anke wolter: gustav heckenast

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Gustav Heckenast (1s11-1s78) - ein verleger zwischen zwei Kulturen ANKE WorrsR (Veszpr6m) Der cisterreichische Schriftsteller peter Rosegger verbrachte den Sommer 187i im Herrenhaus seines ungarischen Verlegers und Forderers Gustav Heckenast in Pilismar6t. Einige Jahre spiiter gedenkt er seines Freundes in dem Buch Meine Ferien'. Gustav Heckenast war zu seiner Zeit einer der wenigen europdischen Geister in Ungarn; europiiisch, sagt von ihm ein ungarisches Blatt, war seine Art zu handeln, europaisch wa- ren seine Erfolge.l Als ,,europdisch" ist seine Tdtigkeit deshalb za bezeichnen, weil er sich durch seine vielseitigen und mannigfaltigen Aktivitiiten als Drucker, verle- ger und Buchhiindler, als Gonner vieler Kiinstler und als Geschiiftsmann nicht auf die Forderung einer einzigen nationalen Kultur beschrdnkte. von gr<iBter Bedeutung ist dabei seine Rolle als vermittler zwischen deutsch- osterreichischer und ungarischer Kultur. Gustav Heckenast selbst sah sich al- lerdings nicht als Europiier. Er hing einer idealisierenden vorstellung von der Habsburgermonarchie als einigendem Band des vielvolkerstaates an. Diese Mittlerrolle Heckenasts ist heutzutage weitgehend vergessen. Die zum tiberwiegenden Teil ungarische Sekundiirliteratur, die sich mit Heckenast be- faBt, betrachtet seine verlegertiitigkeit fast ausschlieBlich in Bezug auf die ungarischsprachigen Ausgaben. Dieser Umstand ist darauf zuriickzuflihren, daB Gustav Heckenast in einer Ubergangsphase tiitig war, in der die ur- sprtinglich deutsch-osterreichische Priigung der Kultur Ungarns allmiihlich an Bedeufung verlor. Dieser ProzeB ging mit der zeitgleichen Herausbildung einer ungarischen (und ungarischsprachigen) Literatur einher, die nicht zu- letzt der Festigung eigener nationalstaatlicher IdentitAt diente. Als verleger zahlreicher ungarischer Schriftsteller - z. B. J6kai M6r, Baron J6zsef Eotvos, S6ndor Kisfaludy - spielte Heckenast eine wichtige Rolle in diesem ProzeB. Dennoch ist diese Bewertung einseitig, weil sie die be- triichtliche zahl der von ihm edierten osterreichischen bzw. deutschen Auto- ren nicht in Betracht zieht. Diese veroffentlichungen ermoglichten dem un- garischen Lesepublikum einen stdndigen Kontakt zu der deutschen bzw. zu der wiener Kultur und wirkten auch kiinstlerisch befruchtend auf die heimi- schen Autoren. welche Griinde bewogen Gustav Heckenast nun dazu, sich in Ungarn als Herausgeber deutscher bzw. osterreichischer Autoren einzusetzen in einer 1 Peter Rosegger: Meine Ferien. Mein Freund im Ungarlande. Wien 1g90, S. 135 95

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Ein Verleger zwischen (zwei) Sprachen und Kulturen

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Page 1: Anke Wolter: Gustav Heckenast

Gustav Heckenast (1s11-1s78) - ein verleger zwischen zweiKulturen

ANKE WorrsR (Veszpr6m)

Der cisterreichische Schriftsteller peter Rosegger verbrachte den Sommer187i im Herrenhaus seines ungarischen Verlegers und Forderers GustavHeckenast in Pilismar6t. Einige Jahre spiiter gedenkt er seines Freundes indem Buch Meine Ferien'.

Gustav Heckenast war zu seiner Zeit einer der wenigen europdischen Geister in Ungarn;europiiisch, sagt von ihm ein ungarisches Blatt, war seine Art zu handeln, europaisch wa-ren seine Erfolge.l

