die dimensionen der kristallinen bereiche in fasern aus regeneratcellulose

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Die Angewandte Makromolekulare Chemie 138 (1986) I - 19 (Nr. 2252) * Forschungsabteilung der Firma Chemiefaser Lenzing AG, A-4860 Lenzing, Osterreich ** Institut fur Physikalische Chemie der Universitat Graz, Heinrichstr. 28, A-8010 Graz, Osterreich *** Zentrum fur Elektronenmikroskopie, Graz, Osterreich Die Dimensionen der kristallinen Bereiche in Fasern aus Regeneratcellulose Jurgen Lenz*, Josef Schurz*”, Erich Wrentschur** und Wolfgang Geymayer*** Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. G. V. Schulz zum 80. Geburtstag mit herzlichen Gluckwunschen gewidmet (Eingegangen am 8. Juli 1985) ZUSAMMENFASSUNG: Die Dimensionen der kristallinen Bereiche von Regeneratcellulosefasern wurden mittels Transmissionselektronenmikroskopie, Rontgenkleinwinkelstreuung und Rdntgenweitwinkeldiffraktion bestimmt. In befriedigender Ubereinstimmung wur- den nach allen drei Methoden folgende Abmessungen gefunden: Lange: 120 - 140 A, Breite: 80 - 100 A, Dicke: 30 -40 A. Die breite Ebene der blattchenformigen Kristal- lite verlauft parallel zur 101-Netzebene, die schmale Kantenebene parallel zur 101 - Netzebene. Die Kristallite bilden Ketten mit einer Lange von 1500 bis 5500 A, die teil- weise zu Clustern mit einem Durchmesser von 300 bis 600 A gebundelt sind, teilweise durch Zonen geringerer Dichte voneinander getrennt sind. Die Abstande zwischen den kristallinen Bereichen betragen in LPngs- und Querrichtung 20 bis 40 A. SUMMARY: The size of the crystalline regions of regenerated cellulosic fibers was determined by means of transmission electron microscopy, small angle X-ray scattering, and wide angle X-ray diffraction. All three methods lead in satisfying conformity to the follow- ing dimensions: length: 120-140 A, width: 80- 100 A, thickness: 30-40 A. The broad plane of the platelet shaped crystallites is situated parallel to the 10i-lattice plane, the small edge plane has an orientation parallel to the 101-lattice plane. The a Korrespondenzautor. @ 1986 Huthig & Wepf Verlag, Basel OOO3-3146/86/$03.00 1

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Page 1: Die dimensionen der kristallinen bereiche in fasern aus regeneratcellulose

Die Angewandte Makromolekulare Chemie 138 (1986) I - 19 (Nr. 2252)

* Forschungsabteilung der Firma Chemiefaser Lenzing AG, A-4860 Lenzing, Osterreich

** Institut fur Physikalische Chemie der Universitat Graz, Heinrichstr. 28, A-8010 Graz, Osterreich

*** Zentrum fur Elektronenmikroskopie, Graz, Osterreich

Die Dimensionen der kristallinen Bereiche in Fasern aus Regeneratcellulose

Jurgen Lenz*, Josef Schurz*”, Erich Wrentschur** und Wolfgang Geymayer***

Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. G. V. Schulz zum 80. Geburtstag mit herzlichen Gluckwunschen gewidmet

(Eingegangen am 8. Juli 1985)

ZUSAMMENFASSUNG: Die Dimensionen der kristallinen Bereiche von Regeneratcellulosefasern wurden

mittels Transmissionselektronenmikroskopie, Rontgenkleinwinkelstreuung und Rdntgenweitwinkeldiffraktion bestimmt. In befriedigender Ubereinstimmung wur- den nach allen drei Methoden folgende Abmessungen gefunden: Lange: 120 - 140 A, Breite: 80 - 100 A, Dicke: 30 -40 A. Die breite Ebene der blattchenformigen Kristal- lite verlauft parallel zur 101-Netzebene, die schmale Kantenebene parallel zur 101 - Netzebene. Die Kristallite bilden Ketten mit einer Lange von 1500 bis 5500 A, die teil- weise zu Clustern mit einem Durchmesser von 300 bis 600 A gebundelt sind, teilweise durch Zonen geringerer Dichte voneinander getrennt sind. Die Abstande zwischen den kristallinen Bereichen betragen in LPngs- und Querrichtung 20 bis 40 A.

SUMMARY: The size of the crystalline regions of regenerated cellulosic fibers was determined by

means of transmission electron microscopy, small angle X-ray scattering, and wide angle X-ray diffraction. All three methods lead in satisfying conformity to the follow- ing dimensions: length: 120-140 A, width: 80- 100 A, thickness: 30-40 A. The broad plane of the platelet shaped crystallites is situated parallel to the 10i-lattice plane, the small edge plane has an orientation parallel to the 101-lattice plane. The

a Korrespondenzautor.

@ 1986 Huthig & Wepf Verlag, Basel OOO3-3146/86/$03.00 1

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J. Lenz, J. Schurz, E. Wrentschur und W. Geymayer

crystallites form strands, which have a length of 1500-5500 A. They are partly bundled up to clusters with a diameter of 300 - 600 A, partly separated by less dense spacings. The distance between the crystalline regions amounts to 20-40 A in longi- tudinal and cross direction.

