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10 2 Funktionen Ein großer Teil der Mathematik beschäftigt sich damit, Abhängigkeiten von zwei oder mehr Größen zu studieren. Als Beispiele lassen sich nennen: Der Verlauf des Deutschen Aktienindex (DAX) an einem Börsentag in Abhängigkeit von der Tageszeit; der Anstieg der Weltbevölkerung im 20. Jahrhundert in Abhängigkeit vom Jahr; das Höhenprofil eines Berges in Bezug auf eine Grundlinie; die Bahn, die der Stern Beteigeuze im Laufe einer Nacht durchläuft in Abhängigkeit von der Zeit; der Quotient aus den Längen der Gegenkathete a und der Hypotenuse c eines rechtwinkligen Dreiecks in Abhängigkeit von der Größe des Winkels α; Abb. 2.1: Ein rechtwinkliges Dreieck der Druck der Erdatmosphäre in Abhängigkeit von der Höhe über dem Meeresspiegel; (der Zerfall eines radioaktiven Präparats.) was ist wovon abhängig? Untersuchungen solcher Zusammenhänge können u. a. folgende Punkte beinhalten: Quantitative Beschreibung der Abhängigkeit in Form von Tabellen, Graphen, Diagrammen oder Gleichungen: Was ist das Charakteristische am Verlauf des DAX? Wie fällt eine Feder im Vergleich zu einem Stein? Charakterisierung spezieller Eigenschaften der Abhängigkeit, zum Beispiel: An welchen Stellen kehrt sich ein Trend um? An welcher Stelle des Höhenprofils des Bergs ist die Steigung am größten? Kategorisierung von Beobachtungen: Lassen sich die Abhängigkeiten ganz verschiedener Systeme mathematisch auf

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2 Funktionen

Ein großer Teil der Mathematik beschäftigt sich damit, Abhängigkeiten von zwei oder mehr Größen zu studieren. Als Beispiele lassen sich nennen:

• Der Verlauf des Deutschen Aktienindex (DAX) an einem Börsentag in Abhängigkeit von der Tageszeit;

• der Anstieg der Weltbevölkerung im 20. Jahrhundert in Abhängigkeit vom Jahr;

• das Höhenprofil eines Berges in Bezug auf eine Grundlinie;

• die Bahn, die der Stern Beteigeuze im Laufe einer Nacht durchläuft in Abhängigkeit von der Zeit;

• der Quotient aus den Längen der Gegenkathete a und der Hypotenuse c eines rechtwinkligen Dreiecks in Abhängigkeit von der Größe des Winkels α;

Abb. 2.1: Ein rechtwinkliges Dreieck

• der Druck der Erdatmosphäre in Abhängigkeit von der Höhe über dem Meeresspiegel;

• (der Zerfall eines radioaktiven Präparats.) was ist wovon abhängig?

Untersuchungen solcher Zusammenhänge können u. a. folgende Punkte beinhalten:

• Quantitative Beschreibung der Abhängigkeit in Form von Tabellen, Graphen, Diagrammen oder Gleichungen: Was ist das Charakteristische am Verlauf des DAX? Wie fällt eine Feder im Vergleich zu einem Stein?

• Charakterisierung spezieller Eigenschaften der Abhängigkeit, zum Beispiel: An welchen Stellen kehrt sich ein Trend um? An welcher Stelle des Höhenprofils des Bergs ist die Steigung am größten?

• Kategorisierung von Beobachtungen: Lassen sich die Abhängigkeiten ganz verschiedener Systeme mathematisch auf

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die gleiche Weise beschreiben? Was hat die Schaumkrone eines Biers mit dem Zerfall von Atomkernen gemeinsam?

• Erstellen von Prognosen: Wie wird sich die Weltbevölkerung in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts weiterentwickeln?

Abhängigkeiten zwischen Größen werden mathematisch zumeist mit Hilfe von Funktionen beschrieben; das mathematische Gebiet, das sich damit beschäftigt, ist die Analysis.

Im Skript und in den Workshops werden wir im Zusammenhang mit Funktionen auf Themen eingehen, die in der Grundschule oder – hauptsächlich – in der Sekundarstufe I behandelt werden; die Analysis der Oberstufe (Ableitungen, Integrale, Kurvendiskussion usw.) wird nicht behandelt.