Als ,,europdisch" ist seine Tdtigkeit deshalb za bezeichnen, weil er sichdurch seine vielseitigen und mannigfaltigen Aktivitiiten als Drucker, verle-ger und Buchhiindler, als Gonner vieler Kiinstler und als Geschiiftsmannnicht auf die Forderung einer einzigen nationalen Kultur beschrdnkte. vongr<iBter Bedeutung ist dabei seine Rolle als vermittler zwischen deutsch-osterreichischer und ungarischer Kultur. Gustav Heckenast selbst sah sich al-lerdings nicht als Europiier. Er hing einer idealisierenden vorstellung vonder Habsburgermonarchie als einigendem Band des vielvolkerstaates an.Diese Mittlerrolle Heckenasts ist heutzutage weitgehend vergessen. Die zumtiberwiegenden Teil ungarische Sekundiirliteratur, die sich mit Heckenast be-faBt, betrachtet seine verlegertiitigkeit fast ausschlieBlich in Bezug auf dieungarischsprachigen Ausgaben. Dieser Umstand ist darauf zuriickzuflihren,daB Gustav Heckenast in einer Ubergangsphase tiitig war, in der die ur-sprtinglich deutsch-osterreichische Priigung der Kultur Ungarns allmiihlichan Bedeufung verlor. Dieser ProzeB ging mit der zeitgleichen Herausbildungeiner ungarischen (und ungarischsprachigen) Literatur einher, die nicht zu-letzt der Festigung eigener nationalstaatlicher IdentitAt diente.Als verleger zahlreicher ungarischer Schriftsteller - z. B. J6kai M6r, BaronJ6zsef Eotvos, S6ndor Kisfaludy - spielte Heckenast eine wichtige Rolle indiesem ProzeB. Dennoch ist diese Bewertung einseitig, weil sie die be-triichtliche zahl der von ihm edierten osterreichischen bzw. deutschen Auto-ren nicht in Betracht zieht. Diese veroffentlichungen ermoglichten dem un-garischen Lesepublikum einen stdndigen Kontakt zu der deutschen bzw. zuder wiener Kultur und wirkten auch kiinstlerisch befruchtend auf die heimi-schen Autoren.welche Griinde bewogen Gustav Heckenast nun dazu, sich in Ungarn alsHerausgeber deutscher bzw. osterreichischer Autoren einzusetzen in einer

1 Peter Rosegger: Meine Ferien. Mein Freund im Ungarlande. Wien 1g90, S. 135

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Zeit, in der sich das nationale SelbstbewuBtsein der Ungarn auf allen Ebenen

und somit auch und gerade in einer auf Eigenstiindigkeit bedachten Kunstund Kultur immer stiirker manifestierte?Einige dieser Griinde lassen sich mit einem Ri.ickblick auf seine Biographieerkliiren. Heckenast wuchs in Kaschau als Sohn eines deutschen evangeli-

schen Pfarrers auf. Der Vater, selbst Autor von zahlreichen theologischen

Schriften, war bemiiht, dem Sohn eine griindliche humanistische Bildung zu

vermitteln. Heckenast entwickelte also bereits in seinem Elternhaus eine be-

sondere Liebe zu Biichern, insbesondere zu deutschen. Schon als Vier-zehnjiihriger lemte er groBe Teile aus Goethes Faust auswendig.' Wenigspdter kam er nach Pest und arbeitete als Lehrling in der Verlagsbuchhand-

lung seines Schwagers Otto Wiegand, der aus einer bekannten GottingerBuchhiindlerfamilie stammte. Bei ihm erlernte er sein Metier und kniipftebereits seine ersten Kontakte zu Verlegern in Deutschland und Osterreich.

Als er sich selbstiindig machte und in Pest einen eigenen Verlag gri.indete.

konnte er dank dieser rechtzeitig gekntipften Kontakte von Anfang an deut-

sche Schriftsteller an sich binden. Dies gelang ihm um so mehr, als seine

Beziehungen zu den Autoren sich nicht nur auf das rein Geschiiftliche be-

schrdnkten, sondern sich in vielen Fiillen eine echte Freundschaft entwik-kelte. Heckenast war nicht nur ein guter Verleger und Freund, er war auch

ein groBziigiger Gonner, der seinen ,,Schi.itzlingen" frnanzielle Hilfe leistete.