I . Einleitung

Die textilmechanischen Eigenschaften von Fasern aus Regeneratcellulose sind von zahlreichen Strukturparametern abhangig, unter anderem auch von den Dimensionen der kristallinen Bereiche. So kann man die unterschiedli- chen Eigenschaften von Modal- bzw. Polynosicfasern teilweise durch die un- terschiedliche Kristallitgrolje erklaren. Interessant ist dieses Strukturmerk- ma1 auch wegen des Vergleichs rnit cellulosischen Naturfasern.

Zur Bestimmung der Kristallit-Dimensionen wurden bisher hauptsachlich vier Wege beschritten: Elektronenmikroskopie, Rdntgenkleinwinkelstreu- ung, Rontgenweitwinkeldiffraktion und die Bestimmung des level-off-Poly- merisationsgrades. Diese Untersuchungen erbrachten zahlreiche Ergebnisse, die summarisch wie folgt zusammengefaljt seien:

1. I Elektronenmikroskopie

Es wurden die mit Mineralsaure hydrolysierten und gegebenenfalls mit U1- traschall desintegrierten Fasern untersucht. An Viskosefilamentgarnen fand Ribi' isotrope Stabchen ziemlich einheitlicher Dicke von 70 A. Woods2 be- obachtete an Fortisanfasern Kristallite mit einer Breite von 1 4 0 und einer Dicke von 35 A. Dagegen erscheinen die von Schurz3 aus Fortisan erhaltenen Kristallite als isotrope, prismatische Partikel mit einer Kantenlange von 160 bis 220 A. Krassig4 hat das Langenspektrum von hydrolysierten Fortisanfa- sern aufgenommen und ein Maximum bei ca. 250 A festgestellt. Demgegen- iiber fand Morehead' fur dieselbe Fasergattung eine mittlere Kristallitlange von 334 A bei einer Dicke von 27 A und einer Breite von 50 A.

Die Kristallitlangen kann man nach Hess6 elektronenmikroskopisch auch an intakten Fasern nach Adsorption von Jod sichtbar machen. An Fortisan- fasern erhielt Hess Periodizitaten von 100 bis 150 A, Schurz3 solche von 200 bis 300 A.

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Dimensionen der kititallinen Bereiche con Regeneratcellulose

1.2 Rontgenkleinwinkelstreuung

Die Breite der kristallinen Bereiche senkrecht zur Faserachse wird aus dem Verlauf der aquatorialen Streuungsintensitatskurve abgeleitet. Bei hochge- quollenen Fasern werden die Intensitatskurven gemaD der Theorie der Parti- kelstreuung ausgewertet. Kompakte Fasern weisen manchmal interpartiku- lare Interferenzen auf und werden theoretisch als dichte Packung von Cellu- losekristalliten behandelt ’.

In der aquatorialen Streukurve saurebehandelter und gequollener Forti- sanfasern stellte Hermans’ ein Intensitatsmaximum fest, das einem Abstand der morphologischen Einheiten quer zur Faserachse von 70 A entspricht. Es verschwindet beim Trocknen. Auch andere Fasergattungen lieferten Streu- kurven mit deutlich sichtbaren Inflektionen, die durch Quellung verstarkt wurden. Aus den Dickenperioden wurden nach dem Braggschen Gesetz Fi- brillendurchmesser von ca. 50 A berechnet, die sich durch Quellung auf 80 A vergroflern’. Heyn’O~’’ berechnete aus den aquatorialen Streukurven gequol- lener Viskosefasern bei Annahme einer zylindrischen Partikelform Kristallit- durchmesser von 36 A. Demselben Autor gelang es auch, die interpartikula- ren Interferenzerscheinungen durch Nachverstreckung der gequollenen Fa- sern wieder ruckgangig zu machen. Aus der kontinuierlich mit dem Streu- winkel abfallenden Intensitatskurve berechnete er einen Durchmesser fur die als runde Stabchen behandelten Kristallite von 43 A”.

KratkyI3 fand das Intensitatsmaximum in der Streukurve erst nach Elimi- nierung des Lorentz-Faktors der Lamellenbreite und leitete daraus eine mitt- lere Fibrillendicke trockener, schwach luftgequollener Viskosefasern von 46 A ab. Die Untersuchung luftgequollener Faden nach Herrnan~’~ ergab einen rechteckigen Kristallitquerschnitt mit einer Breite von 99 A und einer Dicke von 30 A und an anderer Stelle Abmessungen von 150 bzw. 60 A”. Das hier gefundene Nebenachsenverhaltnis von 1 : 3 bestatigt die von Woods elektro- nenmikroskopisch nachgewiesene blattchenformige Gestalt der Cellulose-II- Kristallite. Die Messungen der Fibrillendicke von Hosemannl6, die nach der Theorie der Parakristallinitat ausgewertet wurden, weichen von der genann- ten GroDenordnung nicht ab.

Die Bestimmung der Kristallitlthge ist weniger kompliziert, da die meri- dianalen Streukurven von cellulosischen Regeneratfasern nach Hess und Kiessig nach einer hydrolytischen Behandlung mit Saure stets ein ausgeprag- tes Intensitatsmaximum aufweisen, welches nach dem Braggschen Gesetz ausgewertet wird. Es liegt im allgemeinen bei Werten zwischen 140 und 190 A”*’*.