2.1 Der Begriff der Funktion

2.1.1 Zuordnungen

Abhängigkeiten zwischen Größen, wie sie im vorherigen Abschnitt genannt sind, lassen sich mathematisch als Zuordnungen beschreiben. Zur Darstellung verwenden wir einführend Venn-Diagramme. Beispiel Anna (A), Berta (B), Christof (C) und Darius (D) besitzen Haustiere: Anna einen Hund, Berta eine Zwergwachtel, Christof eine Zwergwachtel und eine Gummiente und Darius eine Tarantel (Abbildung 1). Wir bezeichnen diese Zuordnung als Z.

Abb. 2.2: Beispiel für eine Zuordnung

Die Menge der Personen bezeichnet man in diesem Fall als Definitionsmenge D, die Menge der Haustiere als Wertemenge W der Zuordnung Z.

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Definition 2.1 (Zuordnung): Eine Zuordnung bildet jedes Element einer Menge D, der Definitionsmenge, auf mindestens ein Element einer Menge W, der Wertemenge, ab. Jedes Element der Wertemenge wird mindestens einmal zugeordnet. Bemerkung Statt des Begriffs „Zuordnung“ verwendet man auch die Begriffe Abbildung oder Relation. Der Begriff „Abbildung“ hat hier eine andere Bedeutung als in Abschnitt 1, wo er synonym zum Begriff „Transformation“ ist.

2.1.2 Funktionen

Funktionen sind spezielle Zuordnungen. Betrachten wir wiederum das Beispiel der Haustiere und nehmen an, dass Christof durch einen tragi-schen Zwischenfall seine Gummiente verliert. Die Zuordnung sieht nun folgendermaßen aus:

Abb. 2.3: Beispiel für eine Zuordnung, die zugleich eine Funktion ist. Warum taucht die Gummiente nicht mehr in der Wertemenge auf?

Bei diesem Beispiel wird jeder Person genau ein Haustier zugeordnet. Wir bezeichnen solche Zuordnungen als Funktionen; sie hat hier den Namen f. Definition 2.2 (Funktion): Eine Funktion ist eine Zuordnung, die jedem Element x der Definitionsmenge D genau ein Element der Wertemenge W, f(x), zuordnet. Wir schreiben:

)(

:

xfx

WDf

!

!

(„x wird abgebildet auf f(x)“).

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Bemerkung Beachte, dass Elemente der Wertemenge durchaus mehreren Elementen der Definitionsmenge zugeordnet sein dürfen; Funktionswerte können mehrfach angenommen werden! Bei den eingangs genannten Beispielen handelt es sich durchweg um Funktionen.

2.1.3 Darstellung von Funktionen

Eine Darstellung mit Venn-Diagrammen bietet sich nur an, wenn die Definitionsmenge wenige Elemente enthält. Häufig ist die Definitionsmenge jedoch die Menge ! der reellen Zahlen, ein Intervall etc. Dann bieten sich die folgenden Möglichkeiten der Darstellung.

2.1.3.1 Grafische Darstellungen

Abbildung 2.3 zeigt den Graphen einer Funktion f. Die Elemente der Definitionsmenge sind auf der Abszisse aufgetragen, die zugeordneten Funktionswerte der Wertemenge auf der Ordinate.

Abb. 2.4: Der Graph einer Funktion (links) und eine zugehörige Wertetabelle (rechts).

2.1.3.2 Wertetabellen

Auch bei Funktionen mit unendlich vielen Elementen in der Definitionsmenge lassen sich exemplarisch Zuordnungen )(xfx! tabellieren. Dies dient häufig dazu, einen Überblick über den Verlauf des Funktionsgraphen zu gewinnen, um ihn anschließend zu zeichnen (siehe Abbildung 2.3).

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Abb. 2.5: Der grafik-fähige Taschenrechner TI-84 Plus

2.1.3.3 Zuordnungsvorschriften

Viele Funktionen lassen sich sehr effektiv charakterisieren, indem man ihre Zuordnungsvorschrift angibt, d. h. eine Regel, nach der man aus dem jeweiligen Element der Definitionsmenge („x-Wert“) das zugeordnete Element aus der Wertemenge (Funktionswert, „y-Wert“) berechnet. Beispiele: Für die Funktionen

1f und

2f sei die Defintionsmenge die Menge !

der reellen Zahlen. Dann sind Funktionsvorschriften gegeben durch: f1(x) = x

2

f2 (x) = 12,4!2x

+1 .

