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Vorlesungsskriptum

Mathematik 3

Studiengang B.Sc. Biomedizinische Informatik WS 200809Version vom 17. Dezember 2008

Doz. Gerald Fischer & Dr. Leonhard Wieser

Eduard Wallnofer Zentrum 1A-6060 Hall in TirolOsterreich/Austria

www.umit.at

c© Gerald Fischer, Leonhard Wieser

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1

Vorwort

Die Lehrveranstaltung Mathematik 3 orientiert sich im Wintersemester 2008/09 weitgehend amBuch von Erwin Kreyszig: Advanced Engineering Mathematics, John Wiley & Sons Inc. 8. Aus-gabe. Ziel dieses Skriptums ist es, durch Erklarungen und Anwendungsbeispiele ein noch besseresVerstandnis fur die Anwendung der mathematischen Methoden zu erreichen, sowie Schwerpunk-te im Stoff zu unterstreichen.

Das vorliegende Skriptum enthalt nur die in der Vorlesung behandelte Theorie und Anwendungs-beispiele. Die im Ubungsteil gerechneten Beispiele sind hier nicht enthalten. Daher ersetzt dasSkriptum nicht den Besuch der Lehrveranstaltung.

Anwendungsbeispiele dienen ausschließlich der Vertiefung des Stoffes. Sie werden nicht gepruftund sind daher gesondert gekennzeichnet.

Die rot gedruckten Terme werden am Beiblatt zur Prufung angegeben.

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Kapitel 1

Gewohnliche Differentialgleichungen

Der britische Physiker, Mathematiker und Astronom Sir Isaac Newton (1643-1727, Abb.1.1) begrundete gemeinsam mit dem deutschen Mathematiker Gottfried Wilhelm Leibniz dieDifferentialrechnung. Das von Newton formulierte zweite Newton’sche Axiom besagt, daßKraft gleich Masse mal Beschleunigung ist. Newton erkannte, daß dieses Naturgesetz alsDifferentialgleichung angeschrieben werden kann. Mochte man beispielsweise die Bahnkurveeines Himmelskorpers im Sonnensystem berechnen, so ist die erste Ableitung der Bahnkurvenach der Zeit seine Geschwindigkeit und die zweite Ableitung seine Beschleunigung. Das zweiteNewton’sche Axiom trifft also eine Aussage uber eine Zeitableitung, d.h. uber die zeitlichAnderung der gesuchten Bahnkurve. Da die Kraftwirkung (durch das Gravitationsgesetz) zujedem Zeitpunkt bekannt ist, laßt sich von gegebenen Anfangswerten (Ort und Geschwindigkeit)die Bahn des Himmelskorpers durch Losung einer Differentialgleichung berechnen.

Allgemein bezeichnet man solche Gleichungen, welche eine Aussage uber eine Anderung dergesuchten Große (n. Ableitung) enthalten, als Differentialgleichungen. Da es haufig moglichist, eine Gesetzmaßigkeit uber die Anderung einer gesuchten Große anzugeben, sind Diffe-rentialgleichungen ein Kerngebiet der angewandten Mathematik. Ab dem 18. Jahrhunderthaben Differentialgleichungen zunachst vor allem die Physik revolutioniert und so die Basisfur die Ingenieurswissenschaften gelegt. Beispiele fur beruhmte Differentialgleichungen sind dasobengenannte zweite Newton’sche Axiom als Grundlage der Dynamik, die Maxwell-Gleichungenals Grundlage des elektromagnetischen Feldes (z.B. Antennentheorie) und die Schrodiger-Gleichung als Basis der modernen Atomphysik (siehe Abb. 1.2). Aber auch in anderenAnwendungsgebieten haben Differentialgleichungen Einzug gehalten. So modellieren sie z.B.die Bevolkerungsentwicklung in soziologischen Studien oder Signalpfade in Zellen in der Biologie.

Eine große Schwierigkeit bei der Losung von Differentialgleichungen ist die breite Vielfalt anverschiedenen Formen, welche zumeist auch unterschiedliche Losungswege erfordern und haufigmit einem betrachlichem Rechenaufwand verknupft sind. Bis zur Mitte des 20. Jahrhundertswar die Mathematik vor allem darum bemuht, immer neue Losungswege fur verschiedene

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4 Kapitel 1: Gewohnliche Differentialgleichungen

Abbildung 1.1: Isaac Newton im Portrait von Godfrey Kneller aus dem Jahr 1702.

Abbildung 1.2: Der osterreichische Physiker Erwin Schrodinger (1887-1961) erklarte durch die von ihmentwickelte Schrodinger-Gleichung - eine partielle Differentialgleichung - den Aufbau der Atomhulle. Ererhielt 1933 den Nobelpreis fur Physik. Die von der osterreichischen Nationalbank im Jahr 1983 heraus-gegebene 1000 Schilling Banknote zeigt sein Portrait.

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1.1 Gewohnliche Differentialgleichungen 1. Ordnung 5

Typen von Differentialgleichungen zu finden. Damit werden zumeist exakte, analytischeLosungen fur die Gleichungen gefunden. Mit der Einfuhrung der Computer treten immer mehrNaherungsmethoden in den Vordergrund. Diese streben eine computerunterstutzte Losung mitausreichender Genauigkeit fur die konkrete Fragestellung an. Um dieser Entwicklung Rechnungzu tragen, wir in der Vorlesung folgender Zugang gewahlt:In diesem Abschnitt wird mit den gewohnlichen Differentialgleichungen der grundlegendsteGleichungstyp behandelt. Fur diesen Fall sollen die grundlegende Eigenschaften von Differenti-algleichungen diskutiert werden und analytische Losungswege fur die einige Subtypen aufgezeigtwerden. Hierbei werden die wichtigsten Eigenschaften von Differentialgleichungen aufgezeigt.In einem weiteren Kapitel wird die Lsung von partiellen Differentialgleichungen vorgestellt. Inder Vorlesung Mathematik 4 wird eine Einfuhrung in die computerunterstutzte Losung vonDifferentialgleichungen gegeben.

Zunachst soll der Begriff der gewohnlichen Differentialgleichung definiert werden:Eine gewohnliche Differentialgleichung ist eine Differentialgleichung, die nur Ableitungen nacheiner reellen Variablen enthalt. Ihre Losung ist somit eine Funktion, die von einer Variablenabhangt. In den meisten Lehrbuchern der Mathematik (so auch im Kreyszig) wird die gesuchteFunktion zumeist mit y und die unabhangige Variable mit x bezeichnet. Bei Aufgabenstel-lungen mit konkretem Bezug zu einer Anwendung ist es ublich auch andere Bezeichnungenzu verwenden. So bezeichnet man beispielsweise beim radioaktiven Zerfall haufig die Zahl anradioaktiven Kernen mit N (gesuchte Funktion), die unabhanige Variable ist die Zeit t. Diezeitliche Anderung (Abnahme) an radioaktiven Material ist direkt proportional zu N . Mankann schreiben:

dN

dt= − ln 2

THN, (1.1)

wobei TH die Halbwertszeit der radioaktiven Substanz bezeichnet. Da in Gl. (1.1) keine hoheAbleitung als die erste Ableitung vorkommt bezeichnet man dies als eine gewohnliche Diffe-rentialgleichung erster Ordnung. Im folgenden Unterkapitel wird die Losung fur die wichtigstenTypen von gewohnlichen Differentialgleichungen erster Ordnung besprochen.

1.1 Gewohnliche Differentialgleichungen 1. Ordnung

Eine gewohnliche Differentialgleichung, die nur die 1. Ableitung y′ nach der unabhangigen Va-riablen x enthalt, bezeichnet man als gewohnliche Differentialgleichung 1. Ordnung. Allgemeinkann sie in der impliziten Form

F (x, y, y′) = 0 (1.2)

angeschrieben werden. Haufig gelingt es, den Abbleitungsterm explizit auf eine Seite der Glei-

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6 Kapitel 1: Gewohnliche Differentialgleichungen

chung zu schreiben:

y′ = f(x, y). (1.3)

Dies wirkt sich positiv auf die Losbarkeit der Differentialgleichung aus.

Losung durch Integration der rechten Seite

Bei der einfachste Form von gewohnlichen Differentialgleichungen 1. Ordnung kommt nur dieAbleitung y′ nicht aber die gesuchte Funktion y selbst vor. Man kann dann schreiben:

y′ = f(x). (1.4)

Da die Umkehr der Differentialrechnung die unbestimmte Integration ist, kann Gl. 1.4 durchIntegration der rechten Seite gelost werden:

y =∫f(x)dx+ C. (1.5)

Wie aus der Integralrechnung bekannt, ist das unbestimmte Integral nur bis auf eine additiveKonstante C definiert. Da fur C ein beliebiger reeller Wert gewahlt werden, kann besitzt dieDifferentialgleichung (1.4) unendlich viele Losungen. Es soll an dieser Stelle vorweggenom-men werden, daß Differentialgleichungen stehts uber eine Schar von Losungen verfugen. DieGesamtheit aller Losungen einer Differentialgleichung nennt man die allgemeine Losung derDifferentialgleichung. Die Bedeutung der Konstanten C in Gl. (1.5) soll an einen klassischenBeispiel aus der Physik erlautert werden.

Beispiel: freier Fall ohne Luftreibung

Beim freien Fall ohne Luftreibung ist die Beschleunigung (also die Anderung der Ge-schwindigkeit v nach der Zeit t) gleich der konstanten Erdbeschleunigung g. Man kannschreiben:

dv

dt= g. (1.6)

Wie oben festgestellt, ist diese Gleichung durch unbestimmte Integration losbar:

v(t) = g

∫dt+ C = gt+ C. (1.7)

In der allgemeinen Losung der Differentialgleichung ist die Geschwindigkeit v = gt+ C nur bisauf eine Konstante bestimmt. Physikalisch ist dies so erklarbar, daß Gl. (1.6) nur den freien

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1.1 Gewohnliche Differentialgleichungen 1. Ordnung 7

Fall selbst beschreibt, aber keine Aussage uber die Anfangsgeschwindigkeit des Korpers enthalt.Diese muß zusatzlich uber eine Anfangsbedingung festgelegt werden. Wird der Korper z.B.zum Zeitpunkt t = 0 aus der Ruhe heraus (v0 = 0) fallen gelassen, so gilt die Anfangsbedingungv(t = 0) = 0. Daraus erhalt man C = 0 und v = gt. Man nennt dies eine spezielle Losungder Differentialgleichung. Wurde der Korper zu Beginn mit bekannter Geschwindigkeit nachoben geworfen, so wurde C einen negativen Wert annehmen. D.h. die Konstante C deckt allemoglichen Anfangsgeschwindigkeiten C ab.

Allgemein besitzen gewohnliche Differentialgleichungen erster Ordnung immer genau eineKonstante C in ihrer allgemeinen Losung. Um eine eindeutige Losung zu erhalten, ist immereine Zusatzbedingung notwendig. Ist die unabhangige Variable die Zeit, so spricht man von einerAnfangsbedingung. Man nennt eine gewohnliche Differentialgleichung mit Anfangsbedingungein Anfangswertproblem. Ist die unabhangige Variable eine geometrische Große, so sprichtman von einer Randbedingung (Randwertproblem).

Richtungsfeld einer Differentialgleichung 1. Ordnung

Liegt eine gewohnliche Diffierentialgleihung 1. Ordnung in expliziter Form y′ = f(x, y) vor,so kann fur jedes beliebige Wertepaar xi, yi die zugehohrige Steigung y′i = f(xi, yi) berechnetwerden. Berechnet man diese Steigungen fur eine große Zahl an Punkten und plottet dasErgebnis in die xy-Ebene, so erhalt man ein Richtungsfeld. Zeichnet man (z.B. handisch) indieses Richtungsfeld Kurven, welche tangential zu den Steigungen verlaufen, so erhalt manNaherungslosungen der Differentialgleichung.

Richtungsfelder sind daher eine Moglichkeit den Losungsvorgang und Eigenschaften vongewohnlichen Differentialgleichungen 1. Ordnung (nur fur diesen Typ konnen sie gezeichnetwerden) anschaulich darzustellen. Z.B. computerunterstutzte (numerische) Losungsverfahrenbasieren auf Richtungsfeldern. Fruher wurden Richtungsfelder handisch gezeichnet (im Kreyszigist dafur ein Verfahren angegeben). Heutzutage empfielt es sich, diese mittels Computer zuplotten. Wir wollen vorest fur drei Beispiele Richtungsfelder und Losungen betrachten.

Beispiel - freier Fall ohne Luftreibung: Abb. 1.3 zeigt das Richtungsfeld. Da dieErdbeschleunigung mit 9.81 ms-2 konstant ist, sind alle Steigungen gleich. Der Maßstab ist sogewahlt, daß der Steigungswinkel knapp unter 45o liegt. Die drei Geraden stellen drei spezielleLosungen der Differentialgleichung dar.

Beispiel - radioaktiver Zerfall: Gl.(1.1) gibt das Zerfallsgesetz an. Skaliert man dieZeitachse so, daß die Zeiteinheit gleich TH

ln 2 ist, so vereinfacht sich die Gleichung zu: N ′ = −N mitder allgemeinen Losung N(t) = Ce−t (uberprufen Sie diese Losung durch einsetzen in die Diffe-rentialgleichung !). Abb. 1.4 zeigt das Richtungsfeld und einige spezielle Losungen der Gleichung.

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8 Kapitel 1: Gewohnliche Differentialgleichungen

Abbildung 1.3: Richtungsfeld und einige spezielle Losungen fur den freien Fall ohne Luftreibung.

Die multiplikative Konstante C entspricht der Menge an radioaktiver Substanz zum Zeitpunktt = 0. Fur C=0 erhalt man die triviale Losung y ≡ 0. Auch fur negative C gibt es Losungen derDifferentialgleichung. Diese sind aber physikalisch sinnlos.

Beispiel - van der Pol Gleichung: Die van der Pol Gleichung y′ = 0.1(1−x2)xy besitzt keineexplizite Losung. Wie im Kreyszig erwahnt, liegt ihre Anwendung in der Elektronik und zwarin der Behandlung von einfachen Oszillatoren, wie sie z.B. mit Verstarkerrohen realsiert wurden(heute sind diese Oszillatoren weitgehen durch Schwingquarze und integrierte Schaltkreise ver-drangt). Der Weg vom Schaltkreis zur van der Pol Gleichung soll hier aus Platzgrunden nichtdargestellt werden. Die gesuchte Funktion y ist hier die Spannung am Ausgang des Oszillatorsund x die Zeitableitung der Ausgangsspannung (Phasendiagramm; siehe auch Kreszig Chap.3.5).In Abb. 1.5 sind das Richtungsfeld und zwei mit numerischen Methoden berechnete spezielleLosungen dargestellt. Fur den Startwert (4,-3) (grune Kurve) nahert sich die Losung von außendem Grenzzyklus (schwarz). Fur den Startwert (0,0.5) (rote Kurve) nahert sich die Losung voninnen dem Grenzzyklus. Die wesentliche Beobachtung aus dem Richtungsfeld ist, daß die Losungfur fast alle Startwerte gegen den Grenzzyklus konvergiert, was dem Oszillator eine große Stabi-litat verleiht. Lediglich fur den Ursprung (0,0) als Startwert nimmt wird y′ singular. Dieser Fallist praktisch nicht von Bedeutung, da es Aufgrund von Widerstands und Verstarkerrauschenimmer minimale Abweichungen vom Ursprung gibt.

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1.1 Gewohnliche Differentialgleichungen 1. Ordnung 9

Abbildung 1.4: Richtungsfeld und einige spezielle Losungen fur den radioaktiven Zerfall.

Abbildung 1.5: Richtungsfeld und einige spezielle Losungen fur die van der Pol Gleichung.

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10 Kapitel 1: Gewohnliche Differentialgleichungen

1.1.1 Separierbare Differentialgleichungen

In diesem Abschnitt sollen gewohnliche Diffierentialgleihung 1. Ordnung behandelt werden, diesich in expliziter Form anschreiben lassen und bei denen weiters die Funktion f(x, y) als Verhalt-nis zweier Funktionen φ und γ angeschrieben werden kann, von denen eine nur von x und einenur von y abhangt:

y′ = f(x, y) =φ(x)γ(y)

, (1.8)

bzw.dy

dx=φ(x)γ(y)

. (1.9)

Man kann beobachten, daß durch die Schreibweise

γ(y)dy = φ(x)dx. (1.10)

die Variablen getrennt werden konnen. Multipliziert man die linke Seite mit dxdx , so konnen beide

Seiten nach dx integriert werden:∫γ(y)

dy

dxdx =

∫φ(x)dx+ C. (1.11)

Durch die Umformung dydxdx = dy kann die Integrationsvariable auf der linken Seite auf y

geandert werden: ∫γ(y)dy =

∫φ(x)dx+ C. (1.12)

Unter der Annahme, daß φ(x) und γ(y) integrierbar sind, ist die Differentialgleichung (1.8)somit losbar. In der Lehrveranstaltung bzw. im Kreyszig wird die Losung von separierbarenDifferentialgleichungen an Beispielen gezeigt. Im nachfolgenden Beispiel soll gezeigt werden,wie man durch Modellbildung fur eine physikalische Aufgabenstellung zunachst zu einerseparierbaren Differentialgleichung und anschließend zu deren Losung gelangt.

Anwendungsbeispiel - Modellbildung:Bei der Berechnung eines tatsachlichen Vorganges aus unserer Erfahrungswelt muß dieser Vor-gang zunachst in die Sprache der Mathematik (also in Gleichungen) ubersetzt werden. Hierzusind immer abstrakte, vereinfachende Annahmen notig. Man spricht daher von Modellbildung(ein Modell ist ein abstraktes Bild der Wirklichkeit).

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1.1 Gewohnliche Differentialgleichungen 1. Ordnung 11

Wir wollen nun das Beispiel der zylindrischen Wassertonne aufgreifen aus der Wasserausfließt. Sie habe den Radius R und die Ausflußoffnung habe den Radius r. Gesucht seidie Fullhohe H als Funktion der Zeit t. Zum Zeitpunkt t = 0 (ziehen des Stopsels) sei dieFullhohe gleich H0. Die Fullhohe sinkt umso rascher, je großer die Geschwindigkeit v ist,mit der das Wasser ausfließt (dHdt ∼ −v). In einem infitesimalen Zeitinterval dt fließt dasinfintesimale Volumen dV , welches durch das Produkt aus Geschwindigkeit v und Querschnittder Ausflußoffnung (πr2) gegeben ist, aus (dV = πr2vdt). Der Wasserspielgel muß dabei genauum eine diesem Volumen entsprechende infintesimale Hohe dH absinken (negatives Vorzeichen).Das Volumselement dV entspricht daher dem negativen Produkt aus Querschnittflache derWassertonne πR2 mal Hohenelement dH (dV = −πR2dH). Setzt man die beiden Ausdruckefur dV gleich, so erhalt man durch Kurzen und Umordnen:

dH

dt= − r

2

R2v. (1.13)

Diese Differentialgleichung ist noch nicht losbar, da sie 3 Variablen enthalt (H, t, v). Daher sollzunachst die unbekannte Geschwindigkeit als Funktion der anderen beiden Variablen ausge-druckt werden. Man kann erwarten, daß die Ausflußgeschwindigkeit v mit sinkender Fullhohemonoton abnimmt. Die theoretische Obergrenze fur die Ausflußgeschwindigkeit v erhalt manaus der Bernoullischen Druckhohengleichung. Nimmt man die Stromung idealsiert als volligverlustfrei an, so muß die kinetische Energie v2

2 dm eines ausstromenden Wasserteilchens mitinfitesimaler Masse dm gleich der potentiellen Energie gHdm eines Wasserteilchens an der Was-seroberlache sein (g bezeichnet die Erdbeschleunigung). Man erhalt durch Gleichsetzen undUmformung: v =

√2gH. Tatsachlich muß aufgrund der verlustbehafteten Stromung (Bildung

von Wirbeln und Strudeln) und der Kontraktion des Wasserstrahles mit einer verringerten Ge-schwindigkeit gerechnet werden. Man berucksichtigt dies durch die positive Ausflußzahl µ < 1und erhalt fur die Geschwindigkeit: v = µ

√2gH. Damit hangt v nur noch von H ab und man

kann schreiben:dH

dt= −µ r

2

R2

√2gH = −k

√H. (1.14)

Um zu einer verkurzten Schreibweise zu kommen, wurden alle Konstanten zu einer neuenKonstanten k = µ r2

R2

√2g zusammengefaßt. In der Praxis besteht bei der Ausflußzahl µ die

großte Unsicherheit. Sie betragt fur Wasser bei einer kreisrunden Bohrung im Boden ca.0.60-0.65, bei Ausfluß durch ein Rohrstuck mit doppelter Lange des Lochdurchmesseres ca. 0.8und bei Ausfluß durch eine Duse 0.97 bis 0.99 (Quelle der Zahlenangaben: A. Boge: Mechanikund Festigkeitslehre, Vieweg Verlag, Braunschweig, 1984).

Nach Sepeartion der Variblen kann die Differentialgleichung (1.14) wie folgt angeschrie-ben werden:

dH√H

= −kdt. (1.15)

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12 Kapitel 1: Gewohnliche Differentialgleichungen

Unbestimmte Itegration liefert die allgemeine Losung in impliziter Form

2√H = −kt+ C, (1.16)

und durch Umformen erhalt man die Losung in expliziter Form

H(t) =14

(C − kt)2. (1.17)

Man beachte, daß Gl. (1.17) die allgemeine Losung nicht vollstandig beschreibt, da auchH(t) ≡ 0eine Losung der Differentialgleichung ist.Aus der Anfangsbedingung H(t = 0) = H0 erhalt man fur C = 2

√H0 und fur die spezielle

Losung der Differentialgleichung:

H(t) = (√H0 −

k

2t)2, fur 0 ≤ t ≤ 2

√H0

k. (1.18)

Es soll betont werden, daß die Gultigkeit der Losung auf das Intervall [0, 2√H0k ] eingeschrankt

werden muß. Fur t > 2√H0k wird der Term in der Wurzel von Gl. (1.14) negativ, womit die

Losung fur diese Zeitpunkte nicht gultig sein kann. Die Losung von Differentialgleichungen isthaufig aufgrund von solchen Beobachtungen auf einen Gultigkeitsbereich einzuschranken.