indem er das Honorar oft schon im voraus zahlte und ihnen auch kostenlos

Biicher zukommen lieB. ,,Man nannte Gustav Heckenast" - erinnert sich Ro-

segger 1890 - ,,den osterreichisch-ungarischen Buchhiindler-Cavalier"'. Ne-

ben diesen biographischen Voraussetzungen und den in Wiegands Ver-lagsbuchhandlung gesammelten Erfahrungen prtigte die kulturelle Entwick-lung Ungarns im 19. Jahrhundert die deutsch-osterreichisch orientierte Ver-lagstiitigkeit von Heckenast. Bei der Vermittlung der Kultur spielten dieDrucker und Buchhiindler, die zumeist aus deutschsprachigen Gebietenstammten, eine erhebliche Rolle. Sie traten zuerst im 16. Jahrhundert in Sie-

benbiirgen und in der Zips auf, wo ein GroBteil der deutschen Bevolkerungzum lutherischen Glauben iibergetreten war. Unterstiitzt von den protestan-tischen Fiirsten verbreiteten sie vor allem Druckerzeugnisse mit religiosemInhalt. Wiihrend der josephinischen Aufkliirung kamen, von zugesichertenPrivilegien angelockt, zahlreiche Buchdrucker nach Ungarn. Neben dem un-garischen Adel, der sich in allen Bereichen des Lebens an der KaiserstadtWien orientierte, fanden sie hier als Leser der von ihnen gedruckten Biicherein stddtisches Biirgertum vor, das zum groBen Teil deutschsprachig war. Indiesen beiden gesellschaftlichen Gruppen, dem Adel und dem stiidtischen

2 Dezs6 Heckenast: Heckenast Guszt6v. Egy fejezet a magyar irodalmi 6let tort6net6b61 [Ein Kapitelaus der Geschichte des ungarischen literarischen Lebens]. Budapest 1936, S. 24

' Rosegger, Meine Ferien (Anm. 1), S. 135.

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Biirgerfum, war die Sprache der Korrespondenz tiblicherweise das Deut-:che.' Eine entsprechende Verordnung Josephs II. erhob schlieBlich fiir das.anze Land Deutsch zur Amtssprache.' Dariiber hinaus griindete er im Jahre'--84 zur Forderung der deutschen Sprache an der Universitiit Pest einenLehrsfuhl flir deutsche Sprache und Literatur. Die sprachliche Vereinheitli-;hung sollte als Klammer dienen, die ,,Ubemation" zusammenhalten und se-

:aratistischen, nationalstaatlichen und nationalkulturellen Bestrebungen ent-

_regenwirken. Diese Sprach- und Kulturpolitik trug entscheidend dazu bei,da8 bis Mitte des 19. Jahrhunderts in Ungarn zumeist und vorrangig Biichern deutscher Sprache gedruckt wurden. Zuniichst handelte es sich fast aus-

schlieBlich um Nachdrucke.u Doch selbst Klassiker der ungarischen Litera-:ur wie Baron J6zsef Eotvos oder Baron Mikl6s J6sika lie8en ihre Werkerns Deutsche iibersetzen, andere schrieben sogar in deutscher Sprache.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lieBen vermehrt Autoren aus dem deutschenSprachraum ihre Werke in Ungarn und nicht in ihrer Heimat drucken. Dies

_seschah aus verschiedenen - personlichen, frnanziellen oder politischen -Grtinden. Die beiden bevorzugten Verleger waren Konrad Adolph Hartlebenund Gustav Heckenast, der u. a. Biicher von Adalbert Stifter, Peter Roseg-ser. Friedrich Hebbel und Franz Grillparzer druckte. Einerseits wird das au-

eenflillige Faktum, daB Heckenast zahlreiche Werke deutscher und oster-ieichischer Autoren edierte auf seine deutschnationale Gesinnung zuriickge-fi.ihrt', andererseits seine Tiitigkeit oft mit der ungarischen Freiheitsbewe-gung in Verbindung gebracht, da er, wenngleich in geringerem Umfang,auch und gerade diejenigen ungarischen Autoren aufungarisch verlegte, diein ihren Werken fiir die Freiheitsbewegung der Ungarn eintraten.8 Dazu ltiBt

sich - knapp zusammengefaBt - folgendes feststellen:Bis zum osterreichisch-ungarischen ,,Ausgleich" (1867) war die Zensurpo-

irtik der Donaumonarchie ein bestimmender Faktor fiir das Verlagswesen inUngarn. Gemessen an den strengen, von Metternich verordneten Zensurvor-schriften, waren die Spielriiume in Ungarn ungleich gro8er und damit auch

die Bedingungen fiir die Veroffentlichung kritisch-politischer Texte we-sentlich giinstiger. Die Zensur in Ungarn beschriinkte sich lediglich auf die\-erteidigung der Privilegien des Adels und der katholischen Kirche. Es gab

G6za Frilop: A magyar olvas6kcizdns6g a felvil6gosod6s idej6n 6s a reformkorban [Das ungarische

Lesepublikum im Zeitalter der Aufkliirung und der Reformenl. Budapest 1978, S. 87.

