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26 HMD 294 Christian Lambeck, Mirko de Almeida Madeira Clemente, Hannes Leitner Die Rolle der Technischen Visualistik in Unternehmensanwendungen Dieser Beitrag fokussiert einen zentralen Aspekt der Human Computer Interaction in Unterneh- mensanwendungen: die grafische Benutzer- schnittstelle mit ihren aktuellen Defiziten sowie möglichen Potenzialen. Auch wenn sich die Bedien- barkeit der Systeme insgesamt deutlich ver- bessert hat, gilt es zukünftig, noch einige Poten- ziale zu heben. Hierfür bietet die Disziplin der Technischen Visualistik erste Ansätze, die sowohl Visualisierung als auch Interaktion betreffen. Die Einbeziehung der situativen Bedürfnisse, Fähig- keiten und Erwartungen des Nutzers bildet hier- für eine elementare Voraussetzung. Inhaltsübersicht 1 Usability als Wettbewerbsfaktor für Unternehmenssoftware 2 Grenzen von Normen und Richtlinien 3 Beständigkeit von Usability-Problemen 4 Diskussion möglicher Ursachen 5 Unternehmensanwendungen im Wandel 5.1 Evolution der Information und Kommunikation 5.2 Evolution der Technologie 5.3 Evolution der Erwartungshaltung 5.4 Evolution der Unternehmensprozesse 6 Der Beitrag der Technischen Visualistik 6.1 Die Potenziale von Visualisierung und Interaktion 6.2 Strategien und Werkzeuge 6.3 Spezielle Herausforderungen im Projektmanagement 7 Literatur 1 Usability als Wettbewerbsfaktor für Unternehmenssoftware Der hohe Verbreitungsgrad von Unternehmens- anwendungen wird insbesondere anhand des weltweiten Umsatzes deutlich, der in 2011 rund 267 Milliarden US-Dollar betrug [Gartner 2011]. Die Gruppe der Enterprise-Resource-Planning- (ERP-)Systeme bildet dabei einen wesentlichen Anteil dieser Softwarekategorie und ist in ca. 92 % aller deutschen Industrieunternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern anzutreffen [Kon- radin 2009]. Ebenso zahlreich finden sich Werk- zeuge, die das (kollaborative) Arbeiten im Rah- men des (Multi-)Projektmanagements unter- stützen. Insbesondere bei der Informationsbe- schaffung aus unterschiedlichen Quellen gilt es, diese zunächst zu identifizieren, zusammen- zuführen und schließlich zu bewerten, um kon- krete und zuverlässige Planungsentscheidun- gen ableiten zu können. Dies erhöht den Kom- plexitätsgrad der Unternehmensprozesse und damit auch der Benutzeroberflächen beteiligter Systeme. Als Folge steigen ebenfalls die Erwar- tungen der Anwender an eine übersichtliche und leicht zu bedienende Nutzeroberfläche. Dieser Erwartungshaltung kann in heutigen Unternehmensanwendungen nicht immer im vollen Umfang entsprochen werden. Die weite Verbreitung von ERP- und Projekt- managementsystemen geht mit einer hohen Branchenvielfalt einher, die sich von Dienstleis- tungen und Finanzen über die Produktion bis hin zur öffentlichen Verwaltung erstreckt. Infol- ge der immensen Verbreitung können beste- hende Bedienungsprobleme erhebliche negati- ve Auswirkungen besitzen. Im Gegenzug bieten innovative Lösungsansätze, die diese Defizite adressieren, hohes Potenzial für zahlreiche An- wender in den unterschiedlichsten Domänen. Folglich erscheint die Auseinandersetzung mit der grafischen Benutzerschnittstelle als der zentralen Komponente zwischen Anwender und System als äußerst sinnvoll. Insbesondere

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Christian Lambeck, Mirko de Almeida Madeira Clemente, Hannes Leitner

Die Rolle der Technischen Visualistik in Unternehmensanwendungen

Dieser Beitrag fokussiert einen zentralen Aspektder Human Computer Interaction in Unterneh-mensanwendungen: die grafische Benutzer-schnittstelle mit ihren aktuellen Defiziten sowiemöglichen Potenzialen. Auch wenn sich die Bedien-barkeit der Systeme insgesamt deutlich ver-bessert hat, gilt es zukünftig, noch einige Poten-ziale zu heben. Hierfür bietet die Disziplin derTechnischen Visualistik erste Ansätze, die sowohlVisualisierung als auch Interaktion betreffen. DieEinbeziehung der situativen Bedürfnisse, Fähig-keiten und Erwartungen des Nutzers bildet hier-für eine elementare Voraussetzung.