Schreibweisen Beachte, dass die Funktionen, also die Zuordnungen, zumeist mit einfachen Buchstaben bezeichnet werden: f, g,

1f usw. Die Zuord-

nungsvorschriften dagegen haben die Schreibweise f(x), g(x), )(1 xf usw. In der Schreibweise )(1 xf ist das x als Variable zu sehen, für die auch konkrete Werte eingesetzt werden können; beispielsweise gilt für die oben definierte Funktion

1f : 9)3(1 =f .

Bemerkung Moderne Grafikrechner wie der TI-84 plus von Texas Instruments bieten komfortable Möglichkeiten, Funktionen darzustellen und zu untersuchen. So kann beispielsweise die Funktionsgleichung eingegeben werden, und der zugehörige Funktionsgraph wird automatisch gezeichnet. Ebenso sind Wertetabellen mit beliebig vielen Einträgen abrufbar, ohne dass für jeden x-Wert der Funktionswert „von Hand“ ausgerechnet werden muss. Grafikrechner sind mittlerweile an vielen Schulen verbreitet und werden bereits in der Sekundarstufe I eingesetzt.

2.1.4 Beispiele

1. Der DAX Der Wert des Deutschen AktienindeX als Funktion der Zeit ist eine Funktion, für die man keine Funktionsgleichung aufstellen kann. Die Funktionswerte werden tabelliert oder grafisch dargestellt. Abbildung 2.6 zeigt oben

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Abb. 2.6: Zwei Beispiele für den Verlauf des DAX.

den Verlauf des DAX an einem Tag, während in der unteren Grafik die Schlusskurse in einem Zeitraum von 20 Jahren aufgetragen sind. Beachte, dass der Funktionsgraph hier als „durchgehende Linie“ dargestellt ist, obwohl die Definitionsmenge diskret ist: es sind die Zeiten, die den Börsenschluss an aufeinander folgenden Tagen markieren. Die Darstellung als Linie ist eine vereinfachende Modellannahme, die das Arbeiten mit der Funktion vereinfacht. 2. Längenverhältnisse in rechtwinkligen Dreiecken In rechtwinkligen Dreiecken hängt das Verhältnis der Längen je zweier Seiten nur von einem Winkel ab. In Abbildung 2.1 betrachten wir den eingezeichneten Winkel α; bezogen auf ihn nennt man a die Gegenkathete, b die Ankathete und c die Hypotenuse. Die Längenverhältnisse hängen nur von α ab und können deshalb als Funktionen von α geschrieben werden. Im Einzelnen gelten folgende Bezeichnungen:

).(Kotangens)cot((Tangens))tan(

(Kosinus))cos((Sinus))sin(

a

c

b

a

c

b

c

a

==

==

!!

!!

Nun kann man die Längenverhältnisse als Funktionen des Winkels auffassen; als Beispiel zeigt Abb. 2.7 den Graphen der Sinus-Funktion.

Abb. 2.7: Der Graph der Funktion f mit f(α)=sin(α). Unabhängig von ihrer Bedeutung als Längenverhältnis in

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einem rechtwinkligen Dreieck lässt sich ihr Definitions-bereich auf alle reellen Zahlen erweitern.

3. Eine Insektenpopulation Zählt man als Insektenforscher die Zahl der Individuen einer Population zu verschiedenen Zeitpunkten, so kann man diese Abhängigkeit grafisch auftragen (Abb. 2.8).

Abb. 2.8: Funktionsgraph einer (fiktiven) Zählung von Insekten.

Die entstehende Zuordnung kann als Funktion aufgefasst werden, deren Definitionsbereich eine diskrete Zahlenmenge, hier die Zeit t in Tagen, ist. Solche speziellen Funktionen tragen den Namen Folge. Definition 2.3 (Folge): Eine Funktion, deren Definitionsbereich die Menge der natürlichen Zahlen ist, wird als Folge bezeichnet. Die Behandlung von Folgen ist ein eigenständiges mathematisches Gebiet und überschreitet die Grenzen des Workshops „Funktionen“. Wir werden deshalb im Weiteren nicht mehr auf sie eingehen. 4. Eine Funktion, die man nicht zeichnen kann Wir betrachten die folgende – zugegebenermaßen recht exotische – Funktion, die man nur durch ihre Zuordnungsvorschrift charakterisieren kann:

1, x ist eine rationale Zahl ( )

1, x ist irrationalf x

!"= #$

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Die rationalen Zahlen sind alle periodischen Dezimalzahlen oder Dezimalzahlen mit nur endlich vielen Stellen nach dem Komma; irrationale Zahlen sind alle nichtperiodischen Dezimalzahlen (mit unendlich vielen Stellen nach dem Komma), beispielsweise 2 . Auf dem Zahlenstrahl liegen rationale und irrationale Zahlen dicht ineinander geschachtelt: zwischen zwei beliebigen rationalen Zahlen liegt (mindestens) eine irrationale. Der Funktionsgraph von f sieht also wie „unendlich feiner Staub“ aus, der bei den Werten –1 und 1 verteilt ist.

