100. effektive bioprozeßentwicklung durch automatisierte versuchsplanung und instationäre...

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Sekundare Trocknung und Glasubergang bei der Gefriertrocknung biologischer Materialien Dipl.-Ing. G. Spieles (Vortragender), cand. ing. J. Weidenhaun, Dipl.-Ing. 1. Heschel und Univ.-Prof. Dr. rer. nat. G. Rau, Helmholtz-Institut fur Biomedizinische Technik an der RWTH Aachen, Pauwelsstr. 20, 52074 Aachen. Die Gefriertrocknung ist ein etabliertesverfahren zur Stabilisierungleicht verderblicher biologischer Materialien. Es findet Anwendung vor allem in der pharmazeutischen Industrie zur Stabilisierung von Wirkstoffen sowie bei der Konservierung von Mikroorganismen fur zumeist biotechnologi- sche Zwecke. Die Gefriertrocknung wird unterteilt in die Verfahrens- schritte 1) Einfrieren, 2) Primare Trocknung (Sublimation) und 3) Sekundare Trocknung (Desorption). Die Sekundare Trocknung nimmt im Rahmen der Gefriertrocknung eine zentrale Position ein. Der nach AbschluB der SekundarenTrocknung in der Probe verbleibende Wassergehalt beeinflufit entscheidend den physikalischen Zustand und die daraus resultierenden Eigenschaften der getrockneten Probe. Als eine wichtige MaterialkenngroBe fur die Lang- zeitstabilisierunggilt hierbei die Glasiibergangstemperatur des getrockne- ten Materials. Nur wenn die gewiinschte Lagertemperatur (z. B. Raum- temperatur) unterhalb der Glasubergangstemperatur liegt, konnen die spezifischen Eigenschaften des zu konservierenden Materials iiber einen langen Zeitraum aufrecht erhalten werden. Daruber hinaus bestimmt der Sekundare Trocknungsschritt wesentlich die gesamte Trocknungsdauer und ist daher von wirtschaftlicher Bedeutung. Es werden grundlegende Untersuchungen zum EinfluB des Wasserge- haltes auf die Glasiibergangstemperatur vorgestellt. Es wurden binare, wa'Rrige Gemische aus in der Gefriertrocknung ublichen Stabilisatoren untersucht. Hierzu gehoren Saccharide (Glucose, Maltose, Saccharose, Maltotriose, Maltopentaose und Maltoheptaose) sowie ausgewahlte poly- mere Stabilisatoren (Ficoll, Gelatine, Hydroxyethylstarke und Polyvinyl- pyrrolidon). Die Glasubergangstemperaturen konnten mit der Methode der Differentialkalonmetrie (DSC) bestimmt werden. Diese Methode beruht auf der Aufzeichnungder fur den Glasubergang chrakteristischen, sprunghaften Anderung der spezifischen Warmekapazitat. Es zeigte sich, dab die Glasiibergangstemperatur wesentlich vom Wassergehalt der untersuchten Gemische abhangt. Durch unterschiedli- che Trocknungsbedingungenwahrend der Sekundaren Trocknung wurde der Wassergehalt der untersuchten Proben derart eingestellt, daB Glas- ubergangskurvcn aufgenommen werden konnten. Diese Kurven geben den Verlauf der Glasubergangstemperatur in Abhangigkeit vom Wasser- gehalt fur die untersuchten Gemische wieder (s. Abb.). Hierbei wurde der Bereich hoher Stabilisatorkonzentrationen untersucht, wie sie im Laufe der Sekundaren Trocknung auftreten. lnsbesondere bei den Sacchariden war eine deutliche Steigerung der Glasubergangstemperaturen mit der Molmasse des Stabilisators bei gleichem Massenanteil des Wassers zu erkennen. Von den polymeren 0 20 40 60 80 100 Massenanteil Ficol [Gew.-YO] Abb. Glasubergangskurve fur eine binare, wai0rige Losung des polymeren Stabilisators Ficoll. Die Glasubergangstemperatur steigt deutlich rnit dem Massenanteil Ficoll in der Losung und erreicht be1 etwa 90 Gew.