parker sorgt für ladehemmung

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Page 1: PARKER sorgt für Ladehemmung
Page 2: PARKER sorgt für Ladehemmung

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Lady Agatha war besorgt. Chief-Superintendent McWarden hatte bereits zweimal den angebote-

nen Sherry abgelehnt und machte einen geistesabwesenden Eindruck. Er saß in einem der tiefen Ledersessel in der großen Halle des ehrwürdigen Hauses und gab sich mundfaul.

»Ich werde Ihnen jetzt zum letzten Mal einen Sherry anbieten, mein Bester«, schickte sie voraus. »Falls Ihnen eine Laus über die Leber gelau-fen sein sollte, lassen Sie es mich gefälligst wissen.«

»Ich weiß, ich bin kein guter Unterhalter«, erwiderte McWarden, der in Scotland Yard ein Sonderdezernat leitete, »aber ich muß ja ohnehin gehen.«

»Was haben Sie denn schon wieder zu tun, mein Lieber«, fragte Agatha Simpson ein wenig spitz.

»Mister McWardens Zeit wird sicher von dem Fall McGivern voll und ganz in Anspruch genommen«, deutete Parker den geplanten Aufbruch, bevor Mylady eine weitere Spitze abschießen konnte.

Die Hauptpersonen: John McGivern soll Augenzeuge eines Mordes sein. Marty Stillson inszeniert einen Nervenkrieg gegen McWarden. Dan Lemmick erhält eine spezielle Nasenbehandlung. Randy Blakers leitet ein illegales Wettbüro und flirtet mit einer Witwe. Joe Clinters verleiht nicht nur Rasenmäher. Li Hsiang verkauft Feuerwerkskörper aller Art. Chief-Superintendent McWarden bittet Mylady notgedrungen um Hilfe. Lady Agatha Simpson frönt ihrer Wettleidenschaft. Butler Parker veranstaltet ein privates Feuerwerk.

»Das auch.« McWarden stand auf der Sache McGivern glücklich und verbeugte sich in Richtung Aga- abschließen?« fragte Parker höflich-tha Simpson. »Ich werde bei Gele- beiläufig. genheit mal wieder vorbeisehen, »Wer ist McGivern?« Lady Agatha Mylady.« runzelte die Stirn.

»Sie konnten die Ermittlungen in »Es handelt sich, wie Mylady wis-

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sen, um einen Mafioso, der in einen Mordprozeß verwickelt ist.«

»Und der als Zeuge verhört wird«, warf McWarden ein, »von mir mal ganz zu schweigen. Ich ermittle nämlich noch gegen ihn. Es sind da noch ein paar wichtige Dinge zu klä-ren.«

»Wann soll dieser Prozeß denn stattfinden?« wollte die ältere Dame zusätzlich wissen.

»In knapp drei Wochen«, gab der Chief-Superintendent zurück. »Bis dahin werde ich es schon schaffen.«

»Falls nicht, dann wenden Sie sich vertrauensvoll an mich, mein lieber McWarden«, bot die passionierte Detektivin ihre Hilfe an. »Sie wissen ja, ich löse so gut wie jeden Fall.«

»Ich komme schon zurecht.« McWarden nickte und ließ sich

von Josuah Parker zum verglasten Vorflur der Wohnhalle und dann bis an die Tür bringen. Sein Gang war schwer. Der Mann, der normaler-weise immer wie ein leicht gereizter Bullterrier aussah, hatte scheinbar Beine aus Beton. Die Schultern hin-gen herunter, die Bewegungen waren eckig geworden. Der Yard-Beamte schien an einer schweren Last zu tragen.

»Darf man höflich fragen, Sir, ob Mister McGivern sich noch in Frei-heit befindet?« erkundigte sich Par-ker, als er die Tür öffnete.

»Für eine Festnahme hat es noch nicht gereicht«, antwortete McWar-

den. »McGivern hat da zwei Zeu-gen, die ihm bisher ein wasserdich-tes Alibi verschafft haben.«

»Und auch gegen diese Zeugen wird ermittelt, Sir?«

»Nur eine Frage der Zeit, bis sie umkippen«, meinte der Yard-Beamte und gab sich unvermittelt optimistisch. »Gute Nacht, Mister Parker!«

»Sie kamen, wie Sie sagten, rein zufällig vorbei, Sir?«

»Warum sollte ich nicht zufällig vorbeigekommen sein?« reagierte McWarden leicht gereizt. »Mache ich doch öfter, oder?«

»Es handelte sich nur um eine Frage, Sir, der Sie keine Beachtung schenken sollten.«

Parker hatte die Tür aufgezogen und führte den Yard-Beamten unter das Vordach, das von kleinen Säulen getragen wurde. Genau in diesem Augenblick hüpfte ein runder Gegenstand über das Pflaster auf den Vorbau zu. McWarden warf sich instinktiv zurück und zog dabei den Butler mit sich. McWarden warf die Tür zu und drückte Parker und sich gegen den linken Türpfosten.

Es geschah nichts! »Sie vermuteten ein Attentat, Sir?«

fragte Josuah Parker, als McWarden sich nach einigen Augenblicken ent-spannte.

»Reine Routine, Mister Parker.« McWarden lächelte ein wenig schief.

»Meiner bescheidenen Ansicht

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nach schien es sich um einen völlig normalen Tennisball gehandelt zu haben.«

»Man… man kann nie wissen«, entgegnete der Yard-Beamte, der sich einen inneren Ruck gab und Parker zunickte, als er die Tür erneut öffnete.

*

»Es war natürlich eine Handgranate, nicht wahr?« fragte Agatha Simpson wenige Minuten später. Ein deutli-cher Hoffnungsschimmer lag in ihren Augen.

Lady Agatha war groß, sehr statt-lich und zeigte eine beeindruckende Körperfülle. Sie hatte das sechzigste Lebensjahr mit Sicherheit überschrit-ten, war aber körperlich noch sehr leistungsfähig. Ihre Energie war ungebremst und sie setzte sie ein, um sich als Amateur-Detektivin zu betätigen.

Butler Parker unterstützte sie dis-kret. Er hielt seine schützende Hand über sie, was sie jedoch nicht mal andeutungsweise ahnte.

Lady Agatha war immens vermö-gend, mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und ver-schwägert, seit Jahren Witwe und berüchtigt wegen ihrer unkonventio-nellen Art. Es gab grundsätzlich kein Fettnäpfchen, in das sie nicht getre-ten wäre.

»Der Wahrheit die Ehre, Mylady«,

beantwortete Parker ihre Frage und präsentierte einen gelb gefärbten Tennisball. »Es handelt sich, wie der Augenschein lehrt, um einen gewöhnlichen Tennisball.«

»Sind Sie sicher, Mister Parker?« Enttäuschung war in ihrer Stimme.

»Man dürfte ihn über das Tor in Richtung Haus geworfen haben, Mylady.«

»Und wozu das, Mister Parker? Will man mich herausfordern?«

»Mylady denken sicher mehr an Mister McWarden.«

»Und ob.« Sie nickte nachdrück-lich. »Und warum denke ich an ihn?«

»Der Tennisball könnte durchaus dem Chief-Superintendenten gegol-ten haben, Mylady.«

»Unsinn, Mister Parker«, entschied sie grollend. »Wie kommen Sie denn darauf? Jetzt geht aber die Phantasie wieder mit Ihnen durch.«

»Es war nicht zu übersehen, Mylady, daß Mister McWarden geradezu übernervös reagierte.«

»Und was schließe ich daraus, Mister Parker?«

»Der Chief-Superintendent, Mylady, könnte bereits in jüngster Vergangenheit mit ähnlichen Situa-tionen konfrontiert worden sein.«

»Daran dachte ich gerade eben-falls«, behauptete sie umgehend. »Es war ja mehr als überraschend, daß er den Sherry ablehnte, finden Sie nicht auch, Mister Parker?«

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»Ein Vorgang, den man nur als ungewöhnlich bezeichnen kann und wohl auch muß, Mylady. Es steht zu fürchten, daß Mister McWardens Reaktion mit seinen Ermittlungen im Zusammenhang steht.«

»Diese Mordgeschichte, Mister Parker?«

»Interessierte Kreise scheinen die Ermittlungen massiv behindern zu wollen.«

»Dann werde ich mich einschalten«, machte die ältere Dame deutlich. »So etwas fordert mich heraus. Ich kann es einfach nicht zulassen, daß der gute McWar-den ein Nervenwrack wird.«

»Es ist damit zu rechnen, daß Mis-ter McWarden sich früher oder spä-ter Mylady anvertrauen wird.«

»Darauf werde ich nicht warten, Mister Parker. Eine Lady Agatha ergreift stets die Initiative! Machen Sie mir ein paar hübsche Vorschläge, Mister Parker.«

»Mylady könnten gewisse Kon-takte aufnehmen.«

»Noch in dieser Nacht«, entschied sie. »Die Einzelheiten überlasse ich Ihnen, Mister Parker. Es geht also um die Mafia, die sich hier in Lon-don mal wieder etablieren will?«

»Davon können Mylady ausge-hen.«

»Dann bringen Sie mich mit diesen Subjekten zusammen, Mister Parker. Irgendwo werden die Individuen ja verkehren, oder?«

»Es gibt in der Tat einige Nacht-clubs, die von diesen Personen oft und gern frequentiert werden.«

»In zehn Minuten wünsche ich zu fahren.« Sie sprühte bereits vor Tatendrang und brachte ihre maje-stätische Fülle zur Treppe, die ins Obergeschoß des zweistöckigen Fachwerkhauses führte. Parker war-tete, bis sie im oberen Korridor ver-schwunden war, dann begab er sich ins Souterrain, wo sich seine Privat-räume befanden.

Da er mit Überraschungen aller Art rechnete, betrat er sein Labor und traf eine sorgfältige Auswahl an Verteidigungsmitteln. Auf Schuß-waffen legte er überhaupt keinen Wert. Parker hielt es mehr mit unscheinbar aussehenden Gegen-ständen, die dem täglichen Bedarf zugerechnet werden konnten, die aber in ihrer Wirkung verblüffend waren.

Nachdem er den schwarzen Covercoat angezogen und die eben-falls schwarze Melone aufgesetzt hatte, griff er nach seinem Univer-sal-Regenschirm und war bereit, mit einem speziellen Teil der Unterwelt Kontakt aufzunehmen.

*

Der breitschultrige Mann am Tresen legte es eindeutig darauf an, Lady Agatha zu provozieren. Er hielt ein Bierglas in der rechten Hand, maß

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die ältere Dame mit einem abschät-zenden-belustigten Blick und wandte sich dann an zwei Mittrin-ker, denen er etwas zurief, was die Lady allerdings nicht verstehen konnte.

Der Lärm im Pub war unerträg-lich.

Parker und seine Herrin waren in den Osten der Stadt gefahren und hielten sich in einem Lokal auf, das sich in der Nähe einer abbruchreifen Werft befand. Die Besucher sahen durchweg handfest aus und vorbe-lastet im strafrechtlichen Sinn.

»Ich hoffe, man ist dabei, sich über mich lustig zu machen«, sagte Lady Agatha erfreut. Sie beobachtete den Breitschultrigen, der gerade einen weiteren Witz reißen wollte.

»Man sollte gewisse Dinge viel-leicht nicht auf die sprichwörtliche Goldwaage legen, Mylady«, wie-gelte Parker ab. Er hatte das Lokal absichtlich aufgesucht. Hier ver-kehrte ein gewisser Mike Duffins, der zur Mafia sicher einiges zu sagen hatte. Noch war dieser Mann allerdings nicht aufgetaucht.

»Wie sieht’s aus, Lady, sind wir nicht gerade eingeladen worden?« fragte der Breitschultrige, der den Tresen verlassen hatte und zu dem Tisch steuerte, an dem Mylady und Parker saßen. Der Mann grinste und hatte keine Ahnung, daß er bereits mit dem Feuer spielte. Agatha Simp-son hatte nämlich nach ihrem per-

lenbestickten Pompadour gegriffen, in dem sich ihr sogenannter Glücks-bringer befand. Dabei handelte es sich um das mächtige Hufeisen eines stämmigen Brauereipferdes.

Nach seiner Frage baute sich der Mann breitbeinig vor dem Tisch auf und hielt plötzlich ein Klappmesser in der rechten Hand. Mit der Spitze der Klinge bearbeitete er die Finger-nägel seiner linken Hand. Natürlich ging es ihm überhaupt nicht um eine kleine Maniküre, nein, er wollte die ältere Dame und ihren Butler ganz klar einschüchtern. Das Messer sollte seine Worte nur noch zusätz-lich unterstreichen.

Parker rechnete mit einem Zwi-schenfall und bereitete sich innerlich darauf vor.

»Was ist denn, Mädchen?« redete der Breitschultrige weiter. »Hab’ ich mich nun verhört oder nicht? Wie sieht’s mit ‘ner Runde aus?«

Während er sprach, warf er das spitze Messer mehrfach hoch, ließ es in der Luft rotieren und fing es geschickt wieder auf. Die Schneid-ware schien er recht gut zu beherr-schen.

Natürlich war das kleine Inter-mezzo im Pub nicht unbemerkt geblieben. Die Handfesten unterbra-chen ihre Gespräche und beobachte-ten den Tisch. Es ging diesen Leuten nicht um Freibier, sie sollten ihren billigen Spaß haben und sich wohl auch überlegen und stark fühlen.

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»Junger Mann, wissen Sie, was das ist?« fragte Lady Agatha plötzlich und nahm ihren kleinen Handbeutel an sich.

»Was soll das sein?« erkundigte sich der Mann ahnungslos und war zudem leicht verblüfft. Mit der tra-genden und sonoren Stimme der älteren Dame hatte er sicher nicht gerechnet.

»Ein Pompadour«, erklärte Agatha Simpson gefährlich freundlich. »Er hängt an Schnüren an meinem Handgelenk.«

»Aha. Hoffentlich ist da auch Geld drin. Ich mein’, wegen der Runde.«

»Es reicht für Sie, junger Mann.« Während Lady Agatha noch sprach, warf sie den Pompadour in Rich-tung Nase des Mannes. Bevor der Breitschultrige zurückzucken konnte, landete der kleine Handbeu-tel im Ziel und veranlaßte das Riech-organ, sich nach rechts zu bewegen.

Der Mann wurde zurückgeworfen, denn ein auskeilendes Pferd hätte kaum nachdrücklicher zutreten kön-nen. Der Getroffene sah Sterne, Was-ser schoß ihm in die Augen. Er stol-perte über einen unbesetzten Stuhl und landete krachend auf dem Boden.

»Wagen Sie es nicht noch mal, eine hilflose Dame anzugreifen«, grollte Lady Agatha. »Ich könnte sonst nämlich ärgerlich werden.«

Die Umstehenden lachten lauthals. Sie hatten durchaus Sinn für eine

gewisse Komik und Selbstbehaup-tung.

Der Breitschultrige hatte sich inzwischen wieder erhoben und fin-gerte äußerst vorsichtig an der Nase herum. Dann baute er sich wieder auf und marschierte zurück zum Tisch.

»Stellen Sie sich gefälligst erst mal vor, bevor Sie mit mir reden wollen, junger Mann«, herrschte die ältere Dame ihn an.

»Bin ich verrückt oder ihr?« näselte der Mann verblüfft und wandte sich entgeistert an seine Freunde.

»Sie sollten meiner bescheidenen Ansicht nach zumindest die primi-tivsten Regeln des Miteinander beachten und einhalten«, ließ Butler Parker sich vernehmen. »Falls dem so ist, sieht sich Mylady durchaus imstande, eine Einladung Ihrerseits anzunehmen.«

»Ich bevorzuge einen doppelten Brandy«, machte Agatha Simpson ihren Wunsch deutlich. »Und setzen Sie sich endlich, bevor ich Ihnen nachhelfen muß!«

Der Mann nahm vorsichtig auf einem Stuhl Platz und blickte Mylady und, Parker fasziniert an. Er schüttelte wegen seiner Nase vor-sichtig den Kopf und erklärte mehr-fach, er glaube nicht, was er da gerade gesehen und erlebt habe.

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»Mit der Mafia haben wir nichts am Hut«, sagte der Breitschultrige, der sich inzwischen vorgestellt hatte. Er hieß Dan Lemmick und hatte sich als selbständiger Handelsagent aus-gegeben, was immer man sich dar-unter auch vorstellen mochte.

»Sie werden sich den Bestrebun-gen dieser internationalen Organisa-tion kaum widersetzen können, Mis-ter Lemmick«, erwiderte Josuah Par-ker. »Denken Sie an die Zustände in den Staaten.«

»Wir sind aber hier in London und lassen uns nicht die Tour vermas-seln«, erklärte der selbständige Han-delsvertreter. »Mit Mord und so wollen wir nichts zu tun haben. Das fehlte noch, daß wir mit der Polizei in ‘nen Dauerclinch kommen. Dabei springt doch nichts ‘raus.«

»Die Mafiosi werden ihre Vorstel-lungen brutal durchsetzen, Mister Lemmick.«

»Wir kommen auch nicht gerade aus ‘nem Mädchen-Pensionat«, ent-gegnete der Tischgast. »Ich meine, hier kann man ja wohl mal offen reden, oder?«

»Man wird mit letzter Sicherheit nichts gegen Sie verwenden, Mister Lemmick«, versicherte Parker dem Breitschultrigen. »Sie haben von einem gewissen John McGivern gehört?«

»Klar doch, der soll als Zeuge in ‘nem Mordprozeß aussagen, oder?«

»Ein Prozeß, in dem es im Grund um die Mafia geht. Der Beschuldigte soll den Betreiber eines illegalen Wettbüros erschossen haben.«

»Herrn Birnay«, bestätigte der selbständige Handelsagent und nickte. »Natürlich ist er umgelegt worden, weil er sich nicht verein-nahmen lassen wollte.«

»Der Beschuldigte heißt…« »… Marty Stillson«, wußte der

Breitschultrige prompt zu sagen, »und der ist ganz klar ein Mafia-Mann. Der hat einige Jahre in den Staaten gelebt und ist vor ‘nem hal-ben Jahr nach London zurückge-kommen.«

»Mylady nimmt zur Kenntnis, daß Sie ungemein gut informiert sind, Mister Lemmick.«

»Das weiß nicht nur ich, das wis-sen wir alle hier«, antwortete der Handelsagent und lächelte flüchtig. »Stillson ist ein besonders harter Typ, der alles auf Vordermann brin-gen soll.«

»Er dürfte nicht allein stehen, Mis-ter Lemmick«, vermutete der Butler.

»Der is’ dabei, sich ‘ne schlagkräf-tige Truppe aufzubauen«, berichtete der Breitschultrige weiter, »und er kann verdammt gut zahlen. Ich wette, daß bereits ‘ne Menge Leute für ihn arbeiten, die aber vorerst mal den Rand halten und das verschwei-gen.«

»Die Mafia will demnach also das unterwandern, was man gemeinhin

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die Szene nennt?« »Was will die? Ach so, jetzt kapier’

ich.« Dan Lemmick lächelte wieder flüchtig. »Klar, die wollen uns aus-höhlen. Aber wir werden verdammt gut aufpassen.«

»Mylady beschäftigt eine Frage«, schickte der Butler in gewohnt höfli-cher Form voraus, doch er kam nicht mehr dazu, die Frage fortzusetzen.

»Und ob mich eine Frage beschäf-tigt«, erklärte die ältere Dame geis-tesgegenwärtig. »Ich erwarte darauf eine Antwort, junger Mann.«

»Mylady fragt sich, warum die Mafia nicht für klare Verhältnisse sorgt, was den Zeugen John McGi-vern betrifft«, fuhr Parker fort. »Falls Mister McGivern das sprichwörtli-che Zeitliche segnen würde, könnte er unmöglich Mister Marty Stillson belasten.«

»Dann wissen Sie nicht, wer McGi-vern ist«, entgegnete Lemmick.

»Mylady und meine Wenigkeit warten auf einen entsprechenden Hinweis, Mister Lemmick.«

»John McGivern ist der jüngere Bruder von Haie McGivern, der drü-ben in den Staaten ein Spitzenmann der Mafia sein soll. Die hier werden sich hüten, so ‘ne Nummer aus dem Verkehr zu ziehen. Sie können sich ja denken, was das in den USA für ‘nen Wirbel geben würde.«

»Falls Sie erlauben, Mister Lem-mick, möchte meine Wenigkeit Sie auf einen Wirbel hinweisen, der in

wenigen Minuten hier seine Spuren hinterlassen wird.«

»Wirbel? Hier? Wieso?« Lemmick blickte den Butler verständnislos an.

»Es erschienen gerade zwei neue Gäste, die sich für diesen Tisch hier zu interessieren scheinen, Mister Lemmick.«

»Lady, drücken Sie mir den Hand-beutel noch mal auf die Nase«, ver-langte Lemmick umgehend. »Ich kann mir keinen Ärger leisten.«

»Sie möchten noch mal meinen Pompadour kennenlernen?« erkun-digte sich die ältere Dame erfreut.

»Und zwar ganz schnell, Lady«, wiederholte Lemmick.

»Nichts lieber als das.« Agatha Simpson kam dem Wunsch umge-hend und sehr realistisch nach.

*

Die Nase des Dan Lemmick hatte sich neu orientiert und nach links bewegt. Lemmick saß völlig konster-niert erneut auf dem nicht gerade sauberen Fußboden und fingerte erneut an seinem Riechorgan. Er hatte eindeutig nicht mit der Konse-quenz der älteren Dame gerechnet. Was sie tat, besorgte sie stets sehr gründlich.

»Das ist für Ihre Beleidigungen, junger Mann«, herrschte Agatha Simpson den Breitschultrigen an. »Eine Lady Simpson läßt sich so etwas nicht bieten.«

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Parker interessierte sich nicht wei-ter für Dan Lemmick, der sich gerade ein Alibi verschafft hatte. Parker hatte seinen Universal-Regenschirm ein wenig gehoben. Die Spitze des Regendaches hatte er durch kurzes Wegdrücken seitlich kippen lassen. Nur ein aufmerksa-mer Beobachter hätte feststellen kön-nen, daß dadurch so etwas wie eine Mündung sichtbar geworden war.

Die beiden neuen Gäste im Pub hatten sich kurz orientiert, dabei tauschte einer der beiden schlanken und mittelgroßen Männer einen schnellen Blick mit einem der Gäste am Tresen. Dieser Mann war unter-setzt, dicklich und hatte ein geröte-tes, rundes Gesicht. Butler Parker nahm diesen Blickkontakt zur Kenntnis und prägte sich das Ausse-hen des Dicklichen genau ein.

Die Neuankömmlinge schoben sich durch den Pulk der Gäste vor dem Tresen und nahmen Kurs auf den Tisch, an dem Lady Agatha und Parker saßen. Dan Lemmick hatte sich in den Hintergrund zurückge-zogen und ließ sich von einigen Freunden betreuen.

Parker handelte. Ihm kam es dar-auf an, die Dinge nicht eskalieren zu lassen. Man befand sich immerhin in einem Lokal, in dem Mylady und er Fremdkörper waren. Ein Umschla-gen der Stimmung konnte jeden Augenblick erfolgen.

Der Butler drückte auf einen unter-

halb des Schirmgriffs versteckt ange-brachten Knopf und gab damit einen Blasrohrpfeil frei, der kaum länger und dicker war als eine normale Stricknadel. Oben am Schaft gab es bunte Federn, die zur Stabilisation des kleinen Flugkörpers dienten.

Angetrieben wurde der Blasrohr-pfeil von komprimierter Kohlen-säure, die aus einer entsprechenden Druckpatrone stammte. Sie war im unteren Teil des bleigefüllten Bam-busgriffs untergebracht. Parker hatte sich diese seltsame, aber ungemein effektive Konstruktion ausgedacht und sie in seinem privaten Labor gebaut.

Unhörbar jagte der Pfeil durch die Luft und landete im rechten Ober-arm des ersten Neuankömmlings, der zusammenzuckte, als wäre er von einem elektrischen Schlag getroffen worden. Der Mann blickte auf die schmerzende Stelle und sog dann scharf die Luft ein. Solch ein Geschoß kannte er wahrscheinlich nur vom Hörensagen und dachte sicher gleich an einen Giftpfeil.

Der zweite Neuankömmling war natürlich aufmerksam geworden, blickte auf das bunt gefiederte Ding im Oberarm seines Begleiters und erschien etwas ratlos. Dann drehte er sich wieder um und maß Lady Simpson und Butler Parker, die aus-gesprochen unbeteiligt und friedlich am Tisch saßen. Parker hatte seinen unverdächtigen Regenschirm längst

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wieder abgesenkt. Der Getroffene hatte sich endlich

überwunden und den Pfeil aus dem Oberarm gezogen. Er hielt ihn in einer Mischung aus Ekel und Anklage hoch.