Inhaltsübersicht1 Usability als Wettbewerbsfaktor für

Unternehmenssoftware2 Grenzen von Normen und Richtlinien3 Beständigkeit von Usability-Problemen4 Diskussion möglicher Ursachen5 Unternehmensanwendungen im Wandel

5.1 Evolution der Information und Kommunikation

5.2 Evolution der Technologie5.3 Evolution der Erwartungshaltung5.4 Evolution der Unternehmensprozesse

6 Der Beitrag der Technischen Visualistik6.1 Die Potenziale von Visualisierung und

Interaktion6.2 Strategien und Werkzeuge6.3 Spezielle Herausforderungen im

Projektmanagement7 Literatur

1 Usability als Wettbewerbsfaktor für Unternehmenssoftware

Der hohe Verbreitungsgrad von Unternehmens-anwendungen wird insbesondere anhand des

weltweiten Umsatzes deutlich, der in 2011 rund267 Milliarden US-Dollar betrug [Gartner 2011].Die Gruppe der Enterprise-Resource-Planning-(ERP-)Systeme bildet dabei einen wesentlichenAnteil dieser Softwarekategorie und ist in ca.92 % aller deutschen Industrieunternehmenmit mehr als 50 Mitarbeitern anzutreffen [Kon-radin 2009]. Ebenso zahlreich finden sich Werk-zeuge, die das (kollaborative) Arbeiten im Rah-men des (Multi-)Projektmanagements unter-stützen. Insbesondere bei der Informationsbe-schaffung aus unterschiedlichen Quellen giltes, diese zunächst zu identifizieren, zusammen-zuführen und schließlich zu bewerten, um kon-krete und zuverlässige Planungsentscheidun-gen ableiten zu können. Dies erhöht den Kom-plexitätsgrad der Unternehmensprozesse unddamit auch der Benutzeroberflächen beteiligterSysteme. Als Folge steigen ebenfalls die Erwar-tungen der Anwender an eine übersichtlicheund leicht zu bedienende Nutzeroberfläche.Dieser Erwartungshaltung kann in heutigenUnternehmensanwendungen nicht immer imvollen Umfang entsprochen werden.

Die weite Verbreitung von ERP- und Projekt-managementsystemen geht mit einer hohenBranchenvielfalt einher, die sich von Dienstleis-tungen und Finanzen über die Produktion bishin zur öffentlichen Verwaltung erstreckt. Infol-ge der immensen Verbreitung können beste-hende Bedienungsprobleme erhebliche negati-ve Auswirkungen besitzen. Im Gegenzug bieteninnovative Lösungsansätze, die diese Defiziteadressieren, hohes Potenzial für zahlreiche An-wender in den unterschiedlichsten Domänen.Folglich erscheint die Auseinandersetzung mitder grafischen Benutzerschnittstelle als derzentralen Komponente zwischen Anwenderund System als äußerst sinnvoll. Insbesondere

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aufgrund der großen Anzahl und Diversität derAnwendungen am Markt, die sich hinsichtlichder zu unterstützenden Unternehmensprozes-se, -größen oder Branchen unterscheiden, sindkonkrete Konzepte zur Steigerung der Usabilityschwer zu definieren. Zu unterschiedlichscheint das Verständnis darüber zu sein, wasallgemein als gebrauchstauglich gilt.

Weiterhin ist die interne Anwendungsland-schaft eines Unternehmens oftmals durch eineVielzahl von Systemen geprägt, deren Integrationdurch spezifische Schnittstellen oft aufwendigzu realisieren ist [Lambeck & Fohrholz 2013].Deshalb verwundert es kaum, dass Unterneh-mensanwendungen – und insbesondere diezentralen ERP-Systeme – bislang primär auf-grund ihrer Funktionalität, Migrationsfähig-keit, Technologie oder Prozessunterstützungausgewählt wurden. Ergonomische Kriterien,wie etwa die Übersichtlichkeit, die Nutzerfüh-rung oder auch die Unterstützung in Fehlersitu-ationen, standen hierbei weniger im Vorder-grund und wurden erst im Schulungsaufwandund der nachfolgenden Betriebsphase promi-nent.

Diese Situation befindet sich derzeit in ei-ner Phase des Umbruchs, die die Fokussierungder Hersteller auf Usability-Aspekte als einenzentralen Wettbewerbsfaktor erstarken lässt.Nachdem heutige Systeme die funktionalenAnforderungen weitestgehend zufriedenstel-lend erfüllen, rücken Auswahlkriterien wie dieUsability und darüber hinaus die User Experience,also das Nutzererlebnis, vor, während undnach der Bedienung stärker in den Mittelpunkt.Die Produkte auf dem Markt werden sich zu-nehmend daran messen lassen müssen, wie in-tuitiv, aber auch innovativ ihre Benutzeroberflä-che als zentrales Element der Mensch-Maschine-Kommunikation gestaltet ist. Dies liegtnicht zuletzt daran, dass Anwender die – oft-mals seit Jahren unveränderten – betrieblichenVisualisierungs- und Interaktionskonzepte denihnen bekannten Paradigmen des Consumer-Bereichs unweigerlich vergleichend gegenüber-

stellen werden. Somit ist zu erwarten, dass sichder Anspruch der Anwender gegenüber den Be-nutzeroberflächen von Unternehmensanwen-dungen, wie etwa ERP- und Projektmanage-mentsystemen, deutlich verändern wird.

