das broken-heart-syndrom - thieme.de · herz ist typisch für die tako-tsubo-kardio-myopathie....

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46 Via medici 2.13 forschung Wenn kaltschweißige Patienten mit Blaulicht, Thoraxschmerz und Dyspnoe in der Notaufnahme eintreffen, liegt die Verdachtsdiagnose Herzinfarkt nahe. Ist zudem das EKG verändert und sind die Herzenzyme positiv, lautet die Devise: Rasch ins Katheter- labor! Hier wird die verschlossene Koronar- arterie wiedereröffnet. Zuvor appliziert der Kardiologe Kontrastmittel, um die Stenose zu identifizieren. In diesem Moment gibt es bei etwa zwei Prozent aller Infarktverdachtsfälle lange Gesichter – denn weit und breit findet sich kein verstopftes Herzkranzgefäß. Dafür fallen in der Echokardiografie ganz andere Befunde auf: Die linke Herzkammer ist bauchig erweitert, der Ausflusstrakt ist verengt und die Pump- funktion eingeschränkt. So eine Konstellation aus Infarktsymptomen, blandem Gefäßstatus und ausgebauchtem Herz ist typisch für die Tako-Tsubo-Kardio- myopathie. Dieser Name geht auf die Erstbe- schreiber der Erkrankung zurück, die sich durch die veränderte Herzform an eine japanische Tintenfischfalle („Tako-Tsubo“) erinnert fühlten [1]. Eine weitere Bezeichnung ist „Broken- Heart-Syndrom“. Die meisten Betroffenen berichten nämlich von einem belastenden Morbus Herzeleid Liebeskummer und Schicksalsschläge fühlen sich an, als ob einem jemand das Herz herausreißt. Ein „gebrochenes Herz“ ist nicht nur ein emotionales Problem. Man kann sogar daran sterben. Text: Tanja Jähnig Ereignis, das den Symptomen unmittelbar vorausging. Dies können Schicksalsschläge sein wie der Tod eines Angehörigen, Liebeskummer, aber auch positive Mitteilungen wie die Nach- richt über einen Lottogewinn. Betroffen sind v. a. Frauen jenseits der Wechseljahre. Bei ihnen liegt der Anteil der Tako-Tsubo-Kardiomyopathie bei Symptomen eines akuten Koronarsyndroms bei etwa sieben Prozent. Eine Erklärung ist, dass nach der Menopause der Östrogenspiegel sinkt, was das weibliche Herz möglicherweise anfälliger für Adrenalin & Co macht. Männer leiden seltener am „gebrochenen Herzen“: Nur etwa jeder zehnte Patient ist ein Mann. > Sturmflut der Hormone Auslöser des Broken-Heart-Syndroms ist ver- mutlich eine stressinduzierte Depression des Herzmuskels durch eine Überdosis Katechol- amine. Bei den Patienten sind nämlich die Spiegel für Adrenalin, Noradrenalin und deren Derivate in der Regel stark erhöht. Ein weiterer Beleg für diese These ist das Auftreten von Tako-Tsubo-ähnlichen Ereignissen bei Phäo- chromozytom-Patienten, bei denen der Tumor beständig hohe Dosen an Stresshormonen pro- duziert [2]. Kontrovers diskutiert wird, warum - Das Broken-Heart-Syndrom - das Herz auf den Katecholaminsturm mit dieser „Schockstarre“ reagiert. Forscher aus Hessen haben festgestellt, dass im linken Ventrikel von Broken-Heart-Patienten ungewöhnlich hohe Konzentrationen des Proteins Sarcolipin vor- kommen. Dieses Membranprotein bremst den Ca 2+ -Einstrom in Herzmuskelzellen, was deren Kontraktilität vermindert [3]. Eine weitere Theorie haben Dresdener Forscher entwickelt: Wird Mäusen viel Adrenalin appliziert, kann man beobachten, dass sich der herzmuskel- stärkende Effekt des Katecholamins aufgrund eines „Switchs“ in den β-Rezeptoren umdreht. Anstatt der positiv-inotropen G s -Proteine, die in den β-Rezeptoren die Signaltransduktion vermitteln, sind plötzlich negativ-inotrope Gi- Proteine in der Überzahl [4]. Dass die De- pression der Herzmuskelzellen v. a. an der Herzspitze auftritt, könnte daran liegen, dass hier die Dichte an β-Rezeptoren besonders hoch ist [5]. Auf die Frage, warum der Herzmuskel so reagiert, haben britische Forscher eine schlüssige Antwort: Eventuell schützt der Körper auf diese Weise das Herz angesichts von Trennungs- schmerz, Trauer oder sonstigen emotionalen Verwirrungen vor einer gefährlichen Über- stimulation durch Stresshormone [6]. > Die Tako-Tsubo- Kardiomyopathie trägt ihren Namen wegen der Form der traditionellen blumenvasenähnlichen japanischen Tintenfisch- Falle (li.). Die Kontur des linken Ventrikels der Patienten zeigt wegen der Myokard-Depression ein ganz ähnliches Bild. Abb. aus: H. Greten: Innere Medizin/Thieme Verlag Heruntergeladen von: Thieme Verlagsgruppe. Urheberrechtlich geschützt.

