bertolt brecht, notizbücher - suhrkamp.de · 15 bertolt brecht, tagebuch no. 10 / 1913, hg. von...
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Bertolt Brecht, Notizbücher Einführung in die Edition (NBA)
Inhaltsverzeichnis
Brecht 7 PoetologieundArbeitsweise 9 WerkundMaterial 14
ArchivundEdition 21 Grundsätze 35
DieNotizbücher 37 Bestand 41
Übersicht 44 Beispiele 47
Autorschaft 47 Einheiten 51 Zusammenhänge 55 Graphisches 61 Schrift 65Vorarbeiten 71 Benennung 71 Signierung 72 Restaurierung 74 Digitalisierung 75
DieAusgabe 79Text 82 Reproduktion 82 Signatur,Paginierung,Zeilenzählung 83 Transkription 83 Marginalien 89 Fußnoten 89Kommentar 91 ZurEdition,DiakritischeZeichen 91 Beschreibung,Lagenschema,Seitenbelegung 92 Erläuterungen 92 Zeittafel 95 Literaturverzeichnis 96 Register 96DieelektronischeEdition 98
SiglenundAbkürzungen 101 SchriftenundZeichen 102 Editionsplan 103
Brecht
1 AmEndedesGedichtsVerwischdieSpurenvon1927,BBA353/35;ErstveröffentlichunginVersuche,Heft2(Dezember1930),116;vgl.BFA11,157.−ZuSiglenundAbkürzungens.unten,101.
2 ArminKesser,TagebuchaufzeichnungenüberBrecht19301963,in:SinnundForm
6(2004),745(Eintragungvom19.April1933).
3 DievierVorschlägefürGrabschrift\immerfortkorrigiert.in:NB27,41r;vgl.BFA14,40.−ZurZählungderNotizbüchers.unten,44f.
4 BBA16/63;vgl.BFA14,198.
PoetologieundArbeitsweise
…vielesversuchendäußerteerviel:haltetihndochnichtbeidemwasersagtebaldänderters . . . .
(NB24,27r)
BrechtarbeitetseinLebenlangaufdenTodhin.Mit29Jahren,inderHälftedesLebensschreibter:1
sorgwennduzusterbengedenkstdasskeingrabsteinstehtundverrätwoduliegstmiteiner[schr]deutlichenschriftdiedichanzeigtunddemjahrdeinestodsdasdichüberführtverwischdiespuren
»Manmuß„sich“weghaben«,2sogaraufdemimmerfortkorrigiertenGrabstein:3
schreibtnichtsaufdensteinaußerdennamen.
ichvergaß:dennamenkönntihrweglassen.
Dochsooderso,soundso:Brechtwillnichteinfachverschwindenundvergessenwerden.Metonym(›Brecht‹:PersonundWerk)oderanonym:einGrabmalsollerrichtetwerden,zeigen,erinnernundwirken.Brechtverwischtnichtnur, er hinterläßt auch überall Spuren und legt bewußt ständig neue. SeinganzesWerkisteinGrabspruch,andemer,lebenslangkorrigierend,arbeitet.ErlehrtzugleichEinverständnismitdemSterbenund»toddemtod«.4
DaskommtalsStilundCharakterüberallzumAusdruck.BrechtsProduktionzeigtsichimmerjanusköpfig,widersprüchlich,kontradiktorisch,gespalten.ZurallgemeinenBezeichnungdieserStrukturwirdimfolgendenderBegriffbevorzugt,denBrechtselbstfavorisierte:Dialektik.Eskanndabeinicht
9
10 11
5 BertoltBrechtsDieErnte.DieAugsburgerSchülerzeitschriftundihrwichtigsterAutor.Gesamtausgabe,hg.undkommentiertvonJürgenHillesheimundUtaWolf(Augsburg1997).
6 BBA462/134(Grundschicht,hs.Überarbeitungnichtwiedergegeben);erschienenin
Versuche,Heft5(Dezember1932),456unterdemTitelHerrKeunerunddieOriginalität;vgl.BFA3,18.
7 SoimTyposkriptMaterialwert(BBA331/134;vgl.BFA21,285f.).
8 NB29,27r.1116,unterdemTitelPlagiate;vgl.BFA21,404.
9 NB25,47r.1348r.8;vgl.BFA21,318.Vgl.auchNB25,30r.714unddazu:PeterVillwock,ErdmutWizisla,BrechtsNotizbü
cher,in:Text10(2005),115144,hier128f.10 TyposkriptBBA521/96imMaterialzu
Ausnichtswirdnichts,um1930;vgl.BFA21,396.
11 LionFeuchtwanger,BertoltBrecht.DargestelltfürEngländer,in:DieWeltbühne,4.September1928.
12 NB27,4r6r;vgl.BFA14,34f.
darumgehen,diesesMusterexaktzubeschreibenoderzubewerten,etwaalsAmbiguität, Paradoxie, ›Polarität und Steigerung‹ (Goethe), Stereoskopie,DurchEinander(Wechselwirkung)oderschlichtesDurcheinander. ImHinblick auf die vorliegende NotizbuchEdition sollen im folgenden vielmehreinigeBeispielefürBrechtsdialektischePoetologiegegebenwerden.
ZunächstdieAutorschaft.Brechtwarniedergenialeschöpferischeeinsameauctor,dendieklassischromantischeÄsthetikidealisierte.SchonseinefrühestenTexteentstandennichtnurfürden,sondernimFreundeskreis.SeinerstesPublikationsforumDieErntewareingemeinsammitFritzGehweyergeführtesUnternehmen,beidemBrechtnichtnurseinenAutornamenpluralisierte(esfindensich»E.B.«,»E.Brecht«,»EugenBrecht«,»BertoldEugen«und»BertoldBrecht«),sondernalsghostwriterauchunteranderenNamenschrieb(fürWilhelmKölbig,JosephSchipfelundGeorgPfanzelt).5DaßvondaanbeiallenunterdemNamenBrechtbekanntenWerkenMitarbeiterbeteiligtwaren,istzurGenügebekannt,ebensoseineBeteiligunganWerkenanderer.AlsAutorwarBrecht immerauchOrganisator,Regisseur,Koordinator,Schaltzentrale,SpinneimNetz.
Begriff,StatusundFunktionvonAutorschaftwerdenbeiBrechtabernichtnursynchron:imProzeßderProduktiondurchkollektiveArbeit,sondernauchdiachron:imProzeßderLiteraturalsZitierzusammenhanggeöffnet.InBrechtsNetz sammelten sich vielerlei Stoffe. Dem juristisch (Copyright), ästhetisch(GenieParadigma)undmoralisch(›Dusollstnichtstehlen!‹)gefordertenundzur Selbstverständlichkeit gewordenen Axiom eindeutiger ZuschreibbarkeitjederÄußerung (geistigesEigentum)stellte erdieTheorieeineskollektivenTraditionsstromesentgegen,derdeneinzelnenhebtundträgt:6
Ueber den Nutzen der Nachahmung
Heute gibt es Unzähli[l]ge, die sich öffentlich rühmen, ganz alleine
ganze Bücher verfassen zu können und dies wird allgemein gebilligt.
[T]Dschuang Dsi verfasste noch im Mannes Al Mannesalter ein Buch von
hunderttausend Wörtern, das zu 9/10 aus Zitaten bestand. Solche Bücher
können bei uns nicht mehr geschrieben werden,da der Geist [s]fehlt. Infolge-
dessen werden Gedanken hergestellt wie Semmeln, indem sich der faul vor-
kommt, der nicht genug davon fertig bringt. Freilich gibt es dann auch
keinen Gedanken, der zitiert werden könnte und auch keine Formulierung
eines Gedankens. Wie wenig brauchen diese alle zu ihrer Tätigkeit!
Ein Federhalter und Papier ist das Einzige,was sie vorzeigen können! Und
ohne jede Hilfe, nur mit dem kümmerlichen Material, das ein einze[a]lner auf
seinen Armen herbeischaffen kann, erreichten sie ihre Hütten! Grössere
Gebäude kennen sie nicht, als solche, die ein einziger zu bauen imstande ist!
Bearbeitungstattcreatioexnihilo,AneignungstattEigentum:die»unbedenkliche praktische anwendung eines neuen collektivistischen besitzbegriffs«.7DiesistnichtRaub,sondernRettung:8
literarische1) dieexpropriierunginformvonplagiatenwirdzeiten
eigentümlichsein,dieetwasneuesanfangenundübernehmern,
demaltengegenüberdiestellungvonrettern,übervon
arbeitern,jaretterneinnehmen.
Das Zitieren oder Plagiieren kann natürlich nicht beim einzelnen Plagiatorenden.Ermußselbstzitierbar:kollektivierbarsein:9
esistalsodaswichtigstestilmerkmaldiezitierbarkeit.„plagiate“ausfindig|zumachenbedeutethierkunstesistge[m]sellschaftlichwertvolle„arbeit“.der„urheber“istbelanglos,ersetztsichdurchindemerverschwindet.weres[¿]erreichtdaßerumgearbeitet[und],alsoimpersönlichenentferntwird,derhält„sich“.
AuchdiesgiltwiederumnichtnurdiachronalsEingehenindieanonymeTraditionderNaturoderVolkspoesie, sondernauchsynchronalsUnterlaufender strikten Frontstellung von Autor und Publikum. ›Die anderen‹ sind beiBrechtnienurÖffentlichkeit,AdressatoderGegenüber,siesindimmerschonauchMitproduzenten. ImUmkreisderLehrstücke versuchter zeitweiliggeradezu, die Position des Zuschauers gänzlich abzuschaffen und in der desSchauspielersaufzuheben:10
die[g]Grosse[p]Pädagogikverändertdierolledesspielensvollständigsiehebtdassystemspielerundzuschaueraufesgibtsiekenntnurmehrspielerdiezugleichstudierendesind.
Schließlich das Werk. Wie Brecht stofflich die Grenze zwischen Eigentumund Aneignung, Schöpfung und Abschöpfung überspielt und unterläuft, soauchformaldiezwischen›fertig‹und›unfertig‹.Er ist»mehranderArbeitalsandemvollendetenWerk«interessiert,undesliegt»ihmdurchausnichtsdaran,daßeinWerkfertigist,immerwieder,auchwennsiezehnmalgedrucktist,erweistsichdieletzteFassungalsdievorletzte,eristdieVerzweiflungderVerlegerundTheaterdirektoren.«11DieTheorieseinerPapierwerkproduktionformulierterum1930ineinemnachgelassenenGedicht(vondemalsonichtzusagenist,obesfertigistodernicht):12
Brecht PoetologieundArbeitsweise
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13 NB18,63r.12.14 Vgl.NB25,60r.15 BertoltBrecht,TagebuchNo.10/1913,hg.
vonSiegfriedUnseld,TranskriptionderHandschriftundAnmerkungenvonGünterBergundWolfgangJeske(Frankfurt/Main1989),67;vgl.BFA26,69.
16 Anmerkungzu›DasBadenerLehrstückvomEinverständnis‹,in:Versuche,Heft2(Dezember1930),147f.;vgl.BFA24,90f.
17 BBA112/42;vgl.BFA10,515(esistBrechtsEigenheit,»vor«statt»bevor«zuschreiben).
überdiebauartlangdauernderwerke
wielangedauerndiewerke?solangealsbissiefertigsind.solangesienämlichmühemachenverfallensienicht
einladendzurmühebelohnenddiebeteiligungistihrwesenvondauersolangesieeinladenundbelohnen
diewertvollenverlangenmenschendiekunstvollenhabenplatzfürkunstdiezurvollständigkeitbestimmtenweisenlückenaufdieschönenverheißenschönheitdieweisenstellenweisheitinaussichtfürweisheitdielangdauerndensindständigameinfallendiewirklichgroßgeplantensindunfertig
unvollkommennochwiediemauerdiedenefeuerwartet(diewareinstunfertigvoraltersvorderefeukamkahl!)unhaltbarnochwiediemaschinediegebrauchtwirdabernichtausreichtabereinebessereversprichtsogebautmußseindaswerkfürdiedauerwiediemaschinevolldermängel.
DasWerk:eineZumutung,einMängelwesen,einUnWerk–undnuralssolchesdauerhaftundlebendig.»ewigimmeristnurdasvorläufige. . . .«.13
Aber bei Brecht gilt immer auch das Gegenteil. Als Autor legte er seineRechteinVerlagsverträgenstetssorgfältigfestundsorgtedafür,daßdieWerkealsseinepubliziertwurden.ErwarKollektivist,aberimmerauchsichselbstvermarktender Verwertertyp14. Schon zu Beginn seiner Autorschaft war dieHonorarfragedaserste,wasihnbeiderErntebeschäftigte:15
DannbeiGehweyer.WirbespracheneineZeitung:„DerTag“.Erverlangte1MfürsSchreiben.IchsolltedanndieZeitungredegieren,konzeptieren,hektographierenu.verbreiten.U.dafürGewinn−25Pfennig!Erhältmichscheint’sfürdumm.
Selbst in den am weitesten getriebenen LehrstückGedankenexperimentensolltedasPublikumzwarjederzeitMitakteur,nieaberwirklichMitautorsein.Als Paul Hindemith »alle Anwesenden an der Ausführung« des Lehrstücksbeteiligenwollte,ihnendabeiüberließ,diejeweils»fürihrenZweckpassendeFormzufinden«,undvorschlug,imWerk»mehrVorschlagalsVorschrift«zusehen, legte Brecht zusammen mit der endgültigen Textfassung alsBadenerLehrstückvomEinverständnisöffentlicheinmassivesVetogegendie›Auslieferung‹desTextesandieAusführendenein:16
AndiesemMißverständnisistwohlhauptsächlichmeineeigeneBereitwilligkeit,einenunabgeschlossenenundmißverständlichenTextteil,wieesdieinBadenBadenaufgeführteFassungdesLehrstückswar,zureinexperimentalenZweckenauszuliefern,schuld[…].AberdieBadenBadenerAufführungwarnatürlichlediglichzurSelbstverständigungundeinmaliggedacht.
ImFatzerMaterialausder selbenZeitwerden ›Kommentar‹, ›Spruch‹oder›Lehre‹sogarteilweisezuheiligenTexten,andenenkeinJotageändertwerdendarf. Wie Exerzitien sind sie zu wiederholen, schwierige Stellen sollen dieSchüler,»vorsiesiebegreifen,auswendiglernen«.17
BrechtsuchtegrundsätzlicheherdiefruchtbareSpannungalsdennochsogoldenenMittelweg.Der›Autor‹isteinerundviele(MitarbeiterundVorgänger,dasKollektiv›Brecht‹);das›Werk‹istOriginalundBearbeitung(Zitat,Plagiat),abgeschlossenundoffen(vorläufig,zitierbar);das ›Publikum‹ istgegenüberundmittendrin(Mitproduzent).ZuletztundzuerstäußertsichBrechtsdialektischerMaterialismusaberkonkretimMaterialen:alsGegeneinanderundZugleichvon›privat‹und›veröffentlicht‹,ArbeitsmaterialundProdukt.
PoetologieundArbeitsweiseBrecht
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18 NB1;diesesNotizbuchmeintHansOtto Münsterermitder»erstenSammlung
BrechtscherGedichteunterdemTitelKlampfenbibel«vomJanuar1919(ErinnerungenanBrechtimJahr1919inAugsburg,in:HubertWitt[Hrsg.],ErinnerungenanBrecht[Leipzig1964],13f.).
19 SobeschreibtPeterSuhrkampBrechtsWünscheandieAusgabe;vgl.Siegfried
Unseld,GelassenüberdieLeichenderPhilologenhinweg.DerganzeBrecht:
ZurEditionseinerWerke,in:DieWelt,25.Juni1964.
20 ElisabethHauptmannanPeterSuhrkamp,9.Januar1951;zitiertnachSiegfriedUnseld,DerAutorundseinVerleger(Frankfurt/Main1978),128.
21 BrechtanPeterSuhrkamp,EndeNovember1953,BBAZ2/204;vgl.BFA30,221.
22 BBA802/5152;vgl.BFA26,146.
23 NB25,51r52r;vgl.BFA26,291.S.auchunten,54,Beispiel22undPeterVillwock,BrechtsNotizbücher,in:SinnundForm3(2008),411418.
WerkundMaterial
Goethe:[…]SeineAbfällesammelteermitEhrfurcht.
(NB4,31v)
Früh schon dachte Brecht an die Herausgabe seiner Arbeiten in Buchform.SeinersteserhaltenesNotizbuchausdemJahr1918/19istwieeinBuchodereineDruckvorlagefüreinLiederbuchgestaltet:LiederzurKlampfevonBertBrechtundseinenFreunden.18SeinendramatischenErstlingBaalversuchteer191921 in den Verlagen Musarion, Drei Masken, Die Wende, Georg MüllerundErichReißunterzubringen,bevorerdann1922beiKiepenheuerpubliziertwerdenkonnte.ZeitlebensstrebteerdieVereinigungseinesWerksineinemklassischenVerlagan.Inden1920erJahrensuchteerdiesinmehrerenGeneralverträgenzusichern−imDezember1921mitErichReiß, imJanuar1922mitGustavKiepenheuer, imJuni 1925mitdemUllsteinVerlagund imMai1929mitFelixBlochErben−,nachdemExildannohnederartigemitregelmäßigenZahlungenverbundeneVerträgebeiSuhrkampundAufbau.
ImmerhatteBrechtesmitdenerstenAdressenzutun:großen,etabliertenVerlagenmit entsprechenderReichweite,PublikumundGewähr für langenBestand. 1930 begann er in der VersucheReihe bei Kiepenheuer eine ersteGesamtausgabe(abgebrochenAnfang1933durchdaserzwungeneExil),1938erschienen die ersten beiden Bände seiner Gesammelten Werke im PragerMalikVerlag(abgebrochendurchdenEinmarschderNazisinderTschechoslowakei).NachderRückkehrausdemExilwurdeab1949dieVersucheReihewiederaufgelegt und fortgesetzt, 1953 dann, »alten englischen Klassikerausgabenfolgend«,19dieAusgabederStückebegonnen,dienachBrechtsWillenspäterzueinerGesamtausgabeausgebautwurde.»BrechtsiehtnunjetztzweiAusgaben:eineArtWerkausgabe(dieVersuche)unddanndieGesammeltenWerkedesKlassikers«20,parallelundjeweilsgleichzeitiginWestundOst,beiSuhrkampundAufbau:eineinheitlichesundzugleich›quadrophones‹Œuvre.
DerTendenzaufSammlungstehtabereineebensokonsequenteStreuungseiner Verlagskontakte gegenüber. Um 1930 waren dies insbesondere Georg
Müller in München (Baal), Drei Masken in München (Trommeln in derNacht),KiepenheuerinPotsdamundBerlin(LebenEduardsdesZweitenetc.),ArcadiainBerlin(TrommelninderNacht),PropyläeninBerlin(ImDickichtderStädteetc.),FelixBlochErbeninBerlin(Dreigroschenoper),B.Schott inMainz(Lehrstück)unddieUniversalEditioninLeipzigundWien(Mahagonnyetc.).Um1950istdieListenochlänger:AufbauinBerlin(FurchtundElenddes Dritten Reiches etc.), Kurt Desch in München (Herr Puntila und seinKnechtMattietc.),KurtReiss inBasel (MutterCourage),AllertdeLange inAmsterdam / Gustav Kiepenheuer in Köln (Dreigroschenroman), GebrüderWeißinBerlin(Kalendergeschichtenetc.),VolkundWisseninBerlin(FurchtundElenddesDrittenReiches),NeuesLeben inBerlin (HerrnburgerBerichtetc.),MitteldeutscherVerlaginHalle(Kalendergeschichten),Kinderbuchverlagin Berlin und Dresden (Der verwundete Sokrates), Suhrkamp in Frankfurt(BertoltBrechtsHauspostilleetc.),VVVDresdnerVerlag/ProgressVerlaginDüsseldorf(Theaterarbeitetc.),VEBVerlagderKunstinDresden(DieGewehrederFrauCarrar),HenschelverlaginBerlin(Antigonemodell1948etc.),ReclaminLeipzig(Gedichte)undEulenspiegelinBerlin(Kriegsfibel).Brechtwarzweimalverheiratet, abererwarniemonogam;erbesaß (fast) immereinAuto,aberersetztenienuraufeinPferd.
Der deutlichen Tendenz zum Gediegenen und ›Klassischen‹, dem Idealeiner»mitdemzentimetermass«21zumessendengroßenWerkausgabestehenimmerauchKonzepteentgegen,dieineineganzandereRichtungweisen.Am31.August1920notierteerinseinemTagebuch:22
VielleichtsollteichdochdieLautenbibelhinausschmeißen,aufZeitungspapiergroßgedruckt,fettgedrucktaufMakulationspapier,daszerfälltindrei,vierJahren,daßdieBändeaufdenMistwandern,nachdemmansiesicheinverleibthat.[…]dasAlleszerfällt,magseinRuhmkleinsein,seinLebenistkleiner,esbleibteineMythologievondenBänden:EssindmystischeDokumente!
EinWeiterlebenalsmystischerGeistLeib:sowirddasVergehendeunvergänglich,dieBibelerstzurHeiligenSchrift.BrechterrichtetnichtnureinePyramidefür die Unsterblichkeit: Konservierung des Geschriebenen als klassischesWerk,sondernauchGerüstezurArbeitamMythos:MetamorphosedervergänglichenSchriftinnamenloseTradition.
Bekanntestes Beispiel einer versuchten Synthese beider Tendenzen imDruckistdasVersucheProjekt.EntwickeltwurdeesAnfang1930:23
1) herausgabeinheften,auchunfertiges
2) preißnachwert:luxusdingeästhetischesusw.teurer,wichtigesbilliger.derpreißaufd.umschlagbezeichnetdieschriftendieinden„kommentar“aufgenommen
Brecht WerkundMaterial
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werdensollen.
3) zusammenoderauseinanderfassungenvonandernmitzitaten!|
z.b.fatzerrundgang billigmahagonny teuerdreigroschenoper „
lindberghflug „
Derbösebaald.A billigkinderbilderbuch „
− eine Produktions und Rezeptionsorientierung, die die klassische Autorund Werkästhetik sprengt: Zitate anderer statt geniale Originalität, offenerArbeitsprozeßstattzuEndegestaltetesKunstwerk,persönlicherNutzenundsoziale Wichtigkeit statt interesseloses Wohlgefallen, flexible, variable Heftestatt repräsentative Bandreihe. Der entworfene doppelte Standard in Gehalt(Wichtigkeitvs.LuxusundÄsthetik),StatusundOrt(Textvs.Kommentar),Preis(billigvs.teuer)unddamitauchAdressatenundWirkungskreiswurdeallerdings nicht realisiert. Die ab Juni 1930 bei Kiepenheuer erscheinendeReihederVersuchezeigtesichäußerlichvielmehreinheitlich:alsgegenstrebigeVereinigungvonklassischerGediegenheit(großesFormatbeikleinemSatzspiegel) und avantgardistischer Werkstatt (unbeschnittene Broschüren zumspätereneigenenZusammenbinden),elitärerTendenzundangestrebterBreitenwirksamkeit.
AberdieBrechtAusgaben,seiensievonletzterHandinSteingemeißeltesmomumentum aere perennius oder offenes work in progress, sind nur daseine. Das andere ist das von Brecht nicht Herausgegebene: Briefe, Notizen,Tagebücher, Arbeitspapiere − das NichtAutorisierte, der Nachlaß. Sind dieSpurenderIndividualität,dieBrechtdochverwischenwollteundauchleichthätteverwischenkönnen,hiernichtnochweitdeutlicher,verräterischer?Undwerden die Überbleibsel des Entstehungsprozesses mit dem Vorliegen desgültigenTextesnichtautomatischzubloßerVorArbeitundVorGeschichtevon allenfalls akademischem Interesse, die ›eigentlich‹ aber überholt sind:»Abfälle«?
Immerhin:BrechtbewahrteseineArbeitspapierevonAnfangankonsequentauf,führtesieaufseinerFluchtvordenNazisuntergrößtenSchwierigkeiteneinmalumdenGlobusmitsichundsichertesiemitallenverfügbarenMitteln−mitdemErgebnis,amEndeseinesLebenseinendergrößtenSchriftstellernachlässe überhaupt zusammengetragen zu haben. Der Produktionsprozeß warihm offensichtlich nie nur Durchgangsstadium, sondern immer auch ›dieSacheselbst‹:nichtnurWegundMittel,sondernselbstschondasEigentliche;WerkstattalsWerk.NebeneinerteleologischorganischenfolgteeraucheinerexperimentelltechnizistischenPoetologie: ›GesammelteWerke‹und ›Versuche‹,›Werke‹und›Material‹.
EinMißlingenoderNichtganzGelingendergefundenenLösungen,ver
änderteRahmenbedingungen,neueZielsetzungenkönnen jederzeitmodifizierte oder gänzlich andere literarische Versuche erfordern − intellektuelleProduktionisteinunabschließbarer,offenerProzeß,beidemdasMaterialniedefinitivverarbeitetodererledigtseinkann.Materialaberkannesniegenuggeben; potentiell alles kann zum Rohstoff werden, sogar das Gesprochene,Improvisierte,Extemporierte.DasbekamElisabethHauptmanndeutlichzuhören,alssiedieihrvonBrechtzugedachteRollealslebendigesAufnahmegerätvernachlässigte:24
Brecht sagte mir eines Nachmittags Mitte Mai, es sei eine der übelsten Auswirkungen meiner Faulheit, dass ich nicht immer alle Sachen gleich von ihm aufschriebe. Sonst müsste ich doch schon ein ganzes Arsenal haben von Material, das wir sukcesive aufarbeiten könnten.
SchondiePoetologieBrechtserfordertdieSammlungundAufbewahrungallerVersuchselemente,RohstoffeundProduktionsmittel:einArchiv:25
alsherrkeunerindieemigrationging,mußteeralleseineliterarischenarbeitenzurücklassen.seineältestemitarbeiterinübernahmes,sieihmnachzuschicken.indemsieaufeinegünstigegelegenheitwartete,verlorsiewiederzeit.siewurdeverhaftetundfreigelassenflohsieebenfallsüberdiegrenze.sotratsieherrnkeunerohnediepapieregegenüber.herrkeunerwarsehrniedergeschlagen.aufdiefrage,oberkeinunglückgeltenlasse,antworteteerheftig:nein.aberaufdiefrage,oberdennseinemitarbeiterin,diesichinzwischensehrzugrämenbegonnenhatte,auchfürdenfall,daßdiepapieredochnochirgendwieinseinehandgelängen,dennochnichtmehrzusehenwünsche,antworteteer:warumnicht?erstandaufdemstandpunkt,siehabenunmehrglücknötig–undnurdasverübelteerihr.
Elisabeth Hauptmann bezog die Eintragung später auf sich selbst und ihreRolle bei Brechts Emigration 1933. Auf der Arbeitskopie des BBA notiertesiemitBleistiftnebendemText:»DiesentsprichtnichtdenwirklichenUmständen.Übrigens:BrechthatalleManuskriptebekommen«.BrechtschriebaberkeinenSchlüsseltextaufsichundseineMitarbeiterin,sondern−schondreiJahrevordemBeginndesExils−eineKeunerGeschichteüberdieBedeutungvonliterarischenPapierenundihrerBewahrung.EsgingihmnichtumPflichterfüllungodervergessenheitderArchivarin,sondernumdasDilemmadesArchivszwischenAuslieferungundRettung.ImSchreibenverzichtetderLiterat,alsdersichHerrKeunerhiererweist,janichtnuraufdiereineInnerlichkeitsprachundmachtloserAutonomie.Erläßtsichauchschwarzaufweißgreifbar,angreifbar,justitiabelmachenundbegibtsichindieHändeanderer.DieseSelbstnegationmachtunabhängigvomzufälligeneigenenSchicksalundvonder eigenenphysischenExistenz.DieKehrseitederdamitgewonnenengrößerenFreiheitistabereinehöhereGefährdung.DieSicherungdesMaterialsmußhinzukommen.OhnediesewürdemanerneutvonzufälligenGlücksumständenabhängig,dienichteinmalmehrdieeigenenwären,sonderndie
WerkundMaterialBrecht
24 Tagebucheintragungvom8.Juni1926,KopieBBA151/37.
25 NB28,24r(»wieder«und»auch«überderZeileeingefügt);vgl.BFA18,36.
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einesArchivars,derGlückzurBewahrungderPapierenötighat.EinaufGlückangewiesenesArchivistaberkeines.
Nicht erst Erben und Nachlaßverwalter, Brecht selbst schon mußte sichdenProblemendesArchivsstellen:KonservierungderOriginale,Sicherung,Lagerung, Registratur, Ordnung und Erschließung. Von Anfang an warBrechtauchArchivareines›NachlasseszuLebzeiten‹.ErbedientesichdazuvielfältigerTechniken.Vielleichtfrühvoraussehend,daßsichvielansammelnwürde,bevorzugteerdünnesPapier,umdenPlatzbedarfbeiderLagerungzuminimierenunddieHerstellungvonTyposkriptdurchschlägenzuerleichtern.26DenSchrittvonderHandzurMaschinenschriftlichkeitimProduktionsprozeßvollzogersehrfrüh.SeinNachlaßbestehtzuetwa9o%ausTyposkripten,wasdieLesundNutzbarkeitschonfürihnselbst,nochmehrnatürlichfürseineMitarbeiterenormsteigerteundFehlerquellenreduzierte.ZudemließsichmitDurchschlägenundAbschriftenleichteineerste›interneÖffentlichkeit‹herstellenundderTextdurchKopiensichern.
Als guter Archivar und teilweise manischer Sammler bewahrte Brechtmöglichst alles in seine Verantwortung Fallende, je in seiner ›Manufaktur‹Geschriebeneauf,unbekümmertumgewaltigeMaterialberge.EinerArtWegwerftabufolgend,entschiedersichmeistfürSicherungdurchRedundanzen(Kopien),gegenKonzentrierungdurchKassation(Vernichtung).AngesichtsderaufdieseWeiseschnellanwachsendenMengevonPapierwurdebaldeineSystematisierungdesBestandsnotwendig.BrechtbildeteWerkkomplexe(undzerrißdafürauchNotizbücher)undDokumentenserien(zähltez. B.inmehrerenAnsätzenseineNotizbücherteilweisedurch),erließMaterialundWerkverzeichnisseanlegen,27schafftespezielleManuskriptmappenan,28ließeigensDokumentenschränke herstellen und beauftragte verschiedene MitarbeitermitderSichtungundSortierungdesMaterials.BeiseinemTodfandessichinSchränken,FächernundMappenineinerbisheuteweitgehenderhaltenenOrdnung. Nicht zuletzt – konsequente Fortführung der frühen Tendenzen,Platz zu sparen, Kopien und Öffentlichkeit herzustellen – sorgte er für dieSicherung des Materials auf neuestem technischem Stand. 1928 ließ er eineDreigroschenoperInszenierung von Carl Koch auf Film dokumentieren,29undseitden1940erJahrenstellteergemeinsammitRuthBerlau,angespornt
vonihrem»sinnfürdaswichtige«,systematischFotographienseinerPapiereher,»bestimmt,einarchivvonfilmenmeinerarbeitenanzulegen«,und»oftwaren die arbeiten pionierarbeiten.«30Angesichts »der rapiden EntwicklungunsererPhysikinderRichtungaufZerstörungsmittel«solltendieKopien»anverschiedenenPunktenderErdoberfläche«deponiertwerden.31BeiderrealenMöglichkeiteinesAtomkriegessolltedasRisikodesDatenverlustesminimiertwerden. Seine Probenarbeit der 1950er Jahre am Berliner Ensemble ließ ervonKätheRülickeprotokollierenundindenletztenMonatenauchvonHansBunge auf Tonbänder aufnehmen. »nehmt auch einen kinomann mit \ daßdasvorbild\aufbewahrtwird!«forderteervoneinemRettungsunternehmenschon1929/30.32
AberauchdiedemZuwenigentgegengesetzteGefahreinesZuvielanArchivierunghatBrechtgesehenundreflektiert.DemspurlosenVerschwindenderZeichenstehtnichtnurihreRettungdurchdasArchiv,sondernauchihreMumifizierungundVersteinerung,demVergehenderBuchstabennichtnurihreBewahrung,sondernauchdasVerwehendesGeistesausihnengegenüber.BrechtsahimmerauchdieimmanenteAffirmativität−»diefotografenreihensicheinindieApologeteneinerumfunktioniertenwelt«−unddokumentarischmimetische Begrenztheit der Fotografie − »grade fotogr⟨afien⟩ unverläßlich!siekönnen„nur“dierealitätgebenetc.«33NichtnurNichtexistenz,sondernauchNichtnutzung,Nichtveränderbarkeit,NichtnutzbarkeitundNichtwirksamkeitwarenihmnurandereWortefürNichtwirklichkeit:fürTod.
Um1933schreibtBrechtaufeinemheutezerfallendenBlatt:34
wenn ein papier abhanden kommtauf das man geschrieben hatdas ist nicht schlimm.vielleicht nämlich liest es einer und verändert sich.schlimm ist nurwenn das papier zerfällt.