2 Grenzen von Normen und RichtlinienDerzeit vorhandene Normen, Richtlinien undHandlungsempfehlungen (wie etwa die ISO-Norm 9241, insbesondere die Teile 11, 110 und210) sind zwar weit verbreitet, jedoch relativ ab-strakt formuliert, sodass es einer beträchtlichen»Interpretation« der Softwareunternehmen be-darf, diese Grundsätze in konkrete Benutzer-oberflächen und Interaktionskonzepte für be-stimmte Szenarien zu überführen. Der in Teil210 vorgeschlagene iterative Gestaltungspro-zess fokussiert im Schwerpunkt den Anwenderund dessen konkretes Aufgabenspektrum, umauf dieser Basis »Gestaltungslösungen [zu] ent-wickeln, die die Nutzeranforderungen erfüllen«[ISO 2010]. Die nicht funktionalen Nutzeranfor-derungen an das System werden unter ande-rem durch die Erwartungskonformität oder dieLernförderlichkeit beschrieben. Die Interpretationund Umsetzung dieser und weiterer Begriff-lichkeiten im jeweiligen Aufgabenkontext istnur in enger und frühzeitiger Kooperation mitdem Anwender zielführend umzusetzen.

Insbesondere die recht abstrakt formuliertePhase der Entwicklung einer Gestaltlösung be-darf im Weiteren einer professionellen Inter-facedesign-Kompetenz und könnte einer derGründe dafür sein, dass die Studie »Gebrauchs-tauglichkeit von Anwendungssoftware alsWettbewerbsfaktor für KMU« zu dem Ergebniskam, dass Softwarehersteller das Thema Usabi-lity zwar positiv aufgenommen haben, abernoch keine systematische Umsetzung erfolgte.Ebenso konnte festgestellt werden, »dass nuretwa ein Drittel der Befragten [Hersteller] dieUsability ihrer Produkte bereits als gut bis sehrgut einschätzt, während über 35 % die Usabilityals sehr gering bis mittelmäßig einschätzt«[IFM 2011, S. 227]. Dennoch scheinen ERP-Anbie-

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ter auf dem richtigen Weg zu sein. Vergleichtman die Ergebnisse der Konradin-Studien von2009 und 2011 hinsichtlich Benutzerfreundlich-keit und Erlernbarkeit, so bewerteten Anwen-der in Deutschland ihre Systeme in 2011 um 0,3bzw. 0,2 Notenpunkte besser (insgesamt Note»gut«). Ein möglicher Grund für diese positiveEntwicklung könnte unter anderem darin be-gründet sein, dass Hersteller das Thema derUsability zunehmend als Wettbewerbsfaktorerkannt und (ggf. externe) Gestaltungskompe-tenzen einbezogen haben.

3 Beständigkeit von Usability-Problemen

Im Rahmen von ERP-Zufriedenheitsstudienwird insbesondere die Erfüllung von Nutzerbe-dürfnissen bezüglich der Anwendung selbst un-tersucht. Die Problemidentifikation kann dabeinach Einführungs- und Betriebsphase unter-schieden werden. Als relevante, nutzerbezoge-ne Hürden wurden vor allem die Ergonomie(Platz 2/20) und der hohe Supportbedarf (Platz4/20) in der Betriebsphase sowie ein hoherSchulungsaufwand (Platz 7/15) in der Einfüh-rungsphase identifiziert [i2s 2011]. Diese Indika-toren deuten bereits auf erste Problemstellun-gen im Bereich der Ergonomie hin, die seit Jah-ren latent existieren.

In der wissenschaftlichen Literatur findensich zahlreiche Publikationen, die sich dem Ter-minus der Nutzerzufriedenheit (engl. User Satis-faction) widmen, diesen jedoch unterschiedlichinterpretieren. Die Aspekte reichen von organi-satorischen Faktoren wie der Unternehmens-kultur, der Unterstützung des Managementsund der Stellung des Anwenders im Unterneh-men bis hin zu individuell-nutzerzentriertenFaktoren wie etwa der Erfahrung, dem Selbst-vertrauen oder der subjektiv wahrgenomme-nen Nützlichkeit des Systems. Die Interaktiondes Anwenders mit der grafischen Benutzer-oberfläche eines ERP-Systems (und insbesonde-re den Visualisierungs- und Interaktionsaspek-

ten) ist hingegen deutlich seltener zu finden.Diese vereinzelten Forschungen untersuchenjedoch zentrale Faktoren wie die Navigation,Nutzerführung, visuelle Faktoren, kognitive Be-lastung sowie Erlernbarkeit (vgl. [Calisir & Cali-sir 2004] sowie [Ozen & Basoglu 2006]).

Deutlich prägnantere und explizit nutzer-bezogene Problemstellungen im Umgang mitERP-Systemen wurden bereits 2005 in einer Stu-die aufgezeigt [Topi et al. 2005]. Die in der Ar-beit beschriebenen Defizite umfassen unter an-derem die Identifikation und den Zugriff aufFunktionalitäten, die Unterstützung in Fehlersi-tuationen sowie die allgemeine Systemkomple-xität. Bestätigt wurden diese Ergebnisse in ei-ner weiteren Untersuchung im Jahr 2009, dieebenfalls die erschwerte Identifikation von In-formationen und die unzureichende Nutzerfüh-rung bemängelte. Ergänzend sind ebenso dievisuelle Komplexität des Layouts, schwer ver-ständliche Systemausgaben und eine geringeIntuitivität der grafischen Benutzeroberflächegenannt [Singh & Wesson 2009].

