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Page 1: Mehr Sozialprodukt mit weniger Energie: Es gibt nichts umsonst!

�2 ZfE Zeitschrift für Energiewirtschaft 01 | 2008

Knut Kübler

Ausgangslage

Die Bundesregierung hat beim Energie-gipfel am �. Juli 2007 ihre energiewirt-schaftlichen Planungen für die nächsten �� Jahre dargelegt und diese Planungen mit einer Fülle von quantitativen Zielen konkretisiert. Drei dieser Ziele sind für die folgenden Überlegungen wichtig:

Die Bundesregierung strebt einen Zu-wachs des realen Bruttoinlandsprodukts ■

MehrSozialproduktmitwenigerEnergie:Esgibtnichtsumsonst!

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Dr. Knut Kübler

Bundesministerium für Wirtschaft und TechnologieScharnhorststr. 34 – 37�0��5 BerlinEmail [email protected]

(BIP) von 200� bis 2020 in Höhe von �,7 % p. a. an. Das ist eine politische Setzung, die für die Entwicklung des Arbeitsmarktes in Deutschland von zentraler Bedeutung ist. Dieser Zuwachs bildet nämlich die rech-nerische Voraussetzung für den weiteren Abbau der Arbeitslosigkeit. Eine Wachs-tumsvorgabe für das Bruttoinlandspro-dukt unterhalb dieses Wertes liefe Gefahr, die absehbare Verbesserung der Arbeits-produktivität zu unterschreiten und wür-

de damit die heute so stark beschworene „Perspektive der Hoffnung“ auf dem Ar-beitsmarkt sofort zunichte machen. Eine Wachstumsvorgabe der Politik für das re-ale Sozialprodukt unter �,7 % p. a. wäre – allein aus dieser Sicht – kaum präsenta-– kaum präsenta- kaum präsenta-bel.

Gleichzeitig plant die Bundesregie-rung, den spezifischen Primärenergiever-brauch – das ist der Primärenergieeinsatz,– das ist der Primärenergieeinsatz, das ist der Primärenergieeinsatz, der nötig ist, um eine Einheit Brutto- inlandsprodukt zu erzeugen – von 200�– von 200� von 200� bis 2020 um rd. � % p. a. zu vermindern. Man muss wissen, dass diese Vorgabe weit außerhalb der historischen Erfah-rungen liegt. In der Geschichte der Bun-desrepublik hat man niemals eine so star-ke Verbesserung der Energieproduktivität über einen längeren Zeitraum beobachten können. Konzentriert man den Blick auf die aktuelle Entwicklung, wird die Auf-gabe, die sich die Politik gestellt hat, noch deutlicher. Seit ���0 hat es in Deutschland keine ��-Jahresperiode gegeben, in der es gelungen ist, den spezifischen Primären-ergieverbrauch über einen Durchschnitts-wert von �,� % p. a. hinaus zu senken. Die �,� %-Marke bildet einen „benchmark“, an dem man das aktuelle politische Ziel von � % messen kann. Wichtig ist in die-sem Zusammenhang auch der Hinweis, dass sich der Prozess der Verringerung des spezifischen Primärenergieverbrauchs in den letzten Jahren verlangsamt hat. Das entspricht den Erwartungen, denn bei den sehr hohen Energieeffizienzstandards

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Abstract

Wirtschaftliches Wachstum sichert Wohlstand und Beschäftigung. Zur gleichen Zeit will Deutschland - im Interesse des Klimaschutzes – den Energieverbrauch deutlich reduzieren. Die Vorgaben der Bundesregierung sehen vor, das reale Bruttoinlandsprodukt von 2006 bis 2020 um 26 % zu erhöhen und den Primär-energieverbrauch in der gleichen Zeit um �7 % zu vermindern. Langfristiges wirtschaftliches Wachstum bei sinkendem Energieeinsatz ist möglich, impliziert aber notwendigerweise Veränderungen, Strukturwandel, Investitionen und da-mit zunächst Kosten. In Beispielrechnungen kann man zeigen, dass die von der Bundesregierung angestrebte „Hyper-Entkopplung“ von Wachstum und Ener-gieverbrauch auf einen Anstieg der im Zusammenhang mit dem Energiever-brauch entstehenden gesamtwirtschaftlichen Ausgaben von 2006 bis 2020 um mehr als 60 % („optimistische Variante“) bzw. �50 % („weniger optimistische Va-riante“) hinauslaufen. Der beschleunigte Einsatz moderner Energietechnologien kann helfen, die zum Schutz der Erdatmosphäre gewünschte Entwicklung in Gang zu setzen und gleichzeitig die daraus resultierenden Belastungen für die Verbraucher zu begrenzen. Dabei spielt die verstärkte Förderung von Forschung und Entwicklung moderner Technologien eine wichtige Rolle.