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I . 3 Ron tgen weit w inkeldiff raktion

Die Kristallitdimensionen konnen auch aus den Halbwertsbreiten der rechnerisch aufgelosten, aquatorialen und meridianalen Rontgenweitwinkel- interferenzen nach der Formel von Scherrer berechnet werden. Die Werte werden jedoch durch den EinfluD von Kristallgitterdefekten und durch die instrumentelle Peakverbreiterung verfalscht. Die Abweichungen sollen hin- sichtlich beider Effekte 10% nicht uber~chreiten'~. Die Halbwertsbreite der Banden wird von einigen Autoren mit 19,z0, von anderen ohneZ1 vorherige Subtraktion der Untergrundstreuung der ,,amorphen Phase" ermittelt. Un- ter der letztgenannten Bedingung betragt nach KrassigZ2 die Kristallitbreite quer zur 101-Netzbreite bei Fortisan 140 A, bei Viskosefasern je nach Gat- tung 80 bis 95 A, quer zur 10T-Netzebene 100 bzw. 70 bis 80 A.

Diese Werte stehen offenbar in einem gewissen Widerspruch zu dem unter 1.2 erwahnten Konzept einer Blattchengestalt der Cellulose-II-Kristallite. Im Fall von Fortisanfasern fand Krassig zwar eine breitere und eine schmalere Seite, doch mul3te man die Seiten in Bezug auf die Netzebenen vertauschen, um Ubereinstimmung mit anderen Untersuchungsergebnissen herzustellen. Nach Frey-Wyssling und Kratky verlauft die Breitseite der Kristallite, die so- genannte Blattchenebene, namlich quer zur l Of-Netzebene und die Schmal- seite, die sogenannte Kantenebene, quer zur 101 - N e t ~ e b e n e ~ ~ . ~ ~ .

Die geometrische Zuordnung der Netzebenen zu den Kristallitebenen er- gibt sich aus der Verfolgung der Deformationsvorgange beim Verstrecken von Viskosefasern. Hierbei dreht sich namlich die Blattchenebene schneller in die Dehnungsrichtung als die Kantenebene der Kristallite. Diese ,,Blatt- cheneffekt" genannte Erscheinung beobachtete KratkyZ5 durch Bestimmung der Orientierung der beiden Netzebenen mittels der Rontgenweitwinkeldif- fraktion.

Auch die Kristallitlange kann durch Anwendung der Scherrer-Formel be- stimmt werden. Hierzu wird die Rontgenweitwinkelinterferenz der diatropen 040-Netzebene herangezogen. Um ein zur Vermessung der Halbwertsbreite erforderliches scharfes Peak-Profil zu erhalten, wird die Faserachse nach Kast26 um 17 O gegen den Rontgenstrahl geneigt. Bei dieser Messung mu13 die instrumentelle Bandenaufweitung berucksichtigt werden, indem man von der experimentellen Halbwertsbreite die Halbwertsbreite eines Saccharose- kristalls abzieht. Auch Patil" vertritt die Auffassung, dal3 die meridianalen Interferenzen im Gegensatz zu den aquatorialen um Banden-verbreiternde Einflusse korrigiert werden mussen. Watanabe2*wertete die korrigierten Halbwertsbreiten mittels einer Formel von Hallz7 aus, die im Gegensatz zur

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Dimensionen der kristallinen Bereiche con Regeneratcellulose

Scherrer-Formel einen Faktor fur Gitterstorungen enthalt. Die von diesen Autoren gefundenen Werte fur die Kristallitlange stimmen rnit den entspre- chenden Langperioden gut iiberein.

Wenn man die nach diesen drei Mefimethoden erhaltenen Ergebnisse im Hinblick auf die lateralen Abmessungen der kristallinen Bereiche vergleicht, stellt man gewisse Abweichungen fest. Eine bessere Ubereinstimmung be- steht in Bezug auf die Kristallitlangen. Wir fiihren diese Differenzen darauf zuriick, da13 die drei Methoden auf verschiedene Praparate bei unterschiedli- cher Vorbehandlung angewendet wurden.

Um zu vergleichbaren Mefiresultaten zu kommen, ist es sicher vorteilhaft, die drei Verfahren auf ein und dasselbe Praparat anzuwenden. Erganzend sollten auch der Kristallinitatsindex, die Kristallitorientierung sowie die Hohlraumkenndaten in die Betrachtung miteinbezogen werden.

Wir haben diesen Versuch am Beispiel von Modalfasern unternommen, da bei dieser Fasergattung Grorje und Gestalt der morphologischen Einheiten fur die textilmechanischen Faserdaten besonders wichtig ~ i n d ~ ~ .

2. Experimenteller Teil

2. I Probenmaterial

Es wurden insgesamt 12 Modalfaserproben untersucht. 8 wurden in 2 Serien zu je 4 Versuchen (1/1 - 4; 2/1 - 4) an einer Versuchsspinnmaschine erzeugt, 4 an einer Pro- duktionsspinnmaschine (3 - 6). Abgesehen von dem verwendeten Spinnmaschinentyp unterscheiden sich die Faserproben nach der Art des verwendeten Modifiers. Die Ver- suche 1 /2 - 4, 2/2 - 4 und 4 wurden rnit einem hohermolekularen Modifier, die ubri- gen rnit einem technisch ublichen niedermolekularen Modifier ersponnen. Samtliche Faserproben wurden vor den jeweiligen Messungen in I n Salzsaure bei 60 "C 24 Stun- den hydrolysiert. Der Gewichtsverlust betrug 6%. Fur die elektronenmikroskopi- schen Untersuchungen mul3te die Hydrolysezeit verdoppelt werden. Diese Proben wurden anschlieaend 15 bzw. 60 min rnit Ultraschall behandelt.