Ebenda, S. 93.

Vgl. Verlags- und Comissionsbiichlein von Gustav Heckenast. Pest 1835, 1841.

,\lbert G6rdonyi: R6gi pesti kirnyvkeresked5k fAlte Pester Buchhiindler]. In: Magyar K6nyvszemle

fUngarische Biicherschau] (1929) I-I| S. 149.

So gilt Heckenast in Ungam allgemein als ein Wegbereiter der Pressefreiheit, derur bei ihm wurden

die radikalen Forderungen der revolutiondren ungarischen Jugend, die sog. ,,ZwdlfPunkte", und ein

Gedicht des revolutiondren Dichters S6ndor Pet6fi gedruckt, obwohl Heckenast sich zu jenem Zeit-punkt gerade auf einer Geschiiftsreise befand. Vg1. J6zsef R6vay u. Alad6r Schdpflin: Egy magyar

konyvkiad6 reg6nye [Roman eines ungarischen Verlags]. Budapest 1938, S. 52.

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kein zentrales Revisionsamt. Die Biicher wurden, wenn iiberhaupt, erst nachihrem Erscheinen in den Buchhandlungen kontrolliert. In den Provinzstiidtenwar der Buchhandel aufgrund ungeniigender Logistik der Zensurbehorden sogut wie zensurfrei. Anhiinger revolutioniirer Gedanken veroffentlichten des-halb oft in Ungarn. So erschien ein Gedicht von Anastasius Grtin Der Dich-ter im Kerker, das in Osterreich verboten war, in der Pester Zeitschrift Spie-gel (Nr. 3611836). Auch in den von Heckenast herausgegebenen Zeitschrif-ten wurden vereinzelt politische Gedichte osterreichischer Autoren gedruckt.In seinen spiiteren deutschsprachigen Publikationen kommen die politischenBewegungen der dreiBiger und vierziger Jahre aber kaum zur Sprache. Wieaus einem Brief von Adalbert Stifter hervorgehtn, war Heckenast sich durch-aus bewuBt, daB sein Verlagskonzept n:ur in der Monarchie Erfolg habenkonnte, deshalb lehnte er die nationalrevolutiondren TrennungsbestrebungenUngarns von Osterreich ab und mithin die ungarische Literatur, die dieseB estrebungen beflirwortete.Auch als Geschriftsmann war Heckenast daran interessiert, deutschsprachigeAutoren zu veroffentlichen: Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des

Verlagswesens in der Monarchie iibten einen entscheidenden EinfluB aufseine verlegerische Arbeit aus. Die Unterschiede zwischen Ungam und denhabsburgischen Kronliindern hinsichtlich der okonomischen Grundlagen derBuchproduktion fiihrten zu einem deutlichen Ubergewicht der zumeist oster-reichischen Autoren und der deutschsprachigen Editionen in HeckenastsVerlagsprograrnm. Viele unbekannte Schriftsteller, die am Anfang ihrer Kar-riere standen, boten ihre Werke gern Heckenast an, denn er war als Mdzenjunger begabter, aber wenig bemittelter Schriftsteller weithin bekannt. Vorallem aber waren die Herstellungskosten von Druckerzeugnissen in Ungarnbilliger als in Wien.'o Dabei hatte die ungarische Papierproduktion europzii-sches Niveau erreicht, so daB es Papiersorten feinster Qualitiit in Ungarnpreisgiinstiger zu kaufen gab als in den anderen Liindem der Monarchie.Demnach konnte Heckenast bereits bei einer geringen Auflagenhohe Ge-winne erzielen.Durch eine Filiale in PreBburg und durch die Kontakte Heckenasts zu Leip-ziger und Wiener Buchhiindlern war auch der moglichst breite Vertrieb die-ser Werke gesichert. Der Vertrieb deutschsprachiger Publikationen war des-halb auch nach 1848, als in Ungarn das Lesepublikum mehr und mehr unga-rischsprachige Literatur bevorzugte, nicht allein auf die (schrumpfende) An-zahl der Rezipienten deutscher Bticher angewiesen. Die meisten der jungenAutoren verkauften jedoch schlicht und einfach aus purer Geldnot die

n Adalbert Stifter: Briefe. Leipzig 1965, S. 1 1.