Abb. 1.6 zeigt das Richtungsfeld und die spezielle Losung fur gewahlte Konstanten. Es sollan diese Stelle wiederholt werden, daß jedes Modell nur eine Approximation der Wirklichkeitdarstellt. In dem hier gewahlten Modell wurden Effekte wie z.B. die Bildung eines Strudelsbeim Ausfluß nicht detailiert nachgebildet. Daher ist fur die berechnete Zeit zur Entleerungeine Genauigkeit von etwa 5 bis 10 % zu erwarten. Er ist dennoch bemerkswert (und nicht soselbstverstandlich wie es scheint), daß das Modell (ubereinstimmend mit den Beobachtungenaus der Erfahrungswelt) eine endliche Zeit fur die Entleerung des Gefaßes voraussagt. Furviele physikalische Aufgabestellungen (Radioaktiver Zerfall, Entladung eines Kondensators,Abkuhlen auf Raumtemperatur) nahert sich die Losung nur assymptotisch dem Ruhewert. Hier,bei der Entleerung der Tonne, wird dieser in endlicher Zeit erreicht, wofur die Wurzel in Gl.(1.14) verantwortlich ist. Das qualitative Ubereinstimmen des Modells mit der Erfahrungsweltstutzt daher die Annahme, daß die Ausflußgeschwindigkeit proportional zur Wurzel der Fullhoheist.

Uberfuhren in eine separierbare Form: Manchmal konnen auch nicht separierbareDifferentialgleichungen durch eine geschickte Substitution in eine separierbare Form gebrachtwerden. Beispiele hierfur werden in der Vorlesung und im Kreyszig behandelt.

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1.1 Gewohnliche Differentialgleichungen 1. Ordnung 13

Abbildung 1.6: Richtungsfeld und spezielle Losung fur den Ausfluß aus der zylindrischen Tonne. Fur dieKonstanten wurden folgende Werte angenommen: R=0.1 m, r=0.005 m, g=9.81 ms-2, µ=0.65, H0=0.3 m.Nach 152 s ist das Gefaß entleert.

1.1.2 Exakte Differentialgleichungen

In diesem Abschnitt soll die bisher verfolgte Strategie, Differentialgleichungen 1. Ordnung durchIntegration zu losen, auf ein moglichst breites Anwendungsgebiet verallgemeinert werden. Ummoglichst allgemeine Aussagen bezuglich der Integrierbarkeit zu finden, soll zunachst folgendeAnnahme gemacht werden:Die erste Ableitung der gesuchten Funktion y kann explizit als negativer Quotient zweier Funk-tionen M(x, y) und N(x, y) angeschrieben werden:

y′ = f(x, y) = −M(x, y)N(x, y)

, (1.19)

Die Losung dieser Differentialgleichung kann immer durch eine implizite Form

u(x, y) = C (1.20)

angeschrieben werden, wobei C die Konstante sei, die bei der allgemeinen Losung der Differen-tialgleichung eingefuhrt werden muß. Um allgemein zu untersuchen, unter welchen Vorausset-zungen u(x, y) durch Integration bestimmt werden kann, betrachten wir das totale Differential

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14 Kapitel 1: Gewohnliche Differentialgleichungen

du = ∂u∂xdx+ ∂u

∂ydy der Funktion u(x, y). Da auf der rechten Seite von Gl. (1.20) eine Konstantesteht, muß das totale Differential du = 0 sein. Wir konnen schreiben:

∂u

∂xdx+

∂u

∂ydy = 0 (1.21)

Die partiellen Ableitungen ∂u∂x und ∂u

∂y sind im allgemeinen Fall Funktionen von x und y und wirkonnen folgende Abkurzungen einfuhren:

∂u

∂x= M(x, y) und

∂u

∂y= N(x, y). (1.22)

Wir erhalten:M(x, y)dx+N(x, y)dy = 0 bzw.

dy

dx= −M(x, y)

N(x, y). (1.23)

Man beachte die Ahnlichkeit von Gl. (1.23) mit Gl. (1.19). Aufgrund der kommutativen Eigen-schaft der Ableitung muß fur Gl. (1.23) jedoch zusatzlich gelten:

∂y(∂u

∂x) =

∂x(∂u

∂y) → ∂M(x, y)

∂y=∂N(x, y)

∂x. (1.24)

Um Gl. (1.19) durch Integration losen zu konnen, muß daher gelten: ∂P∂y = ∂Q

∂x . Ist dieseBedingung erfullt, so bezeichnen wir Gl. (1.19) als exakte Differentialgleichung.

Zur Losung der Differentialgleichung gibt es nun zwei mogliche Wege:A) Da M(x, y) = ∂u

∂x , kann u(x, y) durch Integration von M uber dx bestimmt werden:

u(x, y) =∫M(x, y)dx+ k(y). (1.25)

Hierbei ist zu beachten, daß die Integrationskonstante auch eine additive Funktion von y seinkann (diese wurde bei der partiellen Ableitung M = ∂u

∂x wegfallen). Die unbekannte Funktionk(y) kann aus der Bedingung ∂u

∂y = N bestimmt werden.B) Aus N(x, y) = ∂u

∂y erhalt man durch Integration uber dy:

u(x, y) =∫N(x, y)dy + l(x). (1.26)

Hierbei kann die unbekannte Funktion l(x) aus der Bedingung ∂u∂x = M bestimmt werden.

Es sind theoretisch immer beide Losungswege moglich, jedoch konnen sich diese im Re-chenaufwand betrachlich unterscheiden. Es bedarf an Erfahrung, um fruhzeitig zu erkennen,

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1.1 Gewohnliche Differentialgleichungen 1. Ordnung 15

welcher Weg der Gunstigere ist. In der Lehrveranstaltung und im Kreyszig werden Beispiele zuexakten Differentialgleichungen durchgerechnet.

Integrierende Faktoren

Wie in der Vorlesung und im Kreyszig an einem Beispiel gezeigt wird, kann eine nichtexakte Differentialgleichung

y′ = −P (x, y)Q(x, y)

, (1.27)

haufig indem man Zahler und Nenner der rechten Seite mit einer geschickt gewahlten FunktionF (x, y) multipliziert, in eine exakte Differentialgleichung ubergefuhrt werden:

y′ = −P (x, y)F (x, y)Q(x, y)F (x, y)

= −M(x, y)N(x, y)

mit∂(PF )∂y

=∂(QF )∂x

. (1.28)

Um eine solche Funktion F systematisch berechnen zu konnen, soll zunachst untersucht werden,welche Eigenschaften die Funktion erfullen muß. Durch Anwendung der Kettenregel erhalt manaus ∂(PF )

∂y = ∂(QF )∂x :

FyP + FPy = FxQ+ FQx. (1.29)

Eine allgemeine Losung dieses Ausdrucks ist zumeist nicht durchfuhrbar. Folgende Umstandehelfen, die Losung zu vereinfachen. Zumeist gibt es nicht genau einen integrierende Faktor F ,sondern mehrere. Haufig ist es sogar moglich, integrierende Faktoren zu finden, welche nur vonx bzw. nur von y abhangen. Wir wollen zunachst nach einem integrierenden Faktor suchen, dernur von x abhangt.

F (x): In diesem Fall wird die partielle Ableitung von Fy = 0. Man erhalt aus Gl. (1.29)durch Umordnen:

1F

∂F

∂x=

1Q

(∂P

∂y− ∂Q

∂x

)= R(x). (1.30)

Dabei wurde fur die rechte Seite die Abkurzung R(x) eingefuhrt. Die erhaltene Differentialglei-chung ist durch Separation der Variablen F und x losbar. Man erhalt:

F (x) = e∫R(x)dx. (1.31)

Hierbei wurde bei der Losung die Integrationskonstante gleich Null gesetzt. Dies ist deshalbzulassig, da nur nach einer einzigen (der einfachst moglichen) integrierenden Funktion gesuchtwird.

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16 Kapitel 1: Gewohnliche Differentialgleichungen

F (y): Soll F nur von y abhangen wird Fx = 0. Man erhalt aus Gl. (1.29) durch Umord-nen:

1F

∂F

∂y=

1P

(∂Q

∂x− ∂P

∂y

)= R(y). (1.32)

Wobei die rechte Seite als R(y) bezeichnet wird. Man eralt nach Seperation der Variablen undLosen der Differentialgeichung:

F (y) = e∫R(y)dy. (1.33)

Wiederum sind beide Rechenwege gleichwertig, konnen sich jedoch im Rechenaufwand be-trachlich unterscheiden.

1.1.3 Lineare Differentialgleichungen 1. Ordnung

Eine Differentialgleichung 1. Ordnung ist linear, wenn sie in der Form

y′ + p(x)y = r(x) (1.34)

angeschrieben werden kann. Hierbei kommen die gesuchte Funktion y und ihre Ableitung nurin der ersten Potenz vor. Da viele technisch interessante Systeme durch lineare Differential-gleichungen beschrieben werden, soll Gl. (1.34) zunachst an einem konkreten Beispiel in einenphysikalischen Kontext gebracht werden.

Konkretisierung - Temperaturgleichung: Es sei y die Temperaturdifferenz eines Korperszu seiner Umgebung (z.B. Temperatur des Kuhlkorpers eines Prozessors) und x die Zeit. Dierechte Seite r(x) der Gleichung modelliert dann die Energiezufuhr in der Korper. Allgemeinkann man dies als erregende Funktion oder Eingangsfunktion bezeichnen. Sie kann z.B. mitder Auslastung des Prozessors zeitlich variieren. Die Funktion p(x) modelliert die Kuhlung desKorpers. Sie ist zeitlich variabel, wenn z.B. ein Ventilator ein und ausgeschalten wird.Haufig interessiert man sich fur das Verhalten, wenn der Korper zwar eine Anfangstempertury > 0 hat, aber die Energiezufuhr (Eingangsfunktion) gleich Null ist r(x) ≡ 0 (Auskuhlvorgang).Man spricht von der Losung der homogenen Differentialgleichung.

Losung der homogenen Differentialgleichung:

Ist die rechte Seite r(x) ≡ 0, so hat die Differentialgleichung die Form:

y′ + p(x)y = 0. (1.35)

Page 18: Mathe III Skriptum

1.1 Gewohnliche Differentialgleichungen 1. Ordnung 17

Durch Separation der Variablen erhalt man:

dy

y= −p(x)dx, → ln | y |= −

∫p(x)dx+ lnC. (1.36)

Bildet man auf beiden Seiten die Exponentialfunktion des Ausdrucks, so bekommt man fur dieallgemeine Losung der homogenen Differentialgleichung:

y = Ce−∫p(x)dx. (1.37)

Wahlen wir y ≡ 0, so erhalten wir die triviale Losung der homogenen Differentialgleichung.

Losung der inhomogenen Differentialgleichung:

Die Lsung der inhomogenen Diffeentialgleichung soll hier nur kurz skizziert werden. Derdetailierte Lsungsweg ist im Kreyszig beschrieben. Durch Umformung kann die lineareDifferentialgleichung (1.34) als nicht exakte Differentialgleichung angeschrieben werden:

dy

dx= −p(x)y − r(x)

1. (1.38)

D.h. P = py − r und Q = 1. Wir nehmen an, daß ein integrierender Faktor existiert, der nurvon x abhangt und erhalten:

1F

dF

dx= p(x). (1.39)

Somit erhalt man fur den integrierenden Faktor:

F = e∫p(x)dx. (1.40)

Nach weiterer Rechnung (siehe Kreyszig) erhalt man fur die Losung y:

y = e−∫p(x)dx

[∫e∫p(x)dxr(x)dx+ C

]. (1.41)

Leider ist die Anwendbarkeit von Gl. (1.41) nicht so umfassed, wie es auf den ersten Blick scheint.Der Grund hierfur ist die Auswertung der Integrale, welche haufig in geschlossener Form nichtlosbar sind. Die Herleitung und Anwendung von Gl. (1.41) ist daher nicht prufungsrelevant.

Page 19: Mathe III Skriptum

18 Kapitel 1: Gewohnliche Differentialgleichungen

1.1.4 Lineare Differentialgleichungen 1. Ordnung mit konstanten Koeffizienten

Ein praktisch bedeutsamer Sonderfall ist eine konstante Funktion p(x) = k.

y′ + ky = r(x). (1.42)

Man spricht dann von linearen Differentialgleichung 1. Ordnung mit konstanten Koeffizienten.Ist x die Zeit, so beschreibt Gl. 1.42 ein lineares Zeitunabhangiges System mit zeitabhangigerErregung. Die Losung der homogenen Differentialgleichung yh = Ce−kx kann wie oben beschrie-ben einfach durch Separation der Variablen ermittelt werden. Fr die Berechnung der Losung derinhomogenen Losung der inhomogenen Differentialgleichung gilt ein bemerkenswertes Theorem,welches hier ohne Beweis angefhrt wird:Ist eine spezielle (partikulare) Losung yp der inhomogenen Differentialgleichung 1.42 bekannt, soist deren allgemeine Losung durch die Summe aus Losung der homogenen Differentialgleichungyh und einer partikularen Losung yp gegeben:

y = yh + yp = Ce−kx + yp. (1.43)

Gleichung 1.43 kann insoferne ausgenutzt werden, als das nach der einfachst moglichen parti-kularen Losung gesucht wird. In der Lehrveranstaltung wird dies anhand von Ubungsbeispielendemonstriert.

1.2 Gewohnliche Differentialgleichungen 2. Ordnung

Einige grundlegende Eigenschaften von gewohnlichen Differentialgleichungen 2. Ordnung sollenzunachst wieder an einem Beispiel beobachtet werden.

Anwendungsbeispiel: nochmals freier Fall ohne Luftreibung

Im Abschnitt 1.1 wurde fur den freien Fall ohne Luftreibung die Geschwindigkeit alsFunktion der Zeit gesucht. Hier soll jetzt die Wegstrecke s als Funktion der Zeit gesucht werden.Da die Beschleunigung die 2. Ableitung des Weges nach der Zeit ist, kann man schreiben:

d2s

dt2= g. (1.44)

Integration nach der Zeit liefert:ds

dt= gt+ C1. (1.45)

Durch nochmalige Integration erhalt man:

s =g

2t2 + C1t+ C2. (1.46)

Page 20: Mathe III Skriptum

1.2 Gewohnliche Differentialgleichungen 2. Ordnung 19

Wir beobachten, daß die allgemeine Losung der Differentialgleichung 2. Ordnung (1.44) zweiKonstanten beinhaltet. Dies ist allgemein so, bei gewohnlichen Differentialgleichungen 2. Ord-nung. Daher mussen zur Bestimmung einer speziellen Losung auch zwei Anfangs- bzw. Randbe-dingungen gegeben sein. Im hier betrachteten Fall entspricht die Konstante C1 der Anfangsge-schwindigkeit und die Konstante C2 dem Anfangsweg.Weiters beobachten wir das Gl. (1.44) eine lineare Differentialgleichung ist und die allgemeineLosung eine Linearkombination aus zwei linear unabhangigen Funktionstermen (t und t2) ist.Auch diese Beobachung hat allgemein Gultigkeit fur lineare gewohnliche Differentialgleichungen2. Ordnung. Bei diesem Beispiel konnte die Losung durch zweifache Integration gefunden wer-den. Leider funktioniert dieser Weg nur bei sehr wenigen und einfachen Differentialgleichungen.Wir werden im weiteren dazu gezwungen sein, die Losung durch Wahl von geeigneten Ansatz-funktionen zu ’erraten’. Die Beobachtung, daß die allgemeine Losung zwei linear unabhangigeTerme aufweisen muß ist dabei zentral.

1.2.1 Lineare Differentialgleichungen 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten

Eine lineare Differentialgleichung 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten kann in der Form

y′′ + ay′ + by = r(x) (1.47)

angeschrieben werden. Wir mochten uns zunachst auf den homogenen Fall (r(x) = 0) be-schranken:

y′′ + ay′ + by = 0. (1.48)

Diese Gleichung laßt sich nicht durch Integration losen. Der Losungsweg, der hier zum Ziel fuhrtversucht die Losung durch ausprobieren von moglichen Losungen zu ’erraten’. Man sagt, manmacht einen Losungsansatz. Tatsachlich kommen nur sehr wenige Funktionen fur einen solchenAnsatz in Frage. Wir erinnern uns, daß die allgemeine Losung einer linearen homogenen Diffe-rentialgleichung 1. Ordnung eine Exponentialfunktion enthalten hat. Dies ist auf die besondereEigenschaft, daß die Ableitung der Exponentialfunktion wieder die Exponentialfunktion ergibt(∂e

x

∂x = ex) zuruckzufuhren. Diese Beobachtung legt uns nahe, die Funktion y = eλx auszupro-bieren. Sie besitzt die Ableitungen y′ = λeλx und y′′ = λ2eλx. Man erhalt durch Einsetzen inGl. (1.49):

(λ2 + aλ+ b)eλx = 0, bzw. λ2 + aλ+ b = 0. (1.49)

Hierbei bezeichnet man die rechts angeschriebene Gleichung als charakteristische Gleichung. IhreNullstellen erhalt man aus:

λ1,2 = −a2±√a2

4− b. (1.50)

Page 21: Mathe III Skriptum

20 Kapitel 1: Gewohnliche Differentialgleichungen

Daher sind also y = eλ1x und y = eλ2x Losungen der Differentialgleichung und die allgemeineLosung hat die Form:

y = c1eλ1x + c2e

λ2x. (1.51)

Abhangig von den Werten a und b sind fur die Nullstellen λ1 und λ2 der charakteristischeGleichung (1.50) drei Falle zu unterscheiden:a) zwei reelle Nullstellen fur a2 − 4b > 0,b) eine reelle doppel Nullstelle fur a2 − 4b = 0, undc) zwei konjugiert komplexe Nullstellen fur a2 − 4b < 0.Bevor wir uns mit der mathematischen Behandlung dieser drei Falle beschaftigen, soll ihrephysikale Bedeutung an einem Beispiel plausiblisiert werden.

Beispiel: Feder-Masse-System mit Stoßdampfer

Abbildung 1.7 zeigt ein Feder-Masse-System mit Stoßdampfer. Es kann durch eine linea-re Differentialgleichung 2. Ordnung modelliert werden.Ist der Stoßdampfer so dimensioniert, daß nur eine geringe Dampfung auftritt, so wird die Massenach einer Anfangsauslenkung eine gedampfte Schwingung ausfuhren (Schwingfall). DieserSchwingfall entspricht dem oben genannten Fall c) (zwei konjugiert komplexe Nullstellen).Besitzt der Stoßdampfer hingegen eine sehr große Dampfung, so kehrt die Maße nach einerAnfangsauslenkung nur langsam und ohne zu schwingen in die Ausgangslage zuruck (Kriechfall).Der Kriechfall entspricht dem oben genannten Fall a) (zwei reelle Nullstellen).Beide skizzierten Falle sind z.B. fur die Dimensionierung eines Stoßdampfers eines Kfz nichtideal. Hier sollte das Feder-Masse-System moglichst rasch auf einen Stoßreagieren, aber nichtschwingen. Der oben genannte Fall b) (eine relle Doppelnullstelle) beschreibt den im Idealfallerreichbaren Kompromiss: die schnellste Ruckkehr in die Ausgangslage ohne zu schwingen(aperiodischer Grenzfall, kritische Dampfung).Im folgenden soll die Differentialgleichng fur b=4 und a=8 (große Dampfung), a=4 (kritischeDampfung) und a=2 (kleine Dampfung) gelost werden. Die Anfangsbedingen seine jeweilesy(x = 0) = 1 und y′(x = 0) = 0.

Fall a) zwei reelle Nullstellen

y′′ + 8y′ + 4y = 0 mit y(x = 0) = 1 und y′(x = 0) = 0:

Ansatz: y = c1eλ1x + c2e

λ2x

Nullstellen: λ1,2 = −4±√

12 = −(4∓√

12)

allgemeine Losung: y = c1e−(4−

√12)x + c2e

−(4+√

12)x

Page 22: Mathe III Skriptum

1.2 Gewohnliche Differentialgleichungen 2. Ordnung 21

Abbildung 1.7: Ein Feder-Masse-System mit Stoßdampfer wie im Faksimile rechts oben dargestellt(Quelle: Erwin Kreyszig, Advanced Engineering Mathematics, John Wiley & Sons Inc. 8. Ausgabe.) kanndurch eine lineare Differentialgleichung 2. Ordnung modelliert werden. Die Graphen zeigen zeigen Losun-gen der Differentialgleichung y′′ +ay′ +4y = 0 mit den Anfangsbedingungen y(0) = 1, y′(0) = 0 fur a = 8(Kriechfall), a = 4 (aperiodischer Grenzfall) und a = 2 (gedampfte Schwingung).

Page 23: Mathe III Skriptum

22 Kapitel 1: Gewohnliche Differentialgleichungen

Anfangsbedingung 1: y(0) = c1 + c2 = 1

Anfangsbedingung 2: y′(0) = −(4−√

12)c1 − (4 +√

12)c2 = 0

→ c1 = 2+√

3√12

und c2 = −2−√

3√12

spezielle Losung: y = 2+√

3√12e−(4−

√12)x − 2−

√3√

12e−(4+

√12)x

Fall b) eine reelle Doppelnullstelle

Fur den Fall einer reellen Doppelnullstelle (λ1,2 = −a2 ) muß eine von y1 = e−a/2x linear

unabhangige Losung y2 bestimmt werden. Wir wahlen den Ansatz y2 = ue−a/2x, wobei u eineFunktion von x sei. Die neue Ansatzfunktion besitzt die Ableitungen y′2 = u′y1 + uy′1 undy′′2 = u′′y1 + 2uy′1 + uy′′1 . Setzt man dies in die homogene Differentialgleichung (1.49) ein, soerhalt man:

(u′′y1 + 2uy′1 + uy′′1) + a(u′y1 + uy′1) + b(uy1) = 0. (1.52)

Ordnet man diese Gleichung so um, daß die Terme u′′, u′ und u zusammengefaßt werden, soerhalt man:

u′′y1 + u′(2y′1 + ay1) + u′′(y′′1 + ay′1 + by1) = 0. (1.53)

Der Term in der letzten Klammer gibt Null, da y1 eine Losung der Differentialgleichung ist. DerTerm in der ersten Klammer (2y′1 +ay1)ist ebenfalls Null, da 2y′1 = −ae−ax/2 = −ay1. Somit istu′′y1 = 0, d.h. u′′ = 0. Durch doppelte Integration erhalt man: u = c1 + c2x. Somit lautet dieallgemeine Losung:

y = (c1 + c2x)e−ax/2. (1.54)

Damit ergibt sich fur unser Beispiel (y′′ + 4y′ + 4y = 0; a = 4):

y = (c1 + c2x)e−2x.