»Hoffentlich ist das kein Giftpfeil?« machte Josuah Parker sich bemerkbar. »Falls dem so sein sollte, müßten Sie unbedingt einen entsprechenden Arzt aufsuchen und sich ein Gegengift verabreichen las-sen.«

»Gi… Gi… Giftpfeil?« stotterte der Betroffene und hechelte.

»Wenn meine Wenigkeit sich nicht täuscht, zeigt Ihr Gesicht bereits erste Farbveränderung.«

»Mann, machen Sie keinen Unsinn«, brüllte der Getroffene.

»Sollen sich erst Lähmungserschei-nungen ankündigen, ist äußerste Vorsicht angebracht«, warnte der Butler in seiner höflichen Art.

Der zweite Mann schob sich näher an den Tisch heran. Seine Hand hatte unter’s Jackett gegriffen. Wahr-scheinlich umspannten die Finger das Griffstück einer entsprechenden Waffe.

Im Pub war es laut und chaotisch geworden. Man schrie und rief sich Fragen zu, erhielt aber kaum ver-ständliche Antworten. Der Geräuschpegel stieg steil an, die Gäste wirbelten durcheinander. Weitere Giftpfeile wurden vermutet.

»Mitkommen, sonst knallt’s!« ver-

langte der Mann vor dem Tisch. »Ich hab’ ‘ne Kanone in der Hand.«

»Was sagten Sie?« erkundigte sich Lady Agatha und hielt die Hand hinter’s rechte Ohr.

»Mitkommen, oder ich ziehe durch«, drohte der Mann, nun bereits wesentlich lauter.

»Ich verstehe kein Wort«, behaup-tete die Detektivin und erhob sich in ihrer ganzen majestätischen Größe. »Drücken Sie sich gefälligst etwas deutlicher aus.«

Sie winkte den Mann mit der lin-ken Hand näher heran, und der Ahnungslose folgte dieser Aufforde-rung spontan. Er beugte sich vor, um sich besser verständlich machen zu können. Doch damit geriet er in den gefährlichen Bereich von Myla-dys rechter Hand, die darauf war-tete, Ohrfeigen zu verabreichen.

Der Mann wurde voll erwischt und sah nur noch Sterne. Er schnappte nach Luft, verdrehte die Augen und legte sich seitlich über einen angrenzenden Tisch. Dabei störte er einige handfeste Gäste, die sich belästigt fühlten.

Sie reagierten auf ihre unverwech-selbare Art und bedachten den wütend um sich schlagenden Mann mit gezielten Boxhieben. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis das Tohuwabohu ausbrach.

»Darf man sich erlauben, Mylady ins Freie zu geleiten?« erkundigte sich Parker bei Agatha Simpson.

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Dabei langte er mit dem bleigefüll-ten Bambusgriff seines Schirmes kurz und gezielt zu, um eine schmale Gasse zu bahnen.

»Muß ich wirklich schon gehen?« bedauerte die ältere Dame, die sich sehr angesprochen fühlte.

»Mylady denken an den Gesamt-fall«, meinte Parker. »Den Episoden am Rand konnten Mylady noch nie einen besonderen Reiz abgewinnen.«

»Das stimmte allerdings«, räumte sie zögernd ein. Dann trat sie gegen ein Schienbein, das ihr im Weg war und ließ sich von Butler Parker auf die Straße begleiten.

*

»Eine hübsche Abwechslung, Mister Parker«, stellte Lady Agatha wohl-wollend fest. Sie saß im Fond von Parkers Privatwagen, einem ehema-ligen Londoner Taxi, das nach den eigenwilligen Wünschen des Butlers technisch umgebaut worden war. Eingeweihte bezeichneten dieses eckige Fahrzeug nicht grundlos als ein hochbeiniges Monstrum, das für eine Fülle technischer Tricks gut war.

»Mylady werden längst zu dem Schluß gekommen sein, daß die Mafia bereits einen ersten Kontakt mit Mylady aufgenommen hat«, ant-wortete der Butler.

»Natürlich weiß ich das, Mister

Parker. Und weshalb bin ich darauf gekommen?«

»Man dürfte Mister McWarden beschattet haben, als er Mylady auf-suchte. Der oder die Verfolger wer-den danach Mylady und meine bescheidene Wenigkeit observiert haben.«

»Richtig«, erklärte sie mit Nach-druck, »und damit steht was fest?«

»Der beobachtete Gemütszustand Mister McWardens dürfte mit seinen Ermittlungen in Sachen McGivern zusammenhängen.«

»Das haben Sie recht ordentlich erkannt, Mister Parker«, lobte sie ihn verhalten, »und der Tennisball galt ihm, wie ich es ja gleich gesagt hatte.«

Parker hatte sein hochbeiniges Gefährt, das rein äußerlich sehr betagt aussah, längst in Bewegung gesetzt und verließ den Ostteil der Stadt. Er fuhr zurück in Richtung City und blickte immer wieder in den Rückspiegel. Er konnte sich gut vorstellen, daß sie erneut beobachtet wurden.

Parker dachte über den Mann nach, der sich Dan Lemmick genannt hatte. War dieser Kontakt von Beginn an geplant gewesen? Hatte Lemmick aus noch nicht bekannten Gründen eine kleine Show abgezogen? Warum hatte der Mann sich so kenntnisreich und gezielt über die Mafia ausgelassen? Warum hatte er zwei Nasenstüber

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über sich ergehen lassen? »Wie sieht es aus, Mister Parker?

Werde ich verfolgt?« kam die obli-gate Frage der älteren Dame.

»Bisher ist kein Verfolger auszu-machen, Mylady«, bedauerte der Butler.

»Was soll ich denn davon halten, Mister Parker?« räsonierte sie. »Viel-leicht sind Sie zu schnell gefahren?«

»Meine Wenigkeit hält sich genau an das Tempo-Limit, Mylady«, ent-gegnete der Butler. »Aber selbst wenn keine Verfolger auftauchen sollten, wird die Mafia erneut einen Kontakt herstellen. Mylady haben klar erkennen lassen, daß Mylady wieder tätig sind.«

»Ich bin gespannt, wann der gute McWarden sich offenbaren wird«, sinnierte die ältere Dame halblaut. »Selbstverständlich braucht er meine Hilfe.«

»Der Chief-Superintendent dürfte sich bestimmt genieren, offen um Hilfe zu bitten.«

»Das wäre aber albern«, grollte Lady Agatha. »Ohne mich ist er doch verloren. Allein kommt er gegen die Mafia nie an. Glauben Sie, daß man es auf einen Mord ankom-men lassen wird, Mister Parker?«

»Der bewußte Tennisball läßt dar-auf schließen, Mylady, daß man einen Nervenkrieg gegen Mister McWarden zu führen gedenkt. Der Mord an einem hohen Beamten würde große Schlagzeilen machen

und die gesamte Polizei aktivieren.« »Also Psycho-Terror, Mister Par-

ker…« »In der Tat, Mylady. Man versucht

offenbar, Mister McWarden in einen nervlichen Zustand zu versetzen, der es ihm unmöglich macht, den Fall McGivern weiter zu verfolgen.«

»Er hat schließlich noch Mitarbei-ter, die diesen Fall weiter bearbeiten könnten, Mister Parker«, wandte die ältere Dame ein.

»Möglicherweise würde man diese Mitarbeiter dann ebenfalls in einen Nervenkrieg verwickeln, Mylady.«

»Nun gut, es bleibt dabei: Ich werde wieder die Initiative ergrei-fen, Mister Parker. Was steht jetzt auf meinem Plan?«

»Mylady haben sicher die Absicht, den Angehörigen und Mitarbeitern des Mister Herrn Birnay einen Besuch abzustatten.« »Aha. Und wer ist das?«

»Mister Herrn Birnay wurde mit an Sicherheit grenzender Wahr-scheinlichkeit von Mister Marty Stillson erschossen«, erinnerte der Butler in seiner diskreten Art.

»Keine Namen, Mister Parker«, verlangte die ältere Dame sofort streng. »Sie verwirren nur. Ich darf den Gesamtüberblick nicht verlieren und nur die Kleinigkeiten registrie-ren.«

Namen konnte sie sich einfach nicht merken.

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Das illegale Wettbüro florierte. Josuah Parker hatte sein hochbeini-ges Monstrum vor einem schäbigen Schnell-Imbiß abgestellt und beob-achtete die Gäste, die sich an pizza-ähnlichen Gebilden, an Fisch und Chips, an Hamburgern und frittier-ten Hähnchen delektieren wollten.

Der Schnell-Imbiß war in einem Eckhaus untergebracht und sah nicht besonders verdächtig, sondern nur schäbig aus. Die Besucher dieses Restaurants waren fast ausschließ-lich Männer aller Altersklassen, die ihrer Kleidung nach nicht gerade zur gehobenen Mittelklasse gehör-ten.

»Warum warte ich hier, Mister Parker?« verlangte Agatha Simpson ungeduldig zu wissen.

»Mylady haben sicher bereits eine grobe Schätzung jener Personen vor-genommen, die ihren Hunger zu stillen gedenken.«

»Tatsächlich«, schwindelte sie umgehend, »beachtlich, was ich da gesehen habe.«

»Innerhalb nur weniger Minuten werden Mylady exakt neun Perso-nen gezählt haben.«

»Zehn«, widersprach sie energisch. »Meine Wenigkeit wird sich dann

geirrt haben, Mylady.« »Wenn schon, Mister Parker, dann

müssen Sie eben genau hinsehen«, mokierte sie sich genußvoll. »Und

was sagt mir das mit diesen zehn Personen? Ich muß dabei doch etwas gedacht haben, nicht wahr?«

»Im Schnell-Imbiß dürften noch andere Artikel als Eßwaren zu bekommen sein. Mylady denken an Wetten.«

»Und das werde ich sofort in Augenschein nehmen, Mister Par-ker.« Sie war Feuer und Flamme. »Pferderennen, nicht wahr?«

»Davon sollte man ausgehen, Mylady. Man macht den legalen Wettbüros dort sicher Konkurrenz.«

»Und dort ist dieser, wie heißt er noch, ermordet worden?«

»Mister Herrn Birnay, Mylady, der das illegale Wettbüro betrieb.«

Sie verzichtete auf weiter Fragen, drückte die Tür auf und setzte ihre Fülle energisch in Bewegung. Parker verschloß den Wagen und setzte die Türgriffe unter Strom. Dazu drückte er mit der Schirmspitze in eine bestimmte, kaum wahrnehmbare Vertiefung des soliden Trittbretts.

Als er und Mylady den Schnell-Imbiß betraten, runzelte die ältere Dame doch die Stirn. Obwohl sie von ihrem Butler vorbereitet worden war, entdeckte sie nur wenige Gäste, die auf festgeschraubten Sitzen saßen und mehr oder weniger lust-voll in Pappbehältern stocherten, in denen sich diverse Eßwaren befan-den.

Die beiden männlichen Angestell-ten hinter der langen Theke wunder-

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ten sich ihrerseits über die beiden neuen Kunden. Lady Agatha hielt auf die Theke zu und musterte die ausgestellten Köstlichkeiten. Im Lokal roch es übrigens penetrant nach zu oft gebrauchtem Frittier-Fett.

»Mylady wünschen einen kleinen Imbiß?« erkundigte sich Parker, der den ständigen Hunger seiner Herrin kannte.

»Guter Gott, Mister Parker«, ent-setzte sie sich und schüttelte den Kopf. »Sehen Sie sich nur die Fisch-schnitten an!«

»Sie dürften aus einem Fang stam-men, Mylady, der um die Jahrhun-dertwende getätigt worden sein muß.«

»Was soll’s denn sein?« fragte einer der beiden Schnellköche desin-teressiert. »Eigentlich sind wir aus-verkauft.«

»Melden Sie der Geschäftsleitung Lady Simpson und Mister Parker«, antwortete der Butler. »Mylady erwartet innerhalb von drei Minuten eine Reaktion, sonst könnten sich gewisse Komplikationen ergeben.«

»Moment mal, Leute«, schaltete der zweite Schnellkoch sich ein. »Was soll hier eigentlich laufen?«

»Meiner bescheidenen Schätzung nach sind bereits fünfzehn bis sech-zehn Sekunden der eingeräumten Frist vorüber«, machte der Butler deutlich. »Sie sollten das tun, was man gemeinhin ›sich sputen‹ zu

nennen pflegt.«

*

»Grünes Licht für Sie«, sagte der Imbiß-Verkäufer, der nach genau zweieinviertel Minuten wieder hin-ter der Thekenauslage erschien. Er deutete auf eine schmale Tür, die zu den Toiletten führte.

»Es geht doch, junger Mann«, meinte Agatha Simpson zufrieden. »Man muß eben nur wollen.«

»Kann man davon ausgehen, daß man abgeholt wird?« erkundigte sich der Butler.

»Alles in Ordnung«, antwortete der Mann. »Keine Probleme.«

Doch Josuah Parker traute dem Frieden nicht so recht. Er rechnete durchaus mit Zwischenfällen. Mög-licherweise kannte man Mylady und ihn, allerdings zu einem persönli-chen Kontakt war es bisher nicht gekommen. Zudem wußte er ja nicht, ob das Wettbüro nicht schon von der Mafia übernommen worden war.

Als er Mylady zur bewußten Tür geleitete, griff er mit zwei spitzen Fingern der rechten, schwarz behandschuhten Hand in eine der vielen Westentaschen und holte eine miniaturisierte Lichtblitzbombe her-vor. Sie sah aus wie die Sicherung eines Autoscheinwerfers und ließ nicht erkennen, welche Leuchtkraft sie besaß.

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Parker hatte die Tür erreicht und öffnete sie spaltbreit. Er wandte sich zur Theke. Die beiden Schnellköche taten unbeteiligt, doch sie blickten verstohlen zu jener Tür, die der But-ler angedrückt hatte.

Parker knickte die kleine Siche-rung seitlich ab und warf sie in den Raum hinter der Tür, die er schnell wieder schloß. Dennoch registrierte er einen deutlichen Lichtblitz.

Butler Parker drückte ohne jede Hemmung erneut die Tür auf und betrat einen schmalen Korridor, in dem zwei Männer standen, die hilf-los wirkten. Sie waren völlig geblen-det worden, rieben sich die Augen und fluchten ausgiebig. Sie bekamen überhaupt nicht mit, daß Lady Simpson und der Butler vor ihnen erschienen.

»Sie können davon ausgehen, meine Herren, daß ihre Netzhaut sich in relativ kurzer Zeit wieder erholen wird«, tröstete der Butler die Männer, während er gezielt und blitzschnell nach ihren Schulterhalf-tern langte und sie leerte. Er barg zwei kurzläufige Revolver, die er in den Taschen seines schwarzen Covercoats verschwinden ließ. Die beiden Männer bekamen nichts davon mit.

Parker schritt weiter aus, erreichte eine Tür und bewegte den Knauf. Die Tür schwang auf und gab den Blick frei in ein kleines Büro, dessen Rückfront von einer großen Scheibe

eingenommen wurde. Mit, dem Rücken zu Parker saß ein Mann vor dieser Scheibe und blickte aufmerk-sam hinunter in einen Raum, den der Butler noch nicht erkennen konnte.

»Man wünscht einen ausgegliche-nen Abend«, grüßte der Butler und lüftete die schwarze Melone. Der Mann fuhr blitzschnell mit dem Drehsessel herum und starrte Mylady und Parker entgeistert an.

»Sie werden sich mit Sicherheit fragen, wie Mylady und meine Wenigkeit hier erscheinen konnten«, redete der Butler weiter. »Ihre Mitar-beiter waren so entgegenkommend, den Weg zu weisen.«

»Wo stecken die?« Der Mann schob sich mit dem Sessel näher an den Schreibtisch heran.

»Die beiden Mitarbeiter sind beschäftigt«, erklärte der Butler. »Was nun Sie betrifft, so sollten Sie nicht den Versuch unternehmen, nach einer Schußwaffe zu greifen, meine Wenigkeit würde dies zu ver-hindern wissen.«

»Von mir aus können Sie es aber auch versuchen«, warf Lady Agatha ein und brachte ihren perlenbestick-ten Pompadour in erste Schwin-gung. »Sie also lassen hier illegal wetten, junger Mann?«

»Wie zu sehen ist, Mylady.« Par-ker deutete mit der Schirmspitze auf die Glasscheibe, die eindeutig ein Einweg-Spiegel war, durch den man

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in einen Kellerraum blicken konnte. Dort gab es einige Wettschalter, Pulte, Bänke und eine ganze Batterie von Fernseh-Monitoren. Gut zwei Dutzend Wetter strudelten durch-einander, lieferten ihre Wettscheine ab, tranken und diskutierten.

»Ein Geschäft, das man nur als flo-rierend bezeichnen kann«, stellte Josuah Parker fest.

»Wie heißen Sie, junger Mann?« verlangte Mylady von dem Mann hinter dem Schreibtisch zu wissen.

»Randy Blakers«, lautete umge-hend die Antwort.

»Sie haben die Stelle des verbliche-nen Mister Herrn Birnay übernom-men?« fragte der Butler.

»Was blieb mir anderes übrig, nachdem man ihn erschossen hatte. Und wer sind Sie?«

»Man dürfte Mylady und meine Wenigkeit mit Sicherheit angekün-digt haben«, erwiderte der Butler. »Gibt es keine Familienangehörige des Mister Birnay?«

»Natürlich, da ist eine Mistreß Bir-nay. Und genau sie hat mir die Lei-tung des Büros übertragen. Das ist alles geregelt. Hören Sie, warum sind Sie hier?«

»Dreimal dürfen Sie raten, junger Mann«, fuhr die ältere Dame ihn an und deutete durch den Einweg-Spie-gel nach unten. »Ich werde selbst-verständlich die Gelegenheit nutzen und eine Wette abschließen.«

»Sie wollen keinen… Ärger

machen?« hoffte Randy Blakers. »Mylady interessiert sich für den

Mord an Mister Herrn Birnay«, schickte Josuah Parker voraus. »Sie waren in der Nähe, als es dazu kam?«

»Eben nicht, Mister Parker.« Randy Blakers schüttelte den Kopf. »Wäre ich hier gewesen, wäre bestimmt manches anders gelaufen. Ich war in unserer Filiale in Soho, als das mit Birnay passierte.«

»Hat die Mafia sich seitdem wie-der gemeldet?«

»Bisher hat sich nichts getan, aber die Kerle geben bestimmt nicht auf, Mister Parker. Die wollen kassieren, was sie bekommen können.«

»Werden Sie sich gegen die Mafia durchsetzen können, Mister Blakers?«

»Schwer zu sagen, Mister Parker.« Blakers hob die Schultern und schielte schon längst nicht mehr nach seiner Schußwaffe, die in einem der Seitenfächer seines Schreibtisches liegen mußte. »Wir haben uns natürlich abgesichert. Mit der linken Hand werden uns die Typen aus den Staaten nicht mehr erwischen, darauf können Sie sich verlassen.«

»Mylady geht davon aus, daß Ihnen der momentane Wohnsitz des Mister Marty Stillson hier in London durchaus bekannt ist.«

»Der wechselt die Hotels und Unterkünfte wie seine Hemden«,

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lautete die Antwort. »Stillson ist ständig unterwegs, wie ich höre. Der Mann ist gerissen und vorsichtig. Noch hat er sich hier nicht durchge-setzt.«

»Mister Marty Stillson soll eine besonders geschickte Hand haben, was den Kauf von wichtigen Perso-nen in der Szene betrifft.«

»Davon hab’ ich auch schon gehört«, pflichtete Blakers dem But-ler bei. »Geld hat er jede Menge. Und er kennt sich bereits verdammt gut aus. Er weiß genau, wer wichtig ist oder nicht.«

»Gibt es keine Aktionen gegen ihn?« wunderte sich Parker andeu-tungsweise.

»Darüber wird am laufenden Band geredet, Mister Parker, aber getan wird nichts«, klagte Randy Blakers förmlich. »Gehen Sie etwa gegen Stillson an?«

»Es werden aufregende Tage auf ihn zukommen, junger Mann«, kün-digte die Detektivin an. »Aber wir wollen nicht am Thema vorbeireden. Ich werde, sagen wir, fünf Pfund auf Sieg setzen und erwarte, daß ich gewinne. Alles Weitere überlasse ich Ihnen: Wehe Ihnen, falls ich verlie-ren sollte! Mister Parker, helfen Sie mir bitte mit fünf Pfund aus, Sie wis-sen, daß ich grundsätzlich kein Geld bei mir habe.«

*

»Und Sie gewannen natürlich, Mylady«, sagte Mike Rander am anderen Morgen. Er hatte sich zum Frühstück im Haus der älteren Dame zusammen mit Kathy Porter eingefunden.

»Knapp siebzig Pfund«, erwiderte Lady Agatha und nickte lächelnd. »Gut, Mike, es ist nicht gerade viel, aber der Mensch freut sich.«

Mike Rander und Kathy Porter tauschten einen schnellen Blick des geheimen Einverständnisses. Sie wußten, wie geschäftstüchtig Aga-tha Simpson war. Sie ließ sich keine Gelegenheit entgehen, ihre private Kasse aufzubessern.

Mike Rander, groß, schlank und sportlich, war Anwalt und hatte in früheren Jahren mit Parker in den Staaten viele Abenteuer mit der dor-tigen Unterwelt erlebt. Kathy Porter, attraktiv und nicht weniger sport-lich, war Agatha Simpsons Gesell-schafterin und Sekretärin, die aber, nach Randers Rückkehr aus den USA, auch für ihn arbeitete und in seiner Kanzlei in der nahen Curzon Street half.

»Konnten Sie ungefähr erfahren, wie es zu diesem Mord an Birnay kam, Parker?« erkundigte sich Rander.

»Die Tat spielte sich in der Privat-wohnung des Verblichenen ab, die nicht weit vom illegalen Wettbüro entfernt liegt«, berichtete Parker weiter. »Es ist bekannt, daß Stillson

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und McGivern ihn besuchen woll-ten. Sie wurden gesehen, als sie die Wohnung betraten. Birnays Leib-wächter wurde dann weggeschickt und ist seitdem verschwunden.«

»Natürlich ist auch er umgebracht worden«, warf die passionierte Detektivin ein, die mit einem Apfel-törtchen plus Schlagsahne ihr Früh-stück beendet hatte.

»Und wo war Birnays Frau wäh-rend dieser Zeit?« fragte Kathy Por-ter.

»Sie war zur Tatzeit in einer Revue, dafür gibt es Zeugen«, beant-wortete Parker die Frage. »Zeugen gibt es aber auch für Mister McGi-vern, der zur Tatzeit gar nicht in der Wohnung von Mister Birnay gewe-sen sein will.«

»Wer hat denn gesehen, daß McGi-vern und Stillson die Wohnung betraten?« Rander lehnte sich zurück und zündete sich eine Ziga-rette an.

»Hausbewohner, Sir, die aber spä-ter dann von ihrer Aussagen abrück-ten und einräumten, sich wohl geirrt zu haben.«

»Man wird sie unter Druck gesetzt haben«, erklärte die ältere Dame. »So etwas kennt man ja schließlich. Ich glaube, da kommt noch einiges auf mich zu, bevor ich diesen Fall klären kann, Mister Parker. Sie wer-den sich anstrengen müssen.«

»Mylady werden meine Wenigkeit ununterbrochen tätig sehen«, erwi-

derte der Butler. »Vorerst legen Mylady sicher Wert darauf zu erfah-ren, wo Mister Marty Stillson sich aufhält. Von Mister. McGivern mal ganz zu schweigen.«

»Stillson?« Sie runzelte die Stirn. »Das dürfte der Mordschütze sein

– nach Lage der Dinge, Mylady«, erinnerte Parker diskret.

»Ich weiß«, wehrte sie leicht gereizt ab. »Ich kenne mich bis ins Detail genau aus, Mister Parker. Tun Sie, was ich für richtig halte. Ich hasse den Stillstand.«

»Können wir irgendwie helfen?« erkundigte sich Mike Rander.

»Aber nein«, meinte Lady Agatha. »Ich komme durchaus allein zurecht. Ist es nicht so, Mister Par-ker?«

Bevor der Butler dazu Stellung nehmen konnte, läutete es an der Haustür. Parker begab sich aus dem kleinen Salon hinüber in die große Wohnhalle und öffnete rechts vom verglasten Vorflur einen Wand-schrank. Mit der Fernbedienung, die er in die Hand nahm, schaltete er die Fernsehkamera über der Haustür ein und aktivierte gleichzeitig damit den Kontroll-Monitor. In Sekunden-schnelle wurde ein Bild geliefert.