2.2 MeJmethoden

Transmissionselektronenmikroskopie

Die Fasern wurden im Verhaltnis 1 : 1 in Wasser suspendiert und rnit einem Branson Sonifier B 30 bei 20 Hz und 150 W beschallt. Die suspendierten Cellulosekristallite

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wurden nach dem Verfahren der Negativkontrastierung rnit Phosphorwolframsaure prapariert . Fur die fotografischen Aufnahmen wurde ein Transmissionselektronen- mikroskop der Marke Philips, EM 300, verwendet.

Rijntgenkleinwinkelstreuung

Als Strahlungsquelle diente ein Philips Rontgengenerator PW 1 140, bestuckt mit einer Rontgenrohre (Kupferanode) rnit 50 kV und 30 mA. Die Streuungsintensitats- kurven wurden rnit einer klassischen Kratky-Kamera rnit Strichfokus aufgenommen. Die Breite des Eingangsspaltes betrug 60 p, die des Zilhlrohrspaltes 150 p. Zur Im- pulsregistrierung diente ein Proportionalztihlrohr verbunden rnit einem Impulshtihen- diskriminator. Der EinfluD der CuK-Linie wurde rnit einer Nickelfolie eliminiert. Die Messungen wurden rnit einem automatischen Schrittschaltwerk mehrfach wiederholt. Die Kurven wurden nicht entschmiert.

Rijntgenweitwinkeldiffraktion

Fur die Weitwinkelaufnahmen wurde ein Fasergoniometer nach Kratky und Sta- binger rnit pinhole-Kollimation verwendet. Es wurden die aquatorialen Interferenzen 101 (12,3 "), 107 (20,2") und 002 (22,4") und die meridianale Interferenz 040 (34,9") registriert. Im letztgenannten Fall wurde das Prlparat um 17" gegen den Strahl ge- neigt, um die Interferenz zu verst8rkenZ6. Zwecks Ausmessung der Halbwertsbreite wurde die Untergrundstreuung durch Einzeichnen der Basislinie des Peaks abge- trennt. Von der so bestimmten Halbwertsbreite wurde die an einem Saccharosekristall ermittelte Halbwertsbreite von 0,45 " abgezogen.

Zur Festlegung der Halbwertsbreiten der aquatorialen Interferenzen wurde zu- nachst in das Diffraktogramm nach Hermans3' die Kurve fur die Untergrundstreuung des , ,amorphen" Anteiles visuell eingezeichnet. Da der daraus planimetrisch be- stimmte Kristallinitatsindex gut mit den aus der Literatur bekannten Werten uberein- stimmt, durfte die Kurve fur die Untergrundstreuung richtig gelegt worden sein. Nun- mehr wurde von der Gesamtintensitat die der Untergrundstreuung subtrahiert und das jetzt nur noch den kristallinen Anteil reprasentierende Diffraktogramm erneut aufgetragen. Die Peaks wurden rnit Hilfe der Formel von Gj@nnesZ1 separiert. Ausge- hend von Schatzwerten fur die Halbwertsbreite und die experimentelle Konstante ap- proximierten wir die errechnete an die experimentelle Kurve mit Hilfe eines APL- Programms nach dem least square fit-Verfahren unter der Voraussetzung einer Gauchy-Verteilung der einzelnen Peak-Intensitaten. Ein Beispiel fur diese Peakauf- trennung zeigt Abb. 1. SchlieDlich wurden die Halbwertsbreiten ausgemessen und ohne Korrektur fur die instrumentelle Bandenaufweitung in die Scherrer-Formel ein- gesetzt. Als Formfaktor K verwendeten wir einen Wert von 0,9.

Aus der azimutalen Intensitatsverteilung der aquatorialen Rontgenweitwinkelinter- ferenzen wurde der Orientierungsfaktor nach Hermans3' bestimmt.

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Dimensionen der kristallinen Bereiche aon Regeneratcellulose

Abb. 1. Auflasung der aquatorialen Rantgenweitwinkelinterferenzen am Beispiel der Probe 4; (. . .) experimentell, (- ) approximiert, ( - - -) sepa- riert.

3. Versuchsergebnisse und Diskussion

3. I Transmissionselektronenmikroskopie

Dem Vorzug der Anschaulichkeit elektronenmikroskopischer Aufnahmen steht die Schwierigkeit einer Zerteilung des Materials ohne Zerstdrung der elementaren, morphologischen Einheiten gegenuber. Um erkennen zu kon- nen, ob die Elementarkristallite die Desintegration der Fasern ohne Bescha- digung uberstehen, wurden Hydrolysier- und Beschallungszeit variiert . Im ersten Versuch wurden die Fasern 48 h hydrolysiert und 15 min beschallt, im zweiten Versuch 60 h hydrolysiert und 60 min beschallt. Die Werte in Tab. 1 zeigen am Beispiel der Probe 4, daJ3 durch eine verlwgerte Hydrolysierzeit Lange und Breite der Kristallite um 10 - 20% abnehmen. Die mittlere Lange der kristallinen Einheiten entspricht einem Polymerisationsgrad von 26. Im Vergleich hierzu fand Kuniak3* bei der Hydrolyse von Viskosefasern in 2,5 n Salzsiiure, die 15 min bei 105 "C einwirkte, einen level-off-Polymerisations-

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Tab. 1. Bestimmung der Kristallitdimensionen (A) durch statistische Auswertung der TEM-Aufnahmen (Vergroflerung: 204000 x, N = 65, S = Standardab- weichung).