Anfangsbedingung 1: y(0) = c1 + 0c2 = 1

Anfangsbedingung 2: y′(0) = (−2c1 + 0c2 + c2)e0 = 0

→ c1 = 1 und c2 = 2

Fall c) zwei konjugiert komplexe Nullstellen

Page 24: Mathe III Skriptum

1.3 Ubungsaufgaben 23

y′′ + 2y′ + 4y = 0 mit y(x = 0) = 1 und y′(x = 0) = 0:

Wie im Kreyszig gezeigt wird ist die allgemeine Losung ist gegeben durch.

y = e−ax/2(α cosωx+ β sinωx), mit ω =

√b− a2

4. (1.55)

Damit erhalt man fur unser Beispiel e−ax/2 = e−x und ω =√

(3). Daraus folgt:

y = e−x(α cos√

3x+ β sin√

3x).

Anfangsbedingung 1: y(0) = e0(α cos 0 + β sin 0) = 0.

Anfangsbedingung 2: y′(0) = e0(α cos 0 + β sin 0−√

3A sin 0 +√

3B cos 0) = 0.

→ α = 1 und β = 1√3

Inhomogene DifferentialgleichungWie bereits bei den lineaen Differentialgleichungen 1. Ordnung mit konstanten Koeffizientenkann auch hier die Lsung der lineaen Differentialgleichungen 1. Ordnung mit konstantenKoeffizienten als Linearkombination der allgemeinen Lsung der homogenen Gleichung und einerpartikulren Lsung der inhomogenen Gleichung angeschrieben werden (y = yh + yp).

1.2.2 System von Differentialgleichungen 1.Ordnung

Es ist immer moglich, eine gewohnliche Differentialgleichung n.-ter Ordnung in ein System von ngewohnlichen Differentialgleichungen 1. Ordnung mit n Unbekannten Funktionen umzuformen.Dies ist vor allem fur die computerunterstutzte (numerische) Losung von Differentialgleichungenvon Vorteil, da sich die numerische Losung von Differentialgleichungen 1. Ordnung leicht inAlgorithmen mit breiter Gultigkeit uberfuhren laßt.Wir wollen die Umformung in ein System von gewohnlichen Differentialgleichungen 1. Ordnungam Beispiel der linearen Differentialgleichung 2. Ordnung y′′ + p(x)y′ + q(x)y = r(x) zeigen.Fuhrt man anstelle der 1. Ableitung von y eine neue Variable u = y′ ein so erhalt man:

y′ = u,u′ = −p(x)u− q(x)y + r(x).

(1.56)

1.3 Ubungsaufgaben

Theoriefrage: Zeigen Sie allgemein wie fur die gewohnliche Differentialgleichung y′ = −P (x)Q(x)

Page 25: Mathe III Skriptum

24 Kapitel 1: Gewohnliche Differentialgleichungen

ein Integrierender Faktor gefunden werden kann, der nur von x abhangt.

Beispiel: Losen Sie die folgenden Anfangswertprobleme:a) y′ = 3 x√

y , y(x = 0) = 1.

b) y′ = −x2+y2

2xy , y(x = 1) = 1.c) y′′ + 5y′ + 6y = 0, y(x = 0) = 1, y′(x = 0) = 0.Uberprufen Sie die Losungen.

Beispiel: Bestimmen Sie die allgemeinen Losungen folgender Differentialgleichungen:a) y′ =

√xy.

b) y′ = 2 cos y+4x2

x sin y .c) y′′ + 2y′ + y = 0.Uberprufen Sie die Losungen.

Beispiel: Losen Sie die folgenden Anfangswertprobleme:a) y′ = 2 + y, y(x = 0) = 1.b) y′ = − yex

2y+ex , y(x = 0) = −1.c) y′′ + 9y = 0, y(x = 0) = 0, y′(x = 0) = 1.Uberprufen Sie die Losungen.

Beispiel: Bestimmen Sie die allgemeinen Losungen folgender Differentialgleichungen:a) y′ = (x+ 1)y−3.b) y′ = −2y+xy

2x . Hinweis: 1xy ist ein integrierender Faktor.

c) y′′ + 6y′ + 8y = 0.Uberprufen Sie die Losungen.

Page 26: Mathe III Skriptum

Kapitel 2

Fourierreihen

Die unter dem Begriff Fourier-Analyse subsummierten Methoden gehen auf den franzosischenMathematiker Jean Baptiste Joseph Fourier (1768-1830, Abb. 2.1) zuruck. Der Großteil der Me-thoden wurde von Fourier wahrend des Agypten-Feldzuges von Napoleon Buonaparte, an demer als Gelehrter und Landvermesser teilnahm, entwickelt. Daher verwundert es nicht, daß dieklassischen Fourier Methoden, wie sie in diesem Kapitel behandelt werden, zum Gebiet der ana-lytischen Mathematik gehoren. Ihre Bedeutung fur die Medizinische Informatik ergibt sich vorallem durch die digitalen bzw. numerischen Weiterentwicklungen (z.B. Fast Fourier Transfor-mation, FFT), welche in den Vorlesungen aus Signal- und Bildverarbeitung behandelt werden.Diese Verfahren werden in der modernen Medizintechnik beispielsweise bei der Berechnung vonMagnetresonanz- und Computer-Tomografie-Bilddaten eingesetzt.

Zunachst sollen im Rahmen der Vorlesung jedoch die Fourierreihen als Basis aller wei-terfuhrenden Verfahren behandelt werden.

In der Literatur werden Fourierreihen ublicherweise zunachst fur periodische Funktioneneingefuhrt. Die wesentliche Beobachtung von Fourier war, dass periodischen Funtionen durch eineSumme von trigonometrischen Funktionen (’sinusformige Schwingungen’) plus einer konstantenFunktion dargestellt werden konnen. Periodische Funktionen sind besonders in der Elektronikund damit auf der hardwarenahen Seite der Informatik weit verbreitet. Man beachte, daß hiereine besondere Attraktivitat fur die Anwendung besteht. Sinusformigen Schwingungen bilden dieGrundlage der Wechselstromrechnung, konstante Großen werden durch die Gleichstromrechnungabgedeckt.

2.1 Beispiel - symmetrische Dreieckfunktion

In dem Abschnitt soll die Idee hinter den Fourierreihen zunachst am Beispiel einer Dreieckfunk-tion vermittelt werden. Dreieckfunktionen treten in der Elektronik bei den meisten Generatorenauf, die Signale mit verandererbarer Frequenz erzeugen (Grundausstattung in jedem Elektroni-klabor).

Es soll zunachst eine periodische Dreieckfunktion mit der Amplitude 1 und der Periode 2π

Page 27: Mathe III Skriptum

26 Kapitel 2: Fourierreihen

Abbildung 2.1: Jean Baptiste Joseph Fourier (Quelle: Wikipedia - freie Enzyklopadie)

betrachtet werden. Diese Funktion f(x) kann wie folgt angeschrieben werden:

f(x) ={

2πx fur −π

2 < x ≤ π2

2− 2πx fur π

2 < x ≤ 3π2

mit f(x+ 2π) = f(x). (2.1)

Diese Funktion ist in Abb. 2.2 dargestellt. Es soll an dieser Stelle zunachst ohne Beweisbehauptet werden, daß die Funktion f(x) auch durch eine unendliche Reihe mit Sinus-Gliederndargestellt werden kann:

f(x) =8π2

(sinx− 132

sin 3x+152

sin 5x∓ ...). (2.2)

In Abb. 2.2 ist auch der Graph dieser Reihe dargestellt, wobei einmal nur das 1. Glied, dannalle Glieder bis zum 3., 5. und 7. Glied dargestellt sind. Man erkennt, daß mit wachsender Zahlan Gliedern die Funktion immer besser approximiert wird. Man kann zeigen, daß im Grenzwertfur unendlich viele Glieder die Reihe sogar exakt gegen die Funktion f(x) konvergiert, was das’Ist-Gleich-Zeichen’ in Gl. (2.2) rechtfertigt.

Wie im Kreyszig geeigt wird, kann die Beobachtung an diesem Beispiel auf eine große Fa-milie an peridischen Funktionen erweitert werden, wenn zusatzlich zum sin noch cos-Gliederund ein konstantes Glied eingefuhrt werden. Faktisch alle in der Technik vorkommenden pe-riodischen Funktionen (z.B. Taktsignale in der Elektronik, Druckgroßen in Kolbenmaschinen)konnen durch eine Fourierreihe dargestellt werden. Wir erhalten dadurch einen neuen Blickwin-kel auf die peridische Funktion. Wir bezeichnen die mit sinx und cosx verkupften Glieder alsGrundschwingung bzw. 1. Harmonische und die mit sinnx und cosnx verknupften Glieder alsn. Oberschwingung bzw. n. Harmonische. In der Musik legt die Frequenz der Grundschwingungdie Tonhohe fest, die Oberschwingungen die Klangfarbe des Instrumentes. So ist beispielswei-se die Klangfarbe des Kammertones a1 (Grundschwingung 440 Hz) bei einer Blockflote (wenigOberschwingungen) anders als bei einer Trompete (starke Oberschwingungen).

Page 28: Mathe III Skriptum

2.1 Beispiel - symmetrische Dreieckfunktion 27

Abbildung 2.2: Peridische Dreieckfunktion (oben) und ihre Approximation durch Fourierreihen bis zum1., 3., 5. und 7. Glied.

Page 29: Mathe III Skriptum

28 Kapitel 2: Fourierreihen

2.2 Fourierreihen - Ansatz

Wir wollen uns in diesem Kapitel zunachst wie im Kreyszig auf Funktionen mit der fundamen-talen Periode 2π beschranken. Die Fourierreihe kann wie folgt angeschrieben werden:

f(x) = a0 +∞∑n=1

(an cosnx+ bn sinnx). (2.3)

Bei gegebener Funktion f(x) sind die Koeffizienten a0, an und bn zunachst unbekannt. IhreBerechnung bezeichnet man als Fourierreihenentwicklung. Sie basiert auf dem unten beschrie-benen Ansatz. Die hier gezeigte Behandlung ist umfangreicher als im Kreszig.

Wir nehmen an, die Reihe beschreibt die Funktion mit einem Residum (Fehler) ρ(x):

ρ(x) = f(x)− a0 −∞∑n=1

(an cosnx+ bn sinnx). (2.4)

Das Residum sollte fur eine gesammte Periode [−π, π] betragsmaßig moglichst klein werden.Man fordert ∫ π

−πρ2(x)dx→ min. (2.5)

Hier sorgt das Quadrat in Gl. (2.4) dafur, daß auch negative Fehler positiv gezahlt werden(Alternative zur Betragsbildung). Durch die Integration werden die Fehler uber die gesammtePeriode aufsummiert. Setzt man Gl. (2.4) in Gl. (2.5) ein, so erhalt man:∫ π

−π[f(x)− a0 −

∞∑n=1

(an cosnx+ bn sinnx)]2dx→ min. (2.6)

Die Unbekannten a0, an und bn werden durch Nullsetzen aller partiellen Ableitungen nacha0, an und bn berechnet. Dies kann fur a0 wie folgt angeschrieben werden:

∂a0

∫ π

−π[f(x)− a0 −

∞∑n=1

(an cosnx+ bn sinnx)]2dx != 0 (2.7)

Man erhalt nach Durchfuhrung der partiellen Ableitung und Umordnung des Ausdruckes(vergleiche Kreyszig):∫ π

−πf(x)dx = a0

∫ π

−πdx+

∫ π

−π

∞∑n=1

(an cosnx+ bn sinnx)dx (2.8)

Fur die Integrale im Summenterm auf der rechten Seite gilt:∫ π−π cosnx dx =

∫ π−π sinnx dx = 0, n ∈ N. (2.9)

Page 30: Mathe III Skriptum

2.2 Fourierreihen - Ansatz 29

Die Beobachtung, daß fast alle Integrale auf der rechten Seite Null werden erleichtert dieBehandlung wesentlich. Sie ist auch zentral fur den theoretischen Hintergrund der Fourierreihen.Durch diese Eigenschaft kann das konstante Glied a0 unabhanig von an und bn berechnet werden.

Damit erhalt man unter Berucksichtigung von∫ π−π dx = 2π:

a0 =1

∫ π

−πf(x)dx. (2.10)

Zur Berechnung der Koeffizienten an und bn soll zunachst die Eigenschaft der Orthogonalitateines trigonometrischen Systems angefuhrt werden:∫ π

−π cosmx cosnx dx =∫ π−π sinmx sinnx dx = 0, m, n ∈ N,m 6= n. (2.11)

∫ π−π cosmx sinnx dx = 0, m, n ∈ N. (2.12)

Die Behandlung dieser Integrale kann im Kreyszig nachgelesen werden. Abb. 2.3 plausibili-siert, warum die Integrale Null werden (Symmetrieeigenschaften des Integranden).

Zur Berechnung aller Koeffizienten am setzt man alle partiellen Ableitungen des Funktionals(2.6) nach am gleich Null:

∂am

∫ π

−π[f(x)− a0 −

∞∑n=1

(an cosnx+ bn sinnx)]2dx != 0 (2.13)

Man erhalt nach Ableiten und Umordnen (vergleiche Kreyszig):∫ π

−πf(x) cosmx dx =

∫ π

−π[a0 +

∞∑n=1

(an cosnx+ bn sinnx)] cosmx dx (2.14)

Aufgrund der Orthogonalitat geben die Integrale uber das konstante Glied und auch jeneuber die sin-Glieder Null. Die Integrale uber die cos-Glieder sind fur m 6= n Null. Nur dasIntegral

∫ π−π cosmx cosmx dx = π liefert aufgrund der quadratischen Operation im Integranden

ein Ergebnis großer Null. Man erhalt somit:

am =1π

∫ π

−πf(x) cosmx dx. (2.15)

Die Berechnung der Koeffizienten bm ist vollig analog zur Berechnung der am (siehe auchKreyszig). Daher wird hier nur das Ergebnis angeschrieben:

bm =1π

∫ π

−πf(x) sinmx dx. (2.16)

Es soll abschließend betont werden, die Berechnung der Koeffizienten a0, am und bm auf derMinimierung eines Funktionales (2.6) beruht. Es kann gezeigt werden, daß dieses Funktional nur

Page 31: Mathe III Skriptum

30 Kapitel 2: Fourierreihen

Abbildung 2.3: Beispiel zur Orthogonalitat des trigonometrischen Systems. Das obere Bild zeigt dieFunktionen cos 2x und sin 3x. Das unter Feld zeigt das Produkt cos 2x sin 3x. Die gelb hinterlegte Flacheentspricht dem Integral. Aufgrund der Symmetrie heben sich die positiven und negativen Flachen exaktweg. Das Integral gibt Null.

Page 32: Mathe III Skriptum

2.3 Gerade und ungerade Funktionen 31

ein Extremum (Minimum) besitzt. Daher ist die Fourierreihenentwicklung ein außerst stabilesVerfahren. Fur endliche, stuckweise stetige periodische Funktionen konvergiert die Reihe gegendie exakte Funktion.

2.3 Gerade und ungerade Funktionen

Im Kapitel 2.1 sind in der Fourierreihe der Dreiecksfunktion nur sin-Glieder vorgekommen(a0 = a1 = ... = 0). Verantwortlich dafur ist eine besondere Symmetrieeigenschaft der in Gl.(2.1) definierten Dreiecksfunktion. Sie ist ungerade, d.h. sie ist punktsymmetrisch bezuglich desUrsprunges. Es gilt:

f(x) = −f(−x) ... ungerade Funktion. (2.17)

Von allen Gliedern der Fourierreihe (2.3) sind nur die sin-Glieder punktsymmetrischbezuglich des Ursprunges (siehe Abb. 2.4). Daher kommen in der Reihenentwicklung auch nurdiese Terme vor (alle an = a0 = 0).

Im Gegensatz zum sin sind das konstante Glied und die cos-Glieder spiegelbildlich bezuglichder Ordinate. Man spricht von geraden Funktionen:

f(x) = f(−x) ... gerade Funktion. (2.18)

In der Reihenentwicklung von geraden Funktionen kommen daher nur gerade Terme vor (allebn = 0, siehe Abb. 2.4).

Besonders in der Elektronik haben zahlreiche Signale Symmetrieeigenschaften, die bei derBerechnung der Fourierreihen ausgenutzt werden konnen. Eine Funktion f(x) kann auch immeraus einem ungeraden Anteil f1(x) und einem geraden Anteil f2(x) zusammengesetzt werden(f(x) = f1(x) + f2(x)). Haufig vereinfacht dies die Rechnung, wie an folgendem Beispiel gezeigtwerden soll.

Die periodische Sagenzahnfunktion f(x) sei gegeben als:

f(x) =x

π+ 1, fur − π < x < π, mit f(x) = f(x+ 2π). (2.19)

Diese Funktion besitzt den geraden Anteil f2(x) = 1 mit trivialer Fourierreihe (nur konstan-tes Glied) und der ungeraden Anteil f1(x) = x

π (siehe Abb. 2.5). Beim ungeraden Anteil konnennur die Koeffizienten bn ungleich Null sein, was Rechenaufwand einspart und Fehlerquellen ver-meidet. Ubungsaufgabe: Berechnen Sie die Fourierreihe von f(x). Sagezahnfunktionen dienen inder Elektronik/Informatik z.B. zur Horizontal- und Vertikalablengkung des Elektronenstrahlesam Bildschirm.

Symmetrieeigenschaften haben eine weitere praktische Bedeutung, welche hier nur kurz an-gedeutet werden soll (detailierte Behandlung im Kreszig). Oft haben Funktionen nur in einemendlichen Intervall ein physikalische Bedeutung. Als Beispiel sei hier z.B. die Auslenkung f(x, t)einer schwingenden Gitarrensaite genannt (t ist die Zeit). Hier ergibt die Funktion nur fur xim Intervall [0, L] (L ... Lange der Saite) einen physikalischen Sinn. Außhalb ist die Funktion

Page 33: Mathe III Skriptum

32 Kapitel 2: Fourierreihen

Abbildung 2.4: Beispiel fur gerade und ungerade Funktionen. Die gleichschenkelige Dreiecksfunktionkann als ungerade (links) aber auch als gerade Funktion (rechts) definiert werden. Im ersten Fall enthaltdie Fourierreihe nur sin-Glieder. Im zweiten Fall nur cos-Glieder. Ubungsaufgabe: Berechnen Sie dieFourierreihen der beiden Funktionen.

Abbildung 2.5: Sagezahnfunktion f(x) aus Gl. 2.19 (volle Linie). Sie kann aus der ungeraden Funktionf1(x) (strichpunktiert) und der geraden, konstanten Funktion f2(x) zusammengesetzt werden (punktiert).

Page 34: Mathe III Skriptum

2.4 Funktionen mit beliebiger Periode p = 2L 33

Abbildung 2.6: Skalierung der Abszisse. Die Variable x hat die Periode 2π, die Variable ξ hat die Periodep = 0.2.

undefiniert. Man kann dies nutzen, und sich die Funktion außerhalb der Saite beliebig peri-odisch vorgesetzt denken. Damit werden Grund- und Oberschwingung auf der Saite in Form vonFourierreihen behandelbar.

Anlog ist auch der Einsatz von Fourier-Methoden in der digitalen (medizinischen) Bildver-arbeitung zu plausibilisieren. Die Bildfunktion ist nur fur Pixel innerhalb der Bildes definiert.Außerhalb kann man sich die Funktion beliebig (also auch periodisch) vorgesetzt denken.

2.4 Funktionen mit beliebiger Periode p = 2L

Im vorigen Kapitel wurde vereinfacht angenommen die Fundamentalperiode sei 2π. Im allge-meinen Fall jedoch sei die Fundamentalperiode p. Manchmal ist es zweckmaßig die AbkurzungL fur die halbe Fundamentalperiode einzufuhren (siehe Kreszig). Um eine klare Abgrenzungzum vorangegangenen Kapitel zu ermoglichen, schreiben wir hier fur die unabhangige Variableξ (anstelle von x).

Durch die Koordinatentransformation

x =π

Lξ =

2πpξ (2.20)

kann jede Funktion auf das Intervall [−π, π] skaliert werden (siehe Abb. 2.6). Dann lauten dieVorschriften zur Fourierreihenentwicklung:

a0 =1

2L

∫ L

−Lf(ξ) dξ =

1p

∫ p

0f(ξ) dξ, (2.21)

am =1L

∫ L

−Lf(ξ) cos

mπξ

Ldξ =

2p

∫ p

0f(ξ) cos

2mπξp

dξ, (2.22)

bm =1L

∫ L

−Lf(ξ) sin

mπξ

Ldξ =

2p

∫ p

0f(ξ) sin

2mπξp

dξ. (2.23)

Page 35: Mathe III Skriptum

34 Kapitel 2: Fourierreihen

Gl. (2.21) bis (2.23) sind am Formelblatt zur Prufung angefuhrt.

2.5 Komplexe Fourierreihen

In diesem Kapitel soll gezeigt werden, daß Fourierreihen auch in komplexer Form angeschriebenwerden konnen. Eine (in der Praxis eher seltene) Anwendung dieses Verfahrens ist die Reihen-entwicklung komplexer Funktionen fc(x). Der bedeutende Vorteil komplexer Fourier-Reihen istdie kompakte Schreibweise, die mit Hilfe der komplexen Zahlen erreicht wird. Durch diesen Vor-teil bedienen sich praktisch alle Weiterentwicklungen der Fourierreihen (vor allem die ’digitalen’Verfahren wie die FFT und die z-Transformation) der komplexen Notation. Die Betrachungenwerden hier auf reelle Funktionen f(x) eingeschrankt.