»Mister McWarden«, kündigte Butler Parker in Richtung Salon an, um dann mittels Fernbedienung den elektrischen Türöffner zu betätigen.

»Jetzt ist es soweit«, äußerte die Hausherrin zufrieden, »der gute

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McWarden wird sich mir endlich anvertrauen.«

*

Er hatte große Augen, die noch ein wenig mehr als sonst hervortraten. Die schweren Ringe unter ihnen waren deutlich zu sehen. Die Gesichtsfarbe hatte sich in Richtung Grauton entwickelt. McWarden machte einen völlig erschöpften Ein-druck.

»Einen Cognac für meinen lieben Gast«, ordnete die ältere Dame umgehend an, nachdem der Chief-Superintendent in einem der mächti-gen Ledersessel vor dem großen Kamin Platz genommen hatte.

»Cognac?« staunte McWarden und blickte Agatha Simpson völlig ent-geistert an. Solch ein Angebot war ihm so gut wie fremd.

»Cognac«, wiederholte die Lady mitfühlend. »Ich sehe es Ihnen deut-lich an, daß Sie am Ende sind, mein lieber McWarden.«

»Am Ende?« Der Yard-Beamte schüttelte den Kopf. »Aber über-haupt nicht, ich bin nur völlig über-arbeitet.«

»Sie wollen sich mir nicht anver-trauen?« erkundigte sich die ältere Dame.

»Warum sollte ich?« staunte der Chief-Superintendent und blickte in Richtung Parker, der den erbetenen Cognac servieren wollte. Lady Aga-

tha reagierte umgehend und zielbe-wußt. Als Parker sie mit dem Silber-tablett passierte, auf dem der Cognacschwenker stand, griff sie geschickt zu und nahm das Glas an sich.

»Mein Kreislauf«, sagte sie, »Sie verstehen, McWarden, nicht wahr? Einen Sherry für Mister McWarden, Mister Parker!«

Der Yard-Beamte lächelte flüchtig. Für ihn war die Welt wieder in Ord-nung. Mylady war das geblieben, was sie nun mal war, eine sparsame Frau, die jede unnötige Ausgabe scheute wie die sprichwörtliche Pest.

»Darf man sich nach dem Verlauf der Ermittlungen in Sachen Mister John McGivern erkundigen?« fragte Parker, nachdem er den Sherry ser-viert hatte. Kathy Porter und Mike Rander umstanden den Chief-Super-intendent, der sich erhoben hatte und am Sherry nippte.

»Wissen Sie überhaupt, wo dieses Subjekt steckt?« warf Agatha Simp-son ein.

»McGivern?« McWarden nickte. »Natürlich wissen wir, wo er wohnt. Das gilt auch für Stillson. Sie haben Auflagen zu erfüllen und dürfen die Stadt ohne gerichtliche Erlaubnis nicht verlassen.«

»Ich frage mich, warum man sol-che Gangster nicht einfach in Unter-suchungshaft nimmt«, entrüstete sich Lady Simpson.

»Weil die Beweise für einen sol-

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chen Gerichtsbeschluß einfach nicht ausreichen, Mylady«, bedauerte McWarden. »Das erschwert natür-lich auch unsere Ermittlungen, aber solange nicht das Gegenteil bewie-sen werden kann, gelten Stillson und McGivern nur als belastet, aber nicht als überführt.«

»Könnten die beiden Personen ver-suchen, das Land zu verlassen, Sir?« wollte Josuah Parker wissen.

»Die Männer werden natürlich rund um die Uhr überwacht«, ent-gegnete McWarden.

»Könnte es sein, daß sie die Hotels wechseln?«

»Woher wissen Sie das?« staunte der Chief-Superintendent und wurde wachsam.

»Gerüchte, Sir, nichts als Gerüchte, gepaart mit gewissen Vermutun-gen.«

»Es stimmt, sie sind ziemlich häu-fig unterwegs, aber eben innerhalb der Stadt«, räumte McWarden ein. »Mir würde es schon reichen, wenn ich sie endlich in Untersuchungshaft nehmen könnte, aber wie gesagt, da ist vorerst nichts zu machen.«

»Es soll den Gerüchten zufolge Hausbewohner geben, die die Her-ren McGivern und Stillson beim Betreten jenes Hauses gesehen haben wollen, in dem der verbli-chene Mister Herrn Birnay wohnte.«

»Sie haben aber eine Menge Gerüchte aufgeschnappt«, wunderte sich McWarden ironisch. »Na ja, was

diese Leute betrifft, sie haben sicher ihre Aussagen inzwischen korrigiert und räumen Irrtümer ein.«

»Auf Druck der Mafiosi, nicht wahr?« fragte Kathy Porter.

»Völlig klar, Miß Porter, aber was wollen wir machen?«

»Ich werde die armen, verängstig-ten Leute dazu bringen, zu ihrem Wort zu stehen«, warf die ältere Dame grimmig ein. »Aber dazu werde ich erst mal diese Gangster unschädlich machen. Sie wollten mir tatsächlich nichts sagen, mein lieber McWarden?«

»Nein, ganz sicher nicht«, erklärte der Chief-Superintendent. »Vielen Dank übrigens für den Sherry.«

Er wollte noch etwas hinzufügen, doch in diesem Moment meldete sich das Telefon. Parker begab sich durchaus gemessen zum Apparat, hob ab und nannte seinen Namen.

»McWarden is’ doch bei euch, ja?« fragte eine rauhe Stimme. »Er soll im Haus bleiben, Parker. Sobald er ‘rauskommt, wird er was erleben.«

»Sie denken in diesem Zusammen-hang an einen gezielten Schuß«, fragte Josuah Parker.

»Zum Beispiel«, meinte die rauhe Stimme.

»Hoffentlich haben Sie dazu die Einwilligung Mister Marty Still-sons.« gab Josuah Parker zurück. »Er kann meiner bescheidenen Ansicht nach an solch einem Spektakel unmöglich interessiert sein.«

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Auf der Gegenseite wurde aufge-legt.

*

»Dieser Anruf betraf mich, nicht wahr?« fragte der Chief-Superinten-dent. Er blickte Parker erwartungs-voll an.

»Man verspricht Ihnen ein Erlebnis bestimmter Art, wenn Sie das Haus verlassen, Sir.«

»Eine Mordandrohung, Parker?« Myladys Augen funkelten hoff-nungsfroh.

»Nicht direkt, Mylady, aber man wollte diesen Eindruck schaffen.«

»Hand aufs Herz, McWarden, das war nicht die erste Drohung, oder?« fragte der Anwalt.

»So geht das ununterbrochen«, räumte McWarden ein und senkte den Kopf. »Dazu schleppt die Post am laufenden Band Päckchen und Pakete heran, in denen es tickt und knistert. Dann sind da Drohbriefe und entsprechende Telegramme, in denen allerdings nur Andeutungen stehen. Es geht schon ganz schön bunt zu, will ich überhaupt nicht abstreiten.«

»Ich glaube, Sie brauchen jetzt wohl doch einen Cognac, mein lie-ber McWarden«, stellte Lady Agatha fest. »Auf der anderen Seite verwirrt der Alkohol nur Ihre Sinne. Lassen wir ihn also!«

»Sie werden belästigt, Sir, seitdem

Sie in Sachen McGivern und Stillson ermitteln?« lautete Parkers Frage.

»Diese beiden Namen werden überhaupt nicht erwähnt, aber um die beiden Gangster geht es natür-lich.« McWarden nickte. Er blickte auf seine Armbanduhr und nickte Agatha Simpson zu. »Ich muß jetzt gehen, ich habe noch eine Menge zu tun.«

»Brauchen Sie meine Hilfe, McWarden?« wollte die Detektivin wissen.

»Sie könnte nicht schaden«, gab McWarden fast ein wenig verschämt zurück. »Diese Dinge gehen einem inzwischen unter die Haut, muß ich ehrlich zugeben. Es geht ja nicht nur um mich.«

»Werden auch Ihre engeren Mitar-beiter belästigt?« fragte Kathy Por-ter.

»Auch sie«, erwiderte McWarden. »Wir alle werden aufgefordert, nicht so verbissen zu sein, man schlägt uns vor, an unser Privatleben zu denken, denn der Tod sei überall.«

»Dieser Fall ist bereits so gut wie gelöst, mein lieber McWarden«, behauptete die selbstbewußte Dame.

»Machen Sie sich ab sofort keine Sorgen mehr.«

»Und wie kommt er nun aus dem Haus?« wollte Mike Ränder wissen.

»Man sollte wirklich von einem gezielten Schuß ausgehen«, warnte Kathy Porter besorgt.

»Die Mafia kann sich keine Schlag-

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zeilen leisten«, meinte der Chief-Superintendent gequält. »Auf Bluff gebe ich nichts.«

»Ihr Wagen steht vorn an der Durchgangsstraße, Sir?« erkundigte sich der Butler.

»Ich bin zu Fuß zum Haus gekom-men.« McWarden nickte.

»Dann ist es die selbstverständli-che Pflicht meiner Wenigkeit, Sir, Sie zum Wagen zu geleiten«, schlug der Butler vor. »Dazu könnte man mei-nen Privatwagen benutzen.«

»Na, hören Sie mal, ich lasse mich doch nicht zum Gespött dieser Gangster machen, Mister Parker«, entrüstete sich McWarden nach-drücklich.

»Ein Leben kann sehr schnell und jäh enden, Sir, wie die Erfahrung nachdrücklich lehrt.«

»Und Miß Porter und ich sind schneller vorn an der Durchgangs-straße«, meinte der Anwalt und nickte seiner Begleiterin zu. »Wir werden uns dort mal mit der nähe-ren Umgebung befassen.«

»Aber doch nicht wegen mir«, pro-testierte McWarden verhalten. »Ich will Sie da auf keinen Fall hereinzie-hen.«

»Ihr Fall, McWarden, ist bereits mein Fall«, warf Agatha Simpson energisch ein. »Sie werden über-haupt nicht mehr gefragt und…«

Das Telefon läutete erneut. Parker, der den Anruf entgegen-

nahm, hörte nur kurz zu und legte

dann wieder auf. »Reden Sie endlich, Mister

Parker«, drängte die ältere Dame. »Man macht Mister McWarden

darauf aufmerksam, daß möglicher-weise eine hochbrisante Sprengla-dung am Wagen angebracht wurde«, meldete der Butler in seiner höflichen Art. »Mehr war zu diesem Thema leider nicht zu erfahren.«

»Jetzt wird es aber Zeit für uns«, ließ Mike Rander sich vernehmen. Er und Kathy Porter verschwanden in der Tiefe des Hauses, um auf Umwegen zur Durchgangsstraße zu gelangen.

*

»Sie sind da drüben im Wohnhaus verschwunden«, berichtete Mike Rander. Er hatte Lady Agatha und Butler Parker im Stadtteil Wapping abgefangen und deutete auf einen grauen Wohnblock, der keinen sym-pathischen Eindruck machte.

»Darf man sich nach Miß Porter erkundigen?« fragte der Butler.

»Sie tummelt im Haus herum und balanciert eine Tasse Mehl durch die Korridore«, antwortete Rander. »Sie macht auf Hausbewohnerin.«

»Das gute Kind«, lobte die Detekti-vin. »Hoffentlich durchschaut man ihre Maskerade nicht.«

»Unmöglich«, sagte Rander und lächelte. »Selbst ich war überrascht, wie schnell und geschickt sie Maske

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macht.« »Die erwähnte Hausbewohnerin

scheint bereits informiert zu sein«, meldete Parker und deutete von der Straßenecke aus diskret auf eine junge Frau, die ein Kopftuch über ihre Haarwickler gezogen hatte. In der linken Hand hielt sie eine Ziga-rette, in der rechten einen Plastik-beutel, der mit Gemüse gefüllt war.

»Sollte das Kathy sein?« staunte die ältere Dame sichtlich.

»Das ist sie, Mylady«, bestätigte der Anwalt und lachte leise. »Die Lockenwickler-Perücke stammt aus ihrem Mini-Cooper, ebenfalls der Hauskittel, woher sie aber das Gemüse plötzlich hat, ist mir ein Rätsel.«

»Miß Porter beherrscht die Kunst der Improvisation, wenn meine Wenigkeit diese Bemerkung machen darf«, sagte Parker.

»Und woher hat das gute Kind diese Kunst?« erkundigte sich Lady Simpson postwendend. Sie lächelte natürlich wissend.

»Mylady dürften da entscheidende Impulse gegeben haben«, ließ Parker sich höflich vernehmen.

»Sie sagen es, Mister Parker.« Aga-tha Simpson lächelte wohlwollend. »Schon als Pfadfinderin war ich berühmt für meine Masken, dazu später vielleicht mal mehr.«

Kathy Porter hatte die Straßenecke erreicht und winkte verstohlen. Als sie Mylady, Parker und Rander traf,

konnte sie genau sagen, in welcher Einfahrt die Männer verschwunden waren, die vor einer halben Stunde die Durchgangsstraße in Shepherd’s Market und McWarden fotografiert hatten.

»Womit jetzt ich ins Spiel komme«, kündigte Lady Agatha unterneh-mungslustig an und musterte erneut ihre Gesellschafterin, die sich mit wenigen Mitteln in eine völlig andere Frau verwandelt hatte.

»Werden wir noch gebraucht?« fragte Rander. Er blickte Parker an.

»Miß Porter und Sie, Sir, könnten vielleicht ermitteln, wie es um die Ehe des verblichenen Mister Herrn Birnay stand.« Parker konnte mit der entsprechenden Adresse dienen und wartete, bis Mike Rander und Kathy Porter mit ihrem Mini-Cooper ver-schwunden waren.

»Was kümmert mich diese Ehe, Mister Parker«, fragte die ältere Dame streng.

»Es geht im Grund um Mister Randy Blakers, Mylady, der nun das Wettbüro leitet«, entgegnete der Butler. »Es könnten sich da beson-dere zwischenmenschliche Bezie-hungen ergeben haben.«

»Ich verstehe, Sie glauben, daß die-ser Blafter etwas mit der Witwe hat?« übersetzte sie.

»Mister Randy Blakers«, erfolgte die beiläufige Korrektur. »Mylady denken weiter daran, daß Mister Blakers möglicherweise bereits mit

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der Mafia kooperiert.« »Das ist völlig richtig«, sagte sie.

»Darüber mache ich mir längst meine Gedanken, Mister Parker. Das sollten auch Sie tun. Man muß das Unmögliche denken, prägen Sie sich das bitte ein.«

»Meine bescheidene Wenigkeit wird sich intensiv darum bemühen, Mylady«, erwiderte der Butler ernst und gemessen. Während der Unter-haltung hatte er die ältere Dame an den Wohnblock dirigiert und drückte gerade die Tür zu einem langen Korridor auf, der in einem Treppenhaus ohne Fahrstuhl mün-dete.

»Ich werde Ihnen jetzt zeigen, Mis-ter Parker, wie man Gangster über-rascht«, kündigte sie an. »Sie sollten sich jede Kleinigkeit genau einprä-gen.«

*

Von Überraschung konnte keine Rede sein.

Parker hatte mit seinem kleinen Spezialbesteck versucht, das Tür-schloß zu öffnen, doch ein schwerer Riegel machte es unmöglich, das Türblatt vorsichtig aufzustoßen.

»Ich werde die Tür sprengen«, kündigte Agatha Simpson an.

»Der Riegel dürfte dem mit einiger Sicherheit widerstehen, Mylady«, warnte der Butler. »Schon eine kleine Verzögerung würde den bei-

den Gangstern Gelegenheit geben, nach ihren Schußwaffen zu greifen, oder aber auch zu fliehen.«

»Haben Sie denn nichts gegen Rie-gel bei sich?« fragte sie verärgert. »Etwas Sprengstoff würde doch schon reichen.«

»Mylady bevorzugen mit Sicher-heit die elegantere Methode.« Wäh-rend der Butler noch sprach, holte er eine Art Pillendose aus einer der vie-len Westentaschen, öffnete sie und entnahm ihr eine mehrfach perfo-rierte Plastikkapsel. Durch die vie-len, schmalen Längsschlitze konnte man eine kleine Glasampulle erken-nen, die nur darauf wartete, einge-drückt zu werden.

Sie brauchte nicht lange zu war-ten…

Parker bog die Plastikkapsel mit beiden Daumen und Zeigefingern durch, bis die Glasampulle mit fei-nem Knacken brach. Dann warf Par-ker die Kapsel durch den Briefschlitz in die Wohnung.

»Es empfiehlt sich, Mylady, ein wenig in Deckung zu gehen«, schlug er vor. »Die beiden Insassen der Wohnung werden sicher gleich auf dem Korridor erscheinen.«

Sie nickte und baute sich hinter einem Fenstervorsprung auf. Parker hingegen blieb seitlich vor der Tür stehen und harrte der Dinge, mit denen er fest rechnete. Es roch bereits penetrant nach Rauch und Brand. Und die ersten weißgelben

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Rauchwolken quollen aus dem Schlitz des Briefkastens.

Bereits nach wenigen Sekunden hörte man deutlich, wie der Riegel zurückgeschoben wurde. Dann drückte man von der Wohnung aus die Tür auf. Hustend und niesend trat ein Mann auf den Korridor.

Bevor er sich mit seiner Situation abfinden konnte, legte Butler Parker den bleigefüllten Bambusgriff seines Universal-Regenschirmes auf seinen Kopf. Der Mann stöhnte dumpf und rutschte haltlos in sich zusammen. Er verschwand in der brandig rie-chenden Wolke.

Der zweite Mann erschien, stol-perte über den ersten, der bereits auf dem Boden lag, und fing sich eben-falls einen kurzen, aber durchaus harten Schlag ein. Er legte sich quer über seinen Mitbewohner und scharrte noch ein wenig mit den Bei-nen, bevor er endgültig Ruhe gab.

Parker ließ die Tür weit geöffnet, betrat die Wohnung und öffnete eines der beiden Fenster des Raumes. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die brandig rie-chende Qualmwolke sich verdünnte und auflöste. Anschließend schleifte er die beiden Männer zurück in die Wohnung, von der Mylady bereits Besitz ergriffen hatte.

Sie blieb am Fenster stehen, schnupperte und beobachtete ihren Butler, der die beiden Männer schnell und wirkungsvoll mit zähem

Packband an Händen und Füßen fesselte. Anschließend legte Parker zwei Faustfeuerwaffen auf eine Anrichte und packte noch zwei Klappmesser dazu.

»Das war schon recht begabt, Mis-ter Parker«, lobte sie verhalten, als der Butler die Wohnungstür schloß, »aber alles war etwas zu aufwendig. Selbstverständlich hätte ich auch diesen lächerlichen Riegel mit mei-ner Schulter aufgestemmt.«

»Meine Wenigkeit würde sich kei-nen Zweifel daran erlauben, Mylady«, versicherte Parker ihr und deutete mit der Schirmspitze auf die beiden Männer, die langsam wieder zu sich kamen. Sie hatten allerdings noch nicht begriffen, was mit ihnen eigentlich geschehen war.

»Etwaiger Kopfschmerz wird sich mit Sicherheit bald legen«, beruhigte Parker die beiden Männer, deren Blick schon klarer wurde. »Sie sind Hobby-Fotografen?«

»Wer seid ihr?« fragte der erste Mann hüstelnd. »Was ist eigentlich passiert?«

»Sie vermuteten einen Brand und verließen die Wohnung«, erklärte Josuah Parker. »Dabei müssen Sie sich gestoßen haben.«

»Und was ist das hier?« Der zweite Mann hielt anklagend seine zusam-mengeklebten Hände hoch.

»Eine reine Präventivmaßnahme, die dem allgemeinen Frieden dient«, erläuterte Parker. »Sie hatten den

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Auftrag, eine gewisse Person zu fotografieren?«

»Welche Person?« lautete die vor-sichtige Gegenfrage.

»Könnte es sich um einen Chief-Superintendenten des Yard gehan-delt haben?«

»Warum, zum Henker, sollten wir den fotografieren?«

»Im Zusammenhang mit einem genauen Auftrag«, erwiderte der Butler. »Lady Simpson wünscht zu erfahren, wohin Sie den belichteten Film oder die auch fertig entwickel-ten Bilder bringen sollten.«

Die Antwort war ausgesprochen ordinär und eindeutig und enthielt eine Aufforderung an Mylady und auch Butler Parker, der man auf kei-nen Fall nachkommen konnte, da sie sich auf eine bestimmte Körperpar-tie bezog.

»Füllen Sie die Badewanne, Mister Parker«, ordnete die ältere Dame umgehend an. »Ich werde diesen Subjekten das Maul waschen.«

»Eine erzieherische und hygieni-sche Maßnahme, Mylady, der man nur voll beipflichten kann«, gab der Butler würdevoll zurück.

*

Sie knieten neben der gefüllten Badewanne und waren ausgespro-chen kleinlaut. Irgendwie war ihnen aufgegangen, was mit ihnen passie-ren sollte.

»Nacheinander, Mister Parker«, sagte die ältere Dame, die auf einem einfachen Hocker ihre majestätische Fülle plaziert hatte. »Ich will sehen, wer am längsten die Luft anhalten kann.«

»Lady, machen Sie keinen Blöd-sinn«, protestierte der erste Gangs-ter. »Das können Sie doch nicht machen.«

»Papperlapapp, junger Mann«, antwortete die ältere Dame. »Ich habe erst vor ein paar Tagen einen Kriminalfilm gesehen, in dem Gangster so mit ihrem Opfer verfuh-ren. Es war sehr eindrucksvoll.«

»Mylady sollten allerdings nicht verschweigen, daß das Opfer in die-sem Kriminalstreifen bedauerlicher-weise verschied«, erinnerte Josuah Parker gemessen.

»So etwas kann ja mal passieren«, räumte die ältere Dame lustvoll ein. »Falls es aber hier geschehen sollte, war das nicht so gemeint.«

»Sie dürfen Wünsche äußern, meine Herren«, sagte Parker. »Wer von Ihnen möchte mit den Tauch-versuchen beginnen?«

Keiner drängte sich vor! »Ich habe da keine besondere Vor-

stellung, Mister Parker«, ließ die Detektivin sich vernehmen, als keine Vorschläge gemacht wurden. »Einer von Ihnen ist mir so wenig lieb wie der andere. Mister Parker, beginnen Sie!«

»Stop«, hechelte der zweite Gangs-

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ter hastig. »Wir reden ja schon. Clin-ters hat uns das eingebrockt, Joe Clinters.«

»Namen sind Schall und Rauch«, machte die ältere Dame deutlich. »Wer ist dieses Subjekt?«

»Joe Clinters hat ein paar Straßen weiter ‘nen Rasenmäher-Verleih.«

»Würden Sie das freundlicher-weise wiederholen?« fragte der But-ler.

»Der hat ‘nen Rasenmäher-Verleih und mäht auch Rasen«, lautete die ein wenig präzisere Antwort. »Clin-ters hat uns da nach Shepherd’s Market geschickt. Wir sollten ‘nen kleinen, dicken Typ fotografieren.«

»In welchem Zusammenhang, um auch dies noch zu klären?«

»Clinters hat gesagt, mit dem Wagen würd’ was passieren, wenn der kleine Dicke da einsteigen würd’. Mehr wissen wir auch nicht.«

»Es is’ ja nix passiert«, fügte der erste Gangster hastig hinzu. »Der kleine Dicke setzte sich ja in ein Taxi. Un’ genau das haben wir foto-grafiert. So was is’ ja wohl nicht ver-boten, oder?«

»Ein kleiner Dicker?« Mylady blickte ihren Butler stirnrunzelnd an.

»Myladys Gast, der mit einem Cognac erfrischt werden sollte«, erinnerte Parker höflich. Er vermied es, den Namen McWarden zu nen-nen.

»Richtig, der gute McWarden«, gab sie umgehend zurück und

lächelte. »Und was ist mit seinem Wagen?«

»Er dürfte inzwischen von Spezia-listen des Yard geborgen worden sein, Mylady«, vermutete der Butler. »Man wird ihn sicher gründlich untersuchen.«

»Was is’ jetzt mit uns?« fragte der zweite Gangster.

»Man wird Ihnen eine Ruhepause verordnen«, kündigte Josuah Parker an.

»Was hat das denn wieder zu bedeuten?« Der Gangster wurde prompt mißtrauisch.

»Lassen Sie sich überraschen, meine Herren«, bat Parker in gewohnt höflicher Form. »Sie wer-den aber mit Gewißheit nicht zu lei-den haben. Wenn Sie sich freundli-cherweise in den Wohnraum zurückbegeben würden?«

Sie kamen seiner Bitte mühsam und hüpfend nach, mußten sich auf den Boden legen und wurden dann mit Packband fest aufeinander geschnürt. Parker brauchte dazu einige Meter, eine Ausgabe, die sich allerdings lohnte, wie selbst Lady Simpson nach getaner Arbeit ein-räumte.

