ag,SJ zu 0,98. Mit Z = 1 erhalt man als Rontgendichte fur Ag,SBr 6,52 und f i i r #?-Ag,SJ 6,80 g/cm3.

Die Tab. 1 gibt die aus der Gitterkon- stante berechneten Netzebenenabstande, die Indices und die ge-

1 0 0 1 1 0 1 1 1 2 0 0 2 1 0 2 1 1 2 2 0 3 0 0 / 2 2 1 3 1 0 3 1 1 2 2 2 3 2 0 3 2 1 4 0 0 4 10 /3 2 0,

4 1 1/3 3 0 3 3 1

Tabelle l Ind ices , berechnete Netzebenenabstiinde und geschiitcte

In tens i ta ten yon GUINIER-Aufnahmen des Ag,SBr und P-Ag,SJ

4,806 3,321 2,775 2,403 2,149 1,962 1,699 1,602

1,449 1,387 1,333 1,285 1,202 1,166 1,133 1,103

-

- XI. -

1 2 3 4 5 6 7 8 9

10 11 12 13 14 15 16 17

,Br Iheoh.

S

ss stst stst

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S

S -

ni 3

S

S

S

RS

S

ss

schatzten Intensitaten aller Interferenzen der Pulveraufnahmen von Ag,SBr und P-Ag,SJ bis 6 etwa 45" an. Die Reflexe hoherer Glanzwinkel sind nicht tabelliert, da sie wegen der hohen Untergrundschwarzung im Riickstrahl- bereich weder auf DEBYE-SCHERRER- noch auf GuImER-Aufnahrnen voll- zahlig bestimmt werden konnten. Beim Ag,SBr und beim P-Ag,S J liegen keine Anzeichen fur eine pseudokubische Symmetrie oder eine Uberstruktur vor. Die beobachteten Netzebenenabstande weichen bei keiner Interferenz nennenswert von den berechneten Netzebenenabstanden ab. Die Tabelle zeigt, daB die Interferenzen keiner Ausloschungsregel folgen.

2. Strukturanalyse von Ag,SBr Eine Analyse der Indextripel aller auf Pulveraufnahmen beobachteten

Reflexe ergab, daB nicht nur hkl , sondern auch hhl , hOO und die Index-

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170 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 340. 1965

tripe1 hkO, h 01, Okl, die auf Pulveraufnahmen kubisch kristallisierender Phasen zusammenfallen, keiner allgemeinen Ausloschungsbedingung folgen. Die nicht tabellierten Reflexe mit ‘hoheren 8-Werten lieBen, soweit sie ver- messen werden konnten, ebenfalls keine allgemeine Ausioschungsbedingung erkennen. Ag,SBr kristallisiert also kubisch-primitiv. Zu diskutieren sind die Raumgruppen 0:) T&O l, TL oder TI.

Berucksichtigt man, daR die Elementarzelle eine Formeleinheit enthalt, so sind fur die Atomverteilung innerhalb einer dieser Raumgruppen eine drei- zahlige Punktlage fur Ag und je eine einzahlige Punktlage fur S und Br zu fordern, wenn man zunachst eine unvollstandige und statistische Besetzung hoherzahliger Punktlagen auI3er Betracht 1aBt. Diese Forderung wird von allen oben genannten Raumgruppen erfullt. Dabei ergibt sich, daR die Punktlagen fur Ag, S und Br keinen Freiheitsgrad besitzen.

Da fur eine Kristallstruktur vom idealen, nicht verzerrten Perowskittyp RMX, ebenfalls die Raumgruppe 0; rnit einer Formeleinheit pro Elementar- zelle und einer dreizahligen Punktlage fur X ohne Freiheitsgrad sowie je einer einzahligen Punktlage fur R und M ohne Freiheitsgrad Bedingung ist, liegt der Gedanke nahe, daR Ag,SBr in einer idealen Antiperowskitstruktur kristallisieren konnte, die durch Vertauschung der Kationen- und Anionen- platze in der idealen Perowskitstruktur entstehen wurde. Dann wiirden 1 X oder 1 Br das Zentrum, 1 Br oder 1 S die Ecken und 3 Ag die Flachenmitten der kubischen Elementarzelle besetzen. Die Frage, ob in diesem Gitter Br oder S das Zentrum bzw. die Ecken der Elementarzelle besetzen, kann aus raumchemischen Betrachtungen entschieden werden: Mit der Gitterkon- stante 4,806 d ergeben sich die Abstande Zentrum der Elementarzelle - Flachenmitten zu 2,40 d, Zentrum-Ecken zu 4,16 d und Flachenmitten- Ecken zu 3,40i%. Nimmt man an, da13 die Abstande Ag-Br und Ag--S in dem idealen Antiperowskitgitter dem Abstand Ag-Br von 2,898 in AgBr und Ag-S von mindestens 2,49 d im j3-Ag2S2) bzw. mindestens 2,44 d im wAg,S3) vergleichbar sind, so muate in diesem Gitter S das Zentrum und Br die Ecken der Elementarzelle besetzen, weil der Abstand Zentrum der Elementarzelle -Flachenmitten von 2,40 d naherungsweise nur bei der Anordnung S im Zentrum und Ag in den Flachenmitten der Elemen- tarzelle erreicht werden kann. Die Abstande Zentrum der Elementar- zelle-Ecken und Flachenmitte -Ecken widersprechen nicht dieser An- ordnung.