2.2 Wichtige Funktionenklassen

Im Folgenden werden wichtige Funktionenklassen charakterisiert. Als wichtig werden sie angesehen, weil • sie als Modelle für viele Anwendungen in der Lebenswelt und in

den Wissenschaften herangezogen werden können;

• sie analytischen Rechnungen zugänglich sind und

• an ihnen exemplarisch Eigenschaften von Funktionen aufgezeigt werden können.

Wir werden uns dabei auf diejenigen Funktionen konzentrieren, die im Zusammenhang mit dem Thema „Abbildungen im Achsenkreuz“ aus Kapitel 1 von Interesse sind.

2.2.1 Lineare Funktionen

Bei linearen Funktionen kommt in der Funktionsgleichung die Variable x in der ersten Potenz vor. Die Graphen von linearen Funktionen sind Geraden. Definition 2.4 (Lineare Funktion; Punkt-Steigungsform): Unter einer linearen Funktion versteht man eine Funktion f mit dem Definitionsbereich D = ! , deren Funktionsgleichung sich auf die Form

bmxxf +=)( bringen lässt; dabei heißt der Parameter m die Steigung der Geraden und der Parameter b der y-Achsenabschnitt. Da die Funktion f durch den Punkt (0|b) und ihre Steigung m charakterisiert ist, nennt man die Gleichung die Punkt-Steigungsform der Geraden.

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Bemerkung Unter einem Parameter versteht man eine Variable, die bei einer konkreten Anwendung als fest gewählt angesehen wird. So steht in der Punkt-Steigungsform der Geraden das Verhalten der Funktionswerte f(x) bei einer Variation der Werte der Variablen x im Vordergrund, während die Parameter m und b zwar frei wählbar, aber zunächst als konstant angesehen werden. Erst in zweiter Linie kann man fragen, wie sich eine Veränderung von m oder b auf den Funktionsgraphen auswirkt. Hat man diese Abhängigkeiten ebenfalls im Blick, spricht man bei bmxxf +=)( von einer Funktionenschar mit den beiden Scharparametern m und b. Die Punkt-Steigungsform der Geraden ist in Abb. 2.9 (a) skizziert. Die Steigung m erhält man mittels eines Steigungsdreiecks als

x

ym

!

!= ,

wobei x! der Abstand zweier x-Werte und y! der Abstand der zugehörigen Funktionswerte ist. Weitere Formen der Geradengleichung Neben der häufig anzutreffenden Punkt-Steigungsform kann man die Gleichung einer linearen Funktion auch anders parametrisieren (Abb. 2.9 (b)-(d)). Wir unterscheiden die folgenden Formen:

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Abb. 2.9: Vier Formen der Geradengleichung und die dabei auftretenden Parameter. (a) Punkt-Richtungsgleichung; (b) x-Achsenabschnittsform; (c) Achsenabschnittsform; (d) Zwei-Punkteform. • x-Achsenabschnittsform (Abb. 2.9 (b)): Liegt ein Punkt (x|y) auf

der Geraden der Funktion f, so erfüllt er die Gleichung )( axmy != , wobei m wiederum die Steigung der Geraden ist. Der Parameter a ist der x-Achsenabschnitt, d. h. die Stelle, an der die Gerade die Abszisse schneidet.

• Achsenabschnittsform (Abb. 2.9 (c)): Auf der Geraden liegen alle Punkte (x|y), die die Gleichung

1=+b

y

a

x

erfüllen. Beachte, dass in der Skizze Abb. 2.9 (c) der Parameter a ein negatives Vorzeichen hat. Die Achsenabschnittsform kann nur zur Beschreibung herangezogen werden, falls die Gerade nicht durch den Ursprung verläuft.

• Zwei-Punkteform (Abb. 2.9 (d)): Sind P(p1,p2) und Q(q1,q2) zwei nicht identische Punkte der Geraden, so lässt sich die Gerade durch alle Punkte (x|y) mit

20

)( 1

11

222 px

pq

pqpy !