Die beiden Gangster waren zu einem Riesen-Sandwich geworden, als Lady Agatha und Parker die Wohnung verließen, um Kontakt mit einem gewissen Joe Clinters aufzu-nehmen.

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Er schien tatsächlich mit Rasenmä-hern zu tun zu haben.

Sein Geschäft befand sich in einem Querbau, der einen Hinterhof zu einer Brandmauer hin abschloß. Links und rechts vom Eingang zu diesem werkstattähnlichen Querbau standen Rasenmäher aller Art, die allerdings durchweg einen recht angerosteten Eindruck machten. Viele Ausleiher schien der Kleinun-ternehmer nicht zu kennen.

Joe Clinters war mittelgroß, kom-pakt, etwa vierzig Jahre alt, trug Manchesterhosen, ein kariertes Hemd und eine braune, abgewetzte Lederjacke. Er hing wie hingegossen in einem alten Sessel und blätterte gelangweilt in einem Magazin. Dann allerdings verschluckte er fast einen Zigarrenstummel, denn Mylady und Butler Parker erschienen in seinem Firmenraum.

»Man wünscht einen umsatzstar-ken Tag«, grüßte der Butler und lüf-tete die schwarze Melone. »Man sieht sich Mister Joe Clinters gegen-über?«

»Joe Clinters«, antwortete der Vierzigjährige vorsichtig.

»Stehen Sie gefälligst auf, wenn Sie eine Dame vor sich haben«, herrschte Agatha Simpson ihn mit ihrer tief sonoren Stimme an.

Joe Clinters gehorchte augenblick-lich, wälzte sich aus dem Sitzmöbel

und zeigte Unsicherheit auf der gan-zen Linie.

»Wollen Sie etwa ‘nen Rasenmäher ausleihen?« fragte er dann ungläu-big.

»Mylady wünscht eine Auskunft«, antwortete der Butler. »Sie beauf-tragten zwei Personen männlichen Geschlechts, Chief-Superintendent McWarden nicht nur zu beschatten, sondern auch zu fotografieren.«

»Wer sind Sie?« Joe Clinters wich wie zufällig zurück und steuerte dabei eine Art Werkbank an, auf der Gerätschaften aller Art lagen.

»Sie haben die Ehre und den Vor-zug, Lady Simpson gegenüberzuste-hen«, machte der Butler deutlich. »Mein Name ist übrigens Parker, Josuah Parker.«

»Nie von gehört«, behauptete Clin-ters. Er hatte die Werkbank mit dem Rücken erreicht und schob die rechte Hand vorsichtig nach hinten. Wahrscheinlich suchte er nach einem passenden Schlaginstrument. Parker ging wenigstens davon aus und richtete sich darauf ein.

»Haben Sie nun zwei Individuen losgeschickt oder nicht, junger Mann?« wollte die ältere Dame grol-lend wissen.

»Wer behauptet denn solchen Unsinn?« empörte sich Clinters und richtete sich auf. Er schien den gesuchten Gegenstand inzwischen gefunden zu haben.

»Die beiden Fotografen, um sie

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mal so zu bezeichnen«, antwortete der Butler. »Sie beeilten sich, Ihren Namen zu nennen. Mylady wünscht nun in Erfahrung zu bringen, in wessen Auftrag Sie, Mister Clinters, diese beiden Männer auf Mister McWarden ansetzten.«

»Auf solchen Quatsch antworte ich doch nicht«, entrüstete sich Clinters und… nahm blitzschnell seine Hand nach vorn. In ihr befand sich ein lan-ges, spitzes Messer, wie man es zum Tranchieren von Bratgut aller Art benutzt.

»Sollte es sich um einen unfreund-lichen Akt handeln?« erkundigte sich Parker gemessen.

»Und ob, Leute«, brauste Clinters auf. »Wenn ihr nicht umgehend abhaut, schlitze ich euch auf.«

»Sie würden sich tatsächlich dazu hinreißen lassen?« wollte Parker wissen.

»Darauf könnt ihr noch zusätzlich Gift nehmen«, drohte der Rasenmä-her-Verleiher.

Dann aber drohte er nicht mehr… Mit der Spitze seines Regenschir-

mes hatte der Butler nach einem ver-deckt aussehenden Aufnehmer geangelt, der neben einem Putzei-mer stand. Mit einer fast elegant zu nennenden Bewegung ließ Parker diesen auch zusätzlich noch feuch-ten Lappen hochsteigen und klatschte ihn Clinters um die Ohren.

Was den Rasenmäher-Verleiher verständlicherweise nicht nur irri-

tierte, sondern auch blendete. Der Mann fuchtelte mit dem Messer in der Luft herum, wollte sich mit der freien Hand das nasse Tuch vom Gesicht zerren und… übersah dabei Myladys perlenbestickten Pompa-dour.

Der darin befindliche Glücksbrin-ger, eben das veritable Hufeisen, traf das Brustbein. Clinters, der den Schlag nicht kommen sah, klatschte in den Sessel zurück und verlor dabei die tückische Schneidware.

Etwa dreieinhalb Minuten später nannte er den Namen seines Auf-traggebers. Auf diese Art und Weise kam Ben Fincham ins Spiel.

*

Er war keineswegs ein Unbekannter. Es handelte sich um den untersetz-

ten und dicklichen Gast, der im Pub mit den beiden Schlägern eindeutige Blickkontakte aufgenommen hatte.

Ben Finchams Gesicht verfärbte sich, als er Lady Agatha und Butler Parker plötzlich vor sich sah. Er lag auf einer Couch und hatte geschla-fen. Nach einem explosionsartigen Räuspern der älteren Dame war er wach geworden.

»Die Tür zu Ihrem Hotelzimmer war eindeutig verschlossen«, meinte Parker, während er die schwarze Melone lüftete. »Sie sollten sich in dieser Beziehung also wirklich keine Vorwürfe machen.«

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»Wer sind Sie?« kam die obligate Frage, die Zeit schinden sollte.

»Sie werden Mylady und meine Wenigkeit mit letzter Sicherheit bereits kennen, Mister Fincham«, antwortete der Butler. »Darf man Sie an das kleine Intermezzo in einem gewissen Pub erinnern? Mylady geht davon aus, daß Sie die beiden Profi-Schläger alarmierten.«

»Damit hatte ich nichts zu tun.« Ben Fincham setzte sich zögernd hoch.

»Man sollte dieses Thema nicht unnötig vertiefen«, schlug Parker vor. »Fest steht ferner, daß Sie durchaus wußten, wer Mylady und meine Wenigkeit waren, als man das Lokal betrat. Daraus ergibt sich mit zwingender Logik, Mister Fincham, daß Sie Mister McWarden selbst beschatteten oder beschatten ließen, als er nach Shepherd’s Market in Myladys Haus fuhr.«

»Ich verstehe kein Wort«, behaup-tete Ben Fincham und blickte ver-stohlen auf einen nahen Stuhl, auf dem sich Zeitungen stapelten. Unter diesen Blättern mußte sich demnach ein Gegenstand befinden, der ihn ungemein reizte.

»Im Auftrag eines gewissen Mister Stillson nehmen Sie die Überwa-chung des Chief-Superintendenten McWarden wahr«, redete Parker gemessen weiter. »Mylady hat nicht die Absicht, dies weiter hinzuneh-men.«

»Wer soll dieser Stillson denn sein?« erkundigte sich der Unter-setzte. »Und weshalb kommen Sie zu mir?«

»Mister Joe Clinters war so entge-genkommend, Ihren Namen als den seines Auftraggebers zu nennen.«

»Ich kenne keinen Clinters«, log Fincham umgehend und… stöhnte dann. Mylady hatte sich beleidigt gefühlt und ihm eine ihrer gefürch-teten Ohrfeigen verabreicht. Dadurch aber flog Fincham genau in Richtung des bewußten Stuhles. Er wollte die Gelegenheit nutzen, fegte die Zeitungen mit einer schnellen Armbewegung von der Sitzfläche und langte nach einem Revolver, der freigelegt worden war.

Er schaffte es allerdings nicht, die Waffe in die Hand zu nehmen.

Parker ließ den bleigefüllten Bam-busgriff seines Universal-Regen-schirmes auf den Handrücken des Mannes fallen. Die Hand wurde breit, legte sich flach auf die Waffe und machte ein Zulangen unmög-lich.

Ben Fincham klagte weinerlich, man habe ihm die Hand gebrochen.

»Sie übertreiben in einer Art, die man nur als maßlos bezeichnen kann«, beruhigte der Butler ihn. »Sie haben es allerdings mit einer gewis-sen Verstauchung zu tun.«

»Und das ist erst der Anfang, jun-ger Mann«, warnte Lady Agatha ihn gefährlich freundlich. »Noch habe

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ich mich zurückgehalten.« Diese Ansicht vermochte Ben Fin-

cham offensichtlich nicht zu teilen. Er tastete ungemein vorsichtig die brennend rote Backe ab und unter-suchte den Sitz seines Unterkiefers, der sich nach der Ohrfeige wohl ein wenig verschoben hatte.

»Falls da etwas nicht stimmt, jun-ger Mann, rücke ich das gern wieder zurecht«, bot die ältere Dame ihre Hilfe an.

»Nur das nicht«, sagte Fincham hastig. »Alles in Ordnung.«

»Bis auf einige Hinweise, was die Herren Stillson und McGivern betrifft«, erinnerte Josuah Parker.

»Die kenn’ ich nur vom Hörensa-gen«, lautete Finchams Antwort. »Ich hab’ Clyde Osborn nur ‘nen Gefallen getan, mehr nicht. Er war scharf auf die Fotos von diesem Yard-Typ, äh, ich meine, von diesem Chief-Superintendenten. Ist es denn verboten, ‘nen Polizisten zu fotogra-fieren?«

»Wer ist Clive Desmond?« wollte die ältere Dame wissen.

»Wer?« gab Fincham verwirrt zurück.

»Mister Clyde Osborn«, korrigierte Parker umgehend.

»Osborn gehört das Hotel hier«, kam die etwas verblüffende Ant-wort, »aber er ist nicht da.«

»Das wird sich zeigen, junger Mann«, blaffte die resolute Dame. »Nun aber zurück zu diesen Mafia-

Leuten.« »Ehrenwort, die kenn’ ich nicht«,

erklärte Ben Fincham. »Ich hab’ nur von denen gehört.«

»Soll ich das glauben, Mister Par-ker?« erkundigte sich Lady Agatha bei ihrem Butler.

»Mylady werden dem auf den Grund gehen«, wußte der Butler, um sich dann an Ben Fincham zu wen-den. »Man wünscht Ihnen noch wei-terhin einen geruhsamen Tag. Sie dürfen sich wieder entspannen.«

*

Er war dieser Möglichkeit nachge-kommen und lag wieder auf der Couch. Ein abwesendes Lächeln hatte sich auf dem Gesicht ausge-breitet. Er atmete tief und kräftig durch. Seine Augen waren weit geöffnet. Sie schienen erstrebenswert schöne Dinge zu sehen.

Butler Parker hatte den Mann mit seinem Patent-Spray behandelt, der aus einem Taschen-Zerstäuber stammte. Eine pikante Mischung aus Lachgas und anderen Zusätzen aus dem Bereich der Pharmazie hatte Fincham in diesen Zustand der Seligkeit versetzt.

Vor einer halben Stunde würde der Mann mit Sicherheit nicht wie-der in die Realität zurückfinden, wie der Butler aus Erfahrung wußte. Es blieb also ausreichend Zeit, sich in diesem erstaunlich ruhigen Hotel

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umzusehen. Es gehörte früher vielleicht mal

zur gehobenen Mittelklasse, doch inzwischen hatte es sich wohl selbst herabgestuft. Überall herrschte eine gewisse Schmuddeligkeit. Die abge-stiegenen Gäste waren wohl kaum an Service und Komfort interessiert.

Butler Parker und Lady Agatha hatten das Hotelzimmer des Ben Fincham verlassen und begaben sich über die Treppe ins Erdgeschoß, wo der Tagesportier in seinem kleinen Büro hinter der Empfangstheke auf ihre Rückkehr wartete.

Der schmale, zäh aussehende Mann, wie er sich beim Betreten des Hotels gezeigt hatte, sah keineswegs mehr so aus, nachdem Parker einen schmalen Eisenspind an der Rück-seite des Büros geöffnet hatte. Mit Packband verschnürt stand der Tagesportier in dem schmalen Behälter und blickte Parker aus großen Augen an. Sprechen konnte er nicht. Der Butler hatte ihm eine Art Rheumapflaster quer über den Mund geklebt.

»Zu Mister Clyde Osborn«, sagte Parker. »Befindet er sich im Hotel?«

Der Portier schüttelte den Kopf und rollte die Augen dazu.

»Das war es bereits«, meinte Par-ker und schloß die Tür. Er ging nach vorn zum Empfang, wo gerade die Tischglocke geschlagen worden war. Zwei finster aussehende muskulöse Männer blickten den Butler mehr als

erstaunt an. Mit seiner Erscheinung hatten sie hier nicht gerechnet.

»Zu Fincham«, sagte einer der bei-den Männer.

»Zweiter Stock, Nummer neun-undzwanzig«, antwortete Parker. »Sie werden bereits erwartet.«

»Bist du neu hier?« fragte einer der beiden Männer.

»So muß man sagen.« Parker deu-tete ein zustimmendes Nicken an.

»Zieht Osborn hier ‘ne neue Masche ab?« wollte der zweite Mus-kulöse wissen.

»Mister Osborn bemüht sich, das Haus dem internationalen Standard anzupassen«, lautete die Antwort des Butlers. »Darf man erfahren, wer Sie sind? Mister Fincham bat um eine Anmeldung.«

»Berringer schickt uns, Fincham weiß dann Bescheid.«

Butler Parker langte nach dem Telefonhörer, wählte eine Phantasie-nummer und sprach mit Ben Fin-cham, der sich gar nicht hatte mel-den können. Er teilte dem nicht gesprächsbereiten Mann mit, zwei Herren im Auftrag eines gewissen Mister Berringer bäten um ein Gespräch.

»Mann, das is’ aber ‘ne tolle Show«, bewunderte der erste Schlä-ger den Butler und beschrieb mit Daumen und Zeigefinger einen klei-nen Kreis.

»Sie sind hoffentlich zufrieden, meine Herren.« Parker wartete, bis

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sie im Lift verschwunden waren und bat dann Lady Agatha nach vorn. Sie lächelte wohlwollend.

»Nicht unbegabt, wie Sie diese bei-den Lümmel düpiert haben«, sagte sie. »Und wer ist nun dieser Derrin-ger?«

»Mister Berringer«, präzisierte Par-ker. »Falls Mylady einverstanden sind, wird meine Wenigkeit sich um diese Person kümmern. Darf man übrigens empfehlen, Mylady, das sogenannte Weite zu suchen. Es kann nicht mehr lange dauern, bis man Mister Ben Fincham entdeckt haben dürfte.«

*

»Wäre Ihr Wagen nun in die Luft geflogen oder nicht, mein lieber McWarden?« wollte Lady Agatha Stunden später wissen. Sie hatte sich mit dem Chief-Superintendenten in einem hochherrschaftlichen Club in der City von London getroffen. Josuah Parker war natürlich mitge-kommen und saß zum Entsetzen einiger Clubmitglieder am gemein-samen Tisch. In der Vorstellung die-ser sehr konservativen Herren wurde damit der endgültige Unter-gang des Kingdoms deutlich sicht-bar eingeleitet.

»Meine Spezialisten fanden einen völlig unerheblichen Sprengsatz«, beantwortete McWarden die Frage der älteren Dame. »Es hätte wahr-

scheinlich nur einen dumpfen Knall und eine dicke Rauchwolke gege-ben.«

»Genau dies, Sir, sollte sicher foto-grafiert werden«, meinte Josuah Par-ker. »Genauer gesagt, ging es wohl um den Augenblick, als Sie sich aus dem Wagen bemüht hätten.«

»Diese Kerle wollen mich nervlich fertigmachen«, antwortete der Chief-Superintendent, »aber jetzt erst gerade! So kann man mit mir nicht umspringen.«

»Es wäre durchaus hilfreich zu wissen, Sir, wo die Herren McGi-vern und Stillson sich momentan aufhalten.«

»Genau danach wollte auch ich fragen«, warf Agatha Simpson ein.

»Stillson und McGivern halten sich in den Docklands auf«, antwortete McWarden, »aber offiziell habe ich Ihnen natürlich nichts gesagt. Die beiden Mafiosi stecken in einem fürstlich umgebauten Lagerschup-pen am Canary Wharf.«

Parker ließ sich die genaue Adresse geben.

»McGivern und Stillson haben sich aber bestens abgeschottet«, berich-tete der Chief-Superintendent wei-ter. »Bis man auf die Dachwohnung kommt, muß man ein paar Wachen passieren.«

»Eine Schande, daß man diese Individuen nicht verhaften kann«, ärgerte sich Lady Simpson. »Man weiß doch schließlich, daß einer von

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ihnen einen Mord begangen hat, nicht wahr?«

»Man geht davon aus, Mylady, aber man kann es ohne Zeugenaus-sagen eben nicht beweisen«, erklärte der Chief-Superintendent ihr noch mal geduldig. »Wahrscheinlich lacht Stillson sich ins Fäustchen.«

»Nicht mehr lange, McWarden«, sagte sie grimmig. »Mister Parker wird dazu schon etwas einfallen. Ich bestehe nämlich darauf.«

Bevor McWarden antworten konnte, erschien ein würdiger, älte-rer Clubangestellter und baute sich neben ihm auf.

»Telefon für Sie, Sir«, sagte er fast hauchend. »Der Apparat befindet sich in der Halle.«

»Haben Sie möglicherweise hinter-lassen, Sir, wo Sie sich momentan aufhalten?« fragte Parker.

»In meinem Büro.« McWarden nickte, als er sich erhob. »Oder glau-ben Sie etwa, daß…?«

»Sie werden sicher kaum über-rascht sein, Sir, falls die Gegenseite sich meldet.«

McWarden preßte die Lippen fest aufeinander und ging in die Emp-fangshalle des Clubs.

»Mir gefällt das alles nicht, Mister Parker«, räsonierte Agatha Simpson. »Bisher bin ich überhaupt noch nicht an die beiden Subjekte herangekom-men. Ich hatte mir das erheblich anders vorgestellt.«

»Mylady mußten sich erst mal

durch die Niederungen dieses Falls bewegen«, erwiderte Parker in sei-ner höflichen Art. »Inzwischen haben Mylady allerdings deutliche Spuren hinterlassen. Die beiden Mafiosi McGivern und Stillson wer-den inzwischen wissen, wer ihnen auf der Spur ist.«

»Das will ich auch hoffen«, gab sie zurück.

»Kreise, die der Mafia nicht wohl-gesonnen sind, werden ausstreuen, die Herren McGivern und Stillson würden sich vor Mylady verkrie-chen. Man könnte diesen Gerüchten noch gezielt nachhelfen.«

»Worum ich gebeten haben möchte, Mister Parker.«

»Um das Gesicht zu wahren, wer-den die beiden Mafiosi in irgendei-ner Form tätig werden müssen.«

»Und sich dabei Blößen geben. Genau so, Mister Parker, habe ich mir das vorgestellt.«

Sie fand keine Zeit mehr, sich über dieses Thema zu verbreiten. McWar-den kam zurück und winkte in leicht übertriebener Art ab.

»Mein Büro«, schwindelte er ein-deutig.

»Man drohte Ihnen, Sir?« fragte der Butler daher eindringlich.

»Und Ihnen«, räumte der Chief-Superintendent ein. »Das gilt auch für Sie, Mylady. Man sagte, beim Verlassen des Clubs würden einige sehr genau gezielte Schüsse fallen.«

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»Diese Subjekte werden langsam läs-tig«, stellte Agatha Simpson fest. »Mister Parker, ich verlange, daß Sie umgehend ein Exempel statuieren.«

»Was wollen Sie gegen einen ver-steckten Schützen ausrichten, Mylady?« fragte der Chief-Superin-tendent. »Vielleicht haben sich sogar mehrere Gangster irgendwo da draußen aufgebaut.«

»Sagten Sie nicht, Mister Parker, daß die Gangster keinen tödlichen Schuß riskieren würden?« wandte sich die ältere Dame an ihren Butler.

»Es handelt sich nur um eine Annahme, Mylady«, machte Butler Parker deutlich. »Möglicherweise fürchten die Mafiosi durchaus keine Schlagzeilen.«

»Ich werde mein Büro anrufen und uns ‘rausschleusen lassen«, warf McWarden ein. »Das ist kein Pro-blem.«

»Für Sie vielleicht, McWarden, aber eine Lady Simpson lehnt es ab, sich vor Gangstern zu verstecken. Mister Parker, ich lasse Ihnen freie Hand. Sie dürfen zeigen, was Sie von mir gelernt haben.«

»Myladys tiefes Vertrauen wird die Phantasie meiner Wenigkeit geradezu beflügeln«, versicherte Parker, der sich längst erhoben hatte. »Würden Mylady sich ein wenig gedulden?«

»Natürlich, Mister Parker«, sagte

sie und nickte wohlwollend. »Ich werde inzwischen meinen Kreislauf stärken, McWarden, Sie dürfen einen Cognac für mich bestellen.«

Josuah Parker verließ den großen Clubraum, begab sich ins imposante Treppenhaus und stieg über die breiten Stufen bis zum Dachgeschoß. Er kannte Clubs dieser Provenienz und ging davon aus, daß sie sich untereinander glichen.

Er fand auch prompt eine ver-schlossene Tür auf dem oberen Treppenabsatz, die er innerhalb weniger Augenblicke öffnen konnte. In der Handhabung seines kleinen Spezialbestecks war er ein Meister.

Der Butler betrat einen Korridor, von dem links und rechts Lattenver-schläge abzweigten, deren Türen unverschlossen waren. Die Dach-fenster und Vorsprünge waren ohne Schwierigkeiten zu erreichen.

Parker wählte einen Dachvor-sprung und baute sich seitlich vom Fenster auf. Er warf einen ersten, prüfenden Blick auf die gegenüber-liegende Straßenseite.

Die Häuser dort waren nicht weit entfernt, da die Straße schmal und eng war. Parker nahm sich Zeit. Er war nicht der Mann, der etwas über-hastete.

Er suchte nach Mauervorsprün-gen, Dachgalerien und Schornstei-nen, die einen möglichen Schützen Deckung gewähren konnten. Dabei versetzte er sich in die Rolle eines

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Schützen, der den Auftrag hatte, den Eingang zum Club mit einem Gewehr zu kontrollieren.

Sein Verfahren bewährte sich wie-der mal.

Er konzentrierte seine Aufmerk-samkeit auf eine Art Balustrade, die einem flach geneigten Dach vorgela-gert war. Nicht weit von dieser Steinbrüstung entfernt machte er ein hochgeklapptes Dachfenster aus, durch das der Schütze sicher nach außen gestiegen war.

Dann erblickte er sogar den Schüt-zen.

Der Mann lag hinter der Sand-steinbrüstung und konnte von sei-nem Standort aus bequem den Ein-gang zum Club kontrollieren. Daß dieser Mann aber rauchte, ließ den Butler doch ein wenig stutzen. Soviel Leichtsinn hatte er wirklich nicht erwartet. Unterschätzte der potentielle Schütze seine Opfer? Oder hatte er sich dort nur zur Ablenkung niedergelassen?

Der Butler, der längst seine Gabel-schleuder aus einer der Taschen sei-nes schwarzen Covercoats geholt hatte, suchte noch mal die Dächer der gegenüberliegenden Häuser sorgfältig nach einem zweiten Mann ab. Sein Instinkt sagte ihm, daß ein Gangster, der sich in den Hinterhalt gelegt hatte, niemals so leichtsinnig und auch auffällig rauchen würde.

Und dann machte Parker diesen zweiten Mann aus!

Er befand sich auf einem benach-barten Dach und hatte sich hinter einer Batterie von Schornsteinen auf-gebaut. Er stand auf einer Trittstufe und schob gerade den Oberkörper vorsichtig um eine Kaminesse herum.

Das war das Ziel! Parker ›lud‹ seine eigenwillige

Waffe mit einer hart gebrannten Ton-Erbse. Er zog die beiden Gum-mistränge weit zurück, visierte sein Ziel kurz an und schickte das selt-same Geschoß auf die Reise. Es war so gut wie nicht zu hören, über-brückte in rasantem Flug die nicht unbeträchtliche Distanz und ›schlug‹ ein.

Die Ton-Erbse erwischte den Mann auf der rechten Wange und brachte ihn erheblich aus dem Gleichgewicht, wie sich zeigte. Der Mann rutschte von der Trittstufe, verlor dabei das Gewehr und tru-delte über die Zinkbleche der Dachabdeckung hinunter in Rich-tung Dachtraufe.