Economic growth guarantees prosperity and employment. In the interest ofment. In the interest of climate protection Germany is also aiming to significantly reduce its energy consumption. The Federal Government is committed to increase the real gross domestic product by 26 % between 2006 and 2020 and to reduce primary en-ergy consumption in the same period by �7 %. Although long-term economic growth is possible with falling energy consumption, it does imply changes: struc-tural changes and investments, which will initially require funding. In a simple model, it can be shown that the government‘s „hyper-decoupling“ of economic growth from energy demand will lead to an increase in the overall expenditure resulting from energy consumption between 2006 and 2020 of more than 60 % (the optimistic scenario) or �50 % (the less optimistic scenario). The accelerated use of modern energy technologies can help to set in motion the desired proc-ess to protect the environment and, at the same time, limit the resulting burden on the consumer. Here the intensified support of research and development of modern technologies will play an important role.

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in Deutschland wird es natürlich immer schwieriger, weitere Effizienzgewinne zu realisieren.

Nach den Vorstellungen der Bundesre-gierung soll der Primärenergieverbrauch 2020 in Deutschland einen Wert von �2.02� PJ nicht überschreiten. Der maxi-mal zulässige Energieverbrauchswert folgt rechnerisch aus der Vorgabe des für 2020 angestrebten Bruttoinlandsproduktes und der geplanten Verminderung des spezi-fischen Primärenergieverbrauchs. Diese Vorgabe ist mit Blick auf die Verpflich-tung Deutschlands zum Schutz der Erd-atmosphäre plausibel und bildet auch eine wichtige Voraussetzung zur Errei-chung des von der Bundesregierung an-gestrebten Anteils der erneuerbaren Ener-gien an der Primärenergiebedarfsdeckung in 2020; denn je mehr es gelingt, den Pri-märenergieverbrauch zurückzufahren, um so leichter wird man hohe Anteilssät-ze für die erneuerbaren Energien erzielen können.

Es liegt auf der Hand, dass die Umset-zung der Vorgaben der Bundesregierung auf einen gewaltigen Umstrukturierungs-prozess hinaus läuft. Er wird zwangsläufig mit Kosten verbunden sein. So wie man den Schatten eines Baumes nicht durch gutes Zureden weglocken kann, wird man auch nicht die Kostenwirkungen einer so drastischen Energieeinsparpolitik ver-drängen können.

Diese Einsicht ist unter Ökonomen un-strittig. Interessant ist doch nur die Frage: Wie hoch werden die Kosten als Folge der politisch angestrebten Entwicklung stei-gen? Darüber wird wenig gesprochen. An-gesichts der hohen Komplexität des Sach-verhaltes sind Aussagen dazu auch schwer. Um die Kosteneffekte der von der Bundes-regierung getroffenen Beschlüsse abschät-zen zu können, müsste man ein sektoral tief disaggregiertes Modell der Bundes-republik Deutschland einsetzen, in dem auch die Wechselwirkungen zwischen Energiewirtschaft und Gesamtwirtschaft abgebildet werden können.

Allerdings kann man auch auf der Basis eines stark vereinfachten produktionsthe-oretischen Modells eine erste vorsichtige Abschätzung machen. Das soll im Fol-genden demonstriert werden.

Theoretische Grundlagen

Aus der makroökonomischen Produkti-onstheorie kann man die folgende Funk-tion für die Wachstumsrate des Primär-energieverbrauchs ableiten:

WPEV = α · WBIP + �� · W�� · W · WEPR

Dabei gilt:WPEV : Wachstumsrate des Primärener-

gieverbrauchs (PEV)WBIP : Wachstumsrate des realen Brutto-

inlandsprodukts (BIP)WEPR : Wachstumsrate des realen Ener-

giepreisniveaus (ERP)α : Wachstumselastizität der Energie-

nachfrage

β� : Preiselastizität der Energienach- : Preiselastizität der Energienach-frage.

Diese Gleichung erklärt die Veränderung des Primärenergieeinsatzes aus den Ver-änderungen des realen Bruttoinlandspro-dukts und den Energiepreisänderungen. Eine höhere Produktion von Gütern und Dienstleistungen, d. h. ein höheres Brutto-inlandsprodukt, wirkt in Richtung eines höheren Primärenergiebedarfs. Höhere Energiepreise wirken dagegen dämpfend auf die Primärenergienachfrage. Dabei spielen strukturelle Veränderungen und Substitutionsprozesse eine Rolle, bei de-nen die „verteuerte Energie“ durch ande-re Produktionsfaktoren (Kapital oder Ar-beit) ersetzt wird.