Probe Hydroly- Beschal- Kristallit-Dimensionen sierdauer lungsdauer Lange Breite Dicke (h) (min) k S + s f S

3 48 15 138 k 37 W k 2 1 4 2 + 4 4 48 15 152 f 37 115 f 25 32 f 3 4 60 60 132 f 25 87 f 20 31 f 3 2/3 60 60 124 f 25 80 f 20 29 k 3

grad (PLo) von 19, C ~ m b e r b i r c h ~ ~ an Modalfasern einen PLo von 49. Fur die- selbe Fasergattung gibt Krassig4 einen Wert von 35 an. Aus dieser Uberein- stimmung darf man u. E. schliefien, dal3 es sich bei den auf den Abb. 2 -4

Abb. 2. TEM-Aufnahme von desintegrierten Fasern der Probe 3 (Hydrolysezeit: 48 h).

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Dimensionen der kristallinen Bereiche [:on Regeneratcellulose

Abb. 3. TEM-Aufnahme von desintegrierten Fasern der Probe 4 (Hydrolysezeit: 48 h).

sichtbaren, langlichen Blattchen tatsachlich um Cellulose-11-Kristallite han- delt. Die Blattchen liegen grdl3tenteils flach auf der Unterlage auf, stehen zum Teil aber auch senkrecht auf dem Objekttrager. Es wurden nur die scharf konturierten Blattchen vermessen. Die Kristallite sind in Richtung ih- rer Lbgsachse kettenformig aneinandergereiht und verzweigen sich an eini- gen Stellen. Die mittlere Lange dieser Fibrillen betragt 3500 A bei einer Va- riationsbreite von 1500 - 5500 A (N = 30). Auf den fotografischen Abbil- dungen erscheinen einige Bundel von parallel nebeneinanderliegenden Kri- stallitketten mit einer Lange von lOOO-3OOO A und einer Breite von 300 - 600 A. Offenbar sind die Elementarfibrillen zu grol3eren morphologi- schen Einheiten, sogenannten Clustern, vereinigt, die durch Beschallung zer- stort werden. Die 60 min beschallten Praparate weisen namlich keine sol- chen Bundel auf. Das Vorliegen von verclusterten Elementarfibrillen wurde bereits von Kratky und Mih01ic'~ aus dem Verlauf der aquatorialen Ront- genkleinwinkelstreuung abgeleitet.

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Abb. 4. TEM-Aufnahme von desintegrierten Fasern der Probe 2/3 (Hydrolysezeit: 60 h).

3.2 Rontgenkleinwinkelstreuung

Wenn in dicht gepackten Systemen regelmafiige Dichteunterschiede auf- treten, entstehen interpartikulare Interferenzen, deren Lage nach dem Braggschen Gesetz mit der Periode der Elektronendichteschwankungen identisch ist. Wir haben die Kleinwinkelinterferenzen in meridianaler (paral- lel zur Faserachse) und aquatorialer (quer zur Faserachse) Richtung be- stimmt und daraus die Langperiode bzw. Dickenperiode berechnet. Eine Auswertung der Streukurven nach der Theorie der Partikelstreuung wurde nicht durchgefuhrt, da die Fasern in kompaktem, ungequollenem Zustand vorlagen. Die Ergebnisse wurden in Tab. 2 zusammengestellt.

Die nur nach Hydrolyse mit Mineralsauren sichtbare Langperiode ent- spricht recht genau den Literaturangaben”. Beim Vergleich dieser Werte mit der elektronenmikroskopisch bestimmten Kristallitlange fallt auf, da13 die

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Dimensionen der kristallinen Bereiche con Regeneratcellulose

Tab. 2. Bestimmung der Kristallitdimensionen (A) durch Vermessung der Rdntgen- kleinwinkel-Interferenzen in meridianaler und. aquatorialer Richtung.

Probe Langperiode Dickenperiode (unbehandelt) (hydrolysiert)

1/1 1 /2 1 /3 1 /4 2/1 2/2 2/3 2/4 3 4 5 6

158,8 163,8 171,l 171,l 1543 165,2 165,2 165,2 156,3 171,5 156,2 156,2

39,7 49,2 49,2 46,2 57,2 57,2 57,2 58,3 0

226,5 0 0

0 52,7 49,2 49,2 0

73,3 67,O 70,O 0

226,5 0 0

Langperiode grorjer ist als die Kristallitlange. Dieser Unterschied betragt im Fall der 48 h Hydrolysezeit 20 A, im Fall der 60 h Hydrolysezeit 40 A. Das Verhaltnis zwischen Langperiode und der elektronenmikroskopisch be- stimmten Kristallitlange ist bei identischer Probenvorbereitung konstant, und zwar 1 :0,9 bzw. 1 :0,75. Die Proportionalitat zwischen Langperiode und Kristallitlange zeigt, dal3 es sich bei den elektronenmikroskopisch abge- bildeten Blattchen tatsachlich um Cellulose-11-Kristallite handelt.

Im Gegensatz zur Langperiode ist die Dickenperiode auch bei den unbe- handelten Fasern sichtbar. Allerdings erscheint sie in der aquatorialen Streu- kurve der Intensitat gegen den Streuwinkel nicht als ausgepragtes Maximum wie die Langperiode sondern als Inflektion. Sie wurde durch den Schnitt- punkt zweier Tangenten festgelegt. Die Ergebnisse befinden sich in Tab. 2. Man sieht, dal3 nur die Proben 1 /1 -4 und 2/1 - 4 eine Inflektion aufweisen, und zwar etwa bei dem Winkel, bei dem sie auch schon von Hermans an konditionierten Viskosefasern gefunden wurde. Nur die Dickenperiode der Probe 4 stellt mit 226,5 A eine Ausnahme dar.