Er ruderte verzweifelt mit den Armen in der Luft, erwischte den Rand eines Dachfensters und konnte sich abfangen. Der Mann strampelte mit den Beinen in der Luft herum, fand einen ersten Halt, zog sich hoch und kroch zurück zu einem schlan-ken und hohen Schornstein. Nach einiger Kraftanstrengung schaffte er es endlich, sich wieder in Deckung zu bringen.

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Zu diesem Zeitpunkt hatte Josuah Parker sich bereits den Raucher vor-genommen!

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»Es wäre natürlich besser gewesen, Mister Parker, Sie hätten diese bei-den Individuen mitgebracht«, mäkelte Lady Agatha an ihrem But-ler herum. Sie saß im Fond des hoch-beinigen Monstrums. Chief-Superin-tendent McWarden hatte sich längst von ihnen getrennt und war mit dem Wagen zum Yard zurückgefah-ren.

»Dies, Mylady, ließ sich in Anbe-tracht der Umstände leider nicht ermöglichen«, gab der Butler zurück. »Nach den leichten Wir-kungstreffern entwickelten die bei-den Personen eine beachtliche Schnelligkeit, die Dächer zu verlas-sen.«

»Nun gut, ich will nicht ungerecht sein«, sagte die ältere Dame. »Sie haben sich beachtlich, oder besser gesagt, recht brav geschlagen, Mister Parker.«

»Mylady setzen in meiner Wenig-keit Kräfte frei für weitere Aktionen«, meinte der Butler in sei-ner höflichen Art. »In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß Mylady die Absicht haben, die Docklands aufzusuchen.«

»Und was soll ich dort?« wollte sie wissen.

»Die Herren Stillson und McGi-vern wohnen in einem Penthouse, das man laut Mister McWarden in eine kleine Festung umgewandelt haben dürfte.«

»Ich werde diese Festung selbst-verständlich sofort stürmen und ein-nehmen, Mister Parker. Lassen Sie sich dazu etwas einfallen.«

»Mylady denken sicher daran, die beiden Mafiosi ein wenig zu verun-sichern.«

»Das würde mir durchaus passen.« Sie nickte wohlwollend. »Es wird endlich Zeit, daß ich die Initiative ergreife, Mister Parker. Bis-her habe ich doch nur reagiert, oder etwa nicht?«

»Mylady mußten sich dem Zwang der Ereignisse beugen.«

»Was sich umgehend ändern wird, Mister Parker.«

Sie kuschelte sich in der Wagene-cke zurecht und wollte angeblich darüber nachdenken, wie sie ankün-digte, wie man die beiden Mafiosi aus dem Tritt bringen konnte. Auch Parker beschäftigte sich mit diesem Problem. Es war ihm klar, daß der Chief-Superintendent gewiß nicht übertrieben hatte.

Stillson und McGivern hatten sich natürlich verschanzt, wobei es Still-son wohl darum ging, McGivern unter Kontrolle zu halten. McGivern war schließlich der Zeuge, der ihm gefährlich werden konnte.

Der Butler war mit dem, was man

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bisher erreicht hatte, durchaus zufrieden. Gewiß, bisher hatte man in der Tat nur reagiert, doch dabei hatte man bereits einige wichtige Gangster kennengelernt, die auf Stillsons Seite standen und für ihn arbeiteten.

Nach Blakers, Clinters und Fin-cham ging es jetzt um Clyde Osborn, dem Inhaber des Hotels. Dazu kam dieser Berringer, den die beiden Muskelmänner an der Hotel-Rezep-tion genannt hatten. Sie standen im Rang sicher höher als jene Kriminel-len, die man bisher verunsichert und außer Gefecht gesetzt hatte.

In Canary Wharf angekommen, suchte Parker das von McWarden beschriebene Gebäude auf. Es han-delte sich tatsächlich um einen ehe-maligen, langgestreckten Lager-schuppen, der an einem Kai lag. Das Backsteingebäude war in seinen Grundzügen nicht verändert wor-den, doch es schien wie mit Riesen-bürsten abgewaschen und gereinigt worden zu sein.

Besondere architektonische Merk-male hatte man freigelegt und her-ausgearbeitet. Mythologische Figu-ren trugen Fensterbänke und Portale über den Türen. Vom Haupteingang aus führte ein Baldachin bis an den Kai.

Eine breite Holztreppe sorgte für bequemen Zugang zu einem kleinen Yachthafen, an dessen Landestegen teure Boote schaukelten. Diese

Region, die seit vielen Jahren unbe-achtet geblieben war, die fast einem Slum geglichen hatte, erblühte in neuem Glanz.

Die Docklands waren zu einem Magnet geworden, der viele Firmen anzog, die sich in der jetzt bevorzug-ten Gegend niederließen.

»Bewohnt dieses Subjekt etwa den gesamten Schuppen?« wunderte sich die ältere Dame.

»Die Herren McGiyern und Still-son residieren in einem Penthouse«, erinnerte Parker. »Man muß eher wohl davon ausgehen, daß die Mafia der Besitzer dieser Wohn- und Büroanlage ist.«

»Sie wird diesen Komplex bald räumen«, wußte Lady Agatha im Vorhinein. »Ich hoffe, Mister Parker, Sie wissen inzwischen, was ich mir in dieser Hinsicht vorstelle.«

*

Am Nachmittag war Parker allein unterwegs.

Lady Agatha hatte sich zu einer intensiven Meditation in ihr Studio zurückgezogen, um über den Fall nachzudenken. Deutliche Schnarch-töne waren zu vernehmen gewesen, als der Butler das Haus verlassen hatte. Agatha Simpson dachte also sehr gründlich nach.

Parker saß am Steuer seines hoch-beinigen Monstrums und tätigte in der Folge einige Einkäufe. Er

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besuchte zum Beispiel einen gewis-sen Li Hsiang, der für seine chinesi-schen Landsleute heimatliche Waren aller Art feilbot.

Li Hsiang betrieb einen kleinen Laden in einem Kellergewölbe im Stadtteil Lambeth. Parker äußerte diesem ehrwürdigen Mann, den er gut kannte, seine speziellen Wün-sche. Li Hsiang lächelte geradezu unergründlich, als er aufmerksam zuhörte und verschwand dann für Minuten in den hinteren Räumen seines Geschäfts.

Als er zurückkam, hielt er ein Bün-del von Feuerwerkskörpern im Arm. Diese kleinen Raketen, die aus Papp-hülsen bestanden, waren an langen Holzstielen befestigt.

»Es geht um die Distanz von schät-zungsweise hundert und noch mehr Metern«, sagte Parker.

»Für diese bunten Drachen kein Problem, Mister Parker«, beruhigte Li Hsiang seinen Kunden. »Sie wer-den entzückt sein, welche Farben sprühen werden.«

»Können Sie auch mit Raketen die-nen, die schrille Pfeiftöne verursa-chen?« erkundigte sich der Butler.

»Ich habe gleich welche mitge-bracht, Mister Parker«, meinte der Chinese, der mit Sicherheit über achtzig Jahre alt war. Er trug ein bis zu den Knöcheln reichendes, mit bunten Drachen-Motiven besticktes Gewand. »Nach dem Flug hüpft und springt der Raketenkopf umher und

verursacht dabei schrille Pfeiftöne, die die Trommelfelle eines Weißen martern werden.«

»Sehr schön«, gab Parker zurück. »Donnerschläge sind ebenfalls vor-handen?«

»Meine Kanonenschüsse«, lautete die Antwort. »Ich gehe davon aus, Mister Parker, daß Sie wieder mal ein privates Feuerwerk veranstalten wollen.«

»Ihre Raketen erfreuen sich bei meiner Wenigkeit der höchsten Beliebtheit«, versicherte der Butler ihm. »Ich bin schließlich nicht ohne Grund einer Ihrer Dauerkunden.«

»Wie wäre es mit der schrillen Pestilenz?« wollte Li Hsiang wissen.

»Eine Neuentwicklung?« fragte der Butler.

»Ich verkaufe sie nur an ganz gute Kunden, Mister Parker. Sie verur-sacht Übelkeit und verpestet mit Sicherheit jede Wohnung.«

»Eine interessante Variante, Mister Li Hsiang, die man unbedingt testen sollte.« Parker nickte zustimmend. Er ließ sich alles einpacken, beglich die Rechnung und trug das Paket zurück zu seinem Wagen. Nach die-sem Einkauf widmete er sich noch anderen Gerätschaften, die für die Gangster bestimmt waren, die gegen den Chief-Superintendenten einen Nervenkrieg führten.

Parker ging es darum, den Gangs-tern eine Lektion zu erteilen. Er wollte sie aus ihrer Ruhe aufschre-

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cken und aus den bisherigen Jägern das Wild machen. Dabei wollte er natürlich darauf achten, daß kein Blut floß. Rohe Gewalt war ihm ver-haßt.

Seine altväterliche Taschenuhr mit dem gewölbten Sprungdeckel zeigte ihm, daß noch Zeit war. Wenn seine Herrin meditierte, besorgte sie das stets sehr gründlich.

Parker fuhr in die Docklands nach Wapping zurück und umkreiste die Lagerhäuser, die er bereits in Augenschein genommen hatte. Er prüfte die Möglichkeit, eine ehema-lige Brauerei zu betreten, die gerade umgebaut wurde. Vor dem alten Bau, der fast an eine Moschee erin-nerte, standen Baufahrzeuge und war Material abgelagert. Bauarbeiter waren allenthalben zu sehen.

»Städtische Bauinspektion, Abtei-lung Hygiene und Statik«, sagte Par-ker zu einem stämmigen Vorarbei-ter, der gerade Verladearbeiten überwachte. »Ich kann nur hoffen, daß Sie die Vorschriften eingehalten haben. Ich werde mit dem Dachge-schoß beginnen.«

»Hygiene und Statik?« Der Vorar-beiter bekam große Augen.

»Und Peristaltik«, fügte Parker hinzu. »Ich hoffe, das sagt Ihnen einiges.«

»Alles«, gab der Mann umgehend zurück. »Soll ich Sie ‘raufbringen?«

»Sie können meine Meßgeräte tra-gen, doch dann möchte ich allein

sein«, beschied der Butler ihm und drückte ihm das längliche Paket in die bereitwilligen Hände.

*

Josuah Parker orientierte sich. Durch das Fernglas, das er mitge-

nommen hatte, beobachtete er das Dach des ehemaligen Lagerschup-pens. Am äußeren Ende des Flach-dachs gab es einen Aufsatz, der frü-her vielleicht mal als Reederei-Büro gedient hatte.

Diesen Aufbau hatte man in ein großes, mit Sicherheit komfortables Penthouse umgebaut. Es gab Stell-wände aus Milchglas, die den Ein-blick in die Fensterfront des Penthouse verwehrten. Man hatte alles recht wirkungsvoll begrünt in Holz- und Betonkübeln wuchsen kleine Bäume und Pflanzen.

Der Mafiosi Stillson hatte sich erst-klassig eingerichtet. Nach seiner Wanderung durch diverse Hotels hatte er wohl auch den Behörden gegenüber Farbe bekannt und sein eigentliches Hauptquartier bezogen.

Parker traf seine Vorbereitungen. Er hatte das Paket geöffnet und

legte die Stab-Raketen auf eine Kiste. Dann entschied er sich für einen Donnerschlag, nahm den langen Holzstab prüfend in die Hand und richtete den Flugkörper auf das Penthouse. Er wollte sich ein Gefühl für die Flugbahn verschaffen. Nach

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Zündung der ersten Rakete blieb ihm sicher nicht mehr viel Zeit, sei-nen gesamten Einkauf in Richtung Flachdach abzufeuern.

Parker verfügte allerdings über einschlägige Erfahrung. In der Ver-gangenheit hatte er schon recht häu-fig und auch gern mit solchen Feuer-werkskörpern gearbeitet. Gangster reagierten darauf meist mit Panik. Geschosse dieser Art waren ihnen fremd und daher unheimlich.

Die erste Rakete löste sich fast sanft vom langen Holzstiel, ver-sprühte einen Feuerschweif und jagte dann hinüber auf das Flach-dach, das gut hundert Meter entfernt war. Sie schlug flach auf, sprang etwa anderthalb Meter hoch, prallte gegen eine der Stellwände und zer-platzte am starken Milchglas.

Der Donnerschlag, der dann zu hören war, erinnerte an den Ein-schlag eines Artillerie-Geschosses. Die Stellwand wurde vom Luft-druck seitlich weggedrückt und sorgte so für eine Schneise in Rich-tung der Fensterfront des Penthouse.

Nach diesem Richtschuß wußte Parker, wie er die anderen Raketen zu verwenden hatte. Er korrigierte die Flugrichtung, zündete nachein-ander die diversen Lunten und arbeitete mit einer Schnelligkeit und Präzision, die bemerkenswert war. In kurzen Abständen nahm er die einzelnen Stiele in die Hand und verschoß seine Flugkörper. Dabei

visierte er natürlich die Schneise an, die zur Fensterfront des Penthouse führte.

Es war ein fulminantes Feuerwerk, das Parker abbrannte.

Die bunten Drachen versprühten das angekündigte Feuerwerk, die Pfeiftöne marterten die Trommel-felle, und die gelobte Pestilenz war selbst hier im alten Brauhaus deut-lich zu vernehmen. Der Geruch eines mit reichlich Gülle eingeweich-ten Maisfeldes war dagegen fast ein angenehmherbes Toilettewasser. Und immer wieder waren die kra-chenden Kanonenschläge zu verneh-men, deren Echo von den benach-barten Lagerhäusern vielfältig zurückkehrte.

Als Parker nach getaner Verrich-tung wieder unten im Erdgeschoß der ehemaligen Brauerei erschien, standen die Bauarbeiter andächtig-beeindruckt neben einer Beton-mischmaschine und blickten zum nahen Lagerschuppen hinüber, von dessen Flachdach Rauchschwanden nach unten wallten. Der Vorarbeiter erblickte den Butler und kam schnell auf ihn zu.

»Haben Sie das da gerade mitbe-kommen?« fragte er.

»Bei diesem Lärm ist ein effektives Arbeiten schier unmöglich«, antwor-tete der Butler. »Ich werde zu einem späteren Zeitpunkt noch mal zurückkommen. Sorgen Sie dann für die erforderliche Ruhe.«

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»Geht in Ordnung, Sir«, meinte der Vorarbeiter. »Hören Sie, das mit der Hygiene und der Statik hab’ ich ja verstanden, aber, was zum Hen-ker, ist Peristaltik?«

»Der Blick in ein Wörterbuch wird Ihnen mit Sicherheit weiterhelfen«, empfahl Parker, lüftete die schwarze Melone und schritt dann würdevoll zu seinem Wagen zurück. Er war sicher, die beiden Mafiosi Stillson und McGivern ein wenig verwirrt zu haben.

*

Parker hatte noch Zeit und nutzte sie.

Er befand sich ohnehin im Osten der Stadt und brauchte nicht lange, bis er den Pub erreicht hatte, in dem es zu einem ersten Kontakt mit den Gangstern der Mafia gekommen war. Als der Butler die Kneipe in der Nähe der abbruchreifen Werft betrat, wurde der Barkeeper hinter dem Tresen ungewöhnlich nervös.

»Mann, Sie haben Nerven«, sagte er zu Parker, der höflich die Melone gelüftet hatte. »Hauen Sie ab, bevor die Meute hier erscheint. Viel Zeit haben Sie nicht.«

»Meine Wenigkeit möchte sich nur nach dem Befinden jener beiden Per-sonen erkundigen, die durch Mylady und meine Wenigkeit in Mitleidenschaft gezogen wurden.«

»Um die würd’ ich mich einen

Dreck kümmern«, beschwor der Bar-keeper ihn und deutete auf die Tür. »Mann, in ein paar Minuten kann der Zauber losgehen.«

»Sollte man mir gram sein?« fragte der Butler. »Nach meinem Verständ-nis waren doch zwei Gäste betrof-fen, die man hier bei Ihnen nicht sonderlich zu schätzen scheint.«

»Die beiden Typen haben aber starke Hintermänner«, lautete die Antwort. »Mehr werd’ ich dazu nicht sagen. Wie gesagt, hauen Sie ab, Mann! Jede Glückssträhne reißt mal ab, das gilt auch für Sie.«

»Die Mafia scheint sich in dieser Region bereits nachdrücklich einge-nistet zu haben.«

»Wollen Sie mir auf den Zahn füh-len?«

»In der Tat«, entgegnete der But-ler. »Treffender könnte man meine Absichten nicht umschreiben.«

»Von mir werden Sie nichts erfah-ren, ich halt’ mich aus allem ‘raus, dann lebe ich nämlich länger.«

»Vielleicht können Sie mit der Adresse jenes Mannes dienen, der von Lady Simpson ein wenig harsch behandelt wurde.«

»Dan Lemmick?« Der Barkeeper lächelte ungewollt. Er erinnerte sich mit Sicherheit an die ältere Dame, die ihren Pompadour auf die Nase des gerade erwähnten Mannes gesetzt hatte.

»Sie sprachen von einem gewissen Dan Lemmick?« setzte der Butler

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nach und tat so, als habe er diesen Namen noch nie gehört.

»Lemmick wohnt ein paar Straßen weiter und hat da ‘n Büro. Der han-delt mit gebrauchten Elektrogeräten. So, und damit herrscht jetzt Funk-stille auf der ganzen Linie.«

»Sie waren von einer bemerkens-wert aussagefreundlichen Aufmerk-samkeit«, bedankte sich der Butler, lüftete die schwarze Melone und wollte gehen.

»Einen Moment noch«, rief der Barkeeper ihm nach. Der Butler blieb stehen und wandte sich um. Der Mann, der ihm gefolgt war, senkte die Stimme.

»Sie wollen’s wirklich mit der Mafia aufnehmen?«

»Die Methoden dieser Organisa-tion passen nicht hierher nach Lon-don«, antwortete der Butler gemes-sen.

»So ganz allein gegen die Mafia?« »Sie dürfte mit Mister Marty Still-

son stehen und auch fallen.« »Der hat eine Menge Leute gekauft

und bereits im Sack.« »Gehört dazu vielleicht auch ein

gewisser Mister Randy Blakers?« »Bei dem war’ ich besonders vor-

sichtig, aber das haben Sie nicht von mir.« Der Barkeeper hatte fast schon geflüstert und geleitete Parker bis an die Tür.

»Würde es an unerhörten Leicht-sinn grenzen, falls man Mister Dan Lemmick vertraut?« wollte der But-

ler zum Abschluß noch wissen. »Lemmick is’ schwer zu durch-

schauen«, lautete die vorsichtige Antwort. »Vielleicht wittert er jetzt seine große Chance, endlich an das große Geld zu kommen.

Butler Parker lüftete die schwarze Melone und begab sich zu seinem hochbeinigen Monstrum. Er hatte mehr erfahren, als zu erwarten war.«

Der Barkeeper hatte das Lokal wie-der betreten.

Parker folgte ihm, drückte vorsich-tig die Tür zum Pub auf und sah den Mann, der bereits telefonierte.

»… ja doch, hab’ ich doch gerade gesagt«, sprach der Barkeeper ein-dringlich und hastig in die Sprech-muschel. »Er will zu Lemmick. An deiner Stelle würd’ ich mir was ein-fallen lassen, Clyde. Lemmick könnte ‘ne Menge auspacken… Wie war das gerade? Ich soll schon mal ein paar Jungens ‘rüberschicken? Okay, mach’ ich, aber sonst werd’ ich mich ‘raushalten.«

Bevor er auflegen konnte, hatte Parker die Tür bereits wieder vor-sichtig geschlossen.

*

Dan Lemmick staunte sichtlich, als Parker einen kleinen Laden betrat, der als Lager wie als Büro diente. Umgeben von Kühlschränken, Elek-tro- und Gasherden, stand ein alter Schreibtisch in der Mitte des

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Raumes. An diesem Möbel saß der muskulöse Mann, der Lady Agatha um einen Hieb mit dem Pompadour gebeten hatte.

»Das ist aber ‘ne echte Überra-schung«, sagte Lemmick und stand auf.

»Darf man sich nach dem Befinden Ihres Riechorgans erkundigen?« fragte der Butler und lüftete die schwarze Melone.

»Bestellen Sie Ihrer Lady, daß sie verdammt gut hinlangen kann«, gab Dan Lemmick zurück und faßte vor-sichtig an seine Nase. »Diese Frau hat es in sich.«

»Mylady wird erfreut sein, dies zu hören, Mister Lemmick. Der Barkee-per des Pubs in der Nähe war so freundlich, mir Ihre Adresse zu geben.«

»Das kann ich mir vorstellen.« Dan Lemmick winkte ab. »Dieses Mist-stück will auf allen Hochzeiten tan-zen.«

»Könnten Sie dies meiner Wenig-keit freundlicherweise interpretie-ren, Mister Lemmick.«

»Der verkauft jeden, falls der Preis stimmt.«

»Nach meinem Weggang rief er einen gewissen Clyde an, der seiner-seits wohl einige seiner Leute schi-cken wird. Es ist allerdings damit zu rechnen, daß der Barkeeper bereits einen Vortrupp hierher schicken wird.«

»Dann wollen wir uns mal abset-

zen«, schlug Lemmick vor. »Ich hab’ nichts gegen ‘ne solide Keilerei, aber Clyde Osborn hat Leute auf Lager, die für ein paar gezielte Schüsse gut sind.«

»Sie reden von einem gewissen Clyde Osborn, der ein Hotel führt?«

»Den kennen Sie auch schon?« Lemmick lachte amüsiert. »Sie haben sich ja ganz schön getum-melt.«

»Mein Wagen steht vor der Tür«, bot Parker seine Hilfe an.

»Setzen wir uns ab.« Lemmick ging zur Tür, öffnete sie und trat nach draußen. Er kam blitzschnell wieder zurück. »Sie kommen schon.«

»Sie sprechen jetzt vom Vortrupp des Barkeepers, Mister Lemmick?«

»Ich kenn’ den Geländewagen von den Kerlen.« Lemmick schloß die Tür und deutete auf einen großen Kühlschrank, der an der Rückwand des Ladenlokals stand. Er war einge-keilt von anderen Elektromöbeln und mochte im ersten Jahrzehnt nach dem zweiten Weltkrieg viel-leicht mal modern gewesen sein. Lemmick hielt auf dieses Kühlmöbel zu, öffnete die Tür und trat dann einladend zur Seite.

»Ab durch die Mitte«, sagte er und lachte breit. »Gute Tarnung, oder?«

»Es hat den Anschein, als ob man von Ihnen noch lernen könnte«, gestand der Butler. Die Rückwand des Kühlschranks war entfernt wor-

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den und gab den Blick frei auf einen schmalen Gang. Ohne Zögern bückte sich Parker und verschwand in dem Kühlmöbel, dicht gefolgt von Lemmick, der die Tür an einem von innen montierten Griff wieder zuzog.

»Darf ich Sie höflichst an meinen Wagen erinnern?« sagte Parker, als man dicht hintereinander durch den Korridor ging.

»Den können wir uns gleich an Land ziehen«, sagte Lemmick, »falls die Typen ihn inzwischen nicht aus-einandergenommen haben.«

»Schon allein der Versuch würde sich als äußerst unangenehm für die Randalierer erweisen«, wußte Butler Parker im voraus. Vor dem Verlas-sen seines hochbeinigen Monstrums hatte er die Wagensicherung einge-schaltet. Strom in den Türgriffen wartete darauf, Unbefugte ein wenig abzuschrecken. Diese Sicherung arbeitete nach dem Prinzip eines elektrisch gesicherten Weidezauns.

Dan Lemmick hatte inzwischen die Führung übernommen und brachte den Butler nach dem Öffnen einer Seitentür in ein benachbartes Haus. Von hier erreichten die beiden Männer wieder die Straße. Lemmick warf einen prüfenden Blick auf den Geländewagen vor seinem Ladenlo-kal.

»Die kommen ganz schön zur Sache«, meinte er zu Parker.

»Es ist in der Tat nicht zu überhö-

ren«, erwiderte Parker. »Man dürfte damit beschäftigt sein, Ihr Ladenlo-kal in ein Chaos zu verwandeln.«

Der Butler hatte nicht übertrieben. Man hörte scheppernde

Geräusche, Klirren und Krachen. Die Männer, die der Barkeeper akti-viert hatte, räumten die Innenein-richtung ab.

»Sie scheinen in gewissen Kreisen nicht sonderlich beliebt zu sein«, stellte der Butler fest.