Biologen sehen als Kriterien bzw. Grundbedingungen von ›Leben‹ Stoffwechsel,FortpflanzungundMutation;indiesemSinnfolgtBrechtsSchreibeneiner biologischen Poetik. Es soll sich Stoffe aneignen, einverleiben und sieverarbeiten, für die eigene Fortpflanzung in Kopien und Köpfen anderersorgen und sich durch Mutation an veränderte Kontexte adaptieren undweiterentwickeln können. Nur eine sich mit verändernden Umständen ver
WerkundMaterialBrecht
26 BrechtsVaterwarseit1917DirektorderHaindlschenPapierfabrikeninAugsburg.AuchBertoltverkehrtehäufiginderFabrik,unteranderem,umseineerstenStückevondendortigenSekretärinnen(ab)tippenzulassen.KenntnissevonPapierenundPapierqualitätenkönnenbeiihmmitSicherheitvorausgesetztwerden.
27 Vgl.z.B.dasNummernverzeichnisBBA975/1(Durchschlag610/7),dasSach
registerBBA507/7879(beidesum1937,wohlvonMS)unddieManuskriptlisteBBA452/1und3.
28 Vgl.ErwinStrittmatter,BesuchbeiBrechtheute,in:Wochenpost4,Nr.15,
13.April1957.29 Vgl.BrechtanHeleneWeigel,Septem
ber/Oktober1928,BBAE12/116;vgl.BFA28,311.
30 BrechtanRuthBerlau,14.März1950,BBA168/1;vgl.BFA30,19;Journal,zwischen20.und22.Dezember1944,BBA282/14;vgl.BFA27,215;s.auchdieNotizenzurFotoarchivierungaufdenBlätternBBA1209/617.
31 BrechtanHansOttoMünsterer,29.Au
gust1953(BBA1340/107;vgl.BFA 30,197).32 NB29,4r(zuEisbrecherKrassin);s.auch
unten,62f.,Beispiel32.33 NB40,7v,ca.1933/34.34 BBA98/2;vgl.BFA14,19;.
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änderndeProduktion,einvirulentbleibendes, lustundfruchtverheißendesAngebot, ein an wechselnde Situationen anpassungsfähiges, immer andereStoffe in Energie umwandelndes Transformationssystem ist lebendig. DiesistdiekonsequenteNegationdesArchivs,daseinenWechselderStoffe,einEindringen von Fremdem, eine Veränderung am Bestand nur als Verunreinigung,ManipulationundExistenzbedrohungsehenkann.BrechtistauchAntiarchivarund›Anarchivar‹.35
Brechts Subversion des Archivs äußert sich in ganz verschiedenen Tendenzen und Techniken. Er wechselt Systematiken und Kriterien, mißachtetGattungsgrenzen, WerkOrdnungen und Chronologien. Was Peter Weiß anBrechtsBüchernauffiel,36giltfürdengesamtenNachlaß:
BeimAuseinandernehmenderBibliothekwarmiraufgefallen,daßdieBändewederalphabetischnochnachFachgebietengeordnet,dochauchkeineswegsregelloszusammengestelltgewesenwaren,sondernnachVerwandtschaftsbeziehungen,nacheinemSystemgegenseitigerSympathienoderZusammengehörigkeiteninStreitgesprächen,ofthatteeseinNebeneinanderausheftigenKontrastengegeben,dasdanndochzugeheimenÜbereinstimmungenführenkonnte.
DazukommenweitereanarchivischeTendenzen:BrechtsHandschriftistoftausgesprochen unzugänglich und fehllesungsträchtig; er verteilt ein ProjektaufverschiedeneTextträgerundverwendeteineneinzigen fürverschiedeneProjekte, so Interferenzen und unvorhersehbare Wechselwirkungen ermöglichend;erarbeitetaneigentlichüberholtenFassungenweiterundtransplantiertTextteileunbedenklichinandereKontexte;er läßtganzeNachlaßTeileaufseinenExilstationenzurückundvergißtsie.37Schließlichunterminierter,wiegesehen,denfüreinWerkundPersonalarchivkonstitutivenBegriffderAutorschaft.DiepersönlicheZurechenbarkeit,differentiaspecificaderWerkeundVoraussetzungihrerkorrektenArchivierung,istaufgehoben.
ArchivundEdition
sorgfältigprüfichmeinenplaneristgroßgenugeristunverwirklichbar
(NB35,96r)
Der Tod des Autors ist die Geburt des (Gesamt)Werks. Das Œuvre liegt,fertigodernicht,faktischabgeschlossenvor.Werke,Texte,Schriften,Notizen,Mitteilungen,kurz:dasWerkistnichtmehränder,nurnochmanipulierbar.Es ist in andere, idealerweise treue Hände übergegangen: die der Erben alsTrägerder(irgendwannerlöschenden)Rechte,diederArchivare,HerausgeberundLeseralsTrägerder(nieerlöschenden)VerantwortungfürdasWerk.
DieSpannungenvonArchivundAnarchivdesMaterialsundvonKlassikundModernedesWerks,dieBrechtzeitlebensumsichtiginstalliert,nachsichtigtoleriertundweitsichtigprovozierthatte,setztensichtatsächlichunverändertnachseinemTodfort.Der14.August1956bildeteäußerlichkeinenEinschnittim›Leben‹desGesamtkunstwerks›Brecht‹.DiegleichenPersonen,dieschonvorher,teilweiseschonjahrzehntelanganderProduktionseinerPublikationenundanderDokumentationseinesSchaffensprozessesmitgewirkthatten,arbeitennachgewohntenKriterienundVorgabenweiter.Siewußten,wasBrechtwollte.
SchonsechsTagenachBrechtsTod,am20.August1956,wurdebeieinemTreffenvonHeleneWeigel,ElisabethHauptmann,PeterSuhrkamp,HansMayer,RudolfEngel,WalterJankaundBennoSlupianekbeschlossen:38
DergesamteNachlaßvonBrechtsollinBrechtsWohnungunterderLeitungvonE.Hauptmannfotokopiertwerden.(AkademiederKünstestellt2technischeHilfskräftezumFotokopierenundRegistrieren.)SpätersolldannnurmitdiesenFotokopiengearbeitetwerden,währenddieOriginalmanuskripteunterVerschlußbleiben.
DamitwarendieWeichenfüreinprivates,aberwissenschaftlicharbeitendesundvonoffiziellenStellenunterstütztesBertoltBrechtArchivgestellt.Am1.Dezember 1956 wurde es juristisch gegründet und Hans Bunge,39 der zuvor
ArchivundEditionBrecht
35 JacquesDerrida(derdenBegriff›Anarchiv‹prägte;vgl.J.D.,DemArchivver
schrieben[Berlin1997],24)zufolgeistjedemArchivsowohlderarchivische(Über)Lebenstriebalsauchder›anarchivarische‹oder›archiviolithische‹Todestriebinhärent.
36 PeterWeiß,DieÄsthetikdesWiderstands[Frankfurta.M.1978],Bd.2,313.
37 SiehedieersteinhalbesJahrhundertnachBrechtsTodinZürichaufgetauchtenneuenBBABeständeMertensBertozziundCohen.
38 BesprechungüberdenliterarischenNachlaßBertoltBrechts;Protokollkopie,EHA8.
39 S.BrechtanHansBunge,7.März1955,BBA743/85;vgl.BFA30,317.−BrechtselbstmußteanfangsvonRuthBerlaugeradezuüberredetwerden,mitBungezusammenzuarbeiten:Bungeliebe»deineArbeitundseineArbeitbeidir,mitdir,
mitdieserGründlichkeit,dieaufdichabstoßendwirktunddochsonützlichist[…].Seinehartnäckige,grausameGenauigkeit[…]«;zit.nach:KlausVölker,Werkönnteschonvonsichsagen,daßerdieWahrheitimSackehat?(ÜberHansBunge,19191990),in:Freibeuter45(1990),146.
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schonBrechtsArbeitsarchivundFotolaborbetreuthatte,vonHeleneWeigelzum Leiter ernannt. Es waren schon »etwa sechs Wochen nach Beginn derArbeitsiebenundzeitweiseachtPersonenbeschäftigt«,manverwendete»zweiHochleistungsaufnahmegeräte«,die»biszu2000Aufnahmentäglich«schafften,undentwickelte»einVerfahren,mitdemschließlichvoneinemOriginalfilmdreiDuplikatfilmehergestelltwurden,dieannäherndvongleicherQualitätsindwiederOriginalfilmundaufjedenFalleinwandfreieRückvergrößerungen ermöglichen.«40 Diese ›limitierte Edition‹ der vier Sicherungsfilmewurde inBerlin,Basel,HarvardundMoskaudeponiert.Bemerkenswert ist,wiesehrvonAnfanganReproduktionsfragenimVordergrundstanden.NochdieKopie(Rückvergrößerung)derKopie(Duplikatfilm)derKopie(Originalfilm)wurdereflektiertundkontrolliert.ÜberdenZustandderOriginaleundkonservatorischeoderrestauratorischeMaßnahmenfindensichdagegenkeinerleiAngaben.
BeiderRegistrierungderDokumenteentschiedmansichfürdasProvenienzPrinzip:dieVerzeichnungdesMaterialsindervorgefundenenOrdnung(oderUnordnung)unterVerzichtaufSystematisierung.DerBestand,wieeramTagvonBrechtsTodvorlag,vonihmselbstundanderenteilschronologisch,teilssystematisch,teilsgarnichtgeordnet,wurdegleichsameingefroren:41
SystematischwurdevonSchrankzuSchrankvorgegangen,innerhalbjedesSchrankesFachfürFachundinnerhalbjedesFachsMappefürMappearchivalischaufgenommen.Nurdort,woessoforterkennbarwar,daßzusammengehörigeBlättersichnichtinderrichtigenReihenfolge–etwaeinervorhandenenNumerierung–befanden,wurdedievonBrechtbestimmteOrdnungwiederhergestellt.
GanzwurdeaufeinenachholendeSortierungalsodochnichtverzichtet.WieundmitwelcherSicherheitmandabeidasvonBrecht ›Bestimmte‹wirklicherkannteundinwieweitesdochwenigerWiederherstellungalsallererstHerstellungeinerOrdnungwar,istnichtmehrfestzustellen.Schriftlichfestgehaltenwurdedarübernichts.
BeiderSignaturvergabewarebenfallsnichtdasOriginal,sonderndieKopiemaßgeblich. BBASignaturen bestehen jeweils aus einer Hauptsignatur undeinerlaufendenNummer.DieHauptsignaturrichtetsichnachvomBestandvorgegebenenEinheiten(Schubladen,Mappenetc.),allerdingsnurda,wosieungefährderGrößeeinesFilmsentsprachen.WoderartigeNachlaßkonvolutezugroßwaren,wurden sie aufmehrereHauptsignaturen (=Filme)verteilt;wosiezukleinwaren,wurdenmehrereuntereinerzusammengefaßt;woderNachlaßkeineEinteilungerkennenließ,wurdepragmatischeEinheitennacheinemRichtwert(100AufnahmenproFilm)gebildet.Ergebnis:Dieursprüng
licheGliederungdesBestandsbildetsichindenSignaturenimgroßenGanzenab; der ursprüngliche Standort eines einzelnen Dokuments dagegen ist inkeinemFallmehrmitSicherheitanzugeben.
AuchdieVergabeder laufendenNummernrichtete sichnachdenSachzwängenderdamaligenfotographischenMöglichkeiten.WoeineDoppelseitekleingenugwar,umaufeineFotographiezupassen,erhieltsieeineSignatur,woeineEinzelseiteumgekehrt zugroßwar,wurdenzweiodermehrNummernvergeben.42DieheutigenBBASignaturenbezeichnenalsodieZahlundAbfolgederKopien.SielassenkeineSchlüsseaufAnzahl,Zusammengehörigkeit,GrößeundeinoderbeidseitigeBeschriftungderOriginalezu.
DieSignaturenwurden–sicherinderMeinung,dieOriginalesobesserzuschützenundbeieinerspäterensystematischenSignierungkeineRadierungenvornehmenzumüssen–aufZettelgestempelt,diedannmitKlebstreifenamOriginalangebrachtwurden.NochdieauffälligeGrößederZettelerklärtsichausderVerfilmung:DieSignaturensolltenzurschnellerenOrientierungauchohneRückvergrößerungnochaufdenMikrofilmenlesbarsein.
DiearbeitsökonomischeundarchivlogischeBevorzugungderSicherungskopievordemOriginaldokumentinderFrühzeitdesBertoltBrechtArchivsresultiertevorallemauseinemvagen,aberdringlichenBedrohungsgefühl:43
EsgibtaberzuvieleBeispieleempfindlicherVerlustevonnichtkopiertenOriginalenwertvollerNachlässe.DassorgfältigsystematischeVorgehenbeiderArchivierunghättesichunterUmständenalsSorglosigkeitinbezugaufdieSicherungdesNachlasseserweisenkönnen.HeleneWeigelordnetedeshalban,vordringlichMikrofilmeanzufertigenundvervielfältigteExemplareanverschiedeneOrteauszulagern.Damitseigewährleistet,daßeinespätergeplanteAuswertungdesNachlassesniemalszuspätkommenkönne.
EinederVerzeichnungundVerfilmungvorausgehendeTaxonomienachPertinenz als Alternative zum ProvenienzPrinzip wurde demnach durchausin Betracht gezogen, aber aus pragmatischen Gründen vorerst (wenigstensgrundsätzlich;leidernichtkonsequent)verworfen.ZumGlück.DennBrechtsArbeits, Selbstarchivierungs und Selbsteditionstechniken unterlaufen, wiegesehen, systematisch jede Systematik, die ein Archiv doch voraussetzenmüßte, um sie rekonstruieren zu können. Mit chronologischgenetischemodergattungsundwerkästhetischemZugriffistBrechtvielleichtirgendwieindenGriffzubekommen,nichtaberzuerfassen.
Dennochwurde inHertaRamthunsBestandsverzeichnisdes literarischenNachlassesdergesamteNachlaßBrechtskomplementärzurRegistrierungmit
ArchivundEditionBrecht
40 HansBunge,VorausbemerkungenzueinerhistorischkritischenAusgabederSchriftenBertoltBrechts,in:MitteilungsblattfürdieMitarbeiterderDeutschenAkademieder
WissenschaftenzuBerlin4(JanuarMärz1958),26f.
41 Bunge,Vorausbemerkungen(Anm.40),26.
42 Vgl.unten,7274.−DieBehauptung,daß»jedebeschriebeneSeitemiteinerneuenZahl«versehen,beiderSignierungalsovomOriginalausgegangenwurde«(Bunge,Vorausbemerkungen[Anm.40],26),istfalsch.
43 Bunge,Vorausbemerkungen(Anm.40),26.−Die(wiegesehen,schonvonBrechtgehegte)katastrophischePhantasieistkeinDefekt,sondernKardinaltugendundAxiomjedesArchivs.
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laufenderNummernocheinmalnachsystematischenKriterienverzeichnet.44
AufdieserenormenArbeitberuhenalleBrechtEditionen.Ramthunordnetaber nicht nur jedes Dokument zu und ein, sie evaluiert es auch (recensio,examinatio),indemsiejeweilsdenoderdieSchreiberfesthält−mit›M‹fürMaschinenschriftBrechts,›m‹fürandereMaschinenschrift(zurProblematikdieserUnterscheidungs.unten,99undAnm.46),›H‹fürBrechtsund›h‹fürandereHandschrift,letzteresmeistsogarnochmitAngabedesSchreibers.
Insgesamt läßt sich sagen: Brechts Nachlaß ist seit über 30 Jahren guterschlossen. Das BertoltBrechtArchiv ist heute eines der vollständigstenSchriftstellerarchive überhaupt. Zum eigentlichen Nachlaß (zu dem auchBrechtsBibliothekgehört45)undeinemgutzugänglichenkomplettenBestandvonArbeitskopienkommenumfassendeSammlungenvonzugehörigenDokumenten, ein Foto, Ton und Filmarchiv, eine umfangreiche Bibliothekmit detailliert erschlossener Primär und Sekundärliteratur bis hin zu einerumfangreichen Sammlung von Zeitungsausschnitten und weltweitem Aufführungsmaterial.
Doch das BertoltBrechtArchiv steht auch vor großen Problemen. DerBestand ist in Original und Kopie unzureichend gesichert und teilweiseschonakutvonPapierzerfallundSchriftschwundbedroht.DieErschließungund Verzeichnung erfolgte nach wechselnden, anspruchsvollen, häufig ehereditionsorientierten als archivischen Kriterien und Systemen − mit demErgebnis,daßdieNutzungderFindhilfsmittelheuteihrerseitserschließenderHilfedurchArchivmitarbeiterbedarf.VergänglichkeitundstrukturelleKomplexitätdesBestandssindunbewältigteProbleme.
Hinzu kommt das Manko an Metadaten. Kaum je wurden Dokumentationen der geleisteten Arbeiten angelegt. Schon die erste VerzeichnungwichteilweisevomProvenienzPrinzipab,ohnedasWie,WoundWarumzudokumentieren.GleichesgiltfürdiespätereZuordnungderSchreiberhändezueinzelnenDokumentenunddieserzubestimmtenWerkeninKarteiundBestandsverzeichnis. Die keineswegs einfache oder gar selbstverständlicheWeitergabedieserInformationenistausgesprochenverdienstvollundnützlich,heuteallerdingsnurstatistischzuverlässig.ImEinzelfalldagegenmüssendieBestimmungen in jedem Fall nochmals verifiziert werden, da die Kriteriennirgends festgehalten, transparent und nachprüfbar (und ggf. falsifizierbar)gemachtwurden.AufgrunddergroßenNähezum›Meister‹,mangelndemProblembewußtsein,derGrößedesBestands,Zeitdruck,kommerziellenInteressen, unreflektiertem Pragmatismus oder aus anderen Gründen wurde hier
amfalschenEndegespart.EineIntuitionsundAutoritätsArchivistikistaberkeinewissenschaftliche.Hiermußvielesnocheinmalgemachtwerden.46
In jedem Archiv überkreuzen sich Individuelles und Allgemeines, VergänglichkeitundBestand.Archive,vonderenExistenznurderArchivarweiß,sindvondiesemsovollkommenabhängigwieGedankenvomKopfdesDenkenden:Sieverschwindenmitihm.Dokumente,dienurfürdenArchivarlesbar sind,werdenohne ihnzu toterMaterie.DieersteBedingungderMöglichkeiteinesArchivsistalsoseineNutzbarkeit.DieNutzbarkeitwirderhöhtdurchErgänzungundSammlung(Ziel:Vollständigkeit),SicherungundKonservierung(Ziel:Dauerhaftigkeit),Systematisierung,TranskriptionundErläuterung(Ziel:Transparenz),personenunabhängigeErschließungundÖffnung(Ziel:Zugänglichkeit)sowieVerrechtlichungundInstitutionalisierung(Ziel:Vergesellschaftung).DieimjuristischenStatus»öffentlichenArchivenehmenimdemokratischenStaatschließlicheine›Mittlerrolle‹zwischenStaatundGesellschaft,VerwaltungundWissenschaftein«47:eineSchlüsselposition.
Der Archivar hat dabei etwas von Sisyphos (den man sich mit CamusimmerhindochalsglücklichenMenschenvorstellenkann):SeineZielesindnicht erreichbar. Die logische Struktur des Archivs ist paradox (›absurd‹).SelbstwennVollständigkeit,Transparenz,DemokratisierungdesWissensunddasFungierendesArchivsalsgesellschaftlicheSelbstvermittlungsinstanznäherungsweiseerreichbarwären:unvergänglichwirdeinArchivniesein.Idealerweiselanglebig,istesdochnichtunsterblich.Wiedieinsie›eingeweihten‹Archivare und Editoren, werden auch die Originale selbst bei bester VerwahrungundPflegeeinmalverschwundensein.AuchvonNaturkatastrophen,Kriegen,DiebstahloderVerkaufundVerschwindeninprivateTresoreabgesehen:Tinteverblaßt,Bleistiftreibtsichab,Papierzerfällt,langsam,abersicher.DasArchivstemmtsichgegenZeit,ErosionundEntropie,entgehtihnenabernicht;»nichtswasistwirdmehr,alleswirdweniger.«48
Um den unlösbaren Selbstwiderspruch von Vollendungs und Unsterblichkeitsidealeinerseits,faktischerMangelhaftigkeitundVergänglichkeitandererseitszubewältigen,mußdasArchivgleichsam inseinGegenteilübergehen.AusdemeinenOriginalmüssenvieleKopienwerden,dennirgendwanneinmalwirdjenesnurnochindiesenweiterleben.Beidemkontinuierlichen
ArchivundEditionBrecht
44 BertoltBrechtArchiv.BestandsverzeichnisdesliterarischenNachlasses,bearbeitetvonHertaRamthun,4
Bände(Berlin,Weimar19691972).45 Vgl.DieBibliothekBertoltBrechts.Ein
kommentiertesVerzeichnis,hrsg.Bertolt
BrechtArchiv,AkademiederKünste,bearb.vonErdmutWizisla,HelgridStreidtundHeidrunLoeper(Frankfurt/Main2007).
46 WasbeispielsweisedieTyposkriptebetrifft,soisteinewissenschaftlicheAnalysederverschiedenenMaschinen,SchreiberundSchreibgepflogenheiteneindringendesDesiderat.Bisdiesenichtvorliegt,kanndieÜbernahmederZuordnung›M‹(fürBrecht)oder›m‹(fürandereSchreiber)ausdemBestandsverzeichnisnurunterVorbehalterfolgen.BeiManuskriptenistdieDifferenzderHändeaugenfälliger,auchhierstehtabereinesystematische
ErfassungderverschiedenenPhasenundFormenvonBrechtsHandschriftunddieverläßlicheZuordnungfremderSchriftenzuSchreibernnochaus.
47 BartholomäusManegold,Archivrecht.DieArchivierungspflichtöffentlicherStellenunddasArchivzugangsrechtdeshistorischenForschersimLichtder
Forschungsfreiheitsverbürgungdes Art.5Abs.3GG(Berlin2002),23.48 NB16,9v.
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(oder,nieauszuschließen:abrupten)SchwundderOriginalInformationsolltederÜbergangindieReproduktionjeweilsbaldundbestmöglichgeschehen.KopienmüssenvonAnfangangenausoernstgenommenundgepflegtwerdenwiedieOriginale.DiezweiteGrundbedingungjedesArchivsnebenderNutzbarmachungderDokumenteistsomitseinetechnischeVervielfältigung(Ziel:SicherungdurchProliferation).EinganginundAusgangausdemArchivstützen sich gegenseitig; nur zusammen sind Erinnerung und Entäußerung aufDauergestellt.NurinseinanderesübergegangenkanndasArchivdieeigeneVergänglichkeit (wenigstens theoretisch und in menschlichen Zeiträumen)überleben.DialektikdesArchivs:NotwendigkeitderEdition−»…daßdasvorbildaufbewahrtwird«.49
EditionundArchivsindimmeraufeinanderangewiesen.Auchhierschiendie Ausgangslage bei Brecht, wo sie gleichsam als siamesische ZwillingezurWeltkamen,zunächstfastideal.SowieBrechtsPoetologiedieArchivierungimmanentist,soerstrechtdieHerausgabe;BrechtschriebnichtfürdieSchublade.SeinTod1956bedeuteteauchindieserHinsichtkeinenEinschnitt.DiebegonneneEditionsarbeitkonntevielmehrbruchundfraglosfortgesetztwerden,ermöglichtdurchdenWeiterbestanddes›KollektivsBrecht‹.Vorherwienachher:ArchivundEditionarbeitetenHandinHand,jasielagenteilweisesogarindenselbenHänden.
Schon die erste systematische Registrierung des BrechtNachlasses erfolgteexplizitund»vonAnfanganinHinsichtaufeineHistorischKritischeAusgabe«. Die Voraussetzungen dafür waren »günstiger als sie jemals beieinem Schriftsteller bestanden haben«50: einmalige Vollständigkeit und ZugänglichkeitdesNachlassesaneinemOrt,EinmütigkeitallerVerantwortlichenüberdas,wasdamitgeschehensollte,schnellsteRegistrierungundSicherungdesBestandsaufneuestemtechnischemStandundschonfokussiertaufeineEdition, unverzüglicher Beginn der Arbeit, finanzielle, institutionelle undpersonelleAbsicherung,einenormerFundusansystematischerschlossenemKommentarmaterial, die Kooperationszusagen der allesamt noch lebendenengenMitarbeiterBrechts− tatsächlichwarendieWeichengestelltundalleSignaleaufGrün.
Seit Januar 1958 traf sich die Arbeitsgruppe HistorischKritische AusgabederSchriftenBertoltBrechts,derKoryphäenwieFriedrichBeißner,ErnstGrumach,WolfgangSteinitzundGerhardSeidelangehörten,regelmäßig.51Dabei
kristallisiertensichzweiKonzepteheraus.FriedrichBeißnerwollteanalogzuseinerHölderlinAusgabeein›idealesWachstumderTexte‹zeigen,BungedagegendenSchaffensprozeßaufmaterialistischerGrundlagedarstellen.52SchonAnfang1959kündigteBungeöffentlichan:»ZumerstenMalwirdsokurzeZeitnachdemTodeeinesSchriftstellersdamitbegonnen, seineWerke ineinemhistorischkritischenTextderÖffentlichkeitvorzulegen.«53Seit1960standdieGliederungderAusgabein60Bändefest.Bis1962legtenBeißner,BungeundSeidelModelleditionenvonDasManifest,BrechtsVersfassungdesKommunistischenManifestsvor;54StellungnahmenführendergermanistischerHerausgeberwurdeneingeholt.Noch1963konnteHansBungeganzselbstverständlichdavonausgehen,daßderEditionsprozeßlängstbegonnenhatte.55
BungeunterschätzteallerdingsdieTatsache,daßimBertoltBrechtArchiv(dessenLeitungernachUnstimmigkeitenmitHeleneWeigel1959niederlegenmußte) gleichzeitig schon längst an einer ganz anderen Ausgabe gearbeitetwurde.WährenddieFachleuteanderGrundlegungeinerEditionarbeiteten,dieBrechtsVersuche–die»auchunfertiges«enthieltenunddieAbsichtverfolgten,»dieeinzelnensehrverzweigtenUnternehmungenkontiniuerlichausihrem Zusammenhang zu erklären«56 − ins Wissenschaftliche heben sollte,hattesichdieebenfallsschonvonBrechtselbstinSpannungzudenVersuchenbegonnene ›klassische‹AusgabeseinerStückestetigauf immermehrWerkbereicheausgeweitet.Parallelzuden›professionellen‹VorarbeitenerschieneinvonElisabethHauptmann(mitBennoSlupianeku.a.)herausgegebenerBandnachdemanderen.Seit1958sprachderVerlegerPeterSuhrkampvondieserReihe als ›Gesamtausgabe‹. Zunächst als ergänzende Leseausgabe gedacht,beherrschtesiebalddurchihreschiereExistenzdaseditorischeFeld.
DiesichsoimUntergrundanbahnendeÄnderungderPrioritätenwurde1964manifest,alsSuhrkampsNachfolgerSiegfriedUnselddieBrechtErbenvonderUntunlichkeitderbisdahinnochangestrebten›großenLösung‹über
ArchivundEditionBrecht
49 NB29,4r.50 »JedesWortBrechtswirdenthaltensein!«
DVZInterviewmitDr.Bunge−Vorarbeitenfüreine60BändeumfassendeBrechtAusgabeabgeschlossen,in:DeutscheVolkszeitung,31.Mai1963.
51 SiegfriedUnseldsZusammenfassungderinsgesamtsechsjährigenintensivenArbeit(daruntermindestensvierzweitägige
Kolloquien):»eineeinzigeKommissionssitzunggermanistischerFachgelehrter[…]kamzukeinemanderenErgebnis«,alsdaß»derRufnacheinersolchenAusgabeverfrüht«sei(S.U.,DerAutorundseinVerleger[Frankfurt/Main1978],143),istfalsch;vgl.dazuundzumfolgendennäherPeterVillwock,BrechtinderSackgasse,in:Text13(2010).
52 BungebezeichneteBeißnersAnsatzals»metaphysischerklärend«,währendseineigenerdaraufziele,»BrechtsdialektischeArbeitsmethodeerkennbarzumachen«(BriefanHeleneWeigel,29.Dezember1960;EHA211).
53 HansBunge,ÜberdasBertoltBrecht Archiv,in:SinnundForm11(1959),140
145,hier144.54 GerhardSeidelveröffentlichteModelle
vonHansBungeundsichselbstinG.S.,BertoltBrecht−ArbeitsweiseundEdition.DasliterarischeWerkalsProzeß(Berlin1977).Dieses(aufseinerDissertationStudienzurEditionpoetischerTextevonBertoltBrecht[Greifswald1966]beruhendeundzuerstunterdemTitelDie
FunktionsundGegenstandsbedingtheitderEdition.UntersuchtanpoetischenWerkenBertoltBrechts[Berlin1970]erschienene)WerkistbisheutedieeinzigeumfangreicherePublikation,diesichwissenschaftlichundgrundsätzlichmitEditionsfragenbeiBrechtauseinandersetzt.DaranknüpfendiefolgendenAusführungenan.
55 TatsächlichfindetsichinderBibliothekdesBBAeinealsManuskriptvorliegendeEditionvonDasManifest(bearbeitetvonHansJoachimBunge)schonals
Bd.15vonBertoltBrecht,Schriften.HistorischKritischeAusgabeverzeichnet.
56 BertoltBrecht,Versuche,Heft1(Juni1930),1.
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zeugenkonnte:»DerRufnachihrwarverfrüht«.57VondaanwurdenAusgaben,dieBrechtsantiklassischeAnsätzefortführten,immermehrvonderHauptzurNebensache,bisheute.50JahrenachBrechtsTodistderElanderfrühenJahre verflogen. Kein Band der so gründlich vorbereiteten HistorischKritischenAusgabeistjeerschienen.AllevorliegendenBrechtEditionenfalleninNiveauundErgebnishinterdaszurück,wasursprünglichgeplantundmöglichwar.WissenschaftlichenAnsprüchenkannkeinegenügen,auchnichtdieheutemaßgebliche31bändigeGroßeKommentierteBerlinerundFrankfurterAusgabe(BFA).58EinetextkritischePrüfung»anallenvorliegendenÜberlieferungen«erfolgteauchhiernurteilweise;»größtmöglicheVollständigkeit«istkeinetatsächliche,undwaswowarumweggelassenwurde,istnichtnachvollziehbar;»quellenkritische Informationen« und »philologische Aufschlüsse über dieTextentwicklung«werdennurunvollständigundunsystematischgegeben;dasZiel,demLeserdieTextesovorzulegen,»wiesiederArbeitsweisedesDichtersentsprechen«,59wirdnichterreicht.DieindenvorliegendenAusgaben(sehrselektiv) aufgenommenen Nachlaßtexte sind, in verschiedenen Graden, alleunzuverlässig. Vorerst kann hier weiterhin nur das BBA die Grundlage derBrechtForschungsein.
Warum bleibt bei doch ausgesprochen guter Ausgangslage das Ergebnisvon 50 Jahren konzertierter und kontroverser Anstrengungen, eine zuverlässigeBrechtAusgabezustandezubringen,sodeutlichhinterdemWünschbaren und Gewollten zurück? Mehreres kommt zusammen: Das Vorliegenund schnelle Anwachsen der Leseausgabe gewann eine eigene Schwer undÜberzeugungskraftgegenüberdemjahrelangimmernurProjektundVersuchBleibenden:dieMachtdesFaktischen.DieeditorischeundverlegerischeEinmütigkeit oder zumindest Gleichgerichtetheit zerfaserte in den ›Mühen derEbene‹. In gewisser objektiver Ironie erwiesen sich gerade am SozialistenBrechtkapitalistischeKriterienunddieWiderständedeszunehmendrealexistierenden BürokratieSozialismus als die stärkeren Bataillone. Die diffuseGemengelage westöstlicher ›Systemzwänge‹ – Vorgaben der Verlage, Vorbehalte der Rechteinhaber, Zeitdruck, technische Defizite, institutionelleRahmenbedingungen, ›Kultur‹politik und Kultur›politik‹, psychologischindividuelle Effekte des Wissenschaftsbetriebs und des Marktes – verhinderteletztlicheinenichtverkaufsorientierte,wissenschaftlichundlangfristigangelegteGrundlagenarbeit.DergroßeStandortvorteil:dieNähevonEditionundArchivbishinzurPersonalunion,erzeugtenebenSynergienaucheineMengeKomplikationen,dasiehäufigunreflektiertblieb.IdentitätundDifferenzdereditorischenundarchivischenKriterien,MethodenundZielewurdennicht
klar definiert, die Edition erbte unbemerkt die Probleme des Archivs undumgekehrt.Editionshistorischund technischwares fürdieAkzeptanzdervon Bunge und Seidel verfolgten materialorientierten Perspektive offenbarnoch zu früh; erstmals realisiert werden konnte ein solcher Ansatz untergroßenKämpfenab1974inderFrankfurterHölderlinAusgabe.ZuletztundzuerstistaberauchhierwiederdieFaktizitätdesNachlasseszunennen:seineschiereMengeundseinekomplexeStruktur.