z , A. J. PRUEH jun., Z. Kristallogr., Kristallgeometr., Kristallphysik, Kristallchem.

3, P. RAHLFS, Z. physik. Chem., Abt. B 31, 157 (1936). 110,136 (1958).

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B. REUTER u. K. HARDEL, Die Kristallstrukturen von Ag,SBr, /'3- und a-Ag,SJ 1 7 1

1 2 3 4 5 6 7 8 9

10 11

ed 053 @

Fur Ag3SBr ware demnach eine ideale Antiperowskitstruktur (vgl. Abb. 1) mit folgenden Atomlagen denkbar:

1Br in l ( a ) : 0, 0,O

1 S in 1 (b): 1/2,1/2, 1/2

3 Ag in 3 (c): 0, 1/2, 1/2; 1/2, 0, 1/2; 1/2, 1/2, 0.

Die mit diesen Punktlagen berechneten Intensitaten ergaben jedoch gro13e Abweichungen gegeniiber den photometrisch bestimmten Intensitaten von GuINIER-Aufnahmen, wie Tab. 2 zeigt.

Tabelle 2 Vergleich der beobachteten und der fur die ideale Ant,iperowskitstruktur berechneten

1 0 0 7 4 1 1 0 0 1 1 1 1 100 100 2 0 0 69 72 2 1 0 3 2 2 1 1 0 15 2 2 0 35 21 3 0 0 / 2 2 1 1 2 310 0 3 1 1 22 9 2 2 2 8 2

-

15 4 1 0 / 3 2 2 0 2 Abb. 1. Ideale Antiperowskitstruk- 16 4 1 1 / 3 3 0 4

tur von Ag,SBr 17 1 3 3 1 1 1 1

Bei der Intensitiitsberechnung wurde der effektive DEBYE-Faktor will- kiirlich zu 1 bz angenommen.

Vertauscht man bei diesem Strukturansatz S und Br, besetzt man also das Zentrum der Elementarzelle mit Br und die Ecken mit S, so stehen die berechneten Intensitaten mit den photometrisch bestimmten Intensitaten ebenfalls nicht in befriedigender Ubereinstimmung, was jedoch auf Grund der vorher mitgeteilten raumchemischen Betrachtungen keineswegs uber- rascht. Ag3SBr kristallisiert demnach nicht in einer idealen Antiperowskit- struktur ; die Forderung, da8 Ag eine dreizahlige, S und Br je eine einzahlige Punktlage in der Raumgruppe 0; besetzen, fiihrt zu keinem befriedigenden Resultat.

Setzt man voraus, da13 siimtliche Interferenzen von Ag3SBr keiner Aus- loschungsbedingung unterliegen und da13 Ag3SBr nicht pseudokubisch kri- stallisiert, so bleibt nur die Moglichkeit, fur Ag eine unvollstandige und statistische Besetzung hoherzahliger Punktlagen zuzulassen. Offensichtlich

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ist in der idealen Antiperowskitstruktur (vgl. Abb. 1) der Abstand Ag -Br verhaltnismafiig groB ; der aus der Gitterkonstante zu errechnende Abstand Ag-Br von 3,40 A entspricht ungefahr einer reinen Ionenbindung. Der Ab- stand Ag -S von 2,40 A ist in der idealen Antiperowskitstruktur zwar ziem- lich klein, ware aber denkbar, da ein solcher Wert beim Ag,AsS,4) beobachtet wird. Ungewohnlich ist jedoch, daB die vom Ag zu den beiden gegeniiber- liegenden S-Nachbarn gerichteten Bindungen gestreckt sein sollen. Sie bilden z. B. beim A~,AsS,~) einen Winkel von 165", beim Ag,SN0,5) einen Winkel von 157"; beim AgCNS6) betragt der Winkel der Ketten -Ag-S-C-N- Ag-S-C-N- am Ag 164,5". Eine Verringerung des Abstandes Ag-Br