Von zentraler Bedeutung sind die bei-den Elastizitätsparameter:

Die Wachstumselastizität α gibt an, umα gibt an, um gibt an, um wie viel % sich die Energienachfrage – bei– bei bei konstanten Energiepreisen – verändert,– verändert, verändert, wenn sich das reale Bruttoinlandsprodukt um � % verändert.

Tab. 1 |  Politische Vorgaben

Kennziffern Ist 20062006 Planung 2020 Veränderung 2006/2020

Reales Bruttoinlandsprodukt (Mrd. €’2000) 2.196 2.775 + 579 (+ 26 %)

Primärenergieverbrauch (PJ) 14.464 12.028 – 2.436 (– 17 %)

Spezifischer Primärenergieverbrauch (GJ/1.000 €’2000) 6,59 4,33 – 2,26 (– 34 %)

Quelle: Energiegipfel, Bericht der AG 3, S. 27; Hinweis: Aktuelle Daten weisen für das BIP in 2006 einen Wert von 2.�87 Mrd. €’2000 aus.

Abb. 1 |  Wirtschaftliches Wachstum und Primärenergieverbrauch in  Deutschland (1990 = 100)

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Die Preiselastizität β� gibt an, um wieβ� gibt an, um wie gibt an, um wie viel % sich die Energienachfrage – bei konstantem Bruttoinlandsprodukt – ver-– ver- ver-ändert, wenn sich das gesamtwirtschaft-liche Energiepreisniveau um � % verän-dert.

Solange die Struktur des Bruttoinlands-produktes gleich bleibt, d. h. solange sich vor allem die Beiträge der energieinten-siven und weniger energieintensiven Pro-duktionszweige nicht wesentlich verschie-ben, liegt die Wachstumselastizität in der Nähe von �. Durch besseres Wissen, or-ganisatorische Veränderungen und tech-nischen Fortschritt kann die Wachstums-

■ elastizität reduziert werden. Eine Redu-zierung der Wachstumselastizität ist auch möglich, wenn man Einsparungen reali-siert, die keine oder geringe Wirkungen auf die gesamtwirtschaftliche Produktion haben. Wir wissen, dass solche Potenziale existieren. Theoretisch kann die Wachs-tumselastizität sogar weit unter � liegen, aber auf lange Sicht niemals Null oder ne-gativ werden. Das würde ja bedeuten, man könnte immer mehr Güter und Dienstleis-tungen mit immer weniger Energie pro-duzieren, mit dem Ergebnis, am Ende ei-ne unendliche Menge von Sozialprodukt gänzlich ohne Energie zu erzeugen. Das ist offensichtlich unmöglich.

Die langfristige Preiselastizität der Ener-gienachfrage ist negativ, d. h. höhere Ener-giepreise mindern die Energienachfrage. Wir wissen auch, dass die Energiepreis-elastizität im absoluten Betrag relativ klein ist. Das liegt an der Bindung der En-ergienachfrage an Technologien, die man nicht von heute auf morgen verändern oder austauschen kann. Jeder Autofah-rer kann beurteilen, wie stark und dauer-haft er (oder die anderen Fahrer) auf Preis-änderungen an der Tankstelle reagieren. Gesamtwirtschaftlich ist jedenfalls gut belegt, dass selbst kräftige Preisausschlä-ge nach oben in nur relativ bescheidenem Umfang Fahrverhalten und Kraftstoffver-brauch beeinflussen.

Die gleiche Argumentation gilt auch für die Energienachfrage im Wärmemarkt oder auch für die Energienachfrage der Industrie. Die Energienachfrage kann sich immer nur sehr langfristig auf Ver-änderungen der Energiepreise neu aus-richten. So kann man etwa bei Kraftfahr-zeugen mit einer durchschnittlichen Lebensdauer von �� Jahren davon ausge-hen, dass sich über diese Zeit ein höherer Effizienzstandard durchsetzen kann. Bei Wohngebäuden mit einer Nutzungsdau-er von �00 Jahren braucht man dafür we-sentlich länger. Das macht verständlich: Je länger der Beobachtungsraum, umso höher wird man die Preiselastizität der Energienachfrage ansetzen können. Die-se Analyse basiert auf einem Zeitraum von �� Jahren, was in energiewirtschaftlichen Kategorien als kurzfristig eingestuft wer-den muss und daher eine eher geringe Preiselastizität plausibel macht.