'o Vgl. A kdnyv 6s a k<inyvt6r a magyar tiirsadalom 6let6ben. Az iilamalapitlst6l 1849-ig [Das Buchund das Bibliothekswesen in der ungarischen Gesellschaft. Von der Staatsgriindung bis 18481. Zu-sammengestellt von M6t6 KovScs. Budapest 1963, S.46i.

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L:chte an ihren Werken schon im voraus und waren dadurch ,,verpflichtet",.-rch spdter, als erfolgreiche und bekannte Schriftsteller, ihrem ersten Ver-,:ger die Treue zu bewahren. Zu diesen zdhlte u. a. Adalbert Stifter.S.|\\'eit zu den verschiedenen Beweggriinden Heckenasts, in Ungarn vorwie-::nd auf deutsch zu verlegen.-'r'-as

aber hat er nun verlegt?i|ie schon erwdhnt, war Heckenast ein gebildeter Mensch, der Literatur von

Itualitiit zu schdtzen wuBte. Als Geschdftsmann muBte er aber stets die An-.rniche des Publikums und den Zeitgeschmack beriicksichtigen, die seineI' eriegertdtigkeit in kommerzieller Hinsicht beeinfluBten. So bestand ein be-

:dchtlicher Teil seiner Produktion aus nicht-literarischen Texten: Kalender,,Sebetsbiicher und Fachbiicher verschiedenster Art. Die meisten davon waren\achdrucke, es gab aber auch Erstausgaben."h den dreiBiger Jahren des 19. Jahrhunderls kam es in Ungam zu einem\utschwung der Wirtschaft. Das Land war industriell wenig entwickelt. Als\_erarland diente Ungam im wesentlichen als ,,Kornkammer" der Donaumo-larchie. Daher machte sich der wirtschaftliche Aufschwung zundchst in derLandrvirtschaft und im Getreidehandel bemerkbar. Dementsprechend botiieckenast seinen ungarischen Lesern eine Vielzahl von Agrarfachbtichemieutscher Autoren an, die Informationen iiber technische Neuerungen in die-s:m Produktionssektor enthielten. So erschien in seinem Verlag u. a. das

Handbuch der Landwirtschaft von Johannes Burger (1835) einer der Best-

seller unter Heckenasts Veroffentlichungen. Auch die Traditionen des Han-.rels waren auf deutsch-osterreichischem Gebiet tilter als in Ungam. Mit denqut verkauftenAnweisungenfiir Kaufleute von Heinrich Wegner (1839) stieB

Heckenast in eine Marktliicke vor.

-S30 wurde die Akademie der Wissenschaften in Ungarn gegriindet. Das

I{ochschulwesen wurde reformiert, der humanistische Fticherkanon zugun-

sten der Realien-Fticher allmiihlich zuriickgedriingt. Die Grundlagen fiir eine

Entfaltung der naturwissenschaftlichen Forschungen in Ungarn wurden da-

mrt geschaffen. Heckenast trug dazu mit der Veroffentlichung von Arbeitendeutscher Wissenschaftler bei. Dabei handelte es sich meistens um medizi-nische Fachbiicher, wie z. B. um das Organon der Heilkunst oder Homeo-

:othie (1S40) von Samuel Hahnemann. Aber auch Grammatiken von Gustav

Steinacker und Theodor Eduard Toepler bzw. eine Moser-Orthographie ge-

rorten zu den wichtigsten Nachdrucken Heckenasts.\1s Vorbild fiir als notwendig und sinnvoll empfundene Reformen im Be-rerch des Schulwesens dienten die praxisorientierten deutschen Realschulen,',renn auch die Sprache des Unterrichts seit 1844 das Ungarische war. Be-sonders populiir waren deshalb die bei Heckenast erschienenen deutschen

Vel. Verlags- und Comissionsbiichlein (Anm. 6).