Da diese Ergebnisse einige Jahre zurücklie-gen, stellt sich die Frage nach ihrer Aktualitätund damit der heutigen Gültigkeit der Aussa-gen. In einer aktuellen Umfrage unter 196 Klein-und mittelständischen Unternehmen (KMU) inDeutschland gaben 47 % an, gelegentlich odergar häufig Probleme beim Auffinden von Infor-mationen und Funktionen zu haben [Lambeck& Fohrholz 2013, S. 8] Ebenso wurde die unzu-reichende Nutzerführung bemängelt. Auch dieals zu hoch empfundene Komplexität stellt lautder Studie nach wie vor ein Problem dar, fällt je-doch mit 40,4 % deutlich geringer aus als zu-nächst angenommen (vgl. Abb. 1). Zusammen-fassend lässt sich somit feststellen, dass we-sentliche Bedienungsprobleme heutiger ERP-Systeme bereits seit Jahren existieren und nachwie vor Gültigkeit besitzen. Allerdings zeichnetsich unter anderem aufgrund der zunehmen-den Auseinandersetzung der Hersteller mitdem Thema ein positiver Trend ab.

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4 Diskussion möglicher UrsachenAusgehend von den Phasen des Prozesses zur Ge-staltung gebrauchstauglicher, interaktiver Syste-me (vgl. Abb. 2) sollen im Folgenden mögliche Ur-sachen für die zuvor aufgeführten Usability-Pro-bleme diskutiert werden. Die Betrachtung ist dabeiauf den Schwerpunkt der grafischen Benutzer-schnittstelle ausgerichtet und gibt somit nur ei-nen Ausschnitt möglicher Ursachen wieder.

! Allgemeine und zu abstrakte RichtlinienDie allgemeingültige Definition von Usabilityund User Experience samt ihrer Merkmale er-möglicht eine grundsätzliche Anwendbarkeitauf eine Vielzahl interaktiver Systeme. Für diepragmatische Überführung dieser generi-schen Zielstellungen auf konkrete Anwen-dungsszenarien im Unternehmensbereichfehlen jedoch präzisere Handlungsanweisun-gen. Der iterative Entwicklungsprozess, aus-gehend von den standardisierten, aber allge-meingültigen Richtlinien unter Berücksichti-gung des konkreten Anwendungskontextssowie verfügbarer Technologien, bedingtmitunter zahlreiche Iterationen, um den ge-wünschten Grad an Usability und Nutzerzu-friedenheit zu erzielen (vgl. Abb. 2).

! Individuelle ErfahrungswerteIm Ergebnis eines jeden iterativen Entwick-lungszyklus entsteht beim Hersteller eine in-krementelle Wissensbasis, die aus den Erfah-rungen im Umgang mit dem Domain-,Usability-, Design- und Umsetzungswissenhervorgeht. Diese Erfahrungswerte beinhaltendie Interpretation und Konkretisierung der abs-trakten Vorgaben über die vier Iterationspha-sen hinweg (vgl. Abb. 2, Aufbau Wissensbasis).Diese Wissensbasis ist in der Regel jedoch her-stellerspezifisch, sodass aus ihr nur wenigeübertragbare Konzepte für eine Externalisie-rung abgeleitet werden können oder sollen.

! Mangelnde Einbeziehung von (externer) Ge-staltungskompetenzDie frühzeitige Einbindung der beteiligtenAnwender zur Identifikation und Spezifika-tion der Nutzungsanforderungen ist unver-zichtbar und bereits weitgehend etabliert.Unzureichend scheint hingegen die Einbezie-hung von (ggf. externen) Designkompeten-zen zu sein, wenn es gilt, die Usability- undDomainanforderungen in eine umfassendeKonzeption zu überführen. Die gestalteri-schen Kompetenzen bezüglich Visualisierungund Interaktion sind in Unternehmen gegen-

»Mein System ist sehr komplex, sodass ich von der Bedienung oftmals überfordert bin/den Überblick verliere.«

Stimme stark zu Stimme zu Stimme leicht zu Lehne leicht ab Lehne ab Lehne stark ab k.A.

2,8 %

15,7 %

37,9 %

30 %

9,3 %

3,6 %0,7 % 0,6 %

12,3 %

30,1 %

16,4 %

22,6 %

12,3 %

5,5 %

ERP-System [n=146] Zusätzliche Anwendungen (z.B. Tabellenkalkulation) [n=140]

[Lambeck & Fohrholz 2013, S. 8]

Abb. 1: Gegenüberstellung der Ergebnisse zur Komplexitätseinschätzung von ERP- und Zusatzsystem

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über softwaretechnisch-funktionalen Kom-petenzen deutlich geringer ausgeprägt.