Noch ein Hinweis ist in diesem Zusam-menhang wichtig: Die Reaktionsmög-lichkeiten werden mit steigendem Effi-zienzstandard immer enger begrenzt. So hat etwa der Besitzer eines Niedrig-energiehauses mit geringem Energiever-brauch keine bzw. nur noch sehr kostspie-lige Möglichkeiten, auf einen Anstieg der Öl- oder Gaspreise zu reagieren. In diesen Fällen, die heute noch eher selten sind, in Zukunft aber die Regel werden und wer-den sollen, wird man eine sehr kleine Preiselastizität annehmen müssen. Aller-dings kann die Preiselastizität der Ener-gienachfrage, so klein sie dem absoluten Betrag auch angenommen wird, niemals Null werden, denn das würde ja bedeuten, dass die Energiepreise ins Unendliche stei-gen können, ohne die Energienachfrage zu berühren. Eine solche Hypothese ist un-realistisch.

Abb. 2 |  Gesamtwirtschaftliches Energiepreisniveau in Deutschland (2000 = 100)

Abb. 3 |  Reale gesamtwirtschaftliches Energieausgaben (Mrd. €’2000)

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Modellanalyse

Mit Blick auf unsere Fragestellung bietet es sich nun an, die oben genannte Defini-tionsgleichung wie folgt umzuformen:

WPEV – α · WBIPWEPR = ___________________ β�

wobei α �� 0 und β� �� 0α �� 0 und β� �� 0�� 0 und β� �� 0β� �� 0 �� 0

Damit wird es möglich, eine Antwort auf die folgende Frage zu geben: Wie hoch müsste das reale gesamtwirtschaftliche Energiepreisniveau (WEPR) steigen, da-mit die politischen Vorgaben der Bundes-regierung für das wirtschaftliche Wachs-tum (WBIP) und die energiewirtschaftliche Entwicklung (WPEV) bis 2020 erreicht wer-den? Um dieser Fragestellung mehr An-schaulichkeit zu geben, bietet sich die Vorstellung an, dass der Staat durch hö-here Steuern und Abgaben genau dieses notwendige Energiepreisniveau ansteu-ert (denkbar wäre auch ein autonomer Anstieg der Öl-, Gas- und Kohleimport-preise, der allerdings wegen der damit verbundenen Kaufkraftverluste im In-land mit Sondereffekten verbunden wä-re, auf die wir an dieser Stelle nicht ein-gehen können).

Nun denkt zurzeit niemand in Deutsch-land an höhere Steuern und Abgaben auf Energie. Im Gegenteil, die Planungen der Bundesregierung stellen eher Gebote und Verbote in den Mittelpunkt. Insofern scheint diese Fragestellung auf den ersten Blick nachrangig. Die Antwort kann aber trotzdem eine sinnvolle Orientierung ge-ben, wenn man sich folgendes klar macht. Auch Gebote und Verbote führen zu Belas-tungen. Das liegt an der Dualität des Kos-ten- und Preissystems. Gebote und Ver-bote erzwingen Investitionen und in deren Folge zusätzliche Kosten, die Zug um Zug im gesamtwirtschaftlichen Kreislauf auf die Endverbraucher überwälzt werden. Und da wir wissen, dass Steuer- und Ab-gabensysteme gesamtwirtschaftlich effi-zienter zu steuern vermögen als das Ord-nungsrecht, führt eine Politik mit Geboten und Verboten zwangsläufig zu höheren Belastungen, als eine Lenkung durch Steu-ern und Abgaben. Insofern kann man sa-gen, dass eine Modellanalyse in der oben entwickelten Form eine grobe Vorstellung von den Auswirkungen geben kann, und zwar im Sinne einer Art Untergrenze für die finanziellen Belastungen, die dem Ver-braucher in Deutschland durch die ord-

nungsrechtlichen Regelungen der Bundes-regierung auferlegt werden.

Das sich aus dem Modell als notwendig ergebende (höhere) Energiepreisniveau und der für 2020 vorgegebene (niedrigere) Energieverbrauch führen als Saldo zum zentralen Ergebnis der Untersuchung, nämlich einer Aussage darüber, wie viel die Verbraucher in Deutschland in 2020 für Energie ausgeben müssen und wie sich diese Ausgaben gegenüber den heutigen Energieausgaben unterscheiden. Die Dif-ferenz der Energieausgaben „heute“ und der Energieausgaben „morgen“ geben ei-nen Hinweis auf die finanziellen Konse-quenzen der Energieeinsparpolitik.