Wir wollen uns zunachst die Euler Formel eix = cosx + i sinx in Erinnerung rufen. Mankann beobachten, daß je ein cos- und sin-Term sehr kompakt in den Exponenten der e-Funktiongeschrieben werden konnen. Die imaginare Einheit i ist dabei eine Art ’Mascherl’, welches ver-wendet wird um sin und cos-Term zu unterscheien. Um zu einer kompakten Schreibweise zugelangen, notieren wir zunachst (die Periode von f(x) sei 2π):

einx = cosnx+ i sinnx. (2.24)

e−inx = cosnx− i sinnx. (2.25)

Addiert man die beiden Ausdrucke (2.24) und (2.25), so erhalt man nach Division durch 2:

cosnx =12

(einx + e−inx). (2.26)

Damit ist es gelungen, den cos-Term als Summe zweier komplexer e-Funktionen darzustellen.Analog erhalt man durch Subtraktion von (2.24) und (2.25) nach Division durch 2i:

sinnx =12i

(einx − e−inx). (2.27)

Aus Gl. (2.26) und (2.27) erhalt man fur die n. Harmonische der Reihe:

an cosnx+ bn sinnx =12

(an − ibn)einx +12

(an + ibn)e−inx. (2.28)

Wir fuhren nun den komplexen Fourierkoeffizienten cn = 12(an − ibn) ein. Weiters schreiben

wir fur das konstante Glied c0 = a0 und fuhren die Hilfsgroße kn = 12(an + ibn) ein.

Wir konnen nun die Fourierreihe (2.3) wie folgt anschreiben:

f(x) = c0 +∞∑1

(cneinx + kne−inx). (2.29)

Page 36: Mathe III Skriptum

2.6 Ubungsaufgaben 35

Um die Schreibweise noch weiter abzukurzen, lassen wir nun auch negative Indizes fur n zu.Weiters ersetzen die Hilfsgroße durch einen komplexen Fourierkoeffizienten mit negativem Indexc−n = kn:

f(x) =∞∑−∞

cneinx. (2.30)

Gl. (2.30) ist die komplexe Fourierreihe. Sie ist das komplexe Aquivalent zur reellen Fourier-reihe (2.3). Sie kann jedoch deutlich kompakter angeschrieben werden. Die komplexen Fourier-koeffizienten cn berechnen sich aus:

cn =1

∫ π

−πf(x)e−inxdx. (2.31)

Man beachte, daß es hier moglich ist, das Aquivalent zu Gl. (2.10), (2.15) und (2.16) ineinem einzigen Ausdruck anzuschreiben. Fur die allgemeine Periode p = 2L lauten dann dieentsprechenden Beziehungen:

f(ξ) =∞∑−∞

cneinπξ/L, (2.32)

cn =1

2L

∫ L

−Lf(ξ)e−inπξ/Ldξ. (2.33)

Gl. (2.32) und (2.33) sind am Formelblatt zur Prufung angefuhrt.

2.6 Ubungsaufgaben

Beispiel: Berechnen Sie die Fourierreihe (Koeffizienten a0, an, bn) der unten dargestellten Funk-tion f(x) mit der Fundamentalperiode 2L = 4. Hinweis: f(x) kann als Summe einer geradenund einer ungeraden Funktion angeschrieben werden. Geben Sie auch die Koeffizienten c−1, c0,c1 der komplexen Fourierreihe von f(x) an.

Beispiel: Berechnen Sie die Fourierreihe (Koeffizienten a0, an, bn) der unten dargestellten Funk-tion f(x) mit der Fundamentalperiode 2L = 4. Hinweis: f(x) kann als Summe einer geradenund einer ungeraden Funktion angeschrieben werden. Geben Sie auch die Koeffizienten c−1, c0,c1 der komplexen Fourierreihe von f(x) an.

Beispiel: Berechnen Sie die Fourierreihe (Koeffizienten a0, an, bn) der unten dargestellten Funk-tion f(x) mit der Fundamentalperiode 2L = 6. Hinweis: beachten Sie die besonderen Symmetrie-eigenschaften von f(x). Geben Sie auch die Koeffizienten c−1, c0, c1 der komplexen Fourierreihevon f(x) an.

Page 37: Mathe III Skriptum

36 Kapitel 2: Fourierreihen

Theoriefrage: Zeigen Sie, wie man vom Fourierreihenansatz durch Minimierung des Residumsdie Beziehungen zur Berechnung der Koeffizienten a0, am und bm erhalt. Nutzen Sie die Eigen-schaft der Orthogonalitat des durch die Ansatzfunktionen gebildenten Funktionensystems.Theoriefrage: Zeigen Sie, wie man durch Nutzung der Eulerformel von der Fourierreihe mit

den reellen Koeffizienten a0, an und bn zu einer komplexen Darstellung der Reihe mit den Ko-effizienten cn kommt.Beispiel: Berechnen Sie die Fourierreihe mit den komplexen Koeffizienten cn der unten darge-

stellten Funktion f(x) = k | cosx | (Ausgangssignal des Vollweggleichrichters). Hinweis: verwen-den Sie die Beziehung cosx = 1

2(eix + e−ix) zur Vereinfachung der komplexen Integration. Wiegroß ist die Fundamentalperiode der Funktion ?

Beispiel: Berechnen Sie die Fourierreihe mit den komplexen Koeffizienten cn der unten darge-stellten periodischen Funktion f(x) = ke−|x|, fur −1 < x < 1, mit f(x) = f(x+ 2).

Page 38: Mathe III Skriptum

2.6 Ubungsaufgaben 37

Page 39: Mathe III Skriptum

38 Kapitel 2: Fourierreihen

Page 40: Mathe III Skriptum

Kapitel 3

Fourierintegrale & Fouriertransformation

Durch die Fourierreihenentwicklung ist es gelungen, periodische Funktionen in Grundschwin-gung und Oberschwingungen zu zerlegen. Das schafft einen neuen Blickwinkel auf physikalischeProbleme und technische Fragestellungen. Somit konnen ein vertieftes Verstandnis und quanti-tative Ansatze zur Problemlosung gewonnen werden. Es stellt sich die Frage, ob diese Vorteileauch fur aperiodische Funktionen nutzbar gemacht werden konnen. Die Verallgemeinerung derFourierreihen auf aperiodische Funktionen erfolgt durch Fourierintegrale.

Es soll an dieser Stelle bereits vorweggenommen werden, daß die Verallgemeinerung nichtso vollstandig gelingt, wie dies oft zu wunschen ware. Es gibt durchaus Funktionen von großempraktischem Interesse (z.B. die Sprungfunktion), die nicht durch Fourierintegrale behandelt wer-den konnen. Die Funktionen, welche in diesem Kapitel behandelt werden haben zumeist impuls-artigen Charakter. In der Praxis sind diese Funktionen haufig zeitabhangige Großen (Signale).Fur solche impulsartigen Signale gelingt es, durch die Fourierintegrale exakt ihr Frequenzspek-trum zu berechnen (z.B. Kippimpuls bei der Magnetresonanztomographie).

3.1 Fourierintegrale

3.1.1 Beispiel - Rechteckimpuls

Wir betrachten ein periodisches Rechtecksignal fL(x) mit der Fundamentalperiode 2L > 2:

fL(x) =

0 fur −L < x < −11 fur −1 < x < 10 fur 1 < x < L.

(3.1)

Wir untersuchen nun die Funktion im Grenzubergang L → ∞. Abb. 3.1 zeigt die FunktionfL(x) fur 2L = 4, 8, 16. Im Grenzwert besteht die Funktion nur aus einem Rechteckimpuls undist daher aperiodisch. Wir schreiben:

f(x) = limL→∞

fL(x) ={

1 fur− 1 < x < 10 sonst

(3.2)

Page 41: Mathe III Skriptum

40 Kapitel 3: Fourierintegrale & Fouriertransformation

Abbildung 3.1: Funktionsverlauf und Amplitudenspektra zum Beispiel Rechteckimplus (Quelle: ErwinKreyszig, Advanced Engineering Mathematics, John Wiley & Sons Inc. 8. Ausgabe.)

Man erkennt, dass (zumindest einige) aperiodischen Funktionen als Grenzwert einer periodi-schen Funktion mit unendlicher Periodendauer interpretiert werden konnen. Wir untersuchenals nachstes, wie sich die Fourierkoeffizienten an verhalten, wenn L vergroßert wird. Mit Hilfevon Gl. (2.21) und Gl. (2.22) erhalten wir:

a0 =1L, an =

2L

sin(nπ/L)nπ/L

. (3.3)

Gl. (3.3) beschreibt das Amplitudenspektrum der geraden Funktion fL(x) (alle bn = 0).Wir fuhren die Abkurzung ωn = nπ/L ein. (Dies ist physikalisch sinnvoll. Wenn x die Zeit ist,dann steht ω fur die Kreisfrequenz = 2π mal Frequenz). Wie aus Abb. 3.1 ersichtlich, hat dieHullkurve des Spektrums immer die Form sin(ωn)/ωn. Die Amplitude des Spektrums sinkt mit1/L, hingegen nimmt die Dichte der Amplituden im gleichen Ausmaß zu. Es ist naheliegend,diese Beobachtung auszunutzen. Fuhrt man eine spektrale Amplitudendichte ein, bei der sich diebeiden beschriebenen Effekte kompensieren, so ist das Ergebnis unabhangig von L. Dies erfolgtim nachten Abschnitt.

Page 42: Mathe III Skriptum

3.1 Fourierintegrale 41

3.1.2 Grenzubergang zum Fourierintegral

Wir betrachten nun eine beliebige periodische Funktion fL(x) mit der Fundamentalperiode 2L.Sie besitzt die Fourierreihe:

fL(x) = a0 +∞∑n=1

(an cosωnx+ bn sinωnx), ωn =nπ

L. (3.4)

Hier ist ωn wie im Beispiel oben definiert. Um den Grenzubergang L → ∞ durchfuhren zukonnen, ersetzen wir die Koeffizienten a0, an und bn durch Gl. (2.21), (2.22) und (2.23). Da dieVariable x bereits vergeben ist, nennen wir die Laufvariable zur Integration v:

fL(x) =1

2L

∫ L

−LfL(v)dv +

1L

∞∑n=1

[cosωnx∫ L

−LfL(v) cosωnvdv

+ sinωnx∫ L

−LfL(v) sinωnvdv].

(3.5)

Um die Beobachtungen aus dem Bespiel oben zu nutzen, fuhren wir die Variable ∆ω = π/Lfur den Abstand zwischen zwei Harmonischen ein. Man beachte, daß dies dem Kehrwert derAmplitudendichte im Spektrum entspricht. Wir erstetzen in Gl. (3.5) 1/L vor dem Summentermmit ∆ω/π und ziehen ∆ω in die Summe:

fL(x) =1

2L

∫ L

−LfL(v)dv +

∞∑n=1

[cosωnx∆ω∫ L

−LfL(v) cosωnvdv

+ sinωnx∆ω∫ L

−LfL(v) sinωnvdv].

(3.6)

Man erkennt, daß der Summenterm einer den Riemannsummen ahnliche Form annimmt. ImGegensatz zu den Riemannsummen wird aber uber ein unendliches Intervall summiert. Daherwird im Grenzwert L → ∞ die Summe zu einem uneigentlichen Integral (∆ω → dω). Um dieExistentz des uneigentlichen Integrales zu gewahrleisten, muß uber die Funktion fL(x) entspre-chend verfugt werden. Eine hinreichende Bedingung hierfur ist, daß f(x) absolut integrierbarist. D.h. das Integral

∫∞−∞ | f(x) | dx existiert. Man beachte, daß dies eine starke Einschrankung

darstellt, welche die Anwendbarkeit des Verfahrens (wie oben diskutiert) eingrenzt.Durch die Eigenschaft der Absolut-Integrierbarkeit wird der erste Term auf der rechten Seite

von 3.6 (stammt vom konstanten Glied her) im Grenzwert L→∞ Null. Man erhalt:

f(x) =1π

∫ ∞0

[cosωx

∫ ∞−∞

f(v) cosωvdv + sinωx∫ ∞−∞

f(v) sinωvdv]dω. (3.7)

Hierbei wurde aus den diskreten Werten ωn die kontinuierliche Funktion ω. Es soll betontwerden, daß (in Analogie zum Kreszig) der Grenzwertubergang hier nur plausibilisiert wurde,jedoch nicht in Form einer vollstandigen mathematischen Behandlung vollzogen wurde. Wir

Page 43: Mathe III Skriptum

42 Kapitel 3: Fourierintegrale & Fouriertransformation

beobachten, daß die Integrale mit dem Funktionsargument v analog wie die Definition der Koef-fizienten bei der Fourierreihe sind. Es ist daher naheliegend, folgende Abkurzungen einzufuhren:

A(ω) =1π

∫ ∞−∞

f(x) cosωx dx, B(ω) =1π

∫ ∞−∞

f(x) sinωx dx. (3.8)

Die kontinuierlichen Funktionen A(ω) und B(ω) fur die aperiodische Funktion f(x) sind dasAnalogon zu den Koeffizienten an und bn einer periodischen Funktion. Entspricht die Variablex der Zeit, so beschreiben A(ω) und B(ω) das exakte Frequenzspektrum der Funktion. Es seihier bemerkt, daß nur Fourierintegrale die exakte Berechnung von Spektren erlauben. DigitaleVerfahren wie z.B. die Fast-Fourier-Transformation liefern lediglich Schatzwerte der gesuchtenSpektren.

Ist das Spektrum A(ω) und B(ω) bekannt, so kann die zugehorige Funktion f(x) wie folgtberechnet werden:

f(x) =∫ ∞

0[A(ω) cosωx+B(ω) sinωx]dω. (3.9)

Man bezeichnet Gl. (3.9) auch als Fourierintegraldarstellung der aperiodischen Funktionf(x). Sie ist das Analogon zur Fourierreihe einer periodischen Funktion. Gl. (3.8) und (3.9) sindam Beiblatt zur Prufung angegeben.

3.1.3 Anwendungsbeispiel: MRT-Kippimpuls

Bei der Magnetresonanztomographie wird durch die Kombination eines Gradientenfeldes miteinem Kippimpuls das Schichtbild ausgewahlt. Abb. 3.2 zeigt das Prinzip. Nach Anlegen desGradientenfeldes ist die Resonanzfrequenz eine Funktion des Ortes. Will man die Magnetisierungin einer Schicht mit endlicher Dicke kippen, so muß der Kippimpuls Frequenzanteile in einemInterval [ω0−∆ω, ω0+∆ω] enthalten. Hier bestimmt der Parameter ω0 die Lage der Schichtmitteund ∆ω die Schichtdicke. Außerhalb der Schicht sollen die Frequenzanteile im Idealfall Null sein.Wir beobachten, daß das gewunschte Spektrum z.B. nur mit sin-Gliedern erzeugt werden kann(entspricht der Festlegung des Zeitpunktes Null) und wahlen A(ω) ≡ 0, sowie:

B(ω) ={k fur ω0 −∆ω < ω < ω0 + ∆ω0 sonst.

(3.10)

Hierbei sollen alle Spins in der Schicht gleichmaßig mit der Amplitude k angeregt werden.Damit erhalten wir fur die Fourierintegraldarstellung des Kippimpulses f(x):

f(x) = k

∫ ω0+∆ω

ω0−∆ωsinωx dω, (3.11)

und nach Integration den Kippimpuls:

f(x) =k

x{cos[(ω0 −∆ω)x]− cos[(ω0 + ∆ω)x]}. (3.12)

Page 44: Mathe III Skriptum

3.1 Fourierintegrale 43

Abbildung 3.2: Exemplarische Darstellung des Prinzips der Schichtauswahl bei der Magnetresonanzto-mographie. Nach dem Anlegen eines Gradientenfeldes (oben) entsprechen niedrige Resonanzfrequenzenω kaudalen Regionen, hohe ω den kranialen Regionen (unten). Bild modifiziert aus Hans H. Schild, MRImade easy (... well almost), Schering AG - Druckhaus Berlin.

Abbildung 3.3: Berechneter MRT-Kippimpuls (dicke Linie). Die Hullkurve ist strichliert gezeichnet.

Dies kann mit Hilfe des Summensatzes cosα−cosβ=−2 sin(α+β2

) sin(α−β2

) wie folgt angeschriebenwerden:

f(x) = 2ksin(∆ωx)

xsin(ω0x). (3.13)

Abb. 3.3 zeigt den berechneten Kippimpuls. Der Term sin(∆ωx)/x legt die Hullkurve derFunktion fest. Die Mittenfrequenz ω0 der Schicht findet sich im Term sin(ω0x) wieder. Prak-tisch laßt sich der berechnete Kippimpuls nur naherungsweise realisieren, da eine Begrenzungauf endliche Dauer erforderlich ist. Durch diese Begrenzung kommt es - durch das im Kreszigbeschriebene Gibb’sche Phanomen - zu Oszillationen im Anregungsprofil B(ω). In machen An-wendungen ist dies storend, und es werden daher modifizierte Kippimpulse verwendet. Bei dertypischen Kippimplusdauer von wenigen ms liegt ∆f = ∆ω/2π in der Großenordnung von einemkHz. Bei einer Grundfeldstarke von 1.5 T wird f0 = ω0/2π rund 64 MHz.

Page 45: Mathe III Skriptum

44 Kapitel 3: Fourierintegrale & Fouriertransformation

3.2 Fouriertransformation

Im Kapitel 2.5 wurde durch Einfuhren einer komplexen Notation eine kompakte Schreibweiseerreicht. Auch das oben eingeuhrete Fourierintegral kann mit Hilfe der komplexen Zahlen in einekompakte Form gebracht werden, die man als Fouriertransformation bezeichnet.

Um zur Fouriertransformation zu gelangen setzen wir zunachst die beiden Fourierintegralein Gl. (3.8) in die Fourierintegraldarstellung (3.9) ein. Wir erhalten:

f(x) =1π

∫ ∞0

∫ ∞−∞

f(v)[cosωx cosωv + sinωx sinωv] dvdω. (3.14)

Man beachte, daß diese Beziehung durch Umordnen auch aus Gl. (3.7) erhalten werden kann.Der Term in der eckigen Klammer kann mit Hilfe des Summensatzes cosα cosβ+sinα sinβ=cos(α−β)

nach Umordnung auch wie folgt angeschrieben werden:

f(x) =1π

∫ ∞0

[∫ ∞−∞

f(v) cos(ωx− ωv) dv]dω. (3.15)

Wir beobachten, daß der Term in der eckigen Klammer den Integranden des außeren Integra-les uber dω darstellt. Da im Integranden ω nur im cos vorkommt, ist der Integrand eine geradeFunktion. Aufgrund der Symmetrie bezuglich der Ordinate konnen wir die Integrationsgrenzenandern und schreiben schreiben:

f(x) =1

∫ ∞−∞

[∫ ∞−∞

f(v) cos(ωx− ωv) dv]dω. (3.16)

Durch diese Manipulation ist in beiden Integralen von −∞ bis ∞ zu integrieren, was sichpositiv auf die Symmetrieeigenschaften der Transformation auswirkt. Um die komplexe Schreib-weise einzufuhren wird ein Trick verwendet. Wir ersetzen in Gl. (3.16) den cos durch den sinund beobachten, daß dieses Integral Null geben muß, da im Integranden eine ungerade Funktionsteht.

12π

∫ ∞−∞

[∫ ∞−∞

f(v) sin(ωx− ωv) dv]dω = 0. (3.17)

Wir konnen daher den Integranden in (3.16) mit Hilfe der Euler Formel wie folgt erweitern:

cos(ωx− ωv) + i sin(ωx− ωv) = ei(ωx−ωv), (3.18)

da das Integral uber den mit dem sin-Term verknupften Imaginarteil immer Null gibt. Wirerhalten:

f(x) =1

∫ ∞−∞

∫ ∞−∞

f(v)ei(ωx−ωv) dvdω. (3.19)

Page 46: Mathe III Skriptum

3.2 Fouriertransformation 45

Um zur Fouriertransformation zu gelangen, drucken wir die Exponentialfunktion in Gl. (3.19)als Produkt von Exponentialfunktien ei(ωx−ωv)=eiωxe−iωv aus. Weiters schreiben wir, um zu einersymmetrischen Transformationsbeziehung zu gelangen: 1

2π= 1√

2π1√2π

. Wir erhalten:

f(x) =1√2π

∫ ∞−∞

[1√2π

∫ ∞−∞

f(v)e−iωvdv]eiωxdω. (3.20)

Diese Gleichung hat eine ahnliche Form wie Gl. (3.7), uber welche die Fourierintegrale ein-gefuhrt wurden. Der wesentliche Unterschied ist, daß die sin und cos Terme durch Exponenti-alfunktionen mit komplexen Exponenten ersetzt wurden. Analog zur Definition der Fourierinte-grale definieren wir die Fouriertransformation:

f(ω) =1√2π

∫ ∞−∞

f(x)e−iωxdx. (3.21)

Das Analogon zur Fourierreihendarstellung ist die inverse Fouriertransformation:

f(x) =1√2π

∫ ∞−∞

f(ω)eiωxdω. (3.22)

Man beachte die Symmetrie der Transformationsbeziehungen (3.21) und (3.22). Diese Trans-formationsbeziehungen werden auch am Beiblatt zur Prufung angegeben.

Das Wesen einer Transformation ist, daß eine Funktion einer Variable f(x) in eine Funktioneiner anderen Variable f(ω) ubergefuhrt werden kann und umgekehrt. Haufig ist bei der Fou-riertransformation eine physikale Interpretation der Variablen moglich. Ist zum Beispiel x dieZeit, so entspricht ω der Kreisfrequenz. Damit hat der Betrag von f(ω) die physikalische Bedeu-tung eines Spektrums. Haufig verwendet man in Zusammenhang mit der Fouriertransformationzeitabhangiger Großen die Begriffe Zeitbereich und Frequenzbereich. Wir haben am Bespieldes MRT-Kippimpulses gesehen, daß oft anwendungsnahe Probleme besser im Frequenzbereichangeschrieben werden konnen. Eine weitere Anwendung ist, daß sich mache im Zeitbereich for-mulierte Fragestellungen besser im Frequenzbereich losen lassen. Beispiele hierfur werden in derVorlesung behandelt.