»Die Mafia schießt sich langsam ein«, lautete Lemmicks Antwort. »Man muß verdammt aufpassen, daß man nicht erwischt wird.«

*

»Sie wissen doch längst, daß ich kein Unschuldslamm bin, Mister Parker«, schickte Lemmick eine halbe Stunde später voraus. Er saß mit seinem Begleiter in einer Pizzeria und trank italienischen Rotwein. »Irgendwann werden wir sicher mal Gegner sein.«

»Dies sollte man in der Tat nicht ausschließen«, erwiderte der Butler höflich. »Sie, Mister Lemmick, dürf-ten auf der anderen Seite der herr-schenden Gesetze stehen und agie-ren.«

»Vornehm umschrieben.« Lem-mick nickte und lächelte. »Ihnen kann ich’s ja sagen, Mister Parker: Ich hab mit Schmuggel zu tun. Keine Drogen, um das klarzustellen.«

»Sie sind gegen die Mafia, die sich

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hier in London wieder mal etablie-ren möchte, Mister Lemmick?« Par-ker kam auf das eigentliche Thema zu sprechen. Ihm war selbstver-ständlich klar, daß sein Gegenüber mit letzter Sicherheit kein Unschuldslamm war.

Lemmick war ein Krimineller, der sich wohl nicht ohne Grund mit ihm verbünden wollte. Lemmick brauchte Bundesgenossen gegen die Mafia, die seine privaten Geschäfte schmälern wollte. Gegen solch ein Bündnis auf Zeit hatte der Butler nichts einzuwenden, sofern die Fronten klar erkennbar blieben und nicht verwischt wurden.

»Wir sind gegen Schlagzeilen und auch gegen ‘nen Schlagabtausch mit der Polizei«, meinte Lemmick sach-lich. »Stillson will hier amerikani-sche Verhältnisse einführen.«

»Mister Marty Stillson ist demnach die zentrale Figur?«

»Ganz klar, Mister Parker. Und dieser McGivern war und ist nur sein Hampelmann.«

»Den man aber nicht so ohne wei-teres aus dem Weg räumen kann.«

»Stillson wird sich hüten, sonst bekommt er Krach mit McGiverns Bruder. Aber ich glaube, Stillson sucht nur nach ‘ner passenden Gele-genheit, McGivern über die Klinge springen zu lassen. Was er braucht, ist ‘ne Polizeiaktion, bei der McGi-vern draufgeht. Dann kann er seine Hände in Unschuld waschen.«

»Sie sind ungewöhnlich gut infor-miert, Mister Lemmick.«

»Ich hab’ eben so meine Beziehun-gen und Verbindungen, Mister Par-ker. Sie haben sich gewundert, daß ich mich mit Lady Simpson und Ihnen da in dem Pub angelegt habe, wie?«

»Es sah nach einem Zufall aus.« »War aber keiner, Mister Parker.«

Lemmick lächelte wieder. »Ich wußte sofort, wer Sie waren. Und da hab’ ich die Gelegenheit genutzt und mich an Sie ‘rangemacht.«

»Obwohl Mister Ben Fincham anwesend war?«

»Das Risiko mußte ich eingehen. Meine Nase hat ganz schön dafür bezahlt. Fincham ist längst von der Mafia gekauft. Er und auch Clinters. Ich nehme an, die kennen Sie bereits.«

»In diesem Zusammenhang sollte man auch Mister Osborn erwähnen, der ein bemerkenswertes Hotel lei-tet.«

»Der steht bereits auf der Lohnliste von Stillson«, wußte Lemmick sofort. »Also wirklich, Mister Parker, Sie haben sich ganz schön durchge-tankt. Sie kennen bereits ‘ne Menge Leute.«

»Nur einen gewissen Mister Ber-ringer noch nicht«, tippte der Butler an.

»Wie, zum Teufel, sind Sie denn an den gekommen?« staunte Lemmick umgehend.

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»Zwei Besucher, die man in Mister Osborns Hotel traf, nannten beiläu-fig seinen Namen.«

»Reggie Berringer ist schon wer«, gab Lemmick Auskunft. »Berringer hat in den Docklands ‘nen Contai-ner-Verleih für Bauschutt und so.«

»Und welchem Beruf geht er tat-sächlich nach, Mister Lemmick?«

»Berringer vermietet nicht nur Container, Mister Parker, der stellt auch Schläger zur Verfügung. Der Mann ist brandgefährlich. An den sollten Sie nur verdammt vorsichtig ‘rangehen.«

»Ein Hinweis, Mister Lemmick, den man mit Sicherheit beherzigen wird«, gab Josuah Parker zurück.

*

Sie war noch immer verstimmt. Beleidigt saß Agatha Simpson im

Fond des hochbeinigen Monstrums und schwieg beharrlich. Sie hatte dies bereits seit vier Minuten strikt durchgehalten. Die Lippen waren fest aufeinander gepreßt, Parker vorn am Steuer, schien für sie nicht zu existieren.

Er hatte ihr von seinem Ausflug und dem Feuerwerk berichtet. Die-ses hübsche Intermezzo konnte und wollte sie ihm nicht vergeben.

Der Butler dachte nicht daran, ein Gespräch in Gang zu bringen. Er war auf dem Weg zurück in die Docklands, um Reggie Berringer

einen Besuch abzustatten. Dieser Mann schien ihm sehr wichtig zu sein. Dan Lemmicks Auskünfte über diesen Mann ließen den Schluß zu, daß die beiden Mafiosi auf Berringer angewiesen waren. Er konnte für sie die Schläger aktivieren, die notwen-dig gebraucht wurden, um die Aktionen der Mafia durchzusetzen.

Setzte man diesen Berringer also außer Gefecht, dann verfügten Marty Stillson und McGivern über keine Hilfstruppen mehr und waren auf zufälliges Anmieten von Schlä-gern angewiesen.

Myladys räusperte sich explosi-onsartig.

Parker überhörte dieses Geräusch, worauf Agatha Simpson nach weni-gen Augenblicken sich erneut räus-perte.

Parker überhörte auch diese Laut-äußerung.

Er dachte an sein privates Feuer-werk und an die mögliche Reaktion der beiden US-Gangster. Würden Stillson und McGivern sich im Penthouse noch sicher fühlen? Hat-ten sie bereits einen Ortswechsel ein-geleitet? War ihnen der Boden unter den Füßen nun doch zu heiß gewor-den?

Parker setzte darauf, daß die Mit-arbeiter des Chief-Superintendenten alle Bewegungen der beiden Mafiosi genau überwachten. Wo immer sie sich auch verkriechen mochten, McWarden würde wohl kaum etwas

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entgehen. Und damit wußte auch Parker Bescheid, wo man die beiden Männer erneut attackieren konnte.

Nun aber ging es erst mal um Reg-gie Berringer.

Es war durchaus möglich, daß er bereits die beiden Männer auf die Dächer vor dem Club postiert hatte. Es war damit zu rechnen, daß Still-son nun die Schraube weiter anzie-hen würde.

Der Mann mußte doch inzwischen längst begriffen haben, daß er es mit Gegnern zu tun hatte, die an keine Dienstvorschrift gebunden waren.

McWarden hätte sich niemals erlauben können, dienstlich oder privat Feuerwerkskörper abzuschie-ßen.

»Was soll dieses sinnlose Herum-fahren durch die Stadt, Mister Par-ker?« war plötzlich Lady Agathas unwirsche Stimme zu vernehmen. Sie hatte sich also entschlossen, wie-der Laut zu geben.

»Mylady haben die Absicht, Mister Stillson von seinen Hilfstruppen abzuschneiden«, gab Parker gemes-sen zurück.

»Stillson?« Sie winkte verächtlich ab. »Wer das schon ist?!«

»Ein Vermieter von Gangstern und Containern«, erläuterte der Butler noch mal geduldig. Er hatte von der Wichtigkeit dieses Mannes bereits im Haus der älteren Dame gespro-chen.

»Diese Wichtigkeit bilden Sie sich

doch nur ein«, räsonierte sie umge-hend. »Ich bin dafür, dieses Penthouse zu stürmen, das Sie leichtsinnigerweise beschossen haben. Damit haben Sie natürlich wieder mal alles gründlich ver-patzt.«

»Mylady sehen meine Wenigkeit zerknirscht.«

»Sie hätten auf das Überra-schungsmoment setzen müssen, Mister Parker«, fügte sie bereits deutlich munterer hinzu. »Wenn ich dabei gewesen wäre, säßen die bei-den Individuen bereits längst in einem meiner Gästezimmer.«

»Dazu wird es mit Sicherheit noch kommen, Mylady, sobald man Mis-ter Reggie Berringer näher kennen-gelernt hat.«

»Von diesem Besuch verspreche ich mir allerdings gar nichts«, mokierte sie sich. »Es ist die reinste Zeitverschwendung, Mister Parker.«

»Wie Mylady zu meinen geruhen.« Josuah Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

»Der Mann, der Sie durch diesen Eisschrank gelotst hat, hat Sie nach Strich und Faden belogen, Mister Parker.«

»Dies sollte man in der Tat grund-sätzlich nicht ausschließen, Mylady«, räumte Josuah Parker ein.

»Sie sind und bleiben zu leicht-gläubig.«

»Ein Fehler, Mylady, der zu korri-gieren gilt.«

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»Und überhaupt«, schloß sie tri-umphierend. »Dieses ganze Feuer-werk war doch recht sinnlos. Es hat nichts, aber auch rein gar nichts gebracht. Übrigens, Mister Parker, die Kosten dafür tragen natürlich Sie allein. Ich werde keinen einzigen Penny übernehmen. Ich kann mein Geld nicht zum Fenster hinauswer-fen.«

*

Auf dem Bauhof der Firma Reggie Berringer standen viele wannenför-mige Container herum, die durch-weg einen angerosteten Eindruck machten. Zwei Lastwagen langweil-ten sich ebenfalls in dieser Runde.

Die Räume der Firma waren im Erdgeschoß eines ehemaligen Kes-selhauses untergebracht, das seiner-seits von einem Kai nach hinten hin abgegrenzt wurde. In dieser Region herrschte noch deutlich sichtbar Abbruchstimmung. Die Immobilien-Spekulanten schienen diesen Teil der Docklands noch nicht entdeckt zu haben.

Reggie Berringer mußte anwesend sein.

Parker hatte auf dem Parkplatz links vom Eingang zu den Büros bereits einen teuren japanischen Geländewagen der Spitzenklasse ausgemacht. Daneben standen einige normale Personenwagen. Ber-ringer war also mit Sicherheit nicht

allein. In schneller Fahrt hatte Parker die

Distanz von der Straße über den Bauhof bis hin zum Kesselhaus hin-ter sich gebracht. Er hielt direkt vor dem Eingang und stieg aus.

Lady Agatha, die sehr munter geworden war, verzichtete auf Parkers Hilfe. Sie schob ihre majestä-tische Fülle ins Freie und versetzte ihren perlenbestickten Pompadour umgehend in Schwingung. Vor der Ausfahrt hatte sie einen zweiten Glücksbringer in den Handbeutel geschoben. Zwei Hufeisen warteten also darauf, in Aktion treten zu kön-nen.

Der Kontakt begann mit einer Überraschung.

Zwei große, muskulöse Männer erschienen in der Tür und stutzten sichtlich. Sie sahen sich dem Portier gegenüber, bei dem sie sich in einem ganz bestimmten Hotel nach Ben Fincham erkundigt hatten. Dabei hatte Parker ihnen in der Rolle eines neuen Portiers den Namen von Reg-gie Berringer entlockt.

Die Männer staunten ausgiebig. Man sah es ihnen deutlich an, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Als ihnen aber das sprichwörtliche Licht auf-ging, hatten sie bereits verspielt.

Butler Parker bedachte sie nämlich mit seinem Patent-Spray, das aus einem kleinen Zerstäuber stammte. Während der feine Film des Sprays sich auf die Gesichter der beiden

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Männer legte, verdrehten sie bereits die Augen und entspannten sich. Parker brauchte mit dem bleigefüll-ten Schirmgriff kaum noch nachzu-helfen.

Die beiden Muskelmänner wurden weich in den Knien, seufzten und suchten umgehend den Boden auf. Parker beugte sich über sie und ent-deckte wohlgefüllte Schulterhalfter, die er blitzschnell entleerte.

»Ob ich nicht sicherheitshalber nachhelfen soll?« fragte Agatha Simpson und hob ihren Pompadour.

»Die beiden Herren werden höchs-tens in einer halben. Stunde wieder verhandlungsfähig sein, Mylady«, gab Josuah Parker zurück. »Mylady werden sicher noch dazu kommen, die Glücksbringer einzusetzen.«

Während der Butler noch redete, steuerte er eine Tür im Hintergrund an. Sie war nur angelehnt. Durch den Spalt drangen dicke Tabak-schwaden nach draußen und waren Stimmen zu vernehmen. Man schien sich bestens zu unterhalten.

Parker drückte mit der Schirm-spitze langsam die Tür auf und blickte auf drei Männer, die auch nicht gerade unterentwickelt waren. Sie trugen Jeans, ärmellose, lamm-fellgefütterte Lederwesten und Jog-ging-Schuhe. Sie tranken Bier aus Dosen und rauchten wie überlastete Kaminessen.

Um jedes unnötige Aufsehen zu vermeiden, entschloß sich Parker,

eine seiner gefürchteten Blitzlicht-bomben zu verwenden. In wenigen Augenblicken hielt er die wirklich unscheinbar aussehende ›Sicherung‹ in Händen, knickte sie seitlich weg und warf sie durch den Türspalt in den Raum. Gleichzeitig schloß er die Tür, doch der Lichtblitz war derart intensiv, daß selbst er noch geringfü-gig geblendet wurde.

Sie schienen sich in Salzsäulen ver-wandelt zu haben.

Die drei Männer standen hilflos herum und hatten die Hände vor die Augen genommen. Sie standen ein-deutig unter Schockwirkung und hatten noch keine Kraft gefunden, wenigstens ausgiebig zu fluchen.

Sie bekamen überhaupt nicht mit, daß sie entwaffnet wurden. Parker barg drei weitere Schußwaffen und ließ sie in den Taschen seines schwarzen Covercoats verschwin-den. Dann bemühte er noch mal sei-nen Schirmgriff und überredete die Männer nacheinander dazu, auf dem Boden Platz zu nehmen.

Lady Agatha war nicht zu halten, wie sich erwies.

Sie marschierte bereits zur Tür, drückte sie energisch auf und nahm Fühlung mit Reggie Berringer auf, der von diesem hohen Besuch völlig überrascht wurde.

*

Reggie Berringer, wie sich wenig

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später erwies, war aufgesprungen und starrte Lady Simpson entgeis-tert an.

»Wer sind Sie denn?« fragte er, kam um den Schreibtisch herum und setzte auf seine Kampfkraft. Berringer war etwa fünfundvierzig, mittelgroß und sportlich durchtrai-niert. Er hatte einen fast quadrati-schen Kopf, kurzes Bürstenhaar und eisblaue Augen.

»Sind Sie dieser Derringer?« erkundigte sich die ältere Dame. Ihr Pompadour schwang bereits an den langen Lederschnüren.

»Berringer«, verbesserte der Mann leicht gereizt. »Verdammt, wer hat Sie da ‘reingelassen? Ich hab’ keine Zeit. Verschwinden Sie!«

»Sie sehen sich einer Dame gegen-über«, machte Agatha Simpson ihm gefährlich freundlich klar.

»Hat sich was mit Dame, altes Haus«, spottete Berringer ungemein leichtsinnig. »Wann hast du deinen letzten Brandy gegurgelt?«

Die resolute Dame empfand diese Frage als Beleidigung und reagierte dementsprechend. Sie besorgte dies mit Nachdruck und Zielgenauigkeit. Sie holte mit ihrem Pompadour aus und ließ den so neckisch aussehen-den Handbeutel fliegen. Er beschrieb einen Halbkreis und lan-dete auf der Brust des Beleidigers ihrer Frauenehre.

Reggie Berringers Rippen wurden förmlich eingedellt und preßten die

Luft aus den Lungen. Berringer schnappte verzweifelt nach Luft, als er zurückgeschleudert wurde. Er krachte mit dem Rücken gegen die Wand seines Büros und legte sich anschließend fast dekorativ auf einen Aktenbock.

»Wagen Sie es nicht noch mal, eine hilflose Frau zu beleidigen«, drohte Lady Agatha, doch er bekam nichts davon mit. Berringer lag nach wie vor völlig entspannt über dem Aktenbock und rührte sich nicht.

»Die jungen Leute von heute kön-nen nichts mehr vertragen«, mokierte sich die ältere Dame, als Parker neben ihr auftauchte. »Ich habe doch wirklich nur leicht ange-deutet.«

»Mylady pflegen selbst Andeutun-gen Nachdruck zu verleihen«, legte Parker ihren Hinweis aus. »Meine Wenigkeit möchte übrigens vermel-den, daß die drei Personen im Vor-raum gebunden wurden.«

»Warten Sie, ich werde dieses Indi-viduum wieder zu sich bringen«, meinte die ältere Dame. Sie hatte eine Karaffe mit Wasser auf einem Beistelltisch entdeckt, in dem eine einzelne Rose dahinwelkte.

Energisch nahm sie das Gefäß in die Hand und goß den trüben, bereits ein wenig riechenden Inhalt über den Kopf des Container-Verlei-hers. Daraufhin prustete Berringer, schüttelte sich und richtete sich langsam auf.

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»Nun stellen Sie sich gefälligst nicht so an, junger Mann«, herrschte sie ihn mit ihrer sonoren Stimme an. »Oder brauchen Sie ein paar auf-munternde Ohrfeigen?«

Reggie Berringer winkte müde mit der linken Hand und ließ sich in einem Sessel vor dem Schreibtisch nieder. Er tastete vorsichtig sein Brustbein ab und atmete flach.

»Hören Sie auf, stop«, hechelte er. »Sie haben mir ein paar Rippen gebrochen.«

»Übertreiben Sie nicht«, reagierte Lady Agatha leichthin. »Und selbst wenn, junger Mann, so richtet sich das wieder im Lauf der Zeit.«

»Wer sind Sie eigentlich? Moment mal…« Seine Augen öffneten sich zusätzlich, er schien plötzlich Bescheid zu wissen. Lady Simpson und Butler Parker schienen ihm genau beschrieben worden zu sein.

»Richtig«, bestätigte Parker. »Sie haben den Vorzug, einige Fragen Lady Simpsons beantworten zu dür-fen. Mein Name ist Parker, Josuah Parker.«

»Die Lady und ihr Butler«, stöhnte Reggie Berringer und schloß für einen Moment ergeben die Augen.

»Sie arbeiten für einen gewissen Mister Marty Stillson«, kam Parker zur Sache. »In diesem Zusammen-hang haben Sie einige Kriminelle eingesetzt, die Fincham, Clinters und Osborn heißen.«

»Und diese Lümmel erdreisten

sich, Mister McWarden zu belästi-gen«, fügte die ältere Dame hinzu. »So etwas dulde ich nicht, junger Mann.«

»Die haben doch überhaupt nichts getan«, verteidigte sich Berringer pauschal. Er stritt erst gar nicht ab, daß er Fincham, Clinters und Osborn kannte.

»Mylady wünscht zu erfahren, wer die beiden Männer auf einen ganz bestimmten Club in der City ange-setzt hat«, sagte Parker. »Eine schnelle und umfassende Antwort wäre Ihrem Brustbein durchaus zuträglich.«

»Die hat Stillson geschickt«, gestand der Container-Verleiher umgehend.

»Demnach sind es sicher Ver-traute, die er aus den Staaten mitge-bracht hat?«

»Die sind nachgekommen«, lautete die nächste Einräumung. »Die sind bei Stillson und McGivern.«

»Es handelte sich demnach also um Leibwächter?«

»Und was für welche«, sagte Ber-ringer hastig. »Spitzenleute.«

»Darüber kann man geteilter Mei-nung sein«, gab der Butler zurück. »Die Herren Stillson und McGivern haben inzwischen das Penthouse verlassen?«

»Die sind abgeschwirrt«, bestätigte Berringer umgehend. »Die sind da beschossen worden oder so. Stillson hatte angerufen.«

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»Sie haben sich von Mister Stillson kaufen lassen, wie Mylady in Erfah-rung bringen konnte, Mister Berrin-ger.«

»Hätte ich blöder Hund doch die Finger davon gelassen«, beklagte sich der Gangster. »Ich bin ja schon dabei, mich abzusetzen. Ich bekomm’ zuviel Druck hier aus der Szene.«

»Sieht Mister Clyde Osborn dies auch so, Mister Berringer?« erkun-digte sich der Butler gemessen wei-ter.

»Seitdem Sie und die Lady mitmi-schen, haben wir alle kalte Füße bekommen«, versicherte Berringer fast glaubwürdig.

»Wie lange wird Mister John McGivern sich noch seines Lebens erfreuen können?« Parker wechselte das Thema.

»Wieso fragen Sie? Wie meinen Sie das?« Berringer hatte erstaunte Augen.

»Er könnte eines Tages gegen Still-son aussagen, der immerhin den Betreiber eines illegalen Wettbüros erschossen hat.«

»Ach so, das!? Ich hab’ davon gehört, aber mehr weiß ich auch nicht.« Es war offensichtlich, daß Berringer inzwischen log.

»Wohin werden die Herren McGi-vern und Stillson sich wenden? Wo wird ihr neues Quartier sein, Mister Berringer? Sie werden den beiden Personen doch sicher Ausweich-

quartiere angeboten haben.« »Ich sollte, aber soweit ist es noch

nicht gekommen«, behauptete der Container-Vermieter, der sich inzwi-schen wieder leicht erholt hatte und nun taktierte. »Stillson und McGi-vern sind erst mal in der Stadt unter-getaucht. Sie wollten sich gegen Abend wieder melden.«

»Dann richten Sie den Herren spe-zielle Grüße von Lady Simpson aus«, empfahl Parker dem Gangster. »Teilen Sie ihnen mit, daß es ange-bracht sei, sich Flug-Tickets zu besorgen. Eine Reise zurück in die Staaten dürfte für sie wünschens-werter sein als ein Daueraufenthalt in einem britischen Gefängnis.«

*

»Irgendwie bin ich mit dem Verlauf dieser Unterhaltung nicht zufrieden«, klagte die Detektivin, als sie die Container-Verleih-Firma ver-lassen hatte. »Dieses Individuum ist von Ihnen doch viel zu sanft ange-faßt worden.«

»Darf man daran erinnern, daß Mylady die Brustpartie des Mister Berringer nachdrücklich bedachte?« meinte Parker. Er steuerte seinen Wagen in die City zurück.

»Das war ja nur oberflächlich«, schwächte sie ab. »Natürlich wußte er, wo die beiden Subjekte aus den Staaten sich momentan versteckt halten.«

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»Dem kann man nur beipflichten, Mylady. Mister Berringer wird inzwischen sogar Kontakt mit den Herren Stillson und McGivern auf-genommen haben.«

»Richtig«, schnappte sie sofort zu. »Genau das wollte ich gerade sagen. Aber warum kann ich das Gespräch nicht abhören?«

»Meine Wenigkeit verzichtete dar-auf eine sogenannte elektronische Wanze zu hinterlassen, Mylady«, lautete die Antwort des Butlers. »Mister Reggie Berringer wird sich ohnehin bald melden und eine Adresse durchgeben.«

»Das könnte schon sein. Er will mich damit in eine Falle locken, nicht wahr?«

»Davon sollten Mylady ausgehen.« »Und bei dieser Gelegenheit werde

ich diesen Derringer dann überfüh-ren und ausschalten.« Sie nickte wohlwollend.

»Mister Reggie Berringer«, korri-gierte Parker beiläufig.

»Wie auch immer.« Sie winkte etwas ungnädig ab. »Klammern Sie sich nicht an Namen, Mister Parker!«

»Mylady rechnen noch mit einem zusätzlichen Effekt, was den zu erwartenden Anruf betrifft.«

»Natürlich«, erwiderte sie. »Ich rechne immer mit einem zusätzli-chen Effekt. Und der wäre?«

»Es steht zu befürchten, daß Mister Stillson bei dieser Gelegenheit ver-

suchen wird, sich seines Begleiters McGivern zu entledigen.«

»Warum sollte er das?« Sie hatte gewisse Zusammenhänge einfach vergessen.