Bei der Auswertung der Streukurve nach dem Braggschen Gesetz wurde weder der Lorentz-Faktor der Mizell-Lange noch derjenige der Mizell-Breite berucksichtigt, da sich ersterer bei Belichtung mit einem spaltformig ausge- blendeten Primarstrahl gegen die Spaltverschmierung aufhebt und sich letz-

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terer dann abschwacht, wenn die Breite der Mizellen im Vergleich zur Dicke nicht unendlich ist. Dementsprechend brachte die Auftragung des Produktes aus Streuintensitat und Quadratwurzel des Streuwinkels gegen den Streuwin- kel keine Verstarkung der Interferenz. Nach Kratky ist die Lage der Inflek- tion in der experimentellen Streukurve ein brauchbares Man fur die obere Grenze der Mizell-Dicke zuzuglich des Zwischenraums zur nachsten mor- phologischen Einheit34. Wenn die Dickenperiode demnach zwischen 50 und 60 A liegt und die Kristallitdicke bei 30 - 40 A, murj der Zwischenraum ge- ringerer Dichte zwischen zwei morphologischen Einheiten eine Ausdehnung von 20 A haben. Dieser Wert ist plausibel, da er in derselben GrdRenord- nung liegt wie der Abstand zwischen zwei Kristalliten in Langsrichtung.

Die Tatsache, dal3 die Dickenperiode auch bei unbehandelten Fasern sicht- bar ist, laRt darauf schlieljen, dal3 die Dichteunterschiede quer zur Faserach- se grol3er sind als in Richtung der Faserachse. Diese SchluRfolgerung wird durch das elektronenmikroskopische Bild bestatigt: Wi3hrend die Hydrolyse mit Salzsaure den Zusammenhang zwischen den Fibrillen groatenteils auf- lost, hangen die Kristallite in Richtung ihrer Langsachse noch zusammen. Die Verbreiterung der Dickenperiode bei der Probe 2/1 - 4 durch die Hydro- lyse konnte man sich durch die bei cellulosischen Regeneratfasern bekannte

Tab. 3. Bestimmung des Kristallinitatsindexes aus dem Intensitatsverlauf der aqua- torialen Rontgenweitwinkeldiffraktion.

Probe unbehandelt hydrolysiert (%o) (%I

1/1 1 /2 1 /3 1 /4 2/1 2/2 2/3 2/4 3 4 5 6

39 40 38 36 39 41 40 37

- 46 48 44 47 46 46 44 45 47 43 42

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Dimensionen der kristallinen Bereiche oon Regeneratcellulose

Rekristallisation durch Saurebehandlung erklaren34. In unserem Fall nahm, wie Tab. 3 zeigt, der Kristallinitatsindex bei allen Versuchen von 37 - 41 auf

Die Daten in Tab. 2 lassen zwei technisch interessante Besonderheiten er- kennen: Zunachst sieht man, dalj alle Faserproben, die mit einem hbhermo- lekularen Modifier ersponnen wurden (1/2 - 4, 2/2 - 4, 4) eine grbljere Langperiode aufweisen und die Dickenperiode auch nach der Salzsaurebe- handlung noch zeigen. Offensichtlich begiinstigt dieser Modifiertyp die Cel- lulosekristallisation wahrend der Verstreckung. Abgesehen hiervon verdient die Tatsache Erwahnung, daI3 die produktionsmaljig erzeugten Fasern keine bzw. im Fall der Probe 4 eine sehr breite Dickenperiode erkennen lassen. Es scheint so, als ob diese Fasern dichter sind. Wir haben daher aus der aquato- rialen Streukurve nach Rorod und S c h u r ~ ~ ~ die Hohlraumdaten berechnet. Wie man aus Tab. 4 entnehmen kann, haben die Proben 3 - 6 tatsachlich ei- nen geringeren Hohlraumvolumenanteil und eine kleinere Durchschuljlange als die Proben 1 /1- 4 und 2/1- 4, wahrend die spezifische innere Oberfla- che im Rahmen der Schwankungsbreite bei allen Proben im selben Bereich liegt. Die unter Produktionsbedingungen ersponnenen Fasern haben also schmalere Hohlraume, die aber langer oder gefaltet sein miissen, da die inne- re Oberflache nicht erniedrigt ist. Unter der Annahme, dalj sich Hohlraume

42-48% ZU. .i

Tab. 4. Hohlraumanalyse aufgrund der aquatorialen Rantgenkleinwinkelstreuung.

Probe Volumenanteil Spez. innere Durchschurjlange der Hohlraume Oberflache (0700) (m2/g) (4