!

!=!

beschreiben. Der Bruch 11

22

pq

pq

!

! stellt wiederum die Steigung der

Geraden dar.

Beispiel: Proportionale Zuordnung Das Foto in Abbildung 2.10 zeigt Bauteile für elektrische Stromkreise, die als ohmsche Widerstände bezeichnet werden. Legt man an ein solches Bauteil verschiedene elektrische Stromstärken I an und misst jeweils die abfallende elektrische Spannung U, so erhält man – annähernd – eine lineare Beziehung: U(I) = RI. Die Steigung R der Geraden wird als elektrischer Widerstand bezeichnet.1

Abbildung 2.10: Links: Technische Realisierung ohmscher elektrischer Widerstände. Rechts: Der Zusammenhang zwischen dem Strom, der durch einen ohmschen Widerstand fließt, und der an diesem Widerstand abfallenden Spannung. Kreuze stellen Messdaten dar; die eingezeichnete Gerade ist eine Ausgleichsgerade, die die Messwerte möglichst gut beschreibt. Der elektrische Widerstand beträgt hier

5!R Volt/Ampere. Da bei einer Stromstärke I = 0 Ampere die Spannung U ebenfalls Null ist, verläuft die Gerade durch den Ursprung des Koordinatensystems. Definition 2.5 (Proportionale Zuordnung): Eine lineare Funktion f, deren Graph durch den Ursprung verläuft (d. h. den y-Achsenabschnitt b=0 hat), beschreibt eine proportionale Zuordnung.

1 Unter einem Widerstand versteht man also sowohl das technische Bauteil als auch den Quotienten von Spannung und Stromstärke.

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Bemerkung Das Diagramm in Abb. 2.10 zeigt das Ergebnis einer wichtigen mathematischen Technik, der Modellierung von Daten. Bei der Messung realer Daten findet man nie einfache Zusammenhänge, da stets Messfehler auftreten. Die in diesem Beispiel eingezeichnete Gerade stellt eine Idealisierung (eben ein Modell) dar, das die Daten auf einfache Weise beschreibt.

2.2.2 Quadratische Funktionen

Funktionsgleichungen quadratischer Funktionen enthalten die Variable x höchstens in der zweiten Potenz. Die Graphen von quadratischen Funktionen sind Parabeln, die verschoben, gespiegelt und gestreckt sein können. Definition 2.6 (Quadratische Funktion; Normalform): Unter einer quadratischen Funktion versteht man eine Funktion f mit dem Definitionsbereich D = ! , deren Funktionsgleichung sich auf die Normalform

f (x) = ax

2+ bx + c

bringen lässt; dabei sind a, b und c reelle Parameter. Definition 2.7 (Normalparabel): Der Graph der Funktion f mit f(x)=x² heißt Normalparabel. Die Normalparabel ist in Abb. 2.11 dargestellt.

Abb. 2.11: Die Normalparabel.

Scheitelpunktform der Parabel Neben der genannten Normalform gibt es die sog. Scheitelpunktform der Parabel, an der man die Eigenschaften des zugehörigen Funktionsgraphen besser ablesen kann.

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Definition 2.8 (Scheitelpunktform): Die Scheitelpunktform der Parabel ist die Gleichung einer quadratischen Funktion f, die durch

f (x) = a(x ! p)2+ q

gegeben ist; dabei sind a, p und q reelle Parameter.

Abb. 2.12: Die Bedeutung der Parameter a, p, q in der Scheitel-punktform der Parabel. P(pq) ist der Scheitelpunkt der Parabel; a stellt den Streckfaktor der Parabel dar. Die Skizze zeigt gepunktet zum Vergleich die (verschobene) Nor-malparabel mit a = 1; für 0 < a < 1 ist die Parabel gestaucht.

Entsprechend wäre die Normalparabel für a > 1 gestreckt. Ist a < 0, so ist die Parabel nach unten geöffnet. Eigenschaften von quadratischen Funktionen Quadratische Funktionen und ihre Graphen haben folgende Eigenschaften: • Der Graph einer quadratischen Funktion ist eine Parabel, die –

abhängig von den Parametern – in x- und y-Richtung verschoben und gestreckt oder gestaucht sein kann. Die Parabel kann nach oben oder unten geöffnet sein.

• Je nach der Lage der Parabel gibt es keine, eine oder zwei Nullstellen, also x-Werte, denen der Funktionswert Null zugeordnet ist.