Abb. 2. Reale Antiperowskitstruktur von Ag,SBr

ohne nennenswerte VergroBerung des Ab- standes Ag-S und eine Abweichung von den gestreckten Bindungen in der Anord- nung S - Ag -S kann in der Antiperowskit- struktur erreicht werden, wenn jedes Ag auf der aus Ag und Br aufgebauten Flache um einen nicht zu grol3en Betrag aus der Flachenmitte in Richtung einer Kante der Elementarzelle verschoben wird. Da auf einer Flache des Antiperowskitgitters jede der vier Verschiebungsrichtungen parallel zu den Kanten gleichwertig ist, kann dann jedes Ag statistisch vier gleich- wertige Punktlagen besetzen, die - wie Abb. 2 zeigt - mit den Ladungsschwer- punkten von Br auf einer Fliiche liegen.

Die vollstandig besetzte dreizahlige Punktlage des Ag in der idealen Anti- perowskitstruktur ware also durch eine nur teilweise, aber statistisch be- setzte zwolfzahlige Punktlage mit einem Freiheitsgrad zu ersetzen. Diese Annahme wird in den Raumgruppen Ot, TA und O1 durch die Punktlage 1 2 (h) erfiillt :

3 Ag in 12 (h): x, 1/2, 0; 0, x, 1/2; l /2 , 0, x ;

x, 0, 1 /2 ; 1/2, s, 0 ; 0, 113, x;

x, 1/2, 0; 0, x, 1p; l/2, 0.5;

x, 0,1/2; 1/2, H, 0; 0, 1/2, s.

Die Raumgruppen Tt und T1 scheiden aus.

4) D. HAREER, J. chem. Physics 4, 381 (1936). 5) G. BERGERHOFF, Z. anorg. allg. Chem. 299, 328 (1959). 6 , I. LINDQVIST, Acta crystallogr. [Copenhagen] 10, 29 (1957).

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B. REUTER u. K. HARDEL, Die Kristallstrukturen von dg,SBr, p - und n-Ag,SJ 173

Allerdings waren in den Raumgruppen 0; iind O1 theoretisch auch die zwolfzahligen Punktlagen 1 2 (i) bzw. 12 ( j ) moglich:

3 Ag in 12 (i): 0, x, x; x, 0, x; x, x, 0;

0, x, x; x, 0, x; x, x, 0;

0, x, x; x, 0, x; x, x, 0;

0, x, x; x, 0, x; x, x. 0; bzw.

3 Ag in 1 2 ( j ) : l /2 , Y, x; x, l /2 , x; x, x, 1/2;

1/2, x, x; x, 112, x; x, x, 112;

112, x, x; x, 112, x; x, x, 112;

1/2,x, x; x, 1/2, x; x, x, 112.

Davon kann man die Punktlagen 12 (i) ausscheiden, weil die Ag nicht parallel zu den Kanten, sondern in Richtung der Br, also in Richtung der Ecken der Elementarzelle ver- schoben waren und eine solche Verschiebung aus sterischen Grunden weniger wahrscheinlich ist als die parallel zu den Kanten. Die Punktlagen 12 (j) kann man auf Grund raumchemi- scher Betrachtungen ausschliellen: LLge diese Punktlage vor, so ware das Ag nicht nur auf der aus den Br und aus Ag aufgebauten Flache um einen Betrag 112-x parallel zu den Kanten, sondern auch senkrecht zu dieser Flache, also in Richtung des Innern der Elemen- tarzelle um den gleichen Betrag verschoben. Fur diesen Fall gibt es Ag-Lagen mit einem Parameter x von etwa 0,145, deren Abstand zum Zentrum der Elementarzelle etwa 2,40 und zu den Ecken der Elementarzelle etwa 2,80 A betragt. Der Abstand Ag-S, also zum Zentrum der Elementarzelle, entsprache dem kleinsten Abstand Ag-S im ol-Ag,S, der Ab- stand Ag-Br, also zu den Ecken der Elementarzelle, entsprache einer kovalenten Bindung Ag-Br und der Bindungswinkel S-Ag-S uare etwa 106". Da aber eine kovalente Bin- dung Ag-Br ungewohnlich ware und ein Bindungswinkel S-Ag--S von 106" bisher nicht beobachtet wurde, kann man auch die Punktlagen 12 ( j ) ausscheiden.