SchondasProblemderDokumentenmasseistnurscheinbartrivial.LängstistdieQuantitätineineneueQualitätumgeschlagen.DerBestandistsogroß,daßschoneinegenaueUmfangsangabeunmöglichist.DasBertoltBrechtArchivgehtheutevoninsgesamtetwaeinerMillionEinheiten(davonca.200000BlattOriginaldokumenten)aus,diealleverzeichnet,abersehruneinheitlicherschlossenundvernetztsind.KeinMenschkanndasgesamteMaterialnochbeherrschenundbewältigen.HansBungeveranschlagteeineGesamtausgabe1963auf60Bände;dierealitätsnähereBerechnungseinesspäterenNachfolgersGerhardSeidelkam1966auf250Bänden(zuje500Seiten);60nachheutigemKenntnisstandwürdenessichernocheinigemehrwerden.
SelbstwennmandiesesMengenProblemfürlösbarhält,soistdasjenigeder Struktur des Nachlasses mit einer herkömmlichen historischkritischenAusgabe wohl kaum überall zu bewältigen. Unseld hatte recht und unrechtzugleich,alser1964dieschonweitfortgeschritteneArbeitanihrstoppte:61
EinehistorischkritischeAusgabeBrechts,eineAusgabealso,dienachdenGrundsätzenmodernerTextkritikundEditionstechnikangelegtistunddiedenWegvonderEditioprincepsbiszudenletztenvonBrechtnachweislichgewünschtenÄnderungendarlegte,alsoeinenkritischenApparatmitLesarten,VariantenundKonjekturenbesäße,unddiegleichzeitigdieTextedatierte,kannsinnvollerstdannbegonnenwerden,wenndasWerkselbstderKritikundForschungausgebreitetist,wennTagebücherundBriefesowieZeugnissederZeitgenossenDatierungen,VerifizierungenundgesicherteInterpretationenerlauben.
Recht hatte er mit der Einschätzung, daß eine derartige Edition seinerzeitpragmatischkaummachbargewesenwäre;unrechtdarin,daßersie indieserArtüberhauptfürbefriedigendrealisierbarhielt.Die›Ontologie‹einertraditionellenhistorischkritischenAusgabeberuhtaufderrelativenSicherheit,Abgrenzbarkeit,StabilitätundErkennbarkeitvonAutorundWerk,letztlichaufeinerbestimmtenSchöpfer,WerkundAutonomieÄsthetik.DieOffenheit,Vernetzung,VariabilitätundInstabilitätder›Texte‹undderAutorschaft,dieBrechts Poetologie und Arbeitsweise inhärent sind, kann ohne Verlust desihrWesentlichennicht insieeingehen,kannnichtangemessen inTextundApparataufgeteilt,ineinelineareDruckfolgegebrachtundfestgelegtwerden;
ArchivundEditionBrecht
57 Unseld,GelassenüberdieLeichenderPhilologenhinweg(Anm.19).
58 BertoltBrecht,Werke.GroßekommentierteBerlinerundFrankfurterAusgabe,hrsg.vonWernerHecht,JanKnopf,
WernerMittenzwei,KlausDetlefMüller(Berlin,Weimar/Frankfurt/Main19882000);vgl.dazunäherVillwock,BrechtinderSackgasse(Anm.51).
59 BFARegisterband,805f.
60 Vgl.Bunge,»JedesWortBrechtswirdenthaltensein!«(Anm.51);Seidel,BertoltBrecht−ArbeitsweiseundEdition(Anm.55),118.
61 Unseld,GelassenüberdieLeichenderPhilologenhinweg(Anm.19).
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dasweitausmeistevonBrecht(&Co.)Geschriebenewirdniegenaudatierbarsein; Dokumentenfolgen und Entstehungsgeschichten sind selten exakt,manchmalmehroderwenigerplausibelundoftauchgarnichtzu(re)konstruieren;vielesgehörtnebenundnacheinanderzumehrerenKomplexenundProjekten,derensichüberlappende,verzahnendeoderausfransendeGrenzenoftunklarsind;anderesist›freischwebendes‹Einzelstück,dashierunddortoderauch nirgends einzuordnen ist;62 Probleme, die Brechts prekäre Autorschaftund NichtAutorisierung der Texte stellen, müssen offen bleiben. Auch dasGrundprinzipeiner›klassischen‹historischkritischenAusgabe:Zeit(Schreibprozesse,Werkgenesen)aufRaum(Druckseiten)zuprojizieren,istbeiBrechtallzuoftnichtdurchführbar.WiederumschlägtQuantitätinQualitätum:AbeinerbestimmtenMengevonUnbekanntenwirddieRechnungunlösbar.
Wasaberdann?MachbarundunerläßlichisteinewissenschaftlichenMaßstäbenundAn
forderungengenügendeBasisEdition63.IhrerstesKriteriummußdiekategorialeDifferenzvonveröffentlichtenTextenundnichtveröffentlichtemSchreiben,autorisierter und nichtautorisierter Produktion sein. Der Begriff ›Autorisation‹wirdhier imgängigen juristischenSinnverstandenalsErteilungeinerZugangsberechtigungundFreigabeeinesTextesfürandere(Veröffentlichung),ÜbertragungvonRechtenanihmaufandere(Copyright),BeanspruchungvonRechtenanihmvonanderen(Autorenrechte)undöffentlicheÜbernahmevonVerantwortung für einen Text (Rechtsfähigkeit) − als ein zur NiederschrifthinzukommenderzusätzlicherAkt.64NachgelasseneDokumente65undautorisierte Drucke sind zunächst getrennt für sich zu betrachten und nach jeanderen, jeangemessenenMethodenzubearbeiten.Erstdanachkönnensie
interpretierendwiederaufeinanderbezogen,nebeneinandergestelltundsynthetisiert werden. Grundsätzlich kann ein Nachlaßdokument nicht wie einautorisiertesWerkpubliziertwerden,weileskeinWerkist.
Eine BasisEdition müßte weiterhin vollständig sein (das Problem derQuantitätlösen),authentisch(dieSchriftphänomenenichtredigieren),transparentundkontrollierbar(durchReproduktion66derDokumente),möglichsteinfachkonzipiert(leichtverstehbarundmitanderenAusgabenkompatibel),vomArkanwisseneinzelner(Sterblicher)unabhängigundmitallenweiterendenkbarenAusgaben(alsdereneditionslogischeGrundlage)kompatibel.Siedarfnichtaufvorgängigegenaue»Datierungen,VerifizierungenundgesicherteInterpretationen«(Unseld,s. oben,29)angewiesensein,mußvielmehrauftechnischen Verfahren (Reproduktion, elektronische Erfassung), exaktemHandwerk(diplomatischerTranskription,BeschreibungderDokumente)undoffener Materialsammlung (pragmatischer, falsifizierbarer Kommentierung)beruhen.EinpaulinischerIdealismus,derglaubt,denGeisteinesWerkesvomzufälligen Buchstaben wie die Spreu vom Weizen trennen und das ›eigentlich Gemeinte‹ identifizieren, konstituieren und standardisieren zu können,nimmtdemSchreibenBrechtsSinnundWesen.
Wie das Original in Kopien übergehen muß, um zu überleben, so mußauchdasHandschriftBildindasihrandere,inDruckschriftundTypographieübergehen, um auf Dauer lesbar zu bleiben. Nicht nur die Materialität desDokuments altert, auch die Verständlichkeit der Schrift nimmt ab. Schonheute ist Brechts deutsche Handschrift nicht mehr problemlos lesbar, undirgendwann wird Brechts Deutsch dem Leser so fremd sein wie uns heutedasAlthochdeutsche.AuchdaszumVerstehenunabdingbareKontextwissenverschwindetmitzunehmenderzeitlicherDistanzkontinuierlich,wennnichtgegengearbeitet wird. Mit einem noch so guten Faksimile ist die Originalschrift noch nicht ›gerettet‹; sie muß in eine für jedermann lesbare undjederzeit aktualisierbare Normschrift übersetzt werden. Schrift ist nur alsgelesene.Umabergelesenzuwerden,mußsielesbarsein:lesbargemachtundgehalten werden. Zur Transkription nötig ist umfassendes kodikologischesund historisches Rüstzeug − Schriftkenntnis, biographisches, literarisches,poetologisches und historisches Kontextwissen − und, nach Maßgabe
ArchivundEditionBrecht
62 DieüblicheneditorischenEtikettendafür−›Bruchstücke‹,›Fragmente‹,›Paralipomena‹,›Späne‹,›Splitter‹etc.−zeigeninihrerVielheit,VagheitundMetaphoriknichtnurdieRatlosigkeit,sondernauchdasdahinterstehendejeweiligeWerkIdealderHerausgeber,dasanNichtWerken(wiedemGroßteilvonBrechtsNachlaß)notwendigscheiternmuß.
63 Vgl.dazunäherPeterVillwock,ProlegomenazueinerkritischenAusgabederNotizbücherBertoltBrechts,in:editio23(2009),71108,hier88108.
64 DieinderEditionswissenschaftverbreiteteAusdehnungderBegriffsbedeutungauchaufdenAktderNiederschriftselbst(›autorisiertistallesvomAutorGeschriebene‹)istsprachlich(dieEndung›ation‹bezeichneteineTätigkeit,diehieraberschonimSchreibenselbstliegt)undlogischfalsch(tautologisch),
sieverwischt,woraufesgeradeankommt(denSchrittvonderPrivatsachezurVeröffentlichung,vonderEigenhändigkeitzurAushändigung)und
wirdäquivok(vermischt›autograph‹und›autorisiert‹).
65 DerarchivischeTerminus›Dokument‹wirdhierbevorzugtgegenüberdeneditorischgängigenBegriffen›Textzeuge‹oder›Textträger‹;dererstestammtausderaltgermanistischenEditorikdes19.JahrhundertsundwirdunterdenBedingungenderneuerenLiteratur(wonichteinverlorener›Archetypus‹ersatzweisebezeugtwerdenmuß,sonderndasOriginalfaktischvorliegt)sinnlosoder(alsBezeugungeines›idealenTextes‹)metaphysisch;aberauchderzweiteimpliziertmitseinemBezugauf›Text‹nochzuvielbeiBefunden,deren›Text‹StatusinjedemFallerstzuklärenwäre.
66 InvorliegenderAusgabewirddurchgängigderBegriff›Reproduktion‹demder›Faksimilierung‹vorgezogen.LetztererbleibttatsächlichenFaksimileAusgabenwiedervonBrechtsTagebuchNo.10/1913(s.Anm.15)vorbehalten,diesichihremOriginalauchinFarbe,Papier,FormatundäußererErscheinungmöglichstanähneln(Ideal:Duplikat).−
Reproduktionenhabenheutenichtmehr
denRuchdesGeschmäcklerischen,Unnötigen,Luxuriösen,derFaksimilesleichtanhaftet.WeltweitarbeitenArchiveohnehinandervollständigenReproduzierung(auch:Digitalisierung)ihrerBestände;liegenaberReproduktionenvor,bestehtkeinGrund,sienichtauch,angemessenediert,zugänglichzumachen.
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des Möglichen, bestmögliche technische Mittel, d. h. heute vor allem dieelektronischeDatenverarbeitung.67DieTranskriptionmußamOriginalund(komplementär)anderdigitalenReproduktionerfolgen.
SowenigwiederidealeTextvonseinerMaterialität,sowenigistdertypoodermanuskriptlicheBefundvonseinerDeutungeinfachabgrenzbar. Jedernoch so objektive Befund ist immer schon von einem Subjekt ›befunden‹:wahrgenommen,beurteilt,gedeutet,gelesen.WennHertaRamthun68undmitihrBFA10,660anderobenzitiertenStellezuEisbrecherKrassin(vgl.Anm.32)lesen:»nehmtaucheinenkimonomit«,somagdasaufeinerNordpolfahrtundRettungsexpeditiondeutlichwenigerSinnhabenalsdieMitnahmeeines›Kinomannes‹; der bloße graphische Befund läßt eine solche Lesart aberals durchaus möglich, vielleicht sogar wahrscheinlicher erscheinen. Um zumöglichst guten Befunden zu kommen, müssen alle möglichen Deutungenerwogen und alle verfügbaren Informationen integriert werden. AbstrakterPositivismusundeinsinnigeInduktionscheiternanderFaktizitätdesMaterialsundamFaktumdesLesens.69KeinBefundistandersalsimDurchgangdurchimmererneuteDeutungzustellen:imhermeneutischenZirkel.DiegemeinhinimpliziteninterpretatorischenOperationensollten,soweitmöglichundzweckmäßig, transparent und explizit gemacht werden: in einem Kommentar,derdemnachwesentlichundzentral, alsonichtbloßals zusätzlicheOptionnachdem›Baukastenprinzip‹zurEditiongehört.BefundundDeutung,TranskriptionundKommentarmüssenfürimmererneuteDurchgängeundVerbesserungenoffenbleiben.
Prinzip einer solchen Edition muß sein, so wenig Voraussetzungen wiemöglichzumachen,abernichtwenigeralsnotwendig.AngesichtsdesBrechtBestandeswürdeeineherkömmlichehistorischkritischeAusgabezuvielpräjudizieren:Siezwängedazu,dasNichtEindeutigezuvereindeutigenoderzu
mindest eindeutig zuzuordnen − zu Text oder Variante, Text oder Apparat,sichereroderunsichererLesart,dieseroder jenerPosition ineinerWerkgeschichte oder einem Produktionszusammenhang, diesem oder jenem oder(ebensoeindeutig)keinemProjektoderWerk.DemgegenüberkanneinevomMaterialherbegründete,aufReproduktion,Deskription,TranskriptionundKommentarberuhendeEdition (die indiesenBereichennatürlichdurchausmaximale Anforderungen an sich stellen muß) das Sichere mit Sicherheitkonstatieren,dasUnsichereimUnsicherenbelassenunddieUnterscheidungzwischenbeidemjedemdurchsichtigundnachvollziehbarmachen.Nureinesolcheöffnendestattabschließende,vonzuweitreichendenOrdnungszwängen freie Ausgabe kommt als Gesamt und Grundlagenedition Brechts inFrage.
Um der Dialektik des BrechtBestands gerecht werden zu können, mußderAnsatzeinersolchenAusgabeselbstdialektischoder›bipolar‹sein:stabilundoffen,definitivunddynamisch.DiesgiltzunächstfürdieSystematik.Siebesteht regelmäßig aus drei Koordinaten: der chronologischen Einordnungeines Elements in eine Textentwicklung, der systematischen Zuordnung zueinerGattung,einemProjektoderWerkkomplexundderdokumentarischenIdentifizierung durch eine Verzeichnungsnummer − Zeit, Arbeits und Archivkontext. Definitiv kann dabei nur die Archivsignatur sein; zeitliche wiesystematische Einordnung sind dagegen meist nur hypothetisch möglich.EineEntscheidungfürnureinederKoordinatenistentwederunbefriedigend:DieSignaturfolgevermitteltfürdiemeistenLesernichtgenugan›relevanterInformation‹bzw.Ordnung,odersieistwillkürlich:ChronologiewieSystematik enthalten zu viel an Spekulation. Ein Mittelweg bzw. eine KombinationvonSystematikundChronologie(wiediesinallenbisherigenAusgabenversucht wurde) ist unzureichend, da auch hier zu viel hypothetisch bleibenmuß; statt sich zu reduzieren, potenzieren sich die Unsicherheiten häufig.Sinnvolldagegen ist einedreifache,gleichsamräumlicheBestimmung jedesDokuments,beiderdiechronologischenwiediesystematischenAngabenfürneue Erkenntnisse offen und auf Änderbarkeit hin angelegt, die Signaturen(Namen)derDokumentedagegenänderungsresistentseinmüssen.
DasführtzurFragedesgeeignetenEditionsmediums.AuchhierkanndieAntwortnichtinderEntscheidungfürdaseine,einzigwahreliegen,sondernnur im reflektierten komplementären Einsatz der je angemessenen Medien.UmschaltbarkeitderSystematikundÄnderbarkeitderAnordnungenistnurelektronischrealisierbar.DieelektronischeEditionwirdAusgangspunktundFundament jeder weiteren editorischen Tätigkeit sein. Das heißt nicht, daßmandamitschonamZielwäre.DerBuchdruckmitseinenunveränderlichenSeitenfälltnurscheinbarhinterdasvariabledigitaleMediumzurück.ErmußsichzwarfüreinederdreiKoordinatenodereineKombinationvonChronologieundSystematikentscheiden−undistdabeizuhöheremintellektuellemAufwandanReflexion,Kombination,InterpretationundRecherchegezwungen.DieserkommtdannaberauchdemLeserzugute.Zudemistdasaufge
ArchivundEditionBrecht
67 DabeiwirdesinderRegelbleiben.DiedurchausmöglicheAnwendungforensischerMittelwieMikroskopie,Lichtfilter(Polarisationsfilteretc.),Beleuchtungsarten(Durchlicht,Streiflichtetc.),Lichtarten(UVoderInfrarotlichtetc.),elektrostatischeOberflächenabbildungen,chemischeAnalysenetc.wirdmeistzuwenigzusätzlichenErkenntnisgewinnimVergleichzumAufwandversprechen.
68 InihrerimBertoltBrechtArchivliegendenArbeitstranskriptionderManuskripteundhandschriftlichenEintragungenBrechts;aufdieserberuhen,obsiedasangebenodernicht,mehroderwenigeralleAusgabenvonBrechtshandschriftlichenTexten.
69 LesenistimmerAblesenundHineinlesenzugleich.EinMolekularbiologewirdunter›genetischenZusammenhängenbeiBrecht‹etwasganzanderesverstehenalseinEditionswissenschaftler,undbeidemRatschlag,Fremdwörter›inMassen‹zuverwenden,verstehtmaninDeutschlanddasGegenteilwieinderSchweiz,woderGraph›ß‹nichtexistiertundmit›ss‹wiedergegebenwird:ManliesteinenanderenText.ZuberücksichtigenistauchdasPhänomendesassimilativen(›natürlichen‹)Lesens,dessen›Emendationsautomatismus‹auchbeimapperzeptivenLesennieganzauszuschaltenist.
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schlageneBuchmitseinenDoppelseitenfürdasgleichzeitigeNebeneinandervon Reproduktion und Transkription noch immer das ideale Medium. EinBuchenthältnichtweniger,sondernandereInformationenalseineDVDoderonlineEdition,ganzabgesehenvonunüberholbarenVorteilenwieUbiquität,Geräte, hardware und softwareUnabhängigkeit, langfristiger Haltbarkeit,Stabilität der internen Struktur, Originalnähe und Leserfreundlichkeit. Jenach Teilbestand sind reine Druckausgaben, bloß elektronische Editionenoder,meistwohlambesten,Kombinationenbeider(HybridAusgaben)angemessen.
VondiesemaufquantitativeErweiterungundqualitativeVerdichtunghinangelegten Fundament ausgehend wird ein breites Spektrum von Ausgabenmöglich,derenAusarbeitungsgradvariabelseinwird.StattderMaximallösungeinerdemAnspruchnachdefinitivenhistorischkritischenGesamtausgabeistesvorerstundinAnbetrachtderEigenartdesBrechtschenWerkswohlauchüberhauptsinnvoller, jenachArtdesTeilbestandes,Leserinteressen,BedeutungderTexteundMachbarkeitverschiedenweitausgearbeitete ›regionale‹Editionenz. B.alskritischeoderhistorischkritischeTeilausgabe,dossiergénétiqueoderReproduktionsEditionzuerarbeiten.Dabeiwirdnatürlichimmerauf Rückbindung an die Dokumente und Kompatibilität mit allen anderenzuachtensein.Wenn,wieheute,diezufälligekulturpolitischeLagezukleinräumigenAnsätzenundLösungenzwingt,solltendiesezumindesttechnischundmethodischweiträumigangelegtundinverschiedeneZusammenhängeintegrierbarunderweiterbarsind.
ErstwenneinesolcheBasisAusgabevorliegt,wirdnichtmehrjedeInterpretationvonNachlaßdokumentenGefahrlaufen,ungewollteineLuftnummerüberTexten,dieBrechtniegeschriebenhat,zusein;erstdannwirddieBrechtPhilologieaußerhalbdesArchivswirklichwissenschaftlichwerdenkönnen.
Grundsätze
KleineMethoden EswerdenWertegefragt:IchhabedenSinnfürWerte,ErbteilvomVaterher.AberichhabeauchEmpfindungdafürdaßmanvomBegriffWertganzabsehenkann(Baal)
(NB4,42v)
(1)ObeineBasisAusgabeeinesNachlassesoderGesamtwerkserstelltwerdenkannundsoll,hängtvonseinerBedeutungab;dieseisteinehistorischeBewertungundZuschreibung.−KeineEditionohneEvaluation.(2)SolldieAusgabelangfristighaltbarundnutzbarsein,mußsiewissenschaftlichsein:offen,wertfrei,rational,rationell,systematischundsachgemäß.−MethodischerGrundsatz:sowenigwiemöglich,sovielwienötig.(3)AutorisiertePublikationenmüssenvonnichtautorisiertemNachlaßunterschieden und beides je spezifisch behandelt werden. − Gleiches gleich, Ungleichesungleich.(4) Wie die autorisierten Drucke zu Lebzeiten muß auch der Nachlaß (dasArchiv)vollständigzugänglichgemachtwerden,egaloberautographoderallograph,gestrichenoderreinschriftlichvorliegt,obereinem›Werk‹zuzuordnenodernicht,›wichtig‹odernichtist.−Auswahl(Zensur)findetnichtstatt.(5)NichtautorisierteDokumenteenthaltenkeineWerkeoderveröffentlichteTexte, sondern Aufzeichnungen, Eintragungen, Konzepte, Entwürfe, Stichworte,Skizzen,Abschriften.AnStellederKonstitutioneinesmöglichstgutenTextesmußdiemöglichstguteReproduktiondesDokumentstreten:sooriginalnah (authentisch), informativunddeutlichwiemöglich.−KeinDokumentohneReproduktion.(6)ZurErschließungdesDokumentsmüssenTranskription,BeschreibungundKommentar neben die Reproduktion treten. Dabei sind Reproduktion undBeschreibung(möglichst)langfristiginvariant,TranskriptionundKommentargrundsätzlichoffen(modifizierbar).(7)DieTranskriptionmußpragmatischdiplomatischtopographischsein.Sieistfakultativ(LesevorschlagundLesehilfe,nichtgenetischeAnalyseoderTextkonstitution),übersetzend(auseinemBildineinnormiertes,durchsuchbaresZeichensystem)undoffen(korrigierbar).−KeineReproduktionohneTranskription.(8) Die Beschreibung ist eine wissenschaftliche, zur Reproduktion komplementäre›Sicherungskopie‹derOriginaleinWorten.SiemachtdieDokumentenachbestimmten,begründetausgewähltenHinsichtenvergleichundsystematisierbar.−KeineReproduktionohneBeschreibung.(9) Der Kommentar muß alles zu einem bestimmten Zeitpunkt Verfügbareoffenlegen,waszurbestmöglichenLektürenötig istoderbeitragenkann:er
ArchivundEditionBrecht
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muß Kommentarmaterial und Dokumente zuordnen, gewichten, bewerten,vernetzen,undermußoffenfürKorrekturenundErgänzungensein.−KeineTranskriptionohneKommentar.(10) Instrument der Herstellung ist die digitale Elektronik (Scanner, Digitalkamera,Computer).(11) Medien der Publikation sind, ggf. nach regionaler Zweckmäßigkeit verschiedengewichtet,komplementärdieElektronik (CD,DVD, Internet)und(nicht:oder)derBuchdruck.(12)VondieserAusgabeausgehendkönnenTextekonstiuiertwerden:durchjeden individuellen Leser für sich oder durch weitere (kritische, historischkritische, Studien, Lese)Ausgaben für andere. Die Verantwortung für dieHerstellungeines linearen(zitierbaren)TexthatderLeserbzw.derHerausgebereinersolchenanderenAusgabe.(13)EineBasisAusgabevollziehtwissenschaftlichundmachtexplizit,wasandereAusgaben(mehroderwenigergut)stillschweigendleistenundvoraussetzen.AlsBedingungderMöglichkeitandererAusgabensolltesieihnenauchfaktischvorausgehen.
Brecht
Die Notizbücher
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WasdieWissenschaftlichkeiteinerAusgabebetrifft,soistihreallgemeineFormwohlunbestritten.WieaberihrejeweiligeAngemessenheitanihrenGegenstand aussehen soll, ist keineswegs von vornherein klar, und eine Ausgabe,an der man sich orientieren könnte, liegt nicht vor. Die Sache muß erst inihrer Eigenart verstanden sein, bevor eine sachgerechte Ausgabe konzipiertwerdenkann.BetrachtenwiralsodieNotizbücherBrechts,bevorwirdarausdie konkreten Editionskriterien entwickeln. Zugleich werden dadurch dievorangestelltenGrundsätzeplausiblerwerden.
EineEditionderNotizbücherBrechtsistausmehrerenGründenbesondersgeeignet,zumerstenBausteineinerspätermehroderallesumfassendenBasisEditionzuwerden.BrechtführteseingesamtesliterarischesLebenhindurchNotizbücheralsIdeenspeicherundtransportablesSchreiblabormitsich;dievon1918bis1956reichendeFolgeder54erhaltenenNotizbücher,imArbeitsprozeßidealtypischanersterStellestehend,zeigenohnegrößereLückendieEntwicklungenundKontinuitätenseinerThemenundArbeitstechniken,dieZusammenhänge,OrdnungundChaotikseinesSchreibens:Brechtinnuce.EshandeltsichausschließlichundeindeutigumnichtautorisierteManuskripte:einindieserHinsicht›einfacher‹Fall.70DerBestandistvergleichsweisegutvonanderenDokumentenabgrenzbar,daernichtausarchivischenKonvoluten,sondernausphysischenObjektenbesteht.EristpragmatischvoneinemeinzelnenHerausgeberzubewältigen.WasTranskriptionundKommentierungbetrifft, ist er der schwierigste Teilbestand in Brechts Nachlaß: die dicksteStelle,andermaneinBrettbekanntlichbohrensoll.UndnichtzuletztistdieEditionderNotizbüchereinseitlangemangemahntesDesideratderBrechtForschung.
NunsindNotateperdefinitionemvorübergehend,aufÜberholbarkeitundÜberholtwerden angelegt. Dem entspricht bei Brecht nicht nur ihr Stil undDuktus,sondernschonihreMaterialität.NebenundvordemzuerwartendenErkenntnisgewinnliegthierindieNotwendigkeiteinerNotizbuchEditionbegründet.EshandeltsichmeistumwenigbeständigeBleistifteintragungen,diesich abreiben und verblassen, auf wenig haltbarem Papier, das vergilbt und
70 KeineswegseinfachbeiseitezuwischensindgrundsätzlicheethischeBedenkenüberdieIndiskretionunddenVerrat,derinderPublikationprivaterDokumente(Arbeitspapiere,Tagebücher,Briefeetc.)liegt,auchwennesdievon›PersonenöffentlichenInteresses‹sind.Daskannhiernichtdiskutiertwerden.DaßimindividuellenFallBrechtsdieLagewenigerproblematischalsbeianderenist,liegtnichtanseinereigenenGeringschätzungvon›Privatangelegenheiten‹(dieseinePrivatmeinungist,die
manjanichtteilenundzumSittengesetzerklärenmuß),sondernimFaktumseinerSelbstarchivierungfürandere.Ergingimmerdavonaus,daßseinNachlaßvonfremdenAugengesehenwerdenwürde,alsoeigentlichgarnichtprivatsei.AlsderJournalistRolfNürnbergum1930dieTelefonnummervonBrechtsLieblingsfeindAlfredKerrinBrechtsAdreßbuch(AB1)eintrug,ergänzteBrecht:»<AutorobigernotizR.nürnberg\notizfürNachlaßverwalter!>«.
DieNotizbücher
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zerfällt.DieDokumentesindnichtnurinihremInformationsgehalt,sondernauch in ihrer physischen Existenz bedroht und müssen dringend gesichertwerden−ambesten,indemArchivundEditionbewußtundkontrolliertHandinHandarbeiten.
DieeditorischenVorarbeiten insbesonderedesBBA(HansBunge,ElisabethHauptmann,HertaRamthun,GerhardSeidelu. a.)undderBFA(WernerHecht,JanKnopf,WernerMittenzwei,KlausDetlefMülleru. a.)werdenüberall dankbar verwendet, ohne dies im einzelnen ausweisen zu können. AufQuerverweise zur BFA als der zur Zeit maßgeblichen Ausgabe wurde aberbesondererWertgelegt.
Bestand
tatsächlichkannmansicheinetotalitätnurbauen,machen,zusammenstellenundmansolltedasinalleroffenheittun,abernacheinemplanundzueinembestimmtenzweck.
(NB31,3r)
DieersteFrage,diesichbeieinemsogroßenundheterogenenNachlaßwiedem Brechts stellt, ist die nach der klaren Identifizierung und AbgrenzungdesMaterials.Wasgehörtdazu,wasnicht?FürdieNotizbücherläßtsiesichanhanddreierKriterienausreichendklarbeantworten:einemmaterialen(1),einemfunktionalen(2)undeinemskripturalen(3).
(1)AlsNotizbuchsollzunächstundvorallemgelten,wasalsBlock,Heftoder Büchlein erhalten ist: als Dokument, dessen Blattfolge durch BindungoderHeftungeindeutigfeststeht.DazugehörennebendenvollständigenNotizbüchernauchgebundeneodergehefteteLagenoderKonvoluteohneUmschlag.BrechtgingsehrzupackendmitseinemArbeitsmaterialum,rißnichtnur einzelne Blätter aus seinen Notizbüchern heraus, sondern zerteilte siemanchmalauch ineinzelneLagen.Diesewerden,sowiesiesich imArchivfinden,separatalsNotizbuchgezähltundwiedergegeben,solangesienochalsphysischeEinheitverbundenvorliegen.
DieNotizbüchersindäußerlichsehruneinheitlich.EsgibtsieinderGrößeeinerZigarettenschachtelundinungefähremA4Format,mitUmschlägen(wonochvorhanden)ausLeder,Pappe,KunststoffoderLeinen,fadengebunden,geheftetodergenietet,alshandgefertigteUnikateausdemengstenpersönlichenUmfeldoderalsindustrielleMassenfabrikate.IhrPapierkannfest,rauh,glatt,holzhaltigoderdünn,jafasttransparentsein,undBrechtschriebdaraufmitKopier,BleiundBuntstiften,TinteoderKugelschreiberinschwarz,braun,grau,blau,rot,rosa,meistineinerverschliffenendeutschen,oftaberauchineinerheuteüblicherenunddaherdemnachgeborenenLeserbesserzugänglichenlateinischenHandschriftoderinverschiedenenMischformen,vereinzeltauchstenographisch.
DerBestandläßtsichgrobundmiteinzelnenAusnahmenvieraufeinanderfolgendenGruppenzuordnen.Von1919bis1925benutzteBrecht(Schul)Hefte,die er meist irgendwann auseinanderriß und auf verschiedene Arbeitskomplexeverteilte.Diehomogenste,vonBrechtselbst(miteinerAusnahme)durchgezählteGruppebildenneunschwarze,gebundeneEfalinBüchlein,dieervon1926bis1931verwendete.Inden1930erJahrenbevorzugteerAbreißblöckemitvorperforiertenBlätternwiedie13rosafarbenengenietetenCelkaBlöcke,diedreiblauen,querformatigenPappBlöckeunddiezweibraunen,gebundenenPappHefte.Abetwa1940findensichschließlichüberwiegendkleinformatigeEinzelstücke,diemindestenszumTeilwohlHeleneWeigelherstellte.
BestandDieNotizbücher
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71 DasersteerhalteneTagebuchBrechtsistalsFaksimileediert:TagebuchNo.10/1913(vgl.Anm.15).Dieses(Besitzer:SuhrkampVerlag)undvierweiterehandschriftlicheTagebücher−BBA802(alteArchivbenennung:»Notizbuch3«):15.Junibis30.September1920;BBA803(alteArchivbenennung:»Notizbuch4«):25.Maibis19.September1921;BBA1327:27.September1921bis16.Februar1922sowiedasinPrivatbesitz(HanneHiob)befindlichevom9.Februarbis22.Mai1921−sindinBFA26,121272weitgehendvollständigundohnegrobverfälschendeEingriffeabgedruckt.
72 Soz.B.BBA455mitdemTiteletikett»Prärie\OpernachHamsun\3/10/19«,dasdiezusammenhängendevollständigeReinschrifteinesLibrettosenthältund
zukeinemZeitpunktalsNotizbuchverwendetwurde.WasPräriebetrifft,folgtdieBFAstrengerenKriterienalsüberallsonst:»DerAbdruckübernimmtdenZeilenfallderTextgrundlage;auchGroßundKleinschreibungamZeilenanfangunddieZeichensetzungamZeilenendefolgendemhandschriftlichenOriginal.«(BFA1,583).
73 AB1(BBA1844)undAB2(BBA1846).DieDatierungistnureinRichtwert,BrechtbenutztebeideBücherüberlängereZeit.
74 DieJournale(vgl.BFA26,309486,BFA27,7350)unterscheidensichdurchSchreibgerät,Papier,Layout,Datierung,DuktusundZielgruppe(esistpublikums,nichtautororientiert)eindeutigvondenNotizbüchern.