Es liegt auf der Hand, dass es mit so einem einfachen Modell nicht möglich ist, die vielfältigen und komplexen Interakti-onsbeziehungen zwischen Energiewirt-schaft und Gesamtwirtschaft und die dar-aus folgenden Implikationen im Detail zu erfassen. So bleiben beispielsweise die Ab-hängigkeiten zwischen der Wachstums-rate des Bruttoinlandsproduktes und der Wachstumsrate des Energiepreisniveaus außer Betracht. Den Wert des Ansatzes kann man jedoch darin sehen, dass die Gleichung eine definitorische Beziehung zwischen Energiepreisniveau, Wachstum und Primärenergieverbrauch herstellt, die am Ende auch von den detailliertesten Modellanalysen erfüllt werden muss. Alle dort zugrunde gelegten Annahmen, so differenziert und kleinteilig sie auch sein mögen, kommen implizit in der Wahl der Wachstums- und Preiselastizität der Ener-gienachfrage zum Ausdruck. Vorteilhaft ist auch, dass das Modell dem Leser leicht eigene Rechnungen möglich macht.

Zwei Beispielrechnungen 2020

Aus den Vorgaben der Bundesregierung ergibt sich für die Wachstumsrate des re-alen Sozialprodukts WBIP ein Wert von �,7 % und für die Wachstumsrate des Pri-märenergieverbrauchs WPEV ein Wert von – �,� %. Alles hängt jetzt von der Festle-gung der Wachstums- und Preiselastizi-tät ab.

Die Wachstums- und Preiselastizität der Energienachfrage Deutschlands kann man leider nicht in den statistischen Jahr-büchern nachlesen. Auch die empirischen Schätzungen der 70er und �0er Jahre, die auf Wachstumselastizitäten von 0,� bis 0,� bzw. Preiselastizitäten von – 0,2 bis– 0,2 bis 0,2 bis – 0,� hinweisen, sind für aktuelle Unter- 0,� hinweisen, sind für aktuelle Unter-

suchungen unbrauchbar. Wenig aussichts-reich sind auch Versuche, die Elastizitäten für Deutschland auf der Basis aktueller Daten zu schätzen. Die Umbrüche durch die Wiedervereinigung lassen keine un-verzerrten Parameterschätzungen erwar-ten. Anderseits kann man auf der Basis der vorliegenden Untersuchungen plau-sible Annahmen treffen, die für die hier angestrebte Illustration völlig ausreichen.

Zwei Beispielrechnungen sollen die Bandbreite möglicher Entwicklungen auf-zeigen:

In einer ersten Beispielrechnung werden die Elastizitätsparameter im Hinblick auf die zu erwartenden Belastungen bewusst sehr „optimistisch“ gesetzt. Wir unter-stellen, dass Deutschlands Primärenergie-verbrauch nahezu vollständig vom wirt-schaftlichen Wachstum entkoppelt wird (α = 0,�). Wir nehmen weiter an, dass dieα = 0,�). Wir nehmen weiter an, dass die = 0,�). Wir nehmen weiter an, dass die Wirtschaft über ein hohes Maß an Flexi-bilität verfügt und eine gesamtwirtschaft-lich hohe Preiselastizität besitzt (β� = – 0,�).β� = – 0,�). = – 0,�).– 0,�). 0,�). Das Ergebnis lautet in diesem Fall: Das ge-samtwirtschaftliche Energiepreisniveau müsste von 200� bis 2020 jedes Jahr real um �,� % wachsen. Das Energiepreis-niveau läge in 2020 um fast �00 % höher als heute.

In einer „weniger optimistischen“ Alter-nativrechnung (α = 0,2 und β� = – 0,2) führtα = 0,2 und β� = – 0,2) führt = 0,2 und β� = – 0,2) führtβ� = – 0,2) führt = – 0,2) führt die Berechnung zu dem Ergebnis, dass zur Erreichung der politischen Vorgaben ein Anstieg des gesamtwirtschaftlichen Ener-giepreisniveaus um �,2 % p. a. erforderlich wäre. In diesem Fall ergäbe sich für 2020 ein Energiepreisniveau, das um rd. 200 % höher liegen würde als 200�.

Wenn hier von „optimistischen„ und „we-niger optimistischen“ Varianten die Rede ist, so deutet das darauf hin, dass auch andere Konstellationen möglich sind, die ein noch höheres Energiepreisniveau not-wendig machen, damit die von der Bun-desregierung vorgegebene Gleichung für Wachstum und Energieverbrauch auf-geht. Mit weiteren Berechnungen kann man nun belegen, dass die aus der Ab-senkung des Primärenergieverbrauchs resultierenden Entlastungen für die Ver-braucher, die in der öffentlichen Debatte zuweilen so herausgehoben werden, deut-lich kleiner ausfallen als die Belastungen durch die höheren Energiepreise.