Unvollstiindig und statistisch besetzte Punktlagen mit mehr als einem Freiheitsgrad werden nicht in Betracht geeogen, da eine ungleichmafiige Verschiebung des Ag angesichts des symmetrischen Aufbaues der Elementarzelle mit Br in den Ecken und S im Zentrum unwahrscheinlich ist. Ebenso unu~ahrscheinlich ist es auch, dalj Ag unverandert die drei- zahlige Punktlage vollstandig besetzt, S oder Br aber auf einer hoherzahligen Punktlage unvollstandig und statistisch verteilt ist. Es sind zwar Verbindungen mit statistischer Ver- teilung der Kationen bekannt, bei denen gleichzeitig statistisch verteilte Gitterplatze unbe- setzt bleiben, eine solche Anordnung ist aber bei Anionen unbekannt.

Fur Ag,SBr wlire demnach in der Raumgruppe 0; folgende Atomanord- nung denkbar :

1 Br in 1 (a):

1 S in 1 (b): l /2, 1/2, l / 2 ; 0, 0, 0;

3 Ag nach MaBgabe ihres Raumbedarfes statistisch verteilt auf 12 (h) : x, l /2, 0; 0, x, 1/2; 1/2,0, x;

x, 0, 1/2; 112, x, 0; 0, 112, x;

x, 1/2, 0; 0, x, 1/2; 1/2, 0 , 3 ;

x, 0,1/2; 1/2,x, 0; 0,1/2,x.

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174 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 340. 1965

Jedes Ag ware statistisch auf 4 gleichwertige Punktlagen verteilt, die auf einer Fliiche der Elementarzelle liegen.

Die Struktur des Ag,SBr wurde fur den Fall der realen Antiperowskit- struktur nach dem ,,trial-and-error"-Verfahren berechnet. Dabei wurde der effektive DEBYE-Faktor in erster Naherung zu 1 A2 angenommen. Ob-

Abb. 3. Vergleich der gcmessenen und berechneten Intensitaten von

Ag,SBr

gleich die berechneten Intensitaten mit x nur verhaltnismaI3ig schwach variieren, wurde als wahrscheinlicher Ag-Parameter x = 0,385 ermittelt. In der Abb. 3 sind den aus Gvrmm-Aufnahmen photo- metrisch bestimmten Intensitaten die fur x = 0,385 und = 1 A2 berechneten Intensit at en gegeniibergestell t .

Kristallstrukturen mit statistischer Verteilung von Kationen und unbesetzten Gitterplatzen sind selten, aber nicht unbekannt. In den isomorphen Hochtemperaturphasen a-Cu,HgJ, und wAg,HgJ, z. B., deren Strukturen von KETELAAR') aus Pulveraufnahmen bestimmt wurden, sind 2 Cu bzw. 2 Ag und 1 Hg statistisch auf eine vierzahlige Punktlage des kubisch-flachenzentrierten Gitters verteilt; ein Viertel der Gitterplatze bleibt also un- besetzt. I m a-AgJ, dessen Struktur von ST ROCK^)^) aus Pulveraufnahmen aufgeklart wurde, sind sogar nur 3 Ag statistisch auf 42 Gitterplatze des kubisch-innenzentrierten Gitters verteilt. Analoge Verhaltnisse liegen beim &-Ag,S3) und beim n-CuBrlO) vor.

3. Strukturanalyse von @-Ag,SJ Aus der Beobachtung, daI3 @-Ag,SJ und Ag,SBr, wie in der ersten Mit-

teilungl) gezeigt wurde, eine luckenlose Mischkristallreihe bilden, sehr ahn- liche Gitterkonstanten haben und, wie aus Tab. 1 hervorgeht, weitgehend ubereinstimmende Rontgendiagramme geben, ist zu schlieflen, daI3 beide Verbindungen isotyp sind.

Ein Vergleich der Intensitaten zeigt allerdings, daI3 der schwache Reflex 110 von @-Ag,SJ auf GumIER-Aufnahmen von Ag,SBr nur sehr schwach zu beobachten ist ; umgekehrt konnen die schwachen Interferenzen I 0 0 und

7) J. A. A. KETELAAR, Z. Kristallogr., Kristallgeonietr., Kristallphysik, Kristallchem.