! Begrenzte Visualisierungs- und Interaktions-vielfaltDerzeitige Unternehmensanwendungen be-dienen sich vorwiegend Visualisierungs- undInteraktionselementen (Tabellen, Formula-ren, Menüs, Standarddiagramme, Maus- undTastatureingabe), die seit Mitte der 1990er-Jahre etabliert sind. Innovative Konzepte, diedie Anwender bereits aus ihrem privatenAlltag kennen, werden zukünftig auch dieErwartungshaltung gegenüber Unterneh-mensanwendungen deutlich erhöhen. Hiergilt es, Konzepte einzubeziehen, die verfüg-bare technologische Potenziale (z.B. stationä-re Tabletop-Systeme und portable Tablets) so-wie konzeptionelle Potenziale (z.B. neuartigeVisualisierungsformen) berücksichtigen. Die-se Konzepte könnten die vom Anwender oft-mals als sehr vage formulierten Anforderun-gen nach »einfacher Bedienung«, »innovati-vem Design«, »Attraktivität«, »Interaktivität«und vor allem »Intuitivität« erfüllen.

5 Unternehmensanwendungen im Wandel

Aufgrund der anhaltenden Trends der jüngerenVergangenheit, wie etwa Cloud Computing,Analytics, Mobility und Social Media, lassen sicheinige weitere Effekte in der Evolution von Un-ternehmensanwendungen beobachten, die di-rekten Einfluss auf die Benutzeroberfläche ha-ben (werden). Diese betreffen im Wesentlichenden Wandel der Unternehmensinformation,der verwendeten Technologie, der zugrunde lie-genden Prozesse und folglich auch der Erwar-tungshaltung der Anwender gegenüber Syste-men, die diesen veränderten Anforderungengerecht werden wollen. Im Folgenden werdenvier Facetten dieser Evolution, basierend aufden Erkenntnissen von [Moore 2011], vorge-stellt, die aus Sicht der Autoren zukünftig vonbesonderer Bedeutung für grafische Benutzer-oberflächen im Unternehmensbereich seinwerden.

Anforderungenanalysieren

Interfacespezifizieren

Interfacerealisieren

Lösungsansatzreflektieren

2

3

4

1Domainwissen

Usability-wissen

Umsetzungs-wissen

Iteration 1

Iteration 2

?

?

1 DomainwissenKenntnisse von Anwen-dungskontext, Brancheund Nutzergruppen• Organisationsstruktur• Unternehmensprozesse• technische und organisatori- sche Rahmenbedingungen

2 UsabilitywissenAllgemeine Zielstellungen bezüglich Usability und User Experience • Richtlinien und Guidelines• (Internationale) Normen (ISO 9241 - 11,110,210)• Domainspezifische Vorgaben/Arbeitsschutz 4 Umsetzungswissen

Entwicklung eines (proto-typischen) Lösungsansatzes• Softwareentwurf• Frameworks, Toolkits• Technologien, Geräte

3 Designwissen Gestalterische Grundlagen bezüglich des Interfacedesigns • Layout, Raster, Komposition • Typografie, Farbschema • Animationen

Aufbau Wissensbasis

In jeder Iteration gilt es die »Best-Practices« bei der Problemlösung

aus allen Phasen zu konsolidieren. Unternehmensexterne und -interne Ent-

wicklungen bedingen die stetige Erweite-rung der eigenen Wissensbereiche.

Designwissen

in Anlehnung an den Prozess zur Gestaltung gebrauchstauglicher interaktiver Systeme (ISO 9241-210)

Der iterative Gestaltungsprozess von Unternehmensanwendungen aus Sicht der grafischen Benutzerschnittstelle

Abb. 2: Iterativer Interfacedesign-Prozess mit den Wissensbereichen Domäne (1), Usability (2), Design (3) und Umsetzung (4) (in Anlehnung an [ISO 2010]

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5.1 Evolution der Information und Kommunikation

Noch vor einigen Jahren ließen sich die meistenUnternehmensanwendungen als ein zentralesSystem of Records beschreiben, dessen Inhalteklaren hierarchischen Strukturen folgten, nurwenige, klar definierte Datentypen umfasstenund über restriktive Informationskanäle befülltwurden. Die Kommunikation erfolgte zumeistin einem systemgeführten Nutzerdialog undumfasste größtenteils die Ein- und Ausgabe vonFaktenwissen. Durch die heutige Integrationvon Social Media, mobilen Technologien undeiner zunehmend kollaborativen Kommunika-tionsform verändern sich auch die Informationenselbst. Diese sind nun verteilter, vielfältiger, un-strukturierter, umfangreicher und damit auchkomplexer, woraus sich die Forderung nach ge-eigneten Interaktionskonzepten ableitet.

5.2 Evolution der TechnologieNeben der breiten Verfügbarkeit mobiler End-geräte, serviceorientierter Architekturen und ei-ner zunehmenden Interaktivität der Benutzer-oberflächen haben sich auch die technologi-schen Voraussetzungen in den letzten Jahrenerheblich gewandelt. Mehrkernarchitekturen,In-Memory-Computing und erhöhte Bandbrei-ten erlauben eine Neuausrichtung in der Be-dienung von Unternehmensanwendungen[Schmalzried et al. 2013]. Dauerten komplexeSuchanfragen und Simulationen unter Einbe-ziehung zahlreicher Varianten und Determi-nanten bislang mehrere Minuten, liegen zuver-lässige Ergebnisse heute binnen Sekunden vor.Diese Performance schafft die Voraussetzungfür direkt manipulative und grafisch reichhalti-ge Nutzerschnittstellen insbesondere im Unter-nehmenskontext.