-% Raumtemperatur. Stabilisatoren zeigte getrocknete Gelatine die hochste Glasubergangstem- peratur. Bei Hydroxyethylstarke konnte mit der DSC-Methode kein Glasubergang gefunden werden. Vergleichende Untersuchungen mittels Dynamisch-mechanischer Analyse (DMA) und Thermisch-mechanischer Analyse (TMA) zeigten hier ebenfalls keinen deutlich erkennbaren Glasubergang. Die Beschreibung der aufgenommenen Kurven erfolgt mit einem der Literatur entnommenen, thermodynamischen Modell, das die Glasuber- gangstemperatur der Gemische durch die Glasubergangstemperatur und den Sprung der Warmekapazitat beim Glasubergang der reinen Stoffe ausdriickt. Die ermittelten KenngroRen der untersuchten Gemische werden gegenubergestellt und verglichen. Ausgehend von der Kenntnis des Wassertransportes wahrend der Sekundaren Trocknung und des Verlaufes der Glasubergangskurve werden Kriterien entwickelt, die die Auswahl von vorteilhaften Stabilisatoren fur die Gefriertrocknung erlau- ben. Effektive BioprozeBentwicklung durch automatisierte Versuchsplanung und instationare ProzeBfuhrung Dr.-Ing. D. Weuster-Botz, Institut fur Biotechnologie 2, Forschungszen- trum Julich GmbH (KFA), 52425 Jiilich. Zentrale Aufgaben bei der Entwicklung von Fermentationsverfahren sind: - die Optimierung der Reaktionsbedingungen (pH, T, Mediumszusam- mensetzung), um die Stoffwechseleigenschaften des Produktions- stamms optimal zu nutzen, - die Bestimmungder Makrokinetik des Produktionsstamms als Basis zur Reaktorauswahl und -auslegung und - die Entwicklung einer optimalen ProzeBfuhrung (Regelung von Kon- zentrationen, Steuerung von ProzeSphasen). Hierzu mussen in der Regel langwierige expenmentelle Untersuchungen im ,,Schuttelkolben" und Labor-Bioreaktor durchgefuhrt werden. Um die Entwicklungszeiten fur Fermentationsverfahren zu verkurzen, werden folgende reaktionstechnische Ansatze verfolgt: 1) Intensive Nutzung der apparativ einfachen, parallelen Schuttelkolben- technik zur Medienoptimierung und in Verbindung mit Mikrodosier- techniken zur Entwicklung optimaler ProzeBfiihrungen (,,Fedbatch- Schiittelkolben". 2) Einsatz substratgeregelter Labor-Bioreaktoren (,,Nutristaten") zur Medienoptimierung bei kontinuierlichen Prozessen und zur Bestim- mung der Makrokinetik. 3) Einsatz eines Membranreaktorsystems, urn schnellere ProzeBinforma- tion (unabhangig von der Wachstumsrate) zu erhalten und wachstums- entkoppelte Prozesse zu charakterisieren. Besonders effektiv sind diese reaktionstechnischen Ansatze nur in Verbindung rnit einer weitgehenden Automatisierung. Der Rechner iibernimmt hierbei neben der Steuerung und Regelung der Versuchsan- lagen insbesondere die Versuchsplanung, um rnit moglichst wenig Expe- rimenten ein Maximum an Information zu gewinnen. 1) Zur experimentellen Optimierung der Reaktionsbedingungen bio- logischer Stoffumwandlungen eignen sich insbesondere ,.Genetkche Algorithmen", da diese in der Lage sind, mit relativ wenig Experimenten auch bei vielparametrigen Systemen das globale Optimum zu finden. Mit Hilfe von parallel durchgefiihrten Schuttelkolbenversuchen sind nach 4 bis 8 Versuchsansatzen (,,Generationen") die ZielgroBen (Ausbeute, Pro- duktkonzentration, . . .) maximal. Beispiele sind die Herstellung von Aminosauren mit Corynebacterium glutamicum, Enzymen mit Candida boidinii und Arthrobacter simplex Zellen zur Steroidtransformation. Durch Kopplung von rechnergesteuerten Prazisionskolbenpumpenund Mehrwegeventilen an Schuttelkolben lassen sich Dosierprofile von meh- reren Substraten in bis zu 16 parallele Kolben realisieren. Optimale Dosierfunktionen konnen ebenfalls rnit Hilfe genetischer Algorithmen ermittelt werden (,,experimentelle Funktionsoptimierung"). 2) Zur automatisierten Medienoptimierung bei kontinuierlichen Pro- zessen werden die Medienbestandteile in Relation zur C-Quelle rechner- 1219 Chern.-1ng.-Tech. 66 (1994) Nr. 9, S. 1165-1276