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Handbiicher der Piidagogik, aber auch flir Lehrer und Erzieher gedachte Le-sebticher sowie Theaterstiicke.''? Mit dem wirtschaftiichen Aufschwunq uii;den technischen Neuerungen im verkehrswesen (Eisenbahn, Dampfschri'erweiterten sich die Reisemriglichkeiten und wuchs die Reiselust der unsaii-schen Biirger. Heckenast diente ihnen mit deutschsprachigen Reisebuche=iiber die Tiirkei, London und Barcelona.Literarische Werke verlegte Gustav Heckenast fast ausschlieBlich von cisr*-reichischen Autoren. Hierbei wiederum iiberwog bei weitem die unterha.-tungsliteratur, die sich leicht absetzen lieB und deren verkauf dem verle_qe:die finanzielle Basis sicherte. Das Angebot der belletristischen Texte oster-reichischer Autoren war duBerst vielfiiltig. Erst bei genauerer BetrachtunEkann man die Auswahlkriterien des verlegers erkennen. Viele dieser Schrit-steller waren und fi.ihlten sich ungarn eng verbunden. Bei einigen waren dreBindungen familiiirer Art: verwandte von Stifters Frau lebten in Miskolc.Gustav Steinacker und otto Freiherr von Hingenau waren mit Ungarinnelverheiratet. Bei anderen ergab sich diese Bindung aus ihrer teilweise lang-jiihrigen Mitarbeit bei einem der vielen deutschsprachigen Periodika in Un-garn: H. R. Levitschnigg und Ludwig Foglar waren Mitarbeiter der peste,Zeitung. Diese Bindungen hatten eine Fiille von ,,ungarischen" Themen uniMotiven in den Werken dieser Autoren zur Folge. Die ungarische Ge-schichte diente dabei hiiufig als Stoffquelle, auch wurden ungarische Sagenbearbeitet (2. B. Ludwig Foglar: Clara von Visegrad,1846). Die von Hek-kenast verlegten Autoren zeichneten dabei auch ein interessantes Bild yonden damaligen ungarischen verhdltnissen in wirtschaft, politik und Ge-sellschaft - jeweils aus der Sicht eines Osterreichers - wie z. B. Stifter in derErziihlung Brigitta", Hingenau in Der Bergmann. Erzcihlung aus dem nord-ungarischen Leben oder Levitschnigg in Kossuth und seine Bannerschali( I 8s0).AuBerdem engagierten sich mehrere Autoren - in Kooperation mit Hek-kenast - fiir die vermittlung ungarischer werke an das osterreichische pu-blikum, indem sie diese ins Deutsche iibersetzten. So erschien bei HeckenastGustav Steinackers ubersetzung des Romans von Mikl6s J6sika Zrinyi, derDichter. Romantische Chronik aus dem wII Jahrhundert (1844). GustavSteinacker ist es auch zu verdanken, daB die von Ferenc Toldy verfafjte Ge-schichte der ungarischen Dichtung von den riltesten Zeiten bis auf AlexanderKisfoludy (1863) dem deutschen Lesepublikum zugiinglich gemacht wurde.Heckenasts verlegerischer Tiitigkeit lag die uberzeugung zugrunde, daB inder Donaumonarchie das friedliche Mit- und Nebeneinander verschiedener

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Z. B.: Lehrreiches Lesebuch fiir Lehrer und Erzieher von Professor Zipfler. Die erste Ausgabe er-schien 1825 bei Wiegand in Kaschau, die zweite 1835 bei Heckenast in Fest; Theater flir Kinder vonKitty Hofmann. Pest 1833.Adalbert Stifter: Brigitta. In: Studien 4. pest 1g47.

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Volker und Kulfuren sowie der schopferische Austausch zwischen diesen -unter der Schirmhenschaft des ,,deutschen Geistes" - reale Gegebenheiten

waren und weiterhin ausgebaut werden sollten. Dies ist zumindest aus

schriftlichen AuBerungen seiner Zeitgenossen iiber seine erfolgreiche Arbeitherauszulesen. So schreibt Hieronymus Lorm:

Damals hatte man in Ungarn bei aller Pflege der eigenen Nationalitiit doch das Geflihl der

hohen Wichtigkeit der deutschen Literatur fiir die Untersti.itzung des nationalen Zweckes.

Bedeutende deutsch-risterreichische Schriftsteller, ich nenne nur Betty Paoli und AdalbertStifter, hatten in Gustav Heckenast ihren ausschlieBlichen Verleger. Auch das Taschen-

buch Iris zog unter seiner intelligenten Redaktion die vomehmsten deutschen Literatur-kriifte an sich, so daB es damals mit der Geltendmachung deutschen Geistes in Pest besser

beschaffen war als in Wien.'a

Hieronymus Lorm: Grillparzers ,,Der arme Spielmann". In: Jahrbuch der Grillparzer-Gesellschaft

4(1894), S.46.

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