5.3 Evolution der ErwartungshaltungIn ihrem privaten Umfeld sind Anwender häufigmit deutlich fortschrittlicheren Visualisierungs-und Interaktionsformen konfrontiert, als dies

im Unternehmen der Fall ist. Zudem kann manim privaten Umfeld einer breiten Gerätevielfaltbegegnen. Während der Interaktion mit demEntertainmentsystem im Pkw, Multitouch-Dis-plays in Museen sowie im Spielebereich erfah-ren private Anwender einen hohen Innovations-grad: gestenbasierte Interaktion, Mehrbenut-zerkollaboration, adaptive und animierteVisualisierungen, explorative Suchparadigmenoder auch haptische Objekte (sogenannte Tan-gibles) in Kombination mit Tabletop-Systemen.Auch wenn diese Konzepte sicher nur für einigeGeschäftsprozesse sinnvoll erscheinen, wirdsich die Erwartungshaltung der Anwender indiesen Bereichen entsprechend verändern.

5.4 Evolution der UnternehmensprozesseHeutige Unternehmensprozesse sind oftmalsdurch einen hohen Komplexitätsgrad gekenn-zeichnet, der zahlreiche Personen und Abhän-gigkeiten, eine enorme Datenmenge und -viel-falt, kurze Reaktionszeiten oder auch verteilteRessourcen einschließt. Das Auffinden von In-formationen, Herstellen von Zusammenhän-gen, Erkennen von Konflikten, Bewerten von Al-ternativen und Herbeiführen von zuverlässigen(Planungs-)Entscheidungen ist unter diesenRahmenbedingungen eine besondere Heraus-forderung für den Anwender – und damit auchfür die Gestaltung der Benutzeroberfläche.

Um einerseits diesen steigenden Erwartun-gen gerecht werden zu können, andererseitsdas Interfacedesign zukünftiger Unterneh-mensanwendungen nutzerzentriert zu gestal-ten, empfiehlt sich ein Blick auf den noch jun-gen Forschungsbereich der Technischen Visua-listik. Dieser adressiert sowohl die Interaktionals auch die Visualisierung und erforscht somitzwei zentrale Themen der Human Computer In-teraction. Die in der Technischen Visualistik ver-orteten Konzepte können auf einige Unterneh-mensanwendungen, wie etwa ERP- oder Pro-jektmanagementsysteme, übertragen werdenund somit einen wesentlichen Beitrag zu derenEntwicklung leisten.

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6 Der Beitrag der Technischen Visualistik

Die Technische Visualistik versteht sich als eineanwendungsorientierte Forschungsrichtung imSchnittgebiet der Hard- und Softwareentwick-lung mit Fokus auf der nutzerabhängigen Da-tenvisualisierung. Ziel ist es, konkrete und inte-grative Lösungen auf bestehende Probleme gra-fischer Benutzerschnittstellen anbieten zukönnen. Dabei liegt ein besonderes Augenmerkauf dem Nutzer und den für seinen spezifischenAnwendungskontext natürlichen Handlungs-mustern. Sie werden in der Technischen Visua-listik unter dem Interaktionsparadigma des si-tuativen Interagierens zusammengefasst undschließen sowohl die Relationen zwischen demNutzer und den Interaktionsobjekten als auchdie Relationen zwischen den Nutzern unterein-ander ein. Die Gestaltung einer natürlichen Be-nutzerschnittstelle erfordert die multimodaleErfassung der Nutzerinteraktion unter Berück-sichtigung der Räumlich- und Zeitlichkeit, dader Mensch die simultane Verwendung mehre-rer Sinnesmodalitäten aus seiner realen Um-welt gewohnt ist. Eine wichtige Voraussetzungsind nicht allein geeignete Hardwarelösungen,sondern auch entsprechende grafische Benut-zerschnittstellen. Dies gelingt nur in der inter-disziplinären Zusammenarbeit vielfältiger Ex-pertisen, die sich in der Technischen Visualistikaus Soft- und Hardwaretechnologie, Medienge-staltung, Psychologie und dem technischen De-sign zusammensetzen.

6.1 Die Potenziale von Visualisierung und Interaktion

Die zu verzeichnende Evolution (vgl. Abschnitt 5)birgt großes Potenzial für die Entwicklung inter-aktiver Darstellungen und somit auch für inno-vative Ansätze zukünftiger Unternehmensan-wendungen. Durch den technologischen Wan-del existiert eine Vielzahl an Geräten auf demMarkt, die multimodale Interaktion durch Ges-ten, Blick oder Sprache ermöglichen. Die stei-

gende Leistungsfähigkeit sorgt dafür, dass derNutzer durch dynamische Zustandsübergängekomplexer Datenvisualisierungen beim Ver-ständnis von Sachverhalten unterstützt werdenkann. Weiterhin ergeben sich aus der zuneh-menden Verbreitung mobiler Endgeräte neuar-tige Szenarien, die sich bei der Gestaltung vonArbeitsprozessen gezielt aufgreifen lassen undaussichtsvolle Perspektiven aufzeigen.