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Sekundare Trocknung und Glasubergang bei der Gefriertrocknung biologischer Materialien

Dipl.-Ing. G . Spieles (Vortragender), cand. ing. J. Weidenhaun, Dipl.-Ing. 1. Heschel und Univ.-Prof. Dr. rer. nat. G. Rau, Helmholtz-Institut fur Biomedizinische Technik an der RWTH Aachen, Pauwelsstr. 20, 52074 Aachen.

Die Gefriertrocknung ist ein etabliertesverfahren zur Stabilisierung leicht verderblicher biologischer Materialien. Es findet Anwendung vor allem in der pharmazeutischen Industrie zur Stabilisierung von Wirkstoffen sowie bei der Konservierung von Mikroorganismen fur zumeist biotechnologi- sche Zwecke. Die Gefriertrocknung wird unterteilt in die Verfahrens- schritte 1) Einfrieren, 2) Primare Trocknung (Sublimation) und 3) Sekundare Trocknung (Desorption).

Die Sekundare Trocknung nimmt im Rahmen der Gefriertrocknung eine zentrale Position ein. Der nach AbschluB der SekundarenTrocknung in der Probe verbleibende Wassergehalt beeinflufit entscheidend den physikalischen Zustand und die daraus resultierenden Eigenschaften der getrockneten Probe. Als eine wichtige MaterialkenngroBe fur die Lang- zeitstabilisierung gilt hierbei die Glasiibergangstemperatur des getrockne- ten Materials. Nur wenn die gewiinschte Lagertemperatur (z. B. Raum- temperatur) unterhalb der Glasubergangstemperatur liegt, konnen die spezifischen Eigenschaften des zu konservierenden Materials iiber einen langen Zeitraum aufrecht erhalten werden. Daruber hinaus bestimmt der Sekundare Trocknungsschritt wesentlich die gesamte Trocknungsdauer und ist daher von wirtschaftlicher Bedeutung.

Es werden grundlegende Untersuchungen zum EinfluB des Wasserge- haltes auf die Glasiibergangstemperatur vorgestellt. Es wurden binare, wa'Rrige Gemische aus in der Gefriertrocknung ublichen Stabilisatoren untersucht. Hierzu gehoren Saccharide (Glucose, Maltose, Saccharose, Maltotriose, Maltopentaose und Maltoheptaose) sowie ausgewahlte poly- mere Stabilisatoren (Ficoll, Gelatine, Hydroxyethylstarke und Polyvinyl- pyrrolidon). Die Glasubergangstemperaturen konnten mit der Methode der Differentialkalonmetrie (DSC) bestimmt werden. Diese Methode beruht auf der Aufzeichnung der fur den Glasubergang chrakteristischen, sprunghaften Anderung der spezifischen Warmekapazitat.

Es zeigte sich, dab die Glasiibergangstemperatur wesentlich vom Wassergehalt der untersuchten Gemische abhangt. Durch unterschiedli- che Trocknungsbedingungen wahrend der Sekundaren Trocknung wurde der Wassergehalt der untersuchten Proben derart eingestellt, daB Glas- ubergangskurvcn aufgenommen werden konnten. Diese Kurven geben den Verlauf der Glasubergangstemperatur in Abhangigkeit vom Wasser- gehalt fur die untersuchten Gemische wieder (s. Abb.). Hierbei wurde der Bereich hoher Stabilisatorkonzentrationen untersucht, wie sie im Laufe der Sekundaren Trocknung auftreten.

lnsbesondere bei den Sacchariden war eine deutliche Steigerung der Glasubergangstemperaturen mit der Molmasse des Stabilisators bei gleichem Massenanteil des Wassers zu erkennen. Von den polymeren

0 20 40 60 80 100 Massenanteil Ficol [Gew.-YO]

Abb. Glasubergangskurve fur eine binare, wai0rige Losung des polymeren Stabilisators Ficoll. Die Glasubergangstemperatur steigt deutlich rnit dem Massenanteil Ficoll in der Losung und erreicht be1 etwa 90 Gew.-% Raumtemperatur.

Stabilisatoren zeigte getrocknete Gelatine die hochste Glasubergangstem- peratur. Bei Hydroxyethylstarke konnte mit der DSC-Methode kein Glasubergang gefunden werden. Vergleichende Untersuchungen mittels Dynamisch-mechanischer Analyse (DMA) und Thermisch-mechanischer Analyse (TMA) zeigten hier ebenfalls keinen deutlich erkennbaren Glasubergang.