»Mister John McGivern könnte ihm eines Tages als Zeuge der Anklage gefährlich werden. Kommt es in dem zu erwartenden Fall zu einem Schußwechsel, dann könnte Mister McGivern durchaus von einer tödlichen Kugel getroffen wer-den. Die Schuld an solch einem Tref-fer würde Mister Stillson dann der Polizei oder Mylady in die sprich-wörtlichen Schuhe schieben.«

»Dem werde ich begegnen, Mister Parker.« Sie nickte nachdrücklich. »Treffen Sie alle erforderlichen Vor-bereitungen. Übrigens, wohin fahre ich jetzt? Was steht auf meiner Liste?«

»Mylady erwägen sicher die Mög-lichkeit, dem bereits bekannten Wettbüro einen Besuch abzustatten. Dazu bedarf es nur eines kleinen Umweges.«

»Den ich natürlich auf mich neh-men werde, Mister Parker. Bei dieser Gelegenheit könnte ich gleich noch einige erfolgversprechende Wetten plazieren, nicht wahr?«

»Mylady wird das Glück sicher erneut hold sein.«

»Das möchte ich mir auch ausge-beten haben«, sagte sie nachdrück-lich, »sonst werde ich diesem Glück nämlich ein wenig nachhelfen, Mis-

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ter Parker. Ich hasse den dummen Zufall.«

Parker hatte die allgemeine Fahrtrichtung schon geändert und steuerte den Schnellimbiß mit dem illegalen Wettbüro an. Er dachte an den jetzigen Manager dieses Betrie-bes, der für die Witwe des erschos-senen Herrn Birnay die Geschäfte führte. Es war eigentlich mehr als erstaunlich, daß Randy Blakers den Mut hatte, der Mafia trotzen zu wol-len. Sein Vorgänger war immerhin gerade erst erschossen worden.

*

Randy Blakers war nicht allein. In seinem Büro mit der Spiegel-

sichtscheibe befand sich eine etwa dreißigjährige, schlanke und unge-mein blonde Frau, deren Make-up alles andere als dezent war. Sie rauchte eine Zigarette aus einer lan-gen Spitze und hielt ein Whiskyglas in der Hand. Sie blickte Lady Simp-son und Butler Parker völlig ver-blüfft an.

Kaum weniger verblüfft war Randy Blakers.

»Sie werden jetzt mit einiger Sicherheit fragen wollen, woher Mylady und meine Wenigkeit kom-men«, leitete Parker die Unterhal-tung ein, nachdem er seine Melone höflich gelüftet hatte. »Man benutzte, um diese Frage zu klären, den Hinterausgang Ihres Wettbüros.

Der dortige Türsteher ist noch nicht in der physischen Verfassung, sich zu rechtfertigen.«

»Ich mußte ihm meinen Pompa-dour um die Ohren schlagen, als er aufdringlich wurde«, fügte Lady Agatha freundlich hinzu. »Sie sind bestimmt die trauernde Witwe, nicht wahr?«

»Mistreß Helen Birnay«, stellte die Blondine sich eingeschüchtert vor.

»Sie haben natürlich ein Verhältnis mit diesem Subjekt!« Agatha Simp-son hielt grundsätzlich nichts von höflichen Umschreibungen und lan-gen Einleitungen. Sie kam stets sehr direkt auf den Kern der Dinge zu sprechen.

»Was… was erlauben Sie sich?« protestierte Helen Birnay.

»Sind Sie nun seine Geliebte oder nicht?« fragte die ältere Dame mit grollendem Unterton in der Stimme. »Einer Lady Simpson können Sie nichts vormachen.«

»Wir… wir sind befreundet«, räumte Randy Blakers ein.

»Das war schon so, bevor Ihr Mann erschossen wurde, nicht wahr?«

»Da ist doch nichts dabei«, sagte Blakers nervös.

»Haben Sie diesen Mord bestellt, junger Mann?«

»Jetzt ist aber Schluß!« Randy Bla-kers brauste auf. »Wie kommen Sie dazu, so etwas zu behaupten? Mistreß Birnay und ich…«

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»… machen einen sehr gelösten Eindruck«, deutete die ältere Dame die Situation. »Klarer will ich mich nicht ausdrücken, junger Mann.«

»Und bei wem soll ich den Mord bestellt haben?« fragte Blakers und zwang sich zur Ruhe.

»Das wird Ihnen Mister Parker sagen«, meinte Lady Agatha. »Die Tatsachen reden eine deutliche Spra-che.«

»Sie waren zur Tatzeit in einer Revue, Mistreß Birnay?« fragte der Butler.

»Was geht Sie das an?« fauchte sie wie eine gereizte Katze und ging zur Tür. »Wer sind Sie überhaupt? Ich werde Sie anzeigen! Ich werde…«

»Sie werden hierbleiben, Kind-chen«, erklärte die ältere Dame und baute sich in ihrer ganzen Fülle vor der Tür auf. »Versuchen Sie, mich wegzudrängen.«

Dieses Risiko ging die Blondine allerdings nicht ein. Sie beschoß die resolute Dame mit Giftpfeilen, die aus ihren Augen stammten, ging wütend zurück und ließ sich in einen Sessel fallen.

»Sie waren zum Zeitpunkt der Ermordung Ihres Mannes in einer Revue und haben Zeugen dafür«, wiederholte der Butler seine Fest-stellung. »Und Mister Randy Blakers hielt sich sicher hier im illegalen Wettbüro auf, als es zum Mord in Mistreß Birnays Wohnung kam.«

»Stimmt«, antwortete Randy Bla-

kers. »Ich war während dieser Zeit hier im Wettbüro. Und dafür habe ich eine Menge Zeugen, wie Sie sich vorstellen können.«

»Bei diesen Zeugen dürfte es sich um sogenannte ehrenwerte Leute handeln, Mister Blakers, nicht wahr?«

»Worauf Sie sich verlassen kön-nen.

Die Leute, die hier spielen, sind schließlich keine Verbrecher.«

»Dem soll nicht widersprochen werden«, meinte Parker. »Während einer geschäftlichen Unterredung also in seiner Wohnung wurde Mis-ter Birnay von Mister Stillson erschossen.«

»Das ist noch längst nicht erwie-sen«, wandte Randy Blakers ein. »So sagte die Polizei, doch sie hat keine Zeugen dafür.«

»Es gibt einen gewissen Mister John McGivern.«

»Der sagt doch aus, Stillson habe eben nicht geschossen«, erklärte der kommissarische Leiter des illegalen Wettbüros. »Und Zeugen im Haus wollen McGivern und auch Stillson nicht gesehen haben.«

»Was sollen also die Anspielun-gen, wir hätten Herrn umgebracht?« wollte die blondierte Witwe wissen. »Warum hätten wir das tun sollen?«

»Um das zu haben, was man im Volksmund freie Bahn zu nennen pflegt«, erwiderte Josuah Parker. »Mylady gehen davon aus, daß die-

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ses Wettbüro sich längst in der Hand des Mister Stillson befindet.«

»Sind Sie verrückt?« Randy Bla-kers blickte den Butler entgeistert an.

»Nach Mister Herrn Birnays Tod haben Sie dieses Wettbüro Mister Stillsons Einfluß überstellt, quasi als Bezahlung für die Ermordung Mis-ter Herrn Birnays.«

»Das müssen Sie uns erst mal beweisen«, kreischte die Blondine in diesem Augenblick. »Kein Mensch kann uns das beweisen, kein Mensch.«

»Nur Mister Stillson und Mister McGivern«, gab Josuah Parker in seiner überaus höflichen Art zurück.

*

Sie hatte ausgiebig gespeist und befand sich in gehobener Stimmung. Lady Agatha saß in einem tiefen und bequemen Ledersessel vor dem mächtigen Kamin in der Wohnhalle und genoß einen Mokka, zu dem sie einen mehr als doppelten Cognac nahm.

»Der Fall ist eigentlich so gut wie geklärt«, meinte sie optimistisch in Richtung Kathy Porter und Mike Rander. »Ich muß jetzt nur noch die-sen Stillford dingfest machen.«

»Mister Marty Stillson«, ließ Par-ker sich vernehmen.

»Auch gut«, sagte sie und lächelte versonnen. »Wie ich Mister Parker

bereits sagte, wird dieses Subjekt sich schon bald melden und mir eine Falle stellen. Drückte ich mich nicht so aus, Mister Parker?«

»Mylady wissen, daß Mister Still-son und Mister McGivern alles dar-ansetzen müssen, Mylady aus dem Weg zu räumen.«

»Werden Sie einer Einladung der beiden Burschen nachkommen, Mylady?« fragte der Anwalt.

»Aber selbstverständlich, mein Junge«, gab sie zurück. »Einer sol-chen Herausforderung weicht eine Lady Simpson niemals aus.«

»Kathy und ich haben uns mit dem Haus befaßt, in dem die Birnays wohnen«, schlug Rander ein anderes Thema an. »Es befindet sich in der Nähe dieses Wettbüros. Da gibt es einige Wohnpartien, lauter Leute, die grundsolide sind, aber Angst haben.«

»Ich bin als Sozialarbeiterin in die-sem Haus gewesen«, schaltete Kathy Porter sich ein. »Wenn ich das Thema Birnay auch nur andeutete, wurden die Menschen sehr vorsich-tig und hatten nichts zu sagen. Für mich steht fest, daß man sie unter Druck gesetzt hat.«

»Die Birnays wohnten in einem großen, umgebauten Dachgeschoß, das sie sich als modernes Wohn-Stu-dio eingerichtet hatten«, berichtete Mike Rander weiter. »Bei der Ein-richtung schien Geld überhaupt keine Rolle gespielt zu haben.«

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»Kunststück, mein Junge, mit einem illegalen Wettbüro verdient man sehr viel Geld«, ließ die ältere Dame sich wissend vernehmen. »Man braucht ja schließlich keine Steuern zu zahlen.«

»Sie hatten die Möglichkeit, Sir, einen Blick in die Wohnung zu wer-fen?« fragte Parker.

»Völlig regulär«, meinte der Anwalt und lächelte. »Die Wohnung ist ja von der Polizei längst freigege-ben worden. Und die Wohnungstür muß vor ein paar Stunden nicht geschlossen worden sein.«

»Manche Menschen vergessen in der Tat, die Wohnungstüren zu sichern«, meinte Parker.

»So auch hier.« Rander lächelte erneut. »Wir sollten das Thema nicht weiter vertiefen. Zurück zu den Hausbewohnern! Die armen Teufel werden Stein und Bein schwören, Saison und McGivern nie gesehen zu haben. Sie dürften als Zeugen der Anklage gegen McGivern und Still-son ausfallen.«

»Man sollte diese Herrschaften wohl auch völlig aus dem Spiel las-sen«, schlug der Butler vor. »Konnte man eruieren, ob Mistreß Helen Bir-nay und Mister Randy Blakers bereits eine Wohngemeinschaft ein-gegangen sind?«

»Und ob, Mister Parker«, wußte Kathy Porter zu sagen. »Das haben mir einige Händler auf der anderen Straßenseite ungewollt bestätigt.

Man lebt bereits einträchtig zusam-men. Und zwar sehr ungeniert.«

»Scheußlich«, ergrimmte sich die ältere Dame umgehend. »Ich wußte doch gleich, daß dieser Mord an Stillford…«

»Mister Marty Stillson«, korrigierte Parker höflich.

»… daß dieser Mord an Stillford bestellt war«, fuhr die ältere Dame fort. Sie schien nichts gehört zu haben. »Nun ja, in wenigen Stunden wird das von mir alles aufgeklärt worden sein.«

»Sie rechnen mit einem Anruf?« fragte Mike Rander.

»Natürlich, mein Junge. Es geht ja um die Falle, die…« Sie unterbrach sich, als das Telefon klingelte. Eine bessere Regie hätte der Zufall gar nicht führen können. Josuah Parker begab sich gemessen und würdevoll zu einem Wandtisch, hob ab und meldete sich. Nachdem er einen Moment zugehört hatte, versprach er ein baldiges Kommen.

»Nun, Mister Parker?« fragte Aga-tha Simpson selbstsicher. »Wer war es?«

»Mister McWarden«, antwortete der Butler. »Der Chief-Superinten-dent glaubt zu wissen, wo die Her-ren Stillson und McGivern sich zur Zeit aufhalten.«

»Und wo halten sie sich auf?« fragte sie und machte einen elektri-sierten Eindruck.

»Sie sitzen ungeniert in einem

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Fischrestaurant an der Themse, Mylady. Die Mitarbeiter des Chief-Superintendenten konnten den bei-den Gangstern folgen und meldeten sich von Richmond aus.«

»Ich habe lange keinen Fisch mehr gegessen, Mister Parker«, stellte die ältere Dame umgehend fest und drückte ihre Fülle aus dem beque-men Sessel. »Folgen Sie mir! Ich werde wieder mal ein Exempel sta-tuieren.«

Es war ein ausgesprochen luxuri-öses Restaurant, das nahe am Them-seufer lag. Am Landungssteg waren einige Hausboote und Motorjachten festgemacht. Ein mildes, gelblich gefärbtes Licht fiel durch die ver-hängten Fenster nach draußen in die Dunkelheit.

»Nun, was haben Sie festgestellt, Mister Parker?« fragte Agatha Simp-son ungeduldig, als Parker zum Wagen zurückgekehrt war.

»Im Restaurant feiert eine geschlossene Gesellschaft«, berich-tete der Butler. »Auf dem Parkplatz stehen acht Fahrzeuge der gehobe-nen Luxusklasse und zwei Männer, die eindeutig die Aufgabe haben, den Zugang zum Restaurant zu sichern. Mylady sollten davon aus-gehen, daß noch weitere Personen die Lokalität bewachen.«

»Und was schließe ich daraus, Mister Parker?«

»Die Herren Stillson und McGi-vern dürften Interessenten aus der

kriminellen Szene zu einem Arbeitsessen eingeladen haben.«

»Tatsächlich?« Sie staunte hörbar. »Und wie komme ich zu diesem Schluß, Mister Parker?«

»Die erwähnten Wagen, Mylady, zeichnen sich nicht gerade durch unauffällige Eleganz aus. Hinzu kommen die beiden Personen, die den Eingang sehr professionell über-wachen.«

»Ich werde mich zu diesem Arbeitsessen einladen, Mister Par-ker«, machte sie umgehend klar. »Die beiden Subjekte am Eingang werden Sie hoffentlich ausschalten können, oder?«

»Sie stellen in der Tat kein Pro-blem dar, Mylady. Man sollte sich aber vielleicht darüber wundern, daß die Herren Stillson und McGi-vern sich derart ungeniert zeigen. Sie müssen schließlich wissen, daß sie von Mister McWardens Mitarbei-tern genau observiert werden.«

»Ist das bereits die Falle, mit der ich rechne?« Hoffnungsfreude beherrschte ihre Stimme.

»Mit solch einer Möglichkeit sollte man durchaus rechnen, Mylady«, gab Josuah Parker zurück. »Danach gehen die beiden Gangster wohl davon aus, daß Mylady hier erschei-nen werden. Man weiß ja inzwi-schen, daß der Chief-Superintendent mit Mylady kooperiert.«

»Will dieser Stillford seinen Zeu-gen loswerden?«

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»Mister Stillson könnte durchaus diese Absicht verfolgen, Mylady.«

»Dann achten Sie darauf, daß nichts passiert, Mister Parker, was ich nicht wünsche«, verlangte sie nachdrücklich. »So, und wie schalte ich mich nun ein? Habe ich da bereits präzise Vorstellungen?«

»Es gilt, die Wachen unwirksam zu machen, Mylady.«

»Und danach werde ich diesen Subjekten dann ein Zwischengericht servieren, das sich gewaschen hat«, freute sie sich. »Ich lasse Ihnen freie Hand, Mister Parker, was die Wachen betrifft. Solche Details küm-mern mich nicht. Worauf warte ich noch?«

Parker wußte, daß die ältere Dame nun nicht mehr zu halten war. Sie hatte ein Ziel vor Augen und wollte es um jeden Preis erreichen. Hinder-nisse kannte sie jetzt nicht mehr.

Parker übernahm die Führung in Richtung Restaurant. Er hatte sein hochbeiniges Monstrum hinter einem Bootshaus in der Nähe einer Schleuse zurückgelassen. Er diri-gierte seine Herrin über einen wei-chen Rasen näher an das Ziel heran. Der Butler hatte sich genau einge-prägt, wo die beiden Türwachen standen. Er ging davon aus, daß diese Männer die Frontseite des Restaurants unter Sichtkontrolle hielten. Auf der Wasserseite mußten sich seiner Schätzung nach ebenfalls Wachen befinden.

Die Männer vorn am Eingang langweilten sich sichtlich und rauch-ten. Sie standen freundlicherweise unter dem Deckenlicht des Vordachs und brauchten nichts zu befürchten. Die Lampen, die den Parkplatz beleuchteten, ließen keinen Überra-schungsangriff zu.

Wie sie wohl annahmen… Doch sie sollten sich schon bald

gründlich wundern.

*

Parker verschoß die erste Ton-Erbse mit der Gabelschleuder.

Und es war wieder mal überra-schend, wie treffsicher er war und welche Wirkung er erzielte. Der getroffene Mann sackte in sich zusammen, als wäre er vom Blitz getroffen worden. Er rutschte dann noch seitlich weg und landete halt-los in einem Zierstrauch, was dem zweiten Mann keineswegs entging.

Er zog blitzschnell seine Schuß-waffe aus der Schulterhalfter, duckte sich und suchte ein wenig irritiert-verzweifelt nach seinem Partner. Als er dessen unteres Beinpaar aus-machte, erreichte ihn bereits die zweite Ton-Erbse.

Der Mann fiel zur Seite und blieb regungslos liegen. Agatha Simpson wollte sich bereits in Bewegung set-zen und zum Eingang marschieren, doch Parker hielt sie diskret zurück.

»Es könnte sich um einen Trick

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handeln, Mylady«, warnte er. »Darf man Mylady auf den rechten Arm verweisen, der ein wenig zu auffäl-lig vom Körper weggestreckt ist?«

»Sie bilden sich wieder etwas ein, Mister Parker«, gab sie streng zurück.

»Man kann sein Mißtrauen aber auch wirklich übertreiben.«

Butler Parker war nicht dieser Mei-nung.

Eine dritte Ton-Erbse lag bereits in der Lederschlaufe seiner Gabel-schleuder. Er visierte die Hand an, deren Finger sich um eine Waffe schlossen. Er traute dieser Hand nicht und entließ das dritte Geschoß.

Es landete in Ohrnähe des Mannes und brachte ihn dazu, die Hand zu öffnen. Die Schußwaffe flog auf die Steinplatten, der Mann entspannte sich.

»Wenn Mylady erlauben.« Parker setzte sich in Bewegung, bevor Aga-tha Simpson losstürmen konnte. Er hatte seine Gabelschleuder mit einer weiteren Ton-Erbse geladen und war bereit, auch sie blitzschnell zu verschießen.

Nun, dies erwies sich nicht als not-wendig. Der Mann hatte aufgegeben und merkte nicht, daß er von Parker verschnürt wurde. Anschließend war der andere Mann an der Reihe. Parkers Packband erwies sich wie-der mal als äußerst wirkungsvoll.

Nachdem der Butler den beiden Männer noch ein Heftpflaster über

den Mund geklebt hatte, konnte er mit seiner Herrin relativ gefahrlos das Restaurant betreten.

Wo die geschlossene Gesellschaft tagte, war schnell herausgefunden. Im Hintergrund der Empfangshalle fiel Licht aus einer leicht geöffneten Doppeltür. Man hörte Stimmen, Gelächter und das Klappern von Bestecken.

»Weiter, weiter, Mister Parker«, drängte die Detektivin. »Ich habe vor, die beiden Subjekte zu ohrfei-gen.«

»Mylady kommt es sicher darauf an, die Herren Stillson und McGi-vern unmöglich zu machen.«

»Genau das, Mister Parker.« Sie nickte energisch.

»Lächerlichmachen dürfte eine schreckliche Waffe sein, Mylady.«

»Unbedingt. Und Ohrfeigen lösen so etwas aus.«

»Oder eine Art Visitenkarte Myla-dys, von der man nicht weiß, woher sie kam.«

»Genau so etwas stelle ich mir vor, Mister Parker.«

»Ein Blasrohrpfeil könnte diesen Effekt auslösen, Mylady. Zudem wirkt solch ein Geschoß erheblich auf die Psyche.«

»Das ist mir nicht spektakulär genug«, grollte sie.

»Nach dem Verschießen eines Pfeils könnte man das Licht abdre-hen.«

»Nein, nein, Mister Parker, das

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hier werden Sie verschießen.« Sie deutete auf einen großen Weiden-korb, der auf einer Anrichte stand. Früchte des Feldes waren dekorativ angeordnet. Unter anderem ent-deckte Parker auch den Gegenstand, auf den die ältere Dame gedeutet hatte.

Es handelte sich um eine Tomate, die der Butler in die Hand nahm und sorgfältig abwog. Anschließend prüfte er ihre Festigkeit und war dann durchaus bereit, auf Myladys Anregung einzugehen.

»Für äußerste Treffsicherheit kann meine Wenigkeit allerdings keine Garantie geben«, entschuldigte er sich im vorhinein. »Mylady sollten mit einem gewissen Torkelflug der Tomate rechnen.«

»Geben Sie sich Mühe, Mister Par-ker«, verlangte sie streng. »Ein Auge dieses Subjekts werden Sie doch sicher schließen können, nicht wahr?«

*

Es war das linke Auge. Die Tomate, deren Kern bereits einen gewissen Reifezustand erreicht hatte, klatschte auf den Jochbogen von Stillsons Auge und platzte explosionsartig auseinander. Stillson, der an der Stirnseite einer hufeisenförmigen Tafel saß, stieß einen fast irren Schrei aus und griff mit beiden Hän-den nach der Feldfrucht, die zwi-

schen seinen Fingern zerrann. Das Durcheinander war vollkom-

men. Die Gäste an der Tafel sprangen

hoch oder warfen sich sicherheits-halber erst mal in Deckung. Rufe und Schreie waren zu vernehmen. Geschirr landete scheppernd auf dem Parkett.

Parker hatte die beiden Flügeltü-ren zugedrückt und führte Lady Simpson in die Rezeption. Er drückte die ältere Dame wie zufäl-lig, aber doch recht nachdrücklich in das angrenzende Büro und bat sie, die folgenden Szenen zu genießen.

Sie kam auf ihre Kosten. Die ersten Teilnehmer der Tafel-

runde erschienen bereits im Eil-tempo in der Empfangshalle und rannten zum Ausgang. Es kam dabei zu bemerkenswerten Sprints. Über-holmanöver wurden zu verbissenen Zweikämpfen.

Jeder der Davoneilenden wollte so schnell wie möglich das suchen, was Parker das sprichwörtliche Weite zu nennen pflegte. In der Eingangstür kam es dann zu einem gewissen Stau, bei dem einige Gäste niederge-treten wurden.

Lady Agatha genoß das Schauspiel und war mit der allgemeinen Ent-wicklung mehr als zufrieden.

»Ist Stillford schon durch?« erkun-digte sie sich.

»Mister Stillson benutzt möglicher-weise die Wasserseite«, erwiderte

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der Butler. »War es Stillford, der getroffen

wurde?« Eine gewisse Skepsis war in ihrer Stimme.

»Er muß der Tafel vorgesessen haben, Mylady«, antwortete der But-ler, »und diese bewußte Person wurde getroffen.«

Einige Nachzügler erschienen noch und stürzten hinaus in die Dunkelheit. Das Röhren von Anlas-sern war zu vernehmen, das Auf-heulen von Automotoren. Reifen tourten durch und ließen den Zier-kies wie aufschlagenden Hagel hochspritzen. Es dauerte nicht lange, bis endlich Ruhe einkehrte.

Dann wurde die Eingangstür wie-der aufgedrückt.

Chief-Superintendent McWarden erschien und war bester Laune.

»Herzlichen Dank«, rief er Lady Simpson und Butler Parker entge-gen, die ihm zuwinkten. »Stillson und McGivern haben sich mit einem Boot abgesetzt.«

»Kann man davon ausgehen, daß die beiden Männer nach wie vor observiert werden, Sir?« wollte Par-ker wissen.

»Darauf können Sie sich verlassen«, antwortete McWarden. »Allmächtiger, ist das ein schönes Gefühl, daß Stillson jetzt mal unter Druck geraten ist. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll.«

»Aber ich weiß es, mein lieber McWarden«, erwiderte die ältere

Dame prompt. »Während der Her-fahrt habe ich da einige recht hüb-sche Restaurants gesehen. Sie brau-chen mich nur einzuladen.«

*

»Mylady geruhen noch zu ruhen«, meldete Parker am anderen Morgen, als McWarden sich zu einer Visite einfand. Der Chief-Superintendent machte nach wie vor einen gelösten Eindruck.