Die steigende Erwartungshaltung der An-wender, die durch den technologischen Wandelbegünstigt wird, hat nicht nur einen forderndenCharakter. Durch den Einzug von Multitouch-fä-higen Geräten und Tracking-Systemen in denConsumer-Bereich wird der Umgang mit diesenTechnologien fortlaufend erprobt. Bei der Ent-wicklung von aktuellen Unternehmensanwen-dungen können sich die von den Anwendern er-lernten Fähigkeiten zunutze gemacht werdenund einen Beitrag zur Erwartungskonformitätleisten. Deshalb ist es sehr lohnenswert, zu prü-fen, ob etablierte Handlungsmuster in Unter-nehmensanwendungen übertragen werdenkönnen.

Im Hinblick auf den zu beobachtendenWandel der Information und Kommunikationbergen Visualisierung und Interaktion weiterePotenziale. Der synergetische Einsatz beiderDisziplinen ermöglicht die Erstellung von An-wendungen, die ihre Nutzer dabei unterstüt-zen, ein gemeinsames Verständnis von Sachver-halten zu erarbeiteten und in einer zugängli-chen Form visuell festzuhalten. Ein Beispielhierfür sind Skizzen, die sich in einem Meetingeffektiv zur Strukturierung oder anschaulichenKommunikation von Inhalten anbieten. Durchden Einsatz moderner Technologien können sievon mehreren Teilnehmern eingesehen, in Zu-sammenarbeit verfeinert und in Echtzeit mitunternehmensspezifischen Daten angerei-chert werden.

Auch für die zunehmende Komplexität derUnternehmensprozesse eröffnen visuelle Mit-tel einen ergiebigen Lösungsraum. Bilder kön-nen in ihrem Detailgrad variiert werden, ohne

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deren Aussage zu beeinflussen, und sind somitein wirksames Werkzeug im Umgang mit gro-ßen Informationsmengen. Im Zusammenspielmit der Interaktion lassen sich verbildlichte In-formationsräume schrittweise und explorativerschließen oder in Abhängigkeit von ihremKontext aus einer speziell angepassten Perspek-tive betrachten.

Die aufgezeigten Potenziale motivieren dieintensivere Auseinandersetzung mit bildge-stützten Benutzerschnittstellen bei der Ent-wicklung von Unternehmensanwendungenwie den ERP- und Projektmanagementsyste-men. Sie verdeutlichen, dass es nicht ausreicht,ausschließlich Lösungen unter softwaretechno-logischen Gesichtspunkten zu betrachten.

6.2 Strategien und WerkzeugeUnter Berücksichtigung des situativen Inter-agierens und anhand der genannten Potenzialegilt es, konkrete Strategien und Werkzeuge zuentwickeln. Die Technische Visualistik nähertsich dieser Aufgabe aus unterschiedlichen Rich-tungen: Das Recherche- und AnalysewerkzeugDelViz (vgl. Abb. 3, links) bietet einen effizientenZugang zur bestehenden Vielfalt an Technikenim Bereich der Informationsvisualisierung. DieAnwendung kann dafür verwendet werden, dasbegrenzte Repertoire an Visualisierungs- undInteraktionstechniken (vgl. Abschnitt 4) im Be-reich von ERP- und Projektmanagementsyste-men durch neue Lösungsansätze zu erweitern.Die zugrunde liegende Datenbasis lässt sichmittels vordefinierter Kriterien durchsuchen. Ist

bei der Interfacegestaltung (vgl. Abb. 2, Design-wissen) beispielsweise die Datenstruktur der zuvisualisierenden Daten bekannt, zeigt die Aus-wahl entsprechender Kriterien wie Hierarchieoder Netzwerk mögliche Lösungen an.

Ein weiterer Schwerpunkt der TechnischenVisualistik untersucht neue Wege zur Explorationkomplexer Informationsräume. In Unterneh-mensanwendungen werden Informationen inder Regel mithilfe von Freitextsuche oder Ver-zeichnisstrukturen gesucht. Insbesondere neueMitarbeiter mit fehlender Kenntnis über das fir-menspezifische Vokabular werden dadurch vordie Herausforderung gestellt, die leer stehen-den Eingabefelder mit den richtigen Suchbe-griffen zu befüllen. Weiterhin besteht die Ge-fahr, während des Suchens in »Sackgassen« zugeraten. Ein explorativer Zugriff auf die Datenermöglicht hingegen die schrittweise Anpas-sung des Suchgegenstands. Durch Empfehlun-gen kann das System den Anwender nach ei-ner nicht zufriedenstellenden Anfrage Alter-nativen vorschlagen bzw. den Suchbegriffanpassen.

Bei der Implementierung von gestenbasier-ten Oberflächen sind Softwareentwickler in derRegel vom Umfang bestehender Bibliothekenabhängig oder aber gezwungen, viel Aufwandfür speziell angepasste Lösungen zu betreiben.Die Formalisierung von Gesten unterstützt denEntwicklungsprozess und trägt dazu bei, dieEntwicklungsdauer bzw. -kosten zu reduzieren(vgl. Abb. 2, Umsetzungswissen). Sie basiert aufeiner speziellen Beschreibungssprache für Ges-

Abb. 3: Recherche- und Analysewerkzeug DelViz (links) und Gestenerkennung auf Multitouch-fähigem Tabletop (rechts)

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ten, die sowohl vom Menschen als auch vomComputer gelesen bzw. interpretiert werdenkann.