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Abb. 2.13: Zwei Beispiele für Parabeln. Die Funktion f ist gegeben durch die Funktionsgleichung f(x)=-(x+2)²+3, die Funktion g ist gegeben durch g(x)=0,25(x-4)²-1.

2.2.3 Ganzrationale Funktionen

Die in den vorangegangenen Abschnitten beschriebenen linearen und quadratischen Funktionen sind Spezialfälle einer Klasse von Funktionen, deren Funktionsgleichungen Polynome mit reellen Koeffizienten sind. Definition 2.9 (Ganzrationale Funktion, Potenzfunktion): Für jede natürliche Zahl …,2,1,0=n heißt die Funktion f mit

01

1

1)( axaxaxaxf n

n

n

n ++++=!

!…

ganzrationale Funktion oder Potenzfunktion. Die Zahlen

011,,,, aaaa

nn…

! sind reelle Zahlen (mit 0!

na ) und werden

Koeffizienten genannt. Die Zahl n ist der Grad der ganzrationalen Funktion. Bemerkung 1 Die Indizes bei den Koeffizienten haben keine tiefe mathematische Bedeutung; sie deuten lediglich an, dass der Koeffizient

na zum Term

xn gehört, der Koeffizient 1!n

a zum Term xn-1 usw. Bemerkung 2 Lineare Funktionen sind ganzrationale Funktionen ersten Grades, quadratische Funktionen ganzrationale Funktionen zweiten Grades. Frage: Wie sehen ganzrationale Funktionen nullten Grades aus?

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Abbildung 2.14 zeigt zwei Beispiele für Graphen ganzrationaler Funk-tionen.

Abb. 2.14: Die Graphen der Funktionen f und g mit f(x)=x³-3x²-2x+2 und g(x)=x4-x³-x²-1.

Eigenschaften ganzrationaler Funktionen Ganzrationale Funktionen und ihre Graphen haben folgende Eigenschaften: • Eine ganzrationale Funktion n-ten Grades hat höchstens n Null-

stellen. • Grenzverhalten: Im Unendlichen, d. h. für !"x oder für

!"#x , wachsen die Funktionswerte ins Unendliche, oder sie gehen gegen „minus Unendlich“: ±!")(xf . Konkret existiert für das Grenzverhalten (auch asymptotisches Verhalten genannt) einer ganzrationalen Funktion die folgende einfache Regel: Generell wird das Grenzverhalten nur vom führenden Summanden n

nxa bestimmt. Es lassen sich dann vier Fälle

unterscheiden:

Überprüfen Sie die Asymptotik der in Abb. 2.14 dargestellten Funktionen.

n ist gerade 0>na !")(xf für !"#x

!")(xf für !"x n ist gerade 0<

na !"#)(xf für !"#x

!"#)(xf für !"x n ist ungerade 0>

na !"#)(xf für !"#x

!")(xf für !"x n ist ungerade 0<

na !")(xf für !"#x

!"#)(xf für !"x

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Auf weitere Eigenschaften ganzrationaler Funktionen soll hier nicht eingegangen werden; auf Symmetrieeigenschaften werden wir in Kapitel 3 zurückkommen.

2.2.4 Gebrochenrationale Funktionen

Der Vollständigkeit halber seien an dieser Stelle die gebrochenrationalen Funktionen kurz aufgeführt. Es handelt sich bei den Funktionsgleichungen, vereinfacht gesagt, um Brüche, in deren Zähler und Nenner ganzrationale Funktionen stehen. Die genaue Definition ist folgende: Definition 2.10 (Gebrochenrationale Funktionen): Eine Funktion f mit

01

1

1

01

1

1)(bxbxbxb

axaxaxaxf

m

m

m

m

n

n

n

n

++++

++++=

!

!

!

!

(alle Koeffizienten reell mit 0,0 !!

mnba ) heißt gebrochenrational,

wenn diese Darstellung nur mit einem Nennerpolynom möglich ist, dessen Grad mindestens 1 ist. Bemerkung Die etwas umständliche Formulierung in der Definition soll

sicherstellen, dass Funktionen f wie f (x) =x2

2 oder f (x) =

x2

x, die

ihrer Natur nach ganzrational sind, nicht in die Kategorie der gebrochenrationalen Funktionen fallen. Gebrochenrationale Funktionen können als neues Element sogenannte Polstellen enthalten. Es handelt sich dabei um Stellen, an denen die Funktion nicht definiert ist, und an denen die Funktionswerte gegen unendlich oder minus unendlich gehen. Beispiel:

Wir betrachten die Funktion f mit f (x) =x

x2! 4

. Die

Definitionslücken (und Polstellen) liegen bei 2±=x . Abbildung 2.15 zeigt den Funktionsgraphen.