»Ich wollte mich noch mal bedan-ken«, sagte McWarden. »Diese Aktion draußen an der Themse hat Wunder bewirkt, Mister Parker.«

»Man dürfte Mister Stillson inzwi-schen mit einiger Reserve begegnen, Sir.«

»Das kann man wohl sagen«, bestätigte McWarden und nickte. »Bestimmte Leute aus der hiesigen Szene dürften begriffen haben, daß Stillson und die Mafia, die er ver-tritt, hier keine echte Chance haben.«

»Davon gehe ich aus. Wer wird jetzt noch mit ihm verhandeln oder sich von ihm kaufen lassen? Sie haben den Burschen völlig lächerlich gemacht.«

»Und wohl auch sicher gereizt, Sir.«

»Richtig, Mister Parker. Gut, daß Sie es so sehen. Er wird natürlich verzweifelte Anstrengung kosten, sich doch noch durchzusetzen. Sie wissen, was ich damit sagen will?«

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»Für Mylady und meine Wenigkeit besteht akute Lebensgefahr, Sir.«

»Stillson verfügt über zwei Spezia-listen, die er aus den Staaten mitge-bracht hat.«

»Die beiden Männer, die das bewußte Clubhaus von den Dächern aus kontrollierten.«

»Die meine ich, Mister Parker. Sie werden den Auftrag erhalten haben, scharf und gezielt zu schießen. Jetzt geht es eigentlich schon nicht mehr um mich. Und genau das bedaure ich sehr. Sie bekommen selbstver-ständlich jeden Schutz, den Sie brau-chen. Das ist völlig klar.«

»Die erwähnte Entwicklung, Sir, war angestrebt worden«, meinte Josuah Parker. »Sie wissen, wo die Herren McGivern und Stillson sich aufhalten?«

»In den Docklands«, lautete McWardens Antwort. »Meine Leute haben sie keinen Augenblick aus den Augen gelassen. Stillson und McGivern sind zu Osborn ins Hotel gezogen.«

»Ein Ort, der wohlbekannt ist, Sir.« »Ein Fuchsbau, Mister Parker«,

redete der Chief-Superintendent ein-dringlich weiter. »Ich habe ihn weit-räumig absperren lassen, aber ich fürchte, daß es da immer noch einige Fluchtwege gibt, die wir nicht ken-nen.«

»Ob der Mafia in den Staaten inzwischen bekannt ist, daß Mister Stillson nicht gerade erfolgreich ope-

rierte, Sir?« »Das habe ich lanciert, Mister Par-

ker.« McWarden schmunzelte. »In New York dürfte man wissen, daß Stillson sich als eine Niete entpuppt hat.«

»Demnach dürfte auch Mister John McGivern vorerst geschützt sein.«

»Stillson kann es gar nicht riskie-ren, daß diesem Mann etwas pas-siert«, gab der Chief-Superintendent zurück. »Meiner Ansicht nach hat er den Zeitpunkt bereits verpaßt, um diesen Zeugen mundtot zu machen.«

»Falls Mister McGivern das soge-nannte Zeitliche segnen sollte, Sir, würde man Mister Stillson verdäch-tigen, dies veranlaßt oder getan zu haben.«

»Stillson steckt ganz schön in der Zwickmühle«, freute sich McWar-den eindeutig. »Vor ein paar Tagen sah das noch alles anders aus. Sie ahnen ja nicht, Mister Parker, wie dankbar ich Ihnen bin. Sie haben es geschafft, diesen Mafioso in die Ver-teidigung zu drängen.«

»Sie überbewerten eindeutig die Aktivitäten meiner bescheidenen Wenigkeit«, wiegelte Parker in sei-ner höflichen Art ab. »Tatsächlich war es Mylady, die geruhte, neue Akzente zu setzen.«

»Ich weiß, ich weiß«, parodierte der Chief-Superintendent einen bekannten Ausspruch der älteren Dame. »Was wären wir ohne sie?!«

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*�

McWarden hatte ganze Arbeit geleistet.

Die Morgenzeitungen berichteten ausführlich von einem rätselhaften Zwischenfall, der sich in einem bekannten Restaurant an der Themse abgespielt hatte. Ohne Namen zu nennen, wurde ein Arbeitsessen erwähnt, an dem sich Spitzen der kriminellen Szene betei-ligt hatten. Besonders ausführlich wurde die Störung erwähnt, die durch eine Tomate ausgelöst wor-den war.

Die verbissenen Zwei- und Drei-kämpfe während der anschließen-den Flucht vor und in der Tür dieses Restaurants wurden im Stil ironi-scher Sportberichterstattung geschil-dert.

Als Stillson sich telefonisch mel-dete, war Parker überhaupt nicht überrascht.

»Man erlaubt sich, einen angeneh-men Morgen zu wünschen, Mister Stillson«, sagte Parker. »Darf man sich nach dem Zustand Ihres Sehor-gans erkundigen?«

»Wer hat denn diesen Mist in die Zeitungen gebracht?« regte der Mafioso sich auf. »Was ich da eben gelesen habe, stimmt doch hinten und vorne nicht.«

»Möglicherweise setzen Sie eine Berichtigung durch, Mister Stillson.«

»Wenn Sie glauben, Parker, daß ich aufgebe, dann sind Sie aber mächtig auf dem Holzweg.«

»Sie machen akustisch den Ein-druck eines Mannes, der ein wenig verärgert ist. Sollte dies ursächlich damit zusammenhängen, daß Ihr Kredit bei gewissen Personen in London abgesunken ist?«

»Keine Sorge, Parker, noch kann ich die Puppen tanzen lassen.«

»Sollte jetzt nicht die obligate War-nung erfolgen, Mister Stillson?«

»Wieso Warnung? Ach so! Hören Sie, Parker, ich biete Ihnen einen Vergleich an.«

»Vergleichsangebote dieser Art sind meiner Wenigkeit nur zu bekannt, Mister Stillson.«

»Falls Sie und Ihre verrückte Lady sich ‘raushalten, werden Sie noch lange leben. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?«

»Sie sollten sich um das Wohlbe-finden des Mister McGivern sorgen«, warnte der Butler nun sei-nerseits. »Stellen Sie sich vor, Ihrem Begleiter würde etwas an Leib und Seele passieren? Das wäre für Sie ungemein bedauerlich.«

»McGivern? Was hat der damit zu tun?«

»Er ist und bleibt der Zeuge, der bestätigen kann, daß Sie Mister Herrn Birnay erschossen haben.«

»Das bildet die Polizei sich doch nur ein. McGivern weiß überhaupt nichts. Aber was sollte McGivern

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schon groß passieren?« »Das Leben ist voller Gefahren,

wie es so treffend heißt, Mister Still-son. Sie sollten ungemein bemüht sein, Gefahren von Mister McGivern abzuwenden. Sein Bruder und gewisse Kreise in New York würden Ihnen allein die Schuld zumessen, falls Ihrem Begleiter etwas zustoßen sollte.«

»Wollen Sie da etwa was inszenie-ren, Parker?«

»Ein bedauerlicher Unfall ist nie-mals auszuschließen, Mister Still-son.«

»Ich werde schon auf McGivern aufpassen, Parker. Mein Wort dar-auf!«

»Sie haben sich inzwischen in Mis-ter Osborns Hotel eingemietet, wie man hörte.«

»Und hier werden Sie keine Toma-ten mehr los«, schwor Stillson aufge-bracht. »Ich weiß inzwischen ver-dammt genau, wer Sie sind. Ich habe mich jetzt darauf eingestellt. Aber noch mal: halten Sie sich ‘raus, was diese Chose betrifft. Sie werden dann länger leben.«

»Weiß man in New York inzwi-schen schon, in welche Schwierig-keiten Sie sich hineinmanövriert haben, Mister Stillson?«

Auf der Gegenseite war einen Moment nur noch heftiges Atmen zu vernehmen.

»Meine Wenigkeit möchte Sie nicht länger inkommodieren«,

schlug Parker vor. »Lassen Sie sich das Gehörte sicherheitshalber in aller Ruhe durch den Kopf gehen, Mister Stillson. Es bleibt aber bei der Tatsache, daß Sie Mister Birnay erschossen haben. Und dies wird man Ihnen nachweisen.«

Parker legte auf, bevor Stillson ant-worten konnte.

*

Parker stand auf dem Dachboden des altehrwürdigen Hauses und beobachtete durch ein Fernglas die nahe Durchgangsstraße, vor allen Dingen die Gitter eines dahinterlie-genden Parks.

Dieses Gitter war kaum zu erken-nen. Dichtes Strauchwerk schlang sich um die Eisenstäbe und machte sie fast unsichtbar. Nach Parkers Erfahrung hielten sich dort mit Vor-liebe Personen auf, die das Haus der Lady Simpson beobachteten, um dann von hier aus Schüsse abzufeu-ern.

Seine Vorsicht war angebracht, wie sich zeigte.

Nach wenigen Minuten der Geduld machte er einige irreguläre Bewegungen inmitten dieser dichten Sträucher aus. Nach Lage der Dinge hielt sich dort zumindest eine ein-zelne Person auf. Parker dachte natürlich sofort an die beiden Leib-wächter, die er bereits schon mal von McWardens Club aus unter

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Feuer genommen hatte. Der Butler verließ den Dachboden

und begab sich ins Souterrain des Hauses, wo sich seine privaten Räume befanden. In kürzester Zeit hatte er Maske gemacht und sich in einen alten Mann verwandelt mit Schnauzbart und Nickelbrille.

Er trug einen hellgrauen, zerknit-terten Mantel und abgewetzt ausse-hende Schuhe. Zur Vervollständi-gung seiner Maske nahm er eine Plastiktüte, in der sich Taubenfutter befand. Er hatte vor, im Park die reichlich vorhandenen Symbole des Friedens mit Körnern zu beglücken. Anschließend verließ er das Haus auf dem Umweg über den schmalen Wirtschaftsweg, der zur Außenwelt durch eine Mauer und ein schweres Tor gesichert war.

Schlurfend näherte sich der Butler dann in weitem Bogen dem kleinen Park und brauchte nicht lange nach den Tauben zu suchen. Er ver-wöhnte sie ausgiebig mit Maiskör-nern und nahm dazu auf einer klei-nen Bank Platz. Von hier aus konnte er die Reihe der dichten und hohen Sträuchern genau einsehen.

Zwei Männer standen schräg gegenüber an einer anderen Bank und unterhielten sich angeregt mit-einander. Erstaunlicherweise fütter-ten auch sie Tauben. Einer der bei-den Männer wandte ihm den Rücken zu und interessierte sich ein-deutig für den Verkehr auf der

Durchgangsstraße. Von seinem Platz aus konnte er die Einfahrt zu Myla-dys Grundstück sehr gut einsehen.

Ob es sich tatsächlich um die bei-den Dachschützen handelte, wußte Parker natürlich nicht, doch er ging erst mal davon aus. Sie hatten ihn natürlich längst ausgemacht und ausgiebig gemustert. Parker hatte eine Zeitung aufgeschlagen und befaßte sich scheinbar intensiv mit ihrem Inhalt.

Einer der beiden Männer schien Mißtrauen geschöpft zu haben. Er löste sich von der Bank und schlen-derte langsam auf ihn zu. Parker reagierte nicht, doch als er plötzlich eine schnelle Handbewegung aus-führte, um wieder mal eine Portion Körnerfutter in die Luft zu werfen, zeigte der Näherkommende eine blitzschnelle Reaktion. Er langte nach seiner linken Brustseite und machte damit ungewollt deutlich, daß er eine Schulterhalfter trug.

Es handelte sich um einen Profi. Er stoppte seine Bewegung und

fuhr dann mit dem Handrücken über das Revers seines Sakkos. Dabei kam er immer näher.

»Haben Sie genaue Uhrzeit?« fragte er, als er den Butler erreicht hatte.

»Genaue Uhrzeit?« Parker zuckte die Achseln. »Kommt es wirklich auf ein paar Minuten mehr oder weni-ger an?«

Während er noch sprach, langte

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Parker nach seiner alten Sprungde-ckeluhr und präsentierte sie dem Mann.

»Es geht auf zehn Uhr zu«, sagte er, »falls sie nicht stehengeblieben ist, hoffe ich.«

»Schöner Tag heute, wie?« »Nicht, wenn man die Schlagzeilen

liest«, erwiderte der Butler. In seiner rechten Hand befand sich bereits die kleine Sprayflasche. »Sehen Sie sich dieses Bild hier an!«

Der andere Mann widmete sich längst wieder der Durchgangsstraße und fühlte sich völlig sicher, da sich ja sein Begleiter um den alten Mann auf der Bank kümmerte.

Parker hielt seinem Gegenüber so die Zeitung hin, daß er sich etwas niederbeugen mußte. Damit geriet er in den Bereich des Sprays, das Par-ker ihm voll ins Gesicht sprühte.

Der Mann wurde voll erwischt, schnappte nach Luft und wollte seine Schußwaffe ziehen. Doch dazu kam es nicht. Parker hatte mit der Plastiktüte zugeschlagen. Zwischen den Maiskörnern befand sich einer von Myladys sogenannten Glücks-bringern. Das mächtige Hufeisen landete auf der Stirn des Mannes, der sofort jeden Widerstand aufgab und in sich zusammenrutschte.

Der Rest war eine Kleinigkeit. »Hallo, Sie da!« rief Parker den

zweiten Mann an, der noch gar nichts mitbekommen hatte.

Der Angerufene reagierte auch

recht schnell, wandte sich um und schob dabei die Hand in Richtung Schulterhalfter. Er erblickte den alten Mann auf der Bank und ent-deckte in dessen Händen so etwas wie eine Gabelschleuder.

Mehr sah er dann allerdings nicht mehr.

Eine Ton-Erbse landete über seiner Nasenwurzel und beendete abrupt jede weitere Kontaktaufnahme.

*

»Sie haben die beiden Lümmel nicht mitgebracht?« fragte Lady Agatha ein wenig vorwurfsvoll. »So etwas zieht man doch aus dem Verkehr, Mister Parker.«

»Dies, Mylady, besorgte inzwi-schen die Polizei«, gab der Butler zurück.

Rein vom Aussehen her hatte er sich in einen hochherrschaftlichen Butler zurückverwandelt. »Meine Wenigkeit war so frei, einen Consta-bler auf zwei Männer aufmerksam zu machen, die sich gegenseitig umzubringen gedachten.«

»Ach ja?« Sie lächelte ein wenig versöhnt.

»Die beiden Männer wurden inzwischen von der Polizei in Gewahrsam genommen«, erzählte Parker weiter. »Da die Polizei ein Gewehr mit Zielfernrohr und zudem noch zwei Faustfeuerwaffen fand, dürften die beiden Leibwächter des

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Mister Stillson vorerst nicht freikom-men.«

»Nun ja, Mister Parker, das klingt doch alles recht hübsch«, meinte sie zusätzlich. »Es war vielleicht ein wenig umständlich, aber immerhin…«

»Mylady machen meine Wenigkeit ausgesprochen glücklich.«

»Und wie soll es jetzt weitergehen?«

»Mylady haben sicher vor, nun die Herren Stillson und McGivern zu besuchen. Die beiden Leibwächter sind ausgeschaltet und können nicht mehr hinderlich werden.«

»Sie können sogar vielleicht bezeu-gen, wer diesen Wettbüro-Menschen umgebracht hat, wie?«

»Dies wäre ein zusätzlicher Effekt, Mylady.«

»Worauf warte ich dann noch?« Sie warf sich in ihren nicht unbe-trächtlichen Busen und war bereit den nächsten Kampf aufzunehmen. Sie hatte sich bereits angekleidet und wollte freiwillig auf ihr Früh-stück verzichten, ein Opfer, das man nicht hoch genug einschätzen konnte.

Als Parker und Agatha Simpson nach einer halben Stunde in der schäbigen Halle des Hotels auf-kreuzten, bekam der Portier große Augen. Er kannte das Paar bereits recht gut, war er doch dazu überre-det worden, eine gewisse Zeit in einem Spind zu verbringen.

»Das darf doch nicht wahr sein«, sagte er mit versagender Stimme. »Ich glaub’s einfach nicht.«

»Zu Mister Osborn, der jetzt hof-fentlich anwesend ist«, sagte Parker und lüftete überaus höflich die schwarze Melone.

»Der Chef ist… ist… drüben im Büro«, lautete die Antwort. »Hören Sie, Sie brauchen mich nicht mehr in den Spind…«

»Dies ist vorerst nicht geplant«, beruhigte Parker ihn. »Würden Sie die Freundlichkeit haben, Mister Osborn zu rufen?«

»Sofort… Sofort.« Der Mann schlug mit der flachen Hand auf eine Tischglocke. Sie schepperte noch, als ein mittelgroßer, korpulen-ter Mann aus einem Hinterraum trat. Er erblickte Mylady und Parker, bremste seinen Schwung und wollte zurückkurven.

»Im Interesse Ihrer Gesundheit sollten Sie nicht das Weite suchen«, empfahl der Butler ihm. »Mylady hat einige Fragen an Sie zu richten.«

Osborn verzichtete auf Flucht und kam vorsichtig näher. Dabei zog er vorsichtig den Kopf ein.

»Mylady halten Sie für völlig unwichtig, Mister Osborn«, schickte der Butler voraus. »Es geht um die Herren McGivern und Stillson.«

»Die… Die sind nicht… Oder viel-leicht doch? Sie wollen sie besuchen?«

»Was sonst, junger Mann?« grollte

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die ältere Dame dazwischen. »Wo finde ich die beiden Subjekte?«

»Sie wollen hier eine Schießerei? Ich meine…« Er war völlig irritiert.

»Wo findet man die beiden erwähnten Personen, Mister Osborn?«

»Wären die doch längst weg«, seufzte Osborn.

»Sie werden Sie in kürzester Zeit als Gäste verlieren«, beruhigte der Butler ihn.

»Die stecken drüben im Querbau«, sagte Osborn hastig. »Aber die haben sich ganz schön abgesichert.«

»Die beiden Leibwächter der Her-ren sind bereits bei der Polizei, Mis-ter Osborn. Ihre Kooperationsbereit-schaft dürfte sich als recht strafmil-dernd auszahlen.«

»McGivern und Stillson stecken im Querbau, aber Sie kommen niemals durch den Korridor. Stillson hat den völlig unter Kontrolle.«

»Sie dürfen versichert sein, daß die beiden Personen ihre Unterkünfte willig räumen werden«, versicherte 1 Parker ihm und nickte Mylady zu. »Wenn es erlaubt ist, Mylady, wird man jetzt einige kleine Hilfsmittel aus dem Wagen holen, um die geplante Räumung voranzutreiben.«

*

Josuah Parker stand am Fuß einer brandig aussehenden Mauer, die zu einem ausgedienten Fabrikgelände

gehörte. Dieses Gebäude schloß sich an den Querbau des kleinen Hotels an. Am Fuß der Hauswand wucherte Wildkraut aller Art. Bren-nesseln waren mehr als reichlich vorhanden.

Parker befestigte gerade einen klei-nen Weidenkorb an eine Reihe von Schnüren, die ihrerseits zu herzför-migen, bunten Kinderluftballons gehörten, die alle prall gefüllt waren. Sie warteten nur darauf, frei-gegeben zu werden, um dann an der Hauswand aufsteigen zu können.

Diese hübschen Dinge des tägli-chen Lebens, die Parker hier zu einem improvisierten Freiballonen miniature zusammenfügte, stamm-ten aus dem Kofferraum seines hochbeinigen Monstrums. Die Fül-lung der kleinen, herzförmigen Bal-lons hatte Parker in der Küche des Hotels vorgenommen, dessen Herde mit Gas befeuert wurden.

Parker befaßte sich mit der Lunte, die aus einem Dynamitstab hervor-schaute. Er schätzte die Steigezeit ab, kürzte die Lunte mit seinem Taschenmesser auf ein Mindestmaß, entzündete sie mit seinem vorsint-flutlich aussehenden Feuerzeug und gab den Ballon frei. Mit diesmal schnellen Schritten brachte Parker sich in Sicherheit und nahm Deckung hinter der nahen Hause-cke.

Es kam genau so, wie er es voraus-berechnet hatte.

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Der Ballon schrammte zwar ein wenig an der Hausmauer entlang, stieg aber senkrecht nach oben und… wurde dann zu einem Feuer-ball, als die Sprengladung zündete. Donnerndes Krachen war zu ver-nehmen, eine dichte Staubwolke wallte aus der Mauer und Steinbro-cken flogen durch die Luft. Von dem Gewehr, das man durch eines der maschendrahtgesicherten Fabrik-fenster geschoben hatte, war nichts mehr zu sehen.

Als der Staub sich senkte, hatte die Wand ein großes Loch. Einige Fens-ter hingen windschief in den Mauer-öffnungen. Parker trat zurück und konnte jetzt einen Blick in die alte, aufgegebene Fabrik werfen. Hinter der teilweise eingestürzten Wand war der traurige Rest einer schmalen Treppe zu sehen, die in sich zusam-mengefallen war.

Auf diese Treppe hatte Osborn ihn aufmerksam gemacht. Sie gehörte zu Stillsons verstecktem Fluchtweg, doch dieser Weg war den beiden Gangstern nun mit Sicherheit abge-schnitten.

Butler Parker hörte über sich ein quälendes Husten und Stimmen. Dann entdeckte er zwei Gestalten, die versuchten, über den Torso der Treppe zu entkommen. Sie hielten sich an einem Eisengeländer fest und hangelten sich nach unten. Sie waren derart mit sich beschäftigt, daß sie den Butler nicht wahrnah-

men. Als sie wenig später ihre Hangelei

beendet hatten und nun durch das Loch in der Wand aussteigen woll-ten, wünschte Parker ihnen einen angenehmen Tag.

Dieser Wunsch kam derart unver-mutet, daß einer der beiden Männer seinen Halt verlor und abstürzte. Er landete zu Füßen des Butlers und knickte dabei mit dem linken Fuß um. Mit einem Aufschrei blieb er lie-gen.

»Mister McGivern, wie zu vermu-ten ist, nicht wahr?« fragte Parker.

»Vorsicht, er ist bewaffnet«, rief der junge Mann zu Parkers Füßen.

Nun, dies hatte der Butler bereits festgestellt. Bevor der Mann, der noch in der Mauerlücke hockte, seine Waffe auf ihn richten konnte, vibrierte bereits ein bunt gefiederter Pfeil in seinem entsprechenden Unterarm. Der Getroffene stieß einen Schrei aus, verlor das Gleich-gewicht und rutschte nach unten. Nach einem mißglückten Salto lan-dete er vor dem Butler und sagte ihm wenig später, daß er ihn bis aufs Blut hasse.

»Durchaus verständlich, Mister Stillson«, gab Parker zurück. »Sie wurden schließlich das Opfer jenes Nervenkrieges, den Sie gegen Mister McWarden inszenierten.«

*

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»Guter Gott«, seufzte der Chief-Superintendent einige Stunden spä-ter auf. »Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll. Ich werde der Presse einiges erzählen müssen. Die Sprengladung… Die Fabrikwand…«

»Reden Sie viel und sagen Sie nichts, mein lieber McWarden«, erwiderte Lady Agatha, die ihrem Gast einen kleinen Sherry kredenzen ließ. »Hat dieser Stillford wenigstens gestanden?«

»Stillson hat den Mord an Birnay zugegeben«, antwortete der Chief-Superintendent. »Der Mann ist völ-lig von der Rolle. Er sagte immer wieder, so etwas habe er selbst drü-ben in den Staaten noch nicht erlebt. Er hatte sich seine Arbeit hier in London ganz anders vorgestellt.«

»Man darf eben nicht ungestraft meinen Weg kreuzen«, ließ die ältere Dame sich munter verneh-men. »Was ist mit Ihrem Zeugen, mein lieber McWarden?«

»McGivern wird gegen Stillson aussagen«, wußte McWarden zu berichten. »In den vergangenen Tagen war er fast ein Gefangener dieses Stillson und hatte die ganze Zeit über Angst, von ihm ermordet

zu werden. Die Anklage steht, da gibt es keinen Zweifel mehr.«

»Darf man nach Mistreß Helen Bir-nay und Mister Blakers fragen?« warf der Butler ein.

»Stillson behauptet, sie hätten den Mord bestellt, das wiederum streiten Helen Birnay und Randy Blakers ab. Nun, man wird sich gegenseitig in die Pfanne hauen, Mylady, und ich habe nichts dagegen.«

»Was wären Sie ohne mich, mein lieber McWarden?« wollte Agatha Simpson sehr zufrieden wissen.

»Stillson hatte mich ganz schön geschafft«, räumte der Chief-Super-intendent ein.

»Man darf sich eben nicht mit einer Lady Simpson anlegen«, machte die ältere Dame deutlich. »Und auch Mister Parker hat durch-aus gewisse Qualitäten, wie ich frei-mütig einräumen möchte. Gut, er muß noch viel lernen, doch ich denke, er ist auf dem richtigen Weg.«

Parker und McWarden tauschten einen schnellen Blick, und der Butler verzichtete in gewohnt diskreter Weise darauf, dazu einen Kommen-tar zu geben.

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