Die Beschreibung der aufgenommenen Kurven erfolgt mit einem der Literatur entnommenen, thermodynamischen Modell, das die Glasuber- gangstemperatur der Gemische durch die Glasubergangstemperatur und den Sprung der Warmekapazitat beim Glasubergang der reinen Stoffe ausdriickt. Die ermittelten KenngroRen der untersuchten Gemische werden gegenubergestellt und verglichen. Ausgehend von der Kenntnis des Wassertransportes wahrend der Sekundaren Trocknung und des Verlaufes der Glasubergangskurve werden Kriterien entwickelt, die die Auswahl von vorteilhaften Stabilisatoren fur die Gefriertrocknung erlau- ben.

Effektive BioprozeBentwicklung durch automatisierte Versuchsplanung und instationare ProzeBfuhrung

Dr.-Ing. D. Weuster-Botz, Institut fur Biotechnologie 2, Forschungszen- trum Julich GmbH (KFA), 52425 Jiilich.

Zentrale Aufgaben bei der Entwicklung von Fermentationsverfahren sind: - die Optimierung der Reaktionsbedingungen (pH, T, Mediumszusam-

mensetzung), um die Stoffwechseleigenschaften des Produktions- stamms optimal zu nutzen,

- die Bestimmung der Makrokinetik des Produktionsstamms als Basis zur Reaktorauswahl und -auslegung und

- die Entwicklung einer optimalen ProzeBfuhrung (Regelung von Kon- zentrationen, Steuerung von ProzeSphasen).

Hierzu mussen in der Regel langwierige expenmentelle Untersuchungen im ,,Schuttelkolben" und Labor-Bioreaktor durchgefuhrt werden.

Um die Entwicklungszeiten fur Fermentationsverfahren zu verkurzen, werden folgende reaktionstechnische Ansatze verfolgt: 1) Intensive Nutzung der apparativ einfachen, parallelen Schuttelkolben-

technik zur Medienoptimierung und in Verbindung mit Mikrodosier- techniken zur Entwicklung optimaler ProzeBfiihrungen (,,Fedbatch- Schiittelkolben".

2) Einsatz substratgeregelter Labor-Bioreaktoren (,,Nutristaten") zur Medienoptimierung bei kontinuierlichen Prozessen und zur Bestim- mung der Makrokinetik.

3) Einsatz eines Membranreaktorsystems, urn schnellere ProzeBinforma- tion (unabhangig von der Wachstumsrate) zu erhalten und wachstums- entkoppelte Prozesse zu charakterisieren.

Besonders effektiv sind diese reaktionstechnischen Ansatze nur in Verbindung rnit einer weitgehenden Automatisierung. Der Rechner iibernimmt hierbei neben der Steuerung und Regelung der Versuchsan- lagen insbesondere die Versuchsplanung, um rnit moglichst wenig Expe- rimenten ein Maximum an Information zu gewinnen.

1) Zur experimentellen Optimierung der Reaktionsbedingungen bio- logischer Stoffumwandlungen eignen sich insbesondere ,.Genetkche Algorithmen", da diese in der Lage sind, mit relativ wenig Experimenten auch bei vielparametrigen Systemen das globale Optimum zu finden. Mit Hilfe von parallel durchgefiihrten Schuttelkolbenversuchen sind nach 4 bis 8 Versuchsansatzen (,,Generationen") die ZielgroBen (Ausbeute, Pro- duktkonzentration, . . .) maximal. Beispiele sind die Herstellung von Aminosauren mit Corynebacterium glutamicum, Enzymen mit Candida boidinii und Arthrobacter simplex Zellen zur Steroidtransformation.

Durch Kopplung von rechnergesteuerten Prazisionskolbenpumpen und Mehrwegeventilen an Schuttelkolben lassen sich Dosierprofile von meh- reren Substraten in bis zu 16 parallele Kolben realisieren. Optimale Dosierfunktionen konnen ebenfalls rnit Hilfe genetischer Algorithmen ermittelt werden (,,experimentelle Funktionsoptimierung").

2) Zur automatisierten Medienoptimierung bei kontinuierlichen Pro- zessen werden die Medienbestandteile in Relation zur C-Quelle rechner-

1219 Chern.-1ng.-Tech. 66 (1994) Nr. 9, S. 1165-1276

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gesteuert in den Fermenter dosiert. Durch die Regelung der C-Quellen- konzentration auf einen festen Sollwert wird der Umsatz konstant gehalten. Limitierungen und Inhibierungen werden somit durch eine Verweilzeitverlangerung ausgeglichen und erkannt. Die Regelung der C-Quelle erfolgt rnit einem modellgestutzten, parameteradaptiven Regel- kreis (semikontinuierliches Kalman-Filter und Minimalvarianzregler). Zur On-line-Optimierung der Mediumszusammensetzung wird am Bei- spiel von Pseudomonas putida der Einsatz des genetischen Algorithmus untersucht .