3.2.1 Eigenschaften der Fouriertransformation

Die in Gleichung (3.21) definierte Fouriertransformation kann durch die verkurzte Schreibweisef(ω) = F{f(x)} angeschrieben werden. Die inverse Fouriertransformation (3.22) kann in derForm f(x) = F−1{f(ω)} angeschrieben werden. Diese kompakte Notation ist bei der Darstellungder wichtigsten Eigenschaften der Fouriertransformation nutzlich.

Page 47: Mathe III Skriptum

46 Kapitel 3: Fourierintegrale & Fouriertransformation

Linearitat

Die Fouriertransformation ist eine lineare Operation. Es existieren die Fouriertransformationender beiden Funktionen f(x) und g(x) und weiters seien a und b zwei beliebige (komplexe)Konstanten, so gilt:

F{af(x) + bg(x)} = a F{f(x)}+ b F{g(x)}. (3.23)

Beweis: Die Linearitart der Fouriertransformation folgt aus der Linearitat der Integration.

F{af(x) + bg(x)} = 1√2π

∫∞−∞[af(x) + bg(x)]e−iωxdx

= a√2π

∫∞−∞ f(x)e−iωxdx+ b√

∫∞−∞ g(x)e−iωxdx

= a F{f(x)}+ b F{g(x)}.(3.24)

Analog dazu ist auch die inverse Fouriertransformation linear.

Verschiebungsatz

Wird die Funktion f(x) um die Zeit T verschoben, so erhalt man fur die verschobene Funktiong(x) = f(x− T ). Fur die Fouriertransformierte dieser Funktion kann man schreiben:

F{g(x)} =1√2π

∫ ∞−∞

g(x)e−iωxdx =1√2π

∫ ∞−∞

f(x− T )e−iωxdx. (3.25)

Wir fuhren nun fur die Integration uber die Zeit x eine um T verschobene Zeitachse ξ = x− Tein und erhalten:

F{g(x)} = 1√2π

∫∞−∞ f(ξ)e−iω(ξ+T )dξ

= e−jωT√2π

∫∞−∞ f(ξ)e−iω(ξ)dξ

= e−jωTF{f(x)}.(3.26)

Die Integration uber die Zeitachse ξ gibt aber genau die Fouriertransformierte von f(x). Wirkonnen schreiben:

F{f(x− T )} = e−jωTF{f(x)}. (3.27)

Eine Verschiebung um T im Zeitbereich entspricht daher im Frequenzbereich einer Multiplika-tion mit e−jωT . Man beachte, daß der Betrag | e−jωT | immer genau eins ist. Wie zu erwarten,wird der Betrag der Fouriertransformierten als Funktion von ω durch eine zeitliche Verschie-bung nicht verandert. Eine zeitliche Verschiebung der Funktion andert daher nur die Real- undImaginaranteile der Transformierten bei unverandertem Betrag.

Page 48: Mathe III Skriptum

3.2 Fouriertransformation 47

Ableitungen

Es sei f(x) stetig mit den Grenzwerten lim|x|→∞ f(x) = 0, und es sei die 1. Ableitung derFunktion f ′(x) absolut integrierbar. Dann gilt:

F{f ′(x)} = iωF{f(x)}. (3.28)

Beweis: Die Fouriertransformation der 1. Ableitung kann wie folgt angeschrieben werden:

F{f ′(x)} =1√2π

∫ ∞−∞

f ′(x)e−iωxdx. (3.29)

Durch partielle Integration erhalt man:

F{f ′(x)} =1√2π

[f(x)e−iωx |∞−∞ −(−iω)

∫ ∞−∞

f(x)e−iωxdx]. (3.30)

Da die Funktion f(x) in den Grenzwerten | x |→ ∞ Null wird, erhalten wir:

F{f ′(x)} = 0 + iωF{f(x)}. (3.31)

Man beachte, daß die Ableitung einer Funktion im Zeitbereich einer einfachen Multiplikati-on im Frequenzbereich entspricht. Diese Beziehung ist daher u.a. fur die Signalverarbeitung vonhohem Interesse. Durch mehrfache Anwendung von Gl. (3.28) konnen auch Ausagen uber Ablei-tungen hoherer Ordnung getroffen werden. Beispielsweise erhalt man fur die zweite Ableitung:

F{f ′′(x)} = −ω2F{f(x)}. (3.32)

D.h. n-faches Ableiten im Zeitbereich entspricht der Multiplikation mit (iω)n im Frequenz-bereich. Daher nehmen im Zeitbereich formulierte Differentialgleichungen im Frequenzbereichdie Form von algebraischen Gleichungen an. Die Fouriertransformation kann daher auch einnutzliches Werkzeug zur Losung von Differentialgleichungen sein, wie unten an einem Beispieldemonstriert wird.

Bei unseren Betrachtungen zur Fouriertransformation der Ableitung einer Funktion wur-de Eingangs gefordert, daß f(x) stetig sei. Mit Hilfe der Theorie der Distributionen kann dieGltigkeit von Gl. (3.28) auch auf stuckweise stetige, fourierfransformierbare Funktionen (z.B.Rechteckimpuls) erweitert werden. Dies erweitert die Anwendbarkeit erheblich.

Filter - Losung im Frequenzbereich

In dieser Anwendung soll die Losung einer Differentialgleichung mit Hilfe der Fouriertransforma-tion gezeigt werden. Hierzu wird wird ein Tiefpaßfilter 1. Ordnung betrachtet, an dessen Eingangein Rechteckimpuls gelegt wird. In der digitalen Schaltungstechnik konnte diese Konfiguration

Page 49: Mathe III Skriptum

48 Kapitel 3: Fourierintegrale & Fouriertransformation

Differentialgleichung Losung im Zeitbereich-direkte Losung

6

?

F F−1

algebraische Gleichung Losung im Frequenzbereich-

Abbildung 3.4: Schematische Darstellung der Losung von linearen Differentialgleichungen mittels Fou-riertransformation.

b b

b bR

r

rC

-

6ue(t)

ue(t) ua(t)U

−T T t

Abbildung 3.5: Tiefpaß 1. Ordnung mit Rechteckimpuls am Eingang.

beispielweise dazu dienen, ein verrauschtes Nutzsignal von einem hochfrequentem Storsignal zutrennen. Selbstverstandlich kann man dieses Beispiel auch mit den herkommlichen Methodender Differentialrechnung losen (partikulare Losung einer Differentialgleichung 1. Ordnung). VomRechenaufwand sind beide Losungswege in etwa vergleichbar. Der Vorteil der Losung mittelsFouriertransformation ist, daß das Arbeiten im Frequenzbereich einen zusatzlichen Blickwinkelauf die Problemstellung schafft und damit u.a. eine Aussage uber die Grenzfrequenz des Filtersmoglich wird. Abb. 3.4 zeigt eine schematische Darstellung der beiden Losungswege. In diesemAbschnitt soll nur die Losung im Frequenzbereich angegeben werden. Die Losung im Zeitbereichwird in einem eigenen Kapitel berechnet.

In diesem Anwendungsbeispiel soll die Notation der in der Praxis verwendeten Schreibweiseangepaßt werden. Da die unabhangige Variable der Zeit entspricht, schreiben wir t anstelle von x.Abb. 3.5 zeigt das Tiefpaßfilter mit dem Widerstand R und der Kapazitat C. Die Spannung ue(t)am Eingang ist durch einen Rechteckimpuls mit der Amplitude U und der Dauer 2T gegeben.Gesucht ist die Spannung ua(t) am Filterausgang. Sie wird durch die Differentialgleichung

RCdua(t)dt

+ ua(t) = ue(t) (3.33)

bestimmt. Die Herleitung dieser Beziehung basiert auf den Gesetzen der Elektrodynamik. Siewird wird hier nicht angegeben, da dies nicht Teil der Vorlesung ist. Das Produkt RC definiertdie typisches Zeitkonstante τ des Systems (τ = RC). Die Anwendung der Fouriertransformationauf Gl. (3.33) kann wie folgt angeschieben werden:

Page 50: Mathe III Skriptum

3.2 Fouriertransformation 49

F{τ dua(t)dt

+ ua(t)} = F{ue(t)}. (3.34)

Aufgrund der Linearitat der Fouriertransformation erhalt man:

τF{dua(t)dt}+ F{ua(t)} = F{ue(t)}. (3.35)

Die 1. Ableitung kann durch eine Multiplikation mit iω ersetzt werden:

(iωτ + 1)F{ua(t)} = F{ue(t)}. (3.36)

Es ist zweckmaßig fur die in den Frequenzbereich transformierten Funktionen die Abkurzungenue(ω) bzw. ua(ω) einzufuhren und den Ausdruck so umzuordnen, daß die unbekannte Funktionam Filterausgang auf der linken Seite der Gleichung steht:

ua(ω) =1

1 + iωτue(ω). (3.37)

Man kann beobachten, daß fur kleine Kreisfrequenzen (ωτ � 1) die Fouriertransformierte derAusgangspannung naherungsweise gleich jener der Eingangsspannung wird (ua ' ue). Man sagt,das Filter laßt diese Frequenzen durch. Fur hohe Kreisfrequenzen (ωτ � 1) wird die Ausgangs-spannung gedampft (ua ' ue

iωτ ). Man sagt, das Filter sperrt. Aufgrund dieser Beobachtung istes zweckmaßig die Grenzfrequenz ωg des Filters so zu definieren, daß gilt: ωgτ = 1. Man erhalt:

ωg =1τ. (3.38)

Bisher wurde die gegebene Eingangsspannung ue(t) noch nicht in der Rechnung berucksich-tigt. Die Ergebnisse oben gelten daher allgemein fur alle fouriertransformierbaren Eingangsfunk-tionen. Fur das gegenwartige Beispiel erhalten wir durch Fouriertransformation der Eingangs-spannung ue(t):

ue(ω) =

√2πU

sinTωω

. (3.39)

Damit kann die Losung im Frequenzbereich wie folgt angeschrieben werden:

ua(ω) =

√2π

U

1 + iωτ

sinTωω

. (3.40)

Man beachte, daß die Konstante τ eine Eigenschaft des Filters (Grenzfrequenz) festlegt, wahrend

Page 51: Mathe III Skriptum

50 Kapitel 3: Fourierintegrale & Fouriertransformation

Abbildung 3.6: Frequenzspektrum am Eingang (blau) und Ausgang des Tiefpasses fur fur τ = 0.5 s(magenta) bzw. tau = 2 s (grun). In allen Fallen wurde T = 1 s und U = 1 V gewahlt. Links ist dasSpektrum in einem linearem Plot, rechts in einem doppelt logarithmischen Plot dargestellt.

T eine Eigenschaft des Eingangssignals (Impulsdauer) festlegt. In der Praxis soll zumeist bei ge-gebener Impulsdauer eine geeignete Grenzfrequenz gewahlt werden. Abb. 3.6 zeigt exemplarischdas Spektrum der Eingangs- und Ausgangsspannung fur einige spezielle Werte der Konstanten.

Rein formal kann die Rucktransformation der Losung in den Zeitbereich durch Einsetzen derFrequenzbereichslosung (3.40) in die inverse Fouriertransformation (3.22) erfolgen. Leider fuhrtdiese Vorgehensweise zumeist auf Integrale, die auf herkommlichem Wege mit vertretbaremAufwand kaum losbar sind. So erhalten wir beispielsweise fur die Problemstellung in diesemKapitel:

ua(t) =U

π

∫ ∞−∞

11 + iωτ

sinTωω

eiωtdω. (3.41)

Im nachsten Kapitel wird das Faltungstheorem behandelt, welches die Losung dieses Integralsermoglicht. Zunachst soll aber noch eine Beobachtung gemacht werden, welche die Betrachtun-gen im nachsten Abschnitt motiviert. Im Integranden von Gl. (3.41) steht das Produkt derTerme 1

1+iωτ und sinTωω . Fur jeden dieser beiden Terme ist die inverse Transformation bekannt

und kann im Kreszig nachgelesen werden. Ein Zweck der Faltung ist es - basierend auf den be-kannten inversen Transformationen der Einzelterme - die inverse Transformation des gesammtenAusdrucks zu ermoglichen.

3.2.2 Faltung

Es soll in diesem Kapitel zunachst die Definition der Faltung angegeben und deren Funktion aneinem Beispiel gezeigt werden. Erst dann wird auf das fur die Fouriertransformation so wichtigeFaltungstheorem eingegangen.

Die Faltung (engl. convolution) f ∗ g(x) zweier Funktionen f(x) und g(x) ist definiert als:

h(x) = f ∗ g(x) =∫ ∞−∞

f(p)g(x− p)dp =∫ ∞−∞

f(x− p)g(p)dp. (3.42)

Page 52: Mathe III Skriptum

3.2 Fouriertransformation 51

Abbildung 3.7: Faltung der Beispielfunktionen f und g aus Gl. (3.43). Auf der linken Seite sind dieFunktionen f(p) und g(x− p) fur x = -2, -4 und -6 dargestellt. Rechts ist das Ergebnis der Faltung. DieStellen x = -2, -4 und -6 sind markiert.

Beispiel: Es seien

f(x) ={

1 fur | x |< 40 sonst,

g(x) ={

1 fur | x |< 10 sonst.

(3.43)

Abb. 3.7 zeigt die Auswertung des Faltungsintegrals∫∞−∞ f(p)g(x−p)dp fur x =-6, -4 und -2.

An der Stelle x = −6 gibt das Integral Null, da fur jedes p immer entweder g oder f gleich Null ist(Pulse uberlappen nicht). An der Stelle x = −4 gibt das Integral 1

2 , da das Reckeck in f mit derHalfte der Rechteckfunktion g (Gesammtflache ist 1) uberlappt (teilweise Uberlappung). An derStelle x = −2 gibt das Integral 1, da die beiden Rechtecke vollstandig uberlappen. Man erkennt,daß fur steigendes x das Spiegelbild von g von links nach rechts uber f gezogen wird. Fruherwurde dies gerne mit einem Blatt Transparentpapier dargestellt, auf dem links die Funktion fund rechts die Funktion g aufgezeichnet war. Biegt oder faltet man das Blatt in der Mitte, sokann man g uber f bringen. Daher stammt der Name Faltung.

Page 53: Mathe III Skriptum

52 Kapitel 3: Fourierintegrale & Fouriertransformation

Das hier gezeigte Beispiel hat einen praktischen Hintergrund. Man kann die Funktion fals digitales Signal betrachten. Die Impulsbreite von g mittelt immer genau jener Teil einerFunktion f mit der sie bei der Faltung uberlappt. Wre der Funktion f ein hochfrequentesStorsignal (Rauschen) uberlagert, so wurde dieses durch die Faltung unterdruckt. Man kanndurch Faltung also mathematische Filteroperationen ausfuhren. Diese werden vor allem in derdigitalen Signal- und Bildverarbeitung gerne eingesetzt, da damit digitale Filter realisiert werdenkonnen, welche durch analoge Schaltkreise nicht realisierbar sind. Man bezeichnet g dann alsFilterkern. In unserem Beispiel war der Filterkern ein Rechteckimpuls. Das dadurch realisierteFilter wird als ’Moving-Average’ Filter bezeichnet.

Im Beispiel oben war die Funktion f(x) nicht fouriertransformierbar. Wir wollen uns nunauf das Faltungstheorem bei der Fouriertransformation konzentrieren und daher im weiterenfordern, daß f(x) und g(x) fouriertransformierbar seien. Es gilt dann

F{f ∗ g(x)} =√

2πF{f(x)}F{g(x)}. (3.44)

Beweis: Setzt man das Faltungsintegral aus (3.42) in das Faltungstheorem ein, so erhalt manindem man die Fouriertransformation auf der rechten Seite ausschreibt:

F{f ∗ g(x)} =1√2π

∫ ∞−∞

∫ ∞−∞

f(x− p)g(p)e−iωxdxdp. (3.45)

Hierbei wurde auch die Reihenfolge der Integration vertauscht. Wir substituieren jetzt q = x−pund erhalten:

F{f ∗ g(x)} =1√2π

∫ ∞−∞

∫ ∞−∞

f(q)g(p)e−iω(p+q)dqdp. (3.46)

Dieses Doppelintegral kann in zwei Integrale mit je einer Variablen geteilt werden und liefertdas Faltungstheorem:

F{f ∗ g(x)} =1√2π

∫ ∞−∞

f(q)e−iωqdq∫ ∞−∞

g(p)e−iωpdp

=√

2πF{f(q)}F{g(p)}.(3.47)

Wendet man die inverse Fouriertransformation auf das Faltungstheorem an, so erhalt man:

(f ∗ g)(x) =∫ ∞−∞

f(ω)g(ω)eiωxdω. (3.48)

Diese Beziehung wird im kommenden Abschnitt zur Rucktransformation der Filterausgangs-spannung in den Zeitbereich verwendet.

Page 54: Mathe III Skriptum

3.2 Fouriertransformation 53

3.2.3 Filter - Losung im Zeitbereich

Wir schreiben zunachst Gl. (3.41) aus Kapitel 3.2.1 nochmals an:

ua(t) =U

π

∫ ∞−∞

11 + iωτ

sinTωω

eiωtdω. (3.49)

Weiters ubernehmen wir folgende Transformationsbeziehungen aus dem Kreyszig und schreibent anstelle fur x, da es sich um zeitabhangige Funktionen handelt:

f(t) ={e−t/τ fur t < 00 sonst

, f(ω) =τ√2π

11 + iωτ

(3.50)

und

g(t) ={

1 fur | t |< T0 sonst

, g(ω) =

√2π

sinTωω

(3.51)

Wir konnen nun mit Hilfe der Faltung die Ausgangsspannung wie folgt darstellen:

ua(t) =U

τ(f ∗ g)(t) =

U

τ

∫ ∞−∞

τ√2π

11 + iωτ

√2π

sinTωω

eiωtdω. (3.52)

Wir erhalten, indem wir das Faltungsintegral ausschreiben:

ua(t) =U

τ

∫ ∞−∞

f(p)g(t− p)dp =

0 fur t < −TUτ

∫ t+T0 e−p/τdp fur − T < t < T

∫ t+Tt−T e−p/τdp fur t > T

, (3.53)

und nach Losung der Integrale die Ausgangsspannung im Zeitbereich:

ua(t) =

0 fur t < −TU [1− e−(t+T )/τ ] fur − T < t < T

2U sinh (Tτ )e−t/τ fur t > T

. (3.54)

Abb. 3.8 zeigt exemplarisch die Faltung fur t =-2, 0 und 2, sowie die Spannungen ue(t) undua(t) fur spezielle Werte der Konstanten.

3.2.4 Dirac Impuls

In der Technik ist haufig die Antwort eines Systems auf eine sehr kurze impulsformige Erregungvon Interesse (z.B. Stoß in einem mechanischen System). Der Begriff kurz ist hier so zu verstehen,daß die Dauer des Impulses kurz gegen alle Eigenzeitkonstanten des Systems ist. In Abb. 3.9 istdie fur das Tiefpaßfilter aus Abschnitt 3.2.1 die Ausgangsspannung fur die Erregung mit kurzen

Page 55: Mathe III Skriptum

54 Kapitel 3: Fourierintegrale & Fouriertransformation

Abbildung 3.8: Faltung der Funktionen f(p) und g(t− p) (rot strichliert) aus dem AnwendungsbeispielTiefpaßfilter fur t =-2, 0 und 2 (links). Die Konstanten wurden analog zu oben gewahlt: U=1 V, T=1 s,und τ=0.5 s (magenta) bzw. τ=2 s (grun). Rechts ist die Eingangsspannung ue(t) und die Ausgangs-spannung ua(t) dargestellt.

Page 56: Mathe III Skriptum

3.2 Fouriertransformation 55

Abbildung 3.9: Impulsantwort des Tiefpaßfilters aus Abb. 3.5 fur verschiedene kurze Impulse mit iden-tischer Flache 1 Vs. Oben links: Vergleich von zwei Rechteckimpulsen mit 0.2 s (rot) und 0.1 s (grun)Dauer. Oben rechts: Vergleich eines Rechteckimpulses mit einem Dreieckimpuls (blau). Unten: Impul-santwort am Ausgang des Filters mit Zeitkonstante τ=1 s. Die farbliche Zuordnung ist gleich wie amEingang des Filters. Die strichlierte Kurfe ist die Antwort auf einen Dirac-Impuls.

Page 57: Mathe III Skriptum

56 Kapitel 3: Fourierintegrale & Fouriertransformation

Impulsen gleicher Flache dargestellt. Man erkennt, dass diese kaum von der Form des Impulsesabhangt, solange dieser kurz genug ist.

Ausgehend von dieser Beobachtung erscheint es zweckmaßig fur kurze Impulse (imGrenzubergang unendlich kurze Impulse) geeignete Methoden zu schaffen, welche durch Ver-nachlassigung der Kurvenform bei gegebener Flache eine Vereinfachung der Rechnung ermogli-chen. Die wird durch die Einfuhrung des Dirac Impulses erreicht. Die Einfuhrung des DiracImpulses orinetiert sich hier wiederum grundsatzlich am Lehrbuch von Erwin Kreyszig. Dieserwird hier jedoch hier jedoch fur die Fouriertransformation eingefuhrt, wahrend im Kreyszig derDirac Impuls fur die verwandte Laplace Transformation eingefuhrt wird.

Zur Vereinfachung soll ein Rechteckimpuls mit der Dauer T und der Flache eins betrachtetwerden:

fT (x) ={

1/T fur −T2 < x < T

20 sonst

(3.55)

Ohne Beweis soll festgehalten werden, daß das Ergebnis auch fr jede andere Kurvenformeines Impulses von endlicher Dauer gultig ist. Durch die Festlegung der Flche auf eins mußdieAmplitude des Impulse fT (x) dem Kehrwert der Impulsdauer T entsprechen. Damit nimmt mitVerkrzung der Dauer die Amplitude zu und geht im Grenzwert T → 0 gegen unendlich.