(2)NebenderphysischenBeschaffenheitdesTextträgersbietetseineVerwendung für Notizen ein unterscheidendes Merkmal, also für heterogene,voneinander abgrenzbare und in verschiedenen Zusammenhängen (in verschiedenen ProjektKontexten, zu verschiedenen Zeiten, an verschiedenenOrten)eingetrageneAufzeichnungen.NichtalsNotizbüchergeltensomitdiehandschriftlichmeistin(Schul)HeftengeführtenfrühenTagebücher.ÄußerlichdenNotizbüchernähnlichundarchivalischursprünglichteilweisezudiesen gezählt, bilden sie doch eine klar abgrenzbare Dokumentengruppe, diehiernicht inBetrachtkommt.71EbenfallsnichtaufgenommenwerdenHeftemit Abschriften oder Reinschriften.72 Diese Textträger sind zudem in derBFArechtvollständigunddeutlichangemesseneralsdieNotizbuchAuszügepubliziert.DiebeidenerhaltenenAdreßbüchervon1930und1950gehörenimengerenSinnnichtzumBestandderNotizbücher,werdenwegenihrerengenVerbindungzuihnenabermitindieEditionaufgenommen.73
(3) Schließlich zeichnen sich die Notizbücher und blätter durch ihreHandschriftlichkeitaus.NotizbücherlassensichnichtineineSchreibmaschinespannen,weshalbTyposkripte,alsoca.90%desBrechtNachlassesaprioriausgeschlossenwerdenkönnen.SolassensichaucheinzelneNotizbuchblätterproblemlosbeispielsweisevondenEinzelblätternderJournaleunterscheiden,dieBrechtab1938mitderMaschineführte.74
BeiGrenzfällen,dieauchbeidiesemrechttrennscharfenBestimmungsrasterauftreten,wirdgroßzügigverfahren.AusgangspunktistnichteinevorgängigetabliertenormativeTextsortenoderGattungstheorie, indie jedesElementeindeutigunddefinitiveinzuordnenwäre;damitkämemanbeiBrechtzukeinemEndeundzukeinemAnfang.Verfahrenwirdvielmehrpragmatischkasuistisch.DaseinzelneDokument,nichtdieTypologiestehtimVordergrund.So
75 NB1enthältlauthandschriftlicherTitelei»LiederzurKlampfevonBertBrechtundseinenFreunden«,allerdingsamEndeauchbloßeTitelnotizen,flüchtighingeworfeneVerse,NotenskizzenundAusgabenliste.NB3enthältzweiunvollständige,quasireinschriftlichePassagenzuBrechtsfrühemGasgarottProjekt.DieEintragungensindweitmehralsimäußerlichähnlichenHeft»Prärie\OpernachHamsun«überarbeitet,deutlich
›unfertig‹undfragmentarisch.ZudembelegteinevonGasgarottwohlvölligunabhängigeNotenskizzedieteilweiseUmfunktionierungdesTextträgerszumgenuinenNotizbuch.
76 NB52istarchivischalsAdreßbuchdefiniertundzwischenAB1undAB2eingeordnet(BBA1845).
77 Vgl.z.B.dieausNB24herausgerissenen,zurEintragungaufBl.72r.12gehörigenBlätterBBA10440/161und152.
werdenzweifrüheHefteaufgenommen,obwohlsieweitgehend(aberebennichtganz)Reinschriftcharaktertragen(unddamitwährendihrerVerwendungszeitfastdurchgängigdieFunktionhaben,dieinBrechtsProduktionsprozeßspätermaschinenschriftlicheAbschriftenübernehmen),75undebensoeinAdreßbuchausspätererZeit,dasauchalsNotizbuchverwendetwurde.76
AuchdieimganzenNachlaßverstreutenEinzelblätter,derenHerkunftausNotizbüchernsichanhanddesmaterialenBefundes(Rißkanten,Papier,Format,Schreibmitteletc.)eindeutigfeststellenläßt,sollengesammeltwerdenundim letzten Band der vorliegenden Edition erscheinen. Wo möglich, werdensiedemNotizbuch,ausdemsiestammen,zugeordnet.Zuhoffenist,daßsoamEnde,jenachEinzelfallmitunterschiedlichemGradanSicherheitundfürweitere Spezifizierung offen bleibend, die AusgangsKontexte rekonstruiertwerden können.77 Eine Wiederherstellung der vollständigen ursprünglichenNotizbücherwirdabernichtangestrebt.
ZusätzlichzudenNotizbüchernunddenEinzelblätternausihnenwerdenelektronisch weitere Dokumente (hand oder maschinenschriftliche Einzelblätter oder im Nachlaß befindliche Quellen) erfaßt, die in Verbindungmit Notizbuchaufzeichnungen stehen und zu ihrer Kommentierung notwendig oder aufschlußreich sind. Sie werden philologischmethodisch wiedie Notizbücher behandelt und mit diesen und untereinander verknüpft.AngesichtsdesBestandsumfangssindbeiihrerAuswahlengeMaßstäbeanzulegen.Vollständigkeitistnichterreichbar,Abgrenzungskriteriensindallenfallsvorläufig, pragmatisch und ›schwach‹ zu formulieren (näheres dazu unten,100102).
BestandDieNotizbücher
44 45
78 EswerdensämtlichevorhandenenZählungenaufgenommen,auchdieüberholten,dajedezuihrerZeitausbestimmtenGründenerfolgteundalsoInformationenenthält,diez. T.nocherschließbarsindunddaseinzelneDokumentinseinemProduktionsundArchivierungskontextggf.besserverständlichmachenkann;vgl.genauerunten,7274.−DieBandundNotizbuchzählunglinksbeziehtsichaufvorliegendeAusgabe.DieÜbereinstimmungmitderaltenBBABenennungbei
NB1824istzufällig.DasnachBrechtsZählungzwischenNB22und23fehlendeNotizbuchistnichterhaltenbzw.vonihminEinzelblätteraufgelöstworden.WarumalleCelkaBlöcke(s.oben,41)zunächstdenSignaturStempel»309«erhielten(vgl.NB3145),läßtsichnichtmehrfeststellen;offenbarwurdehiereinezunächsthergestellteSystematisierungwiederrückgängiggemachtunddieDokumentewiederinihrenursprünglichenKontexteingeordnet.
Übersicht78
Bd. NB Verwendung Brecht- alte BBA- neue BBA- BV- ca. Zählungen Benennung Signatur Nummer
1 1 1918 Notizbuch1 10800 17477 2 1919 alteNotizbücherE 10438 17340 3 1920 Notizbuch 11087 17343
2 4 1920 Notizbuch14 10813 17341 5 1920 NotizbuchBrechts1920 11504/3649 17342 6 1920 Notizbuch2 10801 13127 7 1920 NotizbuchBrechts1920 11504/432 17342 8 1920 DieFleischbarke 10364 17344
3 9 1921 alteNotizbücherB 10435 17345 10 1921 alteNotizbücherH 10450/121 17346 11 1921 alteNotizbücherH 10450/2233 17346 12 1921 alteNotizbücherD 10437 17347
4 13 1922 alteNotizbücherC 10436/152 17348 14 1922 alteNotizbücherC 10436/5364 17348 15 192223 Notizbuch 11086 17349 16 192425 loseBlätter3 10461/133 17350
5 17 1926 alteNotizbücherH 10450/3444 17351 18 1926 1 Notizbuch18 10817 17352 19 1926 2 Notizbuch19 10818 17353 20 1926 3 Notizbuch20 10819 17354
6 21 192728 4 Notizbuch21 10820 17355 22 192729 5 Notizbuch22 10821 17356 23 1927 [3]7 Notizbuch23 10822 17357
7 24 192729 [1]8 Notizbuch24 10823 17358 25 192930 9 Werkenntwen 10363/194 17359
Bd. NB Verwendung Brecht- alte BBA- neue BBA- BV- ca. Zählungen Benennung Signatur Nummer
8 26 192830 Notizbuch5 10804 17360 27 192930 1 Notizbuch17 10816 17361 28 1930 2 alteNotizbücherA 10434 17362 29 1930 Heft1 Notizbuch27 10826 17363 30 193031 Heft2 Notizbuch28 10827/156 17364
9 31 193132 1 Notizbuch16 [309]10815 17365 32 193137 2 Notizbuch11 [309]10810 17379 33 193133 5 Notizbuch5 [309]10107 17366 34 1931 2.MappeBerlau 10167/1527 17365 35 193132 Notizbuch25 10824 17367
10 36 1932 Notizbuch6 [309]10805/4476 17369 37 1933 Notizbuch8 [309]10807 17370 38 1933 Notizbuch10 [309]10809 17371 39 1933 Notizbuch7 [309]10806 17372 40 193334 Notizbuch12 [309]10811 17374 41 193335 Notizbuch9 [309]10808/124 17375 42 193435 Notizbuchdän.Emigration [309]11284 17373 43 193538 Notizbuch6 [309]10805/139 17380 44 1937 Notizbuch28 10827/57118 17377 45 193738 Notizbuch9 [309]10808/2536 17378
11 46 194041 Werkenntwen 10363/103121 17381 47 1941 TagebücherBeilagen 10286/45135 17382 48 194748 NotizenMappeBerlau 11195/2661 17383 49 194849 Notizbuch13 10812 17384
12 50 194849 Notizbuch26 10825 17385 51 194850 Notizbuch15 10814 17386 52 194950 Adressen−Notizen 11845 18584 53 1950 (inPrivatbesitz) 54 1953 Tagebuchnotizenund 11084/524 17387 Notizblock
DiebeidenerhaltenenAdreßbücherBrechtswerdeninvorliegendeNotizbuchEditionmitaufgenommen,dasiezurKommentierungunerläßlichsindundumgekehrtdieNotizbücherselbstoftAdreßbuchFunktionübernehmen(vgl.vorallemNB52):
13 AB1 1930 Adressen−Notizen 1844 18353 AB2 194956 Adressen−Notizen 1846 18592
HinzukommenschließlichdieausNotizbüchernherausgerissenenundverstreutimgesamtenNachlaßüberliefertenBlätter:
14 Einzelblätter
BestandDieNotizbücher
46 47
79 ZurProblematikallgemeinvgl.Villwock,Paralipomena(Anm.63),91.
Brecht ordnete seine Notizbücher (oder Lagen oder Einzelblätter) je nachProjektundArbeitssituationverschiedenen,ggf.auchwechselndenWerkkonvoluten zu. Zu diesen bewußten Ent und Umkontextualisierungen kamenhäufigefreiwilligeunderzwungeneUmzüge,dieauchdiesetransitivenOrdnungenwiederdurcheinanderbrachten.EntgegenwirkensollteneinzelneSystematisierungsversuchedurchNumerierungoderZusammenstellungderNotizbücher, die Brecht selbst oder andere in seinem Auftrag verschiedentlichunternahmen.SiegelangtenjedochnieüberAnsätzehinausunderfaßtenniealle inFragekommendenDokumente. ImErgebnis führtedieszur jetzigenSituation imBertoltBrechtArchiv:VollständigeHefteundBlöcke,einzelneodermehrereLagenundloseBlätteroderBlatteilesind–teilszufällig, teilsgezieltinbestimmteZusammenhängeintegriert–überdengesamtenBestandverstreut.IhreOrdnungoderUnordnungentsprichtgrundsätzlichderjenigen,die bei Brechts Tod in seiner Wohnung herrschte. So kann man sich zwarim großen Ganzen darauf verlassen, daß benachbarte BBASignaturen aufbenachbarte Standorte in Brechts ›Arbeitsarchiv‹ schließen lassen, leiderabernichtinjedemFall,dennteilweisewurdeauchspäternochdieOrdnung›verbessert‹,ohnedaßdiesheutenochrekonstruierbarwäre(vgl.oben,22f.).
DasErgebnisist:InkeinemeinzelnenFallmehristderoriginaleKontextganzsicherfeststellbar.ZudemsinddieKontexteundOrdnungenderNotizbücher,wiesieBrechthinterlassenbzw.wiesieimBBAarchiviertsind,meistwenig aussagekräftig. Deshalb hat sich der Herausgeber entschlossen, dieNotizbücher chronologisch anzuordnen und durchzuzählen. Brechts Notizbucheintragungensindallerdingsniedatiertundauchindirektmeistnurungefährdatierbar;außerdembenutzteeroftmehrereNotizbücherparalleloderalternierend,sodaßletzteSicherheit inderzeitlichenFolgenichtzugewinnenist.AndererseitsmußaberjedesDokumentvonAnfangeinerEditionaneinensicheren,eindeutigenundeinfachenNamenhaben,mitdemmansichaufesbeziehenkann.DieChronologieisthierdasplausibelste,informativsteund am ehesten realisierbare Ordnungskriterium. Nicht auszuschließen istfreilich, daß noch weitere Notizbücher auftauchen werden. Die im VorausfestgelegteNumerierungwürdedannallerdingsnichtmehrgeändertwerden;ggf.hinzukommendeDokumentewürdenalsNB55ff.gezählt.
Beispiele
diejungenleutesagen:soeinfachkannesnichtsein.aber:eskannnursoeinfachsein.
nurdietechnischkannkompliziertsein.
(NB24,53r)
DiespezifischenGegebenheitenundProblemederNotizbücherBrechtsseien durch einige Beispiele veranschaulicht. Sie stammen allesamt aus demzuerstbearbeitetenBand7vorliegenderAusgabe(NB24undNB25),damitsievonAnfangannachvollzogenundkontrolliertwerdenkönnen.DerÜbersichthalbersindsieauf fünfAspekteverteiltunddurchgezählt;siesindfürdieProblematikderNotizbücher, jadesNachlasses insgesamtrepräsentativ.Eswirdnichtunterschiedenzwischen(scheinbaren?)Quisquilienund(nachwelchenKriterien?) ›wichtigen‹Fällen.Philologischsindallegleichwichtig:Esistnievorherabsehbar,wasfüranderebedeutsamseinoderwerdenkann;selbsteinunfehlbarerHerausgeberPapstistnichtallwissend.AusderMengederBeispielemagdeutlichwerden,daßessichnichtumEinzelfällehandelt,aus ihrer Art, daß sie adäquat kaum anders präsentiert werden können alsnachdemvorgeschlagenenModelleinerBasisEdition.
Autorschaft
Eines der wenigen aus Brechts Poetologie und Arbeitsweise herrührendeneditorischenProbleme,diedieNotizbüchernnichtstellen,istdieUnterscheidungeigenerundfremderHand;Eintragungenandererkommen(fast)nichtvor.Dasheißtabernur,daß(fast)immerdieHandBrechtsStift,FederoderKugelschreiber führte, keineswegs, daß die Autorschaft aller Eintragungenimmermit›BertoltBrecht‹zubestimmenist.79Allerleiistvielmehreindeutignicht ›geistiges Eigentum‹ des Autors. Es finden sich durch Schriftbild undDuktusalsMitschriftenkenntlicheNotizenwie(1)dieDiät,KochundBadevorschriften Johann Ludwig Schmitts in NB 25, 15v, 16v, 59r und 61r, (vgl.unten, Beispiele 28 und 29); Exzerpte und Abschriften wie (2) die aus demSteyrBetriebshandbuchinNB24,81r;schulgerechteinemNamenzugewiesenewie(3)inNB25,77r:
DieNotizbücher Beispiele
48 49
dermenschistdorteinunkraut<De Quinzey >
ausMöllervandenBrucksÜbersetzungvonThomasdeQuinceysBekenntnisseneinesenglischenOpiumessersoderdurchAnführungszeichenmarkierteZitatewie(4)dasauseinemAutoProspektinNB24,43r.67:
„jedeshinterradschwingtgeteiltfürsich“
(5)UmgekehrtmußdiewieeinZitataussehendeEintragunginNB24,48r:
2die<amende?>ihregeschickevergleichen!
<sokratesnachderverurteilungSte.315>
keineswegswirklicheinZitatsein.Abgesehendavon,daßnichtsicherist,ob»Ste.«mit›Seite‹oder›Stephanus(Zählung)‹aufzulösenist,findetsichindenSchriftenüber›SokratesnachderVerurteilung‹keineSzene,wozwei›ihreGeschicke vergleichen‹. Es könnte sich auch um einen eigenen Szenenentwurfhandeln, fürdenderSokratesVerweisnureineergänzendeLiteraturangabewäre.
Dagegen sind unmarkierte Zitate wie (6) in NB 24, 43r.1014 (vgl. auchoben,Beispiel4):
3mlangerradstandklebtinderkurve
kurbelwelleist4×inhauptlagernaufkugellagernlaufend.
oftnurschwerodergarnichtzuidentifizierenoderabzugrenzen(diezweiteZeiledesZitatsbeispielsweiseisteineZugabeBrechts).DasgilterstrechtfürFälle, bei denen es sich um versteckte, ungefähre Zitate oder Erinnerungsnotizenhandeltwie(7)inNB25,65r.23:
dasrechtwirdabsterben<funktionsloswerden>
−einvermutlichüberKarlKorschundEugenPaschukanisaufKarlMarxzurückgehendes indirektesZitat.DanebengibtesmitAnführungszeichenGekennzeichneteswie(8)NB24,68r.1011:
„dieliebeistaberdochdashöchsteaufderwelt“.
Hiermuß,solangeeinAutornichtnachgewiesenist,offenbleiben,obessichum zitierten Fremd oder ironisierenden Eigentext handelt. Schließlich das
weiteFeldderPlagiate,ParodienundBearbeitungenwie(9)dieGassenhauerPersiflageinNB24,60r61r,derenVorlagenurmitwechselnderPlausibilitätauszumachenistundderen›BrechtAnteil‹schwankt.SostammtdieZeile
verlassenverlassen
zu100%ausdemKärntnerLiedop.4vonThomasKoschat;derKontextmachtsieaberauchzueinem(virtuellen)Brecht›Text‹,selbstwenndieArtderintendiertenBearbeitungamWortlautüberhauptnochnichtdeutlichwird.
EigenoderFremdtext:dieseFrageläßtsichoftnichtmitJaoderNeinoderProzentangabenbeantworten,inkeinemTextBrechtsundamwenigstenindenprivatenNotizbüchern.SiesindimübrigennichtautorisiertundmüssenihreAutorschaftvorniemandemausweisen.WieüberallbeiBrecht,soistauchindenNotizbücherndieZuordnungvonGeschriebenemundAutornichtimmer,nichtgrundsätzlichundalsogrundsätzlichnichteindeutigmöglich.WosichEditionendurchdieWahleinerungeeignetenEditionsweiseindieZwangslagebringen,Texteklarzuordnenzumüssen(BrechtoderNichtBrecht,OriginalwerkoderZitat,HaupttextoderApparat),ergebensichzwangsläufigLücken,FehleroderfauleKompromisse.(10)DieZeileninNB25,78r:
Jetzttrinkenwirnocheinsdanngehnwirnochnichtnachhausedrumtrinkenwirnocheinsdann
machenwirmaleinepause
sind ein ungefähres Zitat (aus dem Gedächtnis) aus einem Walzerlied vonWilly Rosen. Sie sind in BFA 14, 34 als BrechtText abgedruckt, obwohl inihremspäterenVerwendungsKontextinZurSoziologiederOperunddenAnmerkungenzuMahagonny(vgl.BFA24,77)sehrdeutlichwird,daßessichumeinZitathandelnmuß.80AufdersicherenSeitewäremaninsolchenFällennur,wennmanProblemstellen−fallsmansieüberhauptalssolcheerkennt,washäufignichtderFallist−einfachwegließe;damitwäreallerdingszugleichdie Unzulänglichkeit des Ansatzes für eine Gesamtausgabe erwiesen. Odermanordnetsienolensvolensebendochirgendwoein,selbstbeisoverdrehtenFällenwie(11)NB24,55r:
alsdieganzestadtstarbamtyphusstarbauchmeinvater.meinemutterfloh.Ichwarnochnichtaufderwelt
ibby gordon
alsdieganzestadtstarbamtyphusstarbauchmeinvater.meinemutterfloh.Ichwarnochnichtaufderwelt
ibby gordon
DieNotizbücher Beispiele
80 Vgl.dazudieUnterstellungendesBFAHerausgebersJanKnopfundmeine
Richtigstellungeninwww.textkritik.de(1.5.2008,14.6.2008,20.6.2008).
50 51
Verse?Gedicht?Abschrift?Zitat?Entwurf?von/fürGordon?für/vonBrecht?Wieauchimmer:AlseinzigeEintragungimKontextundeinederganzwenigeninNB24überhauptwurdesiebeigedrehtemNotizbuchaufeinerversoSeite (die sonst fast immer leerbleiben)notiertunddemNameneinermitBrechtbefreundetenungarischenLyrikerinzugeordnet.
DennochstehendieZeileninBFA14,7imHaupttext.DerKommentar,derdieEintragungeindeutigalsGedichtbezeichnet, istdanngezwungen,dieseEinordnung wieder zu relativieren: »Es konnte nicht ermittelt werden, obBrechtVersevonGordonzitiertoderdieVerseaufsiegemünzthat.«WeitereMöglichkeiten,z. B.daßessichumeinevonBrechtgemeinsammitGordonhergestellteÜbersetzunghandelt(wieCanettidiesfürseineZusammenarbeitmitGordonbeschreibt;s.dieErläuterungzurStelleinvorliegenderAusgabe),werdengarnichterwogen.DafürwirdeinevereindeutigendeDatierungvorgenommen:»DasGedichtistnachträglichineinNotizbuchvon1927geschrieben«(BFA14,467).ZumeinenwurdedasNotizbuchvon1927bis1929verwendet,dieabsoluteDatierungisthieralsounzulässigaufdasfalscheEndedesVerwendungszeitraumseingeschränkt.ZumanderenunterstelltdieAnnahmeeinerNachträglichkeitderEintragungeinenimübrigenkontinuierlichenEintragungszusammenhang, die in Brechts Notizbüchern fast nie gegeben ist.ZwaristsonstmeistausderTatsachederBeschriftungeinerversoSeitemiteiniger Sicherheit eine vorangehende Füllung aller rectoSeiten abzuleiten.DieNutzungderversoSeiterührthieraberfüreinmalnichtdavonher,daßsonstkeinPlatzmehrgewesenwäre.Vielmehristhier−nurhier−dierectoSeite des Blattes noch frei, während die Rückseite durch die Drehung desNotizbuchsfürdieDauerderEintragungzurVorderseitewird.BrechtkanndieZeilenalsodurchausnichtnachträglich(relativwozu?)eingetragenundihrenSonderstatusdadurchmarkierthaben,daßersieaufdenKopfstellte.
DerEhrgeiz,NotizenvomKopfaufFüßezustellenundihnenirgendwieauf die Sprünge zu helfen, ist verfehlt und kann zu gravierenden Fehlernführen. Die vorliegende Ausgabe äußert, wo es sich anbietet oder möglichist,Vermutungen,läßtansonstendenTextaberstehen,wieersteht,undseies ›verkehrtherum‹. ›Es kann nur so einfach gehen‹; alles Komplizierterebrächte hier unnötige Komplikationen. Andere werden über den aktuellenKenntnisstandhinausgehen,einzelneVermutungenzuGewißheitenmachenunddasZuweisungsnetzverfeinern.Zuendegesponnenwerdenkannesprinzipiellnicht.DasdarfnichtdurchredaktionelleVereinheitlichungenundeditorischeScheinGewißheitenverdecktwerden.
Einheiten
Die Texteinheiten der Notzbücher werden ohne spezifische Differenzierung›Aufzeichnung‹,›Eintragung‹,›Notat‹oder›Notiz‹genanntund,woessinnvollundmöglicherscheint,als›Stichwort‹,›Konzept‹,›Entwurf‹o. ä.charakterisiert(vgl.unten, 100).Währendbei letzterenBestimmungendieunvermeidlicheSubjektivitätderBegriffswahlfürdenLeseroffensichtlichist,erscheintdieallgemeineBenennungderNotizbucheinheitenzunächstobjektivundproblemloszusein.Diesistabernichtso.DieDefinitiondieserEinheiten:ihreAbgrenzungvoneinanderund,damitdirektzusammenhängend, ihre innereStrukturierungistoftnichtevident,oftauchunmöglich.Siesindnichtzählbarundoftauchnichtqualifizierbar.
DasbetrifftzunächstihreäußereGrenze.WobeginntundwoendeteineEintragung?Manbetrachte(12)NB24,21r.13:
indemmetallüberfatzer .ist
einspritzerunrein[…]
AufderSeitestandzunächstnureinWortundeinPunktmitTinte:»fatzer.«.DievorangehendeSeite20rwurdemitgleicherTinteimgleichenSchriftduktusbeschrieben;durchausplausibel,daßWortundPunkt(wohleinAnsatzfüreinweiteresWort),alssieeingetragenwurden,zudiesenFatzerNotatengehörten.DasWortwurdeaberspätermitBleistiftgestrichen,alsderRestvonBl.21rbeschriebenwurde−vielleichteinHinweis,daßdiese›Aphorismen‹zumZeitpunkt ihrerEintragunggeradenichtzumFatzerProjektgehörensollten. IneinemdrittenSchrittdannwurdenvor»fatzer«mitBleistiftein»über«eingefügtunddiebeidenWorteeingerahmt.
Dies läßt mehrere Vermutungen zu. Offenbar erkannte Brecht bei einerspäterenLektüre,daßdieTilgunggleichsammißlungenwar:DasmitTintegeschriebeneWortdominierteauchnachseinerStreichungmitBleistiftnochdieSeite.WollteeresnundurchdieRahmungausderSeiteausgrenzen,dergegenüberliegendenRückseitevonBl. 20 (die inzwischen,nachträglich,mitFatzerStichwortenbeschriebenenwurde)zuweisenundmitderPräpositionerläutern?odererkannteer,daßdieersteoderalledreiEintragungenderSeitedurchausauchtreffendeFormulierungenundEinsichtenüberFatzerenthielten?Undwennja:Ist»überfatzer«einhinweisenderMetatextoder,alsÜberschrift,TeildesTextes?NimmtBrecht,sooderso,dieStreichungalsozurück,ohne dies durch Unterpungierung oder Radierung des Strichs kenntlich zumachen?›Gilt‹dieEintragungamEndenochoderwieder,undwennja,gehört sie zu 20v, zu 21r.15 (die Zeilen sind, vielleicht nachträglich und imZusammenhang mit der Rahmung, durch einen zusätzlichen horizontalenStrichinZ.6vomRestderSeiteabgegrenzt)oderzuBl.21rinsgesamt?Fragen,diedurchdieArtderDarstellungvonBFA10,438(beiandererEntzifferung)beantwortet,aberauchunzulässigabgeschnittenwerden:
DieNotizbücher Beispiele
81 Vgl.auchVillwock/Wizisla,DieNotizbücherBrechts(Anm.9),138144.
52 53
ÜberFatzer−IndemMetallist EinSchnitzerunrein,[…]
(13) Die Eintragung in NB 24, 4v: »ich will euch etwas fragen: wißt ihrwarumihrunsverhaftethabt?«erfolgteeindeutigspäteralsderKontext.Istsie eine selbständige Eintragung oder eine zu Bl. 5r gehörende Einfügung?und wenn letzteres: Wo genau wäre sie einzufügen? Das ist faktisch nichtentscheidbar.DieErläuterunginBFA10,1127legthierzuvielfest,wennsiezumLemma»dieLageaufderWelt ist!]«(die letzteReplikaufBl.4r lautet:»sold.⟨aten⟩<lachen>\gutsageunswiedielageaufderweltist!«)schreibt:»AufderRückseitenotiertBrechtalsVariante:›Ichwilleuch[…]‹«.DiedreiZeilenaufBl.4vbeziehensichabersichereheraufdasihnengegenüberliegende Bl. 5r als auf das vorangehende Bl. 4r, und ganz sicher bilden sie keineVariantezurRedederSoldaten,sondernallenfallszuderdesVerhafteten.Esistabernichteinmalklar,obessichüberhauptumeineVarianteundnichtvielmehrumeineErgänzunghandelt.Der›Text‹,dieinnereStrukturdes(imübrigen eindeutigen) Eintragungszusammenhangs 3r9r ist objektiv unklar.Wo die äußeren Grenzen und Zusammenhänge der Einheiten uneindeutigsind,könnendieinnerennichteindeutigsein.
(14)DieszeigtaneinemWortauchderAusrufFatzersinNB25,38r.36:
ebenfallsblindernun!
endlichnachjahrenseheichdenfeind[…]
WährendderganzeKontextmitTintegeschriebenist,wurde»nun!«alseinzigesWortmitBleistiftnachgetragen.HiersindnichtnurandereLesartendenkbar−RamthunundmitihrBFA10,474lesen»nein!«,aberauch»neu!«wäremöglich−,sondernaucheinEbenenwechselkommtinFrage.Eskönntesichschonbei»neu!«,erstrechtaberbei»nein!«umeinenSelbstkommentarBrechtshandeln:eineAnweisung,daßderWortlautzuverwerfenoderzuändernsei.Ergehörtedanngarnichtzum›Text‹.Dasmagwenigerplausibelerscheinen,auchweilBrechtschoninderGrundschichtderEintragung,scheinbarschonfüreinespätereErgänzung,eineLeerzeileließ.AuszuschließenistesnichtundmachtdieStrukturdesTextesuneinholbardoppeldeutig.
(15)EinanderesBeispieldafürausdemKomplexeinerderwenigenmateriellen›Obsessionen‹Brechts:seinemAuto.82InNB24stehenmehrereEinträgedamitinVerbindung:AufBl.10vnotiertersehrprominenteineAutonummer,41rentwirfterFormulierungenfürdasGedichtSingendeSteyrwagen,43rexzerpiert er aus dem Firmenprospekt und einer anderen Quelle Realien, die
dannebenfallsimGedichtvorkommenwerden,45vstehtdieBerlinerAdressederSteyrA.G.und81rschließlichfindensichStichworteausderBedienungsanleitung dieses Steyr, den Brecht mittlerweile (nicht nur, aber immerhinauch) fürdasGedichtbekommenhat.ZwischendenbeidenSeitenmitGedichtnotizennunstehtaufBl.42rderSatz:
eristdertreuestemenschaufderwelt:derletzteverlasser!
Hängt er mit dem entstehenden Gedicht zusammen? Es ließen sich einigeArgumente dafür beibringen: Der superlativische Sprachgestus, die gewagteAnthropomorphisierung und die Rede in dritter Person machen eine Verbindung mit der vorangehenden Bleistifteintragung, die gleiche Tinte unddergleicheSchriftduktuseinemitdenfolgendenEintragungendurchausvorstellbar.SolltederSatzdieVereinigungvonMenschundTechnik,diedasGedichtausdrückenwill,imNeologismus»Verlasser«aufdieSpitzetreiben,indem man demzufolge zugleich das moralisch verwerfliche ImStichLassenebenso wie die Maschinenteile ›Vergaser‹ und ›Anlasser‹ anklingen hörenkann?Möglich,aberspekulativ.ImspäterenGedichtjedenfallsfehltderSatz−alseinzigesElementdieserSeiten.SogaroberüberhauptzudenGedichtVorarbeitengehörtoder(wiewohlauchdieAdressevonM.Seemann,diespäteraufderSeitenocheingetragenwurde)völligunabhängigvonBrechtsAutolyrikist,mußoffenbleiben.
(16) Mit einiger Wahrscheinlichkeit entscheidbar ist ein Fall wie NB 24,34r35r.ZwaristdieEintragungaufdemzweitenBlattdurchausfürsichlesbarund›abgeschlossen‹,dochweisenSchreibmittelundSchriftduktus,Verscharakter, Redehaltung und Thema (die Erzählung eines ›er‹ von früher wirdoffenbarvorOrtüberprüft)undderAnschlußmit»undso[…]«daraufhin,daß es sich um einen dreiteiligen Eintragungszusammenhang handelt. DasstärksteArgumentdafüristaberparadoxerweisedastrennende»×«amEndevon Bl. 34r − es wäre nicht nötig und stünde nicht hier, wenn nicht schonwährendderNiederschrifteineEinheitzuunterteilengewesenwäre.BrechtverwendetdasinZeilenmittegesetzteZeichen»×«meistzurUntergliederungzusammengehörigerEintragungen.WietiefderjeweiligeEinschnittist,variiertdabeibeträchtlich.InNB25,62r.4scheintereinemGedankenstrichimSatzzuentsprechen(17),aufBl.79r80reinereinfachenSatzgrenze(18),83aufBl.65reinemAbsatz(19)undaufBl.77reinemnochdeutlicherenEinschnittzwischenseparaten,unverbundenen›Aphorismen‹(20).
(21)InNB25,46r istdieLagedannunentscheidbar.Dieeindeutignachträgliche Ergänzung von Z. 69 (andere Tinte, anderer Schriftduktus) zum»erfolgder3groschenoper«schließtinhaltlichandievorangehendeReflexionüberLiteraturan,inderebenfallsvondeneigenenErfolgendieRedewar.In
DieNotizbücher Beispiele
82 Vgl.dazunäherVillwock,BrechtsNotizbücher(Anm.23).
83 Vgl.dazuauchVillwock,BrechtsNotizbücher(Anm.23).
54 55
einemweiterenSchrittwurdeaberdaruntermitRotstifteinPfeilangebracht,der wohl zur nächsten Eintragung »was bedeuten die bearbeitungen?« aufBl.47rweist.VerbindetdieserPfeildieganzePassageüberliteratur(43r46r)oder nur die DreigroschenoperErgänzung mit dem folgenden oder nicht?Undwennja:zueinerEinheitoderzuzweizusammengehörenden,aberselbständigenTeilen?BiswanndasmitdemStandardzeichen»×«Gegliedertealseine,abwannalszweiseparateEintragungengezähltwerdensoll,istinjedemeinzelnenFallInterpretation:Ansichtssache.