Für eine erste Orientierung ist zu-nächst eine rein hypothetische Rechnung sinnvoll. Bliebe der reale Energiepreis von 200� bis 2020 unverändert und wür-

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de der Primärenergieverbrauch durch ei-ne andere „magische Kraft“ in dem von der Bundesregierung angestrebten Um-fang abgesenkt, würden die Verbraucher in der Tat nur noch �7� Mrd. € bezahlen (200�: 20�,7 Mrd. €). Durch den zur Ab-senkung des Primärenergieverbrauchs notwendigen Anstieg des Energiepreis-niveaus ergibt sich allerdings ein anderes Bild: Rechnerisch werden die Verbraucher für Energie im Jahr 2020 rd. ��� Mrd. € (optimistische Variante) bzw. �2� Mrd. € bezahlen müssen. Das entspricht gegen- über dem heutigen Niveau einem Zuwachs um �2 % bzw. ��0 %. Oder anders gesagt: Der Anteil der Energieausgaben am Sozial- produkt würde von heute �,� % bis 2020 auf �2,� % bzw. ��,� % steigen.

Wenn man eine Faustgröße für die po-litische Debatte haben will, bietet es sich an, den Mittelwert der beiden Varianten-rechnungen zu verwenden. So kann man in vereinfachter Weise annehmen, dass sich die Energieausgaben von 200� bis 2020 um rd. �00 % erhöhen würden. In diesem Fall kann man durch den Über-gang zu einer Pro-Kopf-Betrachtung ei-ne noch anschaulichere Darstellung der Konsequenzen wählen: Heute (200�) be-zahlt der Verbraucher in Deutschland ––rechnerisch – im Durchschnitt rd. 2�00 €– im Durchschnitt rd. 2�00 €im Durchschnitt rd. 2�00 € für Energie (direkt für den Bezug von Öl, Gas, Strom, Treibstoffe usw. und indirekt für die Energie, die in den Gütern und Dienstleistungen, die er kauft, enthalten sind). Werden die Vorgaben der Bundes-regierung umgesetzt und akzeptiert man die anderen Annahmen dieser Analyse,

so kommt man zu dem Ergebnis, dass der durchschnittliche Verbraucher in 2020 real dafür �000 € wird bezahlen müssen. Der Verbraucher wird also in 2020 einen sehr viel höheren Anteil seines verfüg-baren Einkommens für Energie ausgeben müssen als heute.

Empirische Orientierung

Mit Blick auf das mögliche Interesse des Lesers an einer Bewertung der hier ge-wählten Elastizitäten können beispielhaft für die „optimistische Variante“ folgende Hinweise von Nutzen sein. Man stelle sich zunächst vor, die Wirtschaft Deutsch-lands wird bis 2020 „dupliziert“ und sie produziert die gleiche Menge an Gütern und Dienstleistungen (Bruttoinlandspro-dukt) wie die heutige, dann impliziert ei-ne Wachstumselastizität von α = 0,�, dassα = 0,�, dass= 0,�, dass die „duplizierte Wirtschaft“ dazu nur �0 % des Primärenergieverbrauchs der al-ten Wirtschaft benötigen würde (gleiches Energiepreisniveau vorausgesetzt). Man kann sich leicht klar machen, dass sich diese „fiktive Wirtschaft“ in ihrer Struk-tur in grundsätzlicher Weise von unserer heutigen Wirtschaft unterscheiden würde und die Variantenrechnung zu Recht die Bezeichnung „optimistisch“ verdient.

Dann stelle man sich vor, die Wirt-schaft Deutschlands produziere in 2020 die gleiche Menge an Gütern und Dienst-leistungen wie heute. In diesem Fall be-deutet eine Preiselastizität von β� = – 0,�,β� = – 0,�, = – 0,�,– 0,�, 0,�, dass diese Menge an Gütern und Dienst-

leistungen durch eine Verdopplung des realen Energiepreisniveaus mit einem um �0 % geringeren Primärenergieein-satz produziert werden kann. Eine sol-che Absenkung müsste – angesichts der kurzen Frist von �� Jahren – im Wesent-lichen über Veränderungen des Nutzer-verhaltens erfolgen, was nur mit einiger Fantasie vorstellbar ist. Für den Umbau der Produktionsanlagen und der Infra-struktur wäre nicht genügend Zeit. Auch diese Überlegung macht die Bezeichnung „optimistische Variante“ plausibel.