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Post on 06-Jun-2018

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46 Via medici 2.13

forschung

Wenn kaltschweißige Patienten mit Blaulicht, Thoraxschmerz und Dyspnoe in der Notaufnahme eintreffen, liegt die

Verdachtsdiagnose Herzinfarkt nahe. Ist zudem das EKG verändert und sind die Herzenzyme positiv, lautet die Devise: Rasch ins Katheter-labor! Hier wird die verschlossene Koronar-arterie wiedereröffnet. Zuvor appliziert der Kardiologe Kontrastmittel, um die Stenose zu identifizieren. In diesem Moment gibt es bei etwa zwei Prozent aller Infarktverdachtsfälle lange Gesichter – denn weit und breit findet sich kein verstopftes Herzkranzgefäß. Dafür fallen in der Echokardiografie ganz andere Befunde auf: Die linke Herzkammer ist bauchig erweitert, der Ausflusstrakt ist verengt und die Pump-funktion eingeschränkt.

So eine Konstellation aus Infarktsymptomen, blandem Gefäßstatus und ausgebauchtem Herz ist typisch für die Tako-Tsubo-Kardio-myopathie. Dieser Name geht auf die Erstbe-schreiber der Erkrankung zurück, die sich durch die veränderte Herzform an eine japanische Tintenfischfalle („Tako-Tsubo“) erinnert fühlten [1]. Eine weitere Bezeichnung ist „Broken-Heart-Syndrom“. Die meisten Betroffenen berichten nämlich von einem belastenden

Morbus Herzeleid

Liebeskummer und Schicksalsschläge fühlen sich an, als ob einem jemand das Herz herausreißt. Ein „gebrochenes Herz“ ist nicht nur ein emotionales Problem. Man kann sogar daran sterben.

Text: Tanja Jähnig

Ereignis, das den Symptomen unmittelbar vorausging. Dies können Schicksalsschläge sein wie der Tod eines Angehörigen, Liebeskummer, aber auch positive Mitteilungen wie die Nach-richt über einen Lottogewinn. Betroffen sind v. a. Frauen jenseits der Wechseljahre. Bei ihnen liegt der Anteil der Tako-Tsubo-Kardiomyopathie bei Symptomen eines akuten Koronarsyndroms bei etwa sieben Prozent. Eine Erklärung ist, dass nach der Menopause der Östrogenspiegel sinkt, was das weibliche Herz möglicherweise anfälliger für Adrenalin & Co macht. Männer leiden seltener am „gebrochenen Herzen“: Nur etwa jeder zehnte Patient ist ein Mann.

> Sturmflut der HormoneAuslöser des Broken-Heart-Syndroms ist ver-mutlich eine stressinduzierte Depression des Herzmuskels durch eine Überdosis Katechol-amine. Bei den Patienten sind nämlich die Spiegel für Adrenalin, Noradrenalin und deren Derivate in der Regel stark erhöht. Ein weiterer Beleg für diese These ist das Auftreten von Tako-Tsubo-ähnlichen Ereignissen bei Phäo-chromozytom-Patienten, bei denen der Tumor beständig hohe Dosen an Stresshormonen pro-duziert [2]. Kontrovers diskutiert wird, warum

- Das Broken-Heart-Syndrom -

das Herz auf den Katecholaminsturm mit dieser „Schockstarre“ reagiert. Forscher aus Hessen haben festgestellt, dass im linken Ventrikel von Broken-Heart-Patienten ungewöhnlich hohe Konzentrationen des Proteins Sarcolipin vor-kommen. Dieses Membranprotein bremst den Ca2+-Einstrom in Herzmuskelzellen, was deren Kontraktilität vermindert [3]. Eine weitere Theorie haben Dresdener Forscher entwickelt: Wird Mäusen viel Adrenalin appliziert, kann man beobachten, dass sich der herzmuskel-stärkende Effekt des Katecholamins aufgrund eines „Switchs“ in den β-Rezeptoren umdreht. Anstatt der positiv-inotropen Gs-Proteine, die in den β-Rezeptoren die Signal transduktion vermitteln, sind plötzlich negativ-inotrope Gi-Proteine in der Überzahl [4]. Dass die De-pression der Herzmuskelzellen v. a. an der Herzspitze auftritt, könnte daran liegen, dass hier die Dichte an β-Rezeptoren besonders hoch ist [5]. Auf die Frage, warum der Herzmuskel so reagiert, haben britische Forscher eine schlüssige Antwort: Eventuell schützt der Körper auf diese Weise das Herz angesichts von Trennungs-schmerz, Trauer oder sonstigen emotionalen Verwirrungen vor einer gefährlichen Über-stimulation durch Stress hormone [6].