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Abb. 2.15: Der Graph der Funktion f mit f (x) =

x

x2! 4

.

Gebrochenrationale Funktionen können Symmetrieeigenschaften aufweisen, auf die wir in Kapitel 3 zu sprechen kommen.

2.2.5 Trigonometrische Funktionen

Ein Beispiel für eine trigonometrische Funktion wurde bereits in Abb. 2.7 vorgestellt: Die Funktion mit der Funktionsgleichung

xxf sin)( = .2,3 Abbildung 2.16 zeigt nun die Funktion mit xxf cos)( = . Der Graph dieser Funktion ist um 90° gegenüber der

Sinusfunktion verschoben: )90sin(cos += xx . Wie bei der Sinusfunktion ist die Definitionsmenge die Menge ! der rellen Zahlen; der Wertebereich ist das Intervall ]1;1[! .

2 In Abb. 2.?? haben wir „α“ als Variablennamen gewählt; wir werden von nun an „x“ verwenden. Die Bedeutung ist natürlich die gleiche; Variablennamen können beliebig gewählt werden. 3 Die Argumente der trigonometrischen Funktionen können – falls die Schreibweise eindeutig ist – auch ohne Klammern geschrieben werden, zum Beispiel

xx cos)cos( ! .

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Abb. 2.16: Der Graph der Funktion f mit f(x) = cos(x). Aus den oben aufgeführten Definitionen von Sinus, Kosinus und Tangens (siehe 2.1.4, 2.Beispiel) an rechtwinkligen Dreiecken lässt sich unmittelbar ablesen, dass für die Tangensfunktion gilt:

x

xx

cos

sintan = .

Die Tangensfunktion ist in Abb. 2.17 dargestellt. Sie hat Polstellen (und entsprechend Definitionslücken) dort, wo die Kosinusfunktion Nullstellen hat, also bei …,450,270,90 °±°±°±=x Ihre Nullstellen sind dort, wo die Sinusfunktion Nullstellen hat, also bei

…,360,180,0 ±°±°=x Der Wertebereich der Tangensfunktion ist die Menge ! der reellen Zahlen.

Abb. 2.17: Die Funktion f mit xxf tan)( = . Die trigonometrischen Funktionen sind periodisch, d. h. sie haben in gleichmäßigen Abständen (360°) jeweils dieselben Funktionswerte.

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2.2.6 Exponentialfunktionen

Potenz- und Logarithmusgesetze Es gibt je 5 Rechenregeln im Zusammenhang mit Potenzen und Logarithmen. Die stehen aber nicht hier im Skript! Bitte in einer Formelsammlung nachschlagen! Welche 5 sind das? Wofür brauche ich sie? Definition 2.11 (Exponentialfunktionen): Funktionen f mit xacxf !=)( ,

c !!, a > 0, x !! nennt man Exponentialfunktionen zur Basis a.

Abb. 2.18: Die Graphen zweier

Exponentialfunk-tionen. Bei der Funktion f ist die Basis größer als Eins, bei der Funk-tion g ist sie klei-ner als Eins.

Eigenschaften von Exponentialfunktionen Exponentialfunktionen f und ihre Graphen haben folgende Eigenschaften: • Es ist f(x) > 0 für alle x !! ; die Graphen verlaufen stets

oberhalb der Abszisse.

• Die Graphen haben keine Minima, keine Maxima und keine Nullstellen.4 Sie weisen auch keine Symmetrieeigenschaften auf.

• Für c < 1 ist die Funktion streng monoton fallend, für c > 1 streng monoton steigend. Überlegen Sie, wie die Funktion für c = 1 aussieht.

• Für a < 1 nähert sich der Funktionsgraph der Abszisse an, wenn !"x strebt; für !"#x wachsen die Funktionswerte ins

Unendliche ( !")(xf ). Für a > 1 ist es umgekehrt (vergleiche auch Abbildung 2.18).