Schließlich ist auch ein Vergleich mit der bisherigen Entwicklung in Deutsch-land hilfreich. Von ���0 bis 200�, also in einem – zumindest der Länge nach ver-– zumindest der Länge nach ver- zumindest der Länge nach ver-gleichbaren – Zeitraum ist der Primär-– Zeitraum ist der Primär- Zeitraum ist der Primär-energieverbrauch um 0,2� % p. a. zurück-gegangen, das reale Sozialprodukt um �,�� % p. a. gewachsen und das gesamt-wirtschaftliche Energiepreisniveau um 2,77 % p. a. gestiegen. Es ist interessant, dass die historischen Daten in dem hier genutzten Rechenkalkül mit der Kon-stellation einer Wachstumselastizität von α = 0,2� und einer Preiselastizität von = 0,2� und einer Preiselastizität von β� = – 0,2� verträglich wären. Die Welt der= – 0,2� verträglich wären. Die Welt der– 0,2� verträglich wären. Die Welt der0,2� verträglich wären. Die Welt der Jahre ���0 bis 200� liegt also in der Nähe der Welt, wie sie in der „weniger optimis- tischen“ Variante für 200� bis 2020 beschrie-ben wird. Dabei darf man allerdings nicht übersehen, dass die Phase ���0 bis 200� vor allem durch die wirtschaftliche Um- strukturierung in den neuen Bundeslän-dern geprägt wurde, die insofern einen Sonderfall darstellt, dass hier außerordent-liche und nicht wiederholbare Energieein-

Tab. 2 |  Modellrechnungen 2006/2020

Varianten Annahme Elastizitäten Annahme BIP und PEV Ergebnisse EPR

„optimistisch“ α = 0,1

β = – 0,3

WBIP

: 1,7 % p. a.

WPEV

: – 1,3 % p. a.

WEPR

: 4,9 % p. a.

EPR : + 95 %

„weniger optimistisch“ α = 0,2

β = – 0,2

WBIP

: 1,7 % p. a.

WPEV

: – 1,3 % p. a.

WEPR

: 8,2 % p. a.

EPR : + 201 %

Tab. 3 |  Preiseffekte und Energieausgaben

Kennziffern 2006 2020 2006/2020

„optimistische Variante“EPR (Mrd. €’2000/PJ)Energieausgaben (Mrd. €’2000)Anteil Energieausgaben am BIP (in %)

14,50 209,7 9,6

28,32 340,7 12,3

+ 95 %+ 62 %–

„weniger optimistische Variante“EPR (Mrd. €’2000/PJ)Energieausgaben (Mrd. €’2000)Anteil Energieausgaben am BIP (in %)

14,50 209,7 9,6

43,71 525,7 18,9

+ 201 %+ 150 %–

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sparungen erzielt werden konnten. Eine zweite Wiedervereinigung ist jedenfalls nicht in Sicht und von daher ist eine Fort-schreibung einer so niedrigen Wachstums- elastizität keineswegs selbstverständlich.

Eine Orientierung bietet auch der Ener- giereport IV von EWI/PROGNOS aus dem Jahr 200�. Er unterstellt für die Pe-riode 2000 bis 20�0 einen Rückgang des Primärenergieverbrauchs um 0,�� % p. a., einen Anstieg des realen Sozialpro-dukts um �,�7 % p. a. und einen Anstieg des gesamtwirtschaftlichen Energiepreis-niveaus um �,0� % p. a. Das wäre mit der Konstellation einer Wachstumselastizi-tät von α = 0,0� und einer Preiselastizi-α = 0,0� und einer Preiselastizi- = 0,0� und einer Preiselastizi-tät von β� = – 0,� verträglich, was eher inβ� = – 0,� verträglich, was eher in= – 0,� verträglich, was eher in– 0,� verträglich, was eher in 0,� verträglich, was eher in die Welt der „optimistischen“ Variante passen würde. Man sieht, über �0 Jahre sind Anpassungsprozesse einfacher und mit geringeren Kosten zu realisieren als über �� Jahre. Die Abschätzung von EWI/PROGNOS ist in diesem Punkt im Grun-de plausibel, wobei allerdings noch abzu-warten bleibt, ob es mit der hier relativ bescheiden unterstellten Energiepreisan-hebung wirklich gelingt, die angenom-mene Entkopplung von Energieverbrauch und Sozialproduktentwicklung zu errei-chen. Die Erfahrungen mit Energiepro-gnosen mahnen zu Vorsicht: Prognose und Realität sind zweierlei.