3.2.5 Verwandte Transformationen

Bei der Fouriertransformation ist die zu transformierende Funktion f(x) in Form einer analyti-schen Gleichung gegeben. Der Wunsch, dieses Verfahren auch auf gemessene Signale (z.B. EEG,EKG) anwenden zu konnen, hat zur Entwicklung der Diskreten Fourier Transformation(DFT) gefuhrt. Ist die Zahl der Meßwerte eine ganze Potenz von 2 (z.B. 256, 512, ...), so kanndie DFT mit geringer Rechenzeit durchgefuhrt werden. Man bezeichnet das bezuglich Rechen-zeit optimierte Verfahren als Fast Fourier Transformation (FFT). Die Rechenzeitersparnisist ein Hauptgrund dafur daß MRT, bzw. CT Bilddaten haufig eine Auflosung von 256 × 256Pixel aufweisen.

Beim Losen von Differentialgleichungen wie im Beispiel oben schrankt die Fouriertransforma-tion die Anwendung auf ’impulsartige’ Funktionen ein. Außerdem ist die Rucktransformation inden Zeitbereich haufig sehr aufwendig. Die Laplace Transformation beseitigt diese Nachteile.Sie ist das Werkzeug der Wahl zur Berechnung von Schaltvorgangen in der Elektrotechnik undanalogen Elektronik, sowie von Ausgleichsvorgangen in der Regelungstechnik.

Die z-Transformation ist das digitale Gegenstuck zur analogen Laplace Transformation.Sie ist das machtigste Verfahren bei der Dimensionierung von Schaltkreisen der digitalen Signal-verarbeitung (z.B. digitale Telefonie, digitales Fernsehen).

3.3 Ubungsaufgaben

Theoriefrage: Zeigen Sie, wie man fur eine periodische Funktion fL(x) mit der Fundamen-talperiode 2L durch den Grenzwertubergang L → ∞ zur Fourierintegraldarstellung einer

Page 58: Mathe III Skriptum

3.3 Ubungsaufgaben 57

aperiodischen Funktion f(x) gelangt. Nennen Sie eine hinreichende Bedingung, fur die Fourier-integrale existieren.

Beispiel: Ein Kippimpuls zur Magnetresonanttomographie erzeuge folgendes Anregungs-profil: A(ω) ≡ 0 und B(ω) ist die in der Skizze unten dargestellte Dreiecksfunktion. DerParameter ω0 legt die Schichtmitte fest, und ∆ω legt die Schichtdicke fest.

-

6

ω

B(ω)

�����@

@@@@

ω0ω0 −∆ω ω0 + ∆ω

k

Beispiel: Man berechne die Fouriertransformation des biphasischen Defibrillationsimpulsesf(x):

f(x) =

0 fur t < −τU fur − τ < t < 0

−Ue−t/τ fur t > 0.(3.56)

Beispiel: Man berechne die Fouriertransformation der Funktion f(x):

f(x) ={k[1− (x−TT )2] 0 < t < 2T

0 t > 2T.f(x) = −f(−x) (3.57)

Hinweis: Nutzen Sie die Ableitungsregel zur Vereinfachung der Integration.

Beispiel: Man berechne die Fouriertransformationen der unten dargestellten Funktionenf(x) und f ′(x):

-

6

x

f(x)

�����@

@@@@

−T T

k

-

6

x

f ′(x)

−T T

kT

Page 59: Mathe III Skriptum

58 Kapitel 3: Fourierintegrale & Fouriertransformation

Beispiel: Man berechne die Fouriertransformation der Funktion f(x) unter Ausnutzungder Linearitatseigenschaften:

-

6

x

f(x)

−3T −T T 3T

k

2k

Beispiel: Man berechne die Fouriertransformation der Funktion f(x):

-

6

x

f(x)

�����@

@@@@�

����@

@@@@

−2T −T T 2T

k

Hinweis: Mit Hilfe des Additionstheorems kann die Losung aus der Fouriertransformationdes Dreieckimpulses berechnet werden. Die Ableitungsregel ermoglicht eine Kontrolle mit wenigRechenaufwand.

Beispiel: Berechnen Sie die Funktion h(x), die man durch Faltung der Funktionen f(x)und g(x) erhalt. Skizzieren Sie die Losung.

f(x) ={k fur | x |< π0 sonst

, g(x) ={

cosx fur | x |< π0 sonst

. (3.58)

Beispiel: Berechnen Sie die Funktion h(x), die man durch Faltung der Funktionen f(x)und g(x) erhalt. Skizzieren Sie die Losung.

f(x) ={k fur | x |< 10 sonst

, g(x) ={xe−x fur x > 00 sonst

. (3.59)

Page 60: Mathe III Skriptum

Kapitel 4

Vektoranalysis

4.1 Einfuhrung, Grundlagen

Im Folgenden wird kurz die im Kapitel verwendete Schreibweise eingefuhrt: Vektoren werdennormalerweise als fettgedruckte (Klein-)Buchstaben gekennzeichnet, deren Komponenten mitdemselben Buchstaben in normaler Schrift (mit Subindizes). Wenn die Form Darstellung derKomponenten nicht von Bedeutung ist, konnen Vektoren grundsatzlich sowohl als Zeilen- alsauch Spaltenvektor angeschrieben sein. Etwa bei Matrizenmultiplikationen ist eine Unterschei-dung allerdings sehr wohl von Bedeutung.Punkte im Raum, die unabhangig von einer Koordinatendarstellung sind, werden mit Großbuch-staben in normaler Schrift geschrieben. Matrizen werden auch als Großbuchstaben dargestellt,ebenso wie geometrische Teilmengen des Raumes (Punkte, Flachen, Kurven).Der folgende Abschnitt wiederholt einige Begriffe aus der linearen Algebra, anschließend werdenwichtige Begriffe der Vektoranalysis eingefuhrt: Raumkurven, Vektorfelder, skalare Funktionen.

4.1.1 Koordinatensysteme, Koordinatentransformation

Wir bezeichnen mit Rn den n-dimensionalen Euklidischen Raum, der die Grundlage fur unserephysikalischen Modelle bildet. Jeder Raumpunkt r lasst sich als Linearkombination von n linearunabhangigen Vektoren (Basisvektoren) auf folgende Art darstellen:

r =n∑i=1

riei (4.1)

Die Koeffizienten ri bezeichnen wir als Koordinaten von r bezuglich der Basis ei.Verwendet man stattdessen eine andere Basis von Rn, nennen wir sie e′i mit Koordinaten r′i,so lasst sich die ursprungliche Basis in die neue mit einer invertierbaren, linearen Abbildunguberfuhren:

f(ei) = e′i ∀i (4.2)

Page 61: Mathe III Skriptum

60 Kapitel 4: Vektoranalysis

Stellt man die Abbildung durch eine Matrix A dar, so ergeben sich folgende Zusammenhange:

(e1, ..., en)A = (e′1, ..., e′n),

r1...rn

= A

r′1...r′n

(4.3)

Die Koordinaten-Vektoren transformieren sich invers zu den Basisvektoren selbst. Um die jeweilsandere Transformation zu erhalten, muss die Matrix A invertiert werden.Wir werden hauptsachlich mit kartesischen Koordinatensystemen arbeiten, die sich dadurchauszeichnen, dass die Basisvektoren auf 1 normiert sind und paarweise aufeinander orthogonalstehen (orthonormale Basis). Zwei orthonormale Basen transformieren sich zueinander uberorhtogonale Matrizen. Solche Matrizen haben die Eigenschaft, dass Multiplikation mit derenTransponierter

RR> = R>R = In (4.4)

gerade die n−dimensionale Einheitsmatrix ergibt.

4.1.2 Raumkurven

Definition

Ein wichtiges Konzept im Rahmen der Vektoranalysis sind (parametrische) Kurven im Raum,also Funktionen, die einem skalaren Parameter einen Ortsvektor zuordnen. Dabei hangt derOrtsvektor oft stetig (differenzierbar) vom Parameter ab.Bei Problemen aus der Mechanik lasst sich beispielsweise die Bewegung von Massenpunktenmit solchen Raumkurven darstellen, wobei der Parameter die Zeit ist. In Abb. 4.1 ist etwa dieBahn eines Planeten im Schwerefeld eines anderen als Raumkurve dargestellt. Mathematisch

Abbildung 4.1: Elliptische Bahn eines Planeten um einen anderen. Der Ausgangspunkt wirdnach der Umlaufzeit wieder erreicht. Die Pfeile deuten die Bewegungsrichtung an.

verstehen wir unter einer Raumkurve C also eine Abbildung von der Art

r : I ⊆ R −→ R3 : t 7→ r(t) (4.5)

Page 62: Mathe III Skriptum

4.1 Einfuhrung, Grundlagen 61

mit einem beliebigen Intervall I.Beispiele:

1. Gleichformige Bewegung:r(t) = r0 + v0t (4.6)

mit konstanten Vektoren r0 und v0

2. Beschleunigte Bewegung (Wurfparabel):

r(t) = r0 + v0t+ gt2

2(4.7)

mit konstanten r0, v0 und g (Erdbeschleunigung).

Tangentenvektor

Wird die Bahn eines Massenpunktes durch eine Raumkurve dargestellt, interessiert man sichoft auch fur seine Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit. Diese Großen werden durch densogenannten Tangentenvektor bestimmt, der die Raumkurve in jedem Punkt linear approximiert.Der Tangentenvektor in einem Punkt P lasst sich konstruieren, indem man den Vektor von P zueinem benachbarten, ebenfalls auf der Kurve liegenden Punkt Q betrachtet, und mit Q entlangder Kurve Richtung P wandert (Abb. 4.2). Das fuhrt uns zur Definition der Ableitung einer

Abbildung 4.2: Konstruktion des Tangentenvektors anhand der Bahnkurve mit Darstellung(t2, t3). Tangentenvektoren sind in P und im Koordinatenursprung O eingezeichnet.

Page 63: Mathe III Skriptum

62 Kapitel 4: Vektoranalysis

Raumkurve: Den Vektor

r′(t) =drdt

= lim∆t→0

r(t+ ∆t)− r(t)∆t

(4.8)

nennt man den Tangentenvektor der Kurve C im Punkt r(t), falls r an dieser Stelle differen-zierbar und die Ableitung 6= 0 ist. Man erhalt den Tangentenvektor also durch Differenzierenjeder seiner Komponenten.Ist der Tangentenvektor 0, kann dies entweder bedeuten, dass die Kurve an dieser Stelle keineTangente hat (z.B. konstante Funktion) oder dass die Parametrisierung “ungunstig” gewahltist. Ein Beispiel fur letzteren Fall ist etwa die Kurve r(t) = (t2, t3, 0) fur t ∈ [0,∞] mitr′(t) = (2t, 3t2, 0) (siehe Abb. 4.2), fur die die Ableitung im Punkt t = 0 der Nullvektor ist. DieKurve besitzt aber sehr wohl eine Tangente, wie im Bild zu erkennen. Das Problem lost manin diesem Fall, indem man die Parametrisierung andert und t2 durch einen neuen Parameters ersetzt: r(s) = (s, s

32 , 0). Dies andert zwar die Durchlaufgeschwindigkeit, die Gestalt der

Kurve bleibt jedoch gleich. Beachte dabei den Unterschied der beiden Begriffe Tangente undTangentenvektor: Beim Tangentenvektor kommt es auf Betrag und Richtung an, und der Betraghangt auch von der Parametrisierung ab. Die Tangente hingegen ist eine Gerade und hangt nurvon der Geometrie der Kurve ab.Wenn sich etwa eine Kurve an einer Stelle uberschneidet, gibt es dort keine eindeutige Tangente,

Abbildung 4.3: Kurven mit nicht eindeutigen Tangentenvektor in manchen Punkten. (Quelle:Kreyszig)

wohl aber jeweils einen Tangentenvektor fur die einzelnen Stellen in der parametrisierten Kurve(Abb. 4.3).Man spricht allgemein von einer glatten Kurve, wenn in jedem Punkt ein eindeutiger Tangenten-vektor (in einer beliebigen Parametrisierung) existiert, dieser Tangentenvektor im Kurvenverlaufstetig variiert und nirgends 0 wird. Man nennt eine Kurve stuckweise glatt, wenn sie sich ausendlich vielen glatten Kurven zusammensetzen lasst. Ein Beispiel dafur ist etwa ein Rechteck,das aus vier glatten Kurven besteht. Beachte, dass Glattheit und stuckweise Glattheit also eineFrage der Parametrisierung ist.Fur Bahnkurven in der Mechanik (mit der Zeit als Parameter) entspricht der Tangentialvektorgenau dem Geschwindigkeitsvektor der Bewegung.

Page 64: Mathe III Skriptum

4.1 Einfuhrung, Grundlagen 63

Bogenlange

Fur die Bestimmung der Bogenlange einer Kurve in parametrischer Darstellung kommt derTangentialvektor zur Anwendung: Zunachst approximieren wir die Kurve durch endlich vieleGeradenstucke, deren Langen man leicht angeben kann (Abb. 4.4):

Abbildung 4.4: Parametrische Kurve im R2 mit Unterteilung in einzelne Segmente.

si = |r(ti + ∆ti)− r(ti)| (4.9)

Sn =∑i

si =n∑i=1

√(r(ti + ∆ti)− r(ti))2 = (4.10)

n∑i=1

√(r(ti + ∆ti)− r(ti)

∆ti

)2

∆ti (4.11)

Macht man nun den Grenzubergang n → ∞ und ∆ti → ∞ (wodurch das ∆ zu einem d wird),so ergibt sich das Integral

limn→∞

Sn =

B∫A

√drdt· drdtdt =

B∫A

√r′(t) · r′(t)dt. (4.12)

Beispiel: Kreisbogen

r(t) = R(cosωt, sinωt, 0) (4.13)r′(t) = Rω(− sinωt, cosωt, 0) (4.14)

Bestimmen wir die Bogenlange des Kreisbogens von Winkel 0 bis zu einem Winkel α, so ergibtsich das erwartete Resultat

S(α) =

αω∫

0

Rωdt = Rα. (4.15)

Page 65: Mathe III Skriptum

64 Kapitel 4: Vektoranalysis

Bemerkung: Der Parameter ω (“Winkelgeschwindigkeit” der gewahlten Bahn) fallt bei der Be-rechnung der Bogenlange heraus. Dies leuchtet ein, weil die Bogenlange immer nur von derGeometrie der Kurve abhangig ist, nicht aber von der gewahlten Parametrisierung.Man kann die Bogenlange von einem fixen Anfangspunkt r(a) und variablen Endpunkt als Funk-tion des Parameters t auffassen

s(t) =

t∫a

√r′(t) · r′(t)dt. (4.16)

Dann erhalt man durch Differenzieren nach t gerade den Integranden auf der rechten Seite.Quadriert man zusatzlich die Gleichung, so ergibt sich(

ds

dt

)2

=(dx

dt

)2

+(dy

dt

)2

+(dz

dt

)2

. (4.17)

Es ist ublich, dass man ds als das Bogenelement der Kurve bezeichnet, wobei die folgendeBeziehung gilt:

ds2 = dx2 + dy2 + dz2 (4.18)

4.1.3 Skalare Funktionen, Vektorfelder

Wir werden nun weitere Begriffe einfuhren, namlich skalare und vektorielle Funktionen. VieleZusammenhange in der Physik lassen sich durch Funktionen dieser beiden Typen darstellen.Wir nennen eine skalare Funktion eine Abbildung der Art

f : M ⊆ R3 −→ R : P 7→ f(P ), (4.19)

die jedem Raumpunkt eine skalaren Wert zuordnet.Beispiele hierfur sind etwa die Temperatur- oder Druckverteilung eines Objekts zu einem be-stimmten Zeitpunkt (Wetterkarte). Andere Beispiele, sogenannte Potentiale, werden wir spaternoch kennenlernen.Ebenfalls vom skalaren Typ ist eine Funktion, die jedem Punkt seinen Abstand zum Koordina-tenursprung zuordnet: f(P ) = |P −O|, oder in kartesischen Koordinaten

f(x, y, z) =√x2 + y2 + z2. (4.20)

Wir nennen ein Vektorfeld eine Abbildung der Art

v : M ⊆ R3 −→ R3 : P 7→ v(P ), (4.21)

die jedem Raumpunkt einen Vektor zuordnet. Ein Beispiel dafur ist das Geschwindigkeitsfeldeines bewegten Mediums (fest, flussig, gasformig) oder das Gravitationsfeld (Kraftfeld) einesMassenpunktes:Betrachten wir etwa eine Kreisscheibe vom Radius R, die in der x − y−Ebene liegt und mit

Page 66: Mathe III Skriptum

4.1 Einfuhrung, Grundlagen 65

Abbildung 4.5: Geschwindigkeitsvektoren einer rotierenden Kreisscheibe. (Quelle: Kreyszig)

der Umlaufzeit 2πω um die z−Achse rotiert (Abb. 4.5). Dann legt ein Punkt der Scheibe mit

Koordinaten (x, y, 0) in der Zeit (2π/ω) die Strecke 2πr = 2π√x2 + y2 zuruck. Das ergibt fur

jeden Punkt den Geschwindigkeitsvektor((−y, x, 0)

1√x2 + y2

)(2π√x2 + y2

2πω

)(4.22)

(Einheitsvektor mal Betrag). Damit lasst sich das Geschwindigkeitsvektorfeld auch schreiben als

v(x, y, z) =

−yx0

=

00ω

× x

yz

in der x− y − Ebene. (4.23)

Das Kraftfeld eines Massenpunktes der Masse M (im Koordinatenursprung liegend) auf eineweitere Masse m am Ort r ist gegeben durch das Gravitationsgesetz

Abbildung 4.6: Darstellung eines Gravitationsfeldes. (Quelle: Kreyszig)

F(r) = −GMm

|r|3r, (4.24)

Page 67: Mathe III Skriptum

66 Kapitel 4: Vektoranalysis

wobei G = 6.674 · 10−11 Nm2

kg2 die Gravitationskonstante bezeichnet (Abb. 4.6).Wir werden in den nachsten beiden Abschnitten auf Differentiation und Integration im Raumnaher eingehen und dabei immer wieder auf skalare und vektorielle Funktionen stoßen.

4.2 Differenzieren

Wir wollen uns im Rahmen der Vorlesung hauptsachlich mit Problemen im 1- bis 3-dimensionalenRaum beschaftigen und auf hoher dimensionale Raume nicht naher eingehen. Die Einfuhrungder partiellen Ableitung und die Formulierung der Kettenregel in mehreren Dimensionen kommtjedoch gleich in der verallgemeinerten Form.

4.2.1 Partielle Ableitungen, Kettenregel

Wir betrachten eine vektorwertige Funktion y, die von mehreren Variablen abhangt:

y : M ⊆ Rm −→ Rn :

x1...xm

7→ y1(x1, ..., xm)

...yn(x1, ..., xm)

(4.25)

Die Definition der partiellen Ableitung einer Komponente yi der Funktion lautet dann in einemPunkt x ∈M

∂yi∂xj

= lim∆xj→0

yi(x1, ..., xj + ∆xj , ..., xm)− yi(x1, ..., xm)∆xj

. (4.26)

Die Funktion ist dann partiell nach xj differenzierbar, falls dieser Grenzwert existiert, bzw.partiell differenzierbar, falls sie fur alle Koordinaten xj partiell differenzierbar ist. Die partielleAbleitung gibt also den Grad der Anderung einer Funktion in eine bestimmte Richtung an undist selbst wieder eine Funktion. Man verwendet dabei das Symbol ∂ im Unterschied zum Symbold bei Funktionen mit nur einer Veranderlichen.Man kann fur y alle partiellen Ableitungen an einem Punkt in einer n ×m-Matrix, der soge-nannten Jacobi-Matrix J(y), zusammenfassen:

J(y) =(∂yi∂xj

)i,j

(4.27)

Ahnlich wie fur die eindimensionale Differentialrechnung kann man auch fur mehrere Dimensio-nen eine Kettenregel fur die Ableitung angeben. Betrachten wir die Hintereinanderausfuhrungder Abbildungen einer (skalaren) Funktion f und einer vektoriellen Funktion y (z.B. Koordina-tentransformation):

fy : M ⊆ Rm y−→ N ⊆ Rn f−→ R : fy(x) = f(y(x)) (4.28)

Dann gilt fur die partiellen Ableitungen der Hintereinanderausfuhrung

∂fy∂xi

=n∑j=1

∂f

∂yj

∂yj∂xi

, (4.29)

Page 68: Mathe III Skriptum

4.2 Differenzieren 67

falls die partiellen Ableitungen von f und der yj an dieser Stelle existieren. In Matrixschreib-weise lasst sich dann die Jacobi-Matrix der Zusammensetzung als Produkt der Einzelmatrizendarstellen:

J(fy) = J(f)J(y) (4.30)

In Komponenten ausgeschrieben lautet diese Gleichung folgendermaßen:

(∂f∂x1

· · · ∂f∂xm

)=(

∂f∂y1

· · · ∂f∂yn

∂y1∂x1

· · · ∂y1∂xm

.... . .

...∂yn∂x1

· · · ∂yn∂xm

(4.31)

Der Subindex y bei f wurde hier weggelassen, weil man auch durch die Argumente xi bzw. yjerkennen kann, welche Art von f gemeint ist.

4.2.2 Gradient, Richtungsableitung

Definition des Gradienten

Bildet man die partiellen Ableitungen einer skalaren Funktion f in alle Raumrichtungen, soerhalt man eine vektorwertige Funktion (Vektorfeld), die wir den Gradienten nennen. In dreiDimensionen schreibt man

grad f =(∂f

∂x,∂f

∂y,∂f

∂z

)= ∇f, (4.32)

wobei der sogenannte Nabla-Operator als

∇ =(∂

∂x,∂

∂y,∂

∂z

)(4.33)

definiert ist. Der Nabla-Operator ist also ein vektorartiger Operator, der hier auf eine skalareFunktion angewandt wird.