4 Zu diesen Begriffen siehe Kapitel 2.3.

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Ein Vorgang, der durch eine Exponentialfunktion beschrieben werden kann, wird exponentielles Wachstum (für a > 1) bzw. exponentieller Zerfall (für a < 1) genannt. Exponentialfunktionen nennt man deshalb bei Anwendungen auch Wachstumsfunktionen (für a > 1) bzw. Zerfallsfunktionen (für a < 1). Definition 2.12 (Natürliche Exponentialfunktion): Eine Exponentialfunktion mit der Basis a = e wird natürliche Exponentialfunktion genannt. Dabei ist e = 2,718281828459... die eulersche Zahl. e ist irrational. Bemerkung Die natürliche Exponentialfunktion ist deshalb von Interesse, weil sie identisch mit ihrer Ableitung ist:

xx exfexf =!= )(')( . Das bedeutet: Der Funktionswert der natürlichen Exponentialfunktion gibt an jeder Stelle x an, wie groß die Steigung der Funktion dort ist. Beispiele: Exponentielles Wachstum von biologischen Populationen tritt auf, wenn unbegrenzte Ressourcen zur Vermehrung zur Verfügung stehen. Beispiele sind die Vermehrung der Weltbevölkerung im Mittelalter oder Bakterienkulturen auf einem reichhaltigen Nährboden. Ein perfektes Beispiel für exponentiellen Zerfall ist die radioaktive Zerfallsfunktion:

kteNtN!

= 0)( , wobei N(t) die Anzahl der zur Zeit t noch vorhandenen (d. h. noch nicht zerfallenen) Kerne eines radioaktiven Nuklids ist,

0N die zur

Zeit t=0 vorhandenen Kerne und k>0 die sogenannte Zerfallskonstante. Radioaktivität ist ein statistisches Phänomen: der Zerfall eines Atomkerns hat keine Ursache, und der Zeitpunkt des Zerfalls kann nicht vorhergesagt werden. Die Zerfallsfunktion ist deshalb eine statistische Größe, die sich erst bei einer hinreichend großen Anzahl von Atomen sinnvoll als Modell einsetzen lässt.

2.2.7 Weitere Funktionen

Viele Funktionen lassen sich nicht in eine der bislang behandelten Klassen einfügen. So ist es möglich, Funktionen abschnittweise zu definieren, wie es beispielsweise bei der in Abb. 2.?? dargestellten Funktion geschah. Des weiteren lassen sich Funktionen dadurch erstellen, dass man Funktionsgleichungen verschiedener Klassen miteinander kombiniert, zum Beispiel

30

?)(;cos2)(;sin1

)( xx exhxxgxx

xf !=+== .

Ein spannendes Beispiel ist in Abb.2.19 zu sehen:

Abb. 2.19: der Funktionsgraph der Funktion f mit

xxf

1sin)( = . Diese

Funktion ist durch das geänderte Argument des Sinus nicht mehr periodisch. Auf dem Intervall von –0,5 bis 0,5 befinden sich unendlich viele Maxima, Minima und Nullstellen.

2.3 Zusammenfassung und Ausblick

In den vorigen Abschnitten wurden wichtige Funktionenklassen eingeführt: Ganzrationale Funktionen mit den Spezialfällen der linearen und der quadratischen Funktionen; gebrochenrationale Funktionen, Exponentialfunktionen und trigonometrische Funktionen. Bis auf die gebrochenrationalen Funktionen werden sie bereits in der Sekundarstufe I eingeführt und ihre Eigenschaften werden diskutiert. In Kapitel 2 haben wir im Wesentlichen die Definitionen genannt und einige Funktionsgraphen gezeichnet. Das nächste Kapitel führt die Themen der Kapitel 1 und 2 zusammen: die in Kapitel 1 beschriebenen Transformationen – Verschiebungen, Drehungen und Streckungen – werden auf Funktionsgraphen angewendet. Im Zuge dieser Untersuchungen soll auch das Thema der Funktionen aus Kapitel 2 fortgeführt werden: Von Interesse sind beispielsweise Symmetrieeigenschaften der Funktionsgraphen; diese werden im Zusammenhang mit Achsenspiegelungen und Drehungen behandelt. Des weiteren gibt es Funktionenklassen, die wir bislang noch nicht behandelt haben: die Logarithmusfunktionen und die Wurzelfunktionen. Diese stellen so genannte Umkehrfunktionen zu

31

den Exponential- bzw. zu den quadratischen Funktionen dar. Sie sollen im folgenden Kapitel ebenfalls bei den Achsenspiegelungen vorgestellt werden. Ein drittes noch ausstehendes Thema sind periodische Funktionen – sie lassen sich mit Hilfe von Verschiebungen charakterisieren.