8) L. W. STROCK, Z. physik. Chem., Abt. B 26, 441 (1934). 9 ) L. W. STROCR, Z . physik. Chem., Abt. B 31,133 (1936).

' 0 ) J. KRUG u. L. SIEG, Z . Naturforsch. 7a, 369 (1952).

S7, 436 (1934).

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R. REUTER u. K. HARDEL. Die Kristallst,rukturen von Ag3SBr, ,f?- und a-Ag,SJ 175

2 1 0 von Ag,SBr auf GummR-Aufnahmen von j3-Ag3SJ nicht ermittelt werden. Doch konnen diese geringfugigen Abweichungen auf die verschie- denen Atomformfaktoren von J bzw. B r zuruckgefuhrt werden.

Die Struktur des /3-Ag3SJ wurde des- halb fur den Fall der realen Antiperowskit- struktur nach dem ,,trial-and-error"-Ver- fahren berechnet. Dabei wurde der effek- tive DEBYE-Faktor % in erster Naherung gleich 1 A2 gesetzt. Als wahrscheinlicher Ag-Parameter wurde x = 0,390 bestimmt. I n Abb. 4 werden die aus GuINIER-Auf- nahmen photometrisch ermittelten Inten- sitaten mit den fur x = 0,390 und B = 1 A2 berechneten Intensitaten verglichen.

-

4. Kristallographische Daten von a-Ag3SJ Fur die Strukturanalyse des a-Ag,SJ

standen nur pulverformige Praparate zur Verfugung, die teils oberhalb des Um- wandlungspunktes, also oberhalb 235 "C, in einer Heizkammer, teils bei Zimmer-

I t ber e c h n e t gem essen

Abb. 4. Vergleich der gemessenen und berechneten Intensitaten von

8-Ag3S J

temperatur untersucht wurden, weil oc-Ag,SJ durch Abschrecken auf Zimmertemperatur metastabil erhalten werden kann. Die Gitterkonstante von a-Ag,SJ wurde aus mehreren bei 300°C in einer Heizkammer mit cu -K,-Strahlung von 35 kV hergestellten DEBYE-SCHERRER-Aufnahmen bestimmt. Sie betragt 4,993 f 0,010 d. Die Dichte von auf Zimmer- temperatur abgeschreckten Praparaten wurde mit Toluol als Sperrflussig- keit bei Zimmertemperatur naherungs- weise zu 6,5 g/cm3 ermittelt. Daraus folgt, da13 die Elementarzelle cine For-

Tabelle 3 Indices , berechnete Netzebenenabstande und geschatzte Intensitaten einer GIJINIER-

Aufnahme von n-Ag.SJ meleinheit enthalt. Tab. 3 gibt die aus der Gitterkonstante berechneten Netz- Nr. I h k l I dber. [A1

I I

ebenenabstande, die Indices und die j l l o I 3,531 aus GuImER-Aufnahmen abneschreck- 2 I z o o i 2,497

0

ter Praparate geschatzten Intensitaten 1 f ' 23038 1,765

aller Reflexe von a-Ag,SJ bis 6 etwa 5 I 3 1 0 I 1,579 -_ 41" an. 6 , 2 2 2 ~ 1,442

7 1 3 2 1 1,335 1,248 i 8 4 0 0 Die Interferenzen bei hoheren Glanzwin- j 4 1 1,330

keln sind nicht tabelliert, weil sie wegen der 10 1 4 2 0 , 1,117

Ibeob.

st st stst st S

ss m

m ss

S

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176 Zeitschrift fur anorganischc und allgemcine Chcmie. Band 340. 1965

hohen Untergrundschwarzung im Ruckstrahlbcrcich wedcr auf den in ciner Heizkammcr hergcstclltcn DEBYE-SCHERRER- noch auf den GumrER-Aufnahmen dcr auf Zimmcrtempe- ratur abgcschrecktcn Proben ermittelt werden konnten.

Anzeichen fur eine Uberstruktur oder fur eine pseudokubische Symmetrie konnten im Glanzwinkelbereich bis 6 etwa 41" nicht gefunden werden. Eine nennenswerte Abweichung der berechneten Netzebenenabstande von den experimentell ermittelten Werten wurde nicht beobachtet.