1/1 1 /2 1 /3 1 /4 2/ 1 2/2 213 2/4 3 4 5 6

0,34 0,35 0,46 0,37 0,35 0,36 0940 O M 0,24 0,26 0,19 0,23

1,25 1,09 1,58 1,25 1,31 1 , s 1,56 1,61 1,13 1,26 1,27 1 9 4 . 4

67 78 69 73 66 57 64 68 53 52 36 56

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nur zwischen den kristallinen Fibrillen befinden konnen, folgt hieraus, da13 bei den Versuchen 3 - 6 die Dichteunterschiede quer zur Faserachse zwischen den gut und schlecht geordneten Bereichen geringer sein mussen als bei den Versuchen 1 und 2. Daher ist entweder gar keine Dickenperiode sichtbar oder bei Probe 4 eine sehr breite. Letztere liegt mit einem Wert von 226,5 A in derselben Grorjenordnung wie die Durchmesser der auf den elektronenmi- kroskopischen Aufnahmen der Probe 4 (Abb. 3) sichtbaren Fibrillenbundel. Es ist nicht auszuschlieflen, darj es sich bei diesen Gebilden um jene Cluster handelt, auf deren Existenz schon Kratkyl5 aus der Tatsache geschlossen hatte, da13 die Streukraft von cellulosischen Regeneratfasern kleiner ist, als nach ihrer materiellen Zusammensetzung zu erwarten ware. Wir nehmen an, dalj unter Produktionsbedingungen Fasern mit einer dichteren Feinstruktur entstehen, da hier aus Griinden der Spinnsicherheit starker entquellend wir- kende Fallbader als bei Laborspinnmaschinen verwendet werden.

3.3 Ron tgen weit winkeldiffraktion

Bekanntlich ist die Halbwertsbreite der Rontgenweitwinkelinterferenzen der Kristallitbreite umgekehrt proportional. Die Umrechnung nach der For- me1 von Scherrer ist jedoch mit vielen Unsicherheiten behaftet:

Gitterstorungen und eine breite Kristallitgrorjenverteilung bewirken eben- falls eine Verbreiterung der Interferenzbanden. Bei gro13en Bragg-Winkeln mu13 eine instrumentell bedingte Bandenverbreiterung beriicksichtigt wer- den.

Bei der visuellen Abtrennung der Untergrundstreuung ist eine gewisse Willkur unvermeidbar .

Die Peaks der lor- und 002-Interferenz uberlappen sich und miissen rech- nerisch unter Annahme einer Gauchy-Verteilung der Intensitat voneinander separiert werden. Diese Unsicherheitsmomente zeigen, da13 die mittels der Scherrer-Formel errechneten Werte im Gegensatz zu den Methoden der Elektronenmikroskopie und Rontgenkleinwinkelstreuung keine absoluten Kristallitdimensionen darstellen konnen. Sie sollten aber hinreichen, um das Verhaltnis von Lange zu Breite und das von Breite zu Dicke der Kristallite zu bestimmen, da sich die Fehler kompensieren miinten.

Die Ergebnisse wurden in Tab. 5 zusammengestellt. Wenn man samtliche Werte mittelt, finden wir ein Verhaltnis von Lange

zu Breite von 1 : 0,74 und ein solches von Breite zu Dicke von 1 : 0,56. Die sta-

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Dimensionen der kristallinen Bereiche i’on Regeneratcehlose

Tab. 5 . Bestimmung der Kristallitdimensionen (A) aus den Rontgenweitwinkelin- terferenzen.

Probe I (040) I (101) I (100 I (002) (Lange) (Breite) (Dicke)

1 /2 1 /3 1/4 2/1 2/2 2/3 2/4 3 4 5 6

98 92

132 141 100 124 163 92 86 81 92

89 78 78 83 87 87 77 77 83 74 77

47 41 41 47 43 45 41 47 49 47 47

50 48 49 50 47 48 49 52 52 50 50

tistische Auswertung der elektronenmikroskopischen Fotografien ergibt als korrespondierende Verhaltnisse 1 :0,68 bzw. 1 :0,36. Wie man sieht, ist die Ubereinstimmung in Anbetracht der vielen Unsicherheitsfaktoren nicht un- befriedigend. Auch die Absolutwerte der Kristallitdimensionen stimmen recht gut uberein. Die starksten Abweichungen findet man in Langsrichtung. Fur die aus Tab. 5 ersichtliche grol3e Streuung der aus der Halbwertsbreite der 040-Interferenz berechneten Langsdimension der Kristallite haben wir keine Erklarung, doch gilt diese Bestimmung bisher generell als problema- tisch.

Wesentlich an diesem Ergebnis ist, dal3 die Blattchenform der Cellulose- II-Kristallite bestatigt wird. Bemerkenswert ist jedoch, darj die breite Ebene der Blattchen senkrecht zur 1 Ol-Netzebene und damit parallel zur 10T-Netz- ebene verlauft. Die Kantenebene der Blattchen ist demgegenuber senkrecht zur 1 OT-Netzebene angeordnet. In der Einleitung wurde erwahnt, dal3 Kratky die umgekehrte Zuordnung der Netzebenen zu den Kristallitebenen vorge- nommen hat. Ein wichtiges Argument fur diese Zuordnung war die Entwick- lung der Orientierung der beiden Netzebenen wahrend der Verstreckung in Richtung der Faserachse. Es ist auf jeden Fall wahrscheinlich, da13 sich die breite Ebene bevorzugt in Streckrichtung orientiert.

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Tab. 6. Bestimmung der Kristallitorientierung aufgrund der azimutalen Intensitats- verteilung der ROntgenweitwinkelinterferenzen.