Zuberücksichtigenistauch,daßkaumeinNotizbuchBrechtsvollständigüberliefertist.Wennnun,wie(22)inNB25,51r52r(s.oben,15f.)inderMitteeiner augenscheinlich zusammengehörenden Eintragung ein Blatt fehlt, sogerät in die Schwebe, wie sich die noch vorhandenen Notizen zueinanderverhalten.WurdedasheutefehlendeBlattschonvorBeginnderBeschriftungvonBl.51rentfernt,sostelltsichallenfallsnochdieFrage,obdiesesanZ.10(denSchluß)oderanZ.8vonBl.50ranschließt(hierwirdausinhaltlichenGründen letzterem und damit der Vermutung, Z. 910 seien erst späterergänztworden,derVorzuggegeben).Werkannabersagen,obdasaufBl.50rbegonneneKonzept,ausdemwohlbalddaraufdieVersucheReiheabgeleitetwurde,nichtzuerstaufdemheutefehlendenBlattfortgesetztwurde?undobdiesessofortoderspäterherausgerissenwurde?obBl.51ralsoeineFortsetzungdiesesfehlendenTextesodereineVariantedazudarstellt?84
Hinzukommtschließlich:DieEintragungenhabenoftkeineneindeutigenStatus. Ihre Identifizierung ist nicht nur formal (Abgrenzung gegen andere,Strukturierung in sich), sondern auch inhaltlich (Charakterisierung) häufignur hypothetisch, oft auch gar nicht möglich. Handelt es sich bei der mit»ibbygordon«endendenEintragung(Beispiel9)umeinExzerptvonihr,umeinen Widmungstext für sie oder um eine Koproduktion? Ist »über fatzer«(Beispiel12)Überschriftüber,KommentarzumoderAusgliederungausdemSeitenkontext?Undistsiedaseineoderanderevorübergehend,letzterHandoderamEnde,dagestrichen,nichtsvonalledem?Istdas»nun!«oder»nein!«oder»neu!«(Beispiel13)TeildesTextesoderMarginaliedazu?Ist»derletzteverlasser«(Beispiel14)KennzeichnungeinesAutosodereinesMenschen,fürLyrik,Prosa,Drama,ElogeoderüberhauptnichtfüreinenliterarischenText?
(23)DaBrechtseineNotizbücherfür›allesmögliche‹verwendete, istbeiAufzeichnungen,dienichtzuzuordnensind,tatsächlichallesmöglichedenkbar.WennesinNB24,82rheißt(hiernurletzteSchichtwiedergegeben):
ihregelegentlichenschelmigenhinweißeaufihrhäuslicheselendwerdenmißverstanden. sagenSiedenleutensodeutlichalseseinemironikermöglichistdaßSieselbervonderüberzeugungausgehenIhreprivatangelegenheiteninteressiertenniemand.undihrsohnistIhreprivatangelegenheit!
dannkannessichsowohlumeinenBriefentwurfalsauchumeinenliterarischenTexthandeln:Brechts ›BriefandenVater‹?andiebefreundeteMuttereinesProblemkindes? erbetener oder ungebetener Rat über einen unehelichenSohn?TeileinesProsatextesoderStückes?AuchwenndieBFAgrößtmöglicheVollständigkeitanstrebt,verwundertesnicht,daßdieserTextesdortnichtaufgenommenwurde(fallsernichteinfachvergessenwurde):Esisteinfachunentscheidbar,anwelcherStelleinwelchemBandmanihnunterzubringenhätte.Allesmußhieroffenbleiben,solangenichtweitereErkenntnisseauftauchen.
BrechtsEintragungen(Aufzeichnungen,Notizen,Notate),wesentlicheGliederungseinheitderNotizbücherundzentraleBezugsgrößederRedeübersie,habenallzuoftkeineeindeutigenäußerenGrenzen,keinesichernachvollziehbareinnereStrukturundkeinenklareninhaltlichenBezug.Nichtnurwosiebeginnenundenden,auchwiesiegeformtsindundwassieüberhauptsind,läßtsichhäufignichtodernurvermutungsweisebestimmen.SiekönnennichtalsdefiniteunddefinierbareTextewiedergegebenwerden,sondernnuralsfürjedeSeite,jedenSchreibzusammenhang,jedenSatz,jedesWort,jedesZeicheninverschiedenenGradenplausibleBefunde.
Zusammenhänge
(24)DielapidareNotizinNB24,52r:
demunbekanntenochsen.
könntederTiteleineshierkurzaufblitzenden,dannabernichtgeschriebenenTextes(amehestenvielleichteinGedicht)sein.SiekönnteaberauchinZusammenhangstehenmitdem›UnbekanntenSoldaten‹,demBrecht imgleichenNotizbuchbereitseinGedichtgewidmethat;mitdemEssayprojektÜbereinedialektischeDramatik,mitdemersichgleichzeitigundgeradeauchindiesemNotizbuchabmüht;mitderHeiligenJohannaderSchlachthöfeoderFatzer,zweiProjektendieserZeit,indenenOchsenGegenstandundMetaphersind;mitderBibel,woPaulusdeninAthenverehrten›UnbekanntenGott‹mitChristusidentifiziert − oder mit nichts von alledem. Bei einer Zuordnung zu einemGedichte,Schriften,StückeoderResteBand(allevierMöglichkeitenhättenArgumente für sich), wie dies in einer StandardEdition notwendig wäre,müßtenjeweilsdiealternativenZuordnungsmöglichkeitenausgeblendetoderabgewertet werden. Angemessen kann hier nur das NichtEntscheiden desnichtEntscheidbarenunddasBelassenimoriginalenZusammenhangsein.
(25)InNB24findensichaufBl.23r,64r,65rund71rVerse,dieineinemGedichtverwendetwerden,dasdieTheaterzeitungDasStichwortimApril1929alsDasZehnteSonettveröffentlicht.SieerscheinendortaberinumgekehrterFolge:zuerstdieaufBl.71rentworfenen,danndievonBl.64r65rundzuletztdievonBl.23r.85Daskannzweierleibedeuten.BFA13,548schlägtvor:
BeispieleDieNotizbücher
84 DiesesBeispielzeigtübrigens,daßeinexaktesLagenschemazumVerständnisderEintragungenunabdingbarseinkann.KomplementärmüssenbeiallenEinzelblätterndiegenauenMaßeerfaßt
werden,umdarüberersteIndizienfüreinemöglicheHerkunftdesBlattesauseinemNotizbuchmitgleichenMaßenzugewinnen(s.auchunten,59,Beispiel27)
.
56 57
BrechtnotiertzunächsteinzelneStrophen,möglicherweisealseigenständigeGedichte[…].EshandeltsichinderReihenfolgedesNotizbuchsumfolgendeTexte:(SpätereStrophe2.) UndwäreinTischundsäßenGroßedort IchsäßegernalsmindesterzuTisch UndwäreinFisch,ichäßdenSchwanzvomFisch UndwäreinBaumunddieserwärverdorrt Sowüßtichmichkeinemzuschlechtengut(SpätereStrophen35:) Sowär’sgenug,wenneinermir’serzählte Undgäb’sGerechtigkeit Undwennsiemirgleichfehlte Sowärichfrohundträfesieselbstmich Gibt’sallesdiesundbinichselbstnurblind?(SpätereStrophe1:) Ichwünschenicht,daßdieseWeltmichliebt Seitichhierwohn,drangmanchesanmeinOhr BehieltichmirsojedeFeigheitvor Verdroßmichdoch,daßesnichtGrößegibt.
DieandereMöglichkeit:BrechtnotiertdievonAnfanganzusammengehörigenVersevonhintennachvorneaufBlättern,die(warumauchimmer) imNotizbuchnochleergebliebensind.MitdiesemAnsatzkommtmanzufolgendemErgebnis,dasdemveröffentlichtenSonettaußerinderStrophengliederungschonsehrweitgehendentspricht:
⟨71r⟩ ichwünschenichtdaßdieseweltmichliebt seitichhierwohndrangmanchesanmeinohr behaltichmirsojedefeigheitvor verdroßmichdochdasesnichtgrößegibt
⟨64r⟩ undwär1tisch+säßengroßedort ichsäßegernalsmindesterzutisch +wär1fischichäßdenschwanzvomfisch undwär1baumunddieserwärverdorrt
sowüßteichichkamzurschlechtenzeit⟨65r⟩ sowärsgenugwenneinermirserzählte +gäbsgerechtigkeit +wennsiemirgleichfehlte
sowärichfrohundträfesieselbstmich− gibtsallesdiesundbinichselbstnurblind?⟨23r⟩ wasichnichtgerngesteh:geradeich
verachtesolchedieimunglücksind.
DaßdieEintragungenaufdenvierSeitenniealseigenständigeGedichte,vielmehrvonAnfanganalseineinzigesmitvierzusammengehörigenvierzeiligen,
erst umarmend, dann kreuzgereimten Strophen gedacht waren, belegen dieüberdieSeitengrenzenhinweggehendenReime.DiesbleibtinBFA13unbemerkt,weilHertaRamthunsfalsche(einigermaßenunverständlicheunddenReimübersehende)TranskriptiondesletzteVersesaufBl.64rübernommenundBl.23rganzübergangenwurde.LetzterewurdendagegendervorangehendenEintragungaufBl.22rzugeschlagenundanganzandererStelle,inBFA10,439imFatzerMaterial,publiziertmitderErläuterung:»Brechtzitierthierdie1927entstandenenSchlußzeilenvonDasZehnteSonett«(BFA10,1141).
Mansieht,wiedieunzureichendeBerücksichtigungdesKontextesundderVerzichtaufAutopsiezufalschenErgebnissenführenmuß.DaßBl.22rund23rnichtzusammengehören,machenunterschiedlicherBleistift,SchriftduktusundSchriftgrößesowiederFreiraumaufBl.22runten(denBrechtsonstwohlerstgefüllthätte,bevorer einneuesBlattbeschriebenhätte)deutlich.UmgekehrtwirdderAnschlußderEintragungenaufBl.23randievonBl.65rretrospektivdurchdenErstdrucknahegelegtunddurchReim,gleichenDuktusundBleistiftgestützt.Damitergibtsich,daßdieFatzerEintragungaufBl.22r(vgl.auchunten,66f.,Beispiel35)keineswegsdasaufBl.71rbegonneneGedichtzitierenkann,sonderndeutlichfrüherentstandenseinmuß.UmgekehrtkanndasGedichtnichteinfachauf 1927datiertwerden,bloßweildasNotizbuch1927begonnenenwurde.Es istvielmehreineeherspätereEintragungdarinund erfolgte von hinten her auf noch freigebliebenen Blättern. Zu diesemZeitpunktmüssendierectoSeitenvonBl.63und66ff.schonbeschriebengewesensein,sonsthätteBrechtfürdenSchlußdesGedichtsnichtaufBl.23rausweichen müssen. Umgekehrt waren die versoSeiten von Bl. 6465 wohlnoch unbeschrieben, sonst hätte Brecht kaum mit schwachem Bleistift aufdiese von stark durchdrückenden Tinteneintragungen bedeckten Seiten geschrieben,ohnediesenerkennbarauszuweichen.MankanndasGedichtalsozwischenfrüheren(Bl.66r.18)undspäteren(Bl.64v,65v)EntwürfenzurDreigroschenoperdatieren,amehestenimJunioderJuli1928.86
(26)Abernichtnurgenauere,auchganzneueErkenntnisseselbstübergedruckte und autorisierte Texte lassen sich aus den Notizbüchern gewinnen,wennsieimZusammenhanggesehenwerden.InderMittedeszuerst1934inLiederGedichteChörevollständigerschienenenZweitenGedichtsvomUnbekanntenSoldatenunterdemTriumphbogenfindensichdieVerse(vgl.BFA11,294):
BeispieleDieNotizbücher
86 AndereEintragungenbelegen,daßNB24wohlbisAnfang1929verwendetwurde.SowarBrechtmitHeinrichBurkard(vgl.Bl.74v)frühestensabEnde1928bekannt,undderaufBl.78rnotierteBandderStalinAusgabeerschienerst1929.IndirekterNachbarschaftzumBeginndesbetrachtetenGedichtsfindet
sichallerdingsaufBl.72r.12derResteinesoffenenBriefesandasFrankfurterSchauspielhaus,dervorOktober1927entstandenseinmuß.AusräumlicherNachbarschaftvonEintragungenläßtsichbeiBrechtnieumstandslosaufeineauchzeitlicheschließen.
85 Zumfolgendenvgl.ausführlicherZumBeispiel:›DasZehnteSonett‹,in:Dreigroschenheft2(2008),511.
58 59
[…]unserBruderIsttot[…]UndwirbedauernJeglichenHohnundziehenzurückunsreKlage.
9DadochlangeWererauchwar,anseinerSchüsseleinneuerMannißtund[…]AuchdasGesprächüberihnBeiseinenFreundenschonverstummtist.
10FreuenwirunsdochselberÜberjedenneuenMorgen,derunsGeschenktist.
InNB24,32rlautetdienachmaligezehnteStropheso:
ichweißdaßdiesgutistfreueichmichdochselberüberjedenneuenmorgendermirgeschenktist−
AbgesehenvomWechselvom›Ich‹zum›Wir‹87fälltbeiansonstengroßerEntwurfsnähevorallemderWegfalldererstenZeile»ichweißdaßdiesgutist«imDruckauf.DiesmachtdieGrammatikdesnachfolgendenSatzesschwierigerverständlich. Statt einfach im Satz selbst zu ›funktionieren‹, muß das rückverweisende »doch« im Druck über zwei Punkte und Strophen hinweg aufStrophe8bezogenwerden.
WarumhatBrechtdieZeiledennochweggelassen?DerBlickaufdienachgelassenenPapierezeigt,daßdieersteTyposkriptfassung(BBA1409/12)dieZeilenochaufweist.GanzuntenaufdemerstenBlattderzweitenTyposkriptfassung(BBA1409/14bzw.1533/7)aberstehtnachdervierten(späterneunten)StrophenurnochdieZiffer»V«;aufdemFolgeblattwirdsiewiederholtundspäterzu»X«korrigiert.Nichtauszuschließenist,daßdieZeilebeimAusundWiedereinspannenderBlätter indieMaschineeinfachübersehenodervergessenwurde,unddaderTextauchsoeinen(wennauchkonstruierteren)Sinnergab,bliebdiesunbemerkt.Fehlerodernicht:BeiderTextkritikmußdie›verlorene‹ZeileinjedemFallberücksichtigtundthematisiertwerden.88
In vielen Fällen weisen offensichtlich unvollständige Eintragungen auchüberdieGrenzendesNotizbuchshinaus.SeitenanfängewieNB25,20r»jenerprozeß[…]warvonderrealitätnurabgezogen[…]«,NB25,74r»so,ausder
oppositionzueinemschonfortschrittlichenmaterialismus[…]«oderNB25,90r»jene<äußersterfolgreiche>haltung[…]«schließenschongrammatischananderweitigbegonneneneTextean.ImIdealfallsindsienochvorhandenundwerdenauchgefunden.SoimFallvon(26)NB24,72r.12:
unglück.b.b.
FürsichgenommenzweivölligunverständlicheZeilen,diesichnatürlichinkeinerBrechtAusgabefinden.AuchderKontext(Adreßnotizen)gibtkeinenHinweis,schoneherdasLagenschema,ausdemersichtlichwird,daßvorangehend zwei Blätter herausgerissen wurden. Diese Tatsache zusammen mitdemNamenskürzel»b.b.«deutetdaraufhin,daßessichumdasEndeeinesBrief(entwurf)shandelt;wann,anwen,obüberhauptabgeschickt,istnatürlichvölligoffen.
Nun finden sich die fehlenden Blätter für einmal tatsächlich in BrechtsNachlaß;eshandeltsichumBBA10440/161und10440/154:
dasfr.schauspl.⟨FrankfurterSchauspielhaus⟩hatmichgebetenihmzuseinem25j.⟨ährigen⟩jub.⟨iläum⟩zugratulieren.feinertaktläßtesmiralsgeratenerscheinen,diesnichtinderfestschriftdiesesinteressantentheaterszutunsonderncoram publico.[…]zudemjubiläumseinerreaktionärenaktionenwünschteineganzegenerationihm
Keiner der beiden Teile kann ohne den anderen ganz oder überhaupt verstandenwerden.DaauchindenvorhergenanntenFällendiefehlendenTeilenoch existieren könnten, muß der gesamte Nachlaß erfaßt und durchsuchtwerden.Bisdiesnichtgeleistetistbzw.aufderGrundlageeinervollständigenBeschreibungundelektronischenErfassungallerDokumentegeleistetwerdenkann,mußdieBestimmungderEintragungenvorläufigundoffenbleiben.
AbernichtnurzurFeststellung,DatierungundDefinitioneinzelnerEintragungen,sondernauchfürihrenoffenenoderversteckten,gewolltenoderunbewußten Zusammenhang untereinander ist die Kenntnis des gesamtenKontextesunerläßlich.BrechtsSchreibenvagabundiert.Nichtnurganze›Texte‹wandern(siehez. B.unten,Beispiel38),sondernauchBilder,BegriffeundMetaphern.
(28)Spätestensseit1927konsultierteBrecht,sicherauchzurBehandlungseinerHerzbeschwerden(oderseiner›Herzneurose‹),gelegentlichdenMünchnerInternistenundNaturheilkundlerJohann(es)LudwigSchmitt.89MitihmsteheneineganzeReihevonEintragungeninNB25 inVerbindung:explizitdie KeunerGeschichte »der arzt schmitt […]« (84r), deutlich aber auch dieBadeundKochnotizenaufBl.16v15vsowiedieDiätundBadenotizen59r
DieNotizbücher Beispiele
87 DieBehauptunginBFA11,368:»DasGedichtistnochineinerspätenAbschriftinderIchFormgeschrieben«,istfalsch.
88 GleichesgiltfürdieFormulierung»an seinerSchüssel«.InNB24,32r.12steht
»vonseinerschüssel«;dieautorisierteFassunggehtvermutlichaufeinenLesefehlerderAbschreiberinoderBrechtsselbstzurück.
89 ZumZusammenhangvgl.›Versuche‹,Arzt,Autoin:BeiträgezurBrechtEdition,151155.
60 61
und 61r. Von dieser ›SchmittLinie‹ des Notizbuchs aus wird die ansonstenrätselhaftbleibendeEintragung21r.16ansatzweiseverständlich:
de[r]mmenschenwirdnichtdurchdendarmgeholfen;sonderndurchdiereinheitseinesherzens.unddasherzwirddurchmassagerein,durchatmungusw.
Ironischodernicht:DieNotizstehtkonträrzuBrechtssonstigemplakativenPrimitivismusinBezugaufEssen/FressenundTrinken/Saufen.DaßnichteinfachderStoffwechsel,sondernrichtigesAtmen,Massageundspezielldievonihm entwickelte ›Atemmassage‹ dem Menschen helfen, sind GrundaxiomeSchmitts;manlesenurdieTitelseinerPublikationenausdemzeitlichenVorfeld der BrechtNotiz: Das Hohelied vom Atem (1926), Atem und Charakter(1926) und Atem, Haltung, Bewegung (1928). − Das Motiv wandert dann inNB25vonKeunersDiagnosedesSoldaten(63r):»wirsind\zusehrgedrückt,unterdembodenhausend\vonfleischesabfall,mühsamatmend«90überdieVerse»wirhabengelerntdasatmen\imfeuer«(71r)biszurungeheurenanthropologischenVerallgemeinerungzuritesdespassagedermodernen›Person‹überhaupt:»sieverliertihrenatem«undwirdzu»nichts«,erkenntdannaber»tiefatmend«ihrneuesLebenimGanzen(79r80r;vgl.auchunten,68f.,Beispiel39).
(29)MitBrechtsbiographischemKontaktzuSchmitt läßtsichaberauchdasThemaundBildfeldderNahrung(s.dieLebensmittelundZubereitungsnotizenaufBl.16v15vsowie59rund61r)verbinden(natürlichnichtdarausherleiten),dasinNB25einganzesNetzbildet.InderamAnfangstehendenKeunerGeschichtehatdasEsseneinenzentralenPlatz(5r);dieanschließendkonzipierteAutokomödie(7r8r)spieltunterMetzgernundLebensmittelhändlern;ausdemMoabiterPferdehandelwirddasBierholen(10r),ausJaeFleischhacker Weizenschlacht (23r) und Weizenmarkt (82r83r), aus Der Brotladen(55r56r) der Bäcker erwähnt; der Soldat oder Proletarier aus den zitiertenVersenzumFatzerProjekternährtsich»vonfleischesabfall«(63r);genanntwerdenkönnteauchdie›Alternative‹desVerhungerns(77r),BrechtsLieblingsthema Alkohol (78r) und seine später geradezu terminologisch werdendeMetaphorisierungderKulinarikalsBeschreibungeinesKulturstils,hierverkörpertimStarkritikerAlfredKerr(72r73r):91
kerrkulinarier.[…]dervorkauer.erschicktseinbildein,vor+nachdemgenuß|einespaniertenschnitzlers.erschmatztvor.[…]
(30) Schließlich gewinnt auch Brechts Selbst und Weltbild eine zusätzlicheEbene durch den Vergleich mit seiner Sicht Dr. Schmitts. Für Brecht, einstselbst Medizinstudent, geschieht die Metamorphose des alten zum neuenMenschen»informeinerungeheurenkrankheit«(79r.910),undersiehtsichalsihrDiagnostiker,vielleichtauchmanchmalalsihrTherapeut.NunverlangtseinwissenschaftlicherRationalismusnichtnurvomMedizinerSchmitt,daßerwisse,wasundwieerbehandleundheile,sondernauchvonsichselbst.LieberwürdeeraufErfolgeverzichten,alsnichtzuwissen,woraufsieberuhen.HierliegtderGrundfürseinegeradeindieserZeitvorangetriebenenBemühungenumdietheoretischen,begrifflichen,formulierbarenunddiskutierbarenGrundlageneinesantiesoterischenSchreibens.
WortundBildnetzewiediegenanntenlassensichinBrechtsNotizbüchernüberallnachweisen,inNB25z. B.auchdasvonFluß,Strom,Wasser,FließenundfließenderDialektikoderdasvonSterben,Absterben,Liquidation,Zerfall, Ausschlachtung und Zertrümmerung der Person. Sie können in ihremmöglichenZusammenhangnatürlicherstwahrgenommenwerde,wennderfaktische Zusammenhang des Dokuments wahrnehmbar wird. In einer wieauchimmerorientiertenZuordnungderEintragungenaufverschiedeneEditionskontextegehtdieseMöglichkeit: eineganzeDimensionder Interpretationverloren.
Graphisches
AutorisierteinAutoreinenText,bedeutetdasinderRegelauch,daßerihndenVorgabendesDruckmediumsanpaßt;ermachtihnfertigzumSatzmitDruckletternaufBuchzeilen.SolangeerdenTextnochinHändenhält,bestehtdieNötigungdazunicht,erkannkreuzundquerGeheimundPrivatzeicheneintragenundanderes,wasnichtZeichen,sondernZeichnungist.Tatsächlichfinden sich in den Notizbüchern (wie im gesamten Nachlaß) Brechts einegroßeAnzahlvonBlättern,diedenSchrittzursatzfähigenDruckvorlagenichtvollzogen haben. Ihr ›eigensinniger‹ ›Text‹ läßt sich weder im normiertenStandardzeichensatz wiedergeben noch in die einsinnige Ablesefolge einerBuchseite bringen. Nur die Wiedergabe der graphischen und topographischenElementederVorlagekönnenihnenannäherndgerechtwerden.Auchundgeradewennmandiesversucht, solltedieRückbindungderUmschrift(Umsetzung)anundihreKontrolledurchdieReproduktionjederzeitsichergestelltsein.JemehrgraphischeElementeindieUmschrifteingehen,umsolauterwirdderRufdanachwerden,wiedieSeitedenn›eigentlich‹aussieht.Je›(topo)graphischer‹dieTranskription(Transposition)wird,umsowenigerkannsie fürsichstehen.Auchsie istÜbersetzung,Abgeleitetes,Hilfsmittel,nichtText,Werk,Sacheselbst.
BeispieleDieNotizbücher
90 Vgl.zudieserStelleauchVillwock/Wizisla,BrechtsNotizbücher(Anm.9),130132.
91 BFA21,730übernimmt(offenbarohneKontrolleamSchriftbild)RamthunsUmschriftundverbreitetdamitnicht
nurdieFehllesung›Anbisse‹statt›AnlässezurProduktion‹(73r.45),sondernverschenktauchdenWitzderStelle,wennstatteinespanierten›Schnitzlers‹nureintriviales›Schnitzel‹erscheint.
62 63
(31)DieGraphikinNB24,19r:
wirdinBFA10,1128sozitiert:
KurvedesGlaubens:Flucht 2malVersagen Magazinakt1 3 5 7 14
Abgesehendavon,daßdieStichwortedendurchgezähltenSzenenkeineswegsrichtig zugeordnet sind, wird hier natürlich die ›Kurve des Glaubens‹ umihrenCharakteralsKurvegebracht.AufdemWegvonderGraphikzumTextwirddieStellevölligunverständlich;eineKurveläßtsichebennichtaufLiniebringen.SinnkannhiernureinegraphischeWiedergabevermitteln.Auchdieseaber›setztum‹:begradigtverwackelteoderschrägeStriche,standardisiertZeichenabstände,deutetundvereindeutigträumlicheVerhältnisse.WiesteildiejeweiligenAbschnittederKurvesindundobdiesggf.signifikantist,kannamEndedochnurdieeigeneBeaugenscheinigungvermitteln.
(32)AberschonineinfacherenFällenwieNB25,76rkanneinstandardisierterBuchdruckausimmanentenGründennurverfälschen:
1) chorderitaliaAmudsen
bericht dergewarnt
hat2) musikstück
überjubel+triumpfschauender
3) chorbittet
einzuhaltenda
unglück
Vorspiel
schnitt.amudsen.
kurvedesglaubens :kurvedesglaubens :
1 — [2]3 — 5 — 7 — 141 — [2]3 — 5 — 7 — 14
InBFA10,660wirddieseNotizbuchseitesowiedergegeben:
Vorspiel
1ChorderItalia.Amundsen,dergewarnthatBericht
2MusikstücküberJubelundTriumph
3SchauenderChorbitteteinzuhalten,daUnglück
Schnitt.Amundsen.
DasVoranstellendesTitels(?)»Vorspiel«(neben»Amudsen«daseinzigegroßgeschriebeneWortderSeite;einedervielenInformationen,diebei›Normalisierung‹derRechtschreibungverlorengehen−ebensowieBrechtsungenaueKenntnis des Namens ›Amundsen‹) mag noch plausibel und vertretbarsein. Das NichtErnstnehmen des horizontalen Striches, der den »Schnitt«graphisch vormacht, ist ein grober, aber schlichter (korrigierbarer) Fehler,durchdendieletztenbeidenWortemitunterdenTitelgeraten,unterdensieeindeutignichtgehören.DieunterPunkt»1«vorgenommeneKontaminationaber istdie ›Lösung‹einesProblems,dassystembedingtgrundsätzlichnichtrichtigoderangemessenzulösenist.DieNotiz»Amudsendergewarnthat«gehört eindeutig nicht zu »1) chor der italia \ bericht« und schon gar nichtdazwischen. Sie ist vielmehr ein (nachträglich) den drei gezählten PunktengegenüberoderzurSeitegestellterzweiterTeildesVorspiels;dasmachtdervertikaltrennendeStrichüberdemUnterTiteleindeutigklar.DaimeinsinnighorizontallinearenBuchdruckvertikaleElementeabernichtwiedergegebenwerdenkönnen(wennmannichtaufeineTabelle,alsoeingraphischesModellzurückgreifen will), ist eine falsche Darstellung hier unvermeidlich. ZweiDimensionenlassensichnichteinfachaufeineprojizieren.
(33)EinanderesBeispielzeigteinenweiterenVorteildiplomatischtopographischer Umschrift: Sie kann auf Vereindeutigungen verzichten, wo derBefundobjektivuneindeutigist.NB24,8rsiehtsoaus:
DieNotizbücher Beispiele
flucht2×versagen
magazinakt
64 65
warumwirstdudannunbebracht?
d.mann:
weilihrsonstumgebrachtwerdet!
d.sod.du bist
du,dersogescheitist:jetztnicht[g]erschossen
wirstdunichtumgebracht?d.m:ja.
sod:kommmachrascher!d¿könnenwirjetztweitergehn?
DieTextkonstitutionvonBFA10,423f.(mitersterundletzterReplik)lautet:
SoldatAberwennessoist,wiedusagst,undwenndieArmensovielesind,du,derdusogescheitbist:warumwirstdudannumgebracht?
DerMannWeilihrsonstumgebrachtwerdet!DerSoldatWirstdujetztnichterschossen?DerMannJa.SoldatDakönnenwirjetztweitergehn?DerMannJa,jetztkönnenwirweitergehn.
Esistaberkeineswegssicher,obessichbeidervertikalenLinielinksumeineUmstellungvon»du,derdusogescheitbist:«handelt.EskönntesichbeispielsweiseauchumdieMarkierungeinerStelle,anderBrechtetwasaufgefallenwar(etwadieWortwiederholungen),zurspäterenWeiterbearbeitunghandeln,weilersichnichtadhocaufeineLösungfestlegenwollte.Ebensowenighatersichentschieden,oberdenWendungen»wirstdunichtumgebracht?«oder»wirstdujetztnichterschossen?«und»dersogescheitist«oder»derdusogescheitbist«denVorzuggebenwollte;unentscheidbaristschließlich,oberimletztenSatzderSeite»da«schrieboderdenAnsatzzueinemganzanderenWort,derdannmitdemvorangehendengestrichenwurde.HiermußeinkonstituierterTextEntscheidungenfällen,diederSchreibergeradesuspendierthatoderdieobjektivunentscheidbarsind.DerEditorwirdmehrzumMitAutor,alsderNochNichtTextzuläßt.
(34)NB25,87vzeigt,wieelementardieProblemeseinkönnen,dienichtautorisierteManuskriptestellen:
×L O
O
× St×}
Hier stößt auch die beste diplomatische Transkription an ihre Grenzen. ImvorliegendenTranskriptionsvorschlagsindderPfeilunddiebeidenverstärktenStrichederVorlagewiedergegeben,nichtaberalleanderenStriche,die sichsonst noch auf der Seite befinden. Der Herausgeber unterstellt also, daß essichbeidenwiedergegebenenumStrichemit›mehrSignifikanz‹handelt:einereineVermutungundeineAbstrahierungdesBefundes,diedemganzenBildnicht ganz gerecht werden. Um die Zugehörigkeit der in dieser Umsetzungauseinanderfallenden Elemente zu einem gemeinsamen ›Raster‹ und damitihreBeziehunguntereinanderüberhauptwahrnehmenzukönnen,mußdasBildangesehenwerden.DieTranskriptionohneBildistsinnlos.SieistLeseoderBetrachtungshilfe,nichtText.
EineweitereFrage,diesichmitderÜbersetzungeinesBildesingedeuteteoderdeutbareZeichenmeistnurimplizitstelltunddadurchunbemerktbleibt,wirdhierebenfallsoffensichtlich:dieWahldesZeichensystems.HandeltessichbeidenZeichenrechtsobenumdieBuchstaben›O‹oder›o‹oder›O‹oder›o‹(dieWahleinerSerifenoderGroteskschrift−indiesemFallbezeichnenderweisekaumzuunterscheiden−istinvorliegenderAusgabebedeutungstragend),umzweiNullenoderumzweiKreise?DieFrageistunbeantwortbar.DiegewähltenGroteskMajuskelnbildendasVorbildzwarbestmöglichnach,sindabereineeditorischeEntscheidungundHypothese.
Schrift
NebenderTopographiederSeitestelltauchdieTypographieimmerwiedervorSchwierigkeiten.BrechtsHandschriftistschonansich,besondersaberdurchdieVerwendungsbedingungenderNotizbücher−unterwegs,unterZeitdruck,nebenbei, ohne Unterlage, flüchtig etc.: die Abweichung vom ›normalen‹SchreibenisthierfastSchreibregel−verschliffenundschwerlesbar.DurchmaterielleGegebenheitenderDokumenteundihrerÜberlieferungistdieSchrifthäufigabgerieben,verwischtoderverblaßt.Die›Textsorte‹NotizenreduziertAufzeichnungen per definitionem auf das für den Schreiber Unabdingbare,minimiert ihrenKontextmanchmalbisaufwenigeWorte, eineAbkürzung,eineZahloderauchgarnichts;dieserMinimalismusistfürdenfremdenBlickoftzuwenig,umverstandenwerdenzukönnen.BrechtsDenkenschließlich,dasderLeserinProtentionundRetentionnachzuvollziehenversucht,verläuftin»Rösselsprüngen«und»Assoziationen,aufdiesonstkaumjemandkäme«,92schlägtunkonventionelleHakenundunterläuftimmerwiederherkömmlicheErwartungen.