5. Strukturanalyso yon d;-Ag,SJ Da auf Pulveraufnahmen von a-Ag3SJ-Praparaten alle Reflexe mit

h + k + 1 = 2n + 1 fehlen, darf angenommen werden, daB a-Ag3SJ ku- bisch-raumzentriert kristallisiert. Ein Vergleich (Abb. 5) der Pulverauf-

d - Ag2S

LuJA-4 20" 30 ' 40" 10

Abb. 5 . Strichdiagramm von Pulveraufnahmen des a-AgJ, a-Ag,SJ und a-Ag,S

nahmen des a-Ag,SJ mit den Pulveraufnahmen der ebenfalls kubisch-raumzentrierten Hoch- temperaturphasen W A ~ J ~ ) ~ ) und a-Ag,S3) 1613t vermuten, da13 alle drei Phasen homootyp sind : Man beobachtet eine ahnliche Folge der Reflexintensitaten, jedoch an- dere Glanzwinkel. AuBerdem wer- den die meisten Interferenzen von a-Ag,SJ durch Indices charakte- risiert, die auch die Interferenzen von a-AgJ und a-Ag,S beschrei-

ben. Nur die auf GumIER-Aufnahmen von a-Ag,SJ zu beobachtenden sehr schwachen Reflexe 2 2 2 und 4 0 0 wurden weder von STROCK*)') beim a-AgJ noch von RAHLFs ,) beim a-Ag,S auf DEBYE-SCHERRER-Aufnahmen in einer Heizkammer beobachtet. Das konnte allerdings seine Ursache in der ver- besserten Aufnahmetechnik, namlich dem GUINIER-Verfahren, haben.

Nach sTR0CKs)') wird die Elementareellc dcs a-AgJ, die eine Pormeleinhcit enthalt, von 2 J aufgebaut, die die Eckcn und das Zentrum dcr kubisch-raumzentrierten Elementar- zclle besetzen, wahrend die 2 Ag statistisch auf 42 Gittcrplatze vertcilt sind. Beim m-Ag,S, das zwei Fmmclcinheiten j e Elementarzelle enhhalt, besetzen nach RAHLFs3) 2 S die Ecken und das Zentrum der kubisch-raumeentriertcn Elemcntarzellc ; es sind abcr 4 Ag statistisch auf 42 Gittcrplatze vertcilt, deren Koordinaten durch die fur a-AgJ ermitteltcn Punktlagen beschriebcn werden konnen.

Nimmt man an, da13 a-Ag,SJ, das eine Formeleinheit pro Elementarzelle enthalt, mit a-AgJ und a-Ag,S homootyp kristallisiert, so kann das Gitter des a-Ag,SJ nur dann kubisch-raumzentriert sein, wenn 1 S und 1 J stati- stisch die Ecken und das Zentrum der Elementarzelle besetzen, wahrend 3 Ag ebenfalls statistisch auf 42 Punktlagen verteilt sind.

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B. I~EUTER u. K. HARDEL, Die Kristallstrukturen von Ag,SBr, b- urid a-Ag,SJ I77

Zur Intensitatsberechnung von a-Ag,SJ wurden deshalb folgende Punkt- lagen herangezogen :

1 J,+ 1 S statistisch verteilt auf 0, 0, 0 und 1/2, l /2 ,1 /2 .

3 Ag nach MaBgabe ihres Raumbedarfes statistisch vrrteilt auf 42 Punktlagen :

1/2, 0, 0; 0, l /2 ,0; 0, 0,1/2;

112, 112, 0; 1/2,0,1/2; 0,112,112.

ii2, 0, 114; 112, 0, 3/4; 114, 1/2, 0;

3/4, 112, C; 0,1/4, 1 /2 ; 0, 314,112;

0, 1/2, 114; 0, l /2, 314; 112, 114, 0;

1/2, 3/4, 0; 1/4, 0, 1/2; 3/4, 0, l / 2 .

l /8 , 7/8, 112; 1/8, 1/8, 1/1; 7/8, 7/8, 1/1;

7/8, 118, 112; 112, l/8, 718; 1/2, 1/8, 1/8;

112, 7/8, 718; 112, 7/8,1/8; 7/8, l/2, 1/8;

118, 112, 1/8; 7/8, l /2 , 718; 118, 112, 718.

518, 318, 0;

318, 518, 0;

0, 318, 318;

518, 0, 518;

518, 5/8, 0;

0, 5/8, 3/8;

0, 3/8, 5/8;

3/8, 0, 3/8;

Die Koordinaten dieser Ag-Punktlagen entsprechen den Koordinaten der Ag-Punkt- lagen im a-AgJ nach sTROCK8)9) . Bei der Intensitatsberechnung yon a-Ag,SJ wurde

der effektive DEBYE-Faktor willkiirlich Null gesetzt; STROCK und RAHLFS vernach- liissigten den Temperaturfaktor ebenfalls.