Richtungsableitung

Eine weitere Form einer Ableitung fur eine skalare Funktion f ist die sogenannte Richtungsablei-tung. Sie ist ein Skalar, der die Anderungsrate von f in eine vorgegebene Richtung beschreibt.So gesehen besteht der Gradient aus (4.32) aus drei spezifischen Richtungsableitungen, namlichgerade in die Richtungen der Koordinatenachsen.Fur einen vorgegebenen Richtungsvektor n mit Betrag 1 ist die Richtungsableitung von f imPunkt p definiert als

(Dnf)(p) = Dnf = lims→0

f(p + sn)− f(p)s

. (4.34)

Page 69: Mathe III Skriptum

68 Kapitel 4: Vektoranalysis

Die Funktion f wird also entlang einer Geraden durch p in Richtung n variiert, und deren Ande-rungsrate betrachtet. Wir betrachten zunachst die Hintereinanderausfuhrung der zwei Funktio-nen

fr : R −→ R3 −→ Rs 7→ r(s) 7→ f(r),

(4.35)

wobei die linke Abbildung r(s) = p + sn die parametrische Darstellung der Geraden ist. Dannkann die Richtungsableitung wegen (4.35) und wegen der Definition der Ableitung in einerVeranderlichen auch geschrieben werden als dfr

ds . Aufgrund der Kettenregel ergibt sich die wich-tige Folgerung

Dnf =dfrds

=∂f

∂x

dx

ds+∂f

∂y

dy

ds+∂f

∂z

dz

ds= (grad f) · dr

ds= (grad f) · n. (4.36)

Die Richtungsableitung lasst sich also als Projektion des Gradienten auf die vorgegebenen Rich-tung (Einheitsvektor) darstellen. Man kann diesen Zusammenhang auch schreiben als

Dnf = (grad f) · n = |grad f | cos(γ), (4.37)

wenn γ den Winkel zwischen grad f und n bezeichnet. Betrachtet man nun eine Variation allermoglichen Richtungsvektoren mit Lange 1, wird der Wert fur Dnf genau dann maximal, wennγ = 0 ist. Daraus konnen wir folgern, dass die Richtungsableitung genau in die Richtung desGradienten maximal wird. Mit anderen Worten, der Gradient von f zeigt gerade in die Richtungder maximalen Steigung von f .Wir konnen umgekehrt diese Eigenschaft auch als Charakterisierung des Gradienten auffassen:Sei der Gradient so definiert, dass er in die Richtung der maximalen Steigung von f zeigtund sein Betrag den Wert dieser Steigung hat. Da dieser Definition im Gegensatz zu (4.32)kein spezifisches Koordinatensystem zu Grunde liegt, konnen wir sagen, dass der Gradient vomgewahlten (kartesischen) Koordinatensystem unabhangig ist. Praktisch bedeutet das, dass etwain einem anderen kartesischen Koordinatensystem (x∗, y∗, z∗) der Gradient

grad f =(∂f

∂x∗,∂f

∂y∗,∂f

∂z∗

)(4.38)

in dieselbe Richtung zeigt wie im ursprunglichen. Beispielsweise kann das andere Koordinaten-system gedreht sein relativ zum ursprunglichen.

Gradient als Flachennormale

Wir betrachten hier eine Flache S ⊆ R3, die durch eine Gleichung f(x, y, z) = 0 darge-stellt werden kann. Beispielsweise lasst sich die zweidimensionale Sphare mit Radius R durchf(x, y, z) = x2 + y2 + z2 −R2 reprasentieren.Man kann nun beliebige Kurven auf S betrachten, die durch einen bestimmten Punkt laufen:

r(t) = (x(t), y(t), z(t)) (4.39)

Page 70: Mathe III Skriptum

4.2 Differenzieren 69

Wegen der charakterisierenden Gleichung von S gilt also f(r(t)) = 0 und damit wegen derKettenregel (4.29)

0 =df

dt=∂f

∂x

dx

dt+∂f

∂y

dy

dt+∂f

∂z

dz

dt= (grad f) · r′. (4.40)

Der Gradient in einem bestimmten Punkt P steht also normal auf den Tangentenvektor jederbeliebigen Kurve, die auf S liegt und durch P geht. Somit steht der Gradient auch normalauf die Gesamtheit aller Tangentenvektoren in einem Punkt, der sogenannten Tangentenebene(Abb. 4.7).

Abbildung 4.7: Normale auf eine Tangentenebene, die Kurve C lauft auf der Oberflache. (Quelle:Kreyszig)

Beispiel: KugeloberflacheStellt man eine Kugeloberflache durch die oben genannte Gleichung dar, so ergibt sich als Gra-dient

grad f = 2(x, y, z), (4.41)

also in jedem Punkt der nach außen zeigende Normalvektor auf die Kugel.

Potentiale

Man nennt eine skalare Funktion, deren Gradient ein gegebenes Vektorfeld ergibt, ein Potential.Falls ein Potential fur ein Vektorfeld existiert, nennt man dieses ein konservatives Vektorfeld.Nicht jedes Vektorfeld ist konservativ, eine Charakterisierung werden wir spater kennenlernen.Die Vorteile, mit einem Potential anstatt einem Vektorfeld arbeiten zu konnen, liegen z.T. aufder Hand: Die Reduktion von drei Komponenten auf eine spart Rechenarbeit. Einen anderenVorteil, wie etwa die Wegunabhangigkeit von Linienintegralen, werden wir noch kennenlernen.Beispiel: Kraftfeld einer Punktladung q0 auf eine andere Ladung qNach dem Coulombschen Gesetz gilt fur diese Kraft

F(r) =1

4πε0

qq0r|r|3

(4.42)

Page 71: Mathe III Skriptum

70 Kapitel 4: Vektoranalysis

mit r dem Abstandsvektor zwischen den beiden Ladungen. Man kann leicht uberprufen, dassfur das Potential definiert durch

f(x, y, z) =1

4πε0

qq0√x2 + y2 + z2

(4.43)

genau die Beziehung grad f = −F gilt. Dividiert man die Gl. (4.42) bzw. (4.43) durch dieProbeladung q (Bezug auf eine Einheitsladung), so erhalt man daraus genau den Ausdruck furdie elektrische Feldstarke E bzw. das elektrische Potential φ einer Punktladung.

Beispiel aus der Bildverarbeitung

Der Gradient findet z.T. auch Anwendung in der Bildverarbeitung, etwa bei Grauwertbildern(Rontgen, MRI, Ultraschall). In solchen Grauwertbildern ist jedem Ort im Bild eine Zahl (Grau-wert) aus einem bestimmten Bereich zugeordnet. Der Gradient zeigt dann in die Richtung derstarksten Veranderung dieses Grauwertes, und gibt mit seinem Betrag auch ein Maß fur dieseVeranderung an. An den Stellen, an denen der Gradient ein gewisse Schwelle uberschreitet, wer-den somit die Kanten von Objekten zu finden sein. Die detektierten Kanten kann man wiederumverwenden, um Objekte aus dem Bild zu extrahieren.

4.2.3 Divergenz

Der Nabla-Operator kann auch auf Vektorfelder angewendet werden. Wie wir sehen werden,ist das Ergebnis dieser Operation ein Skalar, die sogenannte Divergenz des Vektorfeldes. DieDivergenz hat Bedeutung in vielen Bereichen der Physik, wie etwa in der Stromungslehre oderin der elektromagnetischen Feldtheorie.

Definition

Fur ein gegebenes, differenzierbares Vektorfeld v(x, y, z) mit den Komponenten v1, v2 und v3

ist die Divergenz definiert als

div v =∂v1

∂x+∂v2

∂y+∂v3

∂z. (4.44)

Man kann also die Divergenz auch als “Skalarprodukt” des Nabla-Operators mit dem Vektorfeldv auffassen. Ahnlich wie beim Skalarprodukt zweier Vektoren wird hier jede Komponente desNabla-Operators auf die entsprechende Komponente von v angewandt:

div v = ∇ · v =

∂∂x∂∂y∂∂z

· v1

v2

v3

(4.45)

Page 72: Mathe III Skriptum

4.2 Differenzieren 71

Genau wie der Gradient ist auch die Divergenz unabhangig vom gewahlten kartesischen Koordi-natensystem. Fur ein Vektorfeld v, das in anderen Koordinaten (x∗, y∗, z∗) dargestellt ist (z.B.gedrehtes Koordinatensystem), ergibt die Divergenz

div v =∂v1

∂x∗+∂v2

∂y∗+∂v3

∂z∗(4.46)

dasselbe skalare Feld wie in den ursprunglichen Koordinaten.Nachdem die Anwendung des Nabla-Operators auf ein skalares Feld ein Vektorfeld, und aufein Vektorfeld ein skalares Feld ergibt, kann man auch beide Operationen kombinieren. Manerhalt dadurch den sogenannten Laplace-Operator (∆, nicht zu verwechseln mit dem Symbolfur “kleine Anderungen” einer Große):

div grad f = ∇ · (∇f) = ∇2f = ∆f (4.47)

In der Elektrostatik kennen wir das elektrische Feld E und das zugehorige Potential φ. DieDivergenz des Feldes hat eine besondere Bedeutung und hangt mit der Quellendichte zusammen(siehe nachster Abschnitt). Wegen E = −grad φ ergibt sich also

div E = −∇2φ. (4.48)

Man kann zeigen, dass die Divergenz des elektrischen Feldes einer Punktladung (Coulomb-Gesetz) außerhalb der Ladung verschwindet, also

div E(r) = ∇2φ(r) = 0, fur r 6= 0 (4.49)

Kontinuitatsgleichung

Wir wollen uns jetzt ein besseres Bild von der Bedeutung der Divergenz machen. Betrachten wirdazu das Geschwindigkeitsvektorfeld v eines bewegten Mediums, z.B. einer Flussigkeit oder einesGases. Dabei wird, zu einem bestimmten Zeitpunkt, jedem Ort im Raum der Geschwindigkeits-vektor der Teilchen zugeordnet, die sich dort befinden. Der Einfachheit halber beschranken wiruns auf zwei Dimensionen. Wie in Abb. 4.8 dargestellt, betrachten wir ein kleines Flachenstuck∆A = ∆x∆y an einer Position (x, y). Wir mochten nun wissen, wie viele Teilchen uber dieGrenzlinien in das Flachenstuck gelangen, bzw. wie viele es verlassen. Wir fuhren daher einVektorfeld u = %v ein, das v mit der Teilchendichte wichtet. Diese Große hat dann die Dimen-sion [u] = [%][v] = kg

m2ms = kg

ms , gibt also die Menge (Masse) der Teilchen an, die pro Zeit- undLangeneinheit durch die Grenzflache des Flachenstucks geht. Die Gesamtmenge der Teilchendurch die linke Kante ergibt daher

∆y∆tu1(x, y +∆y2

) = ∆y∆tu1(x). (4.50)

Hier mussen wir beachten, dass nur der Teil von u senkrecht zur Kante (also u1) einen Beitragliefert. Das zweite Argument von u1 lassen wir der Einfachheit halber weg. Analog lassen sich

Page 73: Mathe III Skriptum

72 Kapitel 4: Vektoranalysis

die Anteile durch die ubrigen Kanten bestimmen:

rechts ∆y∆tu1(x+ ∆x, y + ∆y2 ) = ∆y∆tu1(x+ ∆x)

oben ∆x∆tu2(x+ ∆x2 , y + ∆y) = ∆x∆tu2(y + ∆y)

unten ∆x∆tu2(x+ ∆x2 , y) = ∆x∆tu2(y)

(4.51)

Abbildung 4.8: Fluss eines Vektorfeldes durch ein Flachenelement ∆A in 2D.

Fur die Nettozunahme bzw. -abnahme der Teilchen im Flachenstuck muss man alle 4 Termesummieren und dabei auf die richtigen Vorzeichen achten:

∆y∆tu1(x+ ∆x)−∆y∆tu1(x) + ∆x∆tu2(y + ∆y)−∆x∆tu2(y)

= ∆t∆x∆y︸ ︷︷ ︸∆A

[u1(x+∆x)−u1(x)

∆x + u2(y+∆y)−u2(y)∆y

] (4.52)

Auf der anderen Seite entspricht der Fluss durch die Wande des Flachenstucks genau der Ande-rung der Teilchenmenge im Inneren:

−∆%∆A (4.53)

Setzt man nun beide Terme gleich, dividiert durch ∆t und ∆A und macht den Grenzubergang∆x, ∆y und ∆t gegen 0, so erhalt man die sogenannte Kontinuitatsgleichung der Stromungslehre:

∂%

∂t+ div (%v) = 0 (4.54)

Sie besagt nichts anderes als die Erhaltung der Masse bei Stromungen.Fur eine stationare Stromung (Dichte andert sich nicht mit der Zeit) gilt

div (%v) = 0, (4.55)

und wenn die Dichte auch raumlich konstant ist, dann folgt

div (v) = 0. (4.56)

Die letzte Bedingung ist auch die sogenannte Inkompressibilitatsbedingung (inkompressibel =Dichte des Mediums raumlich konstant).

Page 74: Mathe III Skriptum

4.2 Differenzieren 73

Wir haben somit gesehen, dass die Divergenz den Nettofluss des Vektorfeldes durch ein Volums-element (Flachenelement) misst, also Abfluss minus Zufluss. Anschaulich gesprochen entsprichteine positive Divergenz eher einem Auseinanderlaufen der Vektoren (Quellen), eine negativeDivergenz hingegen eher einem Zusammenlaufen der Vektoren (Senken). Betrachten wir zumBeispiel einen dunnen Strahl Ol, der auf eine ruhige Wasseroberflache trifft. Die Geschwindig-keitsvektoren der Ol-Partikel als zweidimensionales Vektorfeld zeigen dann von dem Punkt weg,an dem das Ol auftrifft. Die Divergenz ist dort positiv. Wenn man auf der anderen Seine einedunne Wasserschicht in einem Becken mit Abfluss als zweidimensionales Vektorfeld beschreibt,so werden die Vektoren eher in Richtung des Abflusses zeigen. Der Abfluss ist eine Senke, unddie Divergenz ist dort negativ.Beispiel:Betrachten wir etwa das Geschwindigkeitsvektorfeld der Kreisscheibe aus Abb. 4.5

v(x, y, z) =

−yx0

ω, (4.57)

so ergibt sich als Divergenz gleich 0, was in diesem Fall die Inkompressibiltat der Kreisscheibezum Ausdruck bringt.

4.2.4 Rotation

Definition und Bedeutung

Man kann den Nabla-Operator auch wie ein Kreuzprodukt fur Vektoren auf ein Vektorfeldanwenden. Damit ergibt sich wieder ein Vektorfeld, die sogenannte Rotation (rot , im Eng-lisch sprachigen Raum auch curl). Die formale Definition in kartesischen Koordinaten (in einemRechtssystem) fur ein Vektorfeld v lautet also

rot v = ∇× v =

∂v3∂y −

∂v2∂z

∂v1∂z −

∂v3∂x

∂v2∂x −

∂v1∂y

. (4.58)

Bemerkung: Im Gegensatz zu Gradient und Divergenz, ist die Definition der Rotation nichtdirekt auf den 2-dimensionalen Raum ubertragbar. Bettet man ein 2-dimensionales Vektorfeldim R3 ein, so ist nach (4.58) nur die z-Komponente ungleich 0. Das bedeutet also, dass dieRotation im 2-Dimensionalen zu einer skalaren Funktion entartet.Da wir auch die Rotation in (4.58) fur ein vorgegebenes kartesisches Koordinatensystem definierthaben, soll auch an dieser Stelle gesagt sein, dass die Rotation in einem anderen kartesischenKoordinatensystem mit derselben Definition dasselbe Vektorfeld ergibt.Auf ahnliche Weise wie die Divergenz mit dem Netto-Fluss durch ein kleines Volumselement kannman sich die Rotation als diejenige Große vorstellen, mit der ein infinitesimal kleiner Korper(z.B. eine Kugel) im Vektorfeld aufgrund der Pfeilrichtungen “rotiert”. Dabei hat diese Großesowohl eine Richtung (Drehachse), als auch einen Betrag (Drehgeschwindigkeit), sie ist also eine

Page 75: Mathe III Skriptum

74 Kapitel 4: Vektoranalysis

vektorielle Große. Im 2-Dimensionalen ist hingegen nur eine Drehachse moglich (namlich diegedachte z-Achse, Abb. 4.9), daher ist das Aquivalent der Rotation in 2D eine skalare Große.Betrachten wir noch einmal das Beispiel der drehenden Kreisscheibe, so ergibt sich hier alsRotation das konstante Vektorfeld

rot v(x, y, z) =

00

. (4.59)

Der Betrag eines sich drehenden Vektorfeldes ist also immer die doppelte Winkelgeschwindigkeitder Drehbewegung. Abbildung 4.9 zeigt dieses Vektorfeld.

Abbildung 4.9: Darstellung der Rotation eines Vektorfeldes an zwei Stellen durch kleine, an derDrehachse befestigte Kreisscheiben.

Vektorfelder mit einer Rotation gleich 0 nennt man auch wirbelfrei.

Eigenschaften

Wir konnen zwei wichtige Eigenschaften der bisher kennen gelernten Operatoren direkt aus ihrenDefinitionen herleiten:Fur ein zweimal stetig differenzierbares Vektorfeld v gilt

div (rot v) = 0, (4.60)

und fur ein zweimal stetig differenzierbares skalares Feld f gilt

rot (grad f) = 0. (4.61)

Die Gleichung (4.61) heisst mit anderen Worten, dass ein konservatives Vektorfeld wirbelfreiist. Unter bestimmten Umstanden gilt sogar die Umkehrung: Aus rot v = 0 kann man dieExistenz eines Potentials f mit grad f = v folgern. Die genaue Formulierung dieses Satzes lautet:

Page 76: Mathe III Skriptum

4.3 Integration 75

Fur ein Vektorfeld v, das auf einem einfach zusammenhangenden Gebiet D definiert ist unddort eine stetige partielle Ableitung besitzt, sind folgende Aussagen aquivalent:

• Es gibt ein Potential f mit grad f = v,

• rot v = 0 in D.

Die Bedingung “einfach zusammenhangend” von D bedeutet, dass jeder geschlossene Weg inD stetig ubergefuhrt werden kann in einen Punkt. Das gilt zum Beispiel fur das Innere einerKugel oder einer Kugelschale, jedoch nicht mehr fur den Zwischenraum von zwei konzentrischenKreisen.Bemerkung: In 2 Dimensionen lautet die 2. Bedingung in Komponenten angeschrieben gerade

∂v2

∂x=∂v1

∂y. (4.62)

Dies erinnert stark an die Bedingung einer exakten Differentialgleichung aus dem ersten Kapitel.

4.3 Integration

Wir kommen nun zu den mehrdimensionalen Integralen. Wie bei der Differentiation gibt esverschiedene Moglichkeiten fur die Integration im Raum, je nach Typ der Funktion und Inte-grationsbereich.

4.3.1 Mehrdimensionale Integrale

Ebene

Abbildung 4.10: Unterteilung eines Bereiches R in kleine Rechtecke. (Quelle: Kreyszig)

Doppelintegrale stellen die zweidimensionale Verallgemeinerung von bestimmten Integralenin einer Veranderlichen dar. Fur eine gegebene Funktion f in R ⊆ R2 teilt man den Definitions-

Page 77: Mathe III Skriptum

76 Kapitel 4: Vektoranalysis

bereich R in kleine Rechtecke mit der Flache ∆xi∆yi (Abb. 4.10). Das Integral vob f uber Rapproximiert man zunachst uber die Summe uber n Rechtecke und bildet dann den Grenzwertn→∞:

Sn =n∑i=1

f(xi)∆xi∆yi =∫∫R

f(x, y)dA (4.63)

Die Berechnung eines solchen Integrals fuhrt man uber zwei Integrationen mit jewils einer Va-riablen von x und y aus, wobei im Allgemeinen die Reihenfolge von x und y keine Rolle spielt(Abb. 4.11):

∫∫R

f(x, y)dxdy =

b∫a

h(x)∫g(x)

f(x, y)dy

dx =

d∫c

q(y)∫p(y)

f(x, y)dx

dy (4.64)

Man beachte hierbei, dass die Integrationsgrenzen durchaus wieder von der jeweils anderenVariable abhangen konnen.