6.3 Spezielle Herausforderungen im Projektmanagement

Im Projektmanagement ist zu beobachten, dasslangfristige und aus traditionellen Vorgehens-modellen (top-down) entstehende Projektpläneaufgrund von Fehleinschätzungen oder unvor-hersehbaren Ereignissen häufig bereits nachkurzer Zeit angepasst oder verworfen werdenmüssen. In Kooperation mit der queo GmbHwird dieses Problem im laufenden Forschungs-projekt Vizamp durch die stärkere Einbeziehungagiler Ansätze (bottom-up) adressiert. Diesführt dazu, dass der sozialen Interaktion zwi-schen Mitarbeitern und deren Austausch vonErfahrungswissen nach dem Prinzip der Weis-heit der Vielen (engl. »The Wisdom of Crowds«)[Surowiecki 2004] eine besondere Bedeutungbeigemessen wird. Dadurch sollen Konfliktefrüher erkannt und den beteiligten Mitarbei-tern mehr Verantwortung übertragen werden,die Konflikte dort zu lösen, wo sie entstehen.Zudem soll der Planungsaufwand reduziert unddie langfristige Planungssicherheit erhöht wer-den. Die im Projekt entwickelten Konzepte fürzukünftige Projektmanagementsysteme stellenLösungsansätze für die drei SchlüsselszenarienProjektplanung, Projektmeeting und Kapazitäts-

meeting dar (vgl. Abb. 4), die auf einem iterati-ven Planungsmodell nach dem Middle-out-An-satz basieren. Es beschreibt die Aggregationund den Austausch von Plandaten auf unter-schiedlichen Kompetenzstufen.

Im Szenario Projektplanung geht es darum,die Planung der unterschiedlichen Kompeten-zen im Projektteam, die vom Projektmanagerbis hin zum Mitarbeiter reichen, ganzheitlichzusammenzuführen. Dieser Prozess wird durchzielorientierte und adaptive Planungsansich-ten unterstützt, die den Mitarbeitern lediglichdie benötigten Informationen anzeigen. Sopflegt der Projektmanager grobe Rahmendatenwie Phasen oder Meilensteine in das Systemein, während die Mitarbeiter die Feinplanungdes laufenden Arbeitstags mithilfe einer redu-zierten Aufgabenübersicht zum Abhakendurchführen.

Im Projektmeeting erfolgt die Feinplanungin kollaborativer Abstimmung der Mitarbeiterdurch Erstellen, Schätzen und Verteilen vonAufgaben. Das Konzept sieht dafür den Einsatzeines Multitouch-fähigen Tabletop-Systems vor.Im Gegensatz zu einseitig ausgerichteten Dis-plays erlaubt es die direkte Kommunikation vis-à-vis und gleichzeitige Verfeinerung der Pla-nung durch mehrere Mitarbeiter.

Im Kapazitätsmeeting werden die durch dasManagement mehrerer paralleler Projekte be-dingten Konflikte gelöst. Um die Interaktion des

Kapazitätsmeeting Projektmeeting

Projektplanung

Abb. 4: Szenarien der Projektplanung nach dem Middle-out-Ansatz

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Technische Visualistik in Unternehmensanwendungen

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vortragenden Projektmanagers mit den Teil-nehmern und den Eingabegeräten des Systemsfließender zu gestalten, aber auch den anderenTeilnehmern temporär die Möglichkeit zu ge-ben, mit dem System zu interagieren, wurde derEinsatz eines Kamera-Tracking-Systems unter-sucht. Eine besondere Herausforderung bestehtin der Erstellung eines Gesten-Sets, das dieWahrscheinlichkeit für ungewollte Funktions-aufrufe gering hält und natürlich in der Bedie-nung anmutet.

Diese lediglich kurz beschriebenen For-schungsbereiche machen bereits deutlich, dassdie Datenvisualisierung und der Entwurf von Be-nutzerschnittstellen eine permanente Auseinan-dersetzung mit der stetigen Evolution erfordert.Im Entwicklungsprozess von Unternehmensan-wendungen erweitern die vorgestellten Konzep-te insbesondere die zielgerichtete Auswahl vonInterfacekomponenten sowie die Realisierung di-rekt manipulativer Visualisierungen und senkenso die Hürde für den Einsatz innovativer Techno-logien im Unternehmenskontext.

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Technische Visualistik in Unternehmensanwendungen

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Dipl.-Medieninf. Christian LambeckDipl.-Medieninf. Mirko de Almeida Madeira ClementeDipl.-Medieninf. Hannes LeitnerTechnische Universität DresdenFakultät InformatikNöthnitzerstr. 4601062 Dresden{christian.lambeck, mirko.clemente, hannes.leitner}@tu-dresden.dehttp://mg.inf.tu-dresden.de

Lambeck, C.; Clemente, M.; Leitner, H.: Die Rolle der Technischen Visualistik in Unternehmensanwendungen. HMD – Praxis der Wirtschaftsinformatik 50 (2013), 294, S. 26-36.

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