3) Durch definierte Verweilzeit-Entkopplung von Zellen und Medien im Membran-Reaktor (Mikrofiltration im Bypass) konnen reaktionskine- tische Untersuchungen sicherer durchgefuhrt werden (Beispiel: Makroki- netik von Zymomonas rnobilis). Dariiber hinaus ist die Kinetik wachs- tumsentkoppelter Produktbildung reproduzierbar zu bestimmen. Um auch bei hohen Zelldichten aerober Organismen geniigend Sauerstoff zur Verfiigung zu stellen, ist der Reaktor als Zyklon ausgefiihrt, da im Zentrifugalfeld hochste Sauerstoffeintragsleistungen erzielt werden (,,Membran-Zyklon-Reaktor": kLa > 20000 h-' bei Begasung rnit Luft).

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Auslegung eines Blasenschwarm- Bioreaktors fur tierische Zellkulturen

Dipl.-Phys. E Gudermann (Vortragender), Dr. D. Liitkemeyer und Prof. Dr.-Ing. J. Lehmann, AG Zellkulturtechnik der Universitat Bielefeld, Technische Fakultat, Universitatsstr. 25, 33615 Bielefeld.

Die Anwendung eines stationaren Blasenschwarms fur die Sauerstoffver- sorgung von tierischen Zellkulturen wurde untersucht. In einem abwarts- gerichteten Stromungsfeld wurde ein quasi stationarer Blasenschwarm erzeugt. Durch die Erhohung der Venveilzeit der Blasen in der Flussigkeit wurde die Ausnutzung des eingebrachten Sauerstoffs auf bis zu 90% gesteigert.

Der Gaseintrag erfolgt durch eine Glaskapillare, die kleine Gasblasen in das Kulturmedium einbringt. Der Blasenaufstieg zur Oberflache wird durch das rotationssymmetrische, abwartsgerichtete Stromungsfeld, des- sen Starke von oben nach unten abnimmt, verhindert.

Das Stromungsfeld wird in einem Leitrohr, dessen Durchmesser rnit der Reaktorhohe variiert, erzeugt. Ein im oberenTeil des Leitrohres konzen- trisch angeordneter Kegel sorgt fur eine Reduktion der zur Verfugung stehenden, durchstrombaren Flache und damit fur eine hohe Stromungs- geschwindigkeit, durch die auch groBe Gasblasen sicher zuriickgehalten werden. Fur den Aufbau der Stromung wird das Fliissigkeitsvolumen von 2,3 I mit ejnem im unteren Bereich des Leitrohres befindlichen Schrag- blattruhrer umgewalzt. In diesem Feld konnen Gasblasen klassiert und auf einer dem Blasendurchmesser proportionalen Hohe gehalten werden. Verbunden rnit der starken Reduktion des Gasvolumenstromes in das Kulturmedium verringert sich auch die Schaumbildung des proteinhalti- gen Nahrmediums.

Die Begasungseinheit erlaubt bei einem spezifischen Leistungseintrag von weniger als 10 mW/kg geriihrter Flussigkeit das Einbringen von 12,4 mg 02/1 h). Eine Hybridoma-Zellinie konnte in diesem System rnit einem Gasvolumenstrom von weniger als 250 mVh ohne Sauerstofflimitie- rung bis zu einer Zelldichte von 2,5 . lo9 Zellenll im wiederholten satzweisen Betrieb kultiviert werden.

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Modellbildung und Simulation tierischer Zellkulturen

Dipl.-Ing. R. K. Biener, M.Sc., Prof. Dr.-Ing. E. D. Gilles, Institut fur Systemdynamik und Regelungstechnik, Universitat Stuttgart, Pfaffen- waldring 9,70550 Stuttgart, und Dr.-Ing. J. Haas (Vortragender), Dr. rer. nat. u! Notf, Dr.-Ing. M. Howaldt, Dr. Karl Thomae GmbH, Biotechni- sche Produktion, Birkendorfer Str. 65, 88397 Biberach.