BeispieleDieNotizbücher
92 FritzSternberg,DerDichterunddieRatio.ErinnerungenanBertoltBrecht(Göttingen1963),12.
66 67
DieeditorischeUnterscheidungzwischensichererundunsichererLesart,diediemeistenHandschriftenEditionenaufgrunddessubjektivenEvidenzerlebnisses des Herausgebers (divinatio) oder seines Ausbleibens treffen, istimmereinegrobeVereinfachungdertatsächlichenVorgängebeimLesenundVerstehen:dieDichotomisierungeinesstufenlosenKontinuumsvon›gänzlichunlesbar‹über›ziemlichsicher‹bis(subjektiv)›eindeutig‹.93WosiemitReproduktion einhergeht, ist diese Unterscheidung ein überflüssiges Relikt reinerDruckeditionen.StattihreneigentlichenStatusalsDeutungundLesevorschlagoffeneinzubekennen,erweckteineTranskriptionhiernurdenEindruck,allesnichtals›unsicher‹Markierteseiwirklichsicherzulesen94−einzumindestbeiBrechtuneinlösbarerAnspruch.
(34)MagespsychologischeGründehabenoderdurchäußereUmständebedingtsein,aberausgerechnetdieobzönenVerseFatzersinNB24,22rsindnurmitvielPhantasielesbar.BrechtsSchriftisthierweitausflüchtigeralsimdirektenKontext,jafastimgesamtenNotizbuch.DieinBFA10,439erstmalspublizierteTranskriptionHertaRamthunsvonZ.29lautet:
WenneinerseinabgestandengrünenPenisIndiesenfettigenTümpelhängtStehtergleichauf,bange,drinPlatzzuhabenundVonsichzuredenmittierischemErnstundZuvergessen,wasist.
DieUmschriftdervorliegendenAusgabedagegensiehtsoaus:
wenneinerseinabgestandengrauenpenis/
indiesemfaltigentümpelfängt/gleich
stehterauflangevomplatzzuheben
uns/
vonsichzuredenmittierischemernst
und/
zuvergessenwasist.
Klarscheint,daßessichumetwasGenitaleshandelt.NachBFALesartwäredie Szene wohl eine (expressionistisch ins Ekelhafte verzerrte) Kopulation,nachneuerTranskriptiondiebloßeVorbereitungdazu(oderzurSelbstbefriedigung), die Hand im ›faltigen Tümpel‹ der Hose. Ramthun kennzeichnet»grünen«,dieBFA»fettigen«alsunsichereLesart;beideerweckendamitdenungerechtfertigtenEindruck,dieübrigeTranskriptionwäresicher.
Aus der hier angebotenen hypothetischen Umschrift ließe sich etwa folgenderTextableiten:
WenneinerseinenabgestandenengrauenPenisIndiesemfaltigenTümpelfängt,Stehtergleichauflange,vomPlatzzuhebenuns,VonsichzuredenmittierischemErnstundZuvergessen,wasist.
Wohlwären,ausgehendvonderReproduktion,auchandereTextkonstitutionendenkbar,undRamthunsLesung istnatürlichmitzuteilen. Jederdergebotenen›Texte‹aberstehtinderVerantwortungdessen,derihnalsLeser,alsZitierender,alsForscherfürseineZweckeallererstherstellt(zurProblematiks.unten,93).DievorliegendeAusgabebietetdiesenfertigenTextnicht.
(36)Besondersschwierigsinddie(beiBrechteherseltenen)FällemitmehrerenKorrekturdurchgängen−nichtnurwegenderZuordnungderkomplexenSchriftphänomenezuversch.Schichten, sondernoftschonwegen ihrerZuordnungzuversch.Einzelgraphen.DiezweiVerseinNB24,54r.16:
5 4 1 23 sinddieessernochabgetragenwirddasessendochdieessersind nichtsatt
wardas nochachdasabgetragnebrotwarnichtgebrochen
könnten ineinemherkömmlichenStufenapparatetwasodargestelltwerden(mitderinZ.1012ergänztendrittenStufedeserstenVerses):
abgetragenwird dasessen dochdieessersind nichtsattwird dasessen abgetragensinddieessernochnichtsatt
dasessenwirdabgetragenaberdieessersind nichtsatt
achdasabgetragne brotwar nichtgebrochen abgetragenwardasbrot nochnichtgebrochen
EinesolcheRekonstruktionistzumeineninsofernprekär,alsBrechtzwardiedritteVersionvonVerseinsdurchUnterstreichunghervorhebt,diebeidenerstenVersionenabernichtstreicht;siesindoffenbarnochnichtganzverworfenund stehen weiter zur Erwägung. Zum anderen ist im zweiten Vers unklar,ob ›noch‹ als Ersetzung von ›war‹ eingetragen wurde oder zuerst (woraufderEinweisungsstrichhindeutet)alsErgänzung,undob›noch‹alsendgültiggestrichenanzusehenist.Vorallemaberzeigtsichhier,daßbeiidentischemBefund zwei verschiedene Lesarten richtig sein können: Ohne daß sichirgendetwasamgraphischenBefundänderte,wirddasWort›abgetragne‹zu›abgetragen‹.EineschriftlogischeUnmöglichkeitkannhandschriftlichdurchausgemeint, grammatischnotwendigundvomHerausgeber richtiggelesensein.(37)EinenkomplexerenFallbietetNB25,5r.9,woBrechtnurdurchdieVoranstellungeines»i«dasWort»nur«zu»immer«umzudeutenscheint.
BeispieleDieNotizbücher
93 GleichesgiltnatürlichfürdieDifferenzierungvon›verschliffenen‹und›nichtverschliffenen‹Buchstaben(z. B.beiEndungsverschleifungen).BeiBrechtistohnehinimmereinsynthetischesLesenderWortgestaltstattanalytischesNach
buchstabierennötig.MeistsindalleBuchstabenmehroderwenigerverschliffen.
94 Vgl.dazunäherVillwock,ParalipomenaAnm.63),BeiträgezurBrechtEdition,9699.
68 69
(38)EinBeispielfürdieSchwierigkeitderEntzifferungisteinWortinNB24,6r.RamthunundBFA10,423lesendiePassageso:
DERMANN Halt!AberAusgebeuteteallerVölkerfangenanzuwissen,daßsiezusammengehörenundderKrieggegensiegeht.
SOLDAT GibtesschoneineStelle,woetwasgemachtwird?DERMANN Ja.InRußland.SOLDAT SinddaskeineVerbrecher.DERMANN Nein.Arme.
DasletzteWortistinvorliegenderAusgabemit»komm.«(für›Kommunisten‹)transkribiert;dieStellewirddamitzueinerderfrühestenpositivenNennungender Kommunisten in Brechts gesamtem Werk. Für beide Lesarten sprechenArgumente: für ›Arme‹ vor allem der direkte Kontext: davor und danachist von Armen, aber nicht von Kommunisten die Rede, und es kommensonst (außer bei den SprecherBezeichnungen) keine Abkürzungen vor; für›Kommunisten‹ der weitere Kontext: der Anklang an das KommunistischeManifest (›Ausgebeutete aller Völker‹ − ›Proletarier aller Länder‹) und diespätereVerwendungderStelleinDieheiligeJohannaderSchlachthöfe,wodiePassagesolautet(Versuche,Heft5,419;vgl.BFA3,189):
JOHANNA:GibteshiernichtLeute,dieetwasunternehmen?EINARBEITER:Ja,dieKommunisten.JOHANNA:SinddasnichtLeute,diezuVerbrechenauffordern?DERARBEITER:Nein.
Neben diesen Indizien gab für die Bevorzugung der Lesart ›Kommunisten‹aberdenAusschlag,daßdamitaufdieUnterstellungeinerimKontextvölligeinmaligenundkaummotivierbarenGroßschreibung,diemanfür›Arme‹annehmenmüßte,verzichtetwerdenkonnte.95DieZahlderHypothesenistaufdasUnerläßlichezubeschränken,dieMengederEntzifferungshilfendagegenmöglichstzuvermehren.Deutungsloses›reines‹Lesengibtesnicht.
(39)EinweitererFall,woerstdieKommentarrechercheaufdieplausibelsteLesartführt, istderinvielerHinsichtextraordinäreundeinenlangenAtemverlangendeSatzzur›ZertrümmerungderPerson‹inNB25,79r80r:
siefältinteile,sieverliert|
ihrenatem,siegehtüber
inanderes,sieist
namenlos,siehörtkein
anrufenmehr,siefliehtaus
ihrerausdehnunginihrekleinste
ausdennihrerentbehrlichkeitindasnichtsgröße−aber inihrerkleinsten
größeerkenntsietiefatmendüberge
gangenihreneue+eigentliche
unentbehrlichkeitimganzen.
DieLektürederStelle»siehörtkeinanrufenmehr«zerfälltinderBFAselbstin Teile. Zunächst, im Apparat zum Badener Lehrstück vom Einverständnis,wird der hier interessierende Satz mit »sie hat kein Antlitz mehr« (BFA 3,418) wiedergegeben, dann, den Schriften von 1929/30 zugeordnet, »sie hörtkeinenVorwurfmehr«(BFA21,320).WährenddieVersionvonBFA3schonvomSchriftbildhervölligauszuschließenist,erscheintdieLesartvonBFA21durchausmöglich.Daß invorliegenderAusgabedem›Anruf‹ (obmannun›keinAnrufen‹oder›keinenAnruf‹liest)derVorzuggegenüberdem›Vorwurf‹gegeben wird, begründet sich daraus, daß die fundamentale Bedeutung des›Anrufens‹fürdieExistenzeinerPersoneinKonzeptist,dasBrechtindieserZeitmehrfachbeschäftigte.96
(40)EinBeispiel,daszeigt,wieverschiedeneKontextualisierungenimLeseaktverschiedene,jagegenteiligeLesungenhervorbringenkönnen,istNB25,9r.HertaRamthunliest:»sehnSieherrdasisteingeschäft«.DievorliegendeAusgabefavorisiertdagegen:»sehnSiefrau…«.VielleichtbasiertRamthunsVorschlagaufderKenntnisjenes»fremdenSchlagertextes«,densiealsQuellederEintragung imBestandsverzeichnisangibt (BV 18346).Dasiediesen jedoch nicht nachweist, kann das nicht überprüft werden. Korrekturen undungleicher Rhythmus scheinen aber eher darauf hinzuweisen, daß es sichnichtumdasZitateines fertigenFremdtextes,sondernumeigene,hiererstentstehendeVersehandelt.FederundTintemachenzudemeineVerbindungzur nachfolgenden Eintragung denkbar (sie wird merkwürdigerweise mit»aus« statt »für den« Moabiter Pferdehandel bezeichnet − eine Umkehrungder›normalen‹NotizbuchVerwendungslogik,überdienachzudenkenwäre).ZudiesemStückprojektexistierteinKonzept,indemeinMonteurderWitweeinesverstorbenenMilchhändlersvorschlägt,dessenhinterlassenes»Pferdfürsiezuverkaufen.Wennesgenugeinbringt,willersiesogarheiraten.«(EHA405)DieSituation (Verkauf)unddieWortwahl (›einbringen‹) scheinendieVerwandtschaftderbeidenStellenzubelegen,womitdanndieWendunganeineFraustatteinenHerrnplausiblerwird.ImGrundeaberisthiervielesoffen:Autorschaft, Textstatus, Textzugehörigkeit und (damit) Entzifferung. Umauchnur›Mann‹oder›Frau‹ein(immergeringfügigbleibendes)Übergewichtgebenzukönnen,sindkomplexeUntersuchungenaufallenEbenennotwendig.
BeispieleDieNotizbücher
95 DaßnatürlichjederEinzelfallgenaubetrachtetwerdenmuß,zeigtumgekehrtNB25,45r.14,wo»Alten«daseinzigegroßgeschriebeneWortimganzenAb
schnittist.GeradedieserFallzeigtaberauch,daßBrechts›A‹deutlichandersaussiehtalssein›k‹.
96 DerMißgriffvonBFA3,418istumsoverwunderlicher,alsdortimdirektenKontextzweientsprechendeStellenausMannistMannvon1931und1938zitiert
werden:»Indemmanihnanruft,entstehter«und»Esmußihneineranrufen«.
70 71
UmeinWortrichtiglesenzukönnen,mußman(möglichst)dasGesamtwerkBrechtspräsenthaben−dassichaus(möglichstrichtig)gelesenenWortenzusammensetzt.
(41)UndnichtnurdasWerk,sondernauchdieBiographie.DasdritteWortdervorangehendenSeite(NB25,8r)könntegelesenwerdenals»wikenberg«,»reikenberg«oder»wittenberg«(inallendreiFällenbleibtdieFrageoffen,wasderStrichüberdemerstenBuchstabenbedeutet).DaßhierletztererVersionder Vorzug gegeben wird, liegt vor allem daran, daß sich Brecht 1926 einschrottreifesAutoandrehenließ,daseineWeileinWittenbergzurReparaturstand, bevor er es wieder loswerden konnte − sicher eine der wesentlichenAnregungenderhierkonzipiertenAutokomödie.
(42)UndnichtnurWerkundBiographieBrechts.Daßes inNB24,79vnichtz. B.»Geselschaft der feinde Neue Graußler ¾«,sondern»Geselschaft der freunde Neue Graupen 3/4«heißt,wirderstplausibel,wennmanweiß,daßinderNeuenGraupenstraße34inBreslauderSitzderGesellschaftderFreundewar,alsovermutlichderSocietyofFriendsoderauchQuäker.ErstdasBreslauerAdreßbucherschließtBrechtsNotizbuch.Pointiertgesagt:JedereinzelneBuchstabeineinembeliebigenBrechtDokumentwirderstvordemHintergrundallerBuchstabenüberhauptlesbar.EristTeileinesAlphabetes,Wortes,Satzes,Textes,Kontextes,biographischer,literarischer,kulturellerundzahlloserweitererZusammenhänge,diepotentiellalledenentscheidendenSchlüsselfürseineEntzifferung enthalten können. Deshalb ist auch in einer ›einfachen‹ Basiseditionwiederhiervorgelegtenkeine›reineLehre‹diplomatischerTranskriptionoderpositivistischeEmpiriemöglich,vielmehr intensiveundextensiveKommentierung nötig, die möglichst offengelegt und offengehalten werdenmuß.
Vorarbeiten
schabenicht,messer,abdieschriftmitderunreinheitdubehältsteinzigeinleeresblattsonstmitnarbenbedeckt!
(NB23,7r8r)
DemZielgrößtmöglicherTransparenzundVollständigkeitder Informationentsprechendwerdenhierzunächstdiearchivischen,technischenundeditorischenArbeitsschrittedokumentiert,dieinArbeitsablaufundSystematiknotwendigzurHerstellungeineradäquatenBrechtEditiongehören.DieAbhängigkeitderAusgabevondiesemUnterbauwirddabeideutlichwerden.
Benennung
Die Notizbücher wurden für die vorliegende Ausgabe fortlaufend nachihrer Chronologie durchgezählt. Diese kann aber nur erschlossen oder vermutet werden, denn Brecht datierte seine Eintragungen nie, benutzte oftmehrereNotizbüchergleichzeitigundbeschriebsie,ohnesichandieHauptschreibrichtungzuhalten,manchmalkreuzundquer.97EineexakteDatierungeinzelnerEintragungen,Blätter,jaganzerNotizbücheristunmöglich.AußerdemsindnichtalleNotizbüchererhalten,wieschonausdenLückeninBrechtseigenenNotizbuchZählungen(sozwischenNB22undNB23oderzwischenNB 32 und NB 33) und aus vielen Einzelblättern, die aus nicht erhaltenenNotizbüchernstammen,hervorgeht.Zumindesteines(NB53)befindetsichinprivaterHand,vielleichtexistierenauchnochweitereinPrivatbesitz,irgendwoaufDachbödenoderinNachlaßkisten.Solltendiesenochauftauchen,könntensiedannnichtmehrindieimVorausfestgelegteReiheeingefügtwerden;siewürdenvielmehranschließendandiebisherbekanntengezählt.
Die Zählung ist also in erster Linie eine abstrakte Sigle, eine Benenung,die daneben auch chronologische Informationen vermittelt. Andere Benennungen,z.B.nachaktuellerArchivsignatur(NotizbuchBBA11195/3064),98
VorarbeitenDieNotizbücher
97Darausergibtsich,daßdieNotizbüchernichtalsText(ineinerRichtungprogredierend)gelesenundediertwerdenkönnen,vielmehrnuralsein–wieimmerchaotischesodergestaltetes–Ganzes.
98 InderaufErweiterungangelegteelek tronischenEdition,dienebendenNotiz
büchernnochvieleweitereBBADoku menteenthält,kannnurdieseArchiv signaturalsNameverwendetwerden;
dieNotizbücherselbsterscheinenhieralsoinihremArchivKontext(z.B.
NB3alsBBA11087zwischenBBA11086undBBA11088).
72 73
früherenArchivzählungen(»Notizbuch18«/»alteNotizbücherH«),99Brechtschen Zählungen (»1«»9« / »Heft 1«»Heft 2«), erster Textzeile: (Notizbuch›auchbeihegel…‹),materialenGegebenheiten(CELKABlock5/EfalinHeft3),vermutetemVerwendungszeitraum(Notizbuch192729)etc.wärenallesamtwenigerplausibelundpraktikabel.AmmeistenentsprichtderhiereingeführtenOrdnungdieNumerierungdesBestandsverzeichnissesvonHertaRamthun (BV). Sie legte, wie die vorliegende Ausgabe, das Kriterium ›physischverbundene/gebundeneDokumente‹zugrunde,umfürodergegendieAufnahmeeinesKonvolutsindieListederNotizbücherzuentscheiden.100DennochkonnteauchihreZählungnichtübernommenwerden,dennsieist imEinzelfallungenau,101umfaßtzuviel102undzuwenig103undbasiertteilweiseaufFehldatierungen.104BeiderneuenZählungwirdinKaufgenommen,daßessichumdieinzwischendritte(wennmannebendergültigenArchivnumerierungund dem Bestandsverzeichnis auch die alten Archivzählungen und BrechtseigeneAnsätzemitrechnet,sogardiefünfte)numerischeOrdnunghandelt.105
Signierung
NebendenDokumentenalsganzenmußtenauchihreTeileneubenanntwerden.DiebisherigeSignaturvergabedesBBAfolgteBrechtseigenenAnsätzen
undderLogikfotografischerDokumentensicherung(vgl.oben22f.).SobildetsichindenbisherigenBBASignaturendieZahlundFolgederKopien,nichtaberderOriginaleab.DafürArchivwieEditionjedochnurdasletzteremaßgeblichseinkann,gehörtzudennotwendigenVorarbeiteneineneue,striktandenDokumentenorientiertearchivalischeBlattzählunginderHauptschreibrichtung.106UmdieneueZählungüberallvonderaltenunterscheidbarzumachen,wirdinihrdiealte,beginnendbei10000,wiederholt;ausBBA6/6wirdalsoBBA10006/7,ausBBA1086wirdBBA11086.SoistderZusammenhangneuerundalterSignaturenimmerevident,undgleichzeitigbleibterkennbar,welcheSignaturenschonderneuenZählungentsprechenundwelchenicht.Zudem wird an den neuen Signaturen im Kommentar jederzeit deutlich,welcheDokumentebereitsinderelektronischenEditiondesjeweiligenBandesenthaltensindundwelchenicht;damitentfälltunnötigerNachschlageAufwand.
EinDokumentbestehtnichtwieeinBuchausbeschriebenenSeiten,sondernausBlättern.NeugezähltwerdenalsoBlätterstattSeiten,undzwaralle,inklusive der Umschläge und Vorsatzblätter, egal ob sie beschrieben107 oderunbeschrieben sind. Dies ist dem materialen Ansatz geschuldet, bietet aberunter Umständen auch aufschlußreiche Informationen, denn auch ob ineinemNotizbuchalle50Blätterbeidseitig(wieinNB3)odervon62nurneuneinseitig beschreiben sind (wie in NB 44) und wo in einem Notizbuch sichunbeschriebeneBlätterbefinden,kannfürdieDeutungwichtigsein.DiefürBuchlesergewöhnungsbedürftigeFoliierungmitrecto/versoIndexhältdabeijederzeitimBewußtsein,daßmanesnichtmiteinemBuchzutunhat.
Mitverzeichnet und vollständig mitediert wird alles in die NotizbücherEingelegte,obesnunausanderen(ggf.sogaridentifizierbaren)Notizbüchernstammt oder sich um Zeitungsausschnitte, Typoskripte, Fotos, Rechnungenoderwasimmerhandelt.DieseEinzelblättergehörenphysischnichtzumNotizbuch;zudemscheintsichihrjeweiligerStandortteilweiseerstinspätererÜberlieferungzufälligergebenzuhaben.SiewerdendahernichtwiebisheranihremStandortzwischendenSeitengezählt,sondernimAnschlußandasjeweiligeNotizbuch. Der ursprüngliche Fundort, den die alte BBAZählung festhält,wirddabeigenaudokumentiertundistsojederzeitleichtrekonstruierbar.
EinenbesonderenFallstellendiezusätzlicherfaßtenDokumente–potentielldergesamteübrigeNachlaßBrechts–dar.AuchhierwirdeineBlattstattSeiten bzw. Kopienzählung eingeführt. Allerdings werden im Gegensatzzu den Notizbüchern dafür keine neuen Signaturen vergeben. Jedes Blattbehält lediglich die erste seiner bisherigen BBASignaturen, ergänzt um ein›recto‹/›verso‹Kürzel. Die dadurch entstehenden ›überzähligen‹ Nummern
VorarbeitenDieNotizbücher
106 EinzelneNotizbüchersindvonbeidenEndenheroderhinundherspringendverwendetworden.
107 ›Beschrieben‹heißthierimweitestenSinn›Informationenenthaltend‹,alsoaucheingeklebteTexte,ZeichnungenoderbloßeKritzeleien.
99 DerüberwiegendeTeilderNotizbücherwurdezueinemfrühenZeitpunktderNachlaßBearbeitunginzweigroßenGruppenerfaßtunddurchgezählt(BBA1080010828als»Notizbuch1«bis»29«,BBA434440und450als»alteNotizbücherA«bis»H«).AuchwenndieseZählungenfehlerhaft(sowurdensowohlBBA10107alsauchBBA10804als»Notizbuch5«gezählt),unvollständigunduneinheitlichsind,könnensiedochggf.RückschlüsseaufgemeinsameÜberlieferung,AufbewahrungundZusammengehörigkeitenermöglichen.
100 SohatsiezweigebundeneLagen,diezus.mitNB46unterBBA10363archiviertsind,separatgezählt(BV17381),dieRingbuchblätterdagegen,dieinNB35(BBA10824)eingelegtsind,dasiedienichtphysischmiteinanderverbunden
sind,zumNotizbuchgezählt(BV17367).101 SosindNB5/6,NB10/11undNB13/14
jealseinNotizbuchgezählt(BV17342,17346,17348),obwohlsieeindeutigunterschiedlicherProvenienzsind.
102 EinesvonzweiNotizbüchernElisabethHauptmannsistaufgenommenworden
(BBA828),obwohlesnureinevonBrechtbeschriebeneSeite(zweiEntwürfezurKriegsfibel1936)enthält(BV17376).DieEintragungenHauptmannsstammenvon1929/30undgehörennichtineineEditionderNotizbücherBrechts;dieEintragungenBrechtsvon1936wä
renimZusammenhangeinerEditionderKriegsfibel1936zupublizieren.
103 NB1,3,52und53wurdennicht berücksichtigt.104 SoistNB32auf1937/38datiertund
zwischenNB45und46eingeordnet(BV17379),wasum45Jahrezuspätist.NB
43istauf1938datiertundebenfallszwischenNB45und46plaziert(BV17380),wurdeaberwohlschonab1935benutzt.
105 BeiderbesondersdichtenÜberlieferungum1931wurdeBrechtseigenerZählung(vgl.NB3133)derVorzugvorderarchi
vischenReihenfolgegegeben;diedreivonihmnumeriertenCelkaBlöckewurdendenübrigenvorangestellt.
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werden nicht mehr verwendet.108 Der Preis, daß so teilweise Lücken in derZiffernfolgeentstehen,wirdmehralsaufgewogendurchdenGewinnanInformationdarüber,obessichumeinenodermehrerebzw.umeinoderbeidseitigbeschriebeneTextträgerhandelt.EinevollständigeNeuzählungwiebeidenNotizbücherndagegenhättenursystematischerfolgenkönnen,wasangesichtsderBestandsgrößemiteinemexorbitantenArbeitsaufwandverbundenwäre.ZudemsinddieSignaturenseit50 Jahreneingeführt;mitdersiemodifizierendenneuenZählungbleibensiekompatibel,diebisherigeZitierweisebleibtdokumentiert.
DiedirekteRückbezüglichkeitderneuenaufdiealtenSignaturenistnunabergeradebeidenNotizbüchernnichtimmergewährleistet;dieneuenweichen teilweise beträchtlich von den alten ab. (1) In den Archivmappen derKopien, (2) im Anhang (Kommentar) vorliegender Ausgabe, (3) bei jedemeinzelnenOriginalDokument,(4)zentralinderelektronischenEditionund(5) ineinerArchivDatenbankwerdendaherKonkordanzenaufgenommen,dieneueundalteBBASignatureneinanderzuordnen.
Restaurierung
Notizbücher wie auch Einzelblätter befinden sich häufig in (teilweise sehr)schlechtemErhaltungszustand.DasrührtzunächstvonBrechtselbsther.ErtrugdieNotizbücherhäufigmitsichherum,rißLagen,BlätteroderTeilevonBlätternheraus,knicktedieHefte,umsieindieWestentaschesteckenzukönnen109etc.Andersals imProduktionsprozeßspäterangesiedelteManuundTyposkripte, die ihm nach eigener Aussage gleichsam zum Fetisch werdenkonnten,110 waren ihm die Notizbücher etwas Ephemeres, eindeutig NichtWerkhaftesundfürsichauchNichtWerthaftes,vielmehrimmererstzuVerwertendes.SieverdientenkeinebesondereSorgfaltoderästhetischeAufmerksamkeit,111unddieBeschädigungendurchBrechtselbstmußteninderweite
renBenutzungbisheutefastunweigerlichzuFolgeschädenführen.Teilweisesind zudem Papier, Bindung bzw. Heftung (rostende Metallklammern) undSchreibmittel (BleiundFarbstift,TinteundKugelschreiber)vonschlechterQualität.
ErschwerendkaminderFrühzeitdesBBA,alsdieNotizbücherverzeichnetwurden,einegutgemeinte,aberunprofessionelleAnbringungderSignaturenaufeingeklebtenPapierstreifenhinzu(s.oben,23).Dasführteinerseitsdort,wo sie sich inzwischen wieder gelöst haben, zu einer nur über die KopienrekonstruierbarenZählung,dadieBlätterselbstebennichtbeschriftetwurden.Andererseitsaber,unddas istdasgrößereProblem,bewirktedasAuslaufendesKlebstoffesimLaufederJahreeinZusammenklumpenderSeiten,dieteilweiseamEndenurnoch schweroderauchgarnichtmehrvoneinanderzutrennenwaren;woesdennochversuchtwurde,warenneueBeschädigungenderBlätterdieFolge.DieseundandereschadhafteStellenwurdendannvielfach mit erneut unzulänglichen Mitteln (v. a. wiederum Klebestreifen) ausgebessert.
JedeszuedierendeNotizbuchundEinzelblattmußdahervorderweiterenBearbeitungdurchdieHändeeinesRestauratorsgehen.ObersterGrundsatzderRestaurierung istdievorsichtigeKonservierungdesaktuellenZustands.DerAbriebderGraphitbeschriftungaufglattenBlätternwirdbelassen,fehlendePapierteileodergarganzeSeitenwerdennichtergänzt112undbereitsgelösteBlätternichtwiederangefügt,selbstwenndieStelledafürbekanntseinsollte.113DagegenwerdenalleKlarsichtklebestreifenentfernt(SignaturschildchenundÜberklebungvonPapierschäden),umderweiterenVerteilungdesKlebstoffes im Papier, dem Zusammenkleben von Blättern und dem Verlaufen derSchriftandiesenStellenzubegegnen;Rissewerdengeschlossen,umweiteresEinreißen zu verhindern; zusammengefaltete oder zerknitterte Blätter undumgeknickteEckenwerdengeglättet,damitdasPapierhiernichtbricht;ausHeftung,BindungoderVorperforierungsichLösendeswirdmitStreifenvonJapanpapier,Hausenblaseo. ä.stabilisiert;rostendeTeile(Heftklammern,Nietenetc.)werdendurchnichtrostendeersetzt.
DieNotizbücher Vorarbeiten
verschiedeneStufenderNachlässigkeitoderGestaltung.SosindNB2730teilweiseoderganzReinschriftenheftemitvielAugenmerkaufdasLayout,NB51isteinCollageBüchleinaussorgfältigeingeklebtenBlättern,undeinzelne›durchgestaltete‹SeitenfindensichauchinanderenNotizbüchernimmerwieder.
112 InNB21wurdenbeieinerfrüherenRestaurierung32fehlendeBlättermit
Seidenpapierergänzt,wohlumdemzuvorinstabilgewordenenBanddasnötigeVolumenzugeben.SolchedenCharakterdesüberliefertenDokumentsänderndenEingriffewerdennunvermieden.
113 Danichtrekonstruierbarist,obeinlosesBlattnichtschonvonBrechtselbstausderBindungoderHeftunggelöstwurde,wäreseineWiederbefestigungeineunzulässigeVereindeutigungdesBefundes.
108 SowirddasbeidseitigbeschriebeneBlatt mitdenaltenSignaturenBBA328/6263 zuBBA10328/62r62v,daseinseitigbe schriebeneBlattmitdenbisherigenSig
naturenBBA331/138139wirdzuBBA10331/138r;dieSignaturenBBA328/63undBBA331/139entfallenersatzlos.
109 EvidentistdiesbeidenCelkaBlöcken,dergrößtenmaterialeinheitlichenNotizbuchGruppe(NB3134,3643,45).SieenthieltenursprünglichhintenvordemRückumschlaggleichsamalsintegrierteSchreibunterlageeinesteife
Pappe;dieseentfernteBrechtregelmäßigganzoderteilweise,wohlumdasnunflexibleHeftknickenoderrollenundleichtermitnehmenzukönnen.
110 Vgl.etwadiefolgendeEintragunginBrechtsJournalvom12.April1941:»merkwürdig,wiedasmanuscriptwährendderarbeitzumfetischwird!Ichbinganzabhängigvomaussehenmeinesmanuscripts,indasichimmerforteinklebeunddasichästetischaufderhöhehalte.«(BBA277/70;vgl.BFA26,472).
111 Auchdiesgilt(wieimmerbeiBrecht)nurmitVorbehalt;esgibtdurchaus
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Digitalisierung
DerGesamtbestanddesBrechtschenNachlassesliegtimBBAnebendenOriginaleninFormvonaltenMikrofilmenundvonArbeitskopienaufPapiervor.InderRegelwerdennurletztereausgehändigt.Siesindnachwechselndenundnicht ausgewiesenen Kriterien (was Papier, Maßstab, Bildausschnitt etc. betrifft)angefertigtwordenundbefindensichinteilweisedeplorablemZustand.InvielenFällensindsiegeradezuunlesbarundmüssendringendersetztwerden.Auchdiealte,schonvonBrechtselbstmitRuthBerlauundanderenbegonneneVerfilmunggenügtheutigenAnsprüchennichtmehr.DaherwerdennachderRestaurierungderDokumentevonallenInformationenenthaltendenSeiten(nebendenbeschriftetenSeitenauchUmschläge,SeitenmitEtiketten,Zeichnungen,Kritzeleienetc.)digitaleAufnahmengemacht.NurvölligleereSeiten,insbesondere(wieesbeidenNotizbüchernhäufigerauftritt)mehrerehintereinanderwerdennichteingescannt.
BrechtsNotizbücherbestehen,wiegesagt,häufigausdünnen,teilweisefastpergamentartigenBlättern,diesehrtransparentsind.OftscheinenaufeinemBlatt Eintragungen der Blattrückseite oder der darunterliegenden Blätterdurch.DieserBefundentsprichtdemOriginalundführtdortmanchmalzuEffekten, die ohne Kenntnis dieses Phänomen nicht zureichend beurteilbarsind.SoistdiePositionderNotizinNB25,19vaufdemunterenVierteldesansonstenleerenBlattessicherbedingtdurcheinAusweichenvorderdurchscheinenden Eintragung auf Bl. 18r und nicht, wie man vermuten könnte,durcheineninhaltlichenBezug(alsGlosseo. ä.)aufBl.20r.
AndererseitserschwerendiedurchscheinendenEintragungendieLesbarkeit der Seite oft beträchtlich. Was im Original durch einfaches Hin undHerblättern zu beurteilen ist, kann beim Aufnahmevorgang oft nur durchUnterlegungeinesopakenBlattesausgeglichenwerden.OberstesZielderReproduktion istOriginaltreuebzw. nähe.Aberwasheißthier ›original‹:dasjeweilsaufgenommeneEinzelblattoderdasBlattimNotizbuch,beidemoftnochEintragungenaufeinemodermehrerenanderenBlätterndurchscheinen(undggf.Konsequenzenhaben)?Natürlichbeides.WennmanaberdieMöglichkeit, jedes Blatt zweimal aufzunehmen (mit und ohne zwischengelegtesGraupapier als ›DurchscheinFilter‹), als zu aufwendig ausschließt, ist hiereineEntscheidungzutreffen.