> Die Tako-Tsubo-Kardiomyopathie trägt ihren Namen wegen der Form der traditionellen blumenvasenähnlichen japanischen Tintenfisch-Falle (li.). Die Kontur des linken Ventrikels der Patienten zeigt wegen der Myokard-Depression ein ganz ähnliches Bild. Ab

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47Via medici 2.13

> Diagnose: ungewöhnliches Echo ...Die Frage ist, wie man sich als Arzt davor schützt, bei „gebrochenem Herz“ fälschlich einen Infarkt zu diagnostizieren. Bei beiden Leiden können sowohl ausstrahlender Brust-schmerz als auch Zeichen der Herzinsuffizienz, wie Dyspnoe, ein dritter Herzton oder Rassel-geräusche über der Lunge, festgestellt werden. In der Akutphase lassen sich auch EKG-Ver-änderungen wie ST-Streckenhebungen nach-weisen. Im Gegensatz zum Infarkt sind diese jedoch nicht dem Versorgungsgebiet einer Herzkranzarterie zuzuordnen. Ebenfalls haben Broken-Heart-Patienten erhöhte Werte für Troponin und Kreatinkinase. Nicht standard-mäßig bestimmt, aber richtungsweisend sind die extrem hohen Spiegel der Katecholamine.

Rein praktisch erfolgt die Abgrenzung durch die Echokardiografie. Im Herz-Echo kann man die typische Bewegungsstörung der linken Herz-kammerwand nachweisen, die nicht so recht zum Versorgungsgebiet einer Herzkranzarterie passen mag. In der Koronarangiografie findet man weitgehend unauffällige Koronarien.

> „Ein Herz kann man nicht reparier‘n ...“ (Udo Lindenberg)Anders als der Name vermuten lässt, sind die Myokard-Veränderungen nach ein bis vier Wochen vollkommen reversibel. Wobei der Patient die akute Phase natürlich erst einmal unbeschadet überstehen muss – was nicht jedem gelingt: In bis zu drei Prozent der Fälle kann die Schockstarre des Herzens nämlich

letal verlaufen. Besonders in den ersten Stunden nach Symptombeginn kann es bei bis zu fünfzig Prozent der Patienten zu schweren Herz-rhythmusstörungen bis hin zum kardiogenen Schock kommen. Aufgrund der veränderten Hämodynamik des Herzens können Blutge-rinnsel entstehen. Deshalb müssen die Pa-tienten in der Akutphase intensivmedizinisch überwacht werden.

Mangels kontrollierter Studien gibt es bislang noch kein einheitliches Behandlungskonzept. Man verabreicht β-Blocker, um das Herz vor den Stresshormonen zu schützen – evtl. kombiniert mit α-Blockern. Um thromboembolische Kom-plikationen zu verhindern, sollten die Patienten Blutverdünner erhalten. Darüber hinaus werden ACE-Hemmer und Diuretika eingesetzt, um die Folgen der transienten Herzinsuffizienz abzu-fangen. Britische Forscher empfehlen Kalzium-Sensitizer (z. B. Levosimendan) [6]. Diese Sub-stanzen steigern die Schlagkraft des Herzens unter Umgehung des Adrenalinwirkkreises.

Doch allein mit Medikamenten kann man ein „gebrochenes Herz“ natürlich nicht in den Griff bekommen. Die Betroffenen müssen un-bedingt psychologisch betreut werden. Ein Therapeut muss dem Patienten Bewältigungs-strategien vermitteln, um ihn besser gegen Stressattacken zu wappnen. Und das emotio-nale Trauma, das hinter dem aktuellen Ereignis steht, muss gründlich aufgearbeitet werden. Denn für diese Krankheit gilt noch mehr als für andere Leiden das chinesische Sprichwort: „Kummer unausgesprochen hat schon manches Herz gebrochen.“ .

Tanja Jähnig ist Medizin - studentin und freie Mit-arbeiterin von Via medici. Derzeit macht sie ihr Praktisches Jahr am Klinikum Heilbronn. Kontakt: [email protected]

AutorinMitmachen und gewinnen !Auch Probleme mit Katecholaminstürmen? Wir verlosen fünf „Inotropie-Pakete“ für junge Mediziner, bestehend aus je einer Dualen Reihe Innere Medizin gegen Prüfungsleid und je einer Tafel Schokolade der Marke „Trostchocolade“ zur Therapie von akutem Liebesleid. Teilnahme unter: www.thieme.de/viamedici/zeitschrift/ spezial. Stichwort „Broken Heart“. Teilnahmeschluss: 13.5.2013

Die Literatur zu diesem Artikel gibt‘s unter: http://bit.ly/WrwDpQ

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