In der Abb. 6 werden die aus GnmIER-Aufnahmen abgeschreckter Proben photometrisch ermittelten Intensitaten mit den berechneten Intensitaten von a-Ag,SJ verglichen. Die ebereinstimmung zwischen beob- achteten und berechnetenIntensitaten liegt innerhalb der Toleranzen, die STROCK’) beim ol-AgJ und RAHLFS3)

beim ol-Ag,S fanden. 12 Z. anorg. allg. Chemie, Bd. 340.

I t u-A~JSJ

Abb. 6. Verglcich der gemessenen und berechneten Intensitaten von a-Ag,SJ

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178 Zeitschrift fur anorganische urid allgemeine Chemie. Band 340. 1965

6. Diskussion der Kristallstrukturen von Ag,SBr, 8- und a-Ag,SJ sowie der Umwandlung P-Ag,SJ F a-Ag,SJ

Die Kristallstruktur des Ag,SRr und des isotypen P-Ag,SJ laat sich aus der idealen Antiperowskitstruktur ableiten. In dieser realen Antiperowskit- struktur ist S sechsfach koordiniert, und zwar befindet sich S im Zentrum

Tabelle 4 A t o m a b s t i i n d e i n Ag3SBr, p-Ag3SJ u n d i n a n d e r e n S i l b e r v e r b i n d u n -

gen

Ag-S

Ag - Br

Bg-J

Ag-43

S-Br

S-J

2,46 "51 2,4-1-2,73 2,49-2,69 2,43 2.40 2,41 und 2,55

3,03 2,89

3,11 2,52-2,86 2,81

2,62 2 ,T l

4.16

4,24

eines verzerrten, aus Ag aufgebauten Oktaeders. Ag ist ebenfalls sechsfach koordiniert ; es besetzt das Zentrum eines verzerrten, von S und Br bzw. J gebildeten Oktaeders. ET bzw. J hat die Koordinationszahl 12.

Die Tab. 4 zeigt die Abstande Ag -S und Ag -Br bzw. Ag - J in Ag,SBr bzw. P-Ag,SJ und einigen anderen Silber- verbindungen. AuDerdem sind der kleinste mogliche Abstand Ag -Ag (Ag z. B. in 0, x, 112 und in x, 0, 112) sowie die Abstande S-Br bzw. S-J fur Ag,SBr bzw. @-Ag,SJ tabelliert. Man sieht, da13 die Abstande Ag-S und Ag -Br bzw. J in1 Ag,SBr bzw. B-Ag,SJ mit den entsprechenden Abstanden in den anderen Silberverbindungen durch- a m vergleichbar sind. Der Abstand Ag -S deutet beimAg,SBr bzw. P-Ag,SJ auf eine kovalente Bindung. Die Ab- stande Ag-Br bzw. J entsprechen

weder einer rein kovalenten noch einer reinen Ionenbindung ; allerdings uberwiegt der heteropolare Charakter. Die Abstande S -Br im Ag,SBr und 8-J im P-Ag,SJ sind gleich der Summe der PAuLINGschen Ionen- radien. Der Winkel zwischen Ag und zwei gegeniiberliegenden S-Nachbarn betragt 154" beim Ag,SBr und 155" beim P-Ag,SJ. Er steht also in guter Ubereinstimmung mit dem von BERGERHOFF 5) beim Ag,SNO, be- Stimmten Winkel von 157" und dem von HARKER~) fur Ag,AsS, ermittelten Winkel von 165".

LINDQVIST') fand - wie schon erwahnt wurde - fur die ini AgCXS beobachteten Ketten -Ag-S-C-N-Ag-S-C-N- einen Winkel von l64,5" a,m Ag. Er deutete diesen Winkel dadurch, da13 er eine Beteiligung zusatzlicher d-Elektronen des Ag am sp-Hybrid annahm.

Berechnet man mit den Werten der Tab. 4 den fur Strukturen vom Perowskit-Typ abgeleiteten GOLDSCHMIDTschen Toleranzfaktor

= ('Br,J + rAg)/1/2 (rS t TAg),

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R. REUTER u. K. HARDEL, Die Kristallst,rukturen von Ag,SBr, B- und a-Ag,SJ 119

so ergibt sich fur Ag,SBr 0,87 und fur P-Ag,SJ 0,88. Die Packungsdichten beider Phasen sind praktisch gleich groB.