DerEntschluß,denTransparenzEffektinBrechtsNotizbüchernbeiihrerReproduktion durch ein untergelegtes graues Blatt auszuschalten, erfolgteausquantitativenundausprinzipiellenÜberlegungen.MitdiesemVerfahrenist der Informationsverlust geringer und durch HerausgeberKommentareleichter zu kompensieren als umgekehrt. Da Brecht die Notizbücher in derRegeldoch,wennauchmanchmalwechselndoderspringend,BlattfürBlattin einer Richtung beschriftete, waren normalerweise zum Zeitpunkt derEintragung die unter dem beschrifteten Blatt liegenden Blätter noch leer.
DieNotizbücher
DasDurchscheinenandererEintragungenhatdahernurinvondieserRegelabweichendenFällensignifikanteFolgenfürBeschriftung(undangemesseneLektüre)eines jeweiligenBlattes,währendesaufderReproduktion,diedenZustand des vollständig beschriebenen Dokuments wiedergibt, häufig zuunkontrollierbaren Interferenzen führt. Die auf der Reproduktion zwangsläufig immerwiederauftauchendeFrage,obbestimmteGraphen–ggf.mitanderem Schreibmittel oder weniger Druck geschrieben – auf dem reproduzierten Blatt stehen oder von einem anderen durchscheinen, ließe sichauf der zweidimensional fixierten Abbildung i. Ggs. zum Original oft nichteindeutigbeantworten.Geradeeine falschverstandeneOriginaltreuewürdehier zu einer Verfälschung des Befundes führen – ganz abgesehen von derVernachlässigung einer ja auch nicht verächtlichen ›Dienstleistung‹ undzentralen Aufgabe jeder Edition: der bestmöglichen Lesbarmachung einesOriginals. Reproduziert werden also Einzelseiten mit untergelegten opakengrauenBlättern.DiezumadäquatenVerständnisnotwendigenInformationenüberdasBlattimDokumentenkontextwerdenvomHerausgeberbeigefügt.
WiedieRestaurationträgtauchdieReproduktionzurBestandssicherungbei.DienacheinheitlichenundkontrollierbarenKriterienhergestelltenAufnahmenwerdenmehrnochalsbishereineKonsultationdesOriginalsmeistüberflüssigmachenunddiesesdamitschonen.AußerdemdienensiealsDokumentationundSicherungdesStatusQuo:desjetzigenZustandesderOriginale,derinvielenFällenschonmerklichschlechteralszumZeitpunktdererstenVerfilmungist.EinOriginalkannverlorengehenoderzerstörtwerden–dannexistierenwenigstensbestmöglicheKopien.AberauchimbestenFallnimmtderInformationsgehaltderTextträgerlangsamaberunausweichlichab:Bleistiftverwischt,Tinteverblasst,Papierzerfälltoderbricht.DurchdieAufnahmenwirddasaktuellnochErhalteneundErkennbaredokumentiertundgesichert.
DieneuenReproduktionenwerdendiebisherigenArbeitskopienweitgehendersetzen;meistwirddamitsogareinBesuchdesArchivsunnötigwerden.Allerdingsnichtimmer:IneinzelnenFällenistinzwischenaufdenOriginalen manches kaum noch erkennbar, was auf den Archivkopien der 1950erund1960erJahrenochdeutlichsichtbarist.ZudementhaltenmanchedieserKopienunersetzlicheInformationen,z.B.TranskriptionenundKommentarevonElisabethHauptmann.DieseBlättermüssenihrerseitsarchivalischerfaßtundverzeichnetundaucheditorischberücksichtigtwerden.
Vorarbeiten
Die Ausgabe
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„esistbesser,sagteh.k.schnell,daßunbekanntesunbekanntbleibt,alsdaßdiegeheimnissevermehrtwerden.“
(NB25,84r.812)
ZielderAusgabeistdiemöglichstgenaueundvollständigeVermittlungderNotizbücher Brechts als ›Textträger‹ − als Träger: Objekt, Dokument undalsTrägervonTexten:Sprache,Inhalten−andenLeser.DieserBegrifftrifftdasGemeinteabernuruneingentlich:wederlassensichhierTragendesundGetragenes klar voneinander abheben, noch handelt es sich um Texte imeigentlichenSinn.BevorzugtwirddaherderTerminusDokument,indembeideseinsist;imZentrumderEditionstehtdieReproduktionundBeschreibungderDokumente.114EshandeltsichindiesemSinnundimKernderAusgabeum eine Veröffentlichung des Archivs (gen. obj.). Da das beschriebeneDokument(Original)sichkaumändertunddieReproduktionennachheutigen technischen Möglichkeiten in bester Qualität hergestellt werden, stehtzuhoffen,daßdiesesZentrumstabilundlangfristiginvariantseinkann.UmdiesenKernlegtsichdieTranskription:LesehilfeundgraphischeAdaptationderSchriftandievermuteteLesekompetenzdessen,derdieAusgabe indieHandnimmt.VerschiedeneHandschriften,Schreibmittel,SchriftgrößenundSchreibstile werden in einheitliche lateinische Druckbuchstaben umgesetzt.Der dritte und letzte Kreis schließlich ist das, was als Ganzes Kommentargenannt wird: Erläuterungen, Verweise, Quellen, Register. Während derTextteil der Edition (Reproduktion, Beschreibung, Transkription) vor allemdasDokumentwiedergibt,bemühtsichderKommentarvorallemdarum,eszuerschließen (Einordnung,Deutung).Auchhiergilt:Daseine istnieohnedasandere,siebeeinflußen,jabegründensichwechselseitig.DerKommentarist als Ganzes der am wenigsten alterungsbeständige Teil der Edition undmuß für Korrekturen, Modifikationen und Ergänzungen möglichst offenbleiben. Möglich wird dies in der parallelen elektronischen Edition, die derDruckausgabe technisch vorausgeht, sie komplementär ergänzt, für weiterezukünftige Ausgaben öffnet und selbst für Änderungen offen bleibt. Sieenthält das gesamte Material des Drucks und weitere Dokumente nach derArchivordnung.PerspektivischkannausihreineDatenbankmitverschiedenenUmschaltfunktionenaufchronologischeodersystematischeOrdnungenabgeleitetwerden.
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114 Vgl.dazunäherVillwock,Paralipomena(Anm.63),94103.
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115 EineunvermeidlicheUntreue:DasOriginalgibtesnicht(inderEdition).Wirhabenesimmernurmit(reprooder
typographischen)Übertragungenzutun.
Text
meinefreundeichhabediesenachtdarübernachgedacht,wiewirunsernverfallaufhaltenkönnten.[…]aufdiemenschenistkeinverlaß.
(NB16,12r)
Reproduktion
Die digital vorliegenden Archivaufnahmen werden editorisch bearbeitet −mit doppelter Zielsetzung: größtmögliche Originaltreue (DokumentierungderInformation)undbestmöglicheLesbarkeit(VermittlungderInformation).Reproduktionen sind immer auch Dienstleistungen für den Leser: UntreuegegenüberdemOriginal.115DieSeitenwerden freigestellt, ausgeschnitten, inHelligkeitundKontrastoptimiertunddoppeltgespeichert:farbigfürdieelektronischeEdition,schwarzweißfürdenDruck.DieEntscheidungfüreinenDruck in SchwarzWeiß statt in Farbe erfolgte nicht nur deshalb, weil hierzumeisteineimDetailbessereLesbarkeiterzieltwerden,sondernauch,weilsodieIllusioneinesorginialgetreuenFaksimilesgarnichterstentstehenkann.NichterstTranskriptionenundInterpretationen,schonReproduktionensindÜbersetzungen.Dasgiltesnichtzuverdrängen,sondernzuberücksichtigenundzunutzen.
DieReproduktionenbildendeneigentlichenFokus,AusgangsundZielpunkt der vorliegenden Ausgabe. Alles übrige dient zur Erschließung undLesbarmachungderinihnenbzw.denOriginalenenthaltenenInformationen.AndenOriginalenorientiertsichdieAusgabeschonimFormat.Eswurdesogewählt,daßeineWiedergabedermeistenBlätterinOriginalgrößemöglichwird.NurfürsechsNotizbücher(NB3,NB2730undNB44)wirdeinemaßstäblicheVerkleinerungum1020%nötig.DieserAbstrichandieOriginalnähe erfolgte aus einer Abwägung der Vor und Nachteile. Der gefundeneKompromiß ist vertretbar, weil auch bei diesen (wenigen) VerkleinerungendieGraphenimmernochgut lesbarsindundjedesDetailerkennbarbleibt,dasFormatderAusgabeaberinkeinallzugroßesMißverhältniszumkleinenFormat der meisten Notizbücher gerät. Jede rechte Seite (Blattvorderseite,recto)desOriginalswirdauchinderAusgaberechts,jedelinke(Blattrückseite,verso)linksabgebildet.DiezugehörigeTranskriptionstehtjeweils−wiebeieinemdurchschossenenExemplar−aufdergegenüberliegendenSeite.
Signatur,Paginierung,Zeilenzählung
Die archivische Foliierung der Dokumente (s. oben, 7274) bleibt auch imDruck das maßgebliche Lokalisierungssystem für jede Stelle; sie ist unterjederReproduktion(alsihr›Name‹bzw.ihre›Adresse‹)angegeben.NurdieArchivsignatur kann zur lückenlosen ausgabenunabhängigen Orientierungdienen.BeiZitatenundVerweisenwirddeshalbimmeraufsieundnichtaufdieSeitenzahlderAusgabeverwiesen.DieSeitenzählung (Paginierung)derAusgabedagegen,diesichaufdenTranskriptionsseitenundimAnhang(den›Herausgeberseiten‹), im Text wie im Kommentarteil findet, kann nur beiausgabenbezogenenVerweisensinnvollsein.
ImBundstegderTranskriptionsseitenisteinZeilenzählerbeigefügt.AusgehendvonderPrioritätdesSchriftBildsvordem ›Text‹werdenhierauchnichtgraphemische Eintragungen (Trennstriche, Kreuze, Pfeile etc.) mitgezählt, solange sie im horizontalen Zeilenraster erfaßt werden können. Eshandelt sich um eine rein pragmatische Lokalisierungshilfe, keine impliziteFestschreibungodergarwertendeHierarchisierungvonzeilenweisebezifferbaren Schriftphänomenen i. Ggs. zu durchs Netz fallenden, also scheinbarirrelevantenVorkommnissenaufderSeite.Verzichtetwirdaufeinzusätzlichesvertikales Raster, also ein vollständiges Koordinatensystem, wie es in derKonsequenzdesdokumentarischenPrinzips lägeundinEinzelfällenmöglicherweisehilfreichwäre.BeiderweitgehendhorizontallinearenBeschriftungder Dokumente wäre der Nutzen doch meist nur gering und würde denhöheren Aufwand und den ungewohnten, ggf. verwirrenden Technizismusnichtrechtfertigen.
Transkription
Die Transkription wird anhand der Originale im BertoltBrechtArchiv erstellt.ZusätzlichwerdendiealtenArchivkopiensowiedieneuenScansherangezogen – jene, weil sie heute bereits teilweise mehr Informationen als dieOriginale enthalten (s. oben, 77), diese, weil sie durch Vergrößerungs undKontrastierungsfunktionen am Bildschirm manches deutlicher als imOriginal lesbar machen. Die im BBA vorhandene Arbeitstranskription vonHerta Ramthun dient zur Kontrolle. Das Grundprinzip der Wiedergabe istdas der ganzen Edition: ›möglichst einfach‹ (»entia non sunt multiplicandasine necessitate«; Wilhelm von Ockham) − also das Graphische graphisch,dasgraphemischemitGraphemen(ingemäßigterDifferenzierung)undnurdasandersnichtodernurschwerNachvollziehbaremitdiakritischenZeichenbzw. Satzkonventionen. Angestrebt wird eine topographische EntsprechungderUmschriftandieVorlage(phänomengetreueTranskription).
DieAusgabe Text
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116 Korrekterweisemüßtemanvon›kritischdiplomatisch‹sprechen,danichtalleEinzelheitenderVorlagenachgebildetwerden.IndiesemSinnistaberjedediplomatischeTranskriptioneine(mehroderweniger)kritische,sonstwäresieeineKopie,ReproduktionoderFälschung.DasParadox›diplomatischerTranskription‹liegtdarin,daßsieihrenBegriffbeiseinerErfüllungsprengt.Vgl.auchVillwock,Paralipomena(Anm.63),9699.
117 Auchhiermüßtemankorrekterweiseschreiben:›nichtsignifikantnachMaßgabederEditionsvorgaben‹.DaaberjedesLesen(Auslesen,Selektion)eineFilterungnachausgewähltenInteressenundHinsichtenist,verstehtsichdieseEinschränkungvonselbst.Siesollhiernur,imGegensatzzum›natürlichenLesen‹,bewußtgemachtundoffengelegtwerden.
JedeUmschrift,aucheinediplomatischewiediehiervorgelegte116isteineÜbersetzungauseinemZeichensystemineinanderes−hieraushöchstvariablendeutschenundanderenHandschrifteninlateinischeDrucklettern.Absichtkannesnichtsein,einederIndividualitätderVorlagevollständigentsprechende Kopie (ohne Informationsverlust) herzustellen. Das wäre eineredundanteReproduktionderReproduktion,bloßeVerdoppelung.Esgiltvielmehr,dienichtsignifikanten117EigenheitenundVariationendesManuskriptsvondensignifikanten(relevanteInformationenthaltenden)zuunterscheiden:kontrollierteundkontrollierbareDistanzundDifferenz.Nurdie imVorausals signifikant bestimmten Elemente der Vorlage werden, soweit möglichund sinnvoll, individuell, also nichtkonventionell, und nach Maßgabe destechnisch Möglichen pragmatisch nachgebildet (vgl. oben, v. a. Beispiel 34).DiegroßeMehrheitallerGraphenindenNotizbüchernaberkönnenrelativeindeutig identifiziertundfolglichdentypographischenundelektronischenVorgabenentsprechendvereinheitlichtwerden.DiewechselndenFormen,GrößenundAbständederhandschriftlichenGraphenwerdenindenDrucktypenstandardisiert.
Begründungsbedürftig ist der Verzicht auf die Wiedergabe von Schreibkonventionen,dieheutenichtmehrüblichsind.Das›ſ‹derdeutschenKurrentschriftamAnfangoderinderMitteeinerSilbeistfürsichselbstnichtbedeutungstragend(esentspricht›s‹),kannaberbeiabgebrochenenWörternoderSätzendurchausfürdenLesersignifikantwerden:›es‹kanneinganzesWortsein, ›eſ‹nureinAbbruchmitten imWort.DieGeminationvon ›mm‹bzw.›nn‹zu›m‹/›n‹,ansicheinbloßeSchreibgepflogenheit,wirdvonBrechtnichtkonsequentverwendet;selbstdieseUnterscheidungkönntealsoggf.eineInformationenthalten.DaseineinderdeutschenSchriftverwendeteZeichenfür›I‹und›J‹istäquivok,eineEntscheidungfürdieeineoderandereUmschriftalsoeineFestlegungdurchdenHerausgeber,diesogarAuswirkungenaufdieIdentifikation der Folgebuchstaben haben kann (dasselbe Schriftphänomenkannggf.sowohlals›Ir‹wieals›Je‹gelesenwerden).DennochwerdendiesefürdeutscheHandschriftcharakteristischenGraphendenheutigenLeseundSatzgepflogenheiten lateinischer Druckschrift angepaßt. Die hier notwendig
werdendenHerausgeberentscheidungensindjedochkeinSystembruch;vielmehrsindLeseentscheidungenauchbeiallenanderentranskribiertenGraphenzutreffen.Wonötig,können(undmüssen)problematischeFälleineinerErläuterung thematisiert werden. Gerechtfertigt ist dies durch die grundsätzlicheFunktionderUmschrift:SiesolldenTextnichtfestschreiben(konstituieren), sondern lesbar machen (öffnen). Sie soll überhaupt nicht als Text fürsichgelesenwerden, sondernnuralsLesehilfe zurReproduktionhinführen.EntsprechendsollauchdieIrritationdurchdasSchriftbildnichtüberdasNotwendigehinausgehen.
Nunkanneinemspeziell,z.B.psychologisch,graphologischoderkriminologischinteressiertenLeserbuchstäblichallesaufeinemSchriftBildsignifikantwerden.EinsolcherLeserwirdaberohnehinvorallemdieReproduktionbetrachtenundnichtihretypographischeDeutungineinerTranskription.DieAnsetzungderSchwelle,abderdieFragenachsignifikantenodernichtsignifikantenHandschriftenbefundenüberhauptgestelltwird,unddieWahlzwischenimitierendenundnormierendenVerfahrenbeiihrerUmschrifthatderHerausgeberzutreffenundzuverantworten.
Die Wahl der Satzschriften und textkritischen Zeichen für die Transkription dient vor allem dem Zweck, auf die Vorlage hin transparent zu seinund möglichst nicht selbst Gegenstand der Aufmerksamkeit zu werden; siesollen hinführen, nicht ablenken. Deutungen, die über die in jeder Lektüreunvermeidlichen Verstehensprozesse hinausgehen, bleiben, räumlich vonder Transkription getrennt, den Fußnoten und Erläuterungen überlassen.Dazu gehören auch alle genetischen Informationen, die über das Evidente(dasz. B.inderSchreibrichtungliegt)unddasUnumgängliche(KorrekturendurchÜberschreibungmüssenhintereinanderwiedergegebenwerden,umsielesbarzumachen)hinausgehen.ZeitlicheVerhältnisse,z. B.Überarbeitungsschichten,werdennichtmarkiert,eineUnterscheidungzwischenSofortundSpätkorrekturenwirdnichtgetroffen.Daßüber,unterodernebenderGrundzeile stehende Zeichen oder Worte nachträglich eingefügt wurden, ist fastimmerunmittelbarausderReproduktionbzw.TranskriptionersichtlichundmußnichtnochdurchKlammern,Schriftgröße,Fettdruck,Indizierungo. ä.thematisiertwerden;Ziel isthierdieVermeidungvonRedundanzen.Selbstwo(geradewo)derrelativeZeitpunkteinerEintragungnichtevidentist,wirdgrundsätzlichaufeineherausgeberischeDifferenzierungzwischensichererundunsicherer Zeitpunktbestimmung verzichtet. Bei komplexen Fällen könnengenetischeInformationenineinerFußnotegegebenwerden:EntflechtungvonräumlichemBefundundzeitlicherDeutung.
DieTranskriptionistLesehilfeundLesevorschlag,aberkeinselbständigerText.Daherkann,analogzumVerzichtaufdieDifferenzierungvermutlicherodersichererSofortundSpätkorrekturen,auchaufdieUnterscheidungsichererundunsichererEntzifferungvonGraphenverzichtetwerden.LesenbestehtimmerundinsbesonderebeiHandschriftenauseinemKontinuumverschiedenerGradeanSicherheitmiteinemjenachGraphundWortwechselnden
DieAusgabe Text
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AnteilvonAbundHineinlesen.DerscheinbareInformationsgewinndurchdie binäre Unterscheidung ›sicher‹/›nicht sicher‹ entspricht nicht dem faktischenLesevorgangundist,nebendieReproduktiongestellt,nureinGewinnanPseudoexaktheit.IndervorgelegtenTranskriptionhandeltessichumeinenVorschlag.DieVerantwortungfürseineWeiterverwendungalsTextliegtbeimLeser, Zitierer und Forscher. Verbesserungsvorschläge und Falsifizierungensinderwünscht.
Angestrebt wird, daß der Leser schneller zur Reproduktion blickt, stattzuerst(undoftwohlauch:zuletzt)zuversuchen,einevieldimensionaleTranskriptionzudurchschauenodersichschonbei ihrzuberuhigen.EinweitererVorteilderReduktionvonAnsprüchenandieUmschrift ist,daßdie inhistorischkritischenEditionensonstüblichentextkritischenZeichen,HerausgeberzutatenundalsoFremdkörperimtranskribiertenText,weitgehendvermieden werden können. Sonst diakritisch (nichttranskribierend, interpretierend)verwendeteherkömmlicheMetazeichenwie ›X‹, ›x‹, ›<‹, ›>‹, ›{‹, ›}‹,dieallevonBrecht selbstverwendetwerden,bleibendadurch fürdieTranskriptionselbstreserviert,zurWiedergabeoriginalerGraphenverfügbarundalsZeicheneindeutig.
Eine typographische oder graphemische Markierung bleibt dort erforderlich,wodieTranskriptionspezifischeProblemstellendesSchreibprozesseszumarkieren oder zu entflechten vermag: bei unlesbaren (1), überschriebenen(2), überschreibenden oder eingefügten (3) und bei getilgten, aber rekonstruierbarenGraphen(4).
(1)DieMarkierunggänzlichunlesbarerGraphen(folgen)istauchineinemLesevorschlagnotwendig,wennkeinewahrscheinlicheoderauchnurmöglicheLesehypothesezubildenist,dasVorhandenseinvonGraphen(oderallgemeiner:Tinten/BleistiftspurenaufPapier)aberdennochmarkiertwerdensoll.AlsZeichen fürunlesbareGraphenwirddas indenVorlagennirgendsvorkommende umgekehrte Fragezeichen ›¿‹ verwendet. Da die Zählungnicht lesbarerGraphenbzw.dieUnterscheidungzwischenGraph,GraphenfolgeundWortaufgrundvonBrechtsDuktusoftnichtmöglich ist,wirdesnäherungsweise topographisch bzw. ›schriftstatistisch‹ verwendet: Eine unlesbareGraphenfolge,diederLängevondreidurchschnittlichenBuchstabendesKontextesentspricht,wirdalsomit›¿¿¿‹wiedergegeben,ohnedaßdamiteinegenaueZeichenzahlgemeintist.
(2)BeiÜberschreibungenweichtdasPrinzipderTopographiedemwichtigerenderLesbarmachung.WilldieUmschriftnichtgenausoschwerlesbarwie ihre Vorlage sein, muß sie hier analytisch ›entzerren‹ und hintereinander wiedergeben, was sich im Original überlagert. Dabei werden, gängigenEditionsgepflogenheiten entsprechend, überschriebene Graphen in eckigeKlammerngesetzt: ›[abcde]‹.DieseKlammernsinddamitdieeinzigenElementedesgesamtenZeichensatzes,diefürsichgenommenäquivokwerden,daauchBrechtsie(wennauchsehrselten)verwendet.Auchsieabersindhiereindeutig als Herausgeberzeichen lesbar, da sie nie allein für sich auftreten,
sondern immer nur in Verbindung mit anschließender Kursivierung derüberschreibendenGraphen:
(3) Um die Erstreckung einer Überschreibung vom anschließenden Textunterscheidbarzumachen,werdendieüberschreibendenGraphenkursiviert:eintypographischesMittel,dasesinderHandschriftnichtgibt.Bei›[fal]richtig‹überschreibendievierGraphen›rich‹denWortansatz›fal‹,dasWortende›tig‹schließtsichan.(JenachKontextkannessichhierumeineSofortkorrekturvon›fal⟨sch⟩‹handelnoderumeinespätereKorrekturvon›faltig‹.)
(4)InseltenenFällen(z.B.NB25,1v.5)findensichnichtdurchStreichung,sonderndurchRadierungoderandersgetilgteGraphen,diedennoch lesbargeblieben sindodermit technischenMittelnwieder lesbargemachtwerdenkönnen. Dafür wird der Tonwert Grau statt Schwarz gesetzt, ebenfalls einsonstnichtvorkommendesundalsoeindeutigesgraphischesMittel.
Einfügungen,diekeineanderenGraphenüberschreiben,werdennichteigensgekennzeichnet,sonderntopographischderVorlageentsprechendüber,unterodernebenderGrundzeileplaziert.NurinderVorlagenichtklaralseingefügterkennbarenichtüberschreibendeGraphen,z.B.dieErgänzungeinerWortendungaufderGrundzeile,werden(wieÜberschreibungen)durchKursivierungmarkiert:›EinfügungenimTextfluß‹.
AlsHerausgeberzeichenundSatzkonventionenwerdenalsoverwendet:
¿¿¿ nichtentzifferteGraphen[ineckigenKlammern] überschriebeneGraphen kursiv überschreibendeodereingefügteGraphengrau getilgteundeditorischrekonstruierteGraphen
Streichungensindalssolche,d. h.graphisch,nichtdiakritisch(z. B.durcheckigeKlammern)wiedergegeben.Siewerdenjedochnichtnachgebildet,sonderninderRegelalsgeraderhorizontalerStrichvereinheitlicht.AuchSatzzeichenwerdengraphischkonventionellgestrichen,daeskeineZeichengibt,diedamitverwechseltwerdenkönnen: ›.‹, ›,‹, ›!‹, ›?‹, ›„‹, ›“‹.EinzigdieStreichungvonhorizontalen(z.B.TrennoderGedanken)StrichenwirdderDeutlichkeithalbernachbildendwiedergegeben,z. B.:›−/‹oder›−\ ‹.
Zeichen,dieeinespezielleunterscheidendeFunktionhabendürftenoderkönnten,werdenebensowieEinweisungsundUmstellungslinien,Pfeileetc.möglichstnachgebildet.
DiepotentiellunendlicheUnterscheidbarkeitundKomplexitätvonHandschriften (deutsch oder lateinisch, analytisch buchstaben oder synthetischwortweise,LangoderKurzschrift, eigeneoder fremdeHand, JugendoderAltersschrift,verschliffeneoderReinschrift)mußfürdenBuchdruckmitgenormtenLetternaufeine(begründbare)AuswahlrelevanterDifferenzierungenreduziertwerden.AlleanderenwerdeninderUmschriftnichtberücksichtigt.InbesonderenFällenkannindenErläuterungendaraufhingewiesenwerden.InjedemFallistdieReproduktionalseigentlicheReferenzzukonsultieren.
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DruckschriftenkönnenwiealleSchriftenihrenTextmöglichstausdeuten(bzw. manipulieren) oder möglichst neutral sein. Brecht selbst bevorzugteletzteres:TransparenzaufdenInhalthin,dermöglichstdirektfürsichselbstzu sprechen habe. Bei einer wissenschaftlichen Ausgabe, wo Subjektivitätunerwünschtist,undspeziellbeieinerNotizbuchEditionistdiesbesondersangebracht, da hier jede Ausdeutung noch mehr als sonst auf unsicherenFüßenstehenmüßte.Essolltehiernurdaswiedergegebenwerden,wassicherfeststellbaroderevidentist.Dafürsinddeutlichvoneinanderunterschiedene(und doch ästhetisch zusammenpassende), dabei zugleich neutrale und gutlesbareDruckschriftenzuwählen.
Grundsätzlich ist in den Vorlagen die Hand Brechts von der anderer zuunterscheiden(Autographievs.Allographie).DieseBasisdifferenzwirdtypographischdurchzweigutunterscheidbareSchriftfamilienausgedrückt: ›Minion‹ fürBrechtund ›Helvetica‹ für fremdeHand.StenographischeEintragungen werden in beiden Fällen durch eine ›englaufende,kleinereSchriftvariante‹wiedergegeben.ZudemwirdimFalleBrechtszwischender(dominierenden)deutschenundderlateinischenSchriftunterschieden.Fürletzterewirdeinedritte,vonderMinionwiederumaugenfälligabweichendeSchriftverwendet:die serifenlose ›Myriad‹. (Etwaige Mißverständnisse aufgrund der relativenÄhnlichkeitvon›Myriad‹und›Helvetica‹werdendadurchausgeschlossen,daßbeiletztererzusätzlichimmerexplizitaufdenfremdenSchreiberhingewiesenwird.)Aufdieweniger relevanteDifferenzierung lateinischervondeutscherSchriftbeifremderHandwirdverzichtet.EinsolcherSchriftwechselistinderReproduktion ersichtlich und kann in signifikanten Fällen in einer Erläuterungthematisiertwerden.
BrechtführteseineNotizbücherhandschriftlich.AllerdingsklebteerteilweiseTyposkripteoderTyposkriptausschnitteinsieein.Zudemsinddie(vorerstnurelektronischerfaßten)übrigenDokumentezueinemgroßenTeilmaschinenschriftlich.SiesindzwarinderRegelgutlesbar;alsersterSchrittzueinerspäterenTextkonstitutionundumsieindieelektronischeVolltextsucheeinbeziehenzukönnen,werdenaberauchsieumschriftlicherfaßt.118AlsSchriftdafür wurde die (der Schreibmaschinenschrift nahe) ›Prestige‹ gewählt.DieseentsprichtderVorlagesehrweitgehend.NurdiedortmeisteinheitlichdurcheinenStrichmittlererLängewiedergegebenenTrennbzw.Bindestriche(›-‹)undGedankenstriche(›−‹)werdeninderUmschriftdifferenziert−eineHerausgeberentscheidung.Streichungen(oftÜbertippungenmit›/‹, ›x‹, ›m‹etc.) werden wie in den Handschriften mit horizontalem Strich vereinheitlicht.119
DasergibtinsgesamtfolgendeSchriftentafel:
Brecht deutsch Minion lateinisch Myriad stenographisch Minioncondensedpetit
fremdeHand deutsch/lateinisch Helvetica stenographisch Helvetica condensed petit
Schreibmaschine Prestige
Marginalien
IndenräumlichunddurchkleinereSchriftvomTranskriptionstextdeutlichabgegrenztenMarginalienamäußerenRandderSeitenfindensichpunktuelleAngaben, die das Textverständnis erleichtern (Auflösung von Abkürzungenetc.), und Hinweise auf Textstrukturen, die die jeweilige Einzelseite überschreiten(v. a.VerknüpfungenmitEintragungenaufanderenSeitendesNotizbuchsoderinanderenDokumenten).DerHerausgebertextstehthierwieüberhauptimTextteilinstumpfenSpitzklammern(›⟨‹,›⟩‹)−zwischenZeichenalso, die in der Transkription selbst nicht vorkommen. Verwendet werdenfolgendeZeichenundSatzkonventionen:
Herausgebertext ⟨instumpfenSpitzklammern,petit⟩Titel kursivTextanschließendanBl. 12r.3←TextfortgesetztaufBl. →45v.6
Fußnoten
Die Fußnoten sind räumlich und durch kleinere Schrift eindeutig von derTranskription unterschieden. Hier werden Farbe und Art der Schreibmittel(Tinte, Blei, Farb oder Kopierstift, Kugelschreiber), bei fremder Hand dieNamenderSchreiberundjedeArtvonBesonderheit(Tintenflecke,ungewöhnlicheEselsohren,AuffälligkeitenderSeitentopographie,vonanderenBlätterndurchschlagende Tinte) vermerkt. Wo zur vorgeschlagenen Entzifferung alternativeLesartenmöglichsindundeinenannäherndgleichplausiblenSinnergeben,werdensiehierangeführt.InderRegelbeschränktsichdieAngabeauf die Arbeitstranskription von Herta Ramthun im BBA, auf die auch diebisherigenPublikationenvonNotizbucheintragungenweitgehendzurückgehen.EindeutigeFehllesungenbisherigerAusgabenwerdennichtvermerkt.
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118 AuchbeieinerTeilausgabewiedervorliegendenderNotizbücheristdieKompatibilitätmiteinerspäterenGesamtausgabeimmerschonmitzubeden
ken;vgl.dazuVillwock,Paralipomena(Anm.63),88106.
119 ZurTranskriptionvonTyposkriptens.auchunten99f.
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NichtunmittelbarausReproduktionundTranskriptionersichtliche,uneindeutigeodersonsterläuterungsbedürftigegenetischeSachverhaltewerdenbevorzugthierindenFußnotenthematisiert,nurbeibegründetenAusnahmen,insbesondere bei komplexen Sachverhalten auch in den Erläuterungen imAnhang.AngestrebtwirdgrundsätzlicheineeditionslogischeundräumlicheEntflechtungderUmschriftvonallenMetaInformationen.
DieVerzeichnungerfolgtlemmatischmitAngabederZeilenzahl.Herausgebertext steht in stumpfen Spitzklammern; jedes Lemma wird von einereckigenKlammerabgeschlossen;AuslassungendurchdenHerausgeberwerdendurchdreiPunkteinkursiveneckigenKlammernmarkiert:
Herausgebertext ⟨instumpfenSpitzklammern,petit⟩
Lemmaklammer ]
Textauslassung […]
Kommentar
herrk.warnichtfürabschiednehmen,nichtfürbegrüßen,nichtfürjahrestage,nichtfürfeste,nichtfürdasbeendeneinerarbeit,nichtfürdasbeginneneinesneuenlebensabschnittesnichtfürabrechnungen,nichtfürrache,nichtfürabschließendeurteile.
(NB34,16r)
AlleInformationen,dienichtdirektdieEintragungenunddieTranskriptionbetreffen (diese finden sich im Textteil in den Marginalien und Fußnoten),sindimAnhangenthalten.DieseralsganzerheißtKommentar.Imübrigen,insbesondere für seinen Kern: die Stellenerläuterungen, wird der Begriff›Kommentar‹ vermieden, um Interferenzen mit Brechts eigenem Sprachgebrauch(vgl.z.B.NB25,51runddieErläuterungdazu)auszuschließen.