Probe Orientierungsgrad Orientierungsfaktor (101) (lor) &lo 63 O fr

1 /2 1 /3 1 /4 2/1 2/2 2/3 2/4 3 4 5 6

19,7 20,6 21 ,o 19,7 203 19,8 19,8 23,l 23,7 21,9 23,2

18,8 20,9 17,l 17,l 18,6 17,O 3 8,9 19,3 23,l 21,3 21 ,o

0,674 0,625 0,678 0,700 0,658 0,700 0,671 0,605 0,528 0,593 0,575

Zwecks Aufklarung dieses Widerspruches haben auch wir die Orientie- rung der beiden Netzebenen bei samtlichen Versuchen bestimmt. Die Ergeb- nisse befinden sich in Tab. 6. Ein Vergleich der Werte zeigt zunachst, da13 die Proben 1/1-4 und 2/1-4 hoher orientiert sind als die Proben 3 -6. Dieser Unterschied ist die Folge differierender Streckverhaltnisse an einer Laborspinnapparatur und einer Produktionsmaschine. Trotz dieser Abwei- chung innerhalb der Versuchsserie ist die Orientierung bei allen Proben in der 10T-Netzebene grorjer als in der 101-Ebene. Nach der Nomenklatur von Kratky wiirde diese Erscheinung einem sogenannten , ,Antiblattcheneffekt" entsprechen, der nach Treiber aber nur durch Verstrecken sehr hoch gequol- lener, aus verdiinnter Viskose ersponnener Faden in schwacher Auspragung erzeugt werden kann". Bei hoher konzentrierten Viskosen und entquellend wirkenden Spinnbadern ist ein schwacher Blattcheneffekt wahrscheinlicher, da bei weniger Bewegungsfreiheit flache Gebilde unter dem Einflurj einer monoaxialen Deformationsspannung dazu neigen, sich parallel aneinander zu lagern. Aus der Tatsache, dafi in den meisten Fallen die 10T-Netzebene eine bessere Orientierung zeigt als die 101-Netzebene, schlierjen wir, darj im vorliegenden Fall tatsachlich die Breitseite der Blattchen parallel zur 1 OT- Ebene verlauft und damit ein ,,Blattcheneffekt" auftritt.

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Dimensionen der kristallinen Bereiche con Regeneratcellulose

Einen Hinweis auf die Ausdehnung der Cellulose-11-Kristallite in Richtung der beiden Netzebenen liefert die Zuchtung von Cellulose-11-Kristallen aus hydrolysiertem Cellulosetriacetat mit einem Polymerisationsgrad von 15 durch Buleon und C h a n ~ y ~ ~ . Die Autoren erhielten Kristalle, welche die Form eines flachen, schmalen Rechtecks haben, deren Hauptachse in Rich- tung der 10T-Netzebene verlauft, wahrend die Nebenachse in Richtung der 101 -Netzebene nur eine geringe Ausdehnung aufweist. Die Dicke der Kristal- le entspricht der b-Achse der Elementarzelle und ist gleich der Molekiillange. Ubertragen auf die Kristallite in cellulosischen Regeneratfasern bedeutet dies, dalj die Breitseite der Blattchen parallel zur 107-Netzebene verlaufen miiljte.

Fur die Richtigkeit dieser Ansicht sprechen auch Uberlegungen zum Kri- stallitwachstum wahrend der Faserbildung. Es ist eine Grunderfahrung bei der Erspinnung von cellulosischen Fasern, dalj der geschwindigkeitsbestim- mende Schritt im Einrasten der Wasserstoffbriickenbindungen besteht. Demnach muljte die Hauptwachstumsrichtung von derjenigen Netzebene ausgehen, in welcher sich intermolekulare Wasserstoffbruckenbindungen befinden. Nach Blackwell sind die 101 -Netzebenen nicht durch Wasserstoff- briickenbindungen verknupft. Dagegen enthalt die 10T-Netzebene die Was- serstoffbriickenbindung 0(2)-H---0(2 ') und die 002-Netzebene die Wasser- stoffbruckenbindung 0(6)-H---0(2)37. Hieraus konnte man schlieljen, dalj das Kristallitwachstum in Richtung der 101-Netzebene benachteiligt ist.

4. Zusammenfassung

Die nach den drei Meljmethoden erhaltenen Untersuchungsergebnisse be- statigen erstmalig ubereinstimmend an identischen Praparaten, d& die kri- stallisierten Bereiche der Cellulose I1 in Regeneratcellulosefasern der Gat- tung Modalfaser die Gestalt langlicher Blattchen haben. Im Gegensatz zur bisherigen Auffassung verlauft die breite Ebene der Kristallite aber nicht pa- rallel sondern senkrecht zur 101 -Netzebene. In Richtung ihrer Langsachse sind die Kristallite kettenformig zu Fibrillen aneinandergereiht. Die Fibrillen ihrerseits sind teilweise zu Clustern von ziemlich einheitlicher Lange und Breite gebiindelt. Dort, wo das nicht der Fall ist, sind die Fibrillen durch Zo- nen geringerer Dichte voneinander getrennt . Die Abstande zwischen den kri-

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stallinen Bereichen betragen in Langs- und Querrichtung 20 - 40 A. Die Ver- wendung hochmolekularer Modifier hat eine Verlangerung der Kristallite und grorjere Dichteunterschiede quer zur Faserachse zur Folge. Starker ent- quellende Spinnbander setzen den Hohlraumvolumenanteil in den Fasern herab und begunstigen die Clusterbildung.

Die Ubereinstimmung der gefundenen Kristallit-Dimensionen ist zwischen Transmissionselektronenmikroskopie und Rontgenkleinwinkelstreuung sehr gut. Zu den Abmessungen, welche mittels Rontgenweitwinkeldiffraktion er- halten wurden, bestehen gewisse Abweichungen, die zeigen, darj die Beruck- sichtigung der Unsicherheitsfaktoren bei Anwendung der Scherrer-Formel noch nicht einwandfrei gelingt.

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