Ag,SBr und P-Ag,SJ sind erste Beispiele fur den Antiperowskit-Typ ; allerdings zeigen sie eine verhaltnismaflig hohe strukturelle Fehlordnung des Kationenteilgitters, doch ist B-Ag,SJ im Vergleich zu a-Ag,SJ relativ geord- net, so daB man P-Ag,SJ sogar als eine Uberstruktur des a-Ag,SJ betrachten kann. Da es sich beim Antiperowskitgitter um ein ausgesprochenes Koordi- nationsgitter handelt, in dem keine [Ag,S]+-Kationen - wie sie SINHA und B I S W A S ~ ~ ) postulierten - und auch keine [Ag,BrI2+- oder [Ag,Jl2+-Kationen vorliegen konnen, ist eine Formulierung von Ag,SBr und Ag,SJ als Tri- argentosulfoniumhalogenide bzw. Triargentohalogenoniumsulfide nicht ge- rechtfertigt. Ag,SBr und Ag,SJ gehoren also nicht zur Klasse der Metallo- Komplexe des Silbers. Sie sind vielmehr als Gitterverbindungen aufzufassen und mussen daher als , ,Trisilbersulfidhalogenide" oder einfacher ,,Silber- sulfidhalogenide" bezeichnet werden.

a-Ag,SJ, a-AgJ und a-Ag,S kristallisieren homootyp. Beim a-Ag,SJ sind in die 42 symmetrischen Lucken der Anionenpackung, die von 1 S und 1 J statistisch aufgebaut wird, 3 Ag nur nach MaBgabe ihres Raumbedarfes ohne Rucksicht auf die geometrischen Eigenschaften dieser Gitterplatze ein- gelagert. In dem Gitter betragen die kleinsten Abstande Ag -S bzw. Ag - J 2,50 A, sie sind also kovalent.

Die Strukturen von a-AgJ, a-Ag,S und oc-Ag,SJ unterscheiden sich in zweierlei Hinsicht.

1. Die Ecken und das Zentrum der kubisch-raumzentrierten Elenientarzelle werden im a-AgJ von 2 J, im a-Ag,S von 2 S, im ac-Ag,SJ aber statistisch von 1 S + 1 J besetzt.

2. Auf die 42 Liicken in der Anionenpackung sind im n-AgJ 2 Ag, im ac-Ag,SJ 3 Sg und im a-Ag,S 4 Ag statistisch verteilt.

Die enantiotrope Umwandlung p-Ag,SJ + a-Ag,SJ ist eine Umwandlung Ordnung + Unordnung. Wahrend in der Tieftemperaturmodifikation S das Zentrum und J die Ecken der kubisch-primitiven Elementarzelle besetzt , sind in der Hochtemperaturmodifikation S und J statistisch auf das Zentrum und die Ecken der kubisch-raumzentrierten Elementarzelle verteilt. Als Folge dieser statistischen Verteilung wird bei der Umwandlung die Anionen- packung gedehnt. Gleichzeitig vermehrt sich die Zahl der mit Ag statistisch besetzbaren Lucken der Anionenpackung von 1 2 auf 42. Die Umwandlung P-Ag,SJ + a-Ag,SJ ist also nicht nur mit einer VergroBerung des Fehlord- nungsgrades der Kationen, sondern auch mit einer statistischen Verteilung der Anionen verbunden. Deshalb uberrascht es nicht, daB im Vergleich zu

11) K. P. SINRA u. A. B. BISWAS, J. chem. Physics 23,404 (1955). 12*

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180 Zeitschrift fur anorganische und allgemeine Chemie. Band 340. 1965

den Umwandlungen P-AgJ s a-AgJ und P-Ag,S + a-Ag,S die Geschwindig- keit der Urnwandlung @-Ag,S J + a-Ag,S J bei der Umwandungstemperatur klein ist.

Auch an dieser Stelle sei fiir die Gewahrung von ERP-Forschungsmitteh und von Forschungsbeihilfen durch ,den Fonds der Chemischen Industrie und die Gesellschaft von Reunden der Technischen Universitat Berlin herzlichst gedankt.

Berl in- Charlot t en burg, Anorganisch-Chemisches Institut der Tech- nischen Universitat Berlin.

Bei der Redaktion eingegangen am 31. Mai 1965.


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