DerKommentarvorliegenderAusgabehatvorallemzweiFunktionen:ErsolldieDokumentealsObjektebeschreibenunddieEintragungeninhaltlicherschließen.LetzteresgeschiehtvorallemdurchkoordinierteVerweiseaufandereDokumentedesGesamtwerks120unddurchSammlungvonHinweisenzurDeutung.DieseErläuterungensindoffen,aufErgänzungundÜberholbarkeithinangelegt.BewußtexponierensiesichderKritikundFalsifikation.Siekönnendiestun,weilsie(wiedieTranskription)alleInformationenvorlegen,diezuihrerBeurteilungnötigsind.Eskommthierdaraufan,indenZirkeleinerwissenschaftlichen BrechtHerausgabe erst einmal hineinzukommen. HiersolldasFundamentgelegtwerdenfürzukünftige(Teil)Ausgaben,andiedannexklusivereMaßstäbeangelegtundweitergehendeAnsprüchegestelltwerdenkönnen,undfüreinesinnvolleelektronischeVerlinkungderDokumenteuntereinander.DerNetzstrukturvonBrechtsProduktionkannnureinsolchervernetzender Kommentar entsprechen. Er besteht aus drei Hauptteilen: (1)EinerkurzenEinführung»ZurEdition«,(2)einerBeschreibungundErläuterungdereinzelnenNotizbücherund(3)einemListenteilmitZeittafel,Siglen,AbkürzungsundLiteraturverzeichnissowieverschiedenenRegistern.
ZurEdition,diakritischeZeichen
DieEinführungindenAnhangresümiertdasimvorliegendenTextausführlichDargelegteundstelltdiediakritischenZeichenübersichtlichzusammen.
DieAusgabe Kommentar
120 AufBBADokumentewirdimgesamtenKommentarheftvereinfachtverwiesen:BeiSignaturenwirdaufdasKürzel»r«
(recto)verzichtet,woesnichtzurUnterscheidungvon»v«(verso)notwendigist.
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Beschreibung,Lagenschema,Seitenbelegung,
Nachder−meistnurungefährmöglichen−DatierungdesjeweiligenNotizbuchs folgtzunächsteineKurzcharakteristik,die seine inhaltlichenSchwerpunkteundBesonderheitenbenennt,umdenÜberblickunddieschnelleOrientierungzuerleichtern.AnschließendwirddasDokumentnachfestgelegtenKriterien formalanalysiert:Standort,Format (Breite×Höhe)undUmfang,Materialität (Papier, Umschlag, Schreibmittel). Danach werden der aktuelleArchivkontext−grossomododerrelativeStandortdesDokumentsinBrechtsWohnung (oderanderswo)zumZeitpunkt seinesTodes−und, falls rekonstruierbar,auchdieKontexteangegeben, indenendasNotizbuchalsDokument zuvor stand: die Orte in Brechts Verwendungszusammenhängen undSelbstarchivierungen.BeideskannwichtigeHinweisenichtnuraufÜberlieferungs,sondernauchaufProduktionskontextegeben(vgl.oben,22f.).Zuletztwerden,fallsdiesindenvorangehendenRubrikenkeinenPlatzfindenkonnte,weitereBesonderheitendesjeweiligenNotizbuchsbeschrieben.
AusdemgraphischdargestelltenLagenschemagehtdieBindungundderOrtfehlenderSeitenhervor.Sokönnenggf.auchanderweitigüberlieferteEinzelblätterleichteridentifiziertundexaktzugeordnetwerden.Zusätzlichfindetsichhier(pragmatischvereinfacht)dieSeitenbelegungwiedergegeben,sodaßdasLagenschemazugleichalsInhaltsverzeichnisverwendbarist.
Erläuterungen
Wie der Kommentar insgesamt, so haben insbesondere die EinzelstellenErläuterungendendoppeltenAnspruch,dieNotizbuchEintragungenuntereinanderundmitanderenDokumentenzuverknüpfen(1)undeinemöglichstumfassendeSammlungvonMaterialzurDeutungzusein(2).
(1)ZuerstundzentralverstehensichdieErläuterungenalsVerteilervonVerweisenaufgenetischund/oderthematischbenachbarteDokumenteoderTexte. Sie ermöglichen eine Orientierung im sonst unüberschaubaren undschier undurchdringlichen Nachlaß Brechts, indem sie ihn vorläufig strukturieren. Auch hier werden selbstverständlich die Vorarbeiten 50jährigerBrechtForschungüberallkritischunddankbarverwendet,auchwenndiesimeinzelnennichtnachgewiesenwerdenkann.EinAnspruchaufVollständigkeitkannschonausbestandsimmanentenGründennichtgestelltwerden:BrechtsProduktion verläuft meist nicht in klar abgrenzbaren Arbeitsprojekten undWerkgrenzen, und die chronologischen Zusammenhänge sind oft nichtrekonstruierbar (s. oben, 16f., 46). Trotz des Umfangs von Brechts Nachlaßfehlt es an absolut oder relativ exakt (genug) datierbaren Dokumenten.Werden chronologische und systematische Festschreibungen dennochversucht, werden die Ergebnisse zwangsläufig unbefriedigend bleiben. Aber
auchbeiderhiergeübtenweitgehendenBeschränkungaufVerweise(chronologischsystematischeDeutungenwerdennurzumkleinerenTeilundnurdortgegeben,woeinigeSicherheiterreichbarist)bleibtesvonderEinschätzungdesHerausgebersundseinemjeweiligenKenntnisstandundÜberblickabhängig,worauferverweistundworaufnicht:unvermeidlicheSubjektivität.
(2)DanebensammelndieErläuterungenMaterialzurDeutungundInterpretation:Quellentexte,Parallelstellen,enzyklopädischeInformationen.AusgehendvonderErkenntnis,daßjedeTranskriptionimmerschonInterpretation ist, werden die Erläuterungen offen gehalten auch für Hinweise aufinhaltliche Aspekte, Deutungsvorschläge, Interpretatorisches. Derartige›spekulative‹(hermeneutische,subjektive)AnsätzemachenfaktischdieEntzifferungeinesWortesoderBuchstabensmanchmalerstmöglichunddürfennicht schamhaft verschwiegen werden. Sie müssen vielmehr markiert unddamit nachvollziehbar und kontrollierbar gemacht werden. Zudem könnensie für Einordnung und Verständnis einer Notiz wichtige Hinweise liefern:Deutungsvorschläge, die der Leser in seiner Weiterarbeit am Text sieben,aufgreifen,ergänzenoderverwerfenmag,wieesihmplausibelerscheint.DerKommentarkannhiernichteiner›reinenLehre‹folgenundversuchen,sichjederInterpretationzuenthalten.EineklareTrennungvonBefundundDeutunghatesniegegebenundistausimMaterialselbstliegendenGründenauchunmöglich.Daßheißtnicht,daßeinesolcheUnterscheidungnichtheuristischsinnvollwäre.Hierwieüberallgiltes,dieunvermeidlicheDialektiknichtzuverdrängen,sondernbewußtzumachenundzunutzen.
EingrundsätzlicherVorteilbeieinerNachlaßEditionwiedervorliegendenist,daßkeinLesetextkonstituiertwerdenmuß.DieTranskriptionkannetwaige Probleme, die das Material aufgibt, an den Leser, Nutzer, Forscherweitergeben.AufgabederEditionistzunächstundvorallem,dieDokumentezugänglich und lesbar zu machen, nicht aber, aus Notizen zitierbare Texteherzustellen. ImKommentarallerdingsstellt sichdieseFrage trotzdem:MitseinerOrientierungauf›Texte‹undderNotwendigkeit,ausdenDokumentenzitierenzumüssen,ister−als›ersterLeser‹−auchselbstmitdemProblemder Textkonstitution konfrontiert. Er muß sich jeweils für eine Zitierweiseentscheiden, kann so aber auch Beispiele für den Umgang mit derartigen›nichtfestgestelltenTexten‹geben.
Nachlaßdokumentesindnichtautorisiertunddamit›fürandere‹nicht›fertig‹, janichteinmalfreigegeben.EsistbeieinemkonkretenDokumentniemals feststellbar, ob der Textwerdungsprozeß ›an sich‹ schon abgeschlossenodernuraneinerbestimmtenStellestillgestelltoderabgebrochenist,undanwelcher Stelle dieses Prozesses man sich gerade befindet: am Anfang einesersten Entwurfs, am Ende einer Reinschrift mit einem ›eigentlich‹ fertigenText oder irgendwo (eher vorne? eher hinten?) dazwischen. Darüber sindimmernurundbestenfallsPlausibilitätsundWahrscheinlichkeitsurteile,nieGewißheitenzuerreichen.
DieAusgabe Kommentar
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DieFrage,wiesehreinDokument›schon‹oder›nochnicht‹Textist,bleibtaberimGrundeirrelevant,wennmanbedenkt,daßandereLeseraußerdemAutor(bzw.dem›erweitertenAutor‹:denMitarbeitern)vonihmüberhauptnicht ›gemeint‹ sind.WährendLesetexte immerTextefürandere sind, sindNachlaßdokumentedasnie.WennmanTexteimengerenSinnals(endgültigodervorübergehend) fertiggeformteversteht, enthaltenArbeitspapiereundNotizbücher grundsätzlich nur NochNichtTexte: Notate, Aufzeichnungen,Eintragungen, Konzepte, Entwürfe. Macht man dennoch ›Texte‹ aus ihnen,überschreitet man eine kategoriale Grenze. Dies erfordert die Einführungneuer, vorlagenfremder Kategorien, die dem Dokument in seinem Wesennichtgerechtwerdenkönnen.DasistoftzweckmäßigundbeimÜbergangindieKommunikationsgemeinschaft(Druck,Öffentlichkeit,Leserschaft,Zitierzusammenhang)jedenfallsunvermeidlich,nursolltemansichdabeibewußtbleiben,daßessichumeinengrundsätzlichenVerrathandelt.121
Resultierend aus der dokumentarischen NichtIntentionalität auf PublikationundLeserschaftergibtsichdieSchwierigkeit,daßsichvieleElementeausNachlaßdokumentennichtohneweiteresundoftauchgarnichtaufeineDruckzeilebringenundlinearzitierenlassen(s.oben,6170).Woesdennochversuchtwird, istdasErgebnishäufig fragwürdigodergarwertlos.DasgiltfürjedesDruckbild,nichtnurfürnormalisierteLesetexte,sondern−wenigeraugenfällig, aber grundsätzlich ebenso − auch für ausgefeilte diplomatischeTranskriptionen,solangesieunabhängigvomDokumentfürsichstehen:Textseinsollen.122
NunistaberschonjederLesevorgangeineTextkonstitution.123Wasichlese,macheichimmerzueinemTextfürmich,wenigeraugenfällig,abergrundsätzlichauchbeimbestmöglichredigiertenLesetext,indemichihnanmeinprivatesLexikonundVorwissenadaptiere (s.Anm. 117).Erst rechtgiltdiesnatürlichbeiunfertigenNotizen.Wennmansichnunauchaufsolche›Texte‹zitierendundkommunizierendeindeutigbeziehenkönnenwill,bleibtnichtsübrigalsexpliziteTextkonstitutionen.InjedemFallwirdeinLeserzumMitEditor(undMitAutor)werden,sobalderetwasausdemDokumentherauslöst,mitteiltundzueinemTextfüranderemacht.NachMöglichkeitsollteerseineKriteriendafüranpassenderStelleoffenlegen.
DervorliegendeKommentarband,indemsichdieseFragemehrfachstellt,folgt zwei im Ansatz gegenläufigen, wenn auch im Ergebnis oft ähnlichenModellenderTextkonstitution,jenachdem,worumesvordringlichgeht:umdie möglichst adäquate Identifikation und Verschriftlichung des ›gemeintenTextes‹oderumdiederfaktischvorfindlichenGraphen.
Ersteres führt zu typographischer Vereinfachung und Vereinheitlichung,z. B.durchdenVerzichtaufdieUnterscheidungdeutscheroder lateinischerHandschrift,eigeneroderfremderHand,Unterstreichungen,WiedergabevonVerschreibungenodertopographischeExaktheit.DieseLiniewirdverfolgtbeiderIntegrationvonZitatenindenHerausgebertext,beidenendieVorgabederDruckzeilenichtgesprengtunddasZielflüssigerLesbarkeitmöglichsterreichtwerdensollte,sowieimRegisterderBrechtTitel(s.unten97),woesumdieBestimmungderZugehörigkeiteinerStellezueinemTextoderWerk,nichtumihreSpezifizierungalsindividuellesSchriftbildgeht.
Woesdagegenumletzteresgeht, indeneingerücktenZitatenderErläuterungenundimRegisterderDokumente,bemühtsichdievorliegendeAusgabe um möglichst originalnahe Zitierweise. Dies ist in unterschiedlichemMaße zweckmäßig. Es wird daher jeweils angegeben, ob und auf welcheWeise vereinfacht zitiert wird, ob z. B. nur die erste oder die letzte EintragungsschichtangegebenoderwieEinfügungen,dieimOriginalnichtaufder Grundzeile stehen, wiedergegeben wird. Die Transkriptionsschriften (s.oben,89)werdenbelassen:›Minion‹fürBrechtsdeutsche,›Myriad‹fürseinelateinischeHandschrift,›Helvetica‹fürfremdeHandschriftund›Prestige‹fürTyposkripte.ZitateausDruckenwerden,alssolchegekennzeichnet,inderGrundschrift(›Minion‹)wiedergegeben.
In beiden Fällen wird pragmatisch verfahren. Die vorliegende AusgabemöchtedenwechselndenSituationenundAnforderungenbeiderArbeitmitBrechtsNachlaßaufwechselndeundjemöglichstadäquateWeiseentsprechen.Andere können die angebotenen ›Texte‹ übernehmen oder nach ihren Bedürfnissenmodifizieren.DiesesVerfahrenhatzudemdenVorteil,dasBewußtseinfürdieProblematikdesLesensvonundZitierensausnichtautorisiertenVorlagenzuschärfenundwachzuhalten.Vorallemabermachtesbewußt,daßjeder,derliestundzitiert,Verantwortungträgtfür›seinen‹Text.
Zeittafel
Berücksichtigt sind neben Brechts Aufenthaltsorten und dem Beginn vonwichtigenBekanntschaftenvorallemseinePublikationen.DaschronologischeRasterbildetdamiteinKomplementzudenvorangehendenEinzelErläuterungen. Während diese sich weitgehend auf Notizbücher, Nachlaßpapiere,Arbeitsmaterial,ParergaundParalipomenabeziehen,orientiertsichdieZeittafelandenDruckenzuLebzeiten,Rundfunksendungen,Inszenierungenetc.:anBrechtspublizierterArbeit.DenInformationenüberdennichtautorisierten Teil seiner Produktion dort werden hier solche über den autorisierten,dem privaten Schreiben das veröffentlichte Werk zur Seite gestellt. Die hiermöglicheExaktheitderDatierungstehtinSpannungzudenstetsundatiertenundnurteilweiseindirektundungefährdatierbarenNotizbucheintragungen.
DieAusgabe Kommentar
121 WiederVerrateinesGeheimnissesoderdasVerrateneinerTreueverpflichtung;vgl.auchoben,Anm.70.
122 S.inBeispiel34(oben,64f.)dieunlösbareFrage,obdastranskribierendeElementausdemZeichensatzderBuch
stabenoderdemderZahlenzunehmenodergraphischnachzubildenist.
123 EinfachesBeispielfürdiesesPhänomenistdieoftstillschweigende,unbewußtvorgenommeneKorrekturvonDruckfehlernbeimLesen.
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Dennochwerden,woimmermöglich,Querbezügehergestellt.Dassollenundkönnen natürlich nur Hinweise auf Berührungspunkte, nicht implizite DatierungenderNotatesein.GenanntwirdmeistnurdieersteoderwichtigsteStelle;weitereBezügesinddurchVerweiseindenzugehörigenErläuterungenundüberdasNamensundTitelregisterleichtaufzufinden.
DieChronologieberuhtaufvielfältigenVorarbeitenzuLebenundWerkBrechts(v. a.vonHecht,Hennenberg,Knopf,Krabiel,Schubert,Völker,WizislaundderBFA)sowieaufeigenenRecherchen.DieErgebnissederForschungwerdenohneHinweis imEinzelfalldankbarbenutzt;KorrekturenanDatenundAngabensind,wosinnvoll,ausgewiesen.
Literaturverzeichnis
Aufgenommen ist nur die in den vorangehenden Erläuterungen zitierteLiteratur, also keineswegs alle konsultierten oder relevanten Publikationen.ZweckdesVerzeichnissesistdieAuflösungderimKommentarheftverwendetenKurztitel,keineBibliographiezuBrechtsNotizbüchern.
Register
Das Register für Text und Kommentar ist, komplementär zu Zeittafel undErläuterungen,einzentralerBestandteilderAusgabe.EserschließtalledortgenanntenTitel,NamenundDokumentenachverschiedenenHinsichtenundmachtsieauffindbar.EsbestehtausdreiTeilen.DerersteenthältdieBrechtTitel,derzweiteNamenundWerkeandererPersonenundInstitutionen,derdritteschließlichdieBBADokumenteinnumerischerFolge.Allgemeingilt:Zahlenwerdenbei ihremPlatz imAlphabet (also»2«bei»zwei«undnichtnach»1«),UmlautebeiihreraufgelöstenFormeingeordnet(»über«bei»ueb«undnichtbei»ub«).ErläuterungendesHerausgeberssteheninstumpfenSpitzklammern, Auslassungen werden vereinfacht durch »…« statt »[…]«wiedergegeben.
Brecht Die teilweise variierende Orthographie Brechts wird hier stillschweigendvereinheitlicht, um einen Text nicht an mehreren Orten verzeichnen (undsuchen)zumüssen.EsgehtdabeinichtumdiplomatischeTreue,sondernumdiegemeintenTitelundTexte;nichtumZeichen,sondernumdasBezeichnete.DaherwerdenauchdieverschiedenenSchriftenderDokumente(deutsch,lateinisch,stenographisch,handodermaschinenschriftlich,eigeneoderfrem
deHand)nichtunterschieden.ZurleichterenKenntlichkeitsindTitelkursiviert; binnenstrukturierende Numerierungen, Streichungen und Unterstreichungenwerdennichtberücksichtigt.UmnichteineeigeneRubrik›Gespräche,gemeinsammitanderenVerfaßtesoderVerantwortetes,Unsicheres‹(z. B.dieRundfunkgesprächeDieNotdesTheaters,NeueDramatikundKlassikertod?oderauchdieDreigroschenoper) einführenzumüssen,wirddiesesMaterialhiermitaufgeführt(zumProblemderAutorschafts.oben,4750).
Sammeltitel Aufgenommen sind neben den Titeln von SammelpublikationenauchArbeitstitelundVorhaben(z. B.BerichtigungenoderKritischeBlätter) und von Brecht verwendete Gattungsnamen (z. B. Kurzstücke oderLehrstücke).NamenvonVereinigungen,andenenBrechtteilnahm(z. B.Gruppe1925)oderdieergemeinsammitanderenprojektierte(z.B.MarxistischerCluboderDieI.S.S.Truppe),findensichimRegister2.2Institutionen.
Einzeltitel Neben den betitelten sind auch unbetitelte Notate und Texteaufgeführt; diese werden mit ihren ersten Worten (Incipit) zitiert. BeiTitelkorrekturensindalleVariantenaufgeführt(z.B.NB24,11r.1:Fatzer,Kolonne,Feld,Zug),ansonsten−vonbegründetenAusnahmenabgesehen−nurdieletzteKorrekturschicht.
AndereInstitutionen Der Terminus bezeichnet rein funktional als Oberbegriffalle Institute, Organe und Organisationen, die nicht einzelnen Individuenzuzuordnen sind: Firmen, Behörden, Häuser, Vereinigungen, Parteien, Verlage,Zeitschriftenetc.DieTitelvonPeriodikasindkursiviert.
Personen und Werke Aufgenommen sind auch anonyme Texte undGemeinschaftswerke;VereinigungenvonPersonenfindensichimRegister2.2Institutionen.ZurEntlastungderErläuterungensinddieLebensdatenderPersonenhierbeigefügt.SchriftenüberBrechtwerdennurangeführt,wennihrVerfasserpersönlichmitihmbekanntwar(z. B.SternbergoderTretjakow).
DieAusgabe Kommentar
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DieelektronischeEdition
wodurchwirddie„eigenheit“deseinzelnengarantiert?durchseinezugehörigkeitzumehralseinemkollektiv.
(NB31,15r)
DieElektronischeEdition(EE)findetsichimInternetunterwww.suhrkamp.de/brecht/notizbuchausgabe_elektronische_edition.SieistalsDigitalisierungderBuchausgabe,darüberhinausaberauchals ihrKomplementkonzipiert.Die Reproduktionen der Notizbücher werden hier in Farbe wiedergegeben;woimmerimOriginalinformationshaltigeSeitennebeneinanderstehen,werdensiezudemnichtnuralsEinzelseitemitTranskription,sondernauch,demaufgeschlagenenNotizbuchentsprechend,alsDoppelseitegezeigt.DurchdieverschiedenenVergrößerungsundKontrastierungsmöglichkeitendesComputerslassensichdieReproduktionenandersundteilweisebesseralsdasOriginalselbstlesbarmachen.
ZusätzlichzurBucheditionwird jedemNotizbucheineKonkordanzalterundneuerBBASignaturenbeigegeben.DieProblematikderSignaturvergabeinderFrühzeitdesBertoltBrechtAchivsunddiedarauserwachsendeNotwendigkeit einer Neusignierung wurde oben (22f., 7274) beschrieben. DievorliegendeAusgabewilldieBrechtausgabenundwissenschaftlicheBeiträge,dieindenvergangenen50JahrendiealtenSignaturenverwendeten,nichtersetzen,sondernansieanschließen,siemiteinemFundamentunterbauenunddamitweiterhinnutzbarhalten.DaherwerdendieneuenSignaturendenaltenexaktzugeordnet;bisherigeStandortangabenbleibensoweiterhinaufeinfacheWeiserekonstruierbarundverständlich.
DieEEverstehtsichalsAnfangeinerumfassenderenArchivedition.Sieistsoangelegt,daßsiepotentiellbis zurvollständigenErfassungdesgesamtenBestandes erweiterbar ist. Dafür kann nur die Archivsignatur als feste undinvariante Basisordnung dienen. Bei einer jederzeit möglichen ZusammenfassungdereinzelnerfaßtenDokumentezueinervollverlinktenDatenbankkönntendannverschiedeneUmschaltfunktionenhinzutreten,dieeinevariableTextdarbietungnachchronologischenundsystematischenGesichtspunktenerlaubt.
ZusätzlichzudenNotizbüchernwerdenvonAnfanganzusätzlichweiterezurKommentierungrelevanteDokumentedesNachlassesineinereigenenDatei(EEZ)erfaßt−nachgleichenKriterienwiedieNotizbücherselbst,wasReproduktion,diplomatischeTranskription,philologischeAnmerkungen,ObjektbeschreibungundArchivkontextualisierungbetrifft.EinevergleichbarextensiveKommentierungwiebeiderDruckausgabederNotizbücherkannhierallerdingsnichtgeleistetwerden.Siewerdenjeweilsexaktbeschrieben(Papier,Schreibmittel,OriginalformatundReproduktionsfaktor)undkurzcharakteri
siert(als›Entwurf‹beifortlaufendemText,als›Konzept‹beistrukturierendenEintragungen, als ›Notizen‹ oder ›Stichworte‹ bei diskontinuierlichen oderheterogenen Aufzeichnungen). Zudem wird auf ihren Bezug zu NotizbuchEintragungehnverwiesen.
DieFragederAutorisierungoderAkzeptierungnichtautographerDokumentedurchBrechtwirddabeinichtgestellt.AuchDokumentefremderHandwieKonvolutdeckblätterElisabethHauptmanns(z. B.BBA10252/71:MoabiterPferdehandel),nichtvonBrechtgetippteTyposkripte(z. B.BBA248:Zweihalbe Mäntel) und von anderen geschriebene Manuskripte (z. B. BBA 449:Lehrstück)könnenaufgenommenwerden,wennsiezumVerständnisundzurEinordnungeinerNotizbucheintragungbeitragen.Die teilweiseschwierigenUntersuchungenjedeseinzelnenBlattesundggf.jedeseinzelnenGraphenaufihreAutorschaftundihrenAutorisierungsgradhinkönnenhiernichtgeleistetwerdenundbleibenspätererForschungvorbehalten.DievorliegendeEditionwillals›VeröffentlichungdesArchivs‹dasMaterialdafürinmöglichstumfassender,originalnaherundinformativerWeisebereitstellen.
DiezusätzlicherfaßtenDokumentesindüberwiegendTyposkripte.IndenFindhilfsmittelndesBertoltBrechtArchivsundimpubliziertenBestandsverzeichnisHertaRamthunswirdzwarBrechtseigenevonfremderMaschinenschriftunterschieden;dieKriterienzurIdentifizierungverschiedenerSchreiberundverschiedenerMaschinensindallerdingsnirgendsfestgehaltenworden.HeutekönntendiesbezüglichnurWahrscheinlichkeitsaussagengetroffenoderdieArchivangabenunkontrolliertübernommenwerden.Daherwirdinvorliegender Ausgabe auf eine Differenzierung der verschiedenen SchreiberundMaschinenvorläufigverzichtet.NachderhiernochzuleistendenGrundlagenarbeit bleibt eine spätere Ergänzung dieser Zuordnung ein dringendesDesiderat.DieUnterscheidungzwischeneigenerundfremderHanddagegenistmeistevidentundkannfürjedesManuskriptgetroffenwerden.Womöglich,werdendieSchreibernamentlichgenannt.
GegenüberderHandschriftentranskriptionsindvieleAuffälligkeitenvonTyposkriptenimwesentlichentechnischbedingtunddamitwenigeraussagekräftig.NachobenverrutschteGroßbuchstabenzeigenlediglich,daßdieUmschaltTasteetwaszufrühlosgelassenwurde,mancheschwächeroderstärkeralsderKontextgetipptenBuchstabensindmitgroßerWahrscheinlichkeitnurauf feinmotorische (performative) oder mechanische Ungenauigkeiten undnichtaufsignifikanteFormulierundSchreibprozessezurückzuführen−imKlartext:dieTastewurdenichtrichtiggetroffen.124Auchdieskannaufschluß
DieAusgabe ElektronischeEdition
124 ZurBeurteilungsolcherFehlerwärenebenKenntnissenüberRoutineundTippgewohnheitenderSchreiber(zehnFinger?zwei?durchgehendeKleinschreibungodernicht?großzügigeodersparsameVerwendungderLeertasteetc.)aucheineAbbildungderTastatur
derverwendetenMaschinennötig.ErstdannkönntemanbegründeteVermutungendarüberanstellen,obeinFingereinfachdanebenschlug,rechtsundlinksverwechseltwurdenoderderAnsatzzueinemanderenWortvorliegt.
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reich sein, z. B.aufwenigerRoutineodergrößereEilebeimSchreibenhinweisen.Aberwiedemauchsei:DerartigeUnregelmäßigkeitenkönneninderdiplomatischenUmschriftnichtendétailwiedergegebenwerden.DasisthieraberauchwenigernötigalsbeiHandschriftentranskriptionen,daReproduktionenvonTyposkripteninallerRegelvieleinfacherdirektund›ohneDolmetscher‹lesbarsind.ImZweifelsfallwirdjedenfallsauchbeiTyposkriptenliebereineAbweichungvomNormalduktusmehralseinewenigerindieTranskriptionaufgenommen.
DieaufgenommenenDokumentewerdennachihrerArchivSignaturverzeichnet.DieAnführungdesTitelsbzw.Incipits istwie inRegisterBrechtpragmatisch vereinfacht (s. oben, 96f.), um eine einfache Orientierung undschnellenÜberblickzuermöglichen.EineDatierungundKurzcharakteristikist jeweils in Klammern beigefügt. Nicht aus Brechts Nachlaß stammendezusätzlicheDokumente(Quellenetc.)werdeninderDateiEEZgesammelt.
ZusätzlichzurBucheditionenthältdieEE einForum (EEF), indemdieStellenerläuterungen aktualisiert und ergänzt werden können; die VerweisedaraufwerdenindenErläuterungenimNBAnhangblaumarkiert.InEEFistRaumfürgenauereAusführungenzurVernetzungdereinzelnenNotizbuchEintragungenmitanderenNachlaßDokumentenundzurBegründungeigenereditorischerVerfahrensweisen(s.dieAusführungen inEEFzuBeispiel14oder34).DarüberhinauskönnenThesenderForschungundEntscheidungen anderer Ausgaben diskutiert werden, insbesondere Textkonstitutionenund Entzifferungen, die bei schwierigen Schriftbildern nie endgültig verifiziert,manchmalabereindeutigfalsifiziertwerdenkönnen(s.EEFzuNB25,14r.23).Auchfür›negativeKommentare‹isthierderOrt:RecherchendiezukeinempositivenErgebnis führten,werdendokumentiert,umanderenForscherndieerneuteerfolgloseSucheaufdieserSpurzuersparen (s.EEFzuBeispiel42oderzuNB24,77r.56).AbdemzweitenBandwirdzudemeineDateimitCorrigenda(EEC)enthaltensein.DieZeittafel(s.oben,95f.)wirdinderEEkumulativalsGesamtdateigeführt.AufdievorliegendeEinführungindieGesamteditionwirdunterdemKürzelEEGverwiesen.
Die so entstehende Bilder und Datensammlung ist kumulativ: Ein Gesamtregisterwirdgeführt,dieSucheüberdengesamtenerfaßtenBestandwirdmöglich.Sieistaberauchreversibel:Informationenkönnenjederzeitergänzt,Transkription und Kommentierung modifiziert werden. Die elektronischeEditionwirddamitdemewigunfertigenTeilvonBrechtsProduktionambestengerecht:workinprogress
SiglenundAbkürzungen
AB Adreßbuch(beiausgabeninternenVerweisen)BBA BertoltBrechtArchiv,AkademiederKünste,BerlinBFA BertoltBrecht,Werke.GroßekommentierteBerlinerundFrankfurter
Ausgabe,Frankfurt/Main19882000Bl. Blatt/BlätterBV BertoltBrechtArchiv.Bestandsverzeichnisdesliterarischen
Nachlasses,BerlinundWeimar196973D DruckEB EmilBurri(oderHesseBurri)EE ElektronischeEdition (www.suhrkamp.de/brecht/notizbuchausgabe_elektronische_
edition)EEC ElektronischeEdition,CorrigendaEEF ElektronischeEdition,ForumEEG ElektronischeEdition,EinführungindieGesamtedition
(vorliegenderText)EEZ ElektronischeEdition,ZusatzdokumenteEH ElisabethHauptmannEHA ElisabethHauptmannArchiv,AkademiederKünste,BerlinGW BertoltBrecht,GesammelteWerke.WerkausgabeEditionSuhrkamp,
Frankfurt/Main196769HB Hermann(oderHans)BorchardtH HandschriftBrechtsh fremdeHandHs. Handschrifths. handschriftlichHW HeleneWeigelHWA HeleneWeigelArchiv,AkademiederKünste,BerlinKK KarlKorschLF LionFeuchtwangerM Maschinenschrift(ohneUnterscheidungderSchreiber/Maschinen)ms. maschinenschriftlichMS MargareteSteffinNB Notizbuch(beiausgabeninternenVerweisen)r rectoRB RuthBerlauRBA RuthBerlauArchiv,AkademiederKünste,Berlinv versoWB WalterBenjaminWBA WalterBenjaminArchivZ. Zeile
DieAusgabe SiglenundAbkürzungen
SchriftenundZeichen
Text
Schriften: Minion Brecht,deutscheSchrift Myriad Brecht,lateinischeSchrift Minionpetitenglaufend Brecht,Stenographie Helvetica fremdeHand,deutsche/lateinischeSchrift Helvetica petit englaufend fremdeHand,Stenographie Prestige Schreibmaschine
Zeichen: ⟨abcde⟩ Herausgebertext 12r.3← TextanschließendanBlatt.Zeile →45v.6 TextfortgesetztaufBlatt.Zeile ¿¿¿ nichtentzifferteGraphen [abcde] überschriebeneGraphen kursiv überschreibendeodereingefügteGraphen grau getilgteundrekonstruierteGraphen ] Lemmaklammer […] AuslassungdurchHerausgeber
Kommentar
\ einfacherZeilenumbruchinderVorlage\\ doppelterodermehrfacherZeilenumbruch(Leer
zeilen)inderVorlage| SeitenumbruchinderVorlage⟨abcde⟩ EinfügungdurchHerausgeber[…] AuslassungdurchHerausgeber„abcde“/"abcde" AnführungszeicheninderVorlage»abcde« AnführungszeichendurchHerausgeberkursiv standardisierteTitel12345 VersalziffernfürArchivdokumenteundKurztitel12345 MedievalziffernfüralleübrigenZahlen
DieAusgabe102
Editionsplan
Band 1 Notizbücher 13 (191820)
Band 2 Notizbücher 48 (1920)
Band 3 Notizbücher 912 (1921)
Band 4 Notizbücher 1316 (192225)
Band 5 Notizbücher 1720 (1926)
Band 6 Notizbücher 2123 (192729)
Band 7 Notizbücher 2425 (192730)
Band 8 Notizbücher 2630 (192831)
Band 9 Notizbücher 3135 (193137)
Band 10 Notizbücher 3645 (193238)
Band 11 Notizbücher 4649 (194049)
Band 12 Notizbücher 5054 (194853)
Band 13 Adreßbücher 12 (193056)
Band 14 Einzelblätter
103Editionsplan