Tierische Zellkulturen, die hochmolekulare Proteine, wie z. B. monoklo- nale Antikorper, synthetisieren, werden in der pharmazeutischen Indu- strie seit Jahren zur Herstellung von Humantherapeutika und -diagnostika verwendet. Zum Einsatz kommen unterschiedliche Zellkulturen, wie 2.B. Hybridoma-Zellen und rekombinante CHO-Zellen, die im Batch-, Fed- batch- oder Chemostat-Betrieb unter unterschiedlichen verfahrenstechni- schen Randbedingungen fermentiert werden.

Zur ProzeBbeobachtung und 4benvachung einer Zellkultur-Fermenta- tion ist es notwendig, moglichst viele, den Verlauf der Fermentation beschreibende GroBen, wie 2.B. die Zellzahl, die Vitalitat und die Konzentrationen wichtiger Substrate und Metabolite bzw. Produkte, quantitativ zu erfassen. Hierzu werden in der Regel Off-line-Analysen durchgefiihrt, deren Ergebnisse aber immer nur den Zustand einer Fermentation, wie sie zu einem fruheren Zeitpunkt gewesen ist, wieder- geben konnen. Zudem sind diese Analysen zeitaufwendig und kostenin- tensiv. Durch den Einsatz modellgestutzter MeBverfahren, z. B. Luenber- ger-Beobachter und Kalman-Filter, ist es moglich, mittels leicht zugang- licher On-line-MeBgroBen Off-line-MeBgroBen unter Zuhilfenahme eines mathematischen Proze8modells zu schatzen. Damit stehen zu jedem Zeitpunkt geschatzte Informationen uber die wichtigsten GroBen einer Fermentation zur Verfiigung.

Die mathematische Modellbildung kann also zusammen rnit modell- gestiitzten MeBverfahren zur ProzeBiiberwachung und Verfahren zur ProzeBfuhrung ein solches Werkzeug darstellen.

Am Beispiel einer Hybridoma-Zellinie ist ein leistungsfahiges, struktu- riertes dynamisches Zellmodell entwickelt worden. Es beriicksichtigt sowohl den Zellstoffwechsel als auch den Energiestoffwechsel der Zelle und dessen Regulation. Zur Beschreibung des Wachstumsverhaltens werden Glucose und Glutamin als Substrate im Modell berucksichtigt. Diese beiden Substanzen sind bekanntermaBen die wichtigsten Energie- und Kohlenstoffquellen bei tierischen Zellen in Kultur und sind in der Regel die limitierenden Substrate. Es wird angenommen, daR alle anderen Substrate im UberschuB im Medium vorhanden sind und sich dementspre- chend nicht limitierend auf das Wachstum und Produktionsverhalten der Zellen auswirken. Metabolite, die sowohl das Wachstum der Zellen als auch die Produktbildung inhibieren, sind Ammonium, Lactat und weite- re, zunachst unbekannte Substanzen, die von den Zellen in das Medium sekretiert werden. Diese unbekannten Substanzen werden im Modell als ein Parameter zusammengefaat. Weitere wesentliche Bestandteile des Zellmodells sind zellinterne Stoffe wie Cycline und ATE Cycline sind Proteine, die den Zellzyklus regulieren und aufgrund ihres Einflusses auf das Wachstum und die Produktbildung als ein MaB fur die Aktivitat der Zellen angesehen werden konnen. Die ATP-Bilanz gibt Auskunft uber den Energiehaushalt der Zellen.

Das so erstellte Modell kann die Dynamik des Wachstums und der Produktion monoklonaler Antikorper der Zellinie auch bei unterschied- lichen Fermentationsbedingungen (Batch-, Fedbatch- und kontinuierli- cher Betrieb) rnit einem einzigen Satz konstanter Parameter beschreiben. Die Parameter wurden an experimentelle Daten aus Untersuchungen rnit einer in Suspension fermentierten Hybridoma-Zellinie angepaBt. Hierzu wurden in Laborfermentern Fermentationen im Batch-, Fedbatch- und kontinuierlichen Betrieb durchgefiihrt.

Fur den betrachteten FermentationsprozeB ist ein erweiterter Kalman- Filter entworfen worden, der zur Abschatzung der obengenannten GroBen allein auf eine indirekte Sauerstoffverbrauchsmessung zuriick- greift. Der Vergleich der Filter-Schatzwerte rnit den Off-line-Analysen- werten zeigt dabei eine gute Ubereinstimmung.

1220 Chem.-1ng.-Tech. 66 (1994) Nr. 9, S. 1165-1276