Wer Schwierigkeiten hat, die hier ge-nannten Beispielzahlen zu akzeptieren, kann andere Werte für Wachstums- und Preiselastizitäten vorschlagen. Allerdings geht das nicht beliebig, denn man müsste diese Werte für die reale Welt in Deutsch-land begründen. Und so kann man fragen: Gibt es jemanden, der es wagt, für das hoch industrialisierte Deutschland eine kleinere langfristige Wachstumselastizität als 0,� in die Waagschale zu werfen? Das könnte man doch allenfalls für eine völlig inef-fektive Volkswirtschaft annehmen, in der

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es zur Gewohnheit gehört, Energie ohne Sinn und Verstand zum Fenster hinaus zu heizen, und auch dann nur zeitlich be-grenzt, denn irgendwann kommt man auch mit dem Abbau der größten Ener-gieverschwendung an ein Ende. Deutsch-land gehört aber nicht in die Kategorie der „Energieverschwender“; im Gegen-teil: Deutschland gehört eher zu den In-dustrieländern, in denen Energie effizient genutzt wird.

Schlussfolgerungen

Die Voraussetzungen und Konsequenzen energiepolitischer Entwicklungen zu be-stimmen, ist ein schwieriges Geschäft. Es erfordert umfangreiche und detaillierte Modellrechnungen. Man kann aber auch mit einfachen Rechnungen erste Anhalts-punkte gewinnen und sich dabei über die Dimension der gestellten Aufgabe Klar-heit verschaffen. Die Orientierung wird dabei umso einfacher, je mehr die Politik auf quantitativen Vorgaben aufbaut. Eine solche Politik wird – im wahrsten Sinne des Wortes – berechenbar, und zwar auch– berechenbar, und zwar auch berechenbar, und zwar auch in ihren Konsequenzen.Die hier vorgestellte Analyse zeigt, dass eine Umsetzung der von der Bundesregie-rung für 2020 gesetzten Vorgaben bei Wirt-schaftswachstum und Primärenergiever-brauch die Verbraucher belasten wird. Es wird nicht behauptet, dass die von der Bun-desregierung angestrebten Maßnahmen nicht „wirtschaftlich“ seien. Sie sind mit Blick auf die möglichen Schäden durch den Klimawandel und als Beitrag Deutschlands zum Schutz der Erdatmosphäre durchaus begründbar. Gesagt wird nur, dass die Maß-nahmen auf einen Anstieg der im Zusam-menhang mit dem Energieverbrauch stehenden gesamtwirtschaftlich entste-henden Ausgaben hinauslaufen. Der Ver-

braucher muss die Umstrukturierung mit Geld bezahlen, das ihm nicht mehr für an-dere Zwecke zur Verfügung steht. Auch für die Energieeinsparung gilt das, was immer gilt: Es gibt nichts umsonst!

Vor diesem Hintergrund kommt Opti-mierungsprozessen eine große Bedeutung zu. Wichtig ist es jetzt vor allem, dass mo-derne, sparsame und energieeffiziente Technologien beschleunigt in den Markt gebracht werden. Das hilft, die Wachs-tumselastizität zu reduzieren bzw. klein zu halten. Neue Technologien fallen aber nicht wie Manna vom Himmel, sondern müssen über Forschung, Entwicklung und Demonstration vorbereitet und an den Markt herangebracht werden. Dazu leisten die neuen Initiativen der Bundes-regierung in der Energieforschungspoli-tik einen wichtigen Beitrag. Sie zielen da-rauf ab, den Technologieproduzenten zu den erhofften Markterfolgen zu verhelfen und den Verbrauchern unnötige Kosten-belastungen zu ersparen.

AnmerkungenAls Quelle für die hier verwendeten Daten dienen Angaben des Statistischen Bundesamtes und der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen. Das ge-samtwirtschaftliche Energiepreisniveau ist durch die realen Energieausgaben pro Einheit Primär-energie definiert. Die Energieausgaben entspre-chen der Summe der Ausgaben aller Endverbrau-cher für Energie, einschließlich Steuern und Ab-gaben. Als Deflator wurde der Preisindex für das Bruttoinlandsprodukt verwendet. Die Daten sind dokumentiert bei Sachse, M.: Energieausgaben in Deutschland, 1990–2005, interne Ausarbeitung des Projektträgers beim Forschungszentrum Jülich, 2007

Der Autor vertritt in dem Beitrag seine per-sönliche Meinung.


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