Abbildung 4.11: Integrationsgrenzen fur ein Gebiet R. (Quelle: Kreyszig)

Raum

Die raumliche Integration einer Funktion f(x, y, z) mit Definitionsbereich T ⊆ R3 kann in ana-loger Weise zu den Doppelintegralen auf ein Tripelintegral mit drei sukzessiven Integrationenerweitert werden: ∫∫∫

T

f(x, y, z)dxdydz (4.65)

Page 78: Mathe III Skriptum

4.3 Integration 77

4.3.2 Kurvenintegrale

Definition und Beispiele

Wir beginnen hier mit einer kurzen Motivation aus der Physik. Betrachten wir die Bewegungeines beliebigen Korpers (Massenpunkt) in einem konstanten Kraftfeld F (z.B. dem Gravitati-onsfeld eines anderen Korpers). Die mechanische Arbeit, die an diesem Korper verrichtet wird,ist dann gegeben durch die zuruckgelegte Wegstrecke mal der Kraft in Wegrichtung (Abb. 4.12).Um die Gesamtarbeit zu berechnen, mussen wir den gesamten Weg in lauter kurze Stucke un-

Abbildung 4.12: Berechnung der Verschiebungsarbeit einer Bahnkurve.

terteilen und die Summe uber alle Teilarbeiten bilden. Sei jetzt einmal angenommen, dass dieKurve durch r(t) parametrisiert ist, dann ergibt sich fur die Summe aller Arbeiten der Ausdruck

W =n∑i=1

F(r(t)) · (r(ti+1)− r(ti))∆ti∆ti

. (4.66)

Macht man den Grenzubergang hin zu infinitesimal kleinen Wegstucken, wird aus dieser Sum-me letztendlich ein Integral. Das fuhrt uns zum so genannten Kurven- oder Linienintegral desVektorfeldes F entlang der Kurve C:∫

C

F(r)dr =∫C

F(r(t))drdt

(t)dt =∫C

F(r(t))r′(t)dt (4.67)

Man bezeichnet hier die Kurve auch als Integrationsweg oder Integrationspfad. Im Linienintegralwird also das skalare Produkt aus Richtungsvektor des Feldes und Tangentenvektor der Kurvegebildet und uber C integriert. Man beachte, dass wir hier zwar eine spezielle Parametrisierungvon C angenommen haben (von der auch der Tangentenvektor abhangt), aber letztendlich istder Wert des Integrals von der Parametrisierung unabhangig. Wichtig ist nur, dass es (bis aufendlich viele Punkte) uberall einen eindeutigen Tangentenvektor geben muss, also der Integra-tionspfad sollte glatt oder zumindest stuckweise glatt sein. Stuckweise glatt geht deshalb, weilman “kleine” Mengen (z.B. Punkte) aus dem Definitionsbereich herausnehmen kann, sich der

Page 79: Mathe III Skriptum

78 Kapitel 4: Vektoranalysis

Wert des Integrals dadurch aber nicht andert.Das Integral andert jedoch sein Vorzeichen, wenn der Integrationspfad in umgekehrter Richtungdurchlaufen wird, wenn sich also die Orientierung andert.Stuckelt man zwei oder mehrere Wege C1, ..., Cn zu einem Gesamtweg C zusammen, so erhaltman fur das gesamte Linienintegral gerade die Summe∫

C

F(r)dr =n∑i=1

∫Ci

F(r)dr. (4.68)

Eine besondere Schreibweise gibt es fur einen geschlossenen Pfad, dies deutet man oft durch ein∮anstatt dem

∫an. (4.69)

Fasst man das Linienelement dr durch seine Komponenten auf, und multipliziert diese formalmit den Komponenten des Vektorfelds, ergibt sich eine Schreibweise fur das Linienintegral, wiesie etwa im Kreyszig auch verwendet wird:∫

C

F(r)dr =∫C

(F1dx+ F2dy + F3dz), (4.70)

wobei F1, F2 und F3 die einzelnen Komponenten von F bezeichnen.

Linienintegrale fur konservative Vektorfelder

Linienintegrale sind im Allgemeinen vom Integrationspfad abhangig. Eine Ausnahme hiervonmachen jedoch die konservativen Vektorfelder. Man kann mit der Wegunabhangigkeit vonLinienintegralen sogar die Konservativitat charakterisieren:

Ein Vektorfeld F besitzt genau dann ein Potential f mit grad f = F, wenn das Linienintegralentlang eines beliebigen Weges C nur von deren Endpunkten, nicht aber vom Weg an sichabhangt.

Der Beweis in der einen Richtung erfolgt durch Anwendung der Kettenregel: Angenom-men, f sei ein Potential von F, und r(t) sei eine Darstellung des Weges mit den beidenEndpunkten r(0) = A und r(1) = B, dann konnen wir fur das Linienintegral schreiben

∫C

F(r)dr =

1∫0

(grad f) · r′(t)dt = (4.71)

∫ 1

0

(∂f

∂x

dx

dt+∂f

∂y

dy

dt+∂f

∂z

dz

dt

)dt = (4.72)∫ 1

0

df

dtdt = f(r(1))− f(r(0)) = f(B)− f(A). (4.73)

Page 80: Mathe III Skriptum

4.3 Integration 79

Das Integral ist also gegeben durch die Werte des Potentials am Anfangs- und Endpunkt derKurve und unabhangig davon, wie die Kurve genau verlauft.Der Beweis der umgekehrten Richtung des Satzes findet sich etwa im Anhang vom Kreyszig.Wir wollen ihn an dieser Stelle weglassen.Die Wegunabhangigkeit von Linienintegralen lasst sich noch auf eine andere Weise charak-

Abbildung 4.13: Zusammensetzen von zwei Pfaden mit gleichem Anfangs- und Endpunkt bzw.Unterteilen eines geschlossenen Pfades in zwei Teile.

terisieren, namlich uber geschlossene Pfade: Man kann namlich sagen, dass Linienintegraleuber beliebige geschlossene Kurven genau dann verschwinden, wenn Linienintegrale uber zweibeliebige Pfade mit gleichem Anfangs- und Endpunkt gleich groß sind (Abb. 4.13). Damit kannman auch folgern:

Ein Vektorfeld F besitzt genau dann ein Potential f mit grad f = F, wenn das Linienintegralentlang eines beliebigen geschlossenen Weges C gleich 0 ist.

Von dieser Eigenschaft kommt ursprunglich der Name konservativ. Beschreiben wir etwadie Bewegung eines Korpers in einem Kraftfeld, stellt das Wegintegral gerade die mechanischeArbeit dar, also die Zu- oder Abnahme der mechanischen Energie auf seiner Bahnkurve. DieseEnergie ist insofern erhalten, als dass sie auf geschlossenen Wegen keine Anderung erfahrt.Klassisches Beispiel fur so ein System ist das Gravitationsfeld einer Massenverteilung oder daselektrostatische Feld einer Ladungsverteilung. Kommen hingegen Verlustkrafte wie Reibungoder Luftwiderstand hinzu, verliert das System die Eigenschaft der Konservativitat, undes wird dissipativ. Ein typisches Beispiel fur ein nicht konservatives Feld ist das rotierendeGeschwindigkeitsfeld (4.59) im vorigen Abschnitt.

Page 81: Mathe III Skriptum

80 Kapitel 4: Vektoranalysis

Abbildung 4.14: Parametrisierung einer Kugel mit Hilfe zweier Winkel. Die Tangentialebene ineinem Punkt (u0, v0) und deren Basis, bestehend aus den Tangentialvektoren ru und rv sindebenfalls eingezeichnet.

4.3.3 Oberflachenintegrale

Darstellung von Oberflachen im Raum, Tangentialebenen

Wir kennen im Prinzip zwei Moglichkeiten, eine Flache S im Raum mittels Funktionen darzu-stellen, namlich

• durch eine Gleichung g(x, y, z) = 0 oder

• in parametrischer Form als

r(u, v) = (x(u, v), y(u, v), z(u, v)) . (4.74)

Zum Beispiel konnen wir die Einheitssphare entweder durch die Gleichung

g(x, y, z) = x2 + y2 + z2 − 1 (4.75)

oder durch die Parametrisierung x(u, v)y(u, v)z(u, v)

=

sin(u) cos(v)sin(u) sin(v)

cos(u)

(4.76)

darstellen (siehe auch Abb. 4.14). Ahnlich wie Tangentialvektoren an Kurven lasst sich an jedenPunkt der Flache S eine Tangentialebene legen, vorausgesetzt, S hat an dieser Stelle keine

Page 82: Mathe III Skriptum

4.3 Integration 81

Spitze oder Kante (ist also glatt). Die Tangentialebene einer Flache S am Punkt P ist definiertals die Menge aller Tangentialvektoren von Kurven auf S die durch P laufen. Das ergibt imAllgemeinen eine Ebene, die sich mit zwei linear unabhangigen Richtungsvektoren darstellenlasst. Fur gegebene Parametrisierung

r(u, v) = (x(u, v), y(u, v), z(u, v)) , r(u0, v0) = P (4.77)

laufen etwa die beiden Kurven

r(u, v = v0), r(u = u0, v) (4.78)

durch P , und deren Tangentialvektoren

ru =∂r∂u

(u0, v0), rv =∂r∂v

(u0, v0) (4.79)

bilden eine Basis der Tangentialebene in P (Abb. 4.14).Einen Normalenvektor bzw. Einheitsnormalenvektor auf die Tangentialebene erhalten wir durch

N = ru × rv, n =N|N|

. (4.80)

Oberflachenintegral einer skalaren Funktion

Bei gegebener Flache S mit Parametrisierung wie im vorigen Abschnitt und gegebener skalarerFunktion f(r) auf S interessiert uns nun das Integral von f uber S. Da wir es im Allgemei-nen mit gekrummten Flachen zu tun haben, betrachten wir zunachst ein infinitesimal kleinesFlachenstuck um den Punkt r(u, v), (Abb. 4.15). Da dieses Flachenstuck im Allgemeinen ein

Abbildung 4.15: Herleitung des Integrals uber die Gesamtoberflache S.

Parallelogramm bildet, erhalten wir den Flacheninhalt durch den Betrag des Kreuzproduktes derbeiden aufspannenden Vektoren. Durch Erweitern mit ∆u und ∆v erhalten wir den Ausdruck

f(r(u, v))(∆u∆v)∣∣∣∣r(u+ ∆u, v)− r(u, v)

∆u× r(u, v + ∆v)− r(u, v)

∆v

∣∣∣∣ . (4.81)

Page 83: Mathe III Skriptum

82 Kapitel 4: Vektoranalysis

Die beiden Faktoren des Kreuzproduktes approximieren die partiellen Ableitungen der Para-metrisierung r, also fur kleine ∆u, ∆v nahern sie sich den Basisvektoren der Tangentialebeneru und rv. Fur die Summe uber alle Einzelflachen erhalten wir im Grenzwert das so genannteOberflachenintegral von f uber S, das hiermit lautet∫∫

S

f(r)dA =∫∫R

f(r(u, v))|N(u, v)|dudv, (4.82)

wobei R den betreffenden Bereich im u-v-Raum bezeichnet. Somit kann man das Oberflachen-integral auf ein Doppelintegral zuruckfuhren.Man kann (4.82) nun beispielsweise verwenden, um den Flacheninhalt einer (gekrummten) FlacheS zu berechnen. In diesem Fall muss man die zu integrierende Funktion f(r) = 1 setzen.

Oberflachenintegral eines Vektorfeldes

Wir definieren das Oberflachenintegral eines Vektorfeldes F uber eine Flache S als den Fluss vonF durch diese Flache (Flussintegral). Der Fluss sei wie gehabt definiert als die Projektion von Fauf die Flachennormale, multipliziert mit dem Flacheninhalt (Abb. 4.16). Dadurch andert sich

Abbildung 4.16: Fluss eines Vektorfeldes durch ein Flachenelement.

im Ausdruck (4.81) nur der Faktor f(r(u, v)), der durch die Projektion F · n ersetzt wird. Mitdem Grenzubergang zu einem Integral erhalten wir das Oberflachenintegral des Vektorfeldes Fuber S als Fluss durch die Gesamtoberflache. Man kann hier verwenden, dass der Einheitsvektorn, multipliziert mit dem Betrag |N|, gerade N selbst ergibt. Somit erhalten wir∫∫

S

F · ndA =∫∫R

F(r(u, v)) ·N(u, v)dudv. (4.83)

Orientierung von Flachen

Die Definition des Normalvektors (4.80) hangt von der Reihenfolge der beiden Faktoren imKreuzprodukt ab. Als Folge dessen kann N zwei verschiedene Orientierungen haben (in dieFlache hinein, aus der Flache heraus), die sich nur durch das Vorzeichen unterscheiden. Dement-sprechend kann daher auch das Vorzeichen des Integranden in (4.83) wechseln. Man muss sichdaher im Einzelfall im Klaren sein, welche Orientierung der Flachennormale gemeint ist. Fur

Page 84: Mathe III Skriptum

4.3 Integration 83

das Oberflachenintegral einer skalaren Funktion in (4.82) ist die Orientierung egal.Eine Flache heißt dann orientierbar, wenn eine Orientierung der Flachennormale stetig und aufeindeutige Weise uber die gesamte Oberflache fortgesetzt werden kann. Ein Beispiel fur einenicht orientierbare Flache ist das Mobius-Band (Abb. 4.17): Wenn man mit dem Normalvektorum das Band lauft und dabei die Orientierung beibehalten mochte, zeigt dieser nach einem Um-lauf in die entgegengesetzte Richtung wie am Beginn. Im Falle einer nicht orientierbaren Flacheist also das Flussintegral nicht definiert.

Abbildung 4.17: Mobius-Band als Beispiel fur eine nicht orientierbare Flache. (Quelle: Kreyszig)

Satz von Gauß

Der Satz von Gauß (Divergenztheorem) bringt Flussintegrale uber geschlossene Oberflachenund Volumsintegrale in Beziehung miteinander. Dieser Zusammenhang zum Beispiel dann vonBedeutung, wenn eine Form des Integrals intuitiver oder einfacher zu losen ist als die andere.Wir werden außerdem noch zwei Beispiele aus der Physik kennenlernen, in denen der Satz vonGauß den Zusammenhang zwischen einem Feld und seinen Quellen ausdruckt. Der Satz vonGauß lautet folgendermaßen:Sei T ein geschlossenes Volumen im Raum mit stuckweise glatter Oberflache S. Sei weiters eineVektorfunktion F(x, y, z) gegeben, die in einer offenen Teilmenge von R3, die T enthalt, partielldifferenzierbar ist mit stetigen partiellen Ableitungen. Dann gilt folgende Gleichheit:∫∫∫

T

div FdV =∫∫S

F · ndA (4.84)

Anwendungsbeispiele fur den Satz von Gauß

Elektrisches PotentialWir berechnen zunachst den elektrischen Kraftfluss einer Punktladung q im Mittelpunkt einerKugel mit Radius R durch die Kugeloberflache. Die elektrische Feldstarke an der Kugeloberflachehat den Wert

E =1

4πε0

qrR3

. (4.85)

Page 85: Mathe III Skriptum

84 Kapitel 4: Vektoranalysis

Berechnet man das Oberflachenintegral dieses Feldes uber die Kugeloberflache (mit geeigneterParametrisierung), erhalt man (siehe Ubungsbeispiel)∫∫

S

E · ndA =q

ε0. (4.86)

Bei diesem Ausdruck fallt auf, dass der Fluss nur von der Ladung q im Inneren der Kugel,nicht aber vom Kugelradius R abhangt. Man kann sogar zeigen, dass das Ergebnis von (4.86)unabhangig von der genauen Gestalt des geschlossenen Volumens und von der Position derLadungen im Innern des Volumens ist. Nehmen wir jetzt im Innern eines Volumens V mitOberflache S eine beliebige Ladungsverteilung mit Raumladungsdichte %(r), so berechnet sichdie Gesamtladung q als das Volumsintegral uber %. Dies setzen wir in (4.86) ein und wendenaußerdem den Satz von Gauß an:

q

ε0=

1ε0

∫∫∫V

%(r)dV (4.87)

=∫∫S

E · ndA =∫∫∫V

div EdV (4.88)

Der zweite und vierte Ausdruck sind jeweils ein Volumsintegral. Da die Gleichung fur beliebigeVolumina V gilt, konnen wir die Integranden gleichsetzen und erhalten die wichtige Beziehung

div E =%

ε0. (4.89)

Das elektrische Feld ist also proportional zur Ladungsdichte, die ihrerseits die “Quellen” deselektrischen Feldes darstellen. Daraus kann man fur das elektrische Potential φ schließen

∇2φ = − %

ε0, (4.90)

der Laplace-Operator ergibt also 0 im ladungsfreien Raum. Man nennt (4.90) auch die Poisson-Gleichung bzw. Laplace-Gleichung, falls die rechte Seite 0 ist.

WarmeleitungWir wissen zunachst aus physikalischen Experimenten, dass Warme grundsatzlich von hoherenzu niedrigeren Temperaturen fließt. Raumlich gesehen fließt sie in Richtung des starkstenTemperaturunterschiedes, also in Richtung des Gradienten des Temperaturfeldes T (r)

v = −λgrad T, (4.91)

wobei λ eine Proportionalitatskonstante, die sogenannte Warmeleitfahigkeit ist. Der Warmeflussdurch eine beliebige Oberflache S eines geschlossenen Volumens V kann geschrieben werden als∫∫

S

v · ndA. (4.92)

Page 86: Mathe III Skriptum

4.4 Ubungsaufgaben 85

Wegen des Gauß’schen Satzes ergibt sich∫∫S

v · ndA = −λ∫∫∫V

div (grad T )dxdydz = −λ∫∫∫V

∇2Tdxdydz. (4.93)

Auf der anderen Seite gibt der Warmefluss durch die Oberflache gerade die Abnahme (Zunahme)der im Volumen gespeicherten Energie

−∂H∂t

= −∫∫∫V

κ%∂T

∂tdxdydz, (4.94)

wobei wir hier Konstanten fur die Materialdichte % und spezifische Warmekapazitat des Ma-terials κ eingefuhrt haben. Wiederum konnen wir aufgrund des beliebig gewahlten VolumensV die Integranden der Gleichungen (4.93) und (4.94) gleichsetzen und erhalten dadurch dieWarmeleitungsgleichung

∂T

∂t= c2∇2T, c2 =

K

κ%. (4.95)

4.4 Ubungsaufgaben

4.4.1 Differentialrechnung

Beispiel: Gegeben ist eine skalare Funktion f(x, y, z) = 1x2+y2+z2

von 3 Variablen. Weiters seieine Flache im Raum durch die Parametrisierung

x = u2 + v2, y = u2 − v2, z = 2uv (4.96)

gegeben.a) Geben Sie f als Funktion der Parameter u und v auf der Flache an.b) Berechnen Sie die partiellen Ableitungen von f nach u und v.c) Wenden Sie fur die Berechnung der partiellen Ableitungen aus b) nun die Kettenregel an:Bestimmen Sie dazu zunachst die Jacobi-Matrizen(

∂f

∂x,∂f

∂y,∂f

∂z

)(4.97)

und ∂x∂u

∂x∂v

∂y∂u

∂y∂v

∂z∂u

∂z∂v

(4.98)

und bilden das Produkt der beiden Matrizen. Zeigen Sie, dass die sich ergebende Matrix(∂f

∂u,∂f

∂v

)(4.99)

Page 87: Mathe III Skriptum

86 Kapitel 4: Vektoranalysis

mit dem Ergebnis aus a) ubereinstimmt. Um die Gleichheit zu zeigen, muss man noch x, y undz im Ergebnis durch u und v ausdrucken.

Beispiel: Gegeben ist eine skalare Funktion der Gestalt

f(x, y) =y

x, (4.100)

wobei x = x(t) und y = y(t) Funktionen von einem Parameter t sind. Wenden Sie die Kettenregelan und finden Sie einen Ausdruck fur die Ableitung

df

dt. (4.101)

Vergleichen Sie das Resultat mit der Regel fur die Ableitung eines Quotienten.

Theoriefrage: Fur welche Typen von Funktionen (skalar oder vektoriell) wird der Gra-dient gebildet? In welche Richtung zeigt er, und wie groß ist sein Betrag?

Theoriefrage: Was misst, anschaulich gesprochen, die Divergenz eines Vektorfeldes, dasdie Bewegung von Teilchen modelliert? Bringen Sie jede der 3 Aussagen div v > 0, div v < 0und div v = 0 in Zusammenhang mit einer der folgenden Aussagen:

1. Der Nettofluss durch ein kleines Volumselement (bzw. Flachenelement fur 2-dimensionaleVektorfelder) an der Stelle ist 0.

2. An der Stelle befindet sich eine Senke.

3. An der Stelle befindet sich eine Quelle.

Beispiel: Bestimmen Sie die Divergenz der folgenden Vektorfelder:a) v = (x3 + y3, 3xy2, 3zy2)b) v = (e2x cos(2y), e2x sin(2y), 5e2z)c) v = (x2 + y2, 2xyz, z2 + x2)

Beispiel: Bestimmen Sie die Divergenz des elektrischen Feldes einer Ladung q0 im Ko-ordinatenursprung

E(x, y, z) =1

4πε0

q0√x2 + y2 + z2

3 (x, y, z) (4.102)

fur r 6= 0.

Beispiel: Bestimmen Sie die Rotation der folgenden Vektorfelder. Leiten Sie aus dem

Page 88: Mathe III Skriptum

4.4 Ubungsaufgaben 87

Vektorfeld ein Potential ab, falls ein solches existiert.a) v = (yex, ex, 2z)b) v = (3x2, 2yz, y2)

Beispiel: Uberprufen Sie folgende Relationen durch komponentenweises Nachrechnen:a) div (rot v) = 0b) rot (grad f) = 0

4.4.2 Integralrechnung

Beispiel: Berechnen Sie die Doppelintegrale durch zwei sukzessive Integrationen (zuerst nachy, dann nach x). Bestimmen Sie anschließend die Integrationsgrenzen fur die umgekehrte Rei-henfolge anhand der beigefugten Abb. 4.18 und fuhren die Integration erneut aus. VergleichenSie die Ergebnisse.

a)1∫0

2x∫x

(x+ y)2 dy dx

b)1∫0

x∫x2

(1− 2xy) dy dx

Abbildung 4.18:

Page 89: Mathe III Skriptum

88 Kapitel 4: Vektoranalysis

Beispiel: Bestimmen Sie die beiden Koordinaten des Schwerpunkts des Halbkreises R

(s. Abb. 4.19)

x =1A

∫∫R

x dx dy und y =1A

∫∫R

y dx dy. (4.103)

Abbildung 4.19:

Beispiel: Bestimmen Sie das Wegintegral des Vektorfeldes v vom Punkt (1, 0, 0) nach (0, 1, 0),einmal uber den Weg C1, dann uber C2, C3 (Abb. 4.20). Begrunden Sie, warum im Fall a) beideWege dasselbe Ergebnis liefern. Zeigen Sie, dass man das Ergebnis in a) auch ohne Integrationunter Verwendung eines Potentials bestimmen kann (fur das Potential siehe fruheres Beispiel).a) v = (3x2, 2yz, y2)b) v = (xy, −y2, 0)

Abbildung 4.20:

Theoriefrage: Wie lautet der Satz von Gauß fur eine Vektorfunktion F, die stetig partiell

Page 90: Mathe III Skriptum

4.4 Ubungsaufgaben 89

differenzierbar ist in einem Volumen V mit stuckweise glatter, geschlossener Oberflache S?Welche Arten von Integralen werden hier in Beziehung gesetzt?

Beispiel: Gegeben sei die Einheitssphare S mit einer Parametrisierung (4.76). Bestim-men Sie fur die folgenden Vektorfelder das Oberflachenintegral uber S. Verifizieren Sie fura) den Satz von Gauß, indem Sie die Divergenz des Vektorfeldes und das entsprechendeVolumsintegral bilden.a) v = (x, y, z)b) v = (x, y, z)√

